4/2017 Juli | August
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A: € 6,30 CH: sFr 11,00 BeNeLux: € 6,50 SK, I: € 7,45 FIN: € 8,10
Clausewitz Das Magazin für Militärgeschichte
Jagdpanther
Technik und Einsatz
Napoleon 1809 Niederlage vor Wien
Dieppe 1942
Was trieb die Antiker Weltkrieg So bezwang Rom das mächtige Karthago
Alliierten zur Verzweiflungstat? MILITÄR & TECHNIK
Küstenraketen der NVA Als die Volksmarine die NATO überholte
Franz Halder Vom NS-General zum Regimegegner
© Robin Weaver
Entdecken Sie, im Sinne einer kulturellen Bildungsreise, Luxemburgs Gedenkstätten des Zweiten Weltkriegs. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hierbei auf der Befreiung des Landes durch die Amerikaner im September 1944 und Januar 1945. Erleben Sie die Orte, die Zeugnisse unserer Geschichte sind.
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Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, noch heute zucken viele Kanadier zusammen, wenn sie das Wort „Dieppe“ hören. Der Name der kleinen französischen Hafenstadt löst bei Angehörigen der älteren Generationen auch 75 Jahre nach den dramatischen Ereignissen besonderes Unbehagen aus. Zu sehr schmerzen die Erinnerungen an ein alliiertes Kommandounternehmen im Kriegsjahr 1942, das fataler für die überwiegend kanadischen Truppen kaum enden konnte. In Schilderungen von Zeitzeugen dieser waghalsigen Operation mit dem Decknamen „Jubilee“ finden sich regelmäßig Begriffe wie Desaster, Katastrophe und Inferno. Der Schock bei den Alliierten saß 1942 entsprechend tief. So tief, dass zwei Jahre später, vor der Invasion in der Normandie, vielen amerikanischen, britischen und kanadischen Soldaten eine besonders große Furcht vor einem weiteren Fiasko in den Knochen steckte. Sie stellten sich vor dem Anbruch des „D-Day“ am 6. Juni 1944 die Frage: Wird auch uns ein solch’ grausames Schicksal im Kampf gegen die Deutschen ereilen? Für die nachfolgenden Generationen drängen sich dagegen folgende Fragen zum „Dieppe-Raid“ auf: Warum endete die Landung von Kanadiern und Briten 1942 in einem Blutbad mit entsetzlichen Verlusten? Wer trägt die Schuld an dem Fehlschlag? War die Wehrmacht ein überlegener Gegner? Planten die Alliierten damals wirklich eine Art Generalprobe für eine spätere Großinvasion an der französischen Kanalküste? In unserer aktuellen Titelgeschichte „Das Debakel von Dieppe“ finden Sie auf den Seiten 10 bis 31 ausführliche Antworten auf diese und weitere wichtige Fragen zum alliierten Albtraum im Sommer 1942. Ich wünsche Ihnen viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre unserer spannenden Themenauswahl.
Dr. Tammo Luther Verantwortlicher Redakteur
26. Folge Krieger, Söldner & Soldaten
G.I.s im Grabenkrieg An der Westfront stehen den US-Truppen kriegserfahrene und mit allen Wassern gewaschene Deutsche gegenüber. Doch die Amerikaner sind nicht völlig unvorbereitet – und erweisen sich als zähe Gegner en USA gelingt es erstaunlich schnell, ihre Wirtschaft auf Kriegsproduktion umzustellen und ihre vergleichsweise kleine Armee von 200.000 Mann (Friedensstärke) auf über drei Millionen Soldaten zu vergrößern. Die im Juli 1917 im französischen Saint-Nazaire angelandeten US-Soldaten sind bereits sehr gut ausgerüstet. Aufgrund der Erfahrungen des Spanisch-Amerikanischen Krieges (1898) hat die US-Armee bereits 1902 khakifarbene Uniformen eingeführt. Tornister, Koppelzeug und Patronentaschen bestehen bereits aus billigem, aber strapazierfähigem Segeltuch und Baumwollgurten. Dennoch müssen auch die Amerikaner im Grabenkrieg einige Modifikationen vornehmen. So löst der Stahlhelm M17, der nach britischen Vorbildern gefertigt ist, bald den campaign hat (Hut) M1912 ab. Auch Gasmasken und Grabendolche gibt die Führung aus. Der Schnitt der Uniform vereinfacht sich nochmals, damit die Produktion mit dem wachsenden Bedarf Schritt halten kann. Ein bis zum Wadenansatz reichender Schnürstiefel löst die bisher nur knöchelhohen Schuhe ab. Er bewährt sich in den schlammigen Gräben deutlich besser. Das amerikanische Springfield-Gewehr M1903/05 ist eine moderne Waffe, die
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UNERFAHREN – ABER NICHT UNGEFÄHRLICH: Als die Amerikaner an der Westfront erscheinen, kämpfen die Deutschen dort schon seit Jahren. Doch die US-Infanterie ist gut ausgerüstet und „frisch“. Der abgebildete G.I. ist mit dem zuverlässigen Springfield-Gewehr M1903/05 samt Bajonett ausgerüstet, der M1917 Patronengürtel fasst insgesamt 100 Schuss Munition. Außerdem trägt er eine M1911Pistole und den typischen britischen M1917-Stahlhelm
sich am deutschen Mausergewehr orientiert – und noch bis in den Zweiten Weltkrieg in Gebrauch bleibt. Rein äußerlich gleichen die USBoys ihren britischen Kameraden sehr. Allerdings bringen sie frischen Elan in die Reihen der West-Alliierten, deren Moral nach den Rückschlägen in den Frühjahrsschlachten 1917 erheblich gelitten hat. Obwohl es in den USA offiziell keine Rassendiskriminierung gibt, fasst die Führung die schwarzen Soldaten eigens in der 92nd Division zusammen.
FAKTEN Zeit: 1917/18 Uniform: Uniformjacke und Hose M1912, Stahlhelm M1917, Stiefel M1917 Bewaffnung: Springfield-Gewehr M1903/05, Grabendolch M1917 Wichtige Schlachten: Zweite Marneschlacht, Saint-Mihiel, Maas-ArgonnenOffensive (alle 1918)
Abb.: Johnny Shumate
3 Clausewitz 4/2017
Inhalt Titelthema
Titelgeschichte | Dieppe 1942
Alliierte Landungsoperation in Nordfrankreich
Das Debakel von Dieppe ........................................................................................10
Das Debakel von Dieppe
Alliierte Landung in Nordfrankreich 1942.
5 KURZE FAKTEN ZEIT: 18./19. August 1942 ORT: Hafenstadt Dieppe/Nordfrankreich KONTINENT: Europa GEGNER: Alliierte/Deutsches Reich EREIGNIS: Landungsoperation britischkanadischer Truppen
Raid ohne Rückkehr ...........................................................................................................24
August 1942:
Mit einer waghalsigen Aktion wollen alliierte Truppen wichtige militärische Infrastruktur der Deutschen bei Dieppe zerstören. Ihr Raid dient auch als Testlauf für eine Großinvasion – und mündet in eine Katastrophe Von Lukas Grawe
Grausames Schicksal der Angreifer.
Fatale Feuertaufe ......................................................................................................................28 Fehlgeschlagene „Churchill-Premiere“.
Sturm ins Debakel der S. 28 Inferno S. 24 Tanks
Spuren des Kampfes Völlig überraschend landeten die Alliierten am 18./19. August 1942 bei Dieppe – und stürmten in ein Inferno. Im Bild Wracks zerstörter Churchill-Panzer Foto: ullstein bild – ullstein bild nach dem Invasionsversuch
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So erlebten die alliierten Soldaten die missglückte Landung bei Dieppe
Clausewitz 4/2017
Die britischen Panzer erwiesen sich spätestens am Strand als Fehlkonstruktion
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Gefallene alliierte Soldaten neben ihren Landungsbooten am Strand von Dieppe am 19. August 1942. Die britisch-kanadischen Angreifer erwartet bei ihrem Raid in Nordfrankreich Foto: picture-alliance/©dpa ein tödliches Inferno
Magazin Neues zur Militärgeschichte, Ausstellungen und Bücher.
Akten, Dienste & Spione ......................
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Stauffenberg und das Drama des 20. Juli.
Schlachten der Weltgeschichte
Napoleons erste Niederlage
...........................................................................
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Die Schlacht von Aspern 1809. Militärtechnik im Detail
Tödliche Geschosse ..............................................................................................................38 Die „Stalinorgel“ der Roten Armee. Titelbild: Ein deutscher Soldat inspiziert das Wrack eines an der Kanalküste bei Dieppe von den Alliierten angelandeten Churchill-Panzers
4
Unternehmen Walküre...................................................................................................40 Schlachten der Weltgeschichte
Blutige Apokalypse.................................................................................................................46 Die Plünderung von Magdeburg 1631. Teaser
Militär & Geschichte............................................................................................................52 Stauffenberg I Flandern 1917
Schlachten der Weltgeschichte
Schlachten der Weltgeschichte
I
Die Schlacht bei Aspern
NAPOLEONS erste Niederlage 21. und 22. Mai 1809: Zwischen Österreichern und Franzosen wütet ein zweitägiger Kampf, an dessen Ende das Unglaubliche geschieht – Napoleon wird erstmals in einer Feldschlacht besiegt! Von Jens Florian Ebert
DIE GEGNER Französische Armee unter Kaiser Napoleon 21. Mai 1809: Zirka 31.500 Mann Infanterie und 9.300 Reiter, 90 Geschütze 22. Mai 1809: Zirka 60.000 Mann Infanterie und 11.000 Reiter, 152 Geschütze Österreichische Armee unter Erzherzog Karl Zirka 84.500 Mann Infanterie und 14.500 Reiter, 292 Geschütze
n den Donauauen südöstlich von Wien herrscht am Pfingstsonntag im Jahre 1809 großer Lärm. Ungeduldig führt Napoleon seine Streitkräfte von der Lobau über eine Schiffsbrücke auf das linke Ufer hinüber. Er weiß nicht, dass sein Gegner nur den Moment abwartet, bis die französischen Truppen den Strom im Rücken haben. Da geben seine Vorposten gegen 13 Uhr Alarm! In dicht geschlossenen Marschblöcken rückt die österreichische Armee aus dem Marchfeld heran. Schnell richten sich die französischen Infanteristen in den Dörfern von Aspern und Essling zur Verteidigung ein – die Schlacht beginnt!
Wettlauf nach Wien Seit Anfang 1808 rüstet der Wiener Hof für einen neuen Krieg gegen Napoleon. Dabei hofft man auf die Hilfe von Zar Alexander I. und Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. Ermutigt durch die Ereignisse in Spanien, wo es Napoleon nicht gelungen ist, den Volksaufstand niederzuschlagen, erklärt Österreich am 9. April 1809 Frankreich den Krieg. Noch am selben Tag fällt Erzherzog Karl in das Königreich Bayern ein. Doch Preußen verhält sich neutral und Russland hat sich mit Napoleon arrangiert. Bereits am 22. April 1809 besiegt der aus Spanien herbeigeeilte französische Kaiser bei Eggmühl Erzherzog Karl. Während sich der Österreicher über Böhmen auf Wien zurückzieht, strebt Napoleon auf dem südlichen Donauufer demselben Ziel entgegen. Den Wettlauf gewinnt der Franzose. Am 10. Mai steht seine Vorhut vor der alten Kaiserstadt, die sich nach einem dreitägigen Bombardement ergibt. Erzherzog Karl trifft erst am 16. Mai jenseits der Donau im Marchfeld, einer weiten Ebene zehn Kilometer östlich von Wien, ein. Trotz des Verlustes seiner Hauptstadt ist der Kaiser von Österreich nicht bereit, Frieden zu schließen. Nach erregten Debatten entscheidet man sich dafür, die Armee im Marchfeld aufzustellen und auf die Initiative des französischen Kaisers zu warten.
Dramatische Donauüberquerung Um den Krieg zu einem schnellen Ende zu führen, will Napoleon die auf dem linken Donauufer stehende Armee Erzherzog Karls zur Entscheidungsschlacht stellen. Er setzt, obwohl er momentan nur über die Korps seiner Marschälle Lannes und Masséna, die Reservekavallerie unter Marschall Bessiéres
AUCH NUR EIN MENSCH: Napoleons Ruf als unbesiegbarer „Schlachtengott“ bekommt bei Aspern erste Risse, als ihn die Österreicher schlagen Abb.: picture-alliance/akg können
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und die Garde verfügt, alles daran, die in mehrere Flussarme geteilte Donau zu überqueren. Allerdings haben österreichische Truppen die Wiener Donaubrücken zerstört. Napoleon lässt verschiedene Übergangsstellen erkunden und entscheidet sich dafür, die Donau bei Kaiser-Ebersdorf über die Insel Lobau zu überqueren. Von dort will er ins Marchfeld vorstoßen. Insgesamt müssen die Franzosen für den Brückenschlag drei Flussarme mit einer Gesamtlänge von über 900 Metern überwinden. Eine schwere Aufgabe für die Pioniere, da die Donau durch starke Regenfälle und Schmelzwasser aus den Alpen hoch angeschwollen ist. Dennoch gelingt es ihnen, bis zum Mittag des 20. Mai eine große Schiffsbrücke nach der Lobau fertigzustellen und bis zum Abend mit einem zweiten Brückenschlag über den Stadlauer Donauarm den Übergang in die Mühlau zu vollenden. Als die österreichischen Späher dies herausfinden, eilen sie sofort zu Erzherzog Karl und melden ihm atemlos, was die Franzosen vorhaben. Karl fasst daraufhin den Entschluss, Napoleon noch während seines Aufmarsches ins Marchfeld anzugreifen. Karl beauftragt den Generalstabshauptmann Magdeburg damit, Kähne und Brandflöße flussabwärts gegen die große gegnerische Schiffsbrücke bei Kaiser-Ebersdorf treiben zu lassen.
Blutige Apokalypse Die Kaiserlichen stürmen Magdeburg
Franzosen tappen im Dunkeln Noch am Abend des 20. Mai gehen die ersten Truppen des IV. Korps unter Marschall Masséna auf das linke Donauufer über und bilden mit den Dörfern Aspern und Essling einen Brückenkopf ins Marchfeld. Dann folgen die leichten Kavalleriedivisionen Marulaz und Lasalle sowie die Kürassierdivision Espagne unter Marschall Bessiéres. Vom Gegner sehen die Franzosen nur wenige Vorposten. Auch die französische Kavallerie ist bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht in der Lage, mehr über die österreichischen Truppen in Erfahrung zu bringen. Zwar erkennt Masséna in der Nacht vom Kirchturm von Aspern in der Ferne Lagerfeuer, aber er hält sie für Biwaks der Nachhut des Erzherzogs, dessen Hauptmacht Napoleon im Rückzug nach Mähren wähnt. Tatsächlich hat dieser aber seine Armee in Nachtmärschen für den Angriff auf Napoleon umgruppiert und wartet in naher Entfernung auf den Moment zum Losschlagen.
S.32 33
Clausewitz 4/2017
Militär und Technik | Jagdpanther
1631: Die Verteidiger von Magdeburg hatten von Anfang an keine Chance gegen das mächtige kaiserliche Heer. Ihre einzige Hoffnung waren die Schweden – und der Mut der Verzweiflung, mit dem sie erstaunliche Einzelerfolge errangen
FLAMMEN-INFERNO: Die Eroberung des protestantischen Magdeburgs durch katholische Truppen erschüttert die Zeitgenossen in ganz Europa. Die entfesselte Gewalt ist selbst für den Dreißigjährigen Krieg extrem – die einst stolze Stadt liegt in Schutt und Asche
S.46
Von Otto Schertler
Abb.: picture-alliance/akg-images
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Clausewitz 4/2017
Kriege, Krisen & Konflikte
Der Jagdpanther (SdKfz 173) der Wehrmacht
Gefürchteter
GIGANT
Die Punischen Kriege
JÄGER UND GEJAGTER: Ein klarer Durchschuss durch die 50 Millimeter starke Seitenpanzerung des Jagdpanthers traf sowohl Motor als Foto: NARA auch Kampfraum mit vernichtender Wirkung
264–146 vor Christus: Die Punischen Kriege zählen zu den berühmtesten Konflikten des Altertums. Am Ende erringt Rom einen triumphalen Sieg über den Rivalen Karthago – und steigt zur Weltmacht auf Von Daniel Carlo Pangerl
Anfang 1944: Die Wehrmacht führt den Jagdpanther ein, der den Gegner schnell das Fürchten lehrt. Mit seiner durchschlagkräftigen 8,8-Zentimeter-Kanone kann der Stahlkoloss es mit allen alliierten Panzern aufnehmen Von Thomas Anderson
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ls der Jagdpanther Anfang 1944 zur Truppe kommt, steht die Wehrmacht militärisch längst am Abgrund. Die Rote Armee eilt im Osten von Sieg zu Sieg, während in Italien der Kampf um die „Festung Europa“ entbrannt ist. Im Juni 1944 verschärft der DDay die Lage zusätzlich. In dieser schwierigen Situation greift ein 45-Tonnen-Gigant in die Kämpfe ein, den man häufig als besten Jagdpanzer des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Und tatsächlich: Die Kombination der leistungsstarken 8,8Zentimeter-Panzerabwehrkanone 43/3 L/71 auf dem Fahrgestell des Panzerkampfwagens (PzKpfw) Panther soll sich bewähren – der Jagdpanther wird zum Jäger der Alliierten.
Kampfkraft auf Ketten Neben der Panzerabwehrkanone (Pak) mit ihren größeren Kalibern tritt während des Krieges in den Weiten Russlands eine andere Waffe als Panzerabwehrmittel auf – das Sturmgeschütz (StuG). Diese Panzerfahrzeuge führte man zu Kriegsbeginn in zunächst geringen Stückzahlen zur artilleristischen Nahunterstützung von Infanterieangriffen ein. Eingebettet auf Heerestruppenebene teilt man Sturmgeschütze in Abteilungs-
oder Kompaniestärke den Infanterie- und Panzereinheiten zu. Trotz ihrer kurzkalibrigen 7,5-Zentimeter-Kanone können sie auch gegen die modernen russischen Panzer vorgehen. Ihr geringer Gesamtaufzug, gepaart mit guter Funkverbindung und weit überlegener taktischer Führung, ist in unzähligen Gefechten entscheidend für den erfolgreichen Einsatz. Bereits vor Kriegsbeginn hat die Führung geplant, jeder Infanteriedivision eine Sturmgeschützabteilung (mit zunächst 18 StuG) zuzuteilen, was jedoch nicht umsetzbar ist. Um die Fronteinheiten mit geeigneten Waffen auszurüsten, setzt man große Mengen der 7,5-Zentimeter- und 7,62-Zentimeter-Pak auf Selbstfahrlafetten. Diese bieten eine deutlich höhere Beweglichkeit gegenüber gezogenen Geschützen. Doch die vorhandenen Konzepte besitzen schwerwiegende Nachteile. Der Panzerschutz ist bei den Selbstfahrlafetten nur sehr schwach und bei der Pak überhaupt nicht vorhanden. Zudem handelt es sich bei beiden um defensive Waffen. Im direkten Vergleich sind Sturmgeschütze deutlich leistungsfähiger. Die gut gepanzerten und flachen Fahrzeuge können heran-
nahende Feindpanzer auch offensiv angehen und verfolgen. Deutlich erhöht man 1942 die Kampfkraft der Sturmgeschütze, indem man Langrohrgeschütze (7,5-Zentimeter-Sturmkanone 40 L/48) einbaut. Die Infanterie spricht sich dafür aus, die Produktionszahlen dieser Fahrzeuge zu erhöhen. Denn die Rolle des Sturmgeschützes ist faktisch längst eine andere. Aus der Feuerunterstützungswaffe hat sich ein neues Konzept entwickelt – der Panzerjäger oder auch Jagdpanzer.
Schwere Panzerjäger Aufgrund der veränderten Bedrohungslage reagiert die deutsche Rüstungsindustrie ab dem Jahr 1942. Nun beginnen Arbeiten an einem Geschütz mit stärkerem Kaliber. Aus der 8,8-Zentimeter-Flugabwehrkanone, die entgegen ihrer ursprünglichen Funktion auch im Erdkampf erfolgreich agiert, soll zunächst eine Panzerkanone entstehen. Die 8,8Zentimeter-Kampfwagenkanone (Kwk) 36 baut man 1942 in den neuen PzKpfw Tiger ein. Sie sollte seinen Ruf als gefürchtete Waffe begründen. Nun versucht die Artillerie, ihren Einfluss geltend zu machen. Musste diese Truppen-
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UNTER ANSPANNUNG: Die Besatzung eines Jagdpanthers diskutiert die Lage mit einem Krad-Melder. Das lange Geschützrohr der 8,8-Zentimeter-Pak 43/3 ragt drohend über die Gruppe Foto: Sammlung Anderson
GESCHÜTZLOSER JAGDPANTHER: Die große Öffnung ist mit einer gläsernen Abdeckung versehen. Der Wagen diente vermutlich dazu, Fahrer auszubilden Foto: Sammlung Anderson
IN VOLLER FAHRT: Die schwere Panzerung sowie die durchschlagskräftige Kanone unterstreichen das offensive Konzept dieses Panzerjägers Foto: Historyfacts
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Militär und Technik | Küstenraketen
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EPISCH: Wie aus einem Hollywood-Streifen klingen manche Episoden aus dem kolossalen Kampf zwischen Karthago und Rom – zum Beispiel die Alpenüberquerung Hannibals, der die Römer beinahe besiegt hätte … Abb.: akg/Kurt Miller/Stocktrek Images
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Menschen & Geschichten SCHUSSGEWALTIG: Start einer Rakete P-21 des Komplexes „Rubesh“ während eines Schießtrainings auf dem Olygon in Baltijsk (ehemals Pillau). Mit „Rubesh“ hielt die NVA einen mächtigen Trumpf in der Hand
Küstenraketen der Volksmarine
Startschuss zur Revolution
Generaloberst Franz Halder
Des Teufels Berater
Foto: Sammlung Lothar Schmidt
MIT NACHDENKLICHEM BLICK: Porträtfoto Halders von Kriegsberichterstatter Walter Frentz aus dem Jahr 1942 Foto: ullstein bild – Walter Frentz
September 1938: Franz Halder wird Generalstabschef des Heeres und erreicht den Höhepunkt seiner Militärkarriere. An der Seite des „Führers“ ist er dessen maßgeblicher Berater – doch er beginnt auch, an Hitlers Zielen zu zweifeln Von Lukas Grawe
1960er-Jahre: Die Volksmarine der DDR führt moderne Küstenraketenkomplexe ein, die die NATO im Ernstfall in Bedrängnis gebracht hätten Von Dieter Flohr
E
s ist Spätsommer 1964. Unser Kübelwagen P3 rumpelt über schmale Waldwege der Granitz auf der Insel Rügen. Irgendwo hier im Wald zwischen Binz und Sellin stehen Küstenraketen der Volksmarine in ihrer geheimen Stellung. Und wir sind mit Filmkamera und Fotoapparat dabei, ich selbst im Rang eines Oberleutnants (Ing.) als Leiter der Bildstelle im Kommando der Volksmarine. Vor uns fährt die Pkw-Kolonne mit der Führung der Volksmarine und geladenen Gästen von Partei und Rat des Bezirkes Rostock. Wir passieren einige mit Posten gesicherte Schlagbäume und erreichen eine Lichtung. Staunend stehen wir vor einer neuartigen Waffe: einer Küstenrakete des Typs „Sopka“. Das Projektil liegt auf einer schräg in Richtung Ostsee zeigenden Rampe. Daneben und im Hintergrund stehen getarnte Gefechtsfahrzeuge. Eine Radarantenne dreht sich lautlos. Davor steht ein Trupp in Kampfanzügen und mit Stahlhelmen. Es folgt die Meldung an den Befehlshaber. Dann kommt die lässige Handbewegung. Es ist Übungsbeginn. Laut bellen die Vorgesetzten ihre Befehle. Die Männer laufen auseinander. Einige Soldaten erklimmen die Rakete, die optisch wie ein Jagdflugzeug MiG-15 anmutet. Sie drehen Regler an verschiedenen Stellen, kurbeln die Rampe von Hand in vorbestimmte Höhen- und Seitenwinkel und ge-
AUSGEMUSTERT: Die Volksmarine stellt den Küstenraketenkomplex „Sopka“ mit seinen Raketen S-2 in den frühen 1970er-Jahren außer Dienst Foto: Dieter Flohr
hen schließlich in Deckung. Dann schießt plötzlich ein mächtiger Feuerstrahl aus dem Heck der Rakete. Es zischt und qualmt. Aber sie bleibt, wenn auch zitternd, auf der Rampe liegen. Dann erlischt der Feuerstrahl. Die Demonstration ist zu Ende, die Zuschauer sind beeindruckt.
Streng geheim Der Admiral lächelt zufrieden. Er weiß, dass die Rakete im Ernstfall, von einem Funkleitstrahl gelenkt, eine Flugstrecke von bis zu 70 Kilometern zurücklegen kann. Dann würde sie aus der Höhe ein zuvor ausgewähltes Radarziel auffassen, sich bis auf wenige Meter über dem Meeresspiegel senken und auf das ausgewählte Ziel stürzen. Es läuft eine groß angelegte Flottenübung der DDR-Marine. Alleiniger Befehlshaber ist der neue Chef der Volksmarine, Wilhelm Ehm. Er ist erst wenige Tage vor dem Manö-
ver von seinem Zweijahres-Lehrgang an der Seekriegsakademie in Leningrad zurückgekehrt und sprüht vor Tatendrang. Für diese Übung setzt man alles ein, was die Volksmarine aufbieten kann: Minenabwehr-, U-Jagd-, Schnellboote, Landungsund Küstenschutzschiffe. Der Schwerpunkt liegt wie so oft darauf, ein Landungsgeleit zu überführen und ein Mot.-Schützenbataillon am Strand von Prora anzulanden. Und auf eben dieses Landungsgeleit weit draußen auf See war die Übungsrakete S-2 „Sopka“ gerichtet. Da das Szenario streng geheim ist, tritt der oberste Offizier der Militärabwehr auf uns zu und verlangt, dass wir das Filmmaterial herausgeben. Da hat sich selbst der Chef der Volksmarine wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt, als er uns mitnahm. Er schreitet aber nun auch nicht ein. Ein Küstenraketenkomplex „Sopka“ (4K-87) der Volksmarine umfasst mehr als
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KÜSTENVERTEIDIGER: Das Raketenschnellboot Otto Tost („Projekt 205“) ist mit Raketen vom Typ P-15 ausgerüstet Foto: ullstein bild – ADN-Bildarchiv
30 Spezialfahrzeuge auf Ketten und Rädern. Diese Tatsache stellt sich bald als Mobilitätsproblem heraus. Auch ist die erwünschte absolute Geheimhaltung allein durch den Anmarsch des Fahrzeugkonvois in die vorbereiteten Stellungen kaum möglich. Vorgesehen ist, mit diesem umfangreichen Fuhrpark in Spannungsphasen jeweils pioniermäßig ausgebaute Stellungen an der Küste zu beziehen. Von diesen aus will man das gesamte Küstenvorfeld von der Lübecker Bucht, dem Fehmarnbelt bis zum Öresund, Arkonasee und der Insel Bornholm erreichen. Faktisch könnte man somit jeden in die Ostsee einlaufenden Schiffsverband der NATO beziehungsweise der Bundesmarine aus einer gedeckten Küstenstellung heraus bekämpfen. Dieses Szenario übt man daher auch regelmäßig, unter anderem im Manöver „Waffenbrüderschaft 70“. Im Rahmen dieser Übung feuert man sogar zwei Küstenraketen ohne Gefechtskopf zu Demonstrationszwecken in Richtung See ab. Die Rakete erreicht mit annähernder Schallgeschwindigkeit eine maximale Entfernung von 95 Kilometern. Die Flughöhe beträgt 300 bis 400 Meter. Vor dem Ziel fliegt sie nur noch wenige Meter über der Wasseroberfläche. Dies macht eine Abwehr beinahe unmöglich. Die Gefechtsladung der Rakete S-2 besteht aus 600 Kilogramm Sprengstoff TNT. Die S-2 besitzt ein
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Turbo-Flüssigkeitstriebwerk (Kerosin) und ein Feststoff-Starttriebwerk, das sie Sekunden nach dem Start abwirft.
Der NATO voraus? Die Volksmarine verfügt damit über moderne Küstenraketen, die Überwasserschiffskräfte effektiv bekämpfen können. Eine S-2 ist in der Lage, ein Schiff von der Größe eines Zerstörers zu vernichten. Im scharfen Schuss auf dem Schießpolygon in der Nähe von Baltijsk (ehemals Pillau) erzielen alle in den Jahren 1964, 1965, 1967 und 1996 gestarteten S-2 Volltreffer in den kleinen, vor der Küste verankerten Seezielscheiben. Für den Seetransport der gesamten Ausrüstung muss man aber jeweils bis zu drei mittlere Landungsschiffe (Typ Robbe) bereitstellen. Zeitweise ist die Volksmarine im Verbund mit ihren 15 Raketenschnellbooten „Projekt 205“ (NATO-Code: OSA I) mit den jeweils vier Raketen P-15 (NATO-Code: Styx) gegenüber der NATO waffenmäßig im Vorteil. Die Einheit unterstellt man aufgrund ihrer Bedeutung direkt dem Chef der Volksmarine. Sie heißt Spezial-Küstenartillerie-Abteilung 18 (SKA-18). Doch der Westen zieht relativ schnell nach und beschafft ebenfalls Schiff-Schiff-Flugkörper beziehungsweise Luft-Boden-Raketen wie „Exocet“ und „Kormoran“ mit großer Reichweite.
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AN DER SEITE DES „FÜHRERS“: Franz Halder (rechts) während einer Lagebesprechung mit Hitler, Februar 1942. Verhält sich Halder zunächst regimetreu, wachsen allmählich seine Zweifel – mit dramatischen Konsequenzen
Foto: ullstein bild – Walter Frentz
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Militär und Technik
Militär und Technik
Gefürchteter Gigant ..............................................................................................................54
Startschuss zur Revolution ..................................................................................70
Der Jagdpanther (SdKfz 173) der Wehrmacht.
Küstenraketenkomplexe der Volksmarine.
Kriege, Krisen & Konflikte
Menschen & Geschichten
Karthagos Untergang........................................................................................................60
Des Teufels Berater ...............................................................................................................76
Die Punischen Kriege.
Generaloberst Franz Halder (1884–1972).
Spurensuche
Faszinierendes Fünfeck................................................................................................68 Imposante Festung oberhalb Weißenburgs. Clausewitz 4/2017
Vorschau/Impressum............................................................................................................................82 Titelfotos: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo; Historyfacts; Abb.: akg-images/ Osprey Publishing/Richard Hook, picture-alliance/dieKLEINERT.de/Bernhard Förth; ullstein bild – Walter Frentz; Slg. Lothar Schmidt
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Magazin
Fotos: Deutsches Panzermuseum Munster (2)
Das neue Modell des Tiger im Panzermuseum Munster
Aus den Museen
Der Nachbau des Tiger-Panzers besteht aus mehr als 9.000 Einzelteilen
Neues Tiger-Modell Außergewöhnliches Großexponat im Panzermuseum Munster
D
as Deutsche Panzermuseum Munster verfügt seit wenigen Wochen über einen weiteren Hingucker: Seit April 2017 präsentiert es seinen Besuchern ein ungewöhnliches Tiger-Modell, das aus Kunststoff besteht, genau genommen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GfK). Dieses ist nicht das einzige für den Panzerbau ungewöhnliche
Material: Außerdem erstellte man den Tiger mit Metallprofilen aus Stahl und Aluminium, PVC und Kunststoff-Gießmassen. Das gesamte Modell besteht aus mehr als 9.000 Einzelteilen und wiegt etwa 2.700 Kilogramm. Es ist damit ein Leichtgewicht im Gegensatz zum Original des Stahlkolosses, der etwa 57 Tonnen wog.
Der Technologiestützpunkt Tarnen und Täuschen in Storkow (TuT) hat den sehenswerten Nachbau des Panzer VI „Tiger“ in mühsamer Handarbeit angefertigt. Der Tiger ist nun im Deutschen Panzermuseum Munster ausgestellt. Weitere Informationen unter: www.panzermuseum.de
Liste Mehr als nur eine Handvoll der bekanntesten US-Generäle (und Admiräle) der jüngeren Geschichte haben deutsche Wurzeln. Clausewitz präsentiert eine Auswahl: ●
Das historische Zitat Abb.: picture-alliance/CPA Media
„Nicht, wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“ Niccolò Machiavelli (1469–1527), italienischer Politiker, Diplomat, Philosoph, Geschichtsschreiber und Dichter
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John J. „Black Jack“ Pershing (1860–1948), Oberbefehlshaber der US-Truppen an der Westfront im Ersten Weltkrieg ● Henry „Hap“ Arnold (1886–1950), während des Zweiten Weltkriegs Oberbefehlshaber der US Army Air Forces ● Dwight D. „Ike“ Eisenhower (1890–1969), Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa und von 1953 bis 1961 Präsident der USA ● Carl „Tooey“ Spaatz (1891–1974), US-AirForce-General. Er ist der einzige General, der bei der Kapitulation sowohl der italienischen Armee, der Wehrmacht als auch der japanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg zugegen ist
●
Norman „The Bear“ Schwarzkopf (1934– 2012), Oberbefehlshaber der Koalitionstruppen im Zweiten Golfkrieg 1990/91 ● Robert L. Eichelberger (1886–1961), US-Army-General, der die 8. US-Armee im Pazifikkrieg kommandiert ● Albert C. Wedemeyer (1897–1989), US-General, der an den Plänen zur „D-Day“-Invasion beteiligt ist, außerdem Stabschef unter Mountbatten in Südostasien ● Chester W. Nimitz (1885–1966), Oberbefehlshaber der alliierten Marine im Pazifik ● Marc „Pete“ Mitscher (1887–1947), Pionier der Marinefliegerei und Admiral der USMarine, der an fast allen größeren Seegefechten im Pazifik teilnimmt
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KOMMANDO CYBER- UND INFORMATIONSRAUM
Schlachtfeld Internet Bundeswehr schafft neue Höhere Kommandobehörde Übergabe der Truppenfahne des neuen Kommandos an Generalleutnant Leinhos (links)
Foto: picture-alliance/©dpa
Jahres ist es her, dass die Bundeswehr die Panzerabwehrrakete MILAN eingeführt hat. Sie wird somit seit 1977 genutzt und dient der Bekämpfung von Kampfpanzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen auf bis zu 1.975 Meter Entfernung.
Abzeichen des Kommandos Cyber- und Informationsraum
B VERSTORBEN
Heinz Keßler Zum Tod des ehemaligen NVA-Generals Der Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Keßler, im Juli 1988
undesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat am 5. April 2017 in Bonn das Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) offiziell in Dienst gestellt. Zudem hat sie Generalleutnant Ludwig Leinhos die Verantwortung über das Kommando übertragen. Der neue Verband soll sowohl die digital gesteuerten Informationsnetzwerke als auch die Waffensysteme der Bundeswehr schützen. „Die heutige Geburtsstunde des Kommandos Cyber- und Informationsraum ist für die Bundeswehr mehr als ein Meilen-
stein. Damit stellen wir uns international im Spitzenfeld auf“, sagte von der Leyen beim Indienststellungsappell. Cyber-Angriffe auf Staaten und besonders auf deren kritische Infrastrukturen sind schon lange bittere Realität. Die Angriffe reichen vom Datenklau über die Spionage bis hin zum Manipulieren und Zerstören. Für die Bundeswehr sind Informationen eine Kernressource. Mit der Aufstellung des CIR sind nun die Grundlagen gelegt, um wirksame Cyber-Fähigkeiten der Bundeswehr zu bündeln, zu strukturieren und neu zu schaffen. Voraussichtlich im Juli 2017 werden weitere Dienststellen in diesen Bereich wechseln. Ähnlich wie Heer, Luftwaffe und Marine für Land, Luft beziehungsweise See zuständig sind, wird der neue Organisationsbereich ganzheitlich für den Cyber- und Informationsraum verantwortlich sein.
