1/2018 Januar | Februar
€ 5,95
A: € 6,80 CH: sFr 11,00 BeNeLux: € 7,10 SK, I: € 8,30
Clausewitz Das Magazin für Militärgeschichte
BMW Gespann
Speerspitze des Heeres
Ungarn 1956 Als das Sowjetsystem gefährlich wankte
Kurlandschlachten 1944–45 Shiroyama 1877 Das bittere Ende der letzten Samurai
200.000 Mann vergessen, verheizt – unbesiegt MILITÄR UND TECHNIK
Churchill Ludwig Benedek Hat er Preußens Sieg von 1866 ermöglicht?
Das machte den Infanterietank zu Englands bestem Kampfwagen
MESSERSCHMITT
KALENDER 2018 Der neue Messerschmitt Kalender ist ein echtes Original aus dem Flugmuseum Messerschmitt. Das perfekte Geschenk für Messerschmitt Fans weltweit. Jetzt erstmalig als „limited edition“ im offiziellen Messerschmitt Shop des Flugmuseums erhältlich.
29,90
ORDER BEFORE CHRISTMAS
EUR
www.messerschmitt-shop.com
zzgl. Versand
M 17
Info-Telefon 0800-71 71 333 (gebührenfrei)
Me 108
Me 109
Me 262
OFFIZIELLER MESSERSCHMITT SHOP Powered by Nexus-Group GmbH / Türkenstraße 103 / 80799 München
HA 200
Karo
Liebe Leserin, lieber Leser, ich muss gestehen, dass ich beim Thema Kurland zunächst nach dem Europa-Atlas griff, um nachzugucken, wo genau diese knapp 14.000 Quadratkilometer umfassende Landschaft liegt. Dass sie Teil des Baltikums ist, wusste ich. Aber die genaue Lage zwischen Riga und Libau (lettisch: Liepeja) westlich der Düna hatte ich so detailliert nicht vor Augen. Dass in dieser idyllischen Landschaft an der Ostsee vor mehr als 70 Jahren von Herbst 1944 bis Kriegsende 1945 eine der heftigsten und längsten Abwehrschlachten des Zweiten Weltkriegs tobte, kann man sich kaum vorstellen. Denn zu diesem Zeitpunkt standen die Alliierten in West und Ost bereits an der Grenze des Deutschen Reiches. Als der letzte Wehrmachtsbericht vom 9. Mai 1945 die Einstellung der Kämpfe verkündete, stand die Heeresgruppe Kurland „im Felde unbesiegt“ im Westen der heutigen Republik Lettland. Wie war es möglich, dass sich der deutsche Großverband, abgeschnürt von jeglicher Landverbindung, so lange erfolgreich gegen die Rote Armee wehren konnte? Warum wurde das Gros der „Kurland-Kämpfer“ nicht evakuiert, um in den „Endkampf um das Reich“ einzugreifen? Antworten auf diese und weitere spannende Fragen zum Kampf um den „Kurland-Kessel“ finden Sie in unserer aktuellen Titelgeschichte „Brandherd im Baltikum“. Zudem möchte ich Sie auf ein besonderes Extra aufmerksam machen: Diesem Heft liegt das Clausewitz-Kalenderposter für das Jahr 2018 bei! Und auch im kommenden Heft wartet eine Überraschung auf Sie: Das Magazin erscheint mit der DVD „Panzerjäger im Fronteinsatz“ – Abonnenten erhalten den Film übrigens gratis! Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.
Dr. Tammo Luther Verantwortlicher Redakteur
29. Folge Krieger, Söldner & Soldaten
Husaren auf Ketten Die deutschen „Blitzkriege“ in Polen und Frankreich sind zum großen Teil auf die Panzerverbände der Wehrmacht zurückzuführen. Auch in der UdSSR erzielen die deutschen Panzerkommandanten anfangs bedeutende Erfolge ie deutsche Panzerwaffe ist während des Zweiten Weltkriegs besonders gefürchtet. Vor allem zu Beginn sind die Gegner in Ost und West vollkommen überrascht von der Wirkung der gepanzerten und bewaffneten Kettenfahrzeuge. Der „Chef der Schnellen Truppen“ Heinz Guderian (1888–1954) gilt als Schöpfer der deutschen Panzerwaffe. Mit Datum vom 15. Oktober 1935 stellt man innerhalb der Wehrmacht schließlich die 1., 2. und 3. Panzerdivision auf. Guderian ist erleichtert und macht sich für den weiteren Ausbau der neuen Waffengattung stark. Nach Kriegsbeginn 1939 erringt er als Feldherr auf den Schlachtfeldern in Polen, Frankreich und der Sowjetunion wichtige militärische Erfolge. Neue motorisierte Einheiten und Verbände entstehen, um den Krieg beweglicher zu machen. Die immer schwereren und stärkeren Panzerkampfwagen und ihre Besatzungen prägen seither das Bild des Krieges zu Lande und innerhalb der Wehrmacht.
D
Die Uniform der Soldaten der deutschen Panzertruppen unterscheidet sich äußerlich stark von der Infanterie. Die Reichswehr führt sie im November 1934 ein. Sie besteht anfangs unter anderem aus folgenden Teilen: Feldjacke, Hose und Kopfbedeckungen (Schutzmütze und Schirmmütze sowie Feldmütze), Koppel und Schnürschuhen in Schwarz. Hinzu kommt eine mausgraue Feldbluse. Ein aluminiumfarbener Totenkopf prangt zudem auf dem Kragenspiegel der Feldjacke – in Tradition der preußischen „Totenkopfhusaren“. Nicht wenige deutsche Panzerkommandanten genießen schon bald einen besonderen Status und werden als „Panzer- oder Tiger-Asse“ von der NS-Propaganda „gefeiert“. Doch gegen die gewaltige sowjetische Übermacht an Menschen und Material und die enorme alliierte Luftüberlegenheit haben auch sie – trotz zum Teil hoher Abschusszahlen – letztlich keine Chance.
Abb.: Johnny Shumate
Editorial
FAKTEN Zeit: 1935–1945 (Panzertruppe Wehrmacht) Uniform: schwarze Uniform mit rosa Paspelierung Hauptwaffen: Panzerkampfwagen I bis VI Bedeutende Panzerschlachten (Auswahl): Dubno-Luzk-Brody 1941, Prochorowka 1943 (Unternehmen „Zitadelle“) Erfolgreiche Panzerkommandanten: Kurt Knispel, Otto Carius, Johannes Bölter, Michael Witmann
HOCHDEKORIERT: Panzerkommandant der Panzergrenadierdivision „Großdeutschland“ stehend im Turmluk seines Tiger I. Der Offizier trägt das „Ritterkreuz“ um den Hals
3 Clausewitz 1/2018
Inhalt
Soldaten der Waffen-SS im Kurland-Kessel auf dem Weg zu den vorderen Stellungen. Immer wieder versucht die Rote Armee, die deutschen Linien zu durchbrechen, um den Gegner im Baltikum auszuschalten Foto: ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
Schwere Abwehrkämpfe der Wehrmacht in Kurland
Brandherd im Baltikum
Titelthema
Herbst 1944:
Brandherd im Baltikum ...............................................................................................10
In Kurland schnürt die Rote Armee einen Großteil der Heeresgruppe Nord von der übrigen Ostfront ab. Verbissen wehren sich die Eingekesselten in blutigen Schlachten gegen die heftigen Angriffe der Sowjets Von Tammo Luther
5 KURZE FAKTEN ZEIT: Mitte Oktober 1944 bis Anfang Mai 1945 ORT: Kurland im Baltikum; Landschaft im heutigen Lettland KONTINENT: Europa GEGNER: Sowjetunion / Deutsches Reich EREIGNIS: Kesselschlachten zwischen Roter Armee und Wehrmacht / Waffen-SS
Schwere Abwehrkämpfe der Wehrmacht in Kurland.
In der „Führer-Falle“ .............................................................................................................24 Dramatischer Überlebenskampf an der Ostsee.
Auf verlorenem Posten S. 24 So lebten und litten die deutschen Soldaten in Kurland.
Retter in der Not
.......................................................................................................................
28
Front-Feuerwehr
S. 28
Ωwieder die Front stabilisierten.
Panzerwaffe als „Feuerwehr“ der Eingekesselten. 10
Magazin Neues zur Militärgeschichte, Ausstellungen und Bücher.
Clausewitz 1/2018
GEFÄHRLICHER GEGNER In Kurland sind seit Herbst 1944 starke Verbände von Wehrmacht und Waffen-SS isoliert. Unter den Eingeschlossenen befinden sich auch Panzerdivisionen, die als besonders kampfstark gelten und sich den sowjetischen Angreifern immer wieder in höchster Not entFoto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo gegenwerfen
11
Kriege, Krisen & Konflikte ......................
6
Der Ostblock bebt .....................................................................................................................40 Revolution in Ungarn 1956.
Schlachten der Weltgeschichte
Heikles „Husarenstück“ ...............................................................................................32 Kampf um die Stadt und Festung Lüttich 1914. Militärtechnik im Detail
Dreirädrige „Donnermaschine” ..................................................................38 Das BMW-R75-Gespann der Wehrmacht.
4
Schlachten der Weltgeschichte
Die letzte Schlacht der Samurai .............................................................46 Shiroyama 1877 und Saigo Takamori. Teaser
Clausewitz Spezial und Militär & Geschichte ............52 Deutsche Panzer und die Wehrmacht in Finnland.
Schlachten der Weltgeschichte | Lüttich 1914
Kriege, Krisen & Konflikte VERWÜSTET: Was als Handstreich geplant war, mutierte zu einer wüsten Schlacht. Hier Fort Loncin im Osten von Lüttich. Seine Panzertürme sind durch schweren Artilleriebeschuss vollständig Foto: ullstein bild - ullstein bild vernichtet
Revolution in Ungarn
Der Ostblock bebt
1956: Stalin ist seit dreieinhalb Jahren tot, als in Budapest sein Denkmal gestürzt wird. Menschen treten in das Gesicht der Statue, schleifen sie durch die Straßen – sie muss als Symbol für den sowjetischen Kommunismus herhalten, der auch die Geschicke Ungarns bestimmt – etwas, das die Menschen dort nicht mehr wollen Von Robert Riemer
Kampf um Stadt und Festung Lüttich
Heikles Husarenstück F
ieberhaft arbeiten Ingenieure der Firma Krupp daran, ihre neuesten „Wunderwaffen“ für das deutsche Heer scharf zu machen. Doch es dauert einige Tage, bis das Material an die Front entsandt werden kann.
Per Eisenbahn führt der Weg nach Lüttich, der belgischen Metropole nahe der deutschen Reichsgrenze. Am 12. August 1914 treffen die Krupp-Waffen an ihrem Bestimmungsort ein und verblüffen dort die lokale Bevölkerung.