Fotos: picture-alliance/©dpa
Die Zahl des Monats
einz Keßler, ehemaliger Verteidigungsminister der DDR im Range eines Armeegenerals, ist am 2. Mai 2017 verstorben. Keßler, der zuletzt als Minister für Nationale Verteidigung fungierte, wurde 1993 im Zuge der Mauerschützenprozesse zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. 1998 vorzeitig entlassen, trat er noch im Jahre 2009 der DKP bei. Die radikal-linke Gesinnung wurde ihm indes in die Wiege gelegt, als er am 26. Januar 1920 im schlesischen Lauban als Sohn kommunistischer Eltern zur Welt kam. Er selbst engagierte sich beim Jungspartakusbund. Ab 1940 diente er in der Wehrmacht, lief aber am 15. Juli 1941 zur Roten Armee über. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und avancierte zum Mitglied des Zentralkomitees. Außerdem trat er 1950 den Vorläuferorganisationen der NVA bei. In dieser legte er eine steile Karriere zurück und wurde 1979 zum Stellvertreter des Verteidigungsministers ernannt, dessen Amt er 1985 selbst übernahm. In der Endphase der DDR konnte sich auch Keßler nicht mehr halten und trat im November 1989 zurück. Clausewitz 4/2017
Die Fotocollage des russischen Fotografen Sergey Larenkov stellt eindrucksvoll visualisiert einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart her; www.sergey-larenkov.livejournal.com
www.sergey-larenkov.livejournal.com
Foto: Bundesarchiv
H
Damals: Deutsche Truppen auf dem „Europäischen Platz“ im Zentrum Kiews. Die Wehrmacht erobert die ukrainische Hauptstadt im September 1941. Heute: Kiew ist die größte Stadt der Ukraine. Nicht nur die Kämpfe des Zweiten Weltkriegs treffen sie erheblich, sondern auch die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986. 7
Magazin ERSTER WELTKRIEG
Britische und französische Soldaten stoßen mit Hochprozentigem an
Überraschungsfund in Israel Große Anzahl von Flaschen mit Alkohol aus dem Jahr 1917 entdeckt
Der „Genuss“ von Alkohol war keine Seltenheit in der Etappe und an der Front Foto: picture-alliance/akg-images
Kurioses
Verzögertes Handeln führt zu verlängertem Krieg General Meades verpasste Chance
N
Abb.: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
ach der wohl bekanntesten Schlacht des Amerikanischen Bürgerkrieges – der Schlacht bei Gettysburg vom 1. bis zum 3. Juli 1863 – ist die „Army of Northern Virginia“ des Südstaaten-Generals Lee ausgeblutet und am Boden. Lee kann nur versuchen, seine geschundene Streitmacht einigermaßen geordnet zurück ins heimatliche Virginia zu bringen – der reißende Potomac-River versperrt ihm allerdings den Weg. Und genau hier bietet sich dem Nordstaaten-General George Meade die perfekte Chance, seinem Widersacher den endgültigen Todesstoß zu versetzen. Denn Meade verfügt über genügend Reserven und hat Robert Lees verlorenen Haufen dank des Potomac in der Zange. Alles, was er hätte tun müssen, ist, den Angriffsbefehl zu geben. Doch dieser kommt nicht, denn Meade wartet. Auf was, das weiß niemand. Prä-
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General Meade (1815– 1872) hätte möglicherweise bereits 1863 den Amerikanischen Bürgerkrieg beenden können
sident Abraham Lincoln schnaubt vor Wut, als er von der verpassten Gelegenheit erfährt – die Armee des fähigsten Südstaaten-Generals, auf dem Silbertablett serviert! Und Meade unternimmt nichts! Die Folgen dieses Zögerns sind zweifach: Meade wird durch General Grant ersetzt. Und: Der Krieg, der hier durch ein beherzteres Vorgehen hätte beendet werden können, geht noch zwei blutige Jahre weiter …
BUCHEMPFEHLUNG
Die Geschichte der Bundeswehr Reich illustriertes Sachbuch zur bundesdeutschen Armee
D
ie Bundeswehr ist seit ihrer Gründung im Jahr 1955 ein Spiegel der Gesellschaft. Sie suchte von Anfang an ihren Platz zwischen Tradition und Neuausrichtung. Zugleich war sie auch immer eine Parlamentsarmee und Neuerscheinung zur fest eingebunden in europä- Bundeswehr und ihrer Entwicklung ische und transatlantische Bündnisse. Der Autor schlägt den Bogen von den Anfängen der Bundeswehr mit ihren historischen Wurzeln bis hin zur heute weltweit agierenden Truppe. Dabei ordnet er nicht nur Abläufe und Ereignisse kritisch ein, sondern verknüpft diese mit den Werten und Weltbildern der bundesdeutschen Gesellschaft im Wandel der Zeit. Rund 100 historische Aufnahmen, zahlreiche Infokästen und ein auf das Wesentliche konzentrierter Text machen diese neue Studie zu einem lesens- und sehenswerten Nachschlagewerk. von Bredow, Wilfried: Die Geschichte der Bundeswehr. 160 Seiten, zirka 100 Abbildungen, 21 x 28 cm, Hardcover mit Schutzumschlag, Preis: 29,95 Euro (D)
Abb.: Palm Verlag
ls Wissenschaftler im Frühjahr 2017 südwestlich von Tel Aviv ein Gebäude untersuchten, das im Ersten Weltkrieg als Baracke für britische Soldaten diente, staunten sie nicht schlecht: Denn sie stießen auf eine große Zahl an Flaschen mit Alkohol, darunter Wein und Bier sowie Whisky und Gin. „Die Entdeckung dieser Stätte und die Funde ermöglichen uns einen Blick auf den undokumentierten Teil der Geschichte und rekonstruieren erstmals das alltägliche Leben und die Freizeit der Soldaten“, sagte der Ausgrabungsleiter, Ron Toueg. Forscher legten in der Nähe der Stadt Ramle den unteren Teil eines Gebäudes frei, der mutmaßlich als Baracke für Soldaten gedient hatte. Darin fanden sie Uniformknöpfe, Gürtelschnallen und Teile von Reitausrüstungen. Und neben dem Gebäude entdeckten sie eine Art Müllhalde mit Hunderten von Flaschen. Im Jahr 1917 hatten britische Truppen unter General Edmund Allenby das Gebiet um Ramle erobert. Es wird vermutet, dass die Soldaten große Mengen an Alkohol tranken, um ihre Anspannung abzubauen.
Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
A
Clau use ewiittz
Briefe an die Redaktion Zu „Startbereit – Der US-Jagdbomber P-51 D Mustang“ in Clausewitz 3/2017: Zu Ihrer Seite „Militärtechnik im Detail“: Wie üblich gut gemacht die Seite, nur (was ich schon bei vorangegangenen bedauert habe) dass im Gegensatz zu den Konkurrenzmaschinen bei der Mustang die Zusammenfassung der technischen Daten fehlt – gerade bei dieser Maschine (und anderen motorisierten Waffen) wünscht man sich diese Zusammenfassung, um sie mit den Mustern der Gegner vergleichen zu können. Ansonsten Kompliment zu dem wie immer gut gemachten Heft mit vielen interessanten Themen. Jürgen Schmidt, per E-Mail Zu „Die ,Hölle von Halbe‘“ in Clausewitz 3/2017: Jede Ausgabe von Clausewitz findet mein großes Interesse. Besonders spannend war für mich das Heft 3/2017. Es weckte Erinnerungen an meine Kindheit. 1947 befand ich mich in einem Kinderheim in der Nähe
P-5511 der Waffe auszulösen, von Teupitz. Um unsere Die US-Jägerikone um den Ladekanonieren Ernährung zu verbesZeit zu geben, die leer gesern, sammelten wir Halbe-Kessel 1945 schossenen Waffen nachPilze in den umliegenDie letzte den Wäldern. UmfangPaanzerschlacht zuladen. vor Berlin Im Waffen-Arsenal Band reiche Reste der KesNr. 142, 2 cm Flak im Einselschlacht lagen hier satz 1935–1945. sowie im noch herum. Munition Vierlil ngsflak 38 Buch Die leichte und mittlewar trotz aller Verbote re Flak 1906–1945 (Seite 36) beschreibt ein beliebtes Spielzeug. Glücklicherweiaber der Autor Werner Müller: se geschah uns jedoch nichts. In unse„Beim Betätigen eines Feuerpedales rem Heim lebten auch einige größere Jungen, die die Kämpfe mitgemacht hat- werden jeweils zwei Waffen durch die Abzugsvorrichtung über Kreuz ausgelöst. ten und mit schweren Verwundungen Beim Treten beider Pedale schossen alle davongekommen waren. vier Rohre.“ Nach der Schlacht an der Oder prägDie Zeit zum Nachladen der Ladekaten die Überreste der Schlacht von Halbe noniere für die leer geschossenen Wafdoch erheblich meine Kindheit und Jufen und somit das Schießen von Dauergend. Dr. Wolfgang Lange, per E-Mail feuer ist so trotzdem gewährleistet. Ein weiterer logischer Punkt wäre auch die To orres Vedras
Großbritanniens Limes gegen Napoleon
Nordafrika 1940
Alliierter „Blitzkrieg“ in der Wüste
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von Mackensen
80 Jahre Husar: Drei Herrscher, vier Reiche
Zu „Tödliches Quartett“ in Clausewitz 3/2017: Der Verfasser schrieb auf Seite 34, dass der Richtkanonier zuerst eine Seite der Waffe auslöst, um dann die zweite Seite
wicklung, Technik, Einsatz
Justierung der Waffenanlage auf einen Justierpunkt bei zirka 2.500 Metern, wo sich bei vier feuernden Rohren die vier Geschossbahnen überkreuzen. Dieses passiert auch bei zwei über Kreuz feuernden Rohren mit zwei sich kreuzenden Geschossbahnen. Dies erhöht die Trefferwahrscheinlichkeit, wenn die Geschosse von zwei „Richtungen“ (links und rechts) kommen und nicht nur von einer Seite (einseitige Seitenablage der Justierung). Da ich während meiner Lehrgänge an der Heeresflugabwehrschule Rendsburg als „alter Soldat der Heeresflugabwehrtruppe“ auch auf dem Richtsitz einer dort ausgestellten Vierlingsflak 38 saß, um mir die ganze Mechanik genauer anzusehen, kann ich das Über-Kreuz-Schießen nur bestätigen. Rudolf Wagner StFw a. D., per E-Mail
Schreiben Sie an:
[email protected] oder Clausewitz, Postfach 40 02 09, 80702 München Leserbriefe spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe aus Gründen der Darstellung eines möglichst umfassenden Meinungsspektrums sinnwahrend zu kürzen.
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
Alliierte Landungsoperation in Nordfrankreich
Das Debakel 5 KURZE FAKTEN ZEIT: 18./19. August 1942 ORT: Hafenstadt Dieppe/Nordfrankreich KONTINENT: Europa GEGNER: Alliierte/Deutsches Reich EREIGNIS: Landungsoperation britischkanadischer Truppen
Spuren des Kampfes Völlig überraschend landeten die Alliierten am 18./19. August 1942 bei Dieppe – und stürmten in ein Inferno. Im Bild Wracks zerstörter Churchill-Panzer Foto: ullstein bild – ullstein bild nach dem Invasionsversuch
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von Dieppe August 1942:
Mit einer waghalsigen Aktion wollen alliierte Truppen wichtige militärische Infrastruktur der Deutschen bei Dieppe zerstören. Ihr Raid dient auch als Testlauf für eine Großinvasion – und mündet in eine Katastrophe Von Lukas Grawe
Sturm ins Debakel der S. 28 Inferno S. 24 Tanks So erlebten die alliierten Soldaten die missglückte Landung bei Dieppe
Clausewitz 4/2017
Die britischen Panzer erwiesen sich spätestens am Strand als Fehlkonstruktion
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
FEST IM VISIER Deutsche Soldaten nehmen den Gegner mit ihrem Maschinengewehr unter Beschuss. Das Überraschungsmoment ist den Alliierten im Vorfeld ihrer Landungsoperation verloren gegangen. Dadurch sind die Verteidiger in ihren Küstenstellungen gewarnt – mit fatalen Folgen für die Angreifer Foto: picture-alliance/©dpa
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Mörderisches Abwehrfeuer
FAKTEN
Deutsches Reich Zielsetzung: Abwehr des alliierten Kommandounternehmens Befehlshaber: Gerd von Rundstedt (Oberbefehlshaber West) Einsatzverbände: Vor allem Teile der 302. Infanteriedivision unter Generalleutnant Konrad Haase (darunter Infanterieregiment 571, auch Artillerieregiment 302) Truppenstärke:: Etwa 1.900 Soldaten in und um Dieppe Verluste: Etwa 590 Tote und Verwundete
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
TRAGISCHES ENDE Ein Gefallener neben einem vernichteten Churchill-Panzer am Strand von Dieppe am 19. August 1942. Die zeitgenössische Originalbildunterschrift des Kriegsberichterstatters lautet: „Auch dieser Britenpanzer endete jämmerlich am ersten Drahthindernis.“ Die NS-Propaganda inszenierte „Dieppe“ als Triumph über die Alliierten Foto: picture-alliance/©dpa
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Tödliches Inferno FAKTEN
Alliierte
(Kanadier/Briten)
Zielsetzungen: Operation „Jubilee“: Testangriff auf die Küstenverteidigung des Gegners im Raum Dieppe; Verwirrung der deutschen Besatzer; Probelauf für größere Landungsoperation; Entlastung des sowjetischen Verbündeten Befehlshaber: Louis Mountbatten (Chief of Combined Operations Headquarters) Einsatzverbände: Teile der 2. kanadischen Infanteriedivision (Generalmajor J. H. Roberts), 3. und 4. britisches Kommando Truppenstärke: Etwa 5.000 Kanadier und 1.000 Briten sowie kleinere alliierte Spezialkontingente Verluste: Etwa 1.900 Tote, Verwundete und Vermisste, zirka 2.000 Gefangene
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
B
ritische Granatwerfer feuern am 19. August 1942 um 5 Uhr morgens auf die deutsche Artilleriebatterie unweit des französischen Örtchens Varengeville-sur-Mer westlich von Dieppe. Gewehrfeuer bricht aus. Major Mills-Roberts nimmt mit seinen 88 britischen Commando-Soldaten die deutsche Stellung an der Steilküste ins Visier. Etwa zeitgleich landet Lieutenant Colonel Lord Lovat mit 164 Soldaten am Strand. Er treibt seine Männer ins Landesinnere, umgeht die gegnerischen Maschinengewehrnester und greift die Batterie im Sturmangriff aus Südwesten an. Die deutschen Verteidiger, etwa 100 Mann, werden durch den Überraschungscoup überrumpelt und verlieren bei den Gefechten 30 Gefallene und drei Dutzend Verwundete. Rasch bringen die britischen Soldaten ihre Sprengladungen an den sechs 15-Zenti-
he zur Landung von Infanterie und Panzerfahrzeugen geeignet ist.“ Als Ziele gibt der Plan daher die Zerstörung der feindlichen Verteidigungsanlagen, des Flugplatzes bei St. Aubin, der Radarstation, der Kraftwerke, der Dock- und Eisenbahnanlagen sowie der Petroleumtanks im Raum Dieppe aus. Auch will man Gefangene machen und geheime Dokumente sicherstellen. Um diese Ziele zu erreichen, sollen zwei Flankenangriffe den Hauptangriff unterstützen, während Fallschirmjäger den deutschen Gefechtsstand besetzen. Zuvor will man den Operationsraum bombardieren, um den Feindwiderstand einzudämmen. Für das Unternehmen wird neben britischen Kommandoeinheiten die 2. kanadische Division bestimmt, die anschließend sofort mit der Übung amphibischer Operationen beginnt. Schnell zeigt sich, dass eine
„Feindnachrichten lassen erkennen, dass Dieppe nicht schwer verteidigt und der Strand in der Nähe zur Landung von Infanterie und Panzerfahrzeugen geeignet ist.“ Ausschnitt aus dem britischen Operationsplan vom 25. April 1942
meter-Geschützen an und setzen sie außer Gefecht. Dann ziehen sich die Angreifer um 7:30 Uhr planmäßig wieder zum Strand zurück. Dort nehmen Landungsboote sie wieder auf. Diese Aktion wird der einzige größere Erfolg des unter höchster Geheimhaltung durchgeführten alliierten Raids an der nordfranzösischen Küste sein …
Dieppe im Visier Britische Militärs beschäftigen sich bereits seit Beginn des Jahres 1942 mit der Planung begrenzter Unternehmen an der deutsch-besetzten Atlantikküste in Frankreich. Schnell rückt dabei auch die normannische Hafenstadt Dieppe in den Fokus der Planungsstäbe. Schließlich lässt sich der Ort durch Flugzeuge der Royal Air Force (RAF) mühelos erreichen – eine wichtige Voraussetzung für wirksame Luftunterstützung während eines Angriffs. Auch befinden sich in der Nähe von Dieppe bedeutende deutsche Militäreinrichtungen wie eine Radaranlage, ein Flugplatz und mehrere Küstenbatterien. Ihre Zerstörung stellt aus alliierter Sicht ein lohnenswertes Ziel dar. Letztlich trägt aber auch das Urteil der britischen Feindaufklärung zur Auswahl der Stadt bei. Im allgemeinen Operationsplan vom 25. April 1942 heißt es lapidar: „Feindnachrichten lassen erkennen, dass Dieppe nicht schwer verteidigt und der Strand in der Nä-
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enge Zusammenarbeit von See-, Luft- und Landstreitkräften nötig ist. Denn diese verläuft im Rahmen der Übungen nicht immer optimal. Trotz der unbefriedigenden Testlaufergebnisse hält die britische Führung an der Durchführung des Raids fest. Um das Überraschungsmoment nicht zu gefährden, sehen die Planer von der ursprünglich vorgesehenen, umfassenden Bombardierung Dieppes ab. Diese würde die Verteidiger nur vorzeitig alarmieren. Stattdessen sollen
Bomber und Jäger der RAF den Angriff unmittelbar während der Landungsoperation mit dem Decknamen „Jubilee“ unterstützen. Am 20. Juni 1942 ist die Planung vollständig abgeschlossen. Der britische Premier Winston Churchill kennt die schlechten Übungsergebnisse, zweifelt daher an der Umsetzbarkeit des überfallartigen Raids. Doch seine Militärs versichern ihm, dass die Landung bei Dieppe notwendig sei, um wichtige Erfahrungen für die Eröffnung einer zweiten Front in Westeuropa zu sammeln. Eine Woche später, am 27. Juni 1942, schifft man schließlich die ersten kanadischen Truppen ein.
Wetterbedingte Verzögerung
LEICHTSINNIG: Louis Mountbatten (re.) als Chief of Combined Operations ist einer der Hauptverantwortlichen für den fatalen Fehlschlag des riskanten Dieppe-Raids Foto: picture-alliance/akg-images
Doch schlechtes Wetter bremst die Ausführung des Raids vorerst aus. Mehrfach muss der Operationsbeginn verschoben werden. Anfang Juli 1942 werden die Truppen sogar wieder von den Schiffen geholt, da sich die Witterung nicht bessert. Die britischen Militärs denken sogar an eine Absage des Unternehmens. Denn die meisten Soldaten wissen nun, dass es nach Dieppe gehen soll. Die dringend erforderliche Geheimhaltung kann man damit nicht mehr garantieren. Doch die innen- und außenpolitische Lage Großbritanniens erfordert es, den Raid durchzuführen – zumal der sowjetische Diktator Josef Stalin vehement eine Entlastung
Fahrlässige Feindaufklärung
SCHWERE VERLUSTE: Die Alliierten bezahlen einen hohen Preis für ihren Fehlschlag in Nordfrankreich. Etwa 1.200 Soldaten, vor allem Kanadier und Briten, sterben bei Dieppe Foto: picture-alliance/akg-images
ÜBERSTANDEN: Deutsche Soldaten in der von den schweren Kämpfen gezeichneten Foto: picture-alliance/©dpa Hafenstadt Dieppe
BLUTIGER FEHLSCHLAG: Die Landungsboote und Panzer der Alliierten sind am 18./19. August 1942 „leichte Beute“ für die deutschen Besatzungstruppen in Foto: picture-alliance/©dpa Frankreich
Titelgeschichte | Dieppe 1942
TODBRINGENDE WIRKUNG: Deutsche Küstenbatterien an der Kanalküste nehmen die Landungstruppen unter Feuer und fügen den Alliierten schwere Verluste zu Foto: ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
VERANTWORTLICH: Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt (1875–1953) befehligt 1942 als OB West auch die deutschen Verbände im besetzten Frankreich Foto: picture-alliance/akg-images
CHANCENLOS: Die angelandeten Panzer können ihre Wirkung nicht entfalten und werden von den Deutschen schnell ausFoto: picture-alliance/©dpa geschaltet
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Folgenschwerer Vorfall KARTE
Die Landung bei Dieppe 1942 VORBEREITET: Die Deutschen können den alliierten Angriff abwehren Foto: picture-alliance/ akg-images
SELTEN: Den Alliierten gelingen nur wenige begrenzte Aktionen Foto: ullstein bild – mirrorpix Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich
durch seine westlichen Verbündeten fordert. Mitte August 1942 ist es dann so weit: Wasserstand, Mondphase und das Wetter sind günstig. Die Verantwortlichen halten an der ursprünglichen Planung fest. Zwei kanadische Infanteriebrigaden und eine Panzerbrigade sollen mit Unterstützung von britischen Kommandoeinheiten an mehreren Abschnitten landen: Die Abschnitte Yellow (Gelb) und Blue (Blau) befinden sich östlich, die Abschnitte Green (Grün) und Orange (Orange) westlich von Dieppe. Die Hauptlandung im Stadtzentrum firmiert unter den Abschnittsbezeichnungen Red (Rot) und White (Weiß). Während die Flankenlandungen um 4:50 Uhr stattfinden sollen, sieht der Plan den Beginn des Hauptangriffs für 5:20 Uhr vor. Den etwa 5.000 kanadischen und 1.000 britischen Soldaten stehen auf deutscher Seite knapp 2.000 Soldaten gegenüber. Sie sind für die Verteidigung des Küstenabschnitts von Dieppe eingeteilt. Dabei handelt es sich vor allem um Angehörige des 571. Infanterieregiments der 302. Infanteriedivision (Generalleutnant Konrad Haase).
deutschen Truppen in Frankreich alarmiert. Folglich ordnen die deutschen Militärs im Sommer 1942 erhöhte Aufmerksamkeit an den Küstenabschnitten an und warnen vor möglichen Angriffen.
Kampf an den äußeren Flanken Ein weiterer Umstand macht den so wichtigen alliierten Überraschungseffekt zunichte: Als ihre Schiffe am Abend des 18. August aus Portsmouth und Gosport Richtung Frankreich auslaufen, treffen sie auf ein deutsches Küstengeleit, das den britischen Verband in ein kurzes Gefecht verwickelt. Die britischen Landungsboote werden zum Teil versprengt. Unordnung entsteht, das Unheil nimmt seinen Lauf. Obwohl sich die Deutschen noch nicht in höchster Alarmbereitschaft befinden, als die ersten Truppentransporter die französische
Missglückte „Überraschung“ Auf deutscher Seite rechnet man seit längerer Zeit mit britischen Überfallaktionen in der Form von Raids. Schließlich lassen die öffentlichen Unterstützungszusagen der Alliierten an die Sowjetunion erkennen, dass Briten und Amerikaner die baldige Eröffnung einer zweiten Front erwägen. Auch vorangegangene britische Unternehmungen in Norwegen und bei St. Nazaire haben die Clausewitz 4/2017
HÖR- UND SICHTBAR: Horchgerät und Scheinwerfer einer deutschen Flakstellung an der Kanalküste. Den Alliierten ging das Überraschungsmoment verloren Foto: picture-alliance/©dpa
Küste erreichen, verläuft die Landung an einigen Abschnitten nicht planmäßig. Einige Landungsboote beordert man voreilig zurück nach England, während andere ihre an Bord befindlichen Soldaten nur mit Verspä-
FATALER ZUFALL Ein deutscher Geleitzug trifft vor dem Dieppe-Raid auf einen Teil der Landungstruppen. Das Überraschungsmoment der Alliierten ist dahin.
tung an Land bringen. Mit etwa 20 Minuten Verzögerung betreten auch die ersten britischen Soldaten des 3. Kommandoverbands im Abschnitt Yellow I (Gelb I) den Strand. Ihr Ziel ist die Ausschaltung der deutschen Küstenbatterie von Berneval mit ihren 17-Zentimeter- und 10,5-Zentimeter-Geschützen. Doch deutsches Artillerie- und Gewehrfeuer „empfängt“ die Angreifer noch am Strand. Mehrere Stunden lang versuchen die Briten vergeblich, die deutschen Stellungen zu erreichen. Sie erleiden dabei hohe Verluste. Gegen 10 Uhr müssen sich die verbliebenen Soldaten dem Feinddruck beugen. 80 Soldaten geraten in Gefangenschaft. Im Abschnitt Yellow II (Gelb II) gelingt es einigen Soldaten zwar, bis auf 200 Meter an die Geschützstellung heranzukommen. Doch scheint es auch hier illusorisch, die Kanonen
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Titelgeschichte | Dieppe 1942 zerstören zu können. Nach heftigem Kampf ziehen sich die Commandos zum Strand zurück, wo Landungsboote sie auflesen. Hingegen bringt der britische Raid in den Abschnitten Orange I und Orange II im Westen von Dieppe einige begrenzte Erfolge. Hier gelingt es den 252 Soldaten des 4. britischen Kommandoverbands, die deutschen Stellungen zu umgehen und die sechs 15Zentimeter-Geschütze auszuschalten. Planmäßig ziehen sich die Überlebenden zum Strand zurück. Dort gehen sie bereits gegen 8 Uhr wieder an Bord.
Hoher Blutzoll Die inneren Flankenlandungen sind besonders bedeutend, da die Ziele hier in militärischer Hinsicht lohnenswerter sind. Zudem sollen die hiesigen Truppen die Flanken des Hauptangriffs unmittelbar decken. Das „Royal Regiment of Canada“ landet im Abschnitt Blue (Blau) östlich von Dieppe. Es soll das östliche Hochland besetzen und das Gasund Elektrizitätswerk zerstören. Bereits bei der Landung des Regiments kommt es jedoch zu ungünstigen Zwischenfällen. Zahlreiche Landungsboote treffen zu spät ein. Es beginnt schon zu dämmern. Ein Überraschungseffekt ist nicht mehr gegeben. Zudem treffen die Kanadier auf eine alarmierte Verteidigung. So geraten die Boote noch auf
HINTERGRUND
Vorgeschichte des „Dieppe-Raids“ Zwar ist es der Roten Armee Anfang 1942 gelungen, den deutschen Vormarsch auf Moskau aufzuhalten, doch kämpft die UdSSR nach wie vor um ihre Existenz im Krieg mit dem Deutschen Reich. Vehement setzt sich der sowjetische Diktator Josef Stalin daher seit Längerem bei seinen Verbündeten im Westen für die Eröffnung einer zweiten Front ein. Diese Forderungen, denen sich auch die USA anschließen, hält der britische Premierminister Winston Churchill allerdings im Jahr 1942 für nicht umsetzbar. Doch Churchill ist sich auch bewusst, dass die Sowjetunion das Hauptgewicht des Krieges trägt. Aus diesem Grund fordert er von seinen Militärs die Entwicklung von Plänen, wie Hitler dazu gezwungen werden könnte, Truppen aus dem Osten nach Frankreich zu verlegen. Die Planungsstäbe ma-
und Tote verloren.“ Tatsächlich kehren nur zwei Offiziere und 65 Männer des kanadischen Regimentes nach Großbritannien zurück. Auch am Strand Green westlich von Dieppe endet der Angriff der Kanadier in einem Misserfolg. Zwar landen das „South Saskatchewan Regiment“ und das „Cameron
„Die Lage an Land wurde von den deutschen Truppen beherrscht. Ihr Abwehrfeuer, ihr Einsatz und die herangeführten Verstärkungen sicherten ihnen das Gesetz des Handelns.“ Urteil des Historikers Hermann Lorenz über den Raid von Dieppe
See unter deutschen Beschuss. MG-Nester können den gesamten Strandabschnitt unter Feuer nehmen, sodass bereits die erste kanadische Landungswelle, die um 5:10 Uhr am Strand eintrifft, unter hohen Verlusten zusammenbricht. Auch die zweite Welle kann die Lage nicht entscheidend ändern. Aufgrund mangelhafter Funkverbindungen wird sogar die dritte Welle in das tödliche Inferno geschickt. Beinahe jeder Mann der nun an Land gehenden Black-Watch-Kompanie, der nicht im Kugelhagel stirbt, wird schnell von deutschen Einheiten gefangen genommen. Hastig bemühen sich die britischen Schiffe darum, die restlichen Überlebenden zu evakuieren. Es gelingt jedoch nur in Einzelfällen, die Truppen zurückzunehmen. Das deutsche 571. Infanterieregiment meldet an den Divisionsstab: „Puys fest in unserer Hand, Feind hat etwa 500 Gefangene
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Highlanders Regiment of Canada“ planmäßig. Doch es gelingt ihnen nicht, den Flugplatz von St. Aubin und die deutsche Radarstation bei Pourville unbrauchbar zu machen. Die deutschen Truppen verteidigen
UNHEIL AUS DER LUFT: Die Maschinen des Jagdgeschwaders 2 und des JG 26 setzen den kanadisch-britischen Landungstruppen bei Dieppe hart zu Foto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
chen Churchill schließlich den Vorschlag, die deutsch-besetzten Gebiete in West- und Nordeuropa durch im Umfang begrenzte Raids anzugreifen. Dabei sollen deutsche Einrichtungen und Waffenanlagen zerstört und zudem Erfahrungen gesammelt werden, die bei einer späteren Großinvasion nützlich sein könnten. Als Ziele gibt man dabei vor allem die britischen Kanalinseln, die norwegische und die nordfranzösische Küste aus. Churchill stimmt den Plänen zu. Bevor ein Raid im Raum von Dieppe ins Auge gefasst wird, zeigen bereits einige Unternehmungen auf Spitzbergen und an der norwegischen Küste die Umsetzbarkeit solcher Einsätze. Als Vorbild dient schließlich der Raid gegen Saint Nazaire am 28. März 1942, bei dem die Briten Hafenanlagen des Gegners sprengen können (Operation „Chariot“).
verbissen wichtige Brücken und Zufahrtswege. Die Einnahme der Radarstation ohne schwere Waffen bleibt daher illusorisch. Immerhin können die kanadischen Angreifer eine 4,7-Zentimeter-Pak ausschalten, ehe herangeführte deutsche Reserven mit Artillerieunterstützung die kanadischen Regimenter zum Strand zurücktreiben. Beim Wiedereinschiffen der Verbände gehen jedoch einige Landungsboote verloren. Die Deutschen fügen den abrückenden Kanadiern hohe Verluste zu. Die zur Deckung des Rückzugs zurückgelassenen Einheiten müssen sich schließlich ergeben.
Höchste Alarmbereitschaft Auf den Abschnitten Red (Rot) und White (Weiß) liegt der Hauptfokus des britisch-kanadischen Raids. Das Royal Hamilton Light Infantry Regiment, The Essex Scottish Regiment, das Fusiliers Mont-Royal-Regiment, das Royal-Marine A-Commando und das 14. Canadian Army Tank Regiment landen im Vorfeld der Stadt. Diese will man zunächst einnehmen und dann sichern. Anschließend sollen die Panzer die Angriffe auf das Flugfeld von St. Aubin unterstützen. Britische Flugzeuge haben den Strand in einen künstlichen Nebelschleier gehüllt, als die ersten Soldaten das Ufer erreichen. Doch auch hier ereignen sich zeitlich bedingte Pannen: Da die Panzer der ersten Welle erst 15 Minuten nach der Infanterie landen, fehlt es den kanadischen Soldaten in der entscheidenden Anfangsphase an gepanzerter Feuerunterstützung. Dadurch ebbt der Angriffsschwung bereits zu Beginn der Operation stark ab. Nach den vorangegangen Flankenangriffen befinden sich die
Blutbad bei Puys
MIT VERBUNDENEN AUGEN: Deutsche Soldaten, die von an Land vorgerückten alliierten Soldaten gefangen genommen werden konnten Foto: ullstein bild – mirrorpix
BILD DER VERWÜSTUNG: Blick ins Innere eines der Landungsboote, die beim Raid auf Dieppe von den Deutschen zerstört wurden. Die Leichen der Gefallenen sind zugedeckt Foto: picture-alliance/ Süddeutsche Zeitung Photo
STUMME ZEUGEN: Alliierte Panzerwracks prägen die Szenerie am Strand von Dieppe im August 1942 Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
Clausewitz 4/2017
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Titelgeschichte | Dieppe 1942 ENTWAFFNET: Deutsche Soldaten führen alliierte Gefangene nach dem misslungenen Landungsunternehmen durch das StadtinneFoto: ullstein bild – ullstein bild re von Dieppe ab
deutschen Verteidiger von Dieppe ohnehin in höchster Alarmbereitschaft. Pausenlos feuern die MGStellungen auf die an Land gehenden Kanadier. Bereits eine halbe Stunde nach der Landung sind mehr als 30 Prozent des „Essex Scottish Regiment“ tot oder verwundet. Versuche, den Strand zu verlassen und in die Stadt einzudringen, scheitern am Widerstand des Gegners. Dieser feuert von den Steilufern aus auf die Angreifer. Auch die Panzer bleiben wirkungslos. Einige gehen bereits beim Ausladen in den Fluten unter oder werden von der deutschen Artillerie getroffen, an-dere bleiben vor der hohen Seemauer Dieppes liegen.
Leichte Beute der Luftwaffe Da die britische Führung wegen mangelhafter Funkverbindungen nicht über den genauen Landungsverlauf informiert ist, entsendet sie die verfügbaren Reserven. Damit will man dem Angriff weiteren Schwung verleihen. Etwa um 7 Uhr landen die ersten Einheiten am Strand. Sie können die Lage jedoch nicht ändern. Stattdessen erleiden sie ebenfalls hohe Verluste. Auch die deutsche Luftwaffe bekämpft den kanadischen Raid. Sie fliegt innerhalb eines Tages 945 Einsätze und findet in der großen Schiffsansammlung vor Diep-
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MIT RUNDUMBLICK: Die angerostete Kuppel eines deutschen Beobachtungsbunkers am Strandabschnitt von Dieppe. Die Verteidiger waren gut auf den alliierten Raid vorbereitet Foto: picture-alliance/ ©epa-Bildfunk
pes Küste immer wieder „leichte Beute“. Die Luftunterstützung der Briten versagt hingegen größtenteils. Angesichts der hoffnungslosen Lage ordnet die britische Führung gegen 9 Uhr den Rückzug sämtlicher Truppen an. Doch erst um 11 Uhr können die Landungsboote damit beginnen, die überlebenden Soldaten zu evakuieren. Zwei Stunden später empfangen britische Schiffe die Meldung vom Strand: „Our people here have surrendered.“ Mit diesem Eingeständnis der Kapitulation endet das alliierte Debakel von Dieppe.
Literaturtipp Lorenz, Hermann: Operation „Jubilee“. In: Marine-Rundschau 64/65 (1967/68)
Zu dem verlustreichen Fehlschlag mit mehr als 1.200 Toten und etwa 2.000 Gefangenen führte neben der falschen Lageeinschätzung auch die Tatsache, dass die Alliierten das Überraschungsmoment einbüßten und die deutschen Verteidiger unterschätzten. Hinzu kommt die mangelhafte Kommunikation unter den verschiedenen Waffengattungen. Die fehlende Artillerieunterstützung und die unterbliebenen massiven Bombardements tragen ebenfalls zur katastrophalen Niederlage bei.
Folgenreiches Fiasko Allerdings sollen sich die Ereignisse von Dieppe später auch für die deutsche Seite verhängnisvoll auswirken. Denn der Erfolg scheint die Konzeption des Atlantikwalls vorerst zu bestätigen. Man wiegt sich in Sicherheit – eine fatale Fehleinschätzung. Die Briten hingegen ziehen aus dem Desaster die richtigen Schlüsse, die sie bei der Invasion in der Normandie erfolgreich umsetzen werden. Vor allem achten sie im Juni 1944 auf eine bessere Schiffsartillerie- und Luftunterstützung sowie auf eine funktionierende Funkverbindung. Dieppe hat somit auch für die deutsche Seite fatale Folgen. Lukas Grawe, M. A., Jahrgang 1985, Historiker am SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen.