S.32
UNERSCHROCKENE UNGARN: Mit Kühnheit kämpfen die Magyaren für ihre Freiheit – dabei überschätzt die kleine Nation allerdings ihre Möglichkeiten. Die Sowjets greifen hart durch und schlagen den Aufstand Abb.: picture-alliance/ dpa gewaltsam nieder
33
Clausewitz 1/2018
40
Schlachten der Weltgeschichte
Der Riese aus Kagoshima
E
s stinkt nach Pulver und Blut an diesem 24. September 1877. Vorangegangen ist eine Schlacht, deren Ausgang eigentlich von Anfang an feststeht. Auf der einen Seite ein paar hundert aufständische Samurai, auf der anderen Seite etwa 30.000 Soldaten der neuen Kaiserlichen Armee. So gelingt es den Kaiserlichen in wenigen Stunden, die als Satsuma-Rebellion in die Geschichte eingegangene Revolte blutig niederzuschlagen. Vielleicht wäre dieses Gemetzel eine kleine Randnotiz der Geschichte geblieben, wenn damit nicht auch gleichzeitig eine ganze Ära und eine ganze Kaste ihr Ende gefunden hätten. Und wie kaum ein anderer steht ein Name sinnbildlich für den Niedergang der Samurai
DER TRADITION TREU BIS IN DEN TOD: Die von Saigo Takamori (in der rechten oberen Ecke des Bildes in schwarz-roter Uniform zu sehen) angeführte Handvoll Samurai und Soldaten gehen im Kugelhagel der kaiserlichen Armee unter. Sie sterben für die alten Werte in einer modernen Welt, die für Samurai keinen Bedarf mehr hat Abb.: picture alliance/CPA Media
46
Der spätere Rebell kommt im Jahr 1827 auf die Welt. Seine Heimat ist die Provinz Satsuma auf der Insel Kyushu – weit weg von den Machtzentren Edo (Sitz des Shoguns) und Kyoto (Residenz des Kaisers). Der Shogun – seit der Reichseinigung zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Tokugawa Ieyasu immer jemand aus diesem Hause – ist der eigentliche Machthaber, während dem Kaiser nur zeremonielle und geistige Aufgaben zufallen. Der Kaiser wird als Gott verehrt und viele Japaner sehen in ihm, nicht im Shogun, den einzig berechtigten Führer der Nation. An diesem Streit wird sich auch Saigo Takamori führend beteiligen, was so allerdings nicht zu erwarten ist. Die japanische Gesellschaft ist strikt hierarchisch gegliedert. Die Berufskrieger sind die Samurai, die jedoch nach der Reichseinigung immer weniger ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Kämpfen, nachgehen. Es herrscht weitgehend Frieden im ganzen Land. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts verändert sich dieses Gefüge. Saigo Takamori stammt aus einer Samurai-Familie niederen Ranges, die dem Shimazu-Klan angehört. Er fällt schon früh durch seine Der Helm („Kabuto“) hat weit ausladende Seitenteile und oft auch eine grimmig wirkende Gesichtsplatte
Die Rüstung („Do“) besteht aus vielen kleinen zusammengefügten Plättchen. Sie wird manchmal durch große Platten und Kettenteile verstärkt. Die Rüstung ist leicht, da der Samurai oft in ein Handgemenge verwickelt ist und sich schnell bewegen muss KAMPFBEREIT: Ein Samurai mit gezücktem Schwert, zirka 1860 Abb.: picture alliance/Leemage
Leibesfülle (Schätzungen sprechen von mehr als 120 Kilogramm) und seiner für einen Japaner der damaligen Zeit beachtlichen Größe auf. Doch soll er seinen Körper sehr gut beherrscht haben und für seine wuchtigen Verhältnisse auch gewandt gewesen sein. Samurai-Tugenden wie Mut, Bescheidenheit und Rechtschaffenheit kennzeichnen schon früh seinen Weg. Dementsprechend erhält er eine Ausbildung zum Krieger.
Kolossale Kampfmaschine
Neues Nippon Im Jahr 1851 tritt Shimazu Nariakira an die Spitze des Shimazu-Klans. Saigo, zu dieser Zeit 24 Jahre alt, begrüßt die Veränderung, da sich sein Daimyo (Fürst) für eine größere Unabhängigkeit gegenüber dem TokugawaShogunat stark macht und auf Seiten des Kaisers steht. Beide Männer – das Klanoberhaupt und der Samurai – teilen die gleichen Ansichten. So avanciert Saigo zum Vertrauensmann von Shimazu Nariakira. Doch Letzterer stirbt unerwartet. Nun steigt mit Shimazu Hisamitsu ein Konservativer an die Spitze des Klans, dem die Modernisierungsund Unabhängigkeitsbestrebungen zuwider sind. Die Folge davon: Saigo Takamori wird verbannt. Erst im Jahr 1864 auf Fürsprache von Freunden endgültig rehabilitiert, kehrt er in seine Heimat zurück. Dennoch bleibt der „Riese aus Kagoshima“ unbeugsam. Alle, die ebenfalls den Kaiser als führende Person in Japan haben wollen, sehen fortan in ihm einen Helden, weil er es wagt, gegen den Shogun zu opponieren. Überhaupt setzen nun Veränderungen ein, die rasend schnell das Gesicht Japans wandeln, zuerst zur Freude der Kaisertreuen. Am 3. Januar 1868 tritt ein politisches Erdbeben ein. An diesem Tag verkündet der Shogun Tokugawa Yoshinobu seinen Rücktritt und die Übergabe seiner Macht an den 15-jährigen Kaiser Mutushi-
1941:
Mit seinem archaischen Erscheinungsbild wirkt der Churchill-Panzer wie aus der Zeit gefallen. Dennoch mausert sich der Infantry Tank zum vermutlich besten Gefechtsfahrzeug Großbritanniens im Zweiten Weltkrieg Von Ulrich Pfaff
41
D
as Trauma des Grabenkriegs der Jahre 1914 bis 1918 hat sich fest in den Köpfen der britischen Militärs eingebrannt: England baut daher in der Zwischenkriegszeit sein Konzept des Infanterie-Panzers („Infantry Tank“, „I-Tank“) aus. Man möchte ein Fahrzeug, das sich auf dem von Granattrichtern und Drahthindernissen übersäten Schlachtfeld ungehindert und gegen Beschuss geschützt bewegen kann. So setzt der britische Generalstab am Vorabend des Zweiten Weltkriegs auf den „A 20“, um die Reihe der „I-Tanks“ fortzuführen: Es ist ein mehr als 40 Tonnen schweres, enorm langsames Gefechtsfahrzeug. Und es kann seine Herkunft vom Ursprungstyp der Tanks kaum verbergen.
IM GEFECHT: Britischer Churchill-Panzer im Einsatz an der Front. Nach anfänglichen Misserfolgen entwickelt sich der Infantry Tank zur gefürchteten Waffe Foto: ullstein bild - TopFoto
Abrupte Planänderung Vier Prototypen entstehen, bis die britischfranzösische Katastrophe von Dünkirchen im Juni 1940 alle Pläne über den Haufen wirft: Das Szenario eines erneuten Stellungskrieges ist in den Augen der Briten angesichts der deutschen „Blitzkriegsstrategie“ nun unwahrscheinlich. Die britische Militärführung entscheidet sich dafür, bis spätestens Sommer 1941 einen schweren Panzer in Dienst zu stellen, um die
AUSGESCHALTET: Bei der missglückten alliierten Landungsoperation bei Dieppe im August 1942 eingesetzter ChurchillPanzer. Die schwerfälligen Fahrzeuge sind leichte Beute für die Deutschen Foto: ullstein bild - Roger Viollet
Hauptwaffe ist das „Katana“, ein langes Schwert, das während der Edo-Zeit nur von Samurai getragen wird. Der Handschutz („Tsuba“) besteht aus einer flachen Scheibe. Da kein Schild verwendet wird, ist das Schwert für Angriff und Verteidigung gleichermaßen wichtig AUF DEM VORMARSCH: Der Churchill stand bis Kriegsende im Dienst, obwohl er keineswegs perfekt war. Hier Churchills der 6th Guards Armoured Brigade mit aufgesessenen Fallschirmjägern bei Coesfeld am 30. März 1945 Abb.: ullstein bild - TopFoto
S.46
S.54
Das kurze Schwert, das „Wakizashi“, ist eine Seitenwaffe, die der Samurai zum Beispiel für Seppuku (ritueller Selbstmord, im Westen meist als „Harakiri“ bezeichnet) verwendet
54
47
Clausewitz 1/2018
55
Clausewitz 1/2018
Menschen & Geschichten
1976–1979: Vier strapaziöse Jahre lang dreht Coppola im Dschungel ein Epos, das für viele der beste Vietnamfilm – vielleicht sogar Kriegsfilm – aller Zeiten ist: Apocalypse Now. Das teilweise surreale Monumentalwerk zeigt in schaurig-schönen Bildern schonungslos den Wahnsinn des Vietnamkrieges HINTERGRUND
Ludwig von Benedek
Sündenbock für Königgrätz 3. Juli 1866: Österreichische Truppen unterliegen der preußischen Armee in der Schlacht von Königgrätz. In der österreichischen Öffentlichkeit ist der Schuldige für die Niederlage schnell ausgemacht: Ludwig von Benedek Von Lukas Grawe
Von Maximilian Bunk
Der Regisseur Coppola, 1939 in Detroit geboren, ist nicht irgendein Regisseur – er gehört zu den erfolgreichsten Filmschaffenden Amerikas. Filme wie die spannende Familien-Sage um einen italo-amerikanischen Mafia-Clan Der Pate (1971) und Der Pate, 2. Teil (1973) begeistern sowohl Publikum als auch Kritik – für die beiden Paten bekommt er insgesamt vier Oscars. Ermöglicht wird ihm die Finanzierung dieses Wunschprojektes durch den Erfolg von Patton – Rebell in Uniform (1969), für den er das Drehbuch schreibt (und dafür ebenfalls einen Oscar erhält). Während der 1970er und 1980er-Jahre gilt er als das enfant terrible Hollywoods, das auch vor kuriosen (Mishima, 1984) und kleinen (Die Outsider und Rumble Fish, beide 1982) Projekten nicht zurückschreckt und der nach eigener Aussage seine Karriere nach dem Vorbild Hitlers geplant hatte. Apocalypse Now bleibt Coppolas kontroversester Film – und für lange Zeit auch sein letzter kommerziell erfolgreicher. Coppola selbst ist in einer kurzen Szene zu sehen – als Reporter eines Fernsehteams, das amerikanische Soldaten während eines Gefechts filmt. Er schreit: „Nicht in die Kamera schauen, Jungs, weiterkämpfen!“
in amerikanischer Napalm-Angriff verwandelt den grünen Dschungel in ein gelb-rot leuchtendes Flammen-Inferno, akustisch untermalt von dem Doors-Song The End – das ist die Eröffnungsszene von Coppolas Kultfilm Apocalypse Now. Sich bewegende Rotorblätter eines Hubschraubers „verwandeln“ sich durch eine Überblendung in einen Deckenventilator in einer schäbigen Absteige irgendwo in Saigon im Jahre 1969. Captain Willard, Experte für Geheimoperationen, liegt auf dem Rücken und starrt die Zimmerdecke an. Er lauscht den monotonen Geräuschen des Ventilators. Plötzlich tauchen zwei Militärpolizisten auf, reißen den Special-Forces-Offizier aus seinem tranceähnlichen Zustand und zitieren ihn zu einer Lagebesprechung ins CIA-Hauptquartier in Na Trang.
Irrfahrt in den Wahnsinn Die neue Mission für Willard lautet: „Machen Sie den hochdekorierten und einst als Militärgenie gefeierten Green Beret Colonel Kurtz ausfindig und liquidieren Sie ihn!“ Kurtz, der von den Militärs als unzurechnungsfähig eingestuft wird, hat in den Wäldern Kambodschas sein eigenes kleines Reich geschaffen, das er als allmächtiger König regiert. Und so beginnt eine lange Odyssee auf einem kleinen Patrouillenboot, während derer Willard dem Herz der Finsternis und seinem wahnsinnigen Herrscher immer näher kommt. Unterwegs begegnet er unter anderem dem exzentrischen Lieutenant Colonel Kilgore, der seine Angriffsziele danach aussucht, wie surftauglich die nächsten Strände sind. In einer der spektakulärsten Szenen des Films fliegt er einen Hubschrau-
60
S.40
Clausewitz 1/2018
Der britische Infantry Tank Churchill
Menschen und Geschichten
HORDE AUS DER HÖLLE: Als Willard in Kurtz’ Reich ankommt, empfängt ihn dessen indigene KhmerGarde. Vittorio Storaros grandiose Kamera beschert dem Zuschauer zahlreiche attraktive – und dennoch Abb.: picture alliance/Everett Collection bedrohliche – Bilder
Hilfe, die den Volksaufstand blutig beendet. Doch der Ruf nach Änderungen im sozialistischen System lässt sich nicht unterdrücken und auch die Ungarn greifen ihn auf. Drei Jahre später mündet dieser Wunsch in einer von Anfang an zum Scheitern verurteilten Rebellion. 1956, in dem Jahr, in dem die Bundesrepublik die Kommunistische Partei als verfassungsfeindlich verbietet und Hitler amtlich für tot erklärt, spielt nicht nur Ungarn eine Rolle im Kampf für oder gegen den Sozialismus. Ende des Jahres landet Fidel Castro erfolgreich auf Kuba und beginnt seinen Kleinkrieg gegen den Diktator von Amerikas Gnaden in Havanna. Parallel finden Aufstände
Militär und Technik | Churchill-Panzer
in Japan: Saigo Takamori. Der „Riese aus Kagoshima“, wie ihn viele schon zu seinen Lebzeiten nennen, ist der Kopf der Satsuma-Rebellion, dem letzten Aufbäumen der Krieger des alten Japans gegen die Veränderungen, die mit der Meiji-Restauration einhergehen. Dabei steht Takamori stets treu auf Seiten des Kaisers, bis zu seinem Ende 1877. Ist das nicht widersprüchlich? Keineswegs! Doch um das zu verstehen, muss man in die Seele Japans blicken.
Ende des 19. Jahrhunderts: Die Moderne hält mit großen Schritten Einzug ins feudale Japan. Und mit ihr verschwindet der Berufsstand der Samurai. Ein letztes Aufbäumen dieser stolzen Krieger treibt sie in eine tödliche Konfrontation mit der kaiserlichen Armee. Anführer der Aufständischen ist ein Mann, der heute noch verehrt wird: Saigo Takamori Von Alexander Losert
itte der 1950er-Jahre ist der Kalte Krieg in einer heißen Phase angekommen. Es gibt größere und kleinere Auseinandersetzungen. Der Ost-West-Konflikt entlädt sich – ebenso wie die Spannungen im Rahmen der Dekolonialisierung – im Koreakrieg, im Vietnamkrieg, in der Sueskrise, im Algerienkrieg, in den Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan und der Wiederaufrüstung in den beiden deutschen Staaten. Dabei gärt es nicht nur zwischen den Blöcken, sondern auch im Osten selbst. Kurz nach Stalins Tod bricht im Juni 1953 ein Aufstand in der DDR aus, bei dem Demonstranten politische und wirtschaftliche Reformen fordern; die Partei ruft die Sowjetarmee zu
ZEIT: August 1914 ORT: Raum Lüttich, Wallonien/Belgien KONTINENT: Europa GEGNER: Deutsches Reich/Königreich Belgien EREIGNIS: Eroberung von Stadt und Festung Lüttich durch deutsche Truppen
„Das Ungeheuer bewegte sich in zwei Teilen vorwärts und wurde von 36 Pferden gezogen. Das Pflaster erzitterte. Die Menge stand stumm und bestürzt beim Anblick dieses phantastischen Gerätes“, erinnert sich der
32
M
5 KURZE FAKTEN
August 1914: Deutsche Truppen greifen die als uneinnehmbar geltende Festungsstadt Lüttich im neutralen Belgien an. Nach anfänglichen Misserfolgen gelingt ein überraschender Coup – mit vielen Schattenseiten Von Lukas Grawe
PREUSSEN-POWER: Bei Königgrätz erfahren die Österreicher eine herbe Niederlage gegen ihre deutschen Brüder (im Bild eine preußische Brigade). Das Fiasko kostet Benedek – im übertragenen Sinn – seinen Kopf Abb.: picture-alliance/akg-images
VERSTÖREND: Kurtz‘ Männer sehen wie eine Mischung aus Söldnern, Kannibalen und Eingeborenen aus, die in einer halbverfallenen Tempelstadt hausen. Italienisches Poster von 1979 Abb.: picture alliance/Everett Collection
ure Majestät haben nicht bloß die Schlacht, sondern den Feldzug gewonnen“, meldet Helmuth von Moltke, der Chef des preußischen Generalstabs, am Nachmittag des 3. Juli 1866 dem König von Preußen, der das Schlachtgeschehen in der Nähe von Königgrätz auf einem Hügel verfolgt. Das Eintreffen der 2. preußischen Armee unter der Führung des Kronprinzen überrascht die österreichischen Truppen, die sich nun der Gefahr der Umfassung ausgesetzt sehen. Der österreichische Oberbefehlshaber, Feldzeugmeister Ludwig von Benedek, muss den Rückzug anordnen. Moltkes bis dahin größter Triumph ist zugleich die größte Niederlage seines Kontrahenten. Als populärster Feldherr der kaiserlichen sterrei-
chischen Armee hat Benedek den Befehl über die Nord-Armee übernommen. Doch seine bis dahin glorreiche Militärlaufbahn endet an diesem Tag auf den Feldern Böhmens.
Eintritt in die Armee Ludwig Benedek wird am 14. Juli 1804 im ungarischen Ödenburg geboren und im protestantischen Glauben erzogen – im erzkatholischen Kaiserreich Österreich eine Seltenheit. Sein Vater dient als Arzt der dortigen Militärgarnison und behandelt auch einen der Helden der österreichischen Armee, Joseph Graf Radetzky von Radetz. Dessen Fürsprache verhilft Benedek zum Studium an der Theresianischen Militärakademie in Wien, an der sonst nur katholische Zöglinge
angenommen werden. 1822 tritt der 18-jährige Benedek in die Armee ein. Sein Talent ist offensichtlich. Schnell steigt er auf: 1835 noch Hauptmann, avanciert er bereits 1846 zum Oberst – eine beispiellose Militärkarriere kündigt sich bereits jetzt schon an. Das Österreich, in dem Benedek aufwächst, ist ein Vielvölkerstaat, in dem es an allen Ecken und Enden brodelt. Zahlreiche Ethnien rufen nach Unabhängigkeit, Aufstände gegen die Herrschaft der Habsburger sind keine Seltenheit. 1846 erheben sich die Polen gegen das Regiment des Kaisers und verlangen die Wiederherstellung ihres Staates. Die österreichische Armee soll den sogenannten „Krakauer Aufstand“ niederschlagen. Auch Benedeks Einheit ist dabei. Im Zuge der Kämpfe erweist sich schnell die
berangriff auf ein vom Vietcong besetztes Dorf. Aus den Lautsprechern dröhnt dabei Wagners Walkürenritt – als Mittel der psychologischen Kriegführung, oder wie Kilgore es ausdrückt: „Um die Schlitzaugen zu Tode zu erschrecken.“ Willard trifft auf seiner Reise auch auf einen Tiger im Dschungel, erlebt eine bizarre Truppenaufführung mit Playboy-Girls auf einer grell erleuchteten Bühne inmitten eines nächtlichen Schlachtfeldes, unterhält sich mit desillusionierten GIs, die einen sinnlosen Kampf um eine Brücke führen und muss mitansehen, wie die nervöse Crew seines Schiffes Zivilisten massakriert. In der letzten Szene manifestiert sich das Problem der Amerikaner, in dem fremden Land Freund und Feind zu unterscheiden. Je tiefer die Reise in den Dschungel hinein – hin zu Kurtz – führt, desto weiter entfernt er sich von der Zivilisation und der Wahnsinn und das Grauen nehmen stetig zu. Die Soldaten an Bord verwahrlosen zunehmend, die Umgebung wird bedrohlicher – und immer irrea-
KOMETENHAFTER AUFSTIEG, ABRUPTER FALL: Der glanzvollen Karriere folgt ein Kriegsgerichtsverfahren und ein ruhmloser Lebensabend Abb.: picture-alliance/akg-images
S.60 61
Clausewitz 2/2017
66
Militär und Technik
Kolossale Kampfmaschine ..................................................................................54 Der britische Infantry Tank Churchill.
S.66
Clausewitz 1/2018
Reenactment
Tanks in Town .....................................................................................................................................74 Populäres Reenactment-Event in Belgien.
Menschen & Geschichten
Reise ins Herz der Finsternis
E
.......................................................................
60
Spurensuche
Francis Ford Coppolas Vietnam-Epos Apocalypse Now.
Majestätisches Machtzentrum ....................................................................78
Sündenbock für Königgrätz ................................................................................66
Vorschau / Impressum.........................................................................................................................82
Die weltberühmte Deutschordensburg an der Nogat.
Der österreichische Feldzeugmeister Ludwig von Benedek. Titelbild: Die HGr. Kurland besaß bis zuletzt auch schwere Waffen.
Clausewitz 1/2018
Titelfotos: picture alliance/ZB; Jim Laurier; picture alliance/Heritage Images; picture-alliance/dpa; Rue des Archives/Tallandier/Süddeutsche Zeitung Photo
5
Magazin
Das Edelweiß, Symbol der deutschen Gebirgsjäger, wird an der Mütze getragen – eines der vielen Exponate der Ausstellung „Die kalten, kahlen Berge ...“
Sehenswerte Sonderausstellung zur Deutschen Gebirgstruppe
Ausstellungstipp
„Die kahlen, kalten Berge ...“
Das deutsche Militär unternimmt bereits in den 1890er Jahren Versuche mit Skiern. Man führt sie aber erst Ende 1914 für eigenständige Spezialtruppen ein Foto: WGM Rastatt (3)
Sonderausstellung zur Deutschen Gebirgstruppe im Ersten Weltkrieg
B
is zum 15. April 2018 zeigt das Wehrgeschichtliche Museum im Schloss Rastatt die Sonderausstellung „ ,Die kahlen, kalten Berge ...’ – Der Erste Weltkrieg im Alpenraum, die Deutsche Gebirgstruppe und das Württembergische Gebirgsbataillon.“ Erste Kämpfe mit deutscher Beteiligung gab es kurz nach Kriegsausbruch im Sommer 1915 in den Dolomiten, als das Deutsche Alpenkorps den Grenzschutz unterstützte. 1917 kam es zur Schlacht am Isonzo. Große deutsche Verbände kämpften mit den verbündeten österreichisch-ungarischen Soldaten und errangen überraschende Erfolge.