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
Grausames Schicksal der Angreifer
Raid ohne Rückkehr
19. August 1942: Das deutsche Abwehrfeuer wütet grausam unter den alliierten Landungstruppen, deren Soldaten verzweifelt ums nackte Überleben kämpfen. Für Hunderte von ihnen wird der Strand von Dieppe zur Todesfalle
Von Tammo Luther
GEZEICHNET: Der Führer eines alliierten Sturmbootes blickt mit starrer Miene ins Leere. Die Deutschen nehmen ihn neben vielen anderen alliierten Soldaten Foto: ullstein bild – ullstein bild gefangen
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E
s ist ein Bild des Grauens. Als sich am 19. August 1942 der Qualm und Rauch der brennenden Wracks von Landungsbooten und Panzern lichtet, wird das ganze Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Überall am Strandabschnitt von Dieppe liegen Leichen verstreut, wimmern schwer Verwundete und rufen Verletzte um Hilfe. Ein entsetzliches Gemetzel hat stattgefunden, das besonders bei den Kanadiern einen hohen Blutzoll forderte. Diese stellen mit 5.000 Mann im Rahmen der Operation „Jubilee“ das Gros der alliierten Invasionstruppen und zahlen mit mehr als 900 Toten einen besonders hohen Preis für ihr waghalsiges Kommandounternehmen. Eine nahezu unabdingbare Voraussetzung für einen militärischen Coup durch Kommandotrupps ist das Überraschungsmoment. Und genau dieses fehlt den Alliierten an jenem Augusttag 1942 an dem knapp 30 Kilometer breiten Küstenabschnitt bei Dieppe. Durch ein zufälliges Aufeinandertreffen der Landungstruppen auf See mit einem deutschen Geleitzug wissen die Verteidiger, dass eine gegnerische Aktion bereits im Gange ist. An vielen Küstenabschnitten um Dieppe sind die Deutschen daher vorbereitet und gefechtsbereit, als die kanadisch-britischen Commandos anlanden wollen. Die Wehrmachteinheiten empfangen den Gegner mit einem tödlichen Kugel- und Geschosshagel. Die Folgen für die Alliierten sind fatal. Als
auch die deutsche Artillerie eingreift, ereignet sich eine wahre Tragödie. Ein Boot mit kanadischen Soldaten erhält einen Volltreffer, mehr als 50 Männer sterben. Bei Puys am östlichen Stadtrand von Dieppe, gehen 550 Kanadier an Land. Von ihnen fallen weit mehr als 200, die meisten Überlebenden geraten in deutsche Gefangenschaft. Auch an anderen Abschnitten wehrt die Küstenverteidigung die Angriffe erfolgreich ab und fügt den Kanadiern und Briten massive Verluste an Mensch und Material zu. Die Luftwaffe trägt ihren Anteil an der Abwehr des Raids und misst sich mit der
Royal Air Force. Staffelkapitän und Ritterkreuzträger Siegfried Schnell vom Jagdgeschwader 2 schießt mit seiner Maschine am 19. August während der Kämpfe um Dieppe fünf britische Spitfire ab. Es sind seine Abschüsse 66 bis 70. Auf beiden Seiten gehen viele Maschinen verloren.
Kanadischer Held Die Deutschen nehmen bei Dieppe insgesamt etwa 2.000 Alliierte gefangen. Unter ihnen befindet sich auch der Kanadier Charles Cecil Ingersoll Merritt, geboren 1908 in Vancouver. Er kommandiert das „South Saskat-
TRAGISCHES ENDE: Die Leichen alliierter Soldaten werden an Land gespült. Viele Männer sterben, bevor sie den Stand von Foto: picture-alliance/©dpa Dieppe erreichen MIT BESONDERER AUSZEICHNUNG: Der Kanadier Charles Merritt erhält für seine Leistungen beim Dieppe-Raid das Victoria Cross des Vereinigten Königsreichs Foto: ullstein bild – TopFoto
ENTWAFFNET: Britische und kanadische Soldaten werden durch die Stadt zu einem Sammelpunkt geführt. Die Zahl Foto: picture-alliance/©dpa der alliierten Gefangenen ist hoch
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
RELIKTE DES KAMPFES: Blick aus einem Landungsboot auf Panzerwracks am Strand von Dieppe. Häufig konnten die Alliierten noch nicht einmal die LandungsFoto: pictureboote verlassen alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
ZEITZEUGIN: Agnès-Marie Valois kümmerte sich 1942 als Krankenschwester um Verwundete und setzte sich für Gefangene ein. Die Alliierten gaben ihr den Beinamen Angel (deutsch: Engel). Die Aufnahme stammt vom 18. August 2007 Foto: picture-alliance/©epa-Bildfunk
„Puys fest in unserer Hand, Feind hat etwa 500 Gefangene und Tote verloren.“ Meldung (Auszug) des 571. Infanterieregiments an die 302. Infanteriedivision vom 19. August 1942
chewan Regiment“, mit dem er sich zuvor an der Südküste Englands auf der Isle of Wight für den Dieppe-Raid vorbereitet hat. Seine Soldaten landen am Abschnitt Green (Grün) bei Pourville an und sind schnell in schwere Kämpfe um eine strategisch bedeutsame Brücke verwickelt. Merritt sticht während der Operation „Jubilee“ durch seine unerschrockene Kühnheit hervor, fügt dem Gegner im Nahkampf blutige Verluste zu und leitet im Zeichen der Niederlage den geordneten Rückzug seiner verbliebenen Männer ein. Er wird schließlich
während der Kämpfe verwundet und gerät mit fast 90 seiner Soldaten in deutsche Gefangenschaft.
„Angel of Dieppe“ In Anerkennung und Dankbarkeit für seine militärischen Leistungen verehrt man ihn jenseits des Ärmelkanals als Helden und verlieht ihm als erstem Kanadier im Zweiten Weltkrieg das Victoria Cross – die höchste Auszeichnung des Vereinigten Königreichs. Auch den kanadische Offizier Edwin Bennett erwischt es: Er erleidet schwere Ver-
HINTERGRUND ZUM GEDENKEN: Grabstein des kanadischen Soldaten Robert Boulanger auf dem kanadischen Soldatenfriedhof nahe Dieppe
Dieppe-Mémorial Heute erinnert in der nordfranzösischen Hafenstadt die 2002 eröffnete Gedenkstätte „Mémorial du 19 Août 1942“ aus alliierter Sicht an die schweren Kämpfe bei Dieppe im August 1942. In einem 1826 im Zentrum der Hafenstadt erbauten Theater erzählen Dokumente und Ausstellungsstücke wie zum Beispiel Uniformen und Modelle vom Leid der am Boden, zu Wasser und in der Luft beteiligten Soldaten. Auch eine Filmvorführung zum Thema Operation „Jubilee“ widmet sich diesen besonders dunklen Stunden in der alliierten Militärgeschichte. Dass es damals auch Lichtblicke gab, zeigt die Geschichte der Schwester Agnès-Marie Valois, dem „Engel von Dieppe“.
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Foto: picture-alliance/ ©epa-Bildfunk
Kontakt Mémorial du 19 Août 1942 Place Camille Saint-Saëns F-76200 Dieppe www.dieppe-operationjubilee-19aout1942.fr
brennungen am Kopf, speziell an den Augen. Krankenschwester Agnès-Marie Valois, deren Gesicht er niemals gesehen hat, pflegt und ermutigt den jungen Mann damals. Sie schenkt ihm neuen Lebensmut. Vier Jahrzehnte später, anlässlich eines Gedenktages zur Erinnerung an die Ereignisse von 1942, treffen sich beide wieder. Die bewegende Geschichte der auch Angel of Dieppe genannten Agnès-Marie Valois ist nur eine von vielen, die das 2002 eröffnete Mémorial von Dieppe seinen Besuchern erzählt. Das Museum erinnert an die dramatischen Ereignisse im August 1942, die sich im Sommer 2017 zum 75. Mal jähren. Zu den etwa 1.200 alliierten Soldaten, die die gescheiterte Landungsoperation nicht überlebten, zählt Private Robert Boulanger. Der damals gerade erst 18-Jährige fiel im Rahmen der Operation „Jubilee“. Sein Grab befindet sich heute auf dem Soldatenfriedhof Dieppe Canadian War Cemetary fünf Kilometer südlich der umkämpften Stadt. Dort fanden auch Hunderte seiner Kameraden ihre letzte Ruhestätte. Sie alle ließen ihr Leben an der französischen Kanalküste und kehrten nicht zurück vom Dieppe-Raid, dem alliierten Testlauf für den späteren D-Day. Dr. Tammo Luther, Jg. 1972, verantwortlicher Redakteur von Clausewitz sowie freier Autor und Lektor.
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
PANZERFRIEDHOF: Zerstörte Churchill-Panzer am Strandabschnitt bei Dieppe. Gegen die vorbereitete deutsche Küstenverteidigung sind die schwerfälligen Kettenfahrzeuge der Alliierten ohne Chance Foto: picture-alliance/©dpa
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Fehlgeschlagene „Churchill-Premiere“
Verheerende Feuertaufe
August 1942: Bei Dieppe wirft die alliierte Führung ihre Churchill-Panzer buchstäblich ins kalte Wasser. Der katastrophale „Reinfall“ der alliierten Landungstruppen mit ihren Panzerfahrzeugen hat fatale Folgen Von Jörg-M. Hormann
B
ereits Anfang Juni 1940 durchlebten die Alliierten in Nordfrankreich einen Albtraum. Zwar können sich damals mehr als 300.000 britische und französische Soldaten dem Zugriff der Deutschen entziehen. Doch der materielle Aderlass der alliierten Streitmacht bei Dünkirchen ist enorm. Bei der Evakuierungsoperation „Dynamo“ büßt das britische Expeditionskorps beinahe alle verbliebenen Fahrzeuge ein. Um Großbritannien gegen eine mögliche deutsche Invasion zu schützen, sind kaum noch geeignete Panzer vorhanden. Innerhalb kürzester Zeit treibt die Regierung in London daher entsprechende Projekte voran. Eines davon heißt A20. Dessen Urheber bewegen sich gedanklich noch im Stellungskrieg von 1914/18: Sie streben eine Kombination der Eigenschaften der damals eingesetzten britischen Rhombentanks vom Typ Mark I bis Mark VI an. Der neue Typ soll als schwerer Infanteriepanzer die vorstürmenden Bodentruppen unterstützen, Artillerietrichter auf dem
HAVARIERT: Deutsche Soldaten inspizieren einen liegengebliebenen Churchill-Panzer. Gut zu erkennen ist das nach oben verlegte Auspuffrohr auf dem Heck Foto: ullstein bild – Roger-Viollet/Roger Berson
Schlachtfeld überschreiten und gegen alle Arten von Panzerabwehrwaffen gerüstet sein. Auch soll das neue Modell problemlos per Eisenbahn transportierbar sein. Weiterhin fordert man eine 80 Millimeter starke Panzerung und eine Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern sowie eine siebenköpfige Besatzung.
TECHNISCHE DATEN
Infanterie-Sturmpanzer Churchill Mk III Abmessungen und Gewicht Länge 7,45 m Breite 2 m Höhe 2,02 m Gewicht/Masse 40 t
Kampfkraft
Leistungen
Historische Daten Produktionsmenge 675
Motor Bedford-12-ZylinderBenzinmotor Motorleistung 350 PS Kühlung Wasser V Max Straße 20 km/h V Gelände 13 km/h Fahrbereich Straße 145 km
Clausewitz 4/2017
Besatzung 5 Mann Primärbewaffnung SK Kaliber 57 mm Sekundärbewaffnung MG 2 x Kaliber 7,92 mm, BESA
Letztlich sieht das Ergebnis beziehungsweise der Kompromiss in Form des neuen schweren Infanteriepanzers wie folgt aus: Fünf Mann Besatzung, eine 57-MillimeterKanone im Turm und ein 350 PS starker Zwölf-Zylinder-Motor verteilen sich auf ein schmales, aber mehr als sieben Meter langes Fahrzeug. Die „hochbeinige“ Optik dieses 40-Tonnen-Kolosses auf seinen mächtigen, umlaufenden Ketten verrät die überkommene und übereilte Konstruktionsplanung und den Druck, schnell einen Panzer liefern zu müssen. Man benennt ihn schließlich nach keinem Geringeren als Winston Churchill. AUSSTELLUNGSSTÜCK: Churchill Mk III im kanadischen Calgary Military Museum Foto: MIREHO-CMM
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Titelgeschichte | Dieppe 1942
GETROFFEN: Ein deutscher Soldat sichert ein in Brand geschossenes alliiertes Landungsboot. Der Testlauf für eine amphibische Operation ist bei Dieppe blutig gescheitert. Die eingesetzten Churchill-Panzer sind kaum mehr als AUSZEICHNUNG: Kanadische Zielscheiben für die deutschen Verteidiger Freiwillige, die an „Jubilee“ beteiligt Foto: ullstein bild – ullstein bild waren, erhielten die Dieppe-Spange, die sie an die Dienstmedaille heften konnten Foto: MIREHO
GESCHÜTZT: In Betonunterständen erwarten die deutschen Infanteristen hinter ihrem schweren Maschinengewehr die alliierten Soldaten Foto: picture-alliance/akg-images
Beim Landungsunternehmen in Dieppe im Sommer 1942 kommt der Churchill (vor allem Mark III) erstmals zum Einsatz. Für die kurze Wasserdurchfahrt vom Landungsboot auf den Strand dichten die Ingenieure den Kampf- und Motorraum ab. Darüber hinaus legen sie die Auspuffrohre hoch. Doch nicht allein der Weg zum Strand ist das Problem des Infanteriepanzers. Der grobsteinige Strand neben dem kleinen Hafen von Dieppe ist zum Stadtgebiet hin mit einer hohen Strandmauer und wenigen Fahrzeugdurchfahrten abgegrenzt. Dieses künstliche Hin-
dernis soll den Ort vor großen Kanalwellen schützen. Dort hinter der Strandmauer haben sich die deutschen Verteidiger von Dieppe in verbunkerten MG-Nestern und PakStellungen verschanzt. Sie erwarten den Gegner, um seinen Angriff abzuwehren. In dem Augenblick, in dem sich die Klappen der alliierten Landungsboote senken, schlägt den Infanteristen und Churchill-Panzern mörderisches Feuer entgegen. Vollkommen deckungslos haben die alliierten Solda-
ten kaum eine Chance, den Strand zu überwinden. Gleiches gilt für die Kettenfahrzeuge. Von den Stahlkolossen erreicht ohnehin nur etwa die Hälfte den Strand. Dort bekommen die Fahrzeuge dann große Probleme mit den groben Steinen. Denn diese rutschen in die Rollenlaufwerke und lassen die Ketten abspringen. Andere der fast 40 Tonnen schweren Panzer wühlen sich im Sand fest und sind damit ebenfalls leichte Beute für die Deutschen.
HINTERGRUND
„Churchill“ ohne Chance
Eigenschaften Churchill (Mk III)
Solche und weitere böse Überraschungen für die Landungstruppen sind die Folgen einer mangelhaften Aufklärung: Denn der nahezu deckungslose Steinstrand von Dieppe und die rückwärtige Mauer sind äußerst ungünstig. Die panzerbrechenden Geschosse aus den 57-Millimeter-Kanonen der angreifenden Panzer richten wenig gegen die Küstenverteidigung aus. Letztlich gehen alle Churchill-Tanks bei Dieppe verloren. Abgeschossen oder festgefahren bleiben ihre Wracks am Strand liegen und ergeben eine gespenstische Szenerie. Das Desaster von Dünkirchen 1940 hat die Alliierten noch etwas gelehrt. Um militärische Streitkräfte von Stränden zu evakuieren oder an Küsten anzulanden, braucht man besondere, flach gehende Boote.
■ Oberhalb
der Panzerwanne laufende Ketten sind ein Relikt der Tanks im Ersten Weltkrieg. Sie sollen die Geländegängigkeit erhöhen. Die Panzerbreite richtet sich nach der Transportbreite der Eisenbahn. ■ Die gesamte Fahrzeugkonstruktion des Churchill-Panzers besteht aus vernieteten und verschraubten Panzerplatten. ■ Das Rollenlaufwerk ist überzählig. Von den elf Laufrollen konnten im Gefecht und in schwierigem Gelände mehrere ausfallen, ohne dass das Fahrzeug seine Betriebsfähigkeit einbüßte. ■ Ein 350 PS starker Zwölf-Zylinder-Diesel-
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motor macht den Churchill im Gelände etwa 13 km/h schnell. Mehr als Infanterieangriffstempo ist für den Unterstützungspanzer nicht vorgesehen. ■ Für das Landungsunternehmen in Dieppe verlängert man die Auspuffanlage und legt sie hoch. Kampf- und Motorraum dichten die Ingenieure ab, um den Churchill watfähig zu machen. ■ Der zusammengeschweißte, drehbare Panzerturm verfügt über eine Sechs-PfünderKanone. Die 57-Millimeter-L/50-Kanone erfüllt ihren Zweck als schwere Unterstützungswaffe bei Infanterieangriffen.
Abwehrbereiter Gegner Premierminister Winston Churchill fordert, schwimmendes Gerät zu konstruieren, das einen oder auch mehrere Panzer über See transportieren und an einem Küstenoder Strandabschnitt anlanden kann. Mitte 1940 setzen sich daher englische Konstrukteure zusammen, um ein „Combined Operations Craft“ zu entwickeln. Das erste Exemplar entsteht Ende des Jahres bei der Schiffswerft Hawthorn Leslie in Hebburn und begründet als Landing Craft Tank (LCT) Mark I (Mk I) eine ganze Serie von Panzerlandungsbooten.
Deutsche sind vorgewarnt Mehrere LCT Mk IV kommen bei der Landung in Dieppe zum Einsatz. Mit einer Länge von fast 57 Metern beträgt der Tiefgang des LTC bei 300 Tonnen schwerer Beladung nur 91 Zentimeter. Mehrere Churchill-Panzer kann man gleichzeitig auf dem LCT transportieren. Diese Landungsboote sind nur geringfügig gepanzert und zumeist unbewaffnet. Ihre große Stunde wird später bei den amphibischen Landungsunternehmen der Alliierten in Italien 1943 und entscheidend in der Normandie beim „D-Day“ im Juni 1944 schlagen. Auf deutscher Seite verteidigen vor allem Soldaten des Infanterieregiments 571 Hafen, Steinstrand und die Steilküste von Dieppe. Sie verfügen über zahlreiche Bunker und
SCHWERES MASCHINENGEWEHR 34 (sMG 34)
„Todessense” 17
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Kolben Durchladehebel Ersatzlaufbehälter, dahinter Wiege Handgriffe mit Abzug Gleitbahn und Feststellmutter Hinter- und Vorderstützen Ersatzverschlussbehälter Mittelstrebe Oberpolster Schellenverschluss Zweibein, angeklappt Mündungsfeuerdämpfer und Rückstoßverstärker Klappkorn Kühlmantel Stangenvisier Deckel mit Zuführeroberteil Visiereinrichtung mit Fernglas für indirektes Feuer
GEFÜRCHTETE WAFFE: Die Verteidiger von Dieppe verfügen über Foto: MIREHO zahlreiche schwere Maschinengewehre
Da der Zufall das alliierte Überraschungsmoment in der Nacht zum 19. August 1942 zunichte machte, treffen die Landungstruppen bei ihrer Operation „Jubilee“ auf einen abwehrbereiten Gegner. In vorteilhaften Stellungen sind etwa 150 Maschinengeweh-
„Weil dieser Panzer offensichtlich so viele Mängel und Schwierigkeiten aufweist, dass man ihn passenderweise zum ,Churchill‘ umbenannte …“ Winston Churchills ironische Antwort, als Parlamentarier im Juli 1942 von ihm wissen wollten, warum er das unausgereifte Panzerprojekt genehmigt hat
ritierende Bezeichnung, da die Waffe selbst mit einem leichten Maschinengewehr identisch ist. Beides sind baugleiche Maschinengewehre MG 34. Das sMG ist aber zusätzlich mit einem Richtgestell verbunden, das indirektes und besonders gezieltes Feuer durch entsprechende Visiereinrichtungen erlaubt. Eingestellt auf eine bestimmte Feuerlinie, wirkt das sMG bei Dauerfeuer wie eine „tödliche Sense“. Der Richtschütze muss dann während des Kampfes nur noch über eine Gleitschiene die Seitenrichtung des Maschinengewehrs führen.
Tödlicher Feuerspucker ausgebaute Feldstellungen. An wichtigen Punkten des Küstenabschnitts hat die „Organisation Todt“ betonierte und standardisierte Befestigungen errichtet, die die alarmierte Truppe im Ernstfall sofort besetzen kann.
re MG 34 durchgeladen. Zudem befinden sich zahlreiche leichte und schwere Granatwerfer sowie mehrere Infanterie- und Panzerabwehrgeschütze in Stellung. Sie erwarten die insgesamt rund 6.000 Alliierten. Besonders aber die fast 40 schweren Maschinengewehre (sMG) in Dieppe machen es den anlandenden Truppen nahezu unmöglich, den deckungslosen Strand zu überwinden. Der Begriff „schweres Maschinengewehr“ ist eine eher irZIEL VERFEHLT: Diese zeitgenössische Skizze macht deutlich, dass die Alliierten ihre Zielsetzungen des Dieppe-Raids deutlich verfehlt haben Foto: picture-alliance/©dpa
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Jedes Infanterieregiment verfügt damals zudem über eine Panzerjägerkompanie mit insgesamt zwölf Panzerabwehrkanonen – verteilt auf die vier Züge der Kompanie. Diese Waffen setzen die Deutschen in Dieppe vor allem gegen die Churchill-Panzer ein. Da Hafen und Strand die einzigen panzergängigen Landemöglichkeiten darstellen, sind die Geschütze entsprechend postiert. Sie können die schwerfälligen Ungetüme wirksam bekämpfen. Keines dieser Fahrzeuge kann über den Strand hinweg bis in die Stadt vordringen – die Churchill-Panzer und ihre Besatzungen erhalten bei Dieppe ihre fatale Feuertaufe. Jörg-M. Hormann, Jg. 1949, Sachbuchautor mit Schwerpunkten bei der deutschen Luftfahrt-, Marineund Militärgeschichte mit über 40 Buchveröffentlichungen.
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Schlachten der Weltgeschichte
Die Schlacht bei Aspern
NAPOLEONS erste Niederlage 21. und 22. Mai 1809: Zwischen Österreichern und Franzosen wütet ein zweitägiger Kampf, an dessen Ende das Unglaubliche geschieht – Napoleon wird erstmals in einer Feldschlacht besiegt! Von Jens Florian Ebert
AUCH NUR EIN MENSCH: Napoleons Ruf als unbesiegbarer „Schlachtengott“ bekommt bei Aspern erste Risse, als ihn die Österreicher schlagen Abb.: picture-alliance/akg können
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I DIE GEGNER Französische Armee unter Kaiser Napoleon 21. Mai 1809: Zirka 31.500 Mann Infanterie und 9.300 Reiter, 90 Geschütze 22. Mai 1809: Zirka 60.000 Mann Infanterie und 11.000 Reiter, 152 Geschütze Österreichische Armee unter Erzherzog Karl Zirka 84.500 Mann Infanterie und 14.500 Reiter, 292 Geschütze
n den Donauauen südöstlich von Wien herrscht am Pfingstsonntag im Jahre 1809 großer Lärm. Ungeduldig führt Napoleon seine Streitkräfte von der Lobau über eine Schiffsbrücke auf das linke Ufer hinüber. Er weiß nicht, dass sein Gegner nur den Moment abwartet, bis die französischen Truppen den Strom im Rücken haben. Da geben seine Vorposten gegen 13 Uhr Alarm! In dicht geschlossenen Marschblöcken rückt die österreichische Armee aus dem Marchfeld heran. Schnell richten sich die französischen Infanteristen in den Dörfern von Aspern und Essling zur Verteidigung ein – die Schlacht beginnt!
Wettlauf nach Wien Seit Anfang 1808 rüstet der Wiener Hof für einen neuen Krieg gegen Napoleon. Dabei hofft man auf die Hilfe von Zar Alexander I. und Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. Ermutigt durch die Ereignisse in Spanien, wo es Napoleon nicht gelungen ist, den Volksaufstand niederzuschlagen, erklärt Österreich am 9. April 1809 Frankreich den Krieg. Noch am selben Tag fällt Erzherzog Karl in das Königreich Bayern ein. Doch Preußen verhält sich neutral und Russland hat sich mit Napoleon arrangiert. Bereits am 22. April 1809 besiegt der aus Spanien herbeigeeilte französische Kaiser bei Eggmühl Erzherzog Karl. Während sich der Österreicher über Böhmen auf Wien zurückzieht, strebt Napoleon auf dem südlichen Donauufer demselben Ziel entgegen. Den Wettlauf gewinnt der Franzose. Am 10. Mai steht seine Vorhut vor der alten Kaiserstadt, die sich nach einem dreitägigen Bombardement ergibt. Erzherzog Karl trifft erst am 16. Mai jenseits der Donau im Marchfeld, einer weiten Ebene zehn Kilometer östlich von Wien, ein. Trotz des Verlustes seiner Hauptstadt ist der Kaiser von Österreich nicht bereit, Frieden zu schließen. Nach erregten Debatten entscheidet man sich dafür, die Armee im Marchfeld aufzustellen und auf die Initiative des französischen Kaisers zu warten.
Dramatische Donauüberquerung Um den Krieg zu einem schnellen Ende zu führen, will Napoleon die auf dem linken Donauufer stehende Armee Erzherzog Karls zur Entscheidungsschlacht stellen. Er setzt, obwohl er momentan nur über die Korps seiner Marschälle Lannes und Masséna, die Reservekavallerie unter Marschall Bessiéres
Clausewitz 4/2017
und die Garde verfügt, alles daran, die in mehrere Flussarme geteilte Donau zu überqueren. Allerdings haben österreichische Truppen die Wiener Donaubrücken zerstört. Napoleon lässt verschiedene Übergangsstellen erkunden und entscheidet sich dafür, die Donau bei Kaiser-Ebersdorf über die Insel Lobau zu überqueren. Von dort will er ins Marchfeld vorstoßen. Insgesamt müssen die Franzosen für den Brückenschlag drei Flussarme mit einer Gesamtlänge von über 900 Metern überwinden. Eine schwere Aufgabe für die Pioniere, da die Donau durch starke Regenfälle und Schmelzwasser aus den Alpen hoch angeschwollen ist. Dennoch gelingt es ihnen, bis zum Mittag des 20. Mai eine große Schiffsbrücke nach der Lobau fertigzustellen und bis zum Abend mit einem zweiten Brückenschlag über den Stadlauer Donauarm den Übergang in die Mühlau zu vollenden. Als die österreichischen Späher dies herausfinden, eilen sie sofort zu Erzherzog Karl und melden ihm atemlos, was die Franzosen vorhaben. Karl fasst daraufhin den Entschluss, Napoleon noch während seines Aufmarsches ins Marchfeld anzugreifen. Karl beauftragt den Generalstabshauptmann Magdeburg damit, Kähne und Brandflöße flussabwärts gegen die große gegnerische Schiffsbrücke bei Kaiser-Ebersdorf treiben zu lassen.
Franzosen tappen im Dunkeln Noch am Abend des 20. Mai gehen die ersten Truppen des IV. Korps unter Marschall Masséna auf das linke Donauufer über und bilden mit den Dörfern Aspern und Essling einen Brückenkopf ins Marchfeld. Dann folgen die leichten Kavalleriedivisionen Marulaz und Lasalle sowie die Kürassierdivision Espagne unter Marschall Bessiéres. Vom Gegner sehen die Franzosen nur wenige Vorposten. Auch die französische Kavallerie ist bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht in der Lage, mehr über die österreichischen Truppen in Erfahrung zu bringen. Zwar erkennt Masséna in der Nacht vom Kirchturm von Aspern in der Ferne Lagerfeuer, aber er hält sie für Biwaks der Nachhut des Erzherzogs, dessen Hauptmacht Napoleon im Rückzug nach Mähren wähnt. Tatsächlich hat dieser aber seine Armee in Nachtmärschen für den Angriff auf Napoleon umgruppiert und wartet in naher Entfernung auf den Moment zum Losschlagen.
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Schlachten der Weltgeschichte | Die Schlacht bei Aspern
Abb.: akg-images/Osprey Publishing/Imperial Guardsman 1799–1815/Richard Hook
HÄUSERKAMPF IN ASPERN
Französische Füsilier-Grenadiere der Jungen Garde Dieser Soldat beißt die Patrone auf, die als Papierhülse Kugel und Pulver enthält – das Pulver verursacht einen extremen Durst, unter dem die Soldaten im Kampf leiden
Der Musketier drückt die Bleikugel mit dem Ladestock fest in den Lauf der Muskete Ein Schütze kann etwa drei- bis viermal pro Minute feuern – diese Frequenz verschlechtert sich, sobald der Lauf heiß wird. Es gibt Berichte, in denen die Soldaten zur Abkühlung – und aufgrund des knappen Wasservorrats – auf ihre Musketen urinieren
Der Offizier trägt die Uniform der FüsilierGrenadiere („Mittlere Garde“) Jeder Soldat führt etwa 50 Schuss Munition mit sich. Nach zirka zehn Schuss muss der Feuerstein der Muskete ersetzt werden
In den Morgenstunden des 21. Mai zerstören Kähne, die zur Erhöhung der Aufprallwucht mit Steinen beladen sind, die Schiffsbrücke über den Hauptstrom. Napoleons Verbindung mit dem rechten Donauufer ist unterbrochen und ihm stehen nur 24.000 Mann mit 50 Geschützen zur Verfü-
Jede Muskete wird mit einem 30 Zentimeter langen Bajonett ausgeliefert
gung. Die Österreicher gehen gegen 12 Uhr mit 99.000 Mann und unterstützt von 292 Geschützen in fünf Kolonnen zum Angriff gegen die Franzosen vor. Die erste Kolonne unter FeldmarschallLeutnant Hiller und die zweite Kolonne un-
DER FREUND NAPOLEONS
Marschall Jean Lannes (1769–1809) Lannes gehört zu den treuesten Weggefährten Napoleons und zählt wegen seiner Führungsqualitäten neben Davout und Masséna zu dessen fähigsten Marschällen. Lannes tritt 1792 als Freiwilliger in die französische Revolutionsarmee ein, wird 1795 Bataillonschef und nimmt 1796/97 am Italienfeldzug Napoleons teil, unter dessen Kommando er schnell zum Oberst befördert wird. Er zeichnet sich 1796 im Kampf um die Brücke von Lodi und in der Schlacht bei Arcole aus und wird 1797 Brigadegeneral. 1798 nimmt Lannes an Napoleons Ägyptenfeldzug teil, anvanciert 1799 zum Divisionsgeneral und kämpft im Frühjahr 1800 unter Napoleon in Oberitalien, wo er als Befehlshaber der Vorhut die Österreicher bei Montebello schlägt. 1804 zum Marschall erhoben, trägt Lannes im Dezember 1805 in der Schlacht bei Austerlitz wesentlich zum Sieg bei, befehligt im Oktober 1806 in der Schlacht bei Jena das Zentrum des französischen Heeres und wird im Dezember 1806 im Gefecht bei Pultusk schwer verwundet. 1807 kommandiert er in der Schlacht bei Friedland erneut das französische Zentrum, steigt 1808 zum Herzog von Montebello auf und folgt Napoleon auf den spanischen Kriegsschauplatz, wo er die Belagerung von Saragossa leitet. 1809 kämpft Lannes im Krieg gegen Österreich in der Schlacht bei Eggmühl, erstürmt an der Spitze seiner Grenadiere die Stadtmauern von Regensburg und kommandiert in der Schlacht bei Aspern den rechten Flügel der französischen Armee bei Essling, wo ihm am 22. Mai eine Kanonenkugel beide Beine zerschmettert. Lannes erliegt den Folgen der Amputation und stirbt am 31. Mai 1809 in Kaiser-Ebersdorf bei Wien an Wundbrand.
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ter General der Kavallerie Graf Bellegarde greifen über Stadlau und Hirschstetten Aspern an. Die dritte Kolonne unter Feldmarschall-Leutnant Prinz Hohenzollern-Hechingen rückt über Breitenlee vor, während die vierte Kolonne unter Feldmarschall-Leutnant Dedovich und die fünfte Kolonne unter Feldmarschall-Leutnant Fürst Rosenberg über Raasdorf und Baumersdorf gegen Essling vorstoßen. Die Reservekavallerie und das Grenadierkorps, beide unter General der Kavallerie Fürst Liechtenstein, hält der Erzherzog als Reserve zurück.
Napoleon wird überrascht Napoleon ist überrascht und aufgrund seiner zahlenmäßigen Unterlegenheit gezwungen, sich darauf zu konzentrieren, die eingenommenen Positionen zu halten. In Aspern richten die Franzosen vor allem die Kirche und der Friedhof, in Essling den gemauerten Schüttkasten (ein großer Speicher) her. Nachdem sich die Schlacht um 14 Uhr mit dem gleichzeitigen Vorstoß aller österreichischen Kolonnen entwickelt, hält Masséna auf dem linken Flügel Aspern. Lannes, dessen eigenes Korps noch auf dem rechten Ufer steht, verteidigt auf dem rechten Flügel Essling. Die Verbindung zwischen den beiden Dörfern hält Bessiéres im Zentrum mit drei Kavalleriedivisionen. Der Kampf dreht sich BEZAHLT MIT DEM LEBEN: Lannes wird von Napoleon nicht nur als talentierter Befehlshaber akzeptiert, sondern ist ein persönlicher Freund des Kaisers. Er ist der erste Marschall Napoleons, der an seinen Kampfverletzungen stirbt Abb.: picture-alliance/MAXPPP
Frontalangriff der Franzosen zunächst um Aspern, Mann gegen Mann fechten die Soldaten um jedes Haus und auf dem Kirchhof toben erbitterte Nahkämpfe. Das Dorf wechselt im Lauf des Tages mehrmals den Besitzer, bis sich bei Einbruch der Dunkelheit die Österreicher durchsetzen. Während der Kämpfe um Aspern versucht die französische Reiterei unter Bessiéres immer wieder im Zentrum durch das Marchfeld zu brechen. Doch die dicht geschlossenen österreichischen Bataillone unter Prinz von Hohenzollern-Hechingen werfen sie immer wieder zurück. Allerdings kann die Division Boudet unter Lannes Essling halten, wo der massive Schüttkasten wie eine Festung wirkt, sodass alle Angriffe fehlschlagen, bis auch hier die Nacht gegen 23 Uhr den Kämpfen ein Ende setzt. Noch während Franzosen und Österreicher um Aspern und Essling ringen, gelingt es Napoleon, weitere Truppen über die wiederhergestellte Schiffsbrücke auf das Schlachtfeld zu führen, sodass bis zum Einbruch der Dunkelheit etwa 40.000 Mann und 90 Geschütze auf dem linken Donauufer stehen. Schließlich können in der Nacht zum 22. Mai mit dem II. Korps von Lannes, der Garde und einer Kürassierdivision weitere Truppen die Donau überqueren, wodurch Napoleon gegen drei Uhr früh seine Streitkräfte fast verdoppelt hat! Um diese Zeit flammen die Kämpfe in Aspern erneut auf. Masséna unternimmt mit der Division Legrand einen wuchtigen Stoß gegen die Österreicher, die sich im Friedhof und der Kirche des Ortes verschanzt haben, und drängt sie wieder aus dem Dorf. Auf der anderen Seite erneuern Dedovich und Rosenberg mit ihren beiden Kolonnen die AnBEINAHE EBENBÜRTIG: Erzherzog Karl mit seinem Stab während der Schlacht bei Aspern, wo er Napoleon eine Niederlage beibringen kann. Bei Wagram wetzt der Franzose diese Scharte allerdings wieder aus und verweist den Österreicher in Abb.; picture-alliance/akg seine Schranken
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griffe auf Essling, die aber an der Standhaftigkeit der französischen Verteidiger unter Lannes scheitern. Da er Aspern und Essling auf seinen beiden Flügeln behaupten kann, geht Napoleon zum Gegenstoß über. Er beschließt durch einen Frontalangriff des II. Korps unter Lannes das Zentrum der Österreicher zu durchbrechen und die Schlacht damit zu entscheiden.