Bei der Ausstellung stehen die württembergischen Kontingente – unter dem Kommando der Generäle von Berrer und von Hofacker – im Mittelpunkt. Weiterhin sind von dem späteren Generalfeldmarschall des Zweiten Weltkriegs Erwin Rommel und dem Württembergischen Gebirgsbataillon exklusive Objekte zu sehen. Die Sonderausstellung verdeutlicht die extremen Anforderungen an die Soldaten, ihre Erlebnisse sowie die Kampfweisen und Überlebensstrategien. Seltene Fotografien wurden von Glasplattenpositiven aufwendig digitalisiert. Besucher erhalten so einen Ein-
Die Zahl des Monats
blick in den abenteuerlichen Vormarsch der deutschen Truppen in Italien, vom Monte Matajur über die Forcella Clautana und Longarone bis zum Ende der verlustreichen Kämpfe im Gebiet des Monte Grappa. Spannende Leihgaben aus anderen Museen bereichern die Schau zusätzlich. Der Begleitband zur Ausstellung beleuchtet ausgewählte Aspekte des Krieges an der Alpenfront. Kontakt: Museum im Schloss Rastatt Herrenstraße 18, 76437 Rastatt E-Mail:
[email protected] www.wgm-rastatt.de
Militärhistorische Fakten
Vietnamkrieg-Mythen Fantasie versus Fakten
275
Foto: picture-alliance/ullstein bild
Jahre sind seit der Geburt von Gebhard Leberecht von Blücher vergangen. Der spätere „Marschall Vorwärts“ erblickt am 16. Dezember 1742 in Rostock das Licht der Welt. Der preußische Generalfeldmarschall gilt als einer der Bezwinger Napoleons bei Waterloo 1815. Er stirbt am 12. September 1819 im schlesischen Krieblowitz (1937 bis 1945 Blüchersruh; heute Krobielowice, Polen).
6
iner weitverbreiteten Ansicht nach ist der Vietnamkrieg für die kämpfenden US-Soldaten weitaus weniger intensiv als für die Kameraden, die am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben. Tatsache ist aber, dass der durchschnittliche US-Infanterist auf dem pazifischen Kriegsschauplatz während des Zweiten Weltkriegs 40 Tage im Gefecht ist (bei einer durchschnittlichen Dienstzeit von vier Jahren). In Vietnam hingegen sind es 240 Tage (bei einer durchschnittlichen Dienstzeit von nur einem Jahr). Insgesamt dienen 2,7 Millionen Amerikaner in Vietnam – ungefähr jeder Zehnte davon wird entweder getötet (58.148 Mann) oder verwundet (zirka 300.000 Mann). Eine weitere Legende ist der angeblich hohe Drogenkonsum der GIs in Vietnam. Fakt ist allerdings, dass die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Drogenkonsumenten in den 1960er-Jahren nicht Soldaten, sondern Zivilisten sind. Der Drogenkonsum bei Pazifisten zum Beispiel ist damals um ein Vielfaches höher als bei der kämpfenden Truppe.
Abb.: picture-alliance /ZUMA Press
E
Der Vietnamkrieg ist ein intensiver und blutiger Konflikt. Der in Südostasien kämpfende durchschnittliche US-Soldat ist aber entgegen populärer Mythen kein Drogenkonsument
Cavaleri, Leo
'DV5JW GHUÄ'LYLVLRQ %UDQGHQEXUJ³
(LQH'RNX]XP (LQVDW]GHU %5$1'(1%85 *(5*HELUJV MlJHULP2VWHQ E]Z6GRVWHQ (XURSDV
Liste
1. 45 Minuten: Der Britisch-Sansibarische Krieg vom 27. August 1896 gilt als der kürzeste Krieg der Weltgeschichte. Eine Dreiviertelstunde benötigt die Royal Navy, um den Palast von Sultan Hamad bin Thuwaini zu zerstören – damit endet der Krieg 2. Sechs Tage: Im Sechstagekrieg von 1967 steht Israel einer arabischen Allianz aus Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Irak gegenüber. Israelische Flugzeuge können bereits am ersten Tag die gegnerischen Luftstreitkräfte vernichten
354 Seiten, Hardcover, Großformat, 223 Abb., davon 175 s/w-Fotos, 29 s/w-Karten, 8 farbige Karten, 11 Schemata; ISBN 978-3-86933-186-7
QHX
Die HMS Thrush ist im kürzesten Krieg der Weltgeschichte im Einsatz
¼
3. 13 Tage: Der Dritte Indisch-Pakistanische Krieg von 1971 endet mit einem indischen Sieg und der Gründung des Staates Bangladesch. Mit einer Dauer von nicht ganz zwei Wochen gilt er als einer der kürzesten Kriege Abgeschossener Panzer der syrischen Armee während des Sechstagekrieges 1967
NEUERSCHEINUNG
Deutsche Feindaufklärung Spannende Studie über Geheimdienstarbeit vor dem Ersten Weltkrieg
M
ilitärische Geheimdienstarbeit ist keine Erscheinung der Moderne. Allerdings lösten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die rasanten Entwicklungen der Waffen- und Kommunikationstechnik, im Eisenbahnbau und in der Logistik einen gesteigerten Informationsbedarf aus. Dieser führte seither zu einem tief greifenden Wandel im militärischen Geheimdienstwesen. Besonders in der Zeit von 1904 bis 1914 gewann die „Feindaufklärung“ für den deutschen Generalstab an Bedeutung. Das Deutsche Reich war – vor dem Hintergrund der sich häufenden Krisen und Spannungen – auf genaue Informationen über die potenziellen Gegner angewiesen. Nur so sah man sich in der Lage, auf die politischen und militärischen Entwicklungen vor allem in Frankreich und Russland zu reagieren und die eigene Militärplanung und Rüstung darauf abstimmen zu können. Diese Neuerscheinung widmet sich der Bedeutung der Feindaufklärung, Informationen und Einschätzungen des deutschen Generalstabs zu den Armeen Frankreichs
Das historische Zitat
„Die Macht erzeugt Übermut.“ Bertha von Suttner (1843–1914), österreichische Schriftstellerin, Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin (1905)
Clausewitz 1/2018
EDGLVFK GLUHNW«
Neue Untersuchung zur deutschen Feindaufklärung vor dem Krieg von 1914–1918
.ULHJVHULQQH UXQJHQGHV/DQG ZHKUPDQQHV(PLO 6WHLQOH
Abb.: Verlag Ferdinand Schöningh
4. 14 Tage: Nur einen Tag länger dauert der Serbisch-Bulgarische Krieg von 1885. Vom 14. bis zum 28. November bekämpfen sich das Königreich Serbien und das Fürstentum Bulgarien. Er endet mit der Vereinigung und Anerkennung Bulgariens durch die europäischen Mächte
Scheuerer, Jürgen / Kiefer, Markus
und Russlands am Vorabend des Ersten Weltkriegs und liefert eine Vielzahl spannender Erkenntnisse. Lukas Grawe: Deutsche Feindaufklärung vor dem Ersten Weltkrieg – Informationen und Einschätzungen des deutschen Generalstabs zu den Armeen Frankreichs und Russlands 1904 bis 1914 (=Zeitalter der Weltkriege, Bd. 16), 1. Aufl. 2017, XII + 532 Seiten, Festeinband, Preis: 54 Euro
122 Seiten, Hardcover, 24 Abb., 17x24 cm; ISBN 978-3-86933-189-8
¼
QHX
Salterberg, Kurt
.XUW6DOWHUEHUJ
$OV6ROGDWLQGHU :ROIVVFKDQ]H 111 Seiten, Hardcover, fest geb., 68 Abbildungen, 17x24 cm; ISBN 978-3-86933165-2
¼
Sajer, Guy
'HUYHUJHV VHQH6ROGDW $XWRELRJUDILHHLQHV )UDQ]RVHQXQG :HKUPDFKWVVRO GDWHQLP5XODQG IHOG]XJ 483 Seiten, Paperback, 14,8x22,3 cm; ISBN 978-3-86933146-1
22,00 € Foto: picture-alliance/akg-images
Abb.: picture alliance/Heritage Images;picture-alliance/©dpa-Bildarchiv
Die drei Punischen Kriege zwischen den antiken Supermächten Rom und Karthago dauern insgesamt 118 Jahre. Ein „Weltrekord“. Doch es geht auch viel kürzer
YHUNDXIWH:HOWDXIODJHGUHL0LOOLRQHQ
Helios.de
3RVWIDFK$DFKHQ 7HO)D[ H0DLO+HOLRV9HUODJ#WRQOLQHGH 7 YHUVDQGNRVWHQIUHLH$XVOLHIHUXQJ LQQHUKDOE'HXWVFKODQGV
Foto: picture-alliance (2)
Magazin
Die Anzahl an verschiedenen Großexponaten in den Museumshallen ist beeindruckend
MUSEUMSTIPP Das Armeemuseum in Brüssel verfügt über eine Vielzahl an Exponaten, vor allem zur europäischen Militärgeschichte
Königliches Armeemuseum Musée Royal de l’Armée / Loninklijk Legermuseum in Belgien
D
as Königliche Armeemuseum in Brüssel beherbergt eine riesige Auswahl erstaunlicher Objekte aus rund 1.000 Jahren Militärgeschichte. Dazu zählen nicht nur Uniformen, Auszeichnungen und Handwaffen, sondern auch eine außergewöhnliche Sammlung von Großexponaten: Flugzeugen, Kanonen und Panzern. Das nur fünf Jahre nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1923 eröffnete Musée Royal de
l'Armée oder Koninklijk Legermuseum deckt verschiedene Epochen der Militärgeschichte ab. Die Sammlung des Museums ist in zwei großen Hallen untergebracht. Mit 40.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, seiner Vielfältigkeit und seinen beeindruckenden Exponaten gehört es ohne jeden Zweifel zu den bedeutendsten Armeemuseen der Welt. Die Bordiau-Hallen widmen sich den gro-
ßen Militärkonflikten des 20. Jahrhunderts, vor allem den Jahren 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945. Kontakt: Königliches Armeemuseum Jubelpark 3 / Parc du Cinquantenaire 3 1000 Brüssel (Brussels), Belgien E-Mail:
[email protected] www.klm-mra.be
BUCHEMPFEHLUNG Die Fotocollage des russischen Fotografen Sergey Larenkov stellt eindrucksvoll visualisiert einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart her; www.sergey-larenkov.livejournal.com
Spuren des Kalten Krieges Bunker, Grenzen und Kasernen in Wort und Bild
Damals: Die Wehrmacht rückt im Sommer 1941 in die russische Stadt Nowgorod ein. Das Foto zeigt die Mauern des Kremls, also der historischen Rundburg. Nowgorod ist eine der ältesten Städte des Landes. Heute: Die heutige Großstadt heißt inzwischen „Weliki Nowgorod“ und hat mehr als 200.000 Einwohner. Der knapp 200 Kilometer von Sankt Petersburg entfernte Ort gehört zu den lebenswertesten Städten Russlands. 8
ehr als ein Vierteljahrhundert ist seit 1989 vergangen und noch immer sind unzählige Spuren des Kalten Krieges präsent: nicht Reich illustriertes Buch nur historisch aufgear- mit Kurztexten über Rebeitet in Museen oder likte des Kalten Krieges Gedenkstätten, sondern auch ganz unmittelbar als bauliche Reste oder inzwischen überwucherte Areale. Die Autoren von „Spuren des Kalten Krieges“ begaben sich in Europa und darüber hinaus auf eine (Zeit-)Reise zu mehr als 100 solcher oftmals vergessenen Orte der (Militär-)Geschichte. Stefan Büttner / Martin Kaule: Spuren des Kalten Krieges – Bunker, Grenzen und Kasernen, 240 S., geb., 220 × 260 mm, S/W- und Farbabbildungen, Preis: 29,95 Euro
Abb.: mitteldeutscher verlag
www.sergey-larenkov.livejournal.com
M
Briefe an die Redaktion
Kurioses
Begehrte Beißer Die „Waterloo-Zähne“
Ü
Abb.: picture-alliance/akg-images
ber Jahrhunderte hinweg ist das Plündern – beziehungsweise die Aussicht darauf – ein gewichtiger Motivationsfaktor für Soldaten. In den meisten Fällen findet das Beutemachen direkt auf dem Schlachtfeld statt – man nimmt was der tote Gegner bei sich hat. Nach der Schlacht von Waterloo 1815 gibt es so viele tote Franzosen, dass die Sieger reichlich Raubgut vorfinden: Uhren, Medaillons, Schwerter und Pistolen sind im Überfluss vorhanden und müssen quasi nur noch eingesammelt werden. Mancher Soldat macht an diesem Abend so viel Beute, dass er davon den Rest seines Lebens daheim in England bestreiten kann. Nach dem Stehlen der wertvollen Uhren, der Geldbeutel, der goldenen Offiziers-Epauletten, der Kleidung und anderer Ausrüstungsgegenstände sind die Leichen praktisch nackt.
Diese Gefallenen der Kaiserlichen Garde auf dem Schlachtfeld von Waterloo am Abend des 18. Juni 1815 haben noch ihre Zähne im Mund – aber vermutlich nicht mehr lange …
Und nun kommt der makaberste Teil, nämlich das Herausbrechen der Zähne. Dazu muss man wissen, dass Zahnersatz und künstliche Gebisse damals aus echten menschlichen Zähnen (von Toten oder von Armen, die sie für Geld verkaufen) bestehen. Nach Waterloo überschwemmen so viele Zähne den Markt, dass Zahnprothesen und Dritte Zähne für Jahrzehnte unter dem Begriff „Waterloo Teeth“ (Waterloo-Zähne) bekannt sind.
Zu „Der Tod in Zeitlupe“ in Clausewitz 5/2017: Weil man sich auf dem internationalen Kinomarkt mit einem populären US-Schauspieler mehr Publikum – und damit natürlich auch mehr Einnahmen – versprach besetzten die Produzenten des Filmes Steiner – Das Eiserne kreuz die Hauptrolle mit dem amerikanischen Schauspieler James Coburn. Denn sicher hätten renommierte deutschsprachige Schauspieler wie Hardy Krüger oder Götz George die Rolle des deutschen Soldaten Steiner genauso überzeugend verkörpern können wie der US-Star Coburn. Manfred Radina, Schweinfurt Zu „Die Elite des Kaisers” in Clausewitz 6/2017: Heute Clausewitz gekauft und Artikel über Sturmtruppen gelesen. Mein Großvater hat unter Hauptmann Rohr gedient. Habe noch Verleihungsurkunde EK 2
MILITÄR UND TECHNIK
„Kettenhunde“
Andreas Hofer
Tirols Freiheitsheld
So gefürchtet waren die A f der We macht
mit Unterschrift Rohr im Besitz sowie auch noch andere Fotografien aus der Zeit. Opa war dann abkommandiert nach Spa. Gruppenbild mit Hindenburg. Geleitschutz für Kaiser zum Bahnhof gestellt und nach Kriegsende Freikorps in Berlin. Machen Sie so weiter in Ihrer geschichtlichen Aufarbeitung. Dieter Lahne, per E-Mail Zu „Kämpfer statt Kanonenfutter“ in Clausewitz 6/2017: Die deutschen Sturmbataillone wurden teilweise mit dem erbeuteten britischen leichten LewisMaschinengewehr ausgerüstet, da es leichter und handlicher als das MG 08/15 war. Jürgen Kaltschmitt, per E-Mail
Bücher zur Kriegsgeschichte
Faszination Vergangenheit – Geschichte und Geschichten NEU
NEU
Peter Schmoll: Sperrfeuer – Die Regensburger Flakhelfer
Peter Schmoll: Me 109 Produktion und Einsatz
1. Auflage 2017, Format 17 x 24 cm, ca. 150 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86646-357-8 Preis: 19.90 EUR
1. Auflage 2017, 1. Auflage 2016, Format 21 x 28 cm, Format 21 x 28 cm, ca. 300 Seiten, Hardcover 144 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86646-356-1 ISBN 978-3-95587-034-8 Preis: 29.90 EUR Preis: 19.90 EUR Schreiben Sie an:
Klaus Schriml: Im Fadenkreuz der Alliierten
Peter Schmoll: Messerschmitt-Giganten
Peter Schmoll: Luftangriffe auf Regensburg
Peter Schmoll: Die Messerschmitt-Werke im Zweiten Weltkrieg
2. erweiterte Auflage 2016, Format 21 x 28 cm, 280 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86646-336-3 Preis: 29.90 EUR
2. Auflage 2015, Format 21 x 28 cm, 254 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86646-310-3 Preis: 19.90 EUR
3. Auflage, Format 17 x 24 cm, 232 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-931904-38-8 Preis: 20.50 EUR
[email protected] oder Clausewitz, Postfach 40 02 09, 80702 München Leserbriefe spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe aus Gründen der Darstellung eines möglichst umfassenden Meinungsspektrums sinnwahrend zu kürzen.
Clausewitz 5/2017
Pfälzer Straße 11 | 93128 Regenstauf Tel. 0 94 02 / 93 37-0 | Fax 0 94 02 / 93 37-24 E-Mail:
[email protected]
Das komplette Programm mit Leseproben finden Sie in unserem Online-Shop unter: www.gietl-verlag.de
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
Schwere Abwehrkämpfe der Wehrmacht in Kurland
Brandherd im Herbst 1944:
In Kurland schnürt die Rote Armee einen Großteil der Heeresgruppe Nord von der übrigen Ostfront ab. Verbissen wehren sich die Eingekesselten in blutigen Schlachten gegen die heftigen Angriffe der Sowjets Von Tammo Luther
5 KURZE FAKTEN ZEIT: Mitte Oktober 1944 bis Anfang Mai 1945 ORT: Kurland im Baltikum; Landschaft im heutigen Lettland KONTINENT: Europa GEGNER: Sowjetunion / Deutsches Reich EREIGNIS: Kesselschlachten zwischen Roter Armee und Wehrmacht / Waffen-SS
10
Baltikum
Auf verlorenem Posten S. 24 So lebten und litten die deutschen Soldaten in Kurland.
Front-Feuerwehr Die Panzertruppe kommt immer wieder die Front stabilisieren.
Clausewitz 1/2018
S. 28
GEFÄHRLICHER GEGNER In Kurland sind seit Herbst 1944 starke Verbände von Wehrmacht und Waffen-SS isoliert. Unter den Eingeschlossenen befinden sich auch Panzerdivisionen, die als besonders kampfstark gelten und sich den sowjetischen Angreifern immer wieder in höchster Not entFoto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo gegenwerfen
11
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
Verfrühter Jubel Sowjetische Soldaten „feiern“ den Durchbruch zur Ostsee im baltischen Raum im Oktober 1944. Die Divisionen der deutschen Heeresgruppe Nord bedrohen jedoch weiterhin die Flanke der nach Westen vorstoßenden Roten Armee. Man will die Verbände der Deutschen daher als Unruheherd ausschalten Foto: picture-alliance/©dpa
12
Ausschalten der Flanken-Bedrohung
FAKTEN
Sowjetunion Befehlshaber: Marschall der Sowjetunion Leonid Alexandrowitsch Goworow (Oberbefehlshaber der Sowjettruppen der Leningrader Front) Armeegeneral und „Held der Sowjetunion“ Hovhannes Baghramjan (Oberbefehlshaber 1. Baltische Front) Armeegeneral Andrei Iwanowitsch Jerjomenko (Oberbefehlshaber 2. Baltische Front) Armeegeneral Iwan Iwanowitsch Maslennikow (Oberbefehlshaber 3. Baltische Front)
Zielsetzungen: Vernichtung der in Kurland eingeschlossenen Verbände der Heeresgruppe Nord (ab Ende Januar 1945 Heeresgruppe Kurland), um eine mögliche Bedrohung im Norden auszuschalten und die frei werdenden Armeen im Kampf um das Deutsche Reich einsetzen zu können
Clausewitz 1/2018
13
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
FAKTEN
Deutsches Reich Befehlshaber: Generaloberst Ferdinand Schörner (bis Januar 1945) (Oberbefehlshaber Heeresgruppe Nord, ab 2. Januarhälfte 1945 Heeresgruppe Kurland) Generaloberst Heinrich Gottfried von Vietinghoff (Oberbefehlshaber Heeresgruppe Kurland vom 29. Januar bis 10. März 1945) Generaloberst Lothar Rendulic (Oberbefehlshaber Heeresgruppe Kurland Mitte März 1945) General der Infanterie Carl Hilpert (Oberbefehlshaber Heeresgruppe Kurland 2. Märzhälfte bis Anfang Mai 1945)
Zielsetzungen: Verhindern der Aufspaltung des im Herbst 1944 entstandenen Kurland-Kessels durch die Rote Armee und Sicherung des wichtigen Ostseehafens Libau (lettisch: Liepaja) gegen die Angriffe des Gegners, um Nachschubtransporte beziehungsweise Abtransporte sicherstellen zu können; Bindung von starken Feindkräften; mögliche Brückenkopf-Basis für eine spätere Offensive am Nordabschnitt der Ostfront
14
Hitler will Kurland als Brückenkopf
Bis zur Erschöpfung Den Soldaten im Kurland-Kessel wird körperlich und seelisch extrem viel abverlangt. Sie kämpfen mit dem Rücken zur Ostsee ums nackte Überleben gegen zahlenmäßig weitaus überlegene Angreifer. Hitler hegt indes die illusorische Hoffnung, Kurland als Sprungbrett für eine kommende Offensive nutzen zu können Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
Clausewitz 1/2018
15
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
F
ür die Wehrmacht könnte die Lage am Nordabschnitt der Ostfront im Oktober 1944 dramatischer kaum sein. Die sowjetische Herbstoffensive im Baltikum trifft die deutschen Verbände der Heeresgruppen (HGr.) Nord und Mitte mit aller Wucht. Sie treibt einen Keil zwischen die Großverbände und schneidet die HGr. Nord von den südlich Memel und Tilsit in Ostpreußen kämpfenden Truppen ab. Wenn die deutsche Militärführung nicht schnell handelt, sitzen etwa eine halbe Million Soldaten der Heeresgruppe Nord in der Falle.