Der Erzherzog im Einsatz Kurz nach sieben Uhr eröffnet Lannes, unterstützt von 150 Geschützen, im Zentrum die Offensive und geht gegen die österreichische Mitte vor. Die österreichischen Linien können dem gewaltigen Stoß der französischen Infanterie nicht standhalten. Schon weichen die österreichischen Bataillone zurück, als Erzherzog Karl in diesem kritischen Moment der Schlacht direkt in den Kampf eingreift und die Truppen durch seinen persönlichen Einsatz zum Stehen bringt – und sie wieder
gegen die Franzosen führt. Gleichzeitig lässt er sein Grenadierkorps unter Fürst Liechtenstein in die Schlachtlinie rücken, was die Lage stabilisiert. Napoleons Durchbruchsversuch ist gescheitert! Noch ist der Kampf im Gang, als Lannes, der auf Verstärkungen wartet, von einem Adjutanten des Kaisers gegen neun Uhr den Befehl erhält, seinen Angriff einzustellen und auf seine Ausgangsstellung zwischen Aspern und Essling zurückzugehen. Was war geschehen? Von den Österreichern donauabwärts getriebene Bäume haben die Schiffsbrücke bei Kaiser-Ebersdorf wiederholt so stark beschädigt, dass an eine schnelle Reparatur nicht zu denken ist. Napoleon ist deshalb gezwungen, alle Attacken einzustellen. Auf österreichischer Seite ist man von der Rückwärtsbewegung der Franzosen überrascht. Erst als Erzherzog Karl den Grund dafür erfährt, gibt er seinen Truppen den Befehl zum Gegenstoß. Jetzt entbrennen auch
DER FEIND NAPOLEONS
Erzherzog Karl von Österreich (1771–1847) Erzherzog Karl ist der Sohn Kaiser Leopolds II. und jüngere Bruder von Kaiser Franz I. von Österreich. Obwohl der Erzherzog körperlich nicht für den Soldatenberuf geeignet scheint – er leidet zeitlebens unter Epilepsie und soll sogar während der Schlacht bei Aspern einen Anfall erlitten haben –, zeigt er großes militärisches Talent. 1793 zum Generalmajor ernannt, trägt Karl in der Schlacht bei Neerwinden wesentlich zum Sieg der österreichischen Armee bei, wird 1794 Feldmarschall-Leutnant und 1796 Reichsfeldmarschall des Heiligen Römischen Reiches. 1796 führt er mit wechselhaftem Erfolg die österreichische Rheinarmee und siegt Anfang September 1796 in der Schlacht bei Würzburg über die Franzosen, was ihm eine große Popularität in Deutschland verschafft. 1801 zum österreichischen Feldmarschall und Präsidenten des Hofkriegsrates in Wien ernannt, wird Erzherzog Karl durch seine organisatorische Tätigkeit zur prägenden Gestalt der altösterreichischen Armee. So führt er das Dienstreglement ein, schult den Generalquartiermeisterstab und errichtet das Kriegsarchiv. 1805 kämpft er in Oberitalien gegen die französische Armee und erringt über Marschall Masséna in der Schlacht bei Caldiero einen Abwehrerfolg. Erzherzog Karl wird 1806 Kriegsminister Österreichs, siegt im Mai 1809 bei Aspern über Napoleon, legt aber nach seiner kriegsentscheidenden Niederlage bei Wagram im Juli 1809 das Kommando über die österreichische Armee nieder und zieht sich ins Privatleben zurück.
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Schlachten der Weltgeschichte | Die Schlacht bei Aspern
DESASTRÖSES DEBAKEL: Bei Aspern muss Napoleon zum ersten Mal selbst eine Niederlage verantworten. Der damit zusammenhängende Prestigeverlust ist für ihn mehr als nur peinlich Abb.: picture-alliance/akg-images
die Kämpfe um Aspern und Essling erneut. Um 11 Uhr sind große Teile von Aspern abermals in österreichischem Besitz. Zwar gelingt es Masséna diese nochmals zurückzuwerfen, doch um 14 Uhr ist Aspern endgültig in österreichischer Hand. Der Ort selbst ist völlig zerstört und abgebrannt. Auch in Essling wird die Lage für Napoleon bedrohlich. Fünfmal kann er hier die österreichischen Truppen abwehren, doch dann kann sich Fürst Liechtenstein in einem sechsten Angriff gegen 15 Uhr der ganzen Ortschaft bemächtigen (mit Ausnahme des Schüttkastens, den General Boudet verbissen verteidigt).
Der „Kriegsgott“ wankt! Im Zentrum massieren die Österreicher ihre Artillerie und eröffnen aus über 200 Geschützen das Feuer auf die zurückgehenden französischen Regimenter, die unter dem Beschuss starke Verluste erleiden. Napoleon, der zwischen Aspern und Essling einen Durchbruch seiner dezimierten Linien befürchtet, wirft der anrückenden österreichischen Infanterie nochmals die Kürassiere unter Bessiéres entgegen. „Nicht um zu siegen, sondern um die Armee zu retten!“, wie er seinem Marschall mitteilt. Doch die österreichischen Bataillone schlagen alle Attacken der französischen Reiter zurück, erleiden dabei aber so schwere Verluste, dass sie
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ihren Angriff auf das französische Zentrum einstellen. Nachdem Aspern in die Hände der Österreicher gefallen ist und sich in Essling nur noch Boudet im Schüttkasten hält, wird Napoleons Lage kritisch. Marschall Davout kann mit seinem inzwischen vor Wien eingetroffenen III. Korps nicht in die Schlacht eingreifen, da die Verbindung über den
des französischen Heeres geschieht somit in guter Ordnung. Allerdings zerschmettert eine Kanonenkugel die Beine von Marschall Lannes, sodass man ihn schwer verwundet evakuieren muss. Als die Gefechte am Abend des zweiten Schlachttages verebben, hat sich das Unvorstellbare ereignet: Napoleon ist erstmals in einer Feldschlacht besiegt worden! Napoleons Heer ist stark erschüttert und die Verluste sind mit rund 7.000 Toten, 16.000
„Der Ausgang der Schlacht bei Aspern, in der beide Seiten mit jeweils über 20.000 Toten und Verwundeten gleich hohe Verluste erlitten haben, konnte zwar als unentschieden hingestellt werden; tatsächlich handelte es sich, wenn auch nicht in militärischer, so doch in moralischer Hinsicht um eine eindeutige Niederlage Napoleons.“ Der Historiker Johannes Willms über die Schlacht bei Aspern
Hauptstrom immer noch unterbrochen ist. In dieser verzweifelten Lage ordnet Napoleon gegen 16 Uhr den Rückzug auf die Insel Lobau an. Um diesen zu decken, befiehlt er der Jungen Garde, sich wieder des Dorfes Essling zu bemächtigen, was dieser auch nach erbitterten Kämpfen gelingt. Der Rückzug
Verwundeten und 3.000 Gefangenen groß. Außerdem sind 22 seiner Generäle gefallen oder verwundet. Nachdem Napoleon die Verpflegung seiner Armee geregelt hat, lässt er sich in der Nacht über die Donau nach Kaiser-Ebersdorf setzen und fällt in einen mehrstündigen Tiefschlaf. Als Erzherzog Karl am 23. Mai früh morgens in Aspern ein-
Napoleons Nimbus der Unbesiegbarkeit zerbricht trifft, erfährt er, dass die französischen Streitkräfte alle Stellungen, einschließlich Essling, geräumt haben. Doch auch die Kräfte der österreichischen Armee, die siegreich das Schlachtfeld behauptet und einen Gesamtverlust von 13 Generälen und 23.340 Mann verzeichnet, sind erschöpft.
Karl agiert vorsichtig Aus Angst, seinen Sieg im letzten Moment zu gefährden, verzichtet Erzherzog Karl auf ein Nachstoßen seiner Truppen bis zur Donau. Er setzt darauf, dass Napoleon nach KARTE
Die Schlacht bei Aspern FRANZÖSISCHE FEHLER: Napoleon hat bei der – von ihm „Schlacht bei Essling“ genannten – Konfrontation mit den Österreichern seinen Gegner unterschätzt und die Aufklärung vernachlässigt Abb.: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
dieser Niederlage einlenken und Frieden schließen wird – doch der Franzose ist aus anderem Holz geschnitzt. Nachdem Napoleon den Schock überwunden hat, denkt er nur noch daran, diese Scharte auszuwetzen; er zieht umfangreiche Verstärkungen zusammen, geht sechs Wochen später erneut ins Marchfeld über, schlägt den Erzherzog in der Schlacht bei Wagram entscheidend – und zwingt Österreich unter harten Bedingungen zum Frieden von Schönbrunn!
Napoleon beschönigt Der Erzherzog wird später dafür kritisiert, seinen Sieg bei Aspern nicht ausgenutzt zu haben. Doch der Prinz ist ein vorsichtiger Feldherr. Er will seinem Kaiser die Schlagkraft der Armee erhalten. Nach seiner Niederlage unternimmt Napoleon alles, um die Schlacht bei Aspern in der Öffentlichkeit als einen Erfolg darzustellen. So verkündet er: „Der Feind zog sich in seine Stellungen zurück, und wir blieben Herren des Schlachtfeldes.“ Außerdem schönt er seine Verlustangaben auf 1.100 Tote und 3.000 Verwundete! Mut und Kampfeswillen der siegreichen Österreicher haben Napoleon so beeindruckt, dass er zu Marschall Murat sagt: „Ihr habt die Österreicher bei Aspern nicht gesehen, also habt Ihr gar nichts gesehen!“
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich
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Jens Florian Ebert, Jg. 1977, ist Autor und Lokalhistoriker aus Albstadt.
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Militärtechnik im Detail
DER RUSSISCHE MEHRFACHRAKETENWERFER „KATJUSCHA“
Illustration: Jim Laurier
TÖDLICHE GESCHOSSE Zwei sowjetische Soldaten machen im November 1943 ihren Katjuscha-Raketenwerfer kampfbereit. Die M-13Raketen waren in Kisten zu je zwei Stück verpackt, und eine erfahrene Mannschaft konnte einen BM-13 innerhalb von vier Minuten neu bestücken Foto: SOVFOTO/UIG
TODESPFEILE
Die Reichweite der durch Seitenflossen stabilisierten M-13Rakete – versehen mit einem fünf Kilogramm schweren Sprengkopf – betrug etwa acht Kilometer. Die unkomplizierte Gestaltung der Waffe vereinfachte die Massenproduktion
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RAKETENGLEISE
Der BM-13 war mit parallelen Laufschienen versehen, von denen jede zwei Raketen trug. Die Besatzung hob den auf einem zusammenklappbaren Rahmen montierten Werfer nach oben und visierte mit einem konventionellen Artilleriezielgerät. Der in der Fahrerkabine sitzende Soldat feuerte die Raketen ab
ie Sowjetunion verfügte mit dem Mehrfachraketenwerfer BM-13 Katjuscha (deutsch: Katharinchen) über eine relativ günstige, tödliche und hochmobile Waffe. Es war das erste Artilleriesystem mit Selbstfahrlafette, das die Sowjets in Massenproduktion herstellten. Eine typische BM-13-Batterie setzte sich aus vier Abschusswagen zu je sechs Mann Besatzung, zwei Munitionslastwagen und zwei Unterstützungslastwagen zusammen. Obwohl der BM-13 nicht so zielgenau wie die konventionelle Artillerie war, konnte er doch mit seinen Raketensalven ein bestimmtes Areal bestreichen und verwüsten, um dann einen schnellen Stellungswechsel vorzunehmen, bevor der Feind in der Lage war zurückzuschlagen. Die Raketen der in
WESTLICHES ARBEITSPFERD
Den BM-13 konnte man auf jedem beliebigen Lastwagenchassis montieren. Der hier gezeigte amerikanische Studebaker US6 war der am häufigsten verwendete Lastwagen. Er trug bis 1945 mehr als die Hälfte aller produzierten BM-13
großer Zahl zusammengezogenen BM-13Batterien entfalteten beim Abschuss einen markanten Heulton, der die deutschen Truppen demoralisieren sollte. Seinen ersten Einsatz absolvierte der BM-13 im Juli 1941, als er mit großer Effektivität deutsche Züge nahe dem Eisenbahnknotenpunkt Orscha beschoss. Die Sowjets stellten daher große Ressourcen bereit, um die Feuerkraft ihrer Raketenartillerie zu erweitern. So führten sie größere Raketen mit mehr Reichweite ein, die es den Katjuscha-Besatzungen erlaubte, auch weiter hinter der Front liegende Feldbefestigungen anzugreifen. Bis zum Ende des Krieges hatte die Sowjetunion über 10.000 Mehrfachraketenwerfer gebaut, von denen 3.237 vom Typ BM-13 waren. Paraag Shukla
SOWJETISCHER BM-13 „KATJUSCHA“
Bewaffnung: 132-Millimeter-M-13Raketen Maximalreichweite: Acht Kilometer Produktion: 3.237 Stück
DIE KONKURRENZ DER BRITISCHE RAKETENWERFER „LAND MATTRESS“
Bewaffnung: 76,2-Millimeter-RP-3-Raketen Maximalreichweite: Sieben Kilometer Produktion: 400 Stück Briten und Kanadier setzten den „Land Mattress“ während der zweiten Hälfte des Jahres 1944 ein. Die Ergebnisse waren allerdings unterschiedlicher Natur.
DER DEUTSCHE SD.KFZ.4 PANZERWERFER
Bewaffnung: 150-MillimeterNebelraketen Maximalreichweite: Sechs Kilometer Produktion: 589 Stück Der SD.KFZ.4 war ein Halbkettenfahrzeug und kam sowohl an der Ost- als auch an der Westfront zum Einsatz.
DER AMERIKANISCHE RAKETENWERFER T34 CALLIOPE
Bewaffnung: 114- bis 183-Millimeter-Raketen Maximalreichweite: Vier Kilometer Produktion: 200 Stück Der T34 war auf einen M4-Sherman-Panzer montiert und wurde das erste Mal 1944 von Panzereinheiten eingesetzt. Er war auf dem europäischen und dem pazifischen Kriegsschauplatz zu finden. Die Amerikaner verwendeten ihn aber nur selten im Kampf.
FUNKTION STATT SCHÖNHEIT
Sowjetische Artillerietruppen verwendeten kein einheitliches Buchstaben- oder Nummerierungssystem. Daher bemalten die meisten Einheiten ihre Fahrzeuge in Tarnfarben und verzichteten auf die Abzeichen ihrer Einheit
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In dieser Serie u. a. bereits erschienen: Japanischer Torpedobomber Nakajima B5N (3/2016) Amerikanisches M1918A2 Browning Automatic Rifle (4/2016) Deutsche Panzerfaust 60 (5/2016) Amerikanischer P-38-Abfangjäger (6/2016) Sowjetischer schwerer Panzer IS-2 (Josef Stalin) (1/2017) Japanische Bomben und Torpedos bei Pearl Harbor (2/2017) US-Jagdbomber P-51D Mustang (3/2017)
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Akten, Dienste & Spione
Stauffenberg und das Drama des 20. Juli
Unternehmen Walküre
1944: Das Attentat vom 20. Juli hätte die Geschichte dramatisch wenden können. Denn neben dem Tod Hitlers planen die Verschwörer, Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien. Dafür entwerfen sie einen genialen Plan Von Stefan Krüger
GESCHEITERTE GESCHICHTE: Was wäre passiert, wenn Stauffenbergs Bombe Hitler erwischt hätte? Wir werden es nie erfahren. Das Foto zeigt Hitler und Mussolini, die wenige Stunden nach dem Attentat den zerstörten Konferenzraum im Führerhauptquartier Foto: picture-alliance/IMAGNO „Wolfsschanze“ besichtigen
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Tu's!“, presst Oberst Mertz hervor. Stauffenberg nickt sachte und hängt den Hörer ein. Zwei Klumpen Plastiksprengstoff liegen in seiner Aktentasche bereit, jeweils 950 Gramm schwer – mehr als genug, um den Diktator zu töten. Die Verschwörer haben eigentlich vereinbart, das Attentat nur dann auszuführen, wenn Reichsführer SS Heinrich Himmler ebenfalls der Bombe zum Opfer fallen würde. Doch der „Fürst des Schreckens“ ist nicht da, also hält Stauffenberg wie vereinbart Rücksprache mit der Bendlerstraße, dem Herz der Verschwörung. Dort aber zaudert man: Hat es Sinn, Hitler zu beseitigen, wenn dafür Himmler an dessen Stelle tritt? Stauffenberg versteht das Problem, aber die Zeit rennt den Widerstandskämpfern davon. Denn schon sind die Machthaber dabei, ihnen die Kontrolle über das Ersatzheer zu entziehen – als würden die Nazis ahnen, dass es ihnen zum Verhängnis werden könnte. Nein! Hitler muss sterben, jetzt!
SCHLÜSSELFIGUR: Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg (1907–1944) ist die wohl bekannteste Figur des militärischen Widerstandes gegen Hitler. Kurz nach dem gescheiterten Attentat stellt man ihn vor ein Erschießungskommando
Fast verraten Schon möchte Stauffenberg den Sprengsatz scharf machen, als plötzlich die Tür zum Besprechungsraum aufgeht. Die „Mittagslage“, wie man diese Zusammenkünfte nennt, ist bereits vorbei. Es ist wie verhext: Üblicherweise können sich diese Treffen über Stunden hinziehen, weil Hitler sich in unzähligen Details verliert, nur nicht heute. Noch einmal muss der verhinderte Attentäter zum Telefon greifen und melden, dass es nicht geklappt hat – wieder einmal. Doch heute, am 15. Juli 1944, ist es besonders brisant, denn der Staatsstreich ist bereits angelaufen und das Ersatzheer mobilisiert, um die NS-Regierung zu stürzen. General der Infanterie Friedrich Olbricht, Initiator der gesamten Operation, sucht in aller Eile die alarmierten Einheiten auf und erklärt ihnen, dass dies lediglich eine Übung gewesen sei, was unter einem ironischen Blickwinkel betrachtet sogar stimmt. Zwei Tage später zitiert ihn allerdings der Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm, zu sich. Eine so große Übung und niemand hat es für nötig gehalten, ihn auch nur zu informieren? Fromm ahnt, was seine Untergebenen da treiben, und kann sie jeden Augenblick auffliegen lassen. Er belässt es aber bei einer mündlichen Rüge und deutet durch die Blume an,
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Foto: picture-alliance/ CPA Media
dass er den Putsch nicht verhindern, sich aber auch nicht daran beteiligen werde. Der typische Mitläufer wechselt sein Hemd erst, wenn die neue Fahne bereits gehisst ist. Der Widerstand jedenfalls kann erst einmal durchatmen. Aber wie soll es weitergehen?
Geheimbund der Regime-Gegner Akte des Widerstandes bis hin zum Attentat hat es zahlreiche gegeben. Der Kreis um Olbricht aber möchte nicht nur Hitler, sondern mit ihm auch das NS-Regime beseitigen. Ein erster ernsthafter Versuch dieser Art findet im Herbst 1938 statt, als eine Gruppe von Generälen und Beamten des Auswärtigen Amtes im Zuge der Sudetenkrise einen Umsturz organisiert. Am 28. September, so der Plan, soll ein Trupp Soldaten in die Reichskanzlei eindringen und Hitler bei einem fingierten Handgemenge erschießen. Längst haben die Männer um Walther von Brauchitsch und Ludwig Beck erkannt, dass Hitlers Kurs in eine Katastrophe, sprich in einen großen Krieg, münden muss, den
Deutschland nur verlieren kann. Doch es kommt anders: Ausgerechnet die Alliierten spielen dem Regime in die Hände und geben nach, sodass Hitler mit dem Münchner Abkommen einen weiteren Triumph erringt. Das aber nimmt den Verschwörern den Wind aus den Segeln, die mit ihrem Putsch eigentlich einen Krieg verhindern wollen. In der Folge gibt es zwar, wie bereits angedeutet, durchaus Versuche, Hitler zu töten, aber keinen Staatsstreich. Wie auch? Das „Dritte Reich“ ist nahezu vollständig gleichgeschaltet, alle Institutionen und Ämter stehen im Zeichen des Hakenkreuzes und die Opposition ist entweder verstummt oder sitzt im KZ. Auch beim Volk genießt Hitler weiterhin große Popularität, trotz der schweren Niederlagen, die das „Dritte Reich“ seit 1943 hinnehmen muss. Olbricht ist ein Nazi-Gegner der ersten Stunde. Bereits 1923, als die braunen Horden das erste Mal nach der Macht greifen, erkennt er die Gefahr. Zunächst aber scharrt er Gleichgesinnte um sich, was in einem totali-
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Akten, Dienste & Spione | Unternehmen Walküre
mehr Offiziere auf die eigene Seite zu ziehen, wenn die desinformierte Öffentlichkeit einen Putsch niemals gutheißen würde?
Essenzielles Ersatzheer
ZWISCHEN DEN STÜHLEN: Befehlshaber des Ersatzheeres Generaloberst Friedrich Fromm – hier während eines Empfanges (links im Bild) – ahnt zwar etwas von der Verschwörung, geht aber weder gegen sie vor, noch unterstützt er sie Foto: picture-alliance/akg
tären Staat natürlich extrem gefährlich ist. Er kann sich schlechterdings ein Schild mit der Aufschrift „Nieder mit Hitler!“ umhängen, und so muss er es bei kleinen Bemerkungen belassen – hier mal eine leise Kritik an der Kriegführung, dort mal eine Spitze gegen Goebbels oder andere Figuren. Die Reaktionen seiner Gesprächspartner verraten ihm,
welch Geistes Kind sie sind. Bestätigen sie ihn und wagen sie sich ihrerseits einen Schritt nach vorne, weiht er sie ein und macht sie mit seiner Absicht vertraut, den Diktator zu beseitigen. Auf diese Weise entwickelt sich peu à peu ein Netz aus Verschwörern, das sich beständig erweitert. Doch was bringt es, immer
Olbricht und seine Mitstreiter sind sich über dieses Grundproblem durchaus im Klaren und entwickeln eine geniale Idee. Sie wissen, dass sich das Regime vor Aufständen fürchtet, nicht zuletzt, seit die Führung Millionen von Zwangsarbeitern ins Reich verschleppt hat. Die Verantwortlichen entwerfen daher einen Notfallplan namens „Unternehmen Walküre“, der vorsieht, das Ersatzheer zu mobilisieren, um jede Form von Widerstand im Inneren zu brechen. Beim Ersatzheer handelt es sich, grob gesagt, um die Ausbildungsarmee der Wehrmacht. Jede deutsche Division verfügt über Ausbildungseinheiten, die im Inneren stationiert sind und in denen die Rekruten ihre Grundausbildung absolvieren. Und um eben diese Verbände im Notfall effizient einsetzen zu können, hat die Führung sie zum sogenannten Ersatzheer zusammengefasst, das General Fromm untersteht. 1944, im Jahr des Staatsstreiches, umfasst es rund 2,5 Millionen Mann. Diese Zahl macht deutlich, warum das Ersatzheer eine so eminent wichtige Rolle in der Innenpolitik des Deutschen Reiches spielt: Wer das Er-
Die Walküre-Befehle vom 20. Juli 1944 I. Der Führer Adolf Hitler ist tot! Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteiführer hat es unter Ausnutzung dieser Lage versucht, der schwer ringenden Front in den Rücken zu fallen und die Macht zu eigennützigen Zwecken an sich zu reißen. II. In dieser Stunde höchster Gefahr hat die Reichsregierung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung den militärischen Ausnahmezustand verhängt und mir zugleich mit dem Oberbefehl über die Wehrmacht die vollziehende Gewalt übertragen. III. Hierzu befehle ich: 1. Ich übertrage die vollziehende Gewalt – mit dem Recht der Delegation auf die territorialen Befehlshaber – im Heimatkriegsgebiet auf den Befehlshaber des Ersatzheeres unter gleichzeitiger Ernennung zum Oberbefehlshaber im Heimatkriegsgebiet – in den besetzten Westgebieten auf den Oberbefehlshaber West – in Italien auf den Oberbefehlshaber Südwest – in den besetzten Ostgebieten auf die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und den Wehrmachtbefehlshaber Ostland für ihren jeweiligen Befehlsbereich – in Dänemark und Norwegen auf die Wehrmachtbefehlshaber. 2. Den Inhabern der vollziehenden Gewalt sind unterstellt: a) sämtliche in ihrem Befehlsbereich befindlichen Dienststellen und Einheiten der Wehrmacht einschl. der Waffen-SS, des RAD und der OT; b) alle öffentlichen Behörden (des Reiches, der Länder und der
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Gemeinden), insbesondere die gesamte Ordnungs-, Sicherheitsund Verwaltungspolizei; c) alle Amtsträger und Gliederungen der NSDAP und der ihr angeschlossenen Verbände; d) die Verkehrs- und Versorgungsbetriebe. 3. Die gesamte Waffen-SS ist mit sofortiger Wirkung ins Heer eingegliedert. 4. Die Inhaber der vollziehenden Gewalt sind für die Aufrechterhaltung der Ordnung und öffentlichen Sicherheit verantwortlich. Sie haben insbesondere zu sorgen für: a) die Sicherung der Nachrichtenanlagen, b) die Ausschaltung des SD. Jeder Widerstand gegen die militärische Vollzugsgewalt ist rücksichtslos zu brechen. In dieser Stunde höchster Gefahr für das Vaterland ist Geschlossenheit der Wehrmacht und Aufrechterhaltung voller Disziplin oberstes Gebot. Ich mache es daher allen Befehlshabern des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe zur Pflicht, die Inhaber der vollziehenden Gewalt bei Durchführung ihrer schwierigen Aufgabe mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu unterstützen und die Befolgung ihrer Weisungen durch die untergeordneten Dienststellen sicherzustellen. Der deutsche Soldat steht vor einer geschichtlichen Aufgabe. Von seiner Tatkraft und Haltung wird es abhängen, ob Deutschland gerettet wird.
satzheer kontrolliert, besitzt theoretisch die Möglichkeit, auch das gesamte Land in seine Gewalt zu bringen.
Putsch-Pläne Claus Schenk Graf von Stauffenberg stößt im August 1943 zur Widerstandsgruppe. Olbricht kennt dessen Haltung gegenüber dem NS-Regime und hat ihn gezielt für den Stab des Ersatzheeres angeworben. Ihre erste Aufgabe ist es, die Walküre-Befehle so umzuformulieren, dass sie das Ersatzheer ermächtigen, die NSDAP de facto kaltzustellen. Die ursprüngliche Fassung hat bereits vorgesehen, dass das Ersatzheer im Falle eines Aufstandes oder Putsches sämtliche neuralgischen Punkte des Reiches – wie zum Beispiel Regierungseinrichtungen oder Rundfunkanstalten – besetzen soll. Stauffenbergs Version aber geht noch einen Schritt weiter: Sobald die Führung „Walküre“ auslöst, soll der Befehlshaber des Ersatzheeres die Kontrolle über die Waffen-SS und die komplette (!) NSDAP übernehmen – und zwar sowohl in der Heimat als auch in den besetzten Gebieten. Das heißt nichts anderes, als dass der Befehlshaber zum Militärdiktator Deutschlands aufsteigen würde – zumindest temporär. Die Verschwörer begründen dies mit der Annahme, dass auch Teile der NSDAP und der SS theoretisch einen Putschversuch unternehmen könnten. Hitler leuchtet dieses
Clausewitz 4/2017
VERFILMTE WALKÜRE: Wolfgang Preiss (links oben), Peter Becker (links) und Tom Cruise als verschiedene Stauffenberg-Versionen. In der Mitte ist Richard Basehart als Hitler nach dem Attentat zu sehen. Die dramatischen Ereignisse des 20. Juli sind der perfekte Filmstoff
Argument ein und er unterschreibt Stauffenbergs Walküre-Version anstandslos. Es dürfte wohl einmalig in der Weltgeschichte sein, dass ein Tyrann den Plan zu seinem Sturz im Voraus gegenliest und absegnet. Die entscheidende Frage lautet: Wer ist eigentlich ermächtigt, „Walküre“ auszulösen? Das Dokument gibt eine klare Antwort; nur Hitler persönlich und der Befehlshaber des Ersatzheeres sind hierzu berechtigt. Dies mag wohl auch der Grund sein, warum der Diktator offenbar keine Bedenken hatte, diese Befehle zu genehmigen. Im Nachhinein mutet es erstaunlich an, dass er nicht auf die Idee kam zu fragen, was eigentlich gilt, wenn er selbst einem Anschlag zum Opfer fällt.
Abb.: picture alliance; picture alliance; picture-alliance/dpa; picture-alliance/dpa
Was geschieht nach Hitlers Tod?
Am schwierigsten ist die Frage, was eigentlich nach einem erfolgreichen Putsch geschehen soll. Bisher steht lediglich das Spitzenpersonal fest: Carl Goerdeler soll Reichskanzler und Ludwig Beck Staatsoberhaupt werden. Im Hinblick auf den Krieg hofft die Stauffenberg-Gruppe, dass sie mit den Westmächten zu einem Ausgleich kommen kann, sodass sich Deutschland fortan nur noch gegen die Sowjetunion behaupten muss.
Die Zeit rinnt davon Doch ob die westlichen Alliierten tatsächlich bereit sind, mit einer neuen deutschen Regierung zu verhandeln, ist völlig unklar. Dies ist auch der Grund, warum sich so viele Generäle der Wehrmacht (wie zum Beispiel Manstein) von den Widerstandskämpfern distanzieren. Sie fürchten, dass ein Staats-
WIRKUNGSVOLLE WAFFE: Die Walther PP ist die Dienstwaffe des Verschwörers Philipp Freiherr von Boeselager. Vielleicht wäre ein Attentat mit Feuerwaffe wirkungsvoller als eine Bombe gewesen? Foto: picture-alliance/dpa
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Akten, Dienste & Spione | Unternehmen Walküre
NOCH MAL DAVONGEKOMMEN: Kurz nach dem missglückten Attentat präsentiert sich der „Führer“ im Kreise treuer Offiziere. Links hinter HitFoto: picture-alliance/dpa ler ist Martin Bormann zu sehen, ganz links hinten Otto Skorzeny und rechts (mit verbundenem Kopf) Alfred Jodl
streich am Ende nur Chaos und schlimmstenfalls sogar einen Bürgerkrieg bewirken würde, der lediglich den Alliierten in die Hände spielt. Stauffenberg und seine Mitstreiter aber sind einen Schritt weiter. Zwar wissen sie auch, dass ein Umsturz nur eine geringe Chance bietet, weitere sinnlose Opfer zu vermeiden. Die Alternative aber lautet, mit Hitler weiterzumachen wie bisher, und dies muss zwangsläufig in den Untergang führen.
reits, der Wehrmacht die Kontrolle über das Ersatzheer zu entziehen. Und sollte, wie es die Führung bereits angedeutet hat, Joseph Goebbels zum Befehlshaber avancieren, muss „Walküre“ zu einem stumpfen Schwert in den Händen der Putschisten werden. Eine neue Chance ergibt sich kurzfristig am 20. Juli. Und diesmal ist Stauffenberg gewillt, das Attentat auf jeden Fall durchzu-
führen – kein Zaudern, keine Rückfragen. Dennoch muss er die Aktion abermals um ein Haar abblasen – Hitler hat die Besprechung um eine halbe Stunde nach vorne verlegt, sodass Stauffenberg und sein Mitver-
Unerwartete Hilfe Der Wille ist somit da und die Pläne auch. Was jetzt noch fehlt, ist eine Gelegenheit, Hitler zu töten, sodass General Fromm beziehungsweise Olbricht „Walküre“ auslösen kann. Eine solche verschaffen ihnen ausgerechnet die Alliierten, als sie am 6. Juni 1944 in Frankreich landen. Denn nun hat es Hitler sehr eilig, aus dem gewaltigen Personalreservoir des Ersatzheeres zahlreiche neue Divisionen aufzustellen. In der Folge müssen Fromm und Stauffenberg häufig in der „Wolfsschanze“ erscheinen, um den Diktator über den Fortschritt dieses Vorhabens ins Bild zu setzen. Mehrmals versucht Stauffenberg bei diesen Besprechungen eine Bombe in der Nähe des „Führers“ zu platzieren, scheitert aber stets – zuletzt am 15. Juli. Schon werden die Mitverschwörer unruhig und zweifeln gar an Stauffenbergs Bereitschaft. Außerdem drängt die Zeit: Die Nationalsozialisten planen be-
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NETZWERK GEGEN HITLER: Charaktere wie Carl Goerdeler und Ludwig Beck bilden das Rückgrat des militärischen Widerstandes und sollen nach dem Putsch zentrale Positionen in der neuen Regierung Abb.: picture-alliance/akg-images (2) besetzen
Keine Gnade für die Regime-Gegner
Nun kommt es darauf an, die Walküre-Befehle so rasch wie möglich zu übermitteln, damit das Ersatzheer die Macht übernehmen kann. Doch eben hier passiert die wohl schlimmste Panne. Noch bevor Stauffenberg in der Bendlerstraße eintrifft, eilt Mitverschwörer Oberst Mertz von Quirnheim zur Nachrichtenabteilung und befiehlt, die Walküre-Befehle an die wichtigsten Dienststellen der Wehrmacht zu senden. Der zuständige Hauptmann klassifiziert die Sprüche jedoch als „Geheime Kommandosache“, sodass es wertvolle Zeit kostet, die Texte umständlich zu verschlüsseln. Zeit, in der die Gegenmaßnahmen des Regimes anlaufen können. Ferner haben die Putschisten nicht berücksichtigt, dass eine Kopie ausgerechnet an die „Wolfsschanze“ geht, wodurch Hitler nun überhaupt erst bewusst wird, dass ein
Foto: picture-alliance/Imagno
Staatsstreich im Gang ist. Auf Hitlers Geheiß soll nun Himmler das Kommando über das Ersatzheer übernehmen und den Putsch vor Ort niederschlagen. Noch bevor die Walküre-Befehle all ihre Empfänger erreicht haben, gibt die NS-Führung gegen 18:30 Uhr über den Rundfunk bekannt, dass es ein Attentat gegeben habe, der „Führer“ aber nur leicht verletzt sei. Ferner ordnet die „Wolfsschanze“ an, sämtliche Befehle aus der Bendlerstraße zu blockieren. Der letzte Meilenstein, der dazu führt, dass der Staatsstreich endgültig scheitert, ist der Kommandeur des Wachbataillons Major Ernst Remer. Zwar handelt er zunächst unbewusst im Sinne der Verschwörer und besetzt wichtige Punkte in Berlin. Doch kann Goebbels ihn davon überzeugen, dass er auf der „falschen“ Seite steht, indem er ihn mit Hitler persönlich sprechen lässt. Um 23 Uhr besetzen schließlich loyalistische Soldaten den Bendlerblock. Stauffenberg und sein engster Kreis werden kurz darauf erschossen. Stefan Krüger, Jg. 1982, Historiker aus Rüdesheim.
MILITÄR & GESCHICHTE EXTRA
Militärischer Widerstand Zwar stieß Stauffenberg erst recht spät zum aktiven Kreis der Widerstandskämpfer, doch avancierte er schon bald zur treibenden Kraft des Widerstands. Militär & Geschichte erzählt in seiner Extra-Ausgabe den Werdegang dieses Ausnahmeoffiziers, der versuchte, den Tyrannen zu stürzen, um weitere sinnlose Opfer zu vermeiden. Stauffenberg und der militärische Widerstand 80 Seiten, zirka 180 Abbildungen Preis: 7,90 € ISBN: 978-3-86245-487-7 GeraMond Verlag GmbH Sonderheft Nr. 3
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Ende ohne Erfolg
DÜSTERES ENDE: Das Regime kennt keine Gnade und rächt sich grausam an den Verschwörern. Das Foto zeigt Roland Freisler, Präsident des NS-Volksgerichtshofes, beim Vorzeigen von Tatort-Aufnahmen des Anschlages auf Adolf Hitler
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schwörer Werner von Haeften nur eine der beiden Bomben scharf machen können. Und anstatt das zweite Paket einfach neben das scharfe zu legen, übergibt Stauffenberg den Sprengsatz an Haeften, der ihn ungenutzt entsorgen soll – die ungeheure nervliche Belastung hat die beiden Männer in diesem Moment wohl etwas kopflos gemacht. Immerhin schafft es Oberst Stauffenberg, die Bombe in der Nähe des Diktators zu platzieren. Eilig drängt der Attentäter nun aus der Baracke, er weiß, dass der Sprengkörper aufgrund der Hitze vorzeitig hochgehen kann. Und genau so kommt es: Um exakt 12:42 Uhr erschüttert eine Explosion das Gebäude und tötet vier Menschen – Hitler aber überlebt. Das muss allerdings noch nicht das Ende bedeuten, denn theoretisch kann der Staatsstreich auch gelingen, wenn die Bevölkerung lediglich glaubt, dass der Tyrann tot ist. Hierfür aber müssen die Verschwörer die „Wolfsschanze“ vom Rest der Welt isolieren. Verantwortlich für diesen Teil ist der Widerstandskämpfer Erich Fellgiebel, General und Inspekteur der Nachrichtentruppe. Zwar versucht er es, erreicht jedoch keine vollständige Sperre. Verhängnisvoller ist jedoch der Umstand, dass General Fellgiebel im Bendlerblock anruft und die Verschwörer darüber informiert, dass Hitler überlebt hat. Sein Ansprechpartner, Fritz Thiele, beschließt daraufhin, nicht aktiv zu werden, wodurch die Putschisten wertvolle Stunden verlieren. Erst als Stauffenberg um 15:45 Uhr in Berlin landet, kann er Olbricht überzeugen, „Walküre“ auszulösen.
Wie Stauffenberg zum Rebellen wurde
Der 20. Juli 1944
Wer kämpfte für das NS-Regime, wer dagegen?
Hitlers Rache
Hinrichtungen und Sippenhaft: So schlug der Diktator zurück
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Schlachten der Weltgeschichte
Die Kaiserlichen stürmen Magdeburg
Blutige Apokalypse
1631: Die Verteidiger von Magdeburg hatten von Anfang an keine Chance gegen das mächtige kaiserliche Heer. Ihre einzige Hoffnung waren die Schweden – und der Mut der Verzweiflung, mit dem sie erstaunliche Einzelerfolge errangen Von Otto Schertler
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FLAMMEN-INFERNO: Die Eroberung des protestantischen Magdeburgs durch katholische Truppen erschüttert die Zeitgenossen in ganz Europa. Die entfesselte Gewalt ist selbst für den Dreißigjährigen Krieg extrem – die einst stolze Stadt liegt in Schutt und Asche Abb.: picture-alliance/akg-images
Clausewitz 4/2017
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Schlachten der Weltgeschichte | Magdeburg 1631
EINZUG DES SIEGERS: Tilly durchreitet das brennende Magdeburg. Im Hintergrund ist der Dom zu sehen – eines der wenigen Bauwerke, die das Inferno überstehen. Dem knienden Priester und seinen Schützlingen gewährt der Feldherr des Kaisers ausnahmsweise Gnade. Die meisten anderen Bewohner haben nicht so viel Glück Abb.: picture-alliance/akg
AUF DER SEITE DER GEWINNER
Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim (1594–1632) Nach einem Studium in Tübingen und Reisen nach Frankreich, Spanien, Italien und die Niederlande schlägt Pappenheim eine militärische Karriere in der bayerisch-ligistischen Armee ein. Dort steigt er schnell auf und bekleidet bereits 1622 den Rang eines Oberst. 1620 kämpft er in der Schlacht am Weißen Berg, 1623 bis 1625 in der Lombardei und 1626 wirft er den oberösterreichischen Bauernaufstand nieder. 1627 erobert er die Festung Wolfenbüttel, die als stärkste Festung des Reiches gilt. 1630 steigt Pappenheim zum Feldmarschall und Stellvertreter Tillys auf. Nach der Einnahme Magdeburgs erlebt er 1631 die schwere Niederlage der Liga bei Breitenfeld. 1632 siegt Pappenheim gegen die Schweden bei Brakel und erobert Hildesheim. Im selben Jahr wird er in der Schlacht von Lützen tödlich verwundet. Als Kommandeur der Pappenheimer Kürassiere ist er ebenso wie seine Männer als Draufgänger berühmt. Zahlreiche Verwundungen und Narben zeugen vom Mut Pappenheims, doch ist er mehr als nur ein verwegener Kämpfer. Pappenheim zählt als unkonventioneller Stratege zu den bedeutendsten Generälen des Dreißigjährigen Krieges – und als solcher äußert er sich auch kritisch gegenüber Missständen in der Armee. Auf ihn und seine Kürassiere geht der Ausdruck „seine Pappenheimer kennen“ zurück. TÜCHTIGER HELFER TILLYS: Der Reitergeneral Pappenheim hat einen großen Anteil bei der Erstürmung Magdeburgs Abb.: picture-alliance/Quagga Illustrations
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achdem die kaiserlichen Waffen in Böhmen siegreich geblieben sind, greift König Christian IV. von Dänemark in seiner Eigenschaft als Oberster des Niedersächsischen Reichskreises in den Krieg ein. Er unterliegt allerdings, und die Macht Kaiser Ferdinand II. erstreckt sich nun bis in den protestantischen Ostseeraum hinein. Das ebenfalls protestantische Schweden sieht hier zum einen seine politische Vormachtstellung gefährdet und begreift sich andererseits als Schutzmacht der deutschen Protestanten. 1630 landet der schwedische König Gustav II. Adolf mit seinen Truppen auf Usedom. Unter dem Oberbefehlshaber Johann von Tilly rücken mittlerweile kaiserliche Truppen auf das an der Elbe gelegene Magdeburg zu, welches damals eine der bedeutendsten Handelsstädte des Reiches ist. Bereits 1629 haben kaiserliche Truppen den protestantischen Ort eingekesselt, doch kann die Hanse vermitteln, sodass die Angreifer die Belagerung aufheben. Magdeburg geht daher bald darauf ein formales Bündnis mit dem schwedischen König ein, und dieser sendet Oberst Dietrich von Falkenberg in die Stadt. Falkenberg soll die Verteidigung organisieren, bis Gustav Adolf selbst mit seinem Heer zur Stelle ist. Er geht seine Aufgabe mit großer Tatkraft an und be-
Brutale Belagerung sie – vor dem feindlichen Feuer geschützt – möglichst nahe an die Mauern herankommen. Der Ring um Magdeburg schließt sich immer weiter, die gelegentlichen verzweifelten Ausfälle der Belagerten können dagegen nichts ausrichten.
HAT KEINE CHANCE
Dietrich von Falkenberg (1580–1631) Dietrich von Falkenberg ist Hofjunker des Landgrafen Moriz von Hessen und wird 1615 von diesem nach Schweden geschickt, wo er in die Dienste Gustav II. Adolfs tritt. Nach der Landung der Schweden in Pommern erhält Falkenberg den Auftrag, die norddeutschen Städte und Fürsten für ein Bündnis mit Schweden zu gewinnen. Seine Hauptaufgabe besteht allerdings darin, Magdeburg zu verteidigen. Obwohl er nur über knappe finanzielle Mittel und wenige Soldaten verfügt, gelingt es ihm, die Stadt eine gewisse Zeit lang zu halten und gleichzeitig den Rat von der Aussicht auf baldigen Entsatz zu überzeugen. Falkenberg fällt im Kampf gegen die eindringenden kaiserlichen Truppen.
ginnt sofort damit, die Befestigungen der Stadt zu verstärken. Im November 1630 erreicht Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim, der Stellvertreter Tillys, mit 6.000 Mann Magdeburg. Die kleine Vorhut kann die Stadt jedoch weder einschließen noch einnehmen. Im März 1631 erscheint schließlich Tilly persönlich, das katholische Heer umfasst nun 22.000 Mann Infanterie, 3.100 Mann Kavallerie und 86 Geschütze. Dieser imposanten Streitmacht stehen nur etwa 2.400 Verteidiger gegenüber. Tilly beginnt damit, der Stadt vorgelagerte Befestigungen einzunehmen. Mitte April befin-
SCHEITERT: Falkenberg organisiert die Verteidigung der Stadt und hofft (vergebens) auf ein schwedisches Entsatzheer Abb.: Archiv Clausewitz
det sich dann auch die Belagerungsartillerie in Stellung. Diese eröffnet das Feuer auf Magdeburg und die auf der anderen Seite der Elbe gelegene Zollschanze. Das Bombardement hindert die Verteidiger auch daran, ihre Arbeiten an der Befestigung fortzuführen. Gleichzeitig legen die kaiserlichen Truppen eine Vielzahl von Laufgräben an, damit
Spiel auf Zeit Sie können den Angreifern dadurch zwar Verluste zufügen und deren Arbeiten stören, doch reicht die geringe Mannschaftsstärke Falkenbergs bei Weitem nicht aus, um den Gegner wirklich in Bedrängnis zu bringen. Die Magdeburger sind sich dessen bewusst, doch sie spielen auf Zeit, da sie hoffen, dass das schwedische Entsatzheer rechtzeitig eintrifft. Tilly richtet sein Augenmerk zunächst auf die Zollschanze, die das der Stadt gegenüberliegende Ufer schützt. Zwar können die Verteidiger den Angriff zurückschlagen, dennoch geben sie die Befestigung auf. Die Kaiserlichen besetzen sie Ende April. Anfang Mai zerstören die Magdeburger die vorgelagerte Neustadt, die Pappenheim daraufhin ebenfalls einnimmt, während sich die Verteidiger in die Altstadt zurückziehen. Damit ist der Belagerungsring um Magde-
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Schlachten der Weltgeschichte | Magdeburg 1631
EINGEKESSELT: Diese Panorama-Zeichnung (ein Kupferstich aus dem Jahr 1637) gibt einen guten Eindruck von der Größe der Belagerung Abb.: picture-alliance/akg-images
HINTERGRUND
INFANTERIE: Musketier (links) und Pikenier (rechts) bilden das Rückgrat der Armeen des Dreißigjährigen Krieges Abb.: picture-allianc/akg
Die Luntenschlossmuskete war schwer und langsam zu laden
Die Pike dient zum Schutz des Musketiers
Spanischer Morion als Kopfschutz Die Rüstung sollte sowohl vor Blank- als auch vor Schusswaffen schützen
Pulverladungen für den Lauf („Zwölf Apostel“) und Kugelbeutel
Pulverflasche für die Luntenschlossmuskete
Rapier (beide Soldaten) als sekundäre Waffe
Gabel zum Aufstützen der schweren Muskete
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burg vollständig geschlossen. Die Kaiserlichen setzen den Beschuss unvermindert fort; ihre Gegner antworten mit Gegenfeuer in Richtung der Laufgräben. Während der Einsatz der Belagerungsartillerie an manchen Stellen der Stadtbefestigung langsam Wirkung zeigt, beginnt sich bei den Belagerten ein Mangel an Munition bemerkbar zu machen. Gleichwohl setzen sie ihre Ausfälle fort.
Die letzte Chance Am 4. Mai fordert Tilly die Stadt zur Kapitulation auf. Er wiederholt sein Angebot am 12. Mai. Beide Male lehnen die Verteidiger ab – Tilly lässt nun weitere Belagerungsbatterien in Stellung bringen, um den Beschuss zu verstärken. Während die Geschütze eiserne Vollkugeln in Richtung der Festungsanlagen verschießen, schleudern die Mörser Sprenggranaten in die Stadt, wo sie große Verheerungen anrichten. Am 18. Mai bietet Tilly der Stadt ein letztes Mal die Möglichkeit einer Kapitulation an und man verspricht bis zum 20. Mai eine Antwort, die allerdings ausbleibt. Damit ist das Todesurteil gefällt, Tilly ordnet den Sturm für denselben Tag an. Für den Vorstoß sind drei Hauptpunkte vorgesehen: Pappenheim soll das Neue Werk an der Neustadt angreifen, während Herzog Adolf von Holstein seine Attacke auf das Hornwerk am Krökentor richtet. Das Ziel von Graf Wolfgang von Mansfeld ist der Heydeck am Sudenburger Tor. Der an mehreren Stellen gleichzeitig vorgetragene Überraschungsangriff der kaiserlichen Truppen trifft die Stadt völlig unvorbereitet und mit voller Wucht. Die wenigen Verteidiger können keinen nennenswerten Widerstand
Eskalierende Gewaltspirale mehr leisten und werden überrannt. Tillys Soldaten erleiden nur wenige Verluste, und nach kurzer Zeit dringen sie von drei Seiten her in die Stadt ein, die ihnen nun völlig wehrlos ausgeliefert ist.
HINTERGRUND
Gewaltorgie
Neben den traditionellen Hieb- und Stichwaffen (Degen, Pike, Reiterlanze) nehmen die Feuerwaffen im Dreißigjährigen Krieg bereits eine große Rolle ein. Die zum Teil gepanzerten Reiter (Kürassiere) verwenden Radschlosspistolen, die sie auf kürzeste Distanz abfeuern, um dann zum schweren Reiterdegen zu greifen. Dichte Pikenierformationen müssen indes die Musketiere mit ihren schweren, auf Gabeln gestützten, unhandlichen Luntenschlossmusketen schützen. Die langsame Lade- und Feuergeschwindigkeit macht diese nämlich verwundbar. In den Schlachten spielt der Einsatz der nun etwas leichter und beweglicher gewordenen Feldartillerie eine immer wichtigere Rolle. Das koordinierte Zusammenspiel dieser drei (beziehungsweise vier) Waffengattungen ist wegweisend für die zukünftige Kriegführung. Als man die Belagerungsartillerie einführt, verändert sich auch der Festungsbau grundlegend. So ersetzt man die hohen Mauern und Türme des Mittelalters durch relativ niedrige, aber umso breitere und tief gestaffelte, Wallanlagen. Diese sind mit einem oft sehr komplizierten System vorspringender, spitzwinkeliger Bastionen, umlaufender Gräben und vorgelagerter Hindernisse versehen. Damit hat der Verteidiger den Vorteil sich
auf, doch der Prediger Reinhard Bake wirft sich Tilly zu Füßen und rühmt ihn angeblich als den größten Eroberer seit dem Untergang Trojas. Dermaßen geschmeichelt, schenkt Tilly den wehrlosen Menschen das Leben.
„... den 20 Mai haben wir mit Ernst angesetzt und gestürmet und auch erobert, da bin ich ... ohn allen Schaden in die Stadt gekommen. Aber in die Stadt am Neistadter Tor bin ich zweimal durch den Leib geschossen worden. Das ist meine Beute gewesen ...“ Peter Hagendorf, kaiserlicher Söldner
Ort verlassen und kann ihn nicht mehr als Stützpunkt nutzen. In der allgemeinen Verwirrung können sich etwa 4.000 Magdeburger in den Dom retten. Sie hoffen, dass der Feind sie dort verschont. Sie haben Glück: Nach drei Tagen brechen die Eroberer die Tore des Gotteshauses Clausewitz 4/2017
Von den ursprünglich 30.000 Einwohnern Magdeburgs kommen mehr als zwei Drittel um. Von fast 2.000 Häusern bleiben nur der Dom und die den Domplatz umgebenden Gebäude erhalten. Vier Tage nach dem Fall der Stadt befiehlt Tilly, die Plünderung einzustellen. Die Truppen müssen Magdeburg ver-
GUT GEPANZERT: Die Rüstung eines Kürassiers wirkt bedrohlich. Der mittelalterliche „Look“ soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Dreißigjährigen Krieg Feuerwaffen bereits eine große Rolle spielen überschneidender Schusswinkel, was den direkten Sturmangriff auf eine Festung annähernd unmöglich macht. Die Belagerung wird immer mehr zu einer Kunst, bei der genau festgelegte Regeln einzuhalten sind. Unter dem Feuer der schweren Belagerungsartillerie nähert man sich der Festung an. Durch das Anlegen eines oftmals komplexen Systems mannshoher Laufgräben arbeiten sich dann die Soldaten nach und nach an bestimmte Punkte heran. Gelegentlich werden hierbei auch die Mauern unterminiert, um so eine Bresche heraussprengen zu können. Ist ein Teil der Festungsanlage sturmreif geschossen oder gesprengt, versucht der Angreifer in die oft nur notdürftig wieder versperrten Lücken einzudringen. Bei diesen erbittert geführten Nahkämpfen verwenden die Soldaten neben den üblichen Waffen auch gusseiserne Handgranaten.
lassen. Das gesamte geraubte Gut verkaufen die Soldaten an Händler, die die Wertgegenstände dann oft mit hohem Gewinn weiterveräußern. Der Untergang Magdeburgs, das seine frühere Stellung nie mehr zurückerlangen kann, erschüttert die Menschen – nicht nur im Reich. Zahlreiche Flugblätter, zum Teil illustriert, machen das grauenhafte Geschehen überall bekannt. Der Begriff „magdeburgisieren“ wird ein Synonym für eine vollständige Vernichtung. Das schreckliche Ereignis ist damals auch als „Magdeburger Hochzeit“ bekannt; eine symbolische, gewaltsame „Vermählung“ des Kaisers mit der Stadt, deren Wappen das Bild einer Jungfrau trägt. Indem die Kaiserlichen Magdeburg zerstören, verhärten sich die Fronten, da das gegenseitige Misstrauen weiter wächst. Von nun an kann niemand mehr darauf hoffen, verschont zu werden! Otto Schertler studierte an der Universität München. Er arbeitet als Autor und Übersetzer.
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Abb.: picture-alliance/DUMONT Bildarchiv
Nachdem die Kaiserlichen die Wälle gestürmt haben und in die Stadt strömen, gibt es kein Halten mehr. Der Reichtum Magdeburgs ist weithin bekannt, und es setzt eine Orgie aus Brandschatzung, Vergewaltigung, Mord und Plünderung ein. Mehr als 20.000 Menschen wird dieser Gewaltexzess das Leben kosten. Wie so oft trifft es besonders die Armen hart, da sie sich nicht freikaufen können. Die rasenden Söldnern machen diese daher in der Regel sofort nieder. Wenn sie Glück haben, nehmen die Sieger sie gefangen, sodass sie sich fortan als Diener der Soldateska verdingen können. Viele Menschen, darunter auch Plünderer, kommen zudem in den Flammen der bald vollständig brennenden Stadt um. Der Brand stellt bis heute ein ungelöstes Rätsel dar. Einigen Quellen zufolge habe ihn Pappenheim verursacht, der aus taktischen Gründen einige der in der Nähe des Walles befindlichen Häuser habe niederbrennen lassen, wobei der Brand außer Kontrolle gerät. Andere schreiben ihn dem Stadtkommandeur Falkenberg zu, der Magdeburg nicht unversehrt in die Hände des Siegers fallen lassen will. Möglicherweise bricht das Feuer aber auch im Laufe der ungehemmten Plünderung unabsichtlich aus. Ein absichtliches Niederbrennen der Stadt durch Tilly kommt eigentlich aus strategischen Gründen kaum infrage, da er Magdeburg benötigt, um den Elbübergang zu sichern und die eigenen Truppen zu versorgen. Er muss nun den völlig zerstörten und von Seuchen bedrohten
Waffen und Belagerungswesen im Dreißigjährigen Krieg
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Militär & Geschichte 4/2017 Die Erde von Flandern war bereits in zwei Schlachten aufgewühlt und von Blut durchtränkt, als dort 1917 erneut die Heere der Kriegsgegner aufeinanderprallten. Die Entente hatte fast eine halbe Million Soldaten zusammengezogen, um nun endlich den Frontdurchbruch zu erzwingen. Nach einer infernalischen Kanonade durch die Artillerie begann im Sommer der Angriff, der jedoch im massiven Abwehrfeuer der Deutschen und im total aufgeweichten Boden buchstäblich immer wieder steckenblieb. Wie die gewaltige Schlacht ablief und endete, lesen Sie im neuen Heft von Militär & Geschichte, das noch bis zum 2. Juli im Handel erhältlich ist. Weitere spannende Themen im Heft: Panzerhaubitze „Hummel“, Revolutionär Oliver Cromwell, Nachtjäger der deutschen Luftwaffen, Mexikanisch-Amerikanischer Krieg, Militäralltag als „Reenactment“ u. v. m.
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Die driitte
WAFFEN & TECHNIK
Flandernschlacht ensive der 1917: Waarum die Offfe Entente scheitern musste
PANZERHAUBITZE HUMMEL
Ein dicker Brummer Damit die gepanzerten Großverbände der Wehrmacht ihre volle Schlagkraft auch gegen artilleristisch starke Feindkräfte entfalten konnten, brauchten sie dringend eigene mobile Artillerieunterstützung. Diese Lücke ließ sich erst schließen, als die lang ersehnte „Hummel“ zur Truppe kam
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Kraftvoll: Panzerhaubitzen waren an allen Fronten gefragt – wie hier bei Berditschew in der Ukraine, wo im Januar 1944 eine Batterie „Hummeln“ ihre 15-Zentimeter-Geschütze drohend auf die feindlichen Linien ausrichtet
Abb.: p-a/ZB
STRATEGIE & TAKTIK
Oliver Cromwell
Freiheitsheld oder Hassfigur – was stimmt?
Militär & Geschichte 4/2017 64 Seiten, zirka 110 Abbildungen Preis: 4,20 Euro GeraMond Verlag GmbH Bezug: www.verlagshaus24.de
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FEUERSTARKES „INSEKT“: Alles über Konstruktion, Technik und Einsätze der deutschen Panzerhaubitze „Hummel“
KRIEGE & SCHLACHTEN
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Mexikanischer Infanterist mit Filztschako und Steinschlossmuskete; die Amerikaner kämpften mit Perkussionsgewehren
flikts bedeutete die Wahl James K. Polks zum elften Präsidenten der USA am 4. März 1845 eine bedeutende Zäsur. Unter Polk setzte sich der Gedanke der Manifest Destiny, also der „offensichtlichen Bestimmung“, durch, die in der Expansion auf dem nordamerikanischen Kontinent einen göttlichen Auftrag für die Vereinigten Staaten sah. Das Problem dabei war Mexiko, dessen Staatsgebiet damals noch weit nach Nordwesten ausgriff und sich wie ein Riegel zwischen die westwärts drängenden Siedler und den Pazifik legte. Nachdem die USA zweimal vergeblich versucht hatten, Kalifor-
keineswegs akzeptieren. Genau dieses umstrittene Gebiet lieferte den Anlass zum Krieg: Am 25. April 1846 kam es dort zu einem Gefecht zwischen mexikanischen und US-amerikanischen Truppen, das elf tote Amerikaner forderte. Anfang Mai trat Präsident Polk vor den Kongress und machte unmissverständlich klar, wer hier als Aggressor zu gelten habe: „Mexiko hat die Grenze der Vereinigten Staaten überschritten, unser Territorium angegrif-
Deutsch-Südw
est in der Lüneburger Heide
Umstrittene Gebiete in Texas lieferten den Nachbarländern den Anlass zum Krieg.
nien von Mexiko abzukaufen, nahmen die Spannungen zwischen beiden Ländern merklich zu. „Gringos“ fallen. Der zündende Funke zum Krieg fiel derweil in Texas. Einst ein Teil MeIn „göttlichem Auftrag“ hatte es sich 1836 in blutigem Seit über einem Jahr befanden sich xikos, Kampf von diesem Staat losgesagt Staaten Mexiko und die Vereinigten selbstständige Republik konsnun schon im Kriegszustand. Und und als die schon recht bald mit eijetzt, im Herbst 1847, stand die US- tituiert, Beitritt zu den Vereinigten StaaArmee kurz vor dem entscheidenden nem 1845 war es schließSieg – in einem Krieg, der sie erstmals ten liebäugelte. weit – und sogleich trat ein so lich hatgeführt Territorium auf fremdes Problem auf: Die Grenze zum te. Für die Vorgeschichte dieses Kon- neues
fen und amerikanisches Blut auf amerikanischem Boden vergossen.“ Nach stundenlangen Debatten billigte der Kongress schließlich die Kriegserklärung an Mexiko, wenn auch mit zahlreichen Gegenstimmen. Umstritten war der Konflikt besonders bei den Repräsentanten aus dem Norden, die sich gegen die Sklaverei aussprachen und im Zuge des anstehenden Krieges eine weitere Ausdehnung der Südstaaten mitsamt ihrer „Slave Power“– Bewegung befürchteten. Einer der
Die Eroberung der Festung Chapultepec (auch Bild links) eröffnete der US-Armee den Weg Richtung Mexico City. Dazu auch die Karte Seite 46, die einen Ausschnitt aus der Karte oben (grauer Kasten) darstellt
Vom Rio Grande bis zum Frieden von Guadalupe Hidalgo Ein Gefecht zwischen US-Truppen und Mexikanern auf umstrittenem Gebiet wird zum Auslöser des Krieges Schlacht bei Palo Alto 8. Mai 1846 Der Brigadier General Kearny nimmt Santa Fe ein 18. August 1846 endet mit dem 21.–24. September 1846 Die Schlacht bei Monterrey verlustreichen Sieg der US-Truppen Schlacht bei San Pasqual 6.–7. Dezember 1846 Schlacht bei El Brazito 25. Dezember 1846 Schlacht bei San Gabriel/La Mesa, Kalifornien ist 8.–9. Januar 1847 von US-Soldaten besetzt Taylor siegt General Vista, Buena bei Schlacht 1847 Februar 22.–23. über General Santa Anna Belagerung von Veracruz, erste amphibische 9.–29. März 1847 Landung in der US-Geschichte Schlacht bei Cerro Gordo 18. April 1847 Schlacht bei Churubusco 20. August 1847 zum Sturm Auftakt Rey, del Schlacht bei Molino 8. September 1847 auf Mexico City letzte mexikanische 12.–13. September 1847 Schlacht bei Chapultepec, die Bastion vor der Hauptstadt fällt 13.–14. September 1847 Schlacht um Mexico City Nach 14-stündigem Kampf fällt die Hauptstadt 15. September 1847 in die Hände der US-Armee Friede von Guadalupe Hidalgo 2. Februar 1848
Abb.: p-a/Heritage Images, p-a/newscom/Picture History,
MIREHO, Grafik: Anneli Nau
25. April 1846
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Wie zu Kaisers Zeiten: Für die Aufnahmen zum Filmprojekt Kudusteak und Büchsenfleisch wurden echte Dromedare von einer Kamelfarm in der Lüneburger Heide angemietet
Sie legen historische Uniform en an, bauen Feldlager nach und ziehen mit Blankwaffen oder Knallpat ronen ins Gefecht: Geschic htsfans finden zunehm Spaß daran, militärische end Ereignisse nachzustellen. Solche „Reenactment“Gruppen decken fast jede Epoche ab – auch die Zeit des deutschen Kaiserre iches
Hobby mit Knalleffekt: „Reenactors“ lassen die Vergangenhei t wieder aufleben, aus historischem Interesse und purem Spaß an der Sache. Die beiden Fotos auf dieser Seite entstanden 2016 in einer Sandgrube in Norddeutschl and
G
ewehrsalven und Feuerbefeh„Deutschen Kavallerieve le zerreißen die morgendlich rbandes“ e (Günzburg) zu einem „SchutztrupStille. Eine Gruppe Soldaten in penlager“ mit Filmprodukt den längst vergessenen ion. Die Khaki-Unifor men der deutschen Schutzgebiet - dort gedrehten Szenen flossen später e in einen selbst produzierten geht hinter Sandsäcken Stummund Trosswa- film ein, der wie ein Kinostreifen gen in Stellung. Die Männer des tragen die frühen 20. Jahrhunderts wirken soll. auffälligen grauen, an der Seite hoch- Titel: Kudusteak und Büchsenfleisch (siegeknöpften Hüte mit dem blauen Hut- he Kasten S. 59). band, die sie als Angehörige der Schutztruppe für Deutsch-Süd west Historisch korrekte Details ausweisen. Ein Kameraman n, eben- Solche Filme könnten in Zukunft falls in dieser Uniform, kurbelt un- noch mehr Aufmerksamkeit auf ein gerührt von der Knallerei mitten im Phänomen lenken, das immer mehr Schussfeld. Das Gefecht dauert an. Menschen in seinen Bann zieht: ReenPlötzlich winkt der Kameraman n; er actment (englisch für „Wiederauffühhat seine Szene im Kasten. Die Schüs- rung“), also das Nachstellen historise verhallen, das Feuergefecht ist be- scher Ereignisse, mit möglichst auendet. Den „Feind“ hat allerdings nie- thentischen Uniformen, Waffen und mand zu Gesicht bekommen. Gerätschaften aller Art. Spätestens jetzt ist dem Wer einmal Leser klar, auf diese Weise in die Vergangendass hier von einer Filmprodukt ion heit abgetaucht ist, kommt meist die Rede ist. Aber die Dreharbeiten nicht mehr davon los – so wie die rund
Mit umgebauten Original waffen nehmen die Männer ihre „Gegner “ aufs Korn.
ZEITTAFEL
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um die Scharmützel der Schutztrup- 30 Darsteller im „Schutztruppenlape in Deutsch-Südwestafrika, dem ger“. Sie kennen sich seit Jahren, sind heutigen Namibia, mit der sogenann- längst eine verschworene Gemeinten „Rolfsbande“ im Jahr 1908 fanden schaft und heißen auch im bürgerlinicht in der Vergangenhe it statt. Ja, chen Leben Felix, Otto, Willi oder Wernicht einmal in Afrika. Tatsächlich ner. Alle dienten bei der Bundeswehr wurde eine Sandgrube bei Bierde in oder NVA und sind zumeist Anfang der Lüneburger Heide am Himmel- oder Mitte 50. fahrtswochenende 2016 für einige TaSie können stundenlang ge zum Standort der fiktiven über die Schutz- historisch korrekten truppenstation „Bierwater“ Details der Uniam Ran- formen, der Patronengurte de der Kalahari umgebaut – und Sattelzeugs fachsimpeln oder des zugleich Schauplatz eines , während sehr spe- sie filterlose Zigaretten qualmen. Oriziellen Reenactment-Projektes: Mit- ginalstücke sind selten im Einsatz, glieder vom „Verein Historische Uni- denn sie passen nicht mehr. Die Menformen des Deutschen Kaiserreiches schen des 19. Jahrhunderts von 1871 bis 1918“ (VHU) hatten trafen sich schlicht andere Maße als ihre heutimit Gleichgesinnten des „Traditions- gen Nachfahren. Jeder hat seine eigeverbandes ehemaliger Schutz- und nen Bezugsquelle n für Stoffe, Knöpfe Überseetruppen“ (Wörth) und des oder Leder, kennt alte Schuster oder
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MILITÄRALLTAG ALS REENACTMENT
südlichen Nachbarn war nie genau festgelegt worden, und als Texas nun auch Teile nördlich des Rio Grande beanspruchte, mochte Mexiko dies
Abb.: Dana Krimmling/„RossF oto“ (2)
m Nachmittag des 13. September 1847 marschierten Tausende amerikanische Soldaten an den rauchenden Trümmern des Forts Chapultepec vorbei. Hier, etwa fünf Kilometer westlich von Mexico City, hatte seit den Morgenstunden des vorigen Tages eine erbitterte Schlacht getobt. Eingeleitet durch stundenlangen Artilleriebeschuss, hatten US-Infanteristen schließlich die mexikanische Festung gestürmt, an deren Mauern nun die Gefallenen beider Seiten verstreut lagen. Mit Chapultepec war das letzte Hindernis auf dem Weg zur gegnerischen Hauptstadt überwunden. Und während der siegreiche Major General Winfield Scott seine Männer auf Mexico City zuführte, bereitete dort sein Kontrahent, der mexikanische General Antonio López de Santa Anna, alles für die Verteidigung vor. Kampflos sollte die Stadt jedenfalls nicht in die Hände der
SPECIAL
KOMPLIZIERTER KONFLIKT: Der Mexikanisch-Amerikanische Krieg von 1846 bis 1848 wird im Heft anschaulich dargestellt
WIE VOR 100 JAHREN: Geschichtsfans stellen mit viel Liebe zum Detail die Schlachten vergangener Zeiten nach
Militär & Geschichte
ERICH VON MANSTEIN
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Lagebesprechung im Hauptquartier der Heeresgruppe Süd in Saporoshje (Ukraine) am 10. März 1943
M Ä N N E R, D I E G E S C H I C H T E S C H R I E B E N
Abb.: ullsteinbild/Walter Frentz
Das Frühjahr 1943 stellte die deutsche Führung vor eine schwerwiegende Entscheidung. Zwei Feldzüge – gegen Moskau 1941 und Stalingrad 1942 – hatten nicht zum erhofften Sieg über die Sowjetunion geführt, sodass sich die Frage ergab, ob im Osten ein Remis erreicht werden konnte, bevor die Westalliierten eine zweite Front auf dem Festland eröffnen würden.
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Militär & Geschichte
IM ZENTRUM DER MACHT: Erich von Manstein war ein Querdenker, der es zuletzt sogar wagte, dem „Führer“ zu widersprechen – wofür er 1944 kaltgestellt wurde
Man anste ein und der Russlandfeldz d ug
Militär & Geschichte Extra „Manstein“ Er gilt als der brillanteste Operateur des Zweiten Weltkriegs. Erich von Manstein begründete seinen Ruf mit dem Sichelschnittplan, der es der Wehrmacht 1940 ermöglichte, Frankreich binnen sechs Wochen zu bezwingen. Auch der Sturm auf Sewastopol 1942 und die erfolgreichen Abwehrschlachten an der Ostfront 1943, die den Südflügel vor dem Kollaps bewahrten, sind untrennbar mit seinem Namen verbunden. Doch gilt dies auch für die Schattenseiten der deutschen Kriegführung? Ist Manstein mitverantwortlich für die Verbrechen, die sich im Rücken der Ostfront abspielten? Und warum hat er sich dem Widerstand gegen Hitler verweigert? Militär & Geschichte Extra bietet eine kompakte Darstellung von Mansteins Biografie, zeigt seinen Aufstieg zum fähigsten Feldherrn des Zweiten Weltkriegs und macht deutlich, wie seine Schriften unsere Erinnerungskultur über Jahrzehnte mitbestimmten.