schlachten in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs stattfinden wird. Anfang September 1944 verkündete der bis dahin deutsche Verbündete Finnland den Kriegsaustritt und verschärft die Lage zusätzlich. Durch die Übernahme bisher von den Fin-
Kurz: Die HGr. Nord blickt im Herbst 1944 in eine trübe Zukunft. Stalins Truppen eilen derweil von Sieg zu Sieg. Auch im Baltikum ergreift die Rote Armee erneut die Initiative und greift an. Ihr Sturm bricht am 13. Oktober 1944 los. Es ist der Auftakt zu insge-
„Im Raum südostwärts Libau wurde der erstrebte sowjetische Durchbruch von unseren Truppen (...) unter Abschuss von 62 Panzern vereitelt (...).“ Auszug aus dem Wehrmachtbericht vom 3. November 1944 über die zweite Kurland-Schlacht (Oktober/November 1944)
Auftakt zur Dauerschlacht Noch ahnt niemand, dass in Kurland – einer historischen Landschaft in Lettland westlich der Düna – eine der größten Abwehr-
IN TRÜMMERN Deutsche Soldaten inmitten einer zerstörten Ortschaft in Lettland im Herbst 1944. Die Zivilbevölkerung im Kurland-Kessel leidet erheblich unter den schweren Kämpfen Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
16
nen genutzter Marinestützpunkte gefährden seither sowjetische U-Boote die deutschen Seeverbindungswege von der Danziger Bucht bis Libau (lettisch: Liepaja) im Westen Kurlands. Sie beeinträchtigen den Nachschub für die Wehrmacht.
samt sechs blutigen Kurland-Schlachten bis April 1945. Ziel des ersten sowjetischen Großangriffs ist es, zu den Ostseehäfen Windau (Ventspils) und Libau vorzustoßen. Bei einem Erfolg dieser Offensive wäre dem Gros der ein-
KARTE
Abschnürung der HGr. Nord, 1944
AUSGESCHALTET Diese beiden Soldaten eines Panzervernichtungstrupps haben soeben einen Sowjetpanzer zerstört; Kurland im Oktober 1944 Foto: picture-alliance/©dpa
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich
geschlossenen HGr. Nord der Rückweg über das Meer abgeschnitten, ihre Kapitulation nur noch eine Frage der Zeit. Insgesamt fast 30 Divisionen der 1. und 2. Baltischen Front und vier motorisierte Brigaden sind an dem Vorstoß der Roten Armee beteiligt. Der Schwerpunkt der 1. Baltischen Front (Armeegeneral Hovhannes Baghramjan) liegt vor Tuckum (Tukums), einer Stadt etwa 60 Kilometer westlich von Riga. Der sowjetische Stoßkeil versucht, in den Norden Kurlands vorzudringen. Doch östlich von Tuckum bleibt der Angriff stecken. Die im Kurland-Kessel Eingeschlossenen, darunter auch Teile des schlagkräftigen III. (germanischen) SS-Panzerkorps (III. SSPz.K.), leisten an jedem Frontabschnitt erbitterten Widerstand. Ein deutscher Gegenstoß mit dem Ziel, die Verbindung zur auf Ostpreußen zurückweichenden 3. Panzerarmee (3. Pz.A.) unter Generaloberst Erhard Raus Clausewitz 1/2018
wiederherzustellen, scheitert jedoch. Jede weitere Überlegung, mit den abgeschnittenen Verbänden der 16. (General der Infanterie Carl Hilpert) und 18. Armee (General der Infanterie Ehrenfried Boege) Richtung Memel vorzustoßen, lehnt man an höchster Stelle fortan ab.
Halten um jeden Preis Der „Führer“ untersagt mit Nachdruck eine solche Offensivaktion. Er befiehlt vielmehr, Kurland unter allen Umständen zu halten und nimmt damit billigend in Kauf, dass der Feind die die gesamte Heeresgruppe abschnürrt. Die beiden deutschen Armeen (16. und 18. Armee) müssen sich zeitweilig gegenüber insgesamt 16 sowjetischen Armeen behaupten. Oberbefehlshaber der HGr. Nord ist im Herbst 1944 Generaloberst Ferdinand Schörner. Er gilt als harter Hund und großer Ver-
17
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
SCHNEISE DER VERWÜSTUNG Zahlreiche Orte in Kurland werden im Zuge der von beiden Seiten erbittert geführten Kämpfe stark in Mitleidenschaft gezogen Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
schluss der ersten Kurland-Schlacht gefestigt. Doch Zeit zum Durchatmen bleibt den Eingekesselten nicht. Denn die Rote Armee bereitet bereits ihren nächsten Schlag vor und versucht im Vorfeld, die deutsche Infrastruktur durch Luftangriffe zu beeinträchtigen. Bereits am 27. Oktober beginnt die zweite Kurland-Schlacht. Starkes Artilleriefeuer leitet die neue Sowjet-Offensive ein. Wieder ist die Hafenstadt Libau als wichtiger Um-
Doch im Oktober 1944 ist die Lage der Wehrmacht weitaus dramatischer als noch im Sommer desselben Jahres. Der Druck der Roten Armee nimmt stetig zu. Schörners Truppen sind vollständig von der übrigen Ostfront abgetrennt und stehen quasi mit dem Rücken zur Ostsee. Zwar hat sich der Frontverlauf der HGr. Nord am 24. Oktober 1944 nach Abwehr des sowjetischen Angriffs und Ab-
FERDINAND SCHÖRNER
HEINRICH VON VIETINGHOFF
(1897–1982)
(1892–1973)
(1887–1952)
Armeegeneral
Gefürchtet
Befehlshaber
Iwan Christoforowitsch Baghramjan (Armenisch: Hovhannes Baghramjan) ist Oberbefehlshaber der 1. Baltischen Front. Ihre Verbände kämpfen im Herbst 1944 am Südrand des Kurland-Kessels
Generaloberst Ferdinand Schörners Führungsstil gilt als hart und kompromisslos. Er ist Chef der Heeresgruppe Nord bis Ende Januar 1945
Generaloberst Heinrich Gottfried von Vietinghoff steht von Ende Januar bis Mitte März 1945 an der Spitze der Heeresgruppe Kurland
Foto: ullstein bild - ullstein bild
Foto: picture-alliance/akg-images
IWAN C. BAGHRAMJAN
Clausewitz 6/2015 18
Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto
ehrer des Diktators. Nach Abschluss des Unternehmens „Doppelkopf“ im August 1944 erhielt Schörner das „Eichenlaub mit Schwertern zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes“. Im Rahmen dieser Operation konnte er die zuvor unterbrochene Landverbindung zwischen Verbänden seiner in Estland und Lettland stehenden HGr. zu den weiter südwestlich stehenden Truppen der HGr. Mitte wiederherstellen.
Tödliche Feuerglocke
Artitec
®
0LOLWlUPRGHOOH 0DVWDE
AUF DEM VORMARSCH Nach der sowjetischen Großoffensive im Januar 1945 überrennen die sowjetischen Truppen Ostpreußen. Die Heeresgruppe in Kurland kämpft noch fast vier Monate weiFoto: picture-alliance/akg-images ter im Baltikum
387.319 - 3].SIZ,9$XVI':LQWHU
KURLAND IN FLAMMEN Die deutschen Verteidiger nutzten geschickt den Vorteil der inneren Linie Foto: ullstein bild - Heinrich Hoffmann
schlagshafen für Truppen, Ausrüstung und Waffen und der Vorstoß Richtung Ostseeküste das Hauptziel. Der Schwerpunkt liegt dieses Mal auf dem rechten Flügel der 18. Armee, beim X. Armeekorps (X. A.K.) und beim III. Pz.K., südöstlich von Libau im Raum Schoden (Skuodas). Die Divisionsgeschichte der an den schweren Abwehrkämpfen beteiligten 14. Panzerdivision (14. Pz.Div.) schildert den
LEONID A. GOWOROW (1897–1955)
Marschall Leonid Alexandrowitsch Goworow ist Oberbefehlshaber der Sowjettruppen der Leningrader Front. Er richtet Anfang Mai 1945 ein Ultimatum an die Heeresgruppe Kurland
sowjetischen Angriff wie folgt: „Am Morgen des 27. Oktober gegen 6:00 Uhr setzte an der gesamten Front zwischen Preekuln [lettisch: Priekule; Ort nördlich Schoden] und der Venta [Fluss in Kurland] aus mehr als zweitausend Rohren das vorbereitende Trommelfeuer ein. Wenig später traten im Schutz der nach Norden wandernden Feuerglocke (...) Panzer und Schützenbrigaden zum Angriff an.“ Während die Rotarmisten die Linien der 14. Pz.Div. eher zögerlich attackieren, richten sie ihren wuchtigen Hauptstoß gegen den Abschnitt der benachbarten 30. Infanteriedivision (30. I.D.). Dort erzielen sie mehrere Einbrüche, die die 30. I.D. dazu zwingen, weiter zurückzugehen. Das Panzergrenadier-Regiment 108 der 14. Pz.Div. kann das weitere Vorstoßen der sowjetischen Truppen jedoch zusammen mit Panzern der Panzeraufklärungs-Abteilung 14 abriegeln. Wenngleich einige Nachbardivisionen unter dem starken Feinddruck Richtung Norden zurückweichen müssen: Die größte Gefahr für die Verteidiger des Kurland-Kessels ist an diesem Abschnitt im Raum nördlich von Wainoden (Vainode) zunächst gebannt.
Foto: picture-alliance/(c)dpa
Löchrige Hauptkampflinie In den kommenden Wochen rennen die sowjetischen Verbände an verschiedenen Frontabschnitten massiv gegen die deutschen Linien an. Wiederholt können sie Einbrüche erzielen. Die Geländegewinne bleiben jedoch eher gering. Die Hauptkampflinie (HKL) Clausewitz 1/2018
387.102-WY - 7LJHU,:LQWHU
387.105-YW - 6G.I]5DG0*
0RGHUQH6WUHLWNUlIWH
NEU!
6870109 - %5'/HRSDUG$
6870142 - 860$$EUDPV'HVHUW6WRUP ,QXQVHUHP:HEVKRSÀQGHQ6LHPHKUDOV 0LOLWlUPRGHOOHLP0DVWDE %HVXFKHQ6LHZZZDUWLWHFVKRSGHRGHU IUDJHQ6LH,KUHQ0RGHOOIDFKKlQGOHU
Artitec shop.de ®
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
LEBENSWICHTIG Ein Schiff hat an einer vereinbarten Stelle Nachschubfässer auf dem Eis zurückgelassen, um die Eingekesselten zu versorgen
verschiebt sich daher permanent und ist vielerorts löchrig. Denn es mangelt an vielen Stellen der Kurland-Front an einer zusammenhängenden HKL. Immer wieder müssen auf deutscher Seite Regimenter und Bataillone zu Kampfgruppen formiert werden, die man dann anderen Divisionen unterstellt. Schlechtes Wetter und der Mangel an Treibstoff erschweren die Lage zusätzlich. Oft müssen sich die neu formierten Kampfgruppen in tagelangen Märschen durch unwegsames Gelände zu ihren Einsatzorten aufmachen.
Foto: ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
Beide Seiten erschöpfen sich
EINGEGRABEN. Die Verteidiger des Kurland-Brückenkopfes glauben nicht mehr an den „Endsieg“. Vielmehr hoffen sie, evakuiert zu werden, bevor sie in sowjetische Gefangenschaft geraten Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
ABWEHRBEREIT Schwere Eisenbahnflak der Wehrmacht vor Libau. Die strategisch bedeutsame Hafenstadt ist immer wieder Angriffen auch aus der Luft ausgesetzt Foto: ullstein bild - ullstein bild
IN DER DEFENSIVE. Ein deutscher Beobachtungsposten im Kurland-Kessel. Die Rote Armee übt einen enormen Druck auf die deutschen Verteidiger aus Foto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
20
Mitte November folgt der nächste sowjetische Großangriff. Doch der entscheidende Durchbruch will wieder nicht gelingen. Im Dezember 1944 ist Libau das Ziel massiver sowjetischer Luftschläge. Trotz bedeutender Abschusserfolge der deutschen Flak-Batterien werden Teile der Hafenstadt stark in Mitleidenschaft gezogen. In der zweiten Dezemberhälfte 1944 flauen die blutigen Kämpfe dann zwischenzeitlich ab. Beide Seiten sind erschöpft und abgekämpft. Auf deutscher Seite nutzt man die Zeit, um sich auf neue wütende Attacken des Gegners einzustellen. Sofern die winterlichen Temperaturen dies zulassen, gräbt man sich tief in den lettischen Boden ein. Auch nimmt man Umgruppierungen der Verbände vor. Dies gilt auch für die sowjetische Seite. Dort bereitet man sich längst auf den nächsten Offensivschlag vor. Es ist die vielbesagte Ruhe vor dem Sturm. Denn am 21. Dezember nimmt die sowjetische Artil-
DOKUMENT
Letzter Wehrmachtbericht „Als vorgeschobenes Bollwerk fesselten unsere Armeen in Kurland unter dem bewährten Generalobersten Hilpert monatelang überlegene Schützen- und Panzerverbände und erwarben sich in sechs großen Schlachten unvergänglichen Ruhm. Sie haben jede vorzeitige Übergabe abgelehnt. In voller Ordnung wurden mit den nach Westen noch ausfliegenden Flugzeugen nur Versehrte und Väter kinderreicher Familien abtransportiert. Die Stäbe und Offiziere verblieben bei ihren Truppen. Um Mitternacht wurden von der deutschen Seite, entsprechend den unterzeichneten Bedingungen, der Kampf und jede Bewegung eingestellt (…)." Letzter Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 9. Mai 1945 (Auszug)
Keine Zeit zum Durchatmen lerie die Stellungen des I. und XXXVIII. A.K. unter Feuer – etwa zwischen Libau und Frauenburg (Saldus), südwestlich von Tuckum. Während die Rotarmisten teils tiefe Einbrüche in die deutschen Linien erzielen, geraten die Verteidiger des Kessels enorm unter Druck. Die schweren Kämpfe betreffen am späten des 22. Dezember 1944 alle eingeschlossenen Korps.
Rüsten für den Showdown Weiterhin will die Rote Armee mit ganzer Wucht vor allem nach Libau zur Ostsee vorstoßen. Ihre Angriffsverbände versuchen es daher am 27. Dezember im Bereich des II. A.K. Doch Einheiten der schnell zur Hilfe eilenden 14. Pz.Div. können den drohenden Einbruch gerade noch verhindern. Kurz darauf ist auch diese dritte Kurland-Schlacht des Jahres 1944 beendet. Zu Jahresbeginn 1945 flauen die Kämpfe erneut fast überall ab. Die Gegner rüsten sich trotz empfindlicher Verluste für den nächsten Showdown: Die deutschen Verteidiger müssen fast 30.000 Mann an Gefallenen, Verwundeten und Vermissten verkraften. Bei den Ausfällen auf sowjetischer Seite geht man von deutlich höheren Zahlen aus. Seit Anfang Januar 1945 stehen wichtige Veränderungen an. Die abgeschnürte Heeresgruppe umfasst noch etwa 400.000 Mann, doch man verschifft in der Folge Einheiten ins Reichsgebiet. Darunter befindet sich neben einigen Infanteriedivisionen auch die 4. Panzer-Division, die nach Westpreußen verlegt wird. Hinzu kommen im weiteren Verlauf des Frühjahrs 1945 die
Reste des immer noch schlagkräftigen III. SS-Panzerkorps. Zudem nimmt man Mitte Januar 1945 einen Wechsel in der Heeresgruppenführung vor, die fortan die neue Bezeichnung HGr. Kurland trägt. Oberbefehlshaber im Hauptquartier in Schloss Pelzen (Pelci) südwestlich von Goldingen (Kuldiga) ist nun der 57-jährige Generaloberst Heinrich Gottfried von Vietinghoff. Er löst Ferdinand Schörner ab, der die HGr. Mitte übernimmt. Zeit zum Verschnaufen gewährt die sowjetische Militärführung den deutschen Kurland-Kämpfern nicht. Ende Januar 1945 leitet
vor. Schließlich gelingt es den Deutschen, eine durchgehende Frontlinie aufzubauen und das Schlimmste zu verhindern. Da der geplante Vorstoß nach Libau am erbitterten deutschen Widerstand scheitert, verlegt die Rote Armee den Schwerpunkt des Angriffs zur 16. Armee hin. Ein Vorstoß auf Frauenburg soll deren Verbände von der 18. Armee trennen. Anschließend würde man weiter Richtung Westen drängen und der Weg nach Libau – dem für die Eingeschlossenen überlebenswichtigen Nachschubhafen – wäre frei, so zumindest das sowjetische Kalkül.
„Russische Flugzeuge jagten, mit Bordwaffen feuernd, über den Kurland-Kampfraum und warfen Hunderttausende von Flugblättern ab mit der Aufforderung zur Gefangengabe.“ Ein Wehrmachtsoldat in seinen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verfassten Erinnerungen zu den Kämpfen um den Kurland-Brückenkopf
die Artillerie der Roten Armee auf einer Frontlänge von mehr als 100 Kilometern die nunmehr vierte Kurland-Schlacht ein. Der Hauptstoß richtet sich gegen den von Verbänden der 18. Armee gehaltenen Frontabschnitt zwischen Libau und Frauenburg. Einbrüche von mehreren Kilometern Tiefe können die Verteidiger teilweise bereinigen. Rückwärtige Reservekräfte versuchen verzweifelt, die Löcher in der immer dünner gewordenen Front zu stopfen. Teile der 14. Pz.Div. gehen örtlich sogar zum Gegenstoß
Doch in den ersten Februartagen 1945 endet auch diese Schlacht ohne den von Moskau erwünschten Erfolg.
Heftiger Streit mit Hitler In dieser heiklen Phase kommt es in Berlin zu einem heftigen Streit zwischen Generaloberst Heinz Guderian und Hitler. Der populäre Panzergeneral und Chef des Generalstabs des Heeres fordert Anfang Februar 1945 erneut die Räumung Kurlands. Er schildert in seinen Erinnerungen eines Soldaten
ZÄHER KAMPF Zwar ist die Rote Armee klar überlegen, doch bereitet ihnen oftmals das Gelände und das Wetter Schwierigkeiten – zum Vorteil der Deutschen Foto: picture-alliance/akg-images
Clausewitz 1/2018
21
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
ÜBER SEE Ein Transportschiff der Kriegsmarine bringt Winterkleidung für die in Kurland kämpfenden Truppen, darunter Uniformen für die eingekesselten Einheiten Foto: ullstein bild - ullstein bild der Waffen-SS
die Szene wie folgt: Guderian zu Hitler: „Glauben Sie nicht, dass mich meine Dickköpfigkeit verleitet, Ihnen immer wieder die Räumung Kurlands vorzuschlagen. Ich sehe keine andere Möglichkeit mehr, uns Reserven zu verschaffen und ohne diese können wir die Verteidigung der Reichshauptstadt nicht führen. Ich tue es wirklich nur für Deutschland!“ Dann schildert Guderian die Reaktion Hitlers: „Da fuhr der auf der ganzen linken Körperhälfte zitternde Mann [Hitler] hoch: ,Wie können Sie mir so etwas sagen? Mein ganzes Leben ist ein einziger Kampf für Deutschland!’“ Guderian weiter: „Und nun ging ein Zorneserguss von ungemeiner Heftigkeit vor sich, bis Göring mich am Ärmel nahm und in das Nebenzimmer zog (...).“
zerschlagen und dadurch die Kriegswende herbeiführen. Diese vollkommen illusorischen Überlegungen sind ein weiterer Beleg für Hitlers Größenwahn. Der weitere Verlauf der Kämpfe in der mittlerweile fünften und sechsten KurlandSchlacht (20. Februar bis 10. März bezie-
SPRUNGBRETT Die Heeresgruppe Kurland ist abgeschnitten von der übrigen Ostfront und kann nicht in die Kämpfe um das Reichsgebiet im Frühjahr 1945 eingreifen. Hitler befiehlt das Halten des Kurland-Brückenkopfes als Sprungbrett für eine spätere Ost-Offensive
Jenseits der Realität Hitler bleibt bei seinem Entschluss, denn der „Führer“ verfolgt ganz andere Pläne mit den Armeen im Baltikum. Er sieht Kurland als Brückenkopf – nach einem zuvor im Westen gegen die Alliierten errungenen Erfolg: Die Divisionen der HGr. Kurland sollen nach dem Coup im Westen die Basis für einen neuen deutschen Großangriff gegen die Rote Armee bilden. Der Plan des NS-Diktators: Die Wehrmacht soll im Osten aus der Flanke heraus zusammen mit neu herangeführten Divisionen losschlagen, große Teile der an der Ostsee stehenden sowjetischen Armeen
22
hungsweise 18. März bis 31. März 1945) ist geprägt von einem größtenteils immer wiederkehrenden Schema: Verbände der Roten Armee greifen nach Artillerietrommelfeuer oder heftigen Bombardements aus der Luft an, während die Verteidiger zähen Widerstand leisten, örtlich zurückweichen, sich aber nicht geschlagen geben. Doch die Luft für die Deutschen wird immer dünner. Ihre Reserven schwinden, wichtiger Nachschub bleibt aus. Zugleich befindet sich die sowjetische Seite in der komfortablen Situation, Panzerverbände aus dem Baltikum abziehen
zu können. Man will sie in Ostpreußen und an der Oder einsetzen. Die deutschen Kurland-Armeen binden daher immer geringere Feindkräfte. Diese ursprünglich wichtige „Aufgabe“ Kräfte zu binden, schwindet damit zusehends. Plänen des neuen Heeresgruppenchefs von Vietinghoff (Ende Januar bis 10. März 1945), den Brückenkopf zu verkleinern und Divisionen zu verschiffen, schiebt Hitler einen Riegel vor. Er hält an seiner Vision von Kurland als eine Art „Sprungbrett“ für eine neue Ost-Offensive nach einem Erfolg gegen die Westalliierten fest.