FRONT ENDLICH IN VORDERSTER
Genialer Operateur
Wie er die Krim eroberte und vorerst die Südfront rettete
80 Seiten, ca. 100 Abbildungen Preis: 7,90 Euro ISBN: 978-3-86245-487-7 GeraMond Verlag GmbH Bezug: www.verlagshaus24.de
SCHLAG UND GEGENSCHLAG: Mansteins wichtigste Operationen werden anhand großformatiger Karten vor Augen geführt
V
Soldaten der Nachrichtentruppe verlegen Kabel im Nordabschnitt der Ostfront
HINTERGRUND
Juni 1941 – Auftrag des LVI. Armeekorps , 3. InfanterieDas LVI. (56.) AK (8. Panzer-Division später umbeion), Division mot., 290. Infanterie-Divis Juni 1941 im Rahnannt in Panzerkorps, trat am 22. Nord aus men der Panzergruppe 4 der Heeresgruppe Auftrag lautete, aus Ostpreußen zum Angriff an. Der ostwärts Tilsit dem Waldgebiet nördlich der Memel Kowno die nordostwärts nach Osten vorzustoßen, gewinnen und – große Straße nach Dünaburg zu (41.) Armeegleichsam im Wettlauf mit dem XXXXI. korps – einzunehmen. trale Am Kartentisch in der Operationszen ber der 11. Armee, deren Oberbefehlsha 1941 war Manstein seit dem 12. September
Angeschlagen und trotz hoher Ausfälle gingen die deutschen Verbände zum Gegenangr iff über
Mit den Unbilden des Wetters hatten die deutschen Soldaten auch im Februar/März 1943 zu kämpfen
Oberbefehlshaber der Luftflotte 4: „Mander Westteil dieses Gebiets stein ist meines Erachtens für die deutsche te fertig. Er sieht Industrie Frontlücke, in der drei uralt aus.“ wichtig sei, lenkte sowjetische Arer ein. Man- meen stein, der am folgenden nach Süden und Südweste Am 13. Januar genehmig Tag in Rastenburg n vorstiete Hitler den bei ßen: die 1. Gardearm Hitler persönlich vorsprach Rückzug der Armeeabt ee, die 6. Armee und eilung Hollidt hinter , erhielt nun die die Genehmigung zum Panzergruppe Popow. den Donez. Dies ermöglich Rückzug. Hitler jedoch te Manstein den glaubte nicht, dass Es war höchste Zeit, Einsatz weiterer Kräfte die Rote Armee in der denn bereits am selam Don, um den Frontlücke ben Tag wurden Mansteins sowjetischen Vorstoß starke Kräfte habe. Er auf Rostow aufzuhalVerbände, die zeugt, war überbei Rostow noch südlich dass nordwestlich von ten. Doch der Rückzug des Charkow der 1. Panzerarmee Dons standen, größere die von der Roten Armee Gefahr läge. Dort drangen verzögerte sich, weil auf das Nordufer Hitler diese Armee zusowjetische Verbände zwischen zurückgedrängt. Am nächst weiter südlich 7. Februar konnte Manden Heeresgrupdes Don einsetzte, pen Mitte und Süd nach stein seinen Armeen um mit ihr das Absetzen Westen vor. befehlen, den Donder 17. Armee auf Donez-Bogen zu räumen den Kuban-Brückenkopf sowie den Rück- Endlose Diskussio zu decken. Erst am zug auf die „Maulwur nen 24. Januar befahl Hitler fstellung“ einzuleite den Rückzug der n. Am 17. Februar Eine Woche später, in 1. Panzerarmee auf kam Hitler nach Saporosch der Nacht zum 14. FebRostow. Manstein komje in Mansteins Hauptqua ruar, räumten die Deutschen mentierte in seinem rtier, um vor Ort Tagebuch: „14 Tage zu Rostow. Am die weitere selben Tag wurde Mansteins spät befohlen!“ Operationsführung zu bespreHeeresgruppe chen. Don in Heeresgruppe Die schlagkräftigste Süd umbenannt. Vier mobile Reserve Räumung von Rostow der Heeresgruppe Süd, Tage später schloss das SS-Panzerkorps sie den Rückzug auf die mit den Elite-Divis „Maulwurfstellung“ Am 2. Februar begann ionen ab. „Leibstandarte die sowjetische WoAdolf Hitler“, „Das Reich“ Nach dem gelungene ronescher Front ihre und „Totenkopf“ n Rückzug an den Offensive mit dem wollte Hitler zunächst Mius konnte sich Decknamen „Stern“. zu einem GegenanManstein nun auf Ziel dieser Operation die griff westlich Bewältigung der für war die Wiedereroberung von Charkow nach seine Heeresgruppe Norden von Kursk, Bel- gefährlich antreten lassen. In gorod und Charkow. sten Krise konzentri „endlosen Diskussio Zur gleichen Zeit griff eren: Am nen“ gelang 10. Februar war die die sowjetische Südwestfr es Manstein, Hitler sowjetische 3. Panzerdieses Voront die nördliche haben auszureden. Flanke von Mansteins Die Ereignisse gaben Heeresgruppe an, um ins Donezbecken vorzustoßen. Wäh31 rend es der 3. Gardearm ee gelang, östlich von Woroschilowgrad über den Donez vorzudringen, stieß die besonders starke Panarmee westlich von zergruppe unter Befehl Isjum über von Generalleutzum Angriff nach Südweste den Donez ihm recht: Am selben Tag nant Markian Popow eroberten sowjetibei Slawjansk in einer n angetreten. sche Am folgenden Tag hatte Verbände Pawlograd 35 Kilometer breiten , das nur etwa 50 die weiter südöstFrontlücke nach Kilometer von Dnjeprope lich angreifende Panzergru Süden vor. Mansteins trowsk und 90 Kippe Popow Kras- lometer Verbände gerieten noarmejskoje (heute von Saporoschje entfernt dadurch in Gefahr, Pokrowsk) erobert. im Donezbecken abgeliegt. Als Hitler am 19. Februar Damit war die Rote schnitten zu werden. Saporoschje verließ, Armee bis auf etwa Deshalb beantragte um nach Winniza zu 50 Kilometer an Stalino Manstein bei Hitler fliegen, die Räumung des Donstanden sow(heute Donezk), jetische das Zentrum des Donezgeb Verbände bereits bei Donez-Bogens und Sinelnikowo, den Rückzug auf die iets, herange- 60 Kilometer rückt. „Maulwurfstellung“ Mit der Einnahme vor Saporoschje. . Diese verlief nördlich von KrasnoarHitlers Besuch bei Manstein mejskoje hatten Popows von Taganrog am Fluss Truppen zugleich hatte Mius. seine Wirkung nicht verfehlt. die wichtige Eisenbahn Doch Hitler war nicht Der Dikator ließ linie Dnjepropebereit, das Donezihm in den nächsten trowsk–Stalino unterbroc becken östlich des Mius Wochen bei der Operahen. Am 15. Feb- tionsführu aufzugeben. Er beruar eroberte die Rote tonte, ohne die dortigen ng seiner Heeresgru Armee Charkow zuppe weitgeKohlevorkommen hend freie Hand. Manstein rück. Dadurch wurden sei der Krieg verloren. weitere sowjetische konzentrierte Erst als Hitler am seine verfügbaren Panzerver Kräfte frei für den Stoß 5. Februar durch den nach Südwesten, in bände nun zu Rüstungsminister Aleinem Gegenstoß, Richtung Dnjepr. bert Speer und den Generaldi der als letzter großer rektor für das deutscher Sieg an der Zwischen Charkow Donezbecken Paul Pleiger Ostfront in die Kriegsund Slawjansk klafferfuhr, dass nur te geschichte eingegang mittlerweile eine etwa en ist. Am 21. Februar 150 Kilometer breitrat das XXXX. Panzerkor 50 ps aus dem Raum
Hitlers Anweisunge n für die Heeresgrupp immer viel zu spät: e kamen Gefährliche Krisen entsta nden.
„BLITZSIEGE“: Die Erfolge im Westfeldzug und bei der Eroberung der Krim gingen maßgeblich auf Manstein zurück
Abb.: Interfoto/Hans Schürer,
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PIXPAST.com, Grafik: Anneli
Nau
Militär & Geschichte
IM KRIEG 1943
Schneller Vormarsch
seinem BeIn Dünaburg musste Manstein gebieten und wegungsdrang jedoch Einhalt erwarten. Erst den Rest der Panzergruppe Zwischenam 2. Juli sollte es weitergehen. die Stadt zeitliche Versuche der Sowjets, die Brüwenigstens oder ern zurückzuerob on der Kanalküste nach Ostpreußen: zu zerstören, schlugen alErich von cken aus der Luft Im Februar 1941 übernahm gegen die lesamt fehl. Manstein das für den Krieg Vormarschziele lagen nordnächsten Die LVI. Armeekorps dann Nowgorod Sowjetunion neu formierte In- ostwärts; zunächst Pskow, 53-jährige der sich durfte (mot.). Damit jedoch hatte das LVI. AK, von dem An- und Luga. Diesmal fanteriegeneral, der im Vorjahr verstärkt durch die SS-Division Radio erfahren mittlerweile griff auf Frankreich aus dem Glück: Seine Marschmit der „Totenkopf“, weniger hatte und danach hauptsächlich durch schwer passierbeauf- route führte zunächst Verfolgung französischer Rückzügler und wo sie doch durchquert Sümpfe, bare geangemessen tragt worden war, endlich warteten starke Befestiüber ein werden konnten, würdigt fühlen. Das Kommando der Stalin-Linie. in seinen Verlore- gungen Panzerkorps – so schrieb er insbesondere die „Totenkopf“hatte Dort Wunscheines nen Siegen – war die Erfüllung Verluste zu beklagen – für in vorderster Division schwere en traums. Nun stand er wirklich Resultat der unzureichend errang, wür- Manstein ein gebrach es Front. Die Erfolge, die er fortan Ausbildung ihrer Führer. Diesen den einen Unterschied machen. nach besonders daran, günssich aus der seiner Meinung Das LVI. AK (mot.) setzte elegenheiten zu erkenInfanterie-Divi- tige Durchbruchsg das diszipli8. Panzer-Division, der 3. nen. Er hätte es lieber gesehen, ision Infanterie-Div 290. sion (mot.) und der motivierte Personal der Waffender von Erich nierte und zusammen und gehörte zu Heer zu integrieren. Die Intensität Panzergruppe 4. SS in das Hoepner kommandierten Kämpfe im Juli und Auführen – ein auch der weiteren Deren Weg sollte ins Baltikum hoch; zeitweise sogar von Einkesseschon aus dem gust war Landstrich, der Manstein
Angeklagt in Nürnberg
Welchen Anteil hatte Manstein an den Verbrechen im Osten?
Militär & Geschichte Extra 4
koordinieren.
nion 1941 begann nicht nur Mit dem Überfall auf die Sowjetu n deutschen Wehrmacht, sondern das Verhängnis der gesamte Manstein. Doch zunächst auch das des Karrieresoldaten in gewohnter Manier bewährte sich der Truppenführer
Abb.: p-a/akg-images, p-a/ZB (2)
IM KRIEG 1941
Mansteins Beitrag zum Sieg im Westen
erster Auftrag Jahr 1918 vertraut war. Sein war die Wegin diesem neuen Feldzug Brücken nahme der strategisch wichtigen fast im lettischen Dünaburg (Daugavpils), Tatsächlich 300 Kilometer hinter der Front. ManDivisionen schnellen den gelang dies Am 26. Juni 1941 steins nach nur vier Tagen: die Düna unbefielen die Übergänge über Vorstoß hatte Der Hände. ihre in schädigt trin entsproder klassischen Blitzkriegdok zes wachen: Ungeachtet des Flankenschut der feindren Mansteins Panzer im Rücken die Verteilichen Front vorgeprescht, sodass Abwehr zu diger keine Zeit fanden, ihre
Dünaburg war das erste Ziel, das Manstein mit seinen Truppen im Russlandfeldzug eroberte
Von Sieg zu Sieg
„Sichelschnitt“
Krasnoarmejskoje zum Angriff nach Nordwesten an. Am nächsten Tag stieß das SSPanzerkorps mit der Division „Das Reich“ aus der Gegend nördlich von Dnjepropetrowsk nach Osten und eroberte die Stadt Pawlograd zurück. Die sowjetischen Verbände, die fast bis zum Dnjepr vorgestoß en waren, wurden dadurch abgeschni tten. Am 23. Februar schloss sich auch das XXXXVIII. Panzerkorps den Gegenang riffen an. Gemeinsa m Militär & Geschichte
setzten die drei deutschen Panzerkorps ihre den Donez. Am 6. März Angriffe nun nach setzte die 4. PanzerNorden fort, um einen armee mit dem SS-Panzer Rückzug der angeschla korps und dem genen sowjetischen XXXXVIII. Panzerkor Verbände über den ps aus dem Raum südDonez zu verhinder n. westlich von Charkow Befriedigt notierte Manstein den Angriff nach am 26. Feb- Norden ruar in sein privates fort. Die Sicherung der Kriegstagebuch, der Westflanke Ge- des Angriffske genangriff seiner Panzerver ils übernahm die Heeres-Eli bände sei „ein tedivision schöner Erfolg geworden „Großdeu tschland“. . Der Führer glaubAm 9. März stand das te ja nicht, dass der Russe SS-Panzerkorps im hier starke Kräfte Westen von Charkow. hätte.“ Bis Anfang März Es drehte nun nach erreichten die deutOsten ein und eroberte schen Angriffsverbände die Stadt in viertägiauf breiter Front gen schweren Kämpfen vom 11. bis 14. März
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Clausewitz 4/2017
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Militär und Technik | Jagdpanther
Der Jagdpanther (SdKfz 173) der Wehrmacht
Gefürchteter
GIGANT Anfang 1944: Die Wehrmacht führt den Jagdpanther ein, der den Gegner schnell das Fürchten lehrt. Mit seiner durchschlagkräftigen 8,8-Zentimeter-Kanone kann der Stahlkoloss es mit allen alliierten Panzern aufnehmen Von Thomas Anderson
A
ls der Jagdpanther Anfang 1944 zur Truppe kommt, steht die Wehrmacht militärisch längst am Abgrund. Die Rote Armee eilt im Osten von Sieg zu Sieg, während in Italien der Kampf um die „Festung Europa“ entbrannt ist. Im Juni 1944 verschärft der DDay die Lage zusätzlich. In dieser schwierigen Situation greift ein 45-Tonnen-Gigant in die Kämpfe ein, den man häufig als besten Jagdpanzer des Zweiten Weltkriegs bezeichnet. Und tatsächlich: Die Kombination der leistungsstarken 8,8Zentimeter-Panzerabwehrkanone 43/3 L/71 auf dem Fahrgestell des Panzerkampfwagens (PzKpfw) Panther soll sich bewähren – der Jagdpanther wird zum Jäger der Alliierten.
Kampfkraft auf Ketten Neben der Panzerabwehrkanone (Pak) mit ihren größeren Kalibern tritt während des Krieges in den Weiten Russlands eine andere Waffe als Panzerabwehrmittel auf – das Sturmgeschütz (StuG). Diese Panzerfahrzeuge führte man zu Kriegsbeginn in zunächst geringen Stückzahlen zur artilleristischen Nahunterstützung von Infanterieangriffen ein. Eingebettet auf Heerestruppenebene teilt man Sturmgeschütze in Abteilungs-
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oder Kompaniestärke den Infanterie- und Panzereinheiten zu. Trotz ihrer kurzkalibrigen 7,5-Zentimeter-Kanone können sie auch gegen die modernen russischen Panzer vorgehen. Ihr geringer Gesamtaufzug, gepaart mit guter Funkverbindung und weit überlegener taktischer Führung, ist in unzähligen Gefechten entscheidend für den erfolgreichen Einsatz. Bereits vor Kriegsbeginn hat die Führung geplant, jeder Infanteriedivision eine Sturmgeschützabteilung (mit zunächst 18 StuG) zuzuteilen, was jedoch nicht umsetzbar ist. Um die Fronteinheiten mit geeigneten Waffen auszurüsten, setzt man große Mengen der 7,5-Zentimeter- und 7,62-Zentimeter-Pak auf Selbstfahrlafetten. Diese bieten eine deutlich höhere Beweglichkeit gegenüber gezogenen Geschützen. Doch die vorhandenen Konzepte besitzen schwerwiegende Nachteile. Der Panzerschutz ist bei den Selbstfahrlafetten nur sehr schwach und bei der Pak überhaupt nicht vorhanden. Zudem handelt es sich bei beiden um defensive Waffen. Im direkten Vergleich sind Sturmgeschütze deutlich leistungsfähiger. Die gut gepanzerten und flachen Fahrzeuge können heran-
nahende Feindpanzer auch offensiv angehen und verfolgen. Deutlich erhöht man 1942 die Kampfkraft der Sturmgeschütze, indem man Langrohrgeschütze (7,5-Zentimeter-Sturmkanone 40 L/48) einbaut. Die Infanterie spricht sich dafür aus, die Produktionszahlen dieser Fahrzeuge zu erhöhen. Denn die Rolle des Sturmgeschützes ist faktisch längst eine andere. Aus der Feuerunterstützungswaffe hat sich ein neues Konzept entwickelt – der Panzerjäger oder auch Jagdpanzer.
Schwere Panzerjäger Aufgrund der veränderten Bedrohungslage reagiert die deutsche Rüstungsindustrie ab dem Jahr 1942. Nun beginnen Arbeiten an einem Geschütz mit stärkerem Kaliber. Aus der 8,8-Zentimeter-Flugabwehrkanone, die entgegen ihrer ursprünglichen Funktion auch im Erdkampf erfolgreich agiert, soll zunächst eine Panzerkanone entstehen. Die 8,8Zentimeter-Kampfwagenkanone (Kwk) 36 baut man 1942 in den neuen PzKpfw Tiger ein. Sie sollte seinen Ruf als gefürchtete Waffe begründen. Nun versucht die Artillerie, ihren Einfluss geltend zu machen. Musste diese Truppen-
JÄGER UND GEJAGTER: Ein klarer Durchschuss durch die 50 Millimeter starke Seitenpanzerung des Jagdpanthers traf sowohl Motor als Foto: NARA auch Kampfraum mit vernichtender Wirkung
UNTER ANSPANNUNG: Die Besatzung eines Jagdpanthers diskutiert die Lage mit einem Krad-Melder. Das lange Geschützrohr der 8,8-Zentimeter-Pak 43/3 ragt drohend über die Gruppe Foto: Sammlung Anderson
GESCHÜTZLOSER JAGDPANTHER: Die große Öffnung ist mit einer gläsernen Abdeckung versehen. Der Wagen diente vermutlich dazu, Fahrer auszubilden Foto: Sammlung Anderson
IN VOLLER FAHRT: Die schwere Panzerung sowie die durchschlagskräftige Kanone unterstreichen das offensive Konzept dieses Panzerjägers Foto: Historyfacts
Clausewitz 4/2017
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Militär und Technik | Jagdpanther AUFGESESSEN: Stolz präsentieren diese Soldaten ihren Jagdpanther. Das Fahrzeug zeigt den typischen ZimmeritBelag, der bis September 1944 Verwendung fand Foto: Sammlung Anderson
FRONTALANSICHT: Diese frühe Ausführung des Jagdpanthers zeigt das einteilige Geschützrohr und die geFoto: Historyfacts änderte Fahrersichtblende
AUFGEGEBEN: Ein Befehls-Jagdpanther der schweren PanzerjägerAbteilung 654. Dieser Panzer trägt das frühe einteilige Rohr der 8,8Zentimeter-Pak 43/3 Foto: Historyfacts
gattung noch 1940 hart um einen Teil der begrenzten Produktionskapazitäten kämpfen, sollen die Sturmgeschütze 1942 in größeren Stückzahlen vom Band laufen. Um die Durchschlagskraft der Sturmartillerie zu sichern, fordert man nun, mittelfristig das Tiger-Geschütz in das Sturmgeschütz oder ein Nachfolgemodell einzubauen. Doch dazu kommt es nicht. Denn die Produktionskapazität der Panzer-III-Wanne mit Einbau der Sturmkanone war ausgeschöpft. Zudem hatte die deutsche Industrie inzwischen ein leistungsgesteigertes Geschütz entwickelt: die 8,8-Zentimeter-Pak 43. Damit kann die Besatzung alle gegnerischen Panzer auf weite Entfernungen von bis zu 3.000 Metern bekämpfen.
Um diese enorm leistungsfähige Waffe auch offensiv nutzen zu können, geht man nun zweigleisig vor. Zunächst entwickeln die Ingenieure mit Fahrgestellen des verworfenen Porsche-Tigers ein schweres Sturmgeschütz, das den Einbau der 8,8-ZentimeterPak 43 unter maximalem Panzerschutz möglich macht. Während die Artillerieführung bereits die Aufstellung von zwei schweren Sturmgeschützabteilungen vorantreibt, schreitet Heinz Guderian als General der Panzertruppe ein. Er setzt schließlich durch, die neuen schweren Sturmgeschütze der Panzertruppe zu unterstellen. Umbenannt als schwere Panzerjäger (s PzJg), sollen die Fahrzeuge bei Kursk im Sommer 1943 in ihren ersten
dramatischen Fronteinsatz fahren. Aufgrund des technisch nicht ausgereiften PorscheFahrgestells bewährt sich der s PzJg Ferdinand jedoch nicht.
„Geburt“ des Jagdpanthers Parallel dazu beginnt man damit, ein Nachfolgemuster für den Tiger Ausf E mit einer stärkeren Panzerung und dem neuen Geschütz zu entwerfen. Fast zeitgleich zu diesen Plänen beschließt man im Sommer 1942, die kommende 8,8-Zentimeter-Pak 43 auf das Fahrgestell des neu entwickelten mittleren Panzers Panther zu montieren. Das Fahrgestell kann man ohne größere Änderungen übernehmen. Das schwere Geschütz montiert man in einen festen Kasematt-Aufbau. Es entsteht ein fast drei Meter hoher Panzer, zunächst auch als „s Sturmgeschütz“ bezeichnet. Die starke Panzerung von frontal 80 Millimetern und seitlich 50 Millimetern zeigt eine geschossabweisende Form. Damit erzielt man ein hohes Schutzpotenzial. Die Produktion des Panzerjägers Panther oder schließlich Jagdpanther läuft im Januar 1944 bei der Firma Mühlenbau und Industrie
TECHNISCHE DATEN
Jagdpanzer im Überblick Basiert auf Fahrgestell Gewicht Motor Leistungsgewicht V max Bewaffnung Durchschlag auf 2.000 m Frontpanzerung Gebaute Stückzahl
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Jagdpanther PzKpfw Panther 46 t 700 PS 15,2 PS/t 46 km/h 8,8 cm L/71 152 mm 80 mm > 400
M10 Tank Destroyer M4 Sherman 30 t diverse, bis 500 PS bis 16,6 PS/t 42 km/h 7,62 cm L/52 80 mm 40–50 mm 6.500
M18 Tank Destroyer Neues Modell 16 t 400 PS 25 PS/t 88 km/h 76 mm L/55 90 mm 25 mm > 2.500
M36 Tank Destroyer M 4 Sherman 30 t 500 PS 16,6 PS/t 42 km/h 90 mm L/50 150 mm 40–100 mm 1.700
SU-85 T-34 30 t 500 PS 17 PS/t 47 km/h 85 mm L/53 65 mm 45 mm 2.400
SU-100 T-34 32 t 500 PS 15,6 PS/t 47 km/h 100 mm L/58 125 mm 75 mm > 1.500 bis Kriegsende
Klagen über geringe Stückzahlen
DOKUMENT
„Panzerjäger“-Erfahrungsbericht Abteilungsgefechtsstand, 28.09.1944
„Bei den Angriffen auf den Brückenkopf Beringen, wo durch Spähtrupp und Meldungen der Infanterie mit starken Panzerkräften zu rechnen war, wurde aufgrund des Unterstellungsverhältnisses nur eine Sturmgeschütz-Kompanie eingesetzt. Als sich im Verlauf der Kämpfe zeigte, dass das Sturmgeschütz gegenüber den feindlichen Panzern nicht in jeder Lage durchschlagskräftig und ihnen zahlenmäßig unterlegen war, wurde die Panther-Kompanie ebenfalls dort eingesetzt. Dieser stückweise Einsatz führte zu starken eigenen Verlusten. Die Abteilung ist davon überzeugt, dass ein geschlossener, offensiv geführter Einsatz bei gemischtem Einsatz der StuG und Jagdpanther zur Vernichtung aller sich dort befindlichen Feindpanzer geführt hätte. Der Brückenkopf wäre zu bereinigen, die eigenen Ausfälle wesentlich geringer gewesen. In einem solchen Einsatz hätten die Jagdpanther die feindlichen Panzer vernichtet, die wendigen Sturmgeschütze die Nah- und Flankensicherung übernommen und dazu gedient, nach Vernichtung der feindlichen Panzer die Infanterie mit vor zu reißen.“ Auszug aus einem Erfahrungsbericht der schweren Panzerjäger-Abteilung 559 vom 28. September 1944
AG (MIAG) in Braunschweig an. Zunächst liefert man die Panzerjäger an schwere Panzerjägerabteilungen (s PzJgAbt) aus. Wie die Sturmgeschützabteilungen stehen diese auf Ebene der Heerestruppen zur Verfügung, damit man sie bei Schwerpunktbildungen gezielt einsetzen kann. Die Abteilungen bestehen offiziell aus drei Kompanien zu je 14 Jagdpanthern. Die Stabskompanie verfügt über weitere drei Befehlsjäger. Der geringe Ausstoß erlaubt nur Zuweisungen in kleinem Umfang. So kann man die ersten beiden Abteilungen, die s PzJgAbt 654 und 559, nur langsam und nicht vollständig auf die Sollstärke bringen. Später rüstet die Wehrmacht die s PzJgAbt 519, 560, 563, 616 und 655 ganz oder teilweise mit dem Jagdpanther aus, alle auf Heerestruppenebene. Weiterhin erhalten einige Einheiten des Heeres und der Waffen-SS wenige Exemplare (zwischen vier und 14 Fahrzeuge). Insgesamt produziert die Rüstungsindustrie etwa 400 Jagdpanther.
Seltener Anblick Die mit Jagdpanthern ausgestatteten Panzerjägerabteilungen besitzen einen beträchtlichen Kampfwert, zumindest auf dem Papier. Tatsächlich erreichen sie nicht ihre Sollstärke. Ein Beispiel dafür ist die schwere Heerespanzerjägerabteilung 654 (s HPzJGAbt 654). Clausewitz 4/2017
Diese Einheit erhielt als erste den neuen Panzerjäger. Zum 1. Juli 1944 meldet sie im Ausbildungslager Mailly-le-Camp in Frankreich einen Bestand von 25 Jagdpanthern. Damit ist laut Bericht die Feldverwendungsbereitschaft erreicht. Der Kommandeur erklärt zwei Kompanien zur Verladung bereit. Die 1. Kompanie wartet ohne Jäger im Lager und kann daher nicht ausbilden.
BEIM APPELL: Jagdpanther der 1./schweren Panzerjäger-Abteilung 654 im Oktober 1944 auf dem Truppenübungsplatz GrafenFoto: Historyfacts wöhr
Der Kommandeur sendet eine beunruhigende Nachricht: Allein um die Gefechtsbereitschaft der vorhandenen Jagdpanther herstellen zu können, ist die Erstausstattung an Ersatzteilen fast vollständig erschöpft. Bald stehen zwei Kompanien ohne entsprechendes Material im Feld. Die 1. Kompanie hingegen meldet noch im August 1944, dass keine Jagdpanther eingetroffen seien. Dies gelte auch für die unbedingt nötigen 18-Tonnen-Zugmaschinen. Anfang September 1944 berichtet der Kommandeur der Abteilung von dramatischen Zuständen. Der Einheit fehlen demnach unter anderem 22 Panzerjäger Panther (Jagd-
JAGDPANTHER (SDKFZ 173) 8,8-cm-PaK 43/3 L/71 leistungsstark, aber mit geringem seitlichem Richtbereich
MG 34 zur Selbstverteidigung
Zwei Einstiegsluken, eingeschränkte Beobachtungsmittel
50 mm starke Panzerung der Seitenwände
Schürzen gegen Beschuss durch Nahbekämpfungsmittel Schachtlaufwerk des Panthers ergibt überlegene Geländegängigkeit
80 mm starke Frontpanzerung bei geschossabweisender Neigung (55°)
Foto: NARA
s PzJgAbt 559
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Militär und Technik | Jagdpanther
UNVOLLENDET: Diese Jagdpanther wurden vermutlich im Werk Maschinenfabrik Niedersachsen Hannover (MNH) fotografiert. Die Foto: NARA Werkhallen sind stark zerstört AUSGESCHALTET: Ein US-Soldat inspiziert einen zerstörten Jagdpanther an der Westfront, Frühjahr 1945 Foto: ullstein bild – LEONE
GETROFFEN: Gegen Ende des Krieges muss die deutsche Seite erkennen, dass die amerikanische 90-Millimeter-Kanone die 80 Millimeter starke Frontpanzerung des Jagdpanthers durchschlagen kann Foto: NARA
panther), zehn Kübelwagen, sechs Kräder, neun 4,5-Tonnen-Lkw und drei 2-TonnenLkw (Maultier) sowie weitere Fahrzeuge. Damit ist die Werkstatt kaum einsatzbereit. Nach wenigen Wochen Einsatz im Westen ist die s PzJgAbt 654 (auch: s HPzJgAbt 654) materiell am Ende. Es gelingt im September 1944 gerade noch, die wertvollen Panzerjäger über die Seine zu retten. Der General der Panzertruppen West verlangt, den Verband sofort aufzufrischen.
Konzepte der Gegner Ausrüstung und Einsatzgrundsätze der alliierten Panzerjägereinheiten unterschieden sich zum Teil stark von der deutschen Seite. So sollen Panzerjäger (Tank Destroyer Batallions) gemäß der US-amerikanischen Tank Destroyer Doctrine angreifende Feindpanzer ausschalten. Herkömmliche Tanks wie der M4 Sherman sollen dagegen den Durchbruch der Infanterie begleiten beziehungsweise ermöglichen. Wichtig bei der Entwicklung der Tank Destroyer war eine hohe Beweglichkeit, die Bewaffnung sollte in einem offenen Drehturm lafettiert sein. Auf eine starke Panzerung verzichtete man. Als die amerikanischen Streitkräfte im November 1942 in Nordafrika landen, stehen M10 Wolverine Tank Destroyer bereit. Ihr 76,2-Millimeter-Geschütz stellt sich bald als zu leistungsschwach heraus, um Panther und Tiger wirksam bekämpfen zu können. Daher will man 1944 den M36 General Jackson Tank Destroyer einführen, der mit einer 90-Millimeter-Kanone ausgestattet ist. Sowohl M10 als auch M36 nutzen Komponenten des M4 Sherman, dessen Fahrgestell zuverlässig und robust ist. Zusätzlich entwickelt man den M18 Hellcat. Er ist auf
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einem eigenen kleinen Panzerfahrgestell aufgebaut und verfügt über eine 76-Millimeter-Kanone M1. Die Panzerung der US-Panzerjäger hält man bewusst gering. Für offensive Zwecke sind die Tank Destroyer nicht geeignet. Dafür sind sie technisch zuverlässig und beweglich. Man kann sie schnell an Brennpunkten einsetzen. In der Sowjetunion entwickelt man ab 1943 auf Basis des T-34 einen Kasematt-Panzer, der in seinen Konstruktions- und Einsatzprinzipien dem deutschen Sturmgeschütz ähnelt. Als SU-85 trägt er eine
SELBSTZERSTÖRUNG Wegen Kraftstoffmangel und leichten Schäden sprengen Besatzungen oft ihre liegen gebliebenen Jagdpanther.
Das 45-Tonnen-Gewicht und die konzeptionelle Eigenart des Kasematt-Einbaus sind jedoch nachteilig. Der Verzicht auf einen drehbaren Turm macht es schwer, den Gegner rasch anzuvisieren. Und beim Angriff muss man die grobe Richtung mit dem gesamten Fahrzeug einnehmen. Denn der seitliche Schwenkbereich beträgt nur elf Grad nach beiden Seiten. Auf plötzlich von der Seite auftretende Feinde kann die Besatzung daher nicht schnell reagieren. Schwenkt der Fahrer zur Seite, muss er zudem die Hauptstoßrichtung verlassen. Dies kostet wichtige Zeit.
Koloss mit Schwächen 85-Millimeter-Kanone, die sich für den Kampf gegen moderne Feindpanzer eignet. Gegen Ende des Krieges führt die Rote Armee den SU-100 ein. Er trägt ein 100-MillimeterGeschütz. Zwar verfügt die Kanone des Jagdpanthers nicht über ein 100-Millimeter-Kaliber wie der sowjetische SU-100. Ihre Feuerkraft ist dennoch enorm: Bei günstigen Verhältnissen erlaubt das Jagdpanther-Geschütz den erfolgreichen Kampf gegen feindliche Panzer bereits auf große Entfernungen. Der sehr hohe frontale Panzerschutz ist wichtig für den offensiven Einsatz. Das Fahrwerk ist sehr leistungsfähig und lässt hohe Geschwindigkeiten auch im Gelände zu.
Da die Besatzung kleinste Nachrichtungen des Geschützes durch ständige Lenkbewegungen unterstützen muss, sind das Seitenvorgelege, die Lenkbremsen und das Getriebe ständig überlastet. Befehlsgemäß muss ein hoffnungslos liegengebliebener Panzer gesprengt werden. Er soll nicht in Feindeshand gelangen. Vermutlich ist ein Großteil der Totalausfälle des – trotz geringer Stückzahlen – gefürchteten Giganten auf eigene Sprengung zurückzuführen. Thomas Anderson, Jg. 1958, ist als freier Autor tätig und arbeitet für verschiedene Zeitschriften und Verlage im In- und Ausland.
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Kriege, Krisen & Konflikte
EPISCH: Mehr als 100 Jahre ringen Rom und Karthago um die Vorherrschaft im Mittelmeer. Stets dominiert Rom – erst als Hannibal 218 v. Chr. die Alpen überquert, droht Rom der Zusammenbruch Abb.: akg/Kurt Miller/Stocktrek Images
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Die Punischen Kriege
264–146 vor Christus: Die Punischen Kriege zählen zu den berühmtesten Konflikten des Altertums. Am Ende erringt Rom einen triumphalen Sieg über den Rivalen Karthago – und steigt zur Weltmacht auf Von Daniel Carlo Pangerl
Clausewitz 4/2017
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Kriege, Krisen & Konflikte | Die Punischen Kriege
MARITIM AUSGERICHTETES MILITÄR: Zeichnung von Karthago – besonders der runde Kriegshafen sticht ins Auge und ist Sinnbild für die Abb.: Manuel Cohen/akg-images maritimen Ambitionen der nordafrikanischen Stadt
W
ir schreiben das Jahr 150 vor Christus: Seit mehr als 100 Jahren befinden sich Römer und Karthager nun im Kriegszustand. Hannibal, der Schrecken der antiken Welt, ist mittlerweile Geschichte. Nachdem dieser Feldherr Rom an den Rand des Untergangs gebracht hatte, verließ ihn das Schlachtenglück und trieb ihn in den Selbstmord. Der römische Senator Cato der Ältere wittert jetzt eine historische Gelegenheit, den hartnäckigen Gegner aus Nordafrika endgültig zu bezwingen. Er argumentiert: „Wer bürgt denn dafür, dass die Karthager mit ihrem Reichtum nicht eines Tages Krieger, Waffen und Schiffe kaufen und einen neuen Krieg auf Leben und Tod mit Rom beginnen? Rom kann erst ruhig schlafen, wenn Karthago vernichtet und sein Reichtum in römischen Händen ist.“ Daher beendet er jede Senatssitzung mit dem berühmten Spruch: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden
muss.“ (Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.) Vier Jahre später wird Catos Forderung Wirklichkeit: Die verhasste Stadt ist dem Erdboden gleichgemacht; auf die Bewohner, die das Blutbad überleben, wartet das harte Los der Sklaverei. Der Legende nach sollen römische Soldaten sogar Salz in die Äcker gestreut haben, um das Umland Karthagos auf ewig unfruchtbar zu machen. Wie aber schaffen es die Römer, diese Großmacht zu besiegen und die Hoheit über den Mittelmeerraum zu erlangen?
Pulverfass Sizilien Der Krieg zwischen Rom und Karthago entzündet sich an einem vergleichsweise unbedeutenden Ereignis. Schauplatz ist Sizilien. Hier unterhält König Agathokles ein Heer von Söldnern aus Kampanien (Süditalien): Sie nennen sich „Mamertiner“, auf Deutsch „Söhne des Kriegsgottes Mars“. Als Agathokles 289 vor Christus stirbt, schlagen diese
Krieger auf eigene Faust los, erobern Messana (heutiges Messina) und liquidieren die männliche Stadtbevölkerung. Der Adelige Hieron von Syrakus kann die plündernden Mamertiner besiegen und sichert sich selbst den Königstitel. Die Unterlegenen rufen zunächst Karthago, dann auch Rom um Hilfe.
Die Großmächte intervenieren Die Römer erklären die Mamertiner zu ihren Bundesgenossen und brechen nach Sizilien auf. Aber die Karthager reagieren schneller und besetzen Messana. Beide Großmächte streben jetzt nach der Vorherrschaft über die Insel. Daraus entwickelt sich ein langwieriger Konflikt, der von 264 bis 241 v. Chr. andauert: Er heißt „1. Punischer Krieg“, weil die Römer die Karthager und andere nordafrikanische Küstenvölker als „Punier“ bezeichnen. Dieser Krieg findet teils auf dem sizilianischen Festland, vor allem aber im Mittelmeer
CHRONOLOGIE
264–241 v. Chr.: 1. Punischer Krieg 264: Landung der Römer auf Sizilien 260: Seeschlacht bei Mylae, Nordküste Siziliens (Sieger: Rom) 256: Seeschlacht bei Kap Ecnomus, Südküste Siziliens (Sieger: Rom)
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255: Feldschlacht von Tunis (Sieger: Karthago) 249: Seeschlacht bei Drepanum, Ostküste Siziliens (Sieger: Karthago) 10.3.241: Seeschlacht bei den Ägatischen Inseln westlich von Sizilien; Rom siegt und zwingt Karthago zur Kapitulation
241: Friedensvertrag; Sizilien (ohne Syrakus) wird römische Provinz 238: Söldneraufstand; Karthago verliert Sardinien und Korsika an Rom 237: Hamilkar gründet das karthagische Kolonialreich in Südspanien
Zusammenprall zweier Supermächte ROBUST: Ein römisches Kriegsschiff, wie es gegen den karthagischen Rivalen im Einsatz gewesen ist Abb.: akg-images/Jean Soutif/Look at Sciences/ Science Photo Library
HINTERGRUND
Das Militär Karthagos Herzstück des karthagischen Militärs ist die gefürchtete „Heilige Schar“. Sie besteht aus 2.500 Bürgern der Stadt Karthago und ist vor allem in der Flotte tätig. Der Großteil der Soldaten sind jedoch Söldner. Sie stammen aus verbündeten oder unterworfenen Völkern, etwa den Libyern, Iberern, Sarden, Korsen und Kelten. Die ausländischen Kontingente behalten oft ihre landestypische Kampfweise bei, werden aber meist von karthagischen Offizieren angeführt. An der Spitze steht ein von der Heeresversammlung gewählter Feldherr. Er hat gleichermaßen den Oberbefehl über die Land- und Seestreitkräfte inne.
Der Schwerpunkt des Militärs liegt auf der Marine: Sie verfügt während der Punischen Kriege über zirka 50.000 Ruderer. In jener Epoche setzt Karthago besonders die Pentere (Quinquereme) ein – ein wendiges Schiff (Länge: 35 bis 45 Meter; Breite: fünf bis sechs Meter) mit fünf Ruderreihen und bewaffnet mit einer Balliste, die Bolzen mit einer maximalen Reichweite von 500 Metern präzise abfeuert. An Bord haben rund 300 Mann Platz. Die Infanterie wird in Form der Phalanx nach griechischem Vorbild organisiert. Dies ist eine dicht geschlossene, lineare und tief gestaffelte Kampfformation. Wäh-
rend der Punischen Kriege ergänzen leicht bewaffnete Verbände die massige Phalanx, was zu einer größeren Wendigkeit und taktischen Flexibilität führt. Hannibal nutzt diesen Vorteil geschickt in der Schlacht bei Cannae. Die Kavallerie gewinnt erst ab dem 3. Jahrhundert vor Christus an Bedeutung. Im 1. Punischen Krieg dominieren noch iberische und numidische Reiter; unter Hannibal stellen die Karthager dann auch einige Reiterverbände. Seit 262 vor Christus ist der Einsatz von Kriegselefanten bezeugt. Hannibal überquert mit 37 dieser Tiere sogar die Alpen.
ZWEI MÄCHTE, EIN MEER: Rom und Karthago vor den Punischen Kriegen (279 vor Christus) Abb.: Maximilian Dörrbecker
219–218: Belagerung von Saguntum nördlich von Valencia (Sieger: Hannibal)
218–201 v. Chr.: 2. Punischer Krieg Herbst 218: Hannibal überschreitet die Alpen und dringt in Italien ein
Clausewitz 4/2017
18.12.218: Schlacht an der Trebia, Emilia-Romagna (Sieger: Hannibal)
2.8.216: Schlacht bei Cannae, Apulien; Hannibal bringt Rom eine verheerende Niederlage bei
24.6.217: Schlacht am Trasimenischen See, Umbrien (Sieger: Hannibal)
214–212: Kämpfe um Syrakus auf Sizilien (Sieger: Rom)
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Kriege, Krisen & Konflikte | Die Punischen Kriege SCIPIO AFRICANUS
Roms Retter
Abb.: picture-alliance/CPA Media
Publius Cornelius Scipio Africanus (236–183 vor Christus) zählt zu den bedeutendsten Feldherren der Antike. Er stammt aus einem angesehenen römischen Adelsgeschlecht. Sein Vater kämpft während des 2. Punischen Krieges in Spanien und fällt 211 vor Christus. Nun übernimmt der junge Scipio den Oberbefehl über die spanischen Legionen. Dank seiner Erfolge steigt er bald zum wichtigsten römischen Militär auf. 202 vor Christus beendet er mit seinem Sieg über Hannibal den 2. Punischen Krieg. Bei seiner triumphalen Rückkehr erhält Scipio – wegen seiner Verdienste in Afrika – den Eh-
statt. Zu Beginn sind die Karthager eindeutig im Vorteil: Sie blicken auf eine Jahrhunderte lange Erfahrung in der Marine zurück und besitzen eine furchteinflößende Flotte. Die Römer unterhalten seit etwa 311 vor Christus Seestreitkräfte; deren Schlagkraft lässt jedoch zu wünschen übrig. Deshalb können karthagische Kriegsschiffe anfangs ohne nennenswerten Widerstand italienische Küstenregionen verheeren.
Rom wird zur Seemacht
FÄHIGER FELDHERR: Publius Cornelius Scipio Africanus gilt als der Bezwinger Hannibals. Bei Zama besiegt er die Karthager und beendet damit den 2. Punischen Krieg rentitel „Africanus“. 189 vor Christus besiegt er König Antiochus III. von Syrien, einen Feind Roms. Ein Versuch seiner Gegner im Senat, ihn wegen einer vermeintlichen Bestechungsaffäre politisch kaltzustellen, scheitert: Zu groß ist sein Rückhalt in der Bevölkerung. Bezeichnend ist das Urteil zweier römischer Poeten über Scipio: Cicero rühmt ihn als Volkshelden und Livius preist ihn als Retter Roms!
terfahren. Am äußeren Ende hat das Gerät einen Eisensporn in Form eines Schnabels – daher der Name. Dieser bohrt sich ins Deck des feindlichen Schiffes hinein, sodass die Legionäre zum Gegner hinüberstürmen können. Die römische Flotte vollbringt die Sensation: Bereits in der ersten großen Seeschlacht – 260 vor Christus bei Mylae – schlägt sie die
Während des gesamten 1. Punischen Krieges gelingt den Karthagern nur ein einziger Seesieg – bei Drepanum. Nach einer vernichtenden Niederlage bei den Ägadischen Inseln muss Karthagos Oberbefehlshaber Hamilkar kapitulieren. Den Inhalt des Friedensvertrags von 241 vor Christus überliefert der Geschichtsschreiber Polybios: „Die Karthager sollen sowohl Sizilien als auch alle Inseln räumen, die zwischen Italien und Sizilien liegen ... Sie sollen innerhalb von zehn Jahren 2.200 Talente Gold (rund 71 Tonnen!) bezahlen, unverzüglich aber 1.000 Talente. Sie sollen alle Kriegsgefangenen ohne Lösegeld den Römern zurückgeben.“ Folglich wird Sizilien Teil des Römischen Reiches – mit Aus-
Mögliche Alpenrouten Hannibals
206: Vertreibung der Karthager aus Spanien durch Scipio Africanus 203: Schlacht von Campi Magni bei Karthago (Sieger: Scipio Africanus) 19.10.202: Schlacht von Zama bei Karthago (Sieger: Scipio Africanus); Hannibal flieht ins Exil
149–146 v. Chr.: 3. Punischer Krieg
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Karthago verliert an Boden
KARTE
Die römischen Senatoren müssen einsehen, dass sie ohne konkurrenzfähige Flotte keine Aussicht auf einen Sieg haben. Und so kommt es zu einer bemerkenswerten Entwicklung: Binnen kürzester Zeit verwandelt sich Rom, bislang schwerpunktmäßig eine Landmacht, in eine Seemacht. 260 vor Christus gibt der Konsul Cornelius Scipio Asina den Bau von 100 Großkampfschiffen in Auftrag. Sie verfügen über eine wichtige technische Neuerung: den sogenannten „Raben“. Es handelt sich um eine Enterbrücke von zirka elf Meter Länge und einem Meter Breite, die am Schiffsbug befestigt ist. Die Seeleute können sie mit Seilzügen hinauf- und hinun-
146: Scipio der Jüngere erobert endgültig Karthago, das nun römische Provinz wird
Karthager. Vier Jahre später, nach ihrem Seesieg bei Kap Ecnomus, landen die Römer sogar an der Küste Karthagos, erleiden aber bei Tunis einen schmerzlichen Rückschlag. Das Schlimmste steht ihnen jedoch noch bevor: Sie geraten auf der Rückfahrt nach Sizilien in einen fürchterlichen Sturm. Bei dieser wohl größten Seekatastrophe der Antike sinken 300 der insgesamt 370 römischen Schiffe; etwa 100.000 Mann ertrinken. Die Überlegenheit der Römer hält dennoch an.
Abb.: picture-alliance/dpa-infografik
Roms gefährlichster Gegner
Hannibal: Roms Albtraum Nachdem er den Söldneraufstand niedergeschlagen hat, verlässt Hamilkar Karthago und gründet im Süden der iberischen Halbinsel ein Kolonialreich. Damit will er die erlittenen Gebietsverluste kompensieren und sich Einnahmequellen für einen neuen Kampf gegen die Römer sichern. Als Hamilkars Sohn Hannibal 221 vor Christus den militärischen Oberbefehl erhält, eskaliert die Situation: Er unterwirft die mit Rom verbündete Stadt Saguntum und überschreitet dann widerrechtlich den Ebro – der Fluss bildet die Grenze zwischen dem karthagischen Territorium im Süden und dem römischen Einflussbereich im Norden Spaniens. Die Römer beschließen, den Rivalen endgültig in die Schranken zu weisen. Somit beginnt 218 vor Christus der 2. Punische Krieg. Um einer möglichen römischen Attacke in Spanien oder Nordafrika zuvorzukommen, entscheidet sich Hannibal für einen Angriff auf Italien. Jedoch sieht sich Karthagos Flotte außerstande, in großem Umfang Truppen und Materialien über das Mittelmeer zu schiffen. Daher wählt Hannibal ein waghalsiges Vorgehen. Mit rund 50.000 Fußsoldaten, 9.000 Reitern und 37 Kriegselefanten durchzieht er Südfrankreich und überquert dann – vermutlich südwestlich von Turin – die Alpen. Die überrumpelten Römer versuchen die Invasoren zu stoppen, verlieren aber die ersten beiden großen Schlachten an der Trebia und am Trasimenischen See.
Rom drängt auf eine Entscheidung. Die Regierung stellt ein Heer von bislang nie erreichter Größe auf: sechs römische Legionen (40.000 Mann) sowie 40.000 weitere Soldaten von italienischen Bundesgenossen. Den Oberbefehl erhalten die Konsuln Lucius Aemilius Paullus und Gaius Terentius Varro. Am 2. August 216 vor Christus ereignet sich bei Cannae in Apulien eine denkwürdige Schlacht.
Die Cannae-Katastrophe Die Römer planen, mit der schieren Masse ihrer Truppen Hannibals Armee (40.000 Fußsoldaten und 10.000 Reiter) zu bezwingen. Aber sie rechnen nicht mit der genialen Taktik des karthagischen Feldherrn: Hannibal ordnet seine Truppen in einem Halbkreis an. Im Zentrum befinden sich die weniger zuverlässigen Kontingente, unter anderem keltische Söldner. Auf den Flanken positioniert Hannibal afrikanische Elitekrieger, ebenso die mächtige Kavallerie. Er nimmt den Rückzug seiner vordersten Linien billigend in Kauf und lockt damit die nachstoßenden Römer in eine Falle: Deren Legionäre geraten zwischen die Flanken der schlagkräftigen karthagischen Infanterie. Gleichzeitig neutralisieren keltische und iberische Reiter Roms Kavallerie und greifen dann die Legionen von hinten an. Von allen Seiten umzingelt, erleiden die Römer eine „LANDKRIEG“ ZUR SEE: Szene aus dem 1. Punischen Krieg – der „Rabe“ im Einsatz. Diese Erfindung ermöglicht es den römischen Legionären, ein karthagisches Kriegsschiff zu entern Abb.: akg-images/Peter Connolly
DIE BARKIDEN
Hannibals Familie Die Barkiden sind die berühmteste Dynastie des antiken Karthago. Ihr Stammvater ist Hamilkar (270–229 vor Christus), der den Beinamen „Barkas“ („der Blitz“) trägt. 247 vor Christus wird er Karthagos militärischer Oberbefehlshaber. Nach der Niederlage im 1. Punischen Krieg wandert Hamilkar mit einem Teil der karthagischen Streitkräfte nach DIE HOFFNUNG HEISST Spanien aus. Ihn begleiten seine Söhne HANNIBAL: Hannibal, Hasdrubal Der karthagische Feldherr und Mago, ebenso seine Tochter und deren und Staatsmann ist Roms Ehemann Hasdrubal. Auf der iberischen Nemesis Halbinsel errichtet er, nach blutigen Kämpfen gegen einheimische Stämme, ein Kolonialreich. Dessen Zentrum ist Leuke Akra (heutiges Alicante). Nach Hamilkars Tod wird der Schwiegersohn Hasdrubal sein Nachfolger. Jener erliegt 221 vor Christus dem Mordanschlag eines Sklaven. Jetzt schlägt die große Stunde von Hannibal (247–183 vor Christus), der das Kommando über die karthagischen Truppen in Spanien übernimmt. Indem er den Ebro überschreitet, löst er den 2. Punischen Krieg aus. Nach herausragenden Erfolgen sinkt Hannibals Stern. Die Niederlage bei Zama 202 vor Christus treibt ihn ins Exil. Als ihn die kleinasiatischen Bithynier, bei denen er sich zuletzt aufhält, an Rom ausliefern wollen, begeht er Selbstmord. Damit endet die Blütezeit der Barkiden.
Abb.: picture-alliance/akg
nahme der Stadt Syrakus, die ein selbstständiger Bundesgenosse bleibt. Drei Jahre später zetteln libysche Söldner in Karthago eine Revolte an. Rom nutzt diese Schwächephase seines Gegners kaltblütig aus, um sich die karthagischen Provinzen Sardinien und Korsika einzuverleiben.
Kriege, Krisen & Konflikte | Die Punischen Kriege HINTERGRUND
Karthago – eine antike Großmacht Karthago liegt an der nordafrikanischen Küste, etwa zehn Kilometer östlich des heutigen Tunis in Tunesien. Phönizische Siedler aus Tyros gründen die Stadt um 814 vor Christus. Die Phönizier sind ein semitisches Volk, das während der Antike hauptsächlich im heutigen Libanon und Syrien lebt. Die geografische Lage Karthagos (Halbinsel) erleichtert den Aufstieg zu einer Seemacht. Mit aggressivem Expansionsdrang bringt Karthago im Laufe der Zeit die westliche Hälfte des Mittelmeeres unter seine
vernichtende Niederlage. Die schreckliche Bilanz: 48.000 Gefallene und 24.000 Kriegsgefangene auf römischer Seite.
Scipios große Stunde Aber dieser Triumph erweist sich als „Pyrrhussieg“. Rom und seine Verbündeten denken nicht daran zu kapitulieren. Überdies leidet Hannibals Heer an chronischen Versorgungsengpässen. Zudem erweist sich Scipio, der später den Beinamen „Africanus“ erhält, auf römischer Seite als brillanter Feldherr. Er startet eine Offensive in Spanien und vertreibt die Karthager 206 vor Christus von der Iberischen Halbinsel. Schließlich holt Rom zum Gegenschlag aus: 204 vor Christus landet Scipio von Sizilien aus in Nordafrika. Sogleich fügt er Hannibals Bruder Hasdrubal bei Campi Magni nördlich von Karthago eine schwere Niederlage zu. Hannibal sieht sich gezwungen, Italien zu verlassen und den Kampf in seiner Heimat fortzusetzen. Aber die ersehnte Wende gelingt ihm nicht – er unterliegt Scipio in der Entscheidungsschlacht bei Zama. 202 vor Christus endet der 2. Punische Krieg. Im neuen Friedensvertrag formuliert Rom ver-
Kontrolle. Dank des Seehandels nimmt die Stadt einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Seit dem 4. Jahrhundert vor Christus ist Karthago die reichste Mittelmeerstadt und hat rund 400.000 Einwohner. Die Beziehungen zu den Römern gestalten sich zunächst friedlich. Das ändert sich ab dem Jahr 264 vor Christus mit den Punischen Kriegen. Diese kulminieren 146 vor Christus, als Römer Karthago zerstören. Heute erinnern nur noch Ruinen an die einstige Metropole.
schärfte Bedingungen. Zwar bleibt Karthago politisch weitgehend selbstständig und behält seine afrikanischen Besitzungen. Dafür muss es aber Spanien verloren geben, in großem Stil abrüsten, gewaltige Reparationen zahlen und Geiseln stellen. Erst 50 Jahre später wagt es Karthago, wieder militärisch aktiv zu werden, um den Expansionsdrang der Numider zu stoppen. Dieses Berbervolk ist jedoch ein Bündnispartner Roms. Die Verletzung des Friedensvertrags nimmt der römische Senat zum Anlass, die verhasste Großmacht endgültig zu vernichten. Folglich beginnt 149 vor Christus der 3. Punische Krieg. In den ersten beiden Jahren leisten die Karthager erbitterten Widerstand. Zum entscheidenden Akteur wird nun Scipio der Jüngere: der Adoptivenkel des Scipio Africanus erhält 147 vor Christus den Oberbefehl über die römischen Truppen. Er zerstört die Flotte von 50 Schiffen, die den Hafen von Karthago schützen soll, und belagert dann fast ein Jahr lang die Stadt. Von Hunger und Durst ausgezehrt, öffnet die Bevölkerung schließlich die Tore: Sie erwartet Mord und Plünde-
VERNICHTEND: Die Niederlage bei Cannae – hier das vermutliche Schlachtfeld in Apulien heute – ist eine der düstersten Stunden Roms Abb.: picture-alliance/dpa
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rung. Angeblich sechs Tage und sechs Nächte lang sollen die Römer gewütet haben. Das besiegte karthagische Reich wird zur römischen Provinz Africa proconsularis.
Eine Bilanz Die Punischen Kriege versetzen den antiken Mittelmeerraum für mehr als 100 Jahre in Aufruhr. Am Anfang ist ein römischer Sieg nicht abzusehen, denn die Stärke der Flotte spricht eindeutig für Karthago. Jedoch können die Römer ihre Schwäche in der Seekriegführung nicht nur innerhalb weniger Jahre kompensieren. Es gelingt ihnen sogar, den Feind mit den eigenen Waffen zu schlagen: Der serienmäßige Bau von mächtigen Kriegsschiffen, die äußerst diszipliniert agierenden Besatzungen sowie die Erfindung des „Raben“ erweisen sich als maßgebliche Faktoren, durch die Rom den 1. Punischen Krieg gewinnt. Gleichzeitig entwickelt die römische Oberschicht einen idealistischen Patriotismus, der egoistische Interessen in den Hintergrund treten lässt und den republikanischen Staat tatkräftig unterstützt. Der Triumph in der entscheidenden Seeschlacht bei den Ägadischen Inseln ist nur möglich, weil generöse private Spenden es erlauben, die römische Flotte beträchtlich aufzustocken. Der 2. Punische Krieg stellt Rom vor die größte Herausforderung seiner bisherigen Geschichte. Das zunächst unaufhaltsame Vorrücken Hannibals ist einerseits dem Wagemut und der strategischen Genialität dieses Feldherrn zu verdanken. Anderseits
ÜBERBLEIBSEL: Dieser Helm kommt bei der Schlacht von Cannae 216 vor Christus zum Einsatz Abb.: picture-alliance/ United Archives/TopFoto
Die totale Vernichtung Karthagos HINTERGRUND
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Schlacht um Neu Karthago Während des 2. Punischen Krieges belagert Scipio Neu Karthago (heute Cartagena) in Spanien. Die zahlenmäßig weit unterlegenen Verteidiger sind auf sich alleine gestellt und können den kombinierten Attacken der römischen Armee und Marine nicht lange standhalten
Militärmodelle Maßstab
1:87
Die Verteidiger, verstärkt durch die Stadtbevölkerung, versuchen mit Steinen und Pfeilen die Angreifer abzuwehren Hasdrubal, der Bruder Hannibals, verfügt über 25.000 Verteidiger. Er verliert beim Kampf um Neu Karthago 6.000 seiner Männer. 10.000 Karthager gehen in Gefangenschaft
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Scipio verfügt über 35.000 Mann. Die Zahl der römischen Opfer ist unbekannt Abb.: akg-images/Osprey Publishing/Ancient Siege Warfare 546-146 BC/Adam Hook
387.306 - PzKpfw III Ausf. G, Afrika
Durch einen Schildwall geschützt, können die Römer mit Äxten und Schwertern auf das Holztor einschlagen. Später öffnen in die Stadt eingedrungene Legionäre das Tor von innen
zeigen sich auch taktische Mängel in der römischen Kriegführung. Trotz deutlicher zahlenmäßiger Überlegenheit gehen die ersten Gefechte auf italienischem Boden verloren. Vor allem das Fiasko von Cannae zeigt das damalige Unvermögen, auf flexible Manöver der gegnerischen Kontingente angemessen zu reagieren. Somit kann Hannibal die massierten, aber starren Schlachtreihen seines Feindes einkesseln.
Das Heer wird reformiert Rom zieht aus dieser Erfahrung rasch Konsequenzen: Die Regierung bricht mit der Tradition, das Oberkommando auf die beiden Konsuln zu übertragen – die für je ein Jahr gewählten höchsten Reichsbeamten. An deren Stelle tritt jetzt ein spezialisierter Feldherr, der das Amt vorrangig wegen seiner militärischen Kompetenz erhält. Ein früher Repräsentant dieses neuartigen Typus ist Scipio Africanus, mit dem Hannibal erstmals einen gleichwertigen Gegenspieler erhält. Vor allem zwei Gründe sind es, die Hannibals Scheitern erklären. Zum einen schätzt er die politische Haltung der römischen Bundesgenossen in Süditalien falsch ein. Mit seiner Propaganda, er komme als Freund und wolle ihnen die Freiheit vom römischen Zentralstaat schenken, stößt er auf taube Ohren. Clausewitz 4/2017
Viele der römischen Leitern sind anfangs zu kurz für die hohen Wälle von Neu Karthago. Die zweite Angriffswelle kann die Stadt jedoch einnehmen
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Hannibal nach der Schlacht von Cannae zahlreiche Gefangene freilässt. Roms Verbündete bleiben loyal. Zum anderen entfesseln die Römer einen Mehrfrontenkrieg, der parallel auf dem italienischen Stiefel, auf Sizilien und auf der iberischen Halbinsel tobt. Diese Konstellation muss selbst einen Hannibal auf Dauer zermürben. Insbesondere Scipios Vorstoß nach Spanien zeigt eine verheerende Wirkung, denn er schneidet dem karthagischen Heer in Italien seinen lebenswichtigen Versorgungsweg ab. Jetzt können die Römer ihre überlegene Logistik gnadenlos ausspielen. Als Scipio dann überraschend in Nordafrika einfällt, wendet er den Verteidigungs- in einen Angriffskrieg. Nunmehr in die Defensive gedrängt, verliert der Hals über Kopf in die Heimat zurückgekehrte Hannibal die Schlacht bei Zama. Damit wird Karthagos Niedergang besiegelt. Dass die Römer noch einen 3. Punischen Krieg führen, ist nur folgerichtig: Indem es Karthago zerstört, beseitigt Rom einen erbitterten Rivalen und steigt zur dominierenden Weltmacht auf. Dr. Daniel Carlo Pangerl, Jg. 1983, ist Historiker aus Starnberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Antike und Mittelalter.
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Spurensuche | Wülzburg AUS DER VOGELPERSPEKTIVE: Blick auf die gut erhaltene Festung Wülzburg in Weißenburg in Bayern Foto: picture-alliance/(c)dpa-Report
Imposante Festungsanlage oberhalb Weißenburgs
Faszinierendes Fünfeck Sie gilt als einzigartiges Denkmal des Renaissance-Festungsbaus in Deutschland – die Wülzburg bei Weißenburg in Bayern. Die pentagonale Hohenzollernfestung weist viele spannende Besonderheiten auf Von Tammo Luther
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uf der mit rund 630 Metern höchsten Bergkuppe der südlichen Frankenalb thront oberhalb von Weißenburg eindrucksvoll die Hohenzollernfestung Wülzburg. Seit dem 11. Jahrhundert befand sich an dieser Stelle das Benediktinerkloster St. Petrus und Paulus, das im Zuge der Reformation zuerst in eine Probstei und 1537 in ein weltliches Verwalteramt umgewandelt wurde. Fünf Jahrzehnte später errichtet Markgraf Georg Friedrich der Ältere von Brandenburg-Ansbach hier aus Kalkstein eine pentagonale Festungsanlage mit fünf Bastionen im neuitalienischen Bastionärsystem (seit 1588 bis etwa 1610). Ein regelmäßiges Fünfeck bildet den Grundriss der Wülzburg. Diese pentagonale Ausrichtung bietet gegenüber den älteren quadratischen oder rechteckigen Anlagen bauliche Vorteile. Daher entscheidet man sich im späten 16. Jahrhundert für dieses Planschema, das zum Beispiel eine Verteidigung ohne tote Winkel erlaubt. Die Bastionen tragen jeweils einen Namen. Diese lauten: Jungfrau, Krebs, Rossmühle, Kaltes Eck
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und Hauptwache. Umgeben ist die Anlage von einem Trockengraben und einem gut erhaltenen Gedeckten Weg.
Wechselvolle Geschichte Die mehr als 400-jährige Geschichte der Hohenzollernfestung ist wechselvoll und von Höhen und Tiefen geprägt. Während des Dreißigjährigen Krieges übergibt man sie
kampflos an die kaiserlichen Truppen unter Tilly. Obwohl die Schweden sie belagern, bleibt sie unerobert und fällt nach dem Westfälischen Frieden von 1648 an Brandenburg-Ansbach zurück. Nach einem kurzen preußischen „Zwischenspiel“ im ausgehenden 18. Jahrhundert kommt die Festung dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Königreich Bayern. Anschließend führt man umfangreiche Baumaßnahmen durch, um die Bastionen und Gebäude weiterhin für militärische Zwecke nutzen zu können. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verliert sie ihren Festungsstatus und 1882 verkaufen die Besitzer einen Großteil der Anlage an die Stadt Weißenburg. Im Ersten Weltkrieg ist in der Festung ein Gefangenenlager eingerichtet, in dem unter anderem der spätere französische Staatspräsident Charles de Gaulle interniert wird. EiPROMINENTER „GAST“: Der spätere französische Staatspräsident Charles des Gaulle befand sich 1918 als Kriegsgefangener auf der Wülzburg Foto: picture-alliance/Photoshot
EINDRUCKSVOLL: Das prachtvolle Portal der seit 1588 errichteten Renaissance-Festung Wülzburg Foto: ullstein bild – CHROMORANGE/Erich Thielscher HINTERGRUND
Zur Festungsgeschichte 1588 Baubeginn der Festung 1631 Kampflose Übergabe an Tilly 1648/49 Rückgabe der Festung an Ansbach (nach dem Westfälischen Frieden) 1703 Gefängnis für politische Gefangene 1791 Die Festung fällt an Preußen 1806 Rückgabe an Bayern 1870/71 Lager für französische Kriegsgefangene Erster und Zweiter Weltkrieg: Die Festung wird erneut zum Gefangenenlager; auch Charles de Gaulle wird hier 1918 interniert. Nach 1945 wird die Wülzburg zum Flüchtlingslager für Tausende von deutschen Heimatvertriebenen. Seit 1949 Nutzung der Schlossflügel als Altersheim, Schullandheim, dann als Berufsschule.
ne Gedenktafel erinnert heute an seine Gefangenenzeit. Während des Zweiten Weltkriegs dient die Wehranlage als Internierungslager. Nach 1945 bietet die Wülzburg als Flüchtlingslager eine vorübergehende Zuflucht für Tausende von Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten. Eine Gedenkplatte erinnert an das Schicksal der geflohenen oder vertriebenen Zivilisten.
Wunderwerk der Technik Neben den architektonischen und historischen Besonderheiten weist die Wülzburg auch eine besondere technische Attraktion auf – den Tiefen Brunnen. Er befindet sich im Westflügel des Schlossbaus und stellt ein wahres Wunderwerk der Technik dar. Mit
Kontakt Hohenzollernfestung Wülzburg 91781 Weißenburg i. Bay.
[email protected] Der Außenrundgang und der Innenhof der Festung sind jederzeit zugänglich. Führungen durch die Festungsanlage, die Wehrmauern, Bastionen und zum Tiefen Brunnen finden jeweils von Mai bis Ende Oktober (witterungsabhängig) statt. Weitere Informationen: www.weissenburg.info
Clausewitz 4/2017
ZUR ERINNERUNG: Gedenktafel für die ab 1946 im Flüchtlingslager Wülzburg untergebrachten Heimatvertriebenen. Foto von 2002 Foto: Archiv CLAUSEWITZ
FRONTAL: Blick auf die Bastion „Hauptwache“ der Wülzburg Foto: ullstein bild - CHROMORANGE/Erich Thielscher
WEHRHAFT: Gedeckter Weg (links oben), Graben und Bastionsmauern beziehungsweise Festungswälle
unvorstellbar großem Arbeitsaufwand trieb man eine kreisrunde Röhre mit einem Durchmesser von 2,5 Metern senkrecht in den Felsengrund. Ein stets laufender Brunnen gewährleistete die Versorgung von Mensch und Tier und war für eine Wehranlage überlebenswichtig. Der um das Jahr 1600 angelegte Wülzburger Brunnen ist nach neuesten Messungen 143 Meter tief. Schüttet man Wasser ein, dauert es mehr als elf Sekunden, bis das Nass auf dem Wasserspiegel aufschlägt. In der Rangliste deutscher Brunnentiefen steht dieser Brunnen damit weit oben. Es war eine beschwerliche Arbeit, das Wasser zu fördern. So musste das Hebewerk auf der Wülzburg von zwei Personen bedient werden. Und um ein Behältnis mit 100 Litern nach oben zu befördern, benötigte
Foto: ullstein bild – CHROMORANGE/Erich Thielscher
man rund 40 Minuten. Das entspricht etwa 70 Radumdrehungen des Hebewerks.
Touristische Attraktion Nicht nur für (militär-)historisch und technisch Interessierte ist ein Besuch der reizvoll gelegenen Festung lohnenswert. Auch als Ausgangspunkt, Zwischen- oder Endziel für Wanderungen eignet sich die altehrwürdige Anlage hervorragend. So bildet sie beispielsweise eine Etappe auf dem „Frankenwanderweg“. Der Außenrundgang um die mächtigen Bastionen ist eine wundervolle, gut begehbare Alternative. Von den verschiedenen Aussichtspunkten kann man bei entsprechender Wetterlage die weite Sicht genießen. Das Motto für die Wülzburg lautet nicht ohne Grund: „Tiefer Brunnen, weite Sicht – die Festung über der Stadt.“
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Militär und Technik | Küstenraketen
Küstenraketen der Volksmarine
Startschuss zur Revolution 1960er-Jahre: Die Volksmarine der DDR führt moderne Küstenraketenkomplexe ein, die die NATO im Ernstfall in Bedrängnis gebracht hätten Von Dieter Flohr
E
s ist Spätsommer 1964. Unser Kübelwagen P3 rumpelt über schmale Waldwege der Granitz auf der Insel Rügen. Irgendwo hier im Wald zwischen Binz und Sellin stehen Küstenraketen der Volksmarine in ihrer geheimen Stellung. Und wir sind mit Filmkamera und Fotoapparat dabei, ich selbst im Rang eines Oberleutnants (Ing.) als Leiter der Bildstelle im Kommando der Volksmarine. Vor uns fährt die Pkw-Kolonne mit der Führung der Volksmarine und geladenen Gästen von Partei und Rat des Bezirkes Rostock. Wir passieren einige mit Posten gesicherte Schlagbäume und erreichen eine Lichtung. Staunend stehen wir vor einer neuartigen Waffe: einer Küstenrakete des Typs „Sopka“. Das Projektil liegt auf einer schräg in Richtung Ostsee zeigenden Rampe. Daneben und im Hintergrund stehen getarnte Gefechtsfahrzeuge. Eine Radarantenne dreht sich lautlos. Davor steht ein Trupp in Kampfanzügen und mit Stahlhelmen. Es folgt die Meldung an den Befehlshaber. Dann kommt die lässige Handbewegung. Es ist Übungsbeginn. Laut bellen die Vorgesetzten ihre Befehle. Die Männer laufen auseinander. Einige Soldaten erklimmen die Rakete, die optisch wie ein Jagdflugzeug MiG-15 anmutet. Sie drehen Regler an verschiedenen Stellen, kurbeln die Rampe von Hand in vorbestimmte Höhen- und Seitenwinkel und ge-
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AUSGEMUSTERT: Die Volksmarine stellt den Küstenraketenkomplex „Sopka“ mit seinen Raketen S-2 in den frühen 1970er-Jahren außer Dienst Foto: Dieter Flohr
hen schließlich in Deckung. Dann schießt plötzlich ein mächtiger Feuerstrahl aus dem Heck der Rakete. Es zischt und qualmt. Aber sie bleibt, wenn auch zitternd, auf der Rampe liegen. Dann erlischt der Feuerstrahl. Die Demonstration ist zu Ende, die Zuschauer sind beeindruckt.
Streng geheim Der Admiral lächelt zufrieden. Er weiß, dass die Rakete im Ernstfall, von einem Funkleitstrahl gelenkt, eine Flugstrecke von bis zu 70 Kilometern zurücklegen kann. Dann würde sie aus der Höhe ein zuvor ausgewähltes Radarziel auffassen, sich bis auf wenige Meter über dem Meeresspiegel senken und auf das ausgewählte Ziel stürzen. Es läuft eine groß angelegte Flottenübung der DDR-Marine. Alleiniger Befehlshaber ist der neue Chef der Volksmarine, Wilhelm Ehm. Er ist erst wenige Tage vor dem Manö-
ver von seinem Zweijahres-Lehrgang an der Seekriegsakademie in Leningrad zurückgekehrt und sprüht vor Tatendrang. Für diese Übung setzt man alles ein, was die Volksmarine aufbieten kann: Minenabwehr-, U-Jagd-, Schnellboote, Landungsund Küstenschutzschiffe. Der Schwerpunkt liegt wie so oft darauf, ein Landungsgeleit zu überführen und ein Mot.-Schützenbataillon am Strand von Prora anzulanden. Und auf eben dieses Landungsgeleit weit draußen auf See war die Übungsrakete S-2 „Sopka“ gerichtet. Da das Szenario streng geheim ist, tritt der oberste Offizier der Militärabwehr auf uns zu und verlangt, dass wir das Filmmaterial herausgeben. Da hat sich selbst der Chef der Volksmarine wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt, als er uns mitnahm. Er schreitet aber nun auch nicht ein. Ein Küstenraketenkomplex „Sopka“ (4K-87) der Volksmarine umfasst mehr als
SCHUSSGEWALTIG: Start einer Rakete P-21 des Komplexes „Rubesh“ während eines Schießtrainings auf dem Olygon in Baltijsk (ehemals Pillau). Mit „Rubesh“ hielt die NVA einen mächtigen Trumpf in der Hand Foto: Sammlung Lothar Schmidt
KÜSTENVERTEIDIGER: Das Raketenschnellboot Otto Tost („Projekt 205“) ist mit Raketen vom Typ P-15 ausgerüstet Foto: ullstein bild – ADN-Bildarchiv
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30 Spezialfahrzeuge auf Ketten und Rädern. Diese Tatsache stellt sich bald als Mobilitätsproblem heraus. Auch ist die erwünschte absolute Geheimhaltung allein durch den Anmarsch des Fahrzeugkonvois in die vorbereiteten Stellungen kaum möglich. Vorgesehen ist, mit diesem umfangreichen Fuhrpark in Spannungsphasen jeweils pioniermäßig ausgebaute Stellungen an der Küste zu beziehen. Von diesen aus will man das gesamte Küstenvorfeld von der Lübecker Bucht, dem Fehmarnbelt bis zum Öresund, Arkonasee und der Insel Bornholm erreichen. Faktisch könnte man somit jeden in die Ostsee einlaufenden Schiffsverband der NATO beziehungsweise der Bundesmarine aus einer gedeckten Küstenstellung heraus bekämpfen. Dieses Szenario übt man daher auch regelmäßig, unter anderem im Manöver „Waffenbrüderschaft 70“. Im Rahmen dieser Übung feuert man sogar zwei Küstenraketen ohne Gefechtskopf zu Demonstrationszwecken in Richtung See ab. Die Rakete erreicht mit annähernder Schallgeschwindigkeit eine maximale Entfernung von 95 Kilometern. Die Flughöhe beträgt 300 bis 400 Meter. Vor dem Ziel fliegt sie nur noch wenige Meter über der Wasseroberfläche. Dies macht eine Abwehr beinahe unmöglich. Die Gefechtsladung der Rakete S-2 besteht aus 600 Kilogramm Sprengstoff TNT. Die S-2 besitzt ein
Turbo-Flüssigkeitstriebwerk (Kerosin) und ein Feststoff-Starttriebwerk, das sie Sekunden nach dem Start abwirft.
Der NATO voraus? Die Volksmarine verfügt damit über moderne Küstenraketen, die Überwasserschiffskräfte effektiv bekämpfen können. Eine S-2 ist in der Lage, ein Schiff von der Größe eines Zerstörers zu vernichten. Im scharfen Schuss auf dem Schießpolygon in der Nähe von Baltijsk (ehemals Pillau) erzielen alle in den Jahren 1964, 1965, 1967 und 1996 gestarteten S-2 Volltreffer in den kleinen, vor der Küste verankerten Seezielscheiben. Für den Seetransport der gesamten Ausrüstung muss man aber jeweils bis zu drei mittlere Landungsschiffe (Typ Robbe) bereitstellen. Zeitweise ist die Volksmarine im Verbund mit ihren 15 Raketenschnellbooten „Projekt 205“ (NATO-Code: OSA I) mit den jeweils vier Raketen P-15 (NATO-Code: Styx) gegenüber der NATO waffenmäßig im Vorteil. Die Einheit unterstellt man aufgrund ihrer Bedeutung direkt dem Chef der Volksmarine. Sie heißt Spezial-Küstenartillerie-Abteilung 18 (SKA-18). Doch der Westen zieht relativ schnell nach und beschafft ebenfalls Schiff-Schiff-Flugkörper beziehungsweise Luft-Boden-Raketen wie „Exocet“ und „Kormoran“ mit großer Reichweite.
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Militär und Technik | Küstenraketen
BEIM MANÖVER: Start einer Rakete P-21 während eines Gefechtsschießens in Pillau (Russisch: Baltijsk) Foto: Lothar Schmidt
WÄHREND EINER ÜBUNG: Matrosen hieven eine Schiff-Schiff-Rakete P-15 mithilfe eines Drehkrans an Bord eines Raketenschnellbootes der Volksmarine Foto: picture-alliance/©dpa-Report
Im Jahr 1972 läuft die Nutzungsfrist des „Sopka“-Komplexes, vor allem der Rakete S-2, ab. Ein nachfolgender Seezielkomplex ist noch nicht vorhanden. Die Sowjetunion drängt daher darauf, die Küstenraketen länger zu nutzen. Doch die Führung der Volksmarine beschließt, die Raketen außer Dienst zu stellen und die SKA-18 aufzulösen. Mit dem Ende der SKA-18 hat die Volksmarine wichtige Fähigkeiten eingebüßt. Es ist dann wahrscheinlich der besonderen Zuneigung von Vizeadmiral Ehm zum Flotten-
admiral der Sowjetunion Sergei Georgijewitsch Gorschkow – oder umgekehrt – zu verdanken, dass der hochrangige Sowjetoffizier auf diesen Umstand aufmerksam wird. Gorschkow, der zu den eigentlichen „Machern“ der strategischen Hochseeflotte seines Landes zählt, verfolgt folgendes Ziel: Er will in einem „Ernstfall X“ schon wenige Tage nach Ausbruch der Kämpfe die Ostseeausgänge beherrschen, mit den Hauptkräften der Baltischen Flotte zur Nordsee und in die Kanalzone durchstoßen und mit
diesen Kräften im Verbund mit der Nordflotte im Atlantik operieren. Dadurch soll die Marine den über See anrollenden Nachschub der NATO behindern oder gar unterbinden. Die konventionellen Armeen des Warschauer Vertrages würden derweil, so der Plan, Kap Skagen, die Atlantikküste und die Pyrenäen innerhalb von höchstens sieben bis zehn Tagen erreichen. Und tatsächlich erwirkt Gorschkow den Beschluss, der Volksmarine noch vor anderen Flotten die ersten Startrampen des Küstenraketenkomplexes (KRK) „Rubesh Ä“ zu übergeben. Der DDRVerteidigungsrat entscheidet schließlich, den KRK „Rubesh“ anzuschaffen. Dieser mit der Rakete P-21/22 ausgerüstete Komplex hat die Aufgabe, Seeziele im Küstenvorfeld zu bekämpfen. 1979 zunächst auf dem Dänholm
TECHNISCHE DATEN
Küstenraketenkomplex „Rubesh“ Anzahl 1990 Länge Breite Höhe Höhe mit ausgefahrener FuM-Antenne Spurbreite Wattiefe Steigfähigkeit Kraftstoffverbrauch Aktionsradius Leistung Höchstgeschwindigkeit des Kfz Gewicht mit Raketen Bedienung Gefechtsmasse der Startrampe Anti-Schiff-Lenkwaffe Kampfsatz Flughöhe Reichweite der Raketen
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10 13,5 m 3,15 m 4,05 m 7,2 m 2.375 mm bis 1.300 mm 30 (65) Prozent 125 l auf 100 km 650 km 525 PS (386 KW) 60 km/h 40,2 t 5 Mann 43,5 t P-21/P-22 4 Raketen 25 bis 50 m 8–80 km (bei P-22 = 100 km)
OHNE RAKETEN: Blick in die geöffneten Startcontainer eines „Rubesh“Komplexes Foto: Lothar Schmidt
Vernichtung von Seezielen
HOHER BESUCH: Der Minister für Nationale Verteidigung Heinz Keßler (links) betrachtet ein Schema, das die Reichweiten der Raketen P-21/22 zeigt (Bildmitte: Admiral Theodor HoffFoto: Peter Seemann mann, Chef der Volksmarine)
HANDARBEIT: Eine Flügelrakete der Klasse Schiff-Schiff P-15 wird in der Regelstelle der Volksmarine auf ihren Einsatz an Bord vorbereitet Foto: Sammlung Dieter Flohr
bei Stralsund unter Fregattenkapitän Kurt Stippkugel aufgestellt, verlegt man die entsprechende Einheit wieder an den alten Standort Gelbensande/Schwarzenpfost bei Rostock.
Beachtlicher Wurf In den frühen 1980er-Jahren stellt die Volksmarine das Küstenraketenregiment 18 (KRR18) auf. Kommandeur ist der erfahrene ehemalige Kommandant und Brigade-Chef der Raketenschnellboote „Projekt 205“, Kapitän
ein Waffenleit-Maat, und ein Militärkraftfahrer. Schon nach wenigen Monaten ist das Regiment „gefechtsbereit“, wenngleich längst noch nicht alle SSR (zwölf sind geplant) eingetroffen sind. Beim Schießabschnitt in Baltijsk erzielt das KRR-18 mit zwei gestarteten P-21 zwei Volltreffer. Der Raketenkomplex „Rubesh“ ist ein beachtlicher Wurf der sowjetischen Rüstungsindustrie und zu diesem Zeitpunkt einmalig in der Welt. Faktisch ist alles, was für den Einsatz der Raketen erforderlich ist, in einem
„Bei eigenen als auch bei späteren Versuchen der US-Navy, die Flugkörper mittels konventioneller Artillerie oder sogar Fla-Raketen zu vernichten, konnten keinerlei Erfolge erzielt werden.“ Kapitän zur See a. D. Lothar Schmidt über den Küstenraketenkomplex „Rubesh“
zur See Lothar Schmidt. Für das Personal stehen sowohl Absolventen der Höheren Kaspischen Offiziersschule „S.M. Kirow“ in Baku als auch ehemalige Angehörige der Raketenschnellbootsbrigade sowie des Raketentechnischen Dienstes zur Verfügung. In rascher Folge führt man nach 1980 die Selbstfahrenden Startrampen (SSR) zu. Man errichtet Werkstätten, Lager, Bunker und Kasernengebäude sowie Wohnungen. Fünf Mann bedienen eine SSR: ein Offizier (Kommandeur), ein Berufs-Unteroffizier als FunkMess-Waffenleittechniker, ein E-Mechaniker, Clausewitz 4/2017
hochmobilen Gefechtsfahrzeug MAZ-543M vereint: die Stromversorgung (Turbine), eine starke Funkmessanlage (auf 7,20 Meter ausfahrbar), das Abfragegerät der FreundFeind-Kennungsanlage (FFK) „Nichrom“, die Waffenleitanlage „Korall“, die Nachrichtenanlage und ein schwenkbarer Doppelcontainer mit zwei Raketen. LANGE DIENSTZEIT: Wilhelm Ehm, Chef der Volksmarine von 1959 bis 1961 und 1963 bis 1987 (Admiral seit 1977) Foto: picture-alliance/©ZB-Fotoreport
Die Funkmessantenne der SSR erfasst Ziele bereits in Entfernungen von rund 100 Kilometern. Das System ist hochmobil und kann überall entlang der Küste zum Einsatz kommen. Man bevorzugt pioniermäßig ausgebaute Startstellungen bei Kühlungsborn, auf dem Darß und am Kap Arkona auf Rügen. Zusätzlich umfasst jede SSR Sicherstellungsfahrzeuge, einen schweren Lkw KrAZ-255B mit zwei Raketen und weitere Versorgungsfahrzeuge. Nachrichtentrupps und Nachschubeinheiten stehen hinter der Startstellung bereit.
Punktgenaue Treffer Die Flugkörper selbst hat man aus der bewährten Rakete P-15 weiterentwickelt. Sie verfügen nun über die doppelte Reichweite, klappbare Flügel, einen selbstzielsuchenden Radarkopf (P-21) oder einen Infrarotziel-
Militär und Technik | Küstenraketen
IM JAHR 1989: Anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR übergab der Minister für Nationale Verteidigung Heinz Keßler dem Küstenraketenregiment 18 „Waldemar Verner“ ein Ehrenbanner des Zentralkomitees der SED, das die Soldaten anschließend im Vorbeimarsch mit sich führen Foto: Peter Seemann
HINTERGRUND
Flügelraketen für den Küstenschutz suchkopf (P-22). Sie können ein 80 Kilometer entferntes Ziel mit einer Geschwindigkeit von fast 1.100 km/h punktgenau treffen. Der kumulative Sprengkopf besitzt eine Ladung von 360 Kilogramm TNT. Ein Einsatz von Nuklearsprengköpfen mit bis 15 Kilotonnen soll theoretisch möglich sein.
Abwehr ist kaum möglich Die Startstellung selbst sichert man durch ebenfalls entfaltete regimentseigene Fla-Raketen des Typs „Strela“. Der sowjetische Verbündete hat eine Regimentsstruktur mit drei Küstenraketenabteilungen (KRA) vorgegeben, von denen bis zur Wendezeit zwei aufgestellt sind. Diese verfügen über jeweils zwei Startbatterien (zwei SSR). Als Treibstoff der Raketen dient wie bei der Schiff-SchiffRakete P-15 ein hochtoxischer Zwei-Komponenten-Mix aus Samin und einem Oxidator, Melange genannt. Die Seezielrakete P-21 startet mithilfe eines Boosters, einer kleinen Feststoffrakete mit kurzer Brenndauer. Diese Starthilfe wird nach Sekunden abgeworfen, während das Projektil genau auf das ausgewählte Ziel zusteuert, bis der integrierte Radarkopf in der
Sowjetische Spezialisten entwickeln die Küstenrakete S-2 des Komplexes „Sopka“ in den 1950er-Jahren – auch auf der Grundlage deutscher Erfahrungen. Als Vorbild galt die deutsche Flügelbombe Fieseler Fi 103 (V1), die die Wehrmacht jedoch im Zweiten Weltkrieg vor allem gegen Landziele eingesetzt hat. Die Sowjetunion benötigt allerdings aufgrund ihrer schwach entwickelten Hochseeflotte eine Waffe, um sich wirksam gegen die Bedrohung ihrer Küsten von See aus zu schützen. Daher liegt es nahe, zunächst eine Art ferngesteuertes Flugzeug als See-
letzten Flugphase die Rakete steuert. Er lenkt das Geschoss dann auf einer Höhe von etwa zwei bis vier Metern über dem Meeresspiegel ins Ziel. Die Such- und Lenkköpfe geben Steuersignale an die Rakete. Selbst wenn das fahrbare Ziel noch auszuweichen versucht, folgt ihm die anfliegende Rakete. Die Treffwahrscheinlichkeit liegt bei mehr als 80 Prozent. Eine erfolgreiche Abwehr ist kaum möglich. Um eine funkelektronische Abwehr zu verhindern, nutzen alle Raketen unterschiedliche Frequenzen.
AUF DEM MARSCH: Eine selbstfahrende Startrampe der Volksmarine als Teil der Küstenverteidigung der DDR in einem Waldgebiet nahe der Ostsee Foto: Lothar Schmidt
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zielrakete zu verwenden. Dies erklärt auch die Ähnlichkeit des Projektils mit dem Jagdflugzeug MiG-15. Als sich die DDR-Seestreitkräfte in den Warschauer Vertrag integrieren, ist es aus Sicht des Bündnisses sinnvoll, diese Waffe auch an den Küsten der südwestlichen Ostsee zu stationieren. Ende 1962 stellt daher die Volksmarine die Spezial-KüstenartillerieAbteilung (SKA) in Kühlungsborn auf. Dieser führt man kurzfristig zwei schwere Startrampen „Sopka“ und eine größere Anzahl von Flügelraketen S-2 zu und stationiert sie schließlich in Schwarzenpfost bei Rostock.
Im Objekt Schwarzenpfost unweit von Rostock lagert man insgesamt 73 Raketen P-21/22 ein. Weitere 23 Exemplare sind ausgelagert. Kurios ist, dass die UdSSR noch im März 1990 zwei der letzten vier ausstehenden SSR „Rubesh“ aus dem Werk Uralsk anliefert. Das Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der DDR will diese an der Grenze in Frankfurt/Oder zurückweisen. Die sowjetische Seite verweist jedoch energisch auf die noch gültigen Verträge. Schließlich einigt man sich darauf, die ersten zwei „Rubesh“ zu übernehmen und die beiden ausstehenden dann doch zu stornieren. Bei der Übergabe des Regiments an die Bundesmarine 1990 sind daher zehn „Rubesh“ vorhanden, die man jedoch nicht weiterverwendet. Dagegen befindet sich „Rubesh“ modifiziert noch immer in den Beständen Bulgariens, Kubas, Rumäniens, Russlands, Syriens und der Ukraine. Dieter Flohr, Jg. 1937, Fregattenkapitän (Ing.) a. D., Militärjournalist, Herausgeber und Autor von mehr als 20 Sachbüchern und Almanachen mit Schwerpunkt Deutsche Militärgeschichte, Marine, Luftfahrt.
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Menschen & Geschichten
MIT NACHDENKLICHEM BLICK: Porträtfoto Halders von Kriegsberichterstatter Walter Frentz aus dem Jahr 1942 Foto: ullstein bild – Walter Frentz
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Generaloberst Franz Halder
Des Teufels Berater September 1938: Franz Halder wird Generalstabschef des Heeres und erreicht den Höhepunkt seiner Militärkarriere. An der Seite des „Führers“ ist er dessen maßgeblicher Berater – doch er beginnt auch, an Hitlers Zielen zu zweifeln Von Lukas Grawe
AN DER SEITE DES „FÜHRERS“: Franz Halder (rechts) während einer Lagebesprechung mit Hitler, Februar 1942. Verhält sich Halder zunächst regimetreu, wachsen allmählich seine Zweifel – mit dramatischen Konsequenzen Foto: ullstein bild – Walter Frentz
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Menschen & Geschichten | Franz Halder
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n kaum einer anderen Feldherrnbiografie vereinigen sich derart viele Widersprüche. In kaum einer anderen Soldatenkarriere wechseln sich Höhe- und Tiefpunkte so häufig ab wie bei Franz Halder. Aus dem bürgerlichen Milieu Bayerns stammend, ist Halder alles andere als der Idealtypus des in der Tradition von Offizieren wie Clausewitz, Scharnhorst und Moltke stehenden Generalstabschefs. In seinem Amt ist er einflussreicher Beteiligter im militärischen Schaltzentrum der Macht. Doch steht er der NS-Ideologie und dem Hitler-Regime kritisch gegenüber. Gleichwohl setzt auch Halder verbrecherische Befehle in die Tat um und lässt sich vom „Führer“ in die operativen Planungen hineinreden.
Vertrauter der Alliierten Seine Nähe zum Widerstand führt schließlich dazu, dass die Machthaber ihn verhaften, worauf eine Odyssee zwischen mehreren Konzentrationslager folgt, bis der amerikanische Kriegsgegner ihn schließlich befreit. Nach dem Krieg gelingt es Halder als einem der wenigen Wehrmachtsgeneräle, das Vertrauen der Alliierten zu gewinnen. Als Leiter der „Historical Division“ obliegt ihm die Deutung der Geschichte der bewaffneten Macht des „Dritten Reichs“, wobei er die Legende der „sauberen“ Wehrmacht verbreitet, die von den Verbrechen der Einsatzgruppen nichts gewusst habe.
IN DÖBERITZ: Franz Halder beobachtet als Generalstabschef des Heeres mit dem „Führer“ (links im Bild versetzt hinter Hitler) und hochrangigen Offizieren ein Manöver der Infanterieschule Foto: ullstein bild – ullstein bild
Als Sohn eines bayerischen Offiziers kommt Franz Halder am 30. Juni 1884 in Würzburg zur Welt. Die Eltern erziehen ihn evangelisch-lutherisch. Seine Schulbildung erhält er nicht in einer Kadettenanstalt, sondern auf einem humanistischen Gymnasium – ein Umstand, auf den das Interesse Halders an Literatur, Musik und Kunst zurückzuführen ist. Bereits als 18-Jähriger tritt er in die bayerische Armee ein. Sein militärisches Talent fällt rasch auf, sodass Halder 1911 die bayerische Kriegsaka-
demie besuchen darf. Diese ebnet den Weg in den bayerischen Generalstab. Nach dreijähriger Ausbildung übernimmt ihn die Militärbehörde als einen der Besten seines Jahrgangs, ehe der Erste Weltkrieg die Laufbahn des jungen Offiziers weiter vorantreibt. Aufgrund seiner herausragenden Leistungen dient Halder in der Folgezeit ausschließlich in Stäben. Deshalb muss er auch nicht am grausamen Grabenkrieg teilnehmen. Als Generalstabsoffizier in der Heeresgruppe des bayerischen Kronprinzen Rupp-
„BLITZKRIEG“: Der von Halder als Generalstabschef des Heeres mitgeplante Polenfeldzug endet im Oktober 1939 mit einem militärischen TriFoto: picture-alliance umph der Wehrmacht
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Halders fataler Irrtum recht knüpft er sogar persönliche Kontakte zum letzten Wittelsbacher Thronanwärter. Als der Waffenstillstand in Kraft tritt, findet Halder zunächst einen Platz im bayerischen Ministerium für militärische Angelegenheiten. Zu seinen Aufgaben gehört es, die bayerische Armee abzuwickeln. Als man diese im August 1919 auflöst, kommandiert die Führung den hoffnungsvollen Offizier nach Berlin in die Heeresleitung. Dem politischen Tagesgeschäft verhält er sich distanziert gegenüber – ganz nach dem Credo der Reichswehr, die sich selbst als absolut „unBIOGRAFIE
Franz Halder AUF STIPPVISITE: Halder kurz nach seiner Ankunft auf dem Flughafen in Helsinki, 1940 Foto: ullstein bild – ullstein bild
1884 1902 1911–1914 1914–1918 1919 1929 1931 1935 1937 1938 1939–1940 1942 1944–1945 1946–1961 1972
Geboren in Würzburg am 30. Juni Eintritt in das 3. Königlich Bayerische Feldartillerieregiment Besuch der bayerischen Kriegsakademie Teilnahme am Ersten Weltkrieg, ausschließlich in Stäben aktiv Übernahme in die Reichswehr Tätigkeit in der Heeresausbildungsabteilung des Truppenamtes Chef des Generalstabs der 6. Division (Münster) Kommandeur der 7. Division (München) Oberquartiermeister II im Generalstab des Feldheeres Chef des Generalstabs des Feldheeres Planung der „Blitzkriege“, Beförderung zum Generaloberst Entlassung, Rückzug ins Privatleben Inhaftierung wegen Hochverrats Leiter der „Historical Division“ Tod in Aschau am 2. April
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politisch“ einschätzt und stilisiert. Das „Parteiengezänk“ in Berlin widert Halder an. Er fürchtet, dass die politischen Streitereien das darniederliegende Deutschen Reich weiter schwächen. Unter seinen Militärkollegen gilt der nüchterne und disziplinierte Halder, der gleichwohl einen Hang zur Emotionalität aufweist, eher als Wissenschaftler. Doch der bayerische Generalstabsoffizier weiß sich durchzusetzen. Stetig klettert er die Karriereleiter höher. Nach Tätigkeiten in der Ausbildungsabteilung des Truppenamts avanciert Halder im August 1931 zum Generalstabschef der 6. Division in Münster. Dort baut er Kontakte zu einflussreichen Industriellenkreisen auf.
Halder trifft Hitler Dem Aufstieg der Nationalsozialisten steht Halder distanziert bis ablehnend gegenüber. Während er Hitler als energischen Macher schätzt, der das deutsche Heer wieder aufrüstet, ist er von den „Radau- und Gewaltmethoden der NSDAP“ (Gerd R. Ueberschär) zutiefst angewidert. „Das reine und von idealistischem Schwung getragene Wollen des Kanzlers [Hitler] wird durch die Überzahl völlig unzulänglicher, zum Teil wahrhaft minderwertiger Ausführungsorgane in der Praxis vielfach zu einem Zerrbild, teilweise zum Gegenbild dessen, was der Kanzler will“, schreibt Halder 1934 an den Chef des Truppenamtes Ludwig Beck. Als Kommandeur der neu aufgestellten 7. Division trägt er in den folgenden Monaten einen ständigen Konflikt mit den NSOrganen aus – stets darum bemüht, mit Königshaus und Kirche die Repräsentanten
HALDERS VORGÄNGER: Ludwig Beck war bis 1938 Generalstabschef des Heeres und 1944 am Widerstand beteiligt Foto: picture-alliance/akg-images
men. Dieser ist von den Übungen hellauf begeistert, sieht er doch in der Anlage der Manöver bereits erste Grundzüge einer „Blitzkriegsstrategie“. Längst hat er Halder als Nachfolger für den unbequemen Generalstabschef Beck auserkoren, mit dem sich die Zusammenarbeit schwierig gestaltet.
„Das reine und von idealistischem Schwung getragene Wollen des Kanzlers [Hitler] wird durch die Überzahl völlig unzulänglicher, zum Teil wahrhaft minderwertiger Ausführungsorgane in der Praxis vielfach zu einem Zerrbild, teilweise zum Gegenbild dessen, was der Kanzler will.“ Franz Halder im August 1934 in einem Schreiben an Ludwig Beck
seiner bayerischen Heimat vor Übergriffen zu schützen. Heinrich Himmler nennt Halder bereits verächtlich den „Mutter-Gottes-General“. Trotz allem hält Halder dem „Führer“ zunächst die Treue. Doch wie zahlreiche andere hochrangige Militärs irrt sich auch der aufstrebende bayerische Offizier in Hitlers Absichten. Als Planer großer Wehrmachtsmanöver trifft Halder im Jahr 1937 das erste Mal persönlich mit dem Diktator zusam-
Erst die Blomberg-Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 und die damit verbundene unehrenhafte Kaltstellung des Oberbefehlshabers des Heeres Werner von Fritsch bringt Halder in Opposition zum Handeln Hitlers. Schließlich schätzt Halder seinen ehemaligen Vorgesetzten sehr und empfindet es als beschämend, dass der „Führer“ ideologische Treue militärischer Effektivität vorzieht. Energisch setzt er sich dafür ein, dass der geschasste Generaloberst rehabilitiert wird. Zugleich
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Menschen & Geschichten | Franz Halder
IN POLEN: Halder (rechts) und der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch (links), bei einer Lagebesprechung im Herbst 1939 Foto: picture-alliance/ akg-images
baut er nun Kontakte zu Offizieren auf, die dem NS-Regime kritisch und oppositionell gegenüberstehen. Aufgrund von Hitlers riskanter Außenpolitik erörtert man im Kreise der Widerständler auch die Möglichkeit eines Staatsstreichs. Schließlich halten die Militärs die deutsche Armee keinesfalls für kriegsbereit. Vorerst mangelt es Halder jedoch an Einfluss, um mächtige Verbündete in den höchsten Stellen für das Unternehmen zu gewinnen.
Berater des „Führers“ Sein Einfluss wächst allerdings schlagartig, als er am 1. September 1938 als Nachfolger Becks zum Generalstabschef des Heeres aufsteigt. Als erster militärischer Berater des „Führers“ bemüht sich der bayerische Offizier zunächst darum, seine Position gegen das neu entstandene Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zu verteidigen. Anschließend fährt er einen gefährlichen Doppelkurs: Einerseits plant er Hitlers militärisches Vorgehen gegen die Tschechoslowakei. Andererseits sucht er nach weiteren Verbündeten, um den Kriegskurs des „Führers“ zu vereiteln. Da die Beteiligten die Sudetenkrise Ende September 1938 in München letztlich friedlich beilegen, bleibt unklar, ob Halder bereit gewesen wäre, Hitler in einem Staatsstreich zu stürzen. Hinzu kommt, dass Halder keineswegs bereit ist, alles auf eine Karte zu setzen. Die politische Sphäre behagt dem „unpoliti-
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VERLEIHUNG DURCH HITLER: Nach dem Polenfeldzug zeichnet Hitler Halder und andere Offiziere mit dem Ritterkreuz aus Foto: ullstein bild/ Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
schen“ Soldaten nicht. Für Intrigen und Machtspiele ist er nicht geeignet. Letztlich kann sich auch Halder nicht dem „Rausch“ der Erfolge von Hitlers Vabanque-Spielen entziehen. Denn der monarchisch gesinnte Bayer, der den Vertrag von Versailles für eine Schande hält, wünscht sich eine Revision der restriktiven Bestimmungen. Den Grenzverlauf zu Polen bezeichnet er noch im Sommer 1939 als „unsinnig“ und ist sich sicher, dass Hitler auch ohne Weltkrieg die Lage zugunsten des Deutschen Reichs verändern kann. Halder beteiligt sich federführend daran, den Angriff auf Polen zu planen. Das östliche Nachbarland hat dem deutschen Vormarsch militärisch kaum etwas entgegenzusetzen. Bereits nach sechs Wochen ist der Feldzug gewonnen. Weitaus mehr Sorgen bereitet
Literaturtipp Ueberschär, Gerd R.: Generaloberst Franz Halder. In: Ders. (Hrsg.): Hitlers militärische Elite. Bd. 1: Von den Anfängen des Regimes bis Kriegsbeginn. Darmstadt 1998, S. 79–88
Halder die Lage im Westen. Noch wirkt das Trauma des Ersten Weltkriegs nach, als es innerhalb von vier Jahren nicht gelang, die Franzosen und Briten niederzuringen. Für das strategische Dilemma findet Halder daher auch keinen Ausweg. Ein Angriff auf Frankreich erscheint ihm zu riskant.
Mitgestalter der „Blitzsiege“ Ausgerechnet sein ehemaliger Konkurrent um den Posten des Generalstabschefs, Erich von Manstein, ersinnt in der Folge den kühnen „Sichelschnitt“-Plan. Zwar ist Halder letztlich dafür verantwortlich, den Plan auszuführen, doch hat sein fachliches Prestige erstmals Schaden genommen. Im allgemeinen Siegesrausch 1940 fällt dies aber zunächst kaum auf. Auch treten die Ressentiments des Generalstabschefs gegenüber Hitler und dem NS-Regime in den Hintergrund. Schließlich profitiert auch Halder vom Krieg: Am 19. Juni 1940 ernennt ihn Hitler zum Generaloberst. Zwischen Hitler und Halder kommt es im Anschluss an den Sieg im Westen zu ersten Meinungsverschiedenheiten, wie Deutschland den Krieg am besten weiterführen sollte. Während Halder zunächst Großbritan-
„Gefangener“ des NS-Regimes nien ausschalten will und dafür entweder eine Invasion der Hauptinsel vorsieht oder den deutschen Schwerpunkt in den Mittelmeerraum verlagern möchte, setzt Hitler seine Idee durch, „Lebensraum im Osten“ zu erobern. Obwohl Halder der Sinn eines Angriffs auf die UdSSR nicht einleuchtet, macht er sich daran, die Pläne auszuarbeiten.
Ein weiterer „Blitzsieg“? In den ersten Wochen des Unternehmens „Barbarossa“ scheint sich im Sommer 1941 zunächst ein weiterer „Blitzsieg“ anzudeuten. Halder lässt sich vom Optimismus anstecken und rechnet mit einer Niederlage der Roten Armee innerhalb von zwei Wochen. Doch nach den ersten deutschen Erfolgen zeigt sich zunehmend die enorme Widerstandskraft der sowjetischen Streitkräfte. Man streitet über die Vormarschrichtung. Halder favorisiert einen Angriff auf Moskau und kann sich damit bei Hitler durchsetzen, nachdem die Wehrmacht die Ukraine erobert hat. Doch seine Pläne für den Sturm auf die sowjetische Hauptstadt ziehen keinen längeren Feldzug in Betracht. Der Vorstoß auf Moskau endet im Winter 1941 im Desaster. Geschickt schiebt der Generalstabschef die Schuld am Scheitern
Diktator ihn vom Amt als Generalstabschef entbindet. Verbittert zieht sich Halder ins Privatleben zurück. Auch den Kontakt zu Widerstandskreisen sucht er kaum. Er verurteilt den fehlgeschlagenen Anschlag vom 20. Juli 1944 – wegen seiner mangelhaften Durchführung. Bereits einen Tag später verhaftet man den als unzuverlässig geltenden Halder, da ihm die NS-Führung unterstellt, am Attentatsversuch beteiligt gewesen zu sein. Zumindest aber geht sie davon aus, dass er Mitwisser gewesen sei. Bis Kriegsende durchläuft der ehemalige Generalstabsoffizier mehrere Gefängnisse und Konzentrationslager und wird im Januar 1945 unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen. Schließlich befreien vorrückende amerikanische Soldaten Halder und seine Frau am 5. Mai 1945 aus einem Lager in Südtirol. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft gelingt es Halder rasch, sich für die Alliierten unentbehrlich zu machen. Seine lange KZHaft lässt ihn als Gegner des Regimes erscheinen und übertüncht zunächst die Verbrechen, die der ehemalige Generalstabschef mitgetragen hat. Als Leiter der von der USRegierung einberufenen „Historical Divisi-
neu
Lapp, Peter Joachim
Grenzbrigade Küste DDR-Grenzsicherung zur See
212 Seiten, Hardcover, 7 Abb., 23 Fotos, 4 Gliederungsbilder, 6 Karten, 17x24 cm; ISBN 978-3-86933-182-9
22,80 € Uhl, Matthias
Stalins V-2 Der Technologietransfer der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die UdSSR und der Aufbau der sowjetischen Raketenindustrie 1945 bis 1959
304 Seiten, Hardcover, fest gebunden, 83 Abb., davon 40 Fotos, 83 Zeichnungen, Großformat; 44,50 € ISBN 978-3-86933-176-8
Foto: ullstein bild – Alfred Eisenstaedt
neu
„Brauchitsch und Halder haben sich auf das Hitler’sche Manöver eingelassen, das Odium der Mordbrennerei von der bisher allein belasteten SS auf das Heer zu übertragen (…). Hoffnungslose Feldwebel!“
Froh, Klaus
Die 1. MSD der NVA Zur Geschichte der 1. mot. Schützendivision 1956-1990
405 Seiten, Hardcover, fest geb., 139 Abb., ISBN 978-3-86933177-5
Der 1944 hingerichtete Diplomat und Widerstandskämpfer Ulrich von Hassell im Juni 1941 über Franz Halder
neu dem Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, zu. Halder bleibt dadurch weiterhin im Amt. Obwohl er sich dem NS-Regime gegenüber ablehnend verhält, trägt Halder widerstandslos die verbrecherischen Befehle während des Russlandfeldzuges mit. Im Anschluss an die Winterkatastrophe von 1941/ 42 ist keine eigenständige Operationsführung Halders mehr erkennbar. Den Eingriffen Hitlers in seinen Bereich setzt er keinen Widerstand mehr entgegen. Erst als der „Führer“ im Sommer des Jahres 1942 die deutschen Angriffskräfte in der Südsowjetunion verzettelt, um den Wolgaraum und den Kaukasus gleichzeitig zu erobern, erhebt Halder energisch Einspruch. Die scharfen Konflikte mit Hitler enden schließlich am 24. September 1942, als der Clausewitz 4/2017
on“ ist er gemeinsam mit anderen ehemaligen Wehrmachtsoffizieren daran beteiligt, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aufzuarbeiten.
Keine Einsicht In seinem Amt setzt Halder alles daran, die Legende der „sauberen“ Wehrmacht zu verbreiten und das fachliche Können des Generalstabs zu betonen. Bis zuletzt bleibt Halder uneinsichtig, wenn es darum geht, persönliche Verantwortung einzugestehen. Als er am 2. April 1972 in Aschau stirbt, setzt die Bundeswehr ihn mit militärischen Ehren bei. Zurück bleibt das Bild eines Mannes, der – so der Historiker Gerd R. Ueberschär – „trotz militärischer und menschlicher Qualitäten und Leistungen von großer Zwiespältigkeit geprägt bleibt“.
28,00 € Koch, Hagen Lapp, Peter Joachim
Die Garde des Erich Mielke Der militärisch-operative Arm des MfS / Das Berliner Wachregiment „Feliks Dzierzynski“
185 Seiten, fest gebunden mit Schutzumschlag, 111 Abb., 17x23,5 cm; ISBN 978-3938208-72-4
19,90 €
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Vorschau „Fall Blau“ 1942
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Riskanter Vorstoß an der Ostfront
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Ende Juni 1942: Nach dem Debakel vor Moskau Ende 1941 befiehlt Hitler eine neue Großoffensive an der Ostfront. Unter dem Decknamen „Fall Blau“ greift die angeschlagene Wehrmacht nach Stalins Industrie- und Erdölanlagen an der Wolga und im Kaukasus.
Clausewitz ABO-SERVICE Gutenbergstr.1, 82205 Gilching Tel. +49 (0) 1805.32 16 17* oder +49 (0) 8105.38 83 29 (normaler Tarif) +49 (0) 1805.32 16 20*
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Impressum Nr. 38 | 4/2017 | Juli–August | 7. Jahrgang Clausewitz, Tel. +49 (0) 89.13 06 99.720 Infanteriestr. 11a, 80797 München
Schlacht bei Marengo
Fotos: picture-alliance/©dpa, picture-alliance/Heritage-Images, Sammlung Herbert Ringlstetter
Napoleons Triumph 1800: Österreich und Frankreich treten bei Marengo zur entscheidenden Schlacht an, die das weitere Schicksal Europas massiv beeinflussen wird. Die Österreicher triumphieren zunächst und stehen vor dem Sieg, als Napoleon das Blatt überraschend wendet.
Messerschmitt Me 163 Rekord-Raketenjäger der Luftwaffe 1944: Die Me 163 mit ihrem schubstarken Raketenantrieb und einer damals einmaligen Höchstgeschwindigkeit nimmt den Dienst bei der Luftwaffe auf. Doch kann die deutsche „Wunderwaffe“ die Erwartungen der NS-Militärs im Kampf gegen die Alliierten erfüllen?
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Außerdem im nächsten Heft: Israels Special Forces. Einheiten, Aufgaben, Operationen. Belagerung von Paris 1871. Entscheidung im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Und viele andere Beiträge aus den Wissensgebieten Geschichte, Militär und Technik.
Die nächste Ausgabe von 82
Redaktion Markus Wunderlich (Chefredakteur Luftfahrt, Geschichte, Schifffahrt und Modellbau), Dr. Tammo Luther (Verantw. Redakteur), Maximilian Bunk, M.A., Stefan Krüger, M.A., Alexander Müller, Volontär Chef vom Dienst Christian Ullrich Berater der Redaktion Dr. Peter Wille Ständige Mitarbeiter Dr. Joachim Schröder, Dr. Peter Andreas Popp Layout Ralph Hellberg Verlag GeraMond Verlag GmbH Infanteriestr. 11a 80797 München www.geramond.de Geschäftsführung Clemens Hahn Gesamtanzeigenleitung Thomas Perskowitz Tel. +49 (0) 89.13 06 99.527
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erscheint am 7. August 2017.
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