Mit aller Macht Mit der in der zweiten Märzhälfte 1945 einsetzenden sechsten Kurland-Schlacht will die Rote Armee die endgültige Entscheidung erzwingen. Mitten in die deutschen Abwehrmaßnahmen hinein platzt der nächste sowjetische Großangriff. Werfer- und Artilleriebatterien decken die deutschen Stellungen mit ihrem tödlichen Geschosshagel ein – mit Ausnahme von schmalen Gassen, die die sowjetische Artillerie bewusst ausspart. Die Panzer mit dem Roten Stern sollen durch diese Korridore hindurch vorstoßen und den Gegner werfen. Und tatsächlich: Die Angreifer erzielen an mehreren Frontabschnitten Einbrüche, die die Deutschen nicht überall und oftmals nur mit größter Mühe abriegeln können. An der gesamten Kurland-Front
Fachliteratur • Militärgeschichte • Modellbau
Der Kessel hält bis zuletzt Bernd Barbas
Die Geschichte des Stabes, der 13. und 15. Staffel und der Ersatzeinheit
des Jagdgeschwaders 52 Das Jagdgeschwader 52 war an allen Fronten eingesetzt und wurde nach verlustreichem, erfolglosem Anfang das erfolgreichste Geschwader mit über 11 000 Abschüssen. Davon war die III. Gruppe mit über 4000 Abschüssen die erfolgreichste Gruppe, gefolgt von der II. Gruppe mit über 3600 Abschüssen. Die drei erfolgreichsten Jagdflieger, Erich Hartmann, Gerhard Barkhorn und Günther Rall gehörten diesem Geschwader an und überstanden auch Kriegsereignisse wie Abschuss oder Verwundung. Über 70 Ritterkreuzträger flogen in diesem Geschwader. Mit 250 originalen Fotos wird hier seine Geschichte auf 212 Seiten erzählt. Hardcover, Großformat DIN A4 49,80 EURO
IM SCHUTZE DES WALDES Ein Spähtrupp der Wehrmacht in Wintertarnung. Der Soldat im Vordergrund trägt ein Sturmgewehr 44 bei sich Foto: ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo
brennt es auf einer Länge von fast 250 Kilometern nun lichterloh. Doch die wütenden Angriffe gegen die stark geschrumpften Verbände der deutschen 16. und 18. Armee bringen für die sowjetische Seite wieder nicht den großen Wurf. Zu hoch sind zudem die eigenen Verluste. Die Rote Armee stellt daher auch diese Offensive Ende März 1945 ein. Zu diesem Zeitpunkt ist Hitlers Ardennenoffensive im Westen längst gescheitert. Der von ihm beschworene Kurland-Brückenkopf ist für den weiteren Kriegsverlauf immer unbedeutender geworden. Denn im April 1945 kämpfen die Russen bereits um die Reichshauptstadt Berlin. Die Militärführung in Moskau will die deutschen Truppen in Kurland mittels begrenzter Vorstöße zumindest binden, um einen massenhaften Abtransport feindlicher Truppen über die
Literaturtipps Richard Lakowski: Der Zusammenbruch der deutschen Verteidigung zwischen Ostsee und Karpaten, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 10/1, hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Stuttgart 2008, S. 491– 679 Klaus Pape: 329. Infanterie-Division: Cholm – Demjansk – Kurland, Jena 2007
Clausewitz 1/2018
Ostsee zu verhindern. Genau darauf hoffen jedoch die Soldaten im Kessel. Sie wollen Kurland über den Seeweg verlassen und der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entkommen. Man verkürzt erneut die Frontlinie in Kurland. Teile mehrerer Divisionen erhalten den Befehl, sich Richtung Küste abzusetzen.
Die Waffen schweigen Vor allem in den Hafenstädten Libau und Windau herrscht hektische Betriebsamkeit. Würde die von vielen Soldaten erhoffte Einschiffung gen Norden oder Westen gelingen? Zum Teil: Für eine umfangreiche Evakuierung steht zwar zu wenig Schiffsraum – auch ohne schwere Waffen – zur Verfügung. Schätzungsweise mehr als 200.000 Mann bleiben zurück. Doch Tausende können noch auf Schiffen verschiedenster Art über das Meer entkommen. Schließlich kapituliert der letzte Oberbefehlshaber der HGr. Kurland, Generaloberst Carl Hilpert, vor der Roten Armee. Damit schweigen am 9. Mai 1945 auch in Kurland die Waffen. Der Brandherd im Baltikum ist erloschen. Dr. Tammo Luther, Jg. 1972, Verantwortlicher Redakteur von Clausewitz und Freier Autor & Lektor in Schwerin mit Schwerpunkt „Deutsche Militärgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“.
Neuerscheinungen! - Geschichte im Detail - Neuerscheinungen!
Ilmensee, 1942
Die Wehrmacht gegen die Rote Armee Óscar González • Pablo Sagarra Jan. 1942 kämpfte die deutsche 16. Armee mit der sowjetischen 11. Armee unter Morosow um die strategisch wichtige Stadt Staraja Russa. • 80 S., HC, DIN A4 • 400 bisher unveröffentlichte, teils farbige Fotos • 3 Landkarten • 20 soldatische Lebensläufe Be24,90 EURO teiligter
Krieg in Indochina -
Die Schlacht von Dien Bien Phu José Alberto Rodrigo Fernández Diese vergessene Schlacht beendete die Kolonialherrschaft der Franzosen in Ostasien. Zurück blieb ein geteiltes Land... und eine siegreiche Armee: Der Viet Cong. • 64 S., HC, Großf. • 160 teils farbige Fotos • 4 Karten 14,90 EURO
Von Niedermayer und die Ostlegionen der Wehrmacht Carlos Caballero Jurado Als die Wehrmacht im Verlauf des Rußlandfeldzuges personell an ihre Grenzen stieß, entschloß man sich zur Aufstellung der Ostlegionen. Dieser Band schildert detailliert in Wort und Bild die Geschichte dieser Einheiten, ihre ethnischen Besonderheiten, ihre Aufstellung, Gliederung und Einsätze, ihre Uniformierung und ihre Abzeichen. • 80 S., Hardcover, Großformat • 248 teils farbige Fotos • 6 Karten 19,90 EURO
DIE WAFFEN DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN ARMEE 1806 - 1918 Horst F. Plank
BAND VI
• Ballone • Luftschiffe • Flugzeuge mit einer reich bebilderten Darstellung deutscher Flugzeugtypen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Band VI schließt die Reihe ab. Er berichtet über die Entwicklung der Fliegerei, speziell auch in Bayern, und über die bayerisch/gesamtdeutschen Luftstreitkräfte des Ersten Weltkriegs. Die Darstellung der deutschen Flugzeugtypen besitzt aufgrund der immensen Bebilderung hohen Sammler- und Informationswert. 224 Seiten, 340 Abb. teilw. farbig, Großformat, Hardcover
48,00 EURO
VDM Heinz Nickel CW266/17
NACH DER KAPITULATION Deutsche Soldaten der Heeresgruppe Kurland sind für ihren schweren Gang in die sowjetische Kriegsgefangenschaft angetreten, Mai 1945 Foto: ullstein bild - SPUTNIK
Kasernenstr. 6-10, 66482 Zweibrücken, Tel.: 06332-72710, FAX: 06332-72730 E-Mail:
[email protected]
www.VDMedien24.de
23
Gesamtkatalog Militärgesch./Modellb./Zeitgesch. 10000 Artikel kostenlos
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
SPÄTE AUSZEICHNUNG Das Ärmelband „Kurland“ wird erst wenige Wochen vor Kriegsende im Frühjahr Foto: MIREHO-Thies 1945 erstmals verliehen
Dramatischer Überlebenskampf an der Ostsee
In der „Führer-Falle“ Anfang 1945: Hunderttausende Soldaten deutscher Verbände harren auf Befehl Hitlers seit Wochen in Kurland aus. Während ihre Verluste von Tag zu Tag dramatisch steigen, sinkt ihre Hoffnung auf Rettung aus dem Kessel rapide Von Tammo Luther
SCHRECKEN DES KRIEGES Deutsche Soldaten entdecken sowjetische Gefallene in einem vereisten Schützengraben in Kurland, Februar 1945 Foto: ullstein bild - ullstein bild
24
AUSZEICHNUNG Lettische Freiwillige der Waffen-SS erhalten das Eiserne Kreuz. Nach Kriegsende kämpfen viele als „Waldbrüder“ gegen die sowjetische Besatzungsmacht Foto: ullstein bild - Heinrich Hoffmann VERSTÄRKUNG Deutsche Reservekräfte treffen während der fünften Kurland-Schlacht Ende Februar 1945 südöstlich von Libau ein. Die Hafenstadt im Westen Kurlands ist das Hauptziel der RotarFoto: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo misten
B
is zum letzten Tag des Krieges in Europa – länger als in den hart umkämpften Metropolen Berlin und Breslau im Deutschen Reich – dauert die Schlacht im Baltikum an, ehe sich die Kurland-Kämpfer der sowjetischen Übermacht ergeben. Dabei stehen die Soldaten der Heeresgruppe Nord (HGr. Nord; ab Januar 1945 HGr. Kurland) seit Beginn der Abschnürung von der übrigen Ostfront mit dem Rücken zur Wand beziehungsweise zum Meer. Sie befinden sich damit in einer ähnlichen Lage wie die Verbände der 17. deutschen Armee auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim im April/Mai 1944. Die Soldaten in Kurland sind an der Front durch einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner gebunden. In wesentlichen Teilen ihrer Flanken und im Rücken liegt das Meer.
Folgenschwerer „Führerbefehl“ Erschwerend für ihre prekäre Lage kommt hinzu: Eine mögliche Räumung des seit Mitte Oktober 1944 bestehenden Kurland-Brückenkopfes wird von Hitler strikt untersagt. Entsprechende Pläne lehnt der NS-Diktator kategorisch ab. Ein weiteres Mal dringen die führenden Militärs nicht zum „Führer und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht“ vor. Denn viele von ihnen würden den Brückenkopf lieber aufgeben und die freiwerdenden Kräfte für den „Endkampf“ um das Deutsche Reich einsetzen. Für die Soldaten im Kessel bedeutet dieser „Führerbefehl“: Ihnen steht ein aufreibender Abwehrkampf fernab von DeutschClausewitz 1/2018
AUF DEM RÜCKZUG Um den Vormarsch der Roten Armee zu verzögern, sprengen diese deutschen Pioniere eine Düna-Brücke bei Riga Foto: ullstein bild - ullstein bild
land unter ungünstigen Versorgungs- und zum Teil extremen Wetterbedingungen bevor. Gleichzeitig bedroht die unaufhaltsam nach Westen vorstoßende Rote Armee ihre Heimat und damit die eigenen Familien. Liest man in den Divisionsgeschichten beteiligter Verbände, dann fühlten viele Eingekesselte in etwa so: Man ist dazu verdammt, auf einem bedeutungslos gewordenen Nebenkriegsschauplatz zu kämpfen, während „zu Hause“ die Verteidigung unter der Über-
macht der Roten Armee im Osten zusammenbricht. Vor allem seit der sowjetischen Winteroffensive vom 12. Januar 1945 macht sich bei den in Kurland eingeschlossenen Soldaten quälende Ungewissheit über das Schicksal der engsten Verwandten in den Ostprovinzen breit. Werden sie nach Westen fliehen, oder wurden sie auf ihrer Flucht von den sowjetischen Angriffsspitzen bereits überrollt? Die Divisionsgeschichten in Kurland
DOKUMENT
Sowjetisches Ultimatum „An die deutschen Generale, Offiziere und Soldaten der Kurlandgruppe! (...) Am 7. Mai 1945 wurde in Reims ein Akt der Kriegskapitulation aller deutschen Streitkräfte an der West- wie an der Ostfront unterzeichnet. Der Kapitulationsbefehl an die deutschen Truppen wurde durch den Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte, Großadmiral Dönitz, erteilt. Zur Vermeidung unnötigen Blutvergießens verlange ich von Euch: Am 8. Mai 1945 die Kriegshandlungen einzustellen, die Waffen niederzulegen und sich gefangen zu geben. Allen Generalen, Offizieren und Soldaten, die den Widerstand einstellen und kapitulieren, werden Leben, ausrechende Verpflegung und Rückkehr in die Heimat nach dem Kriege garantiert. Allen Verwundeten und Kranken wird sofort ärztliche Hilfe erwiesen. (...) Wenn meine Forderung über die Gefangengabe nicht rechtzeitig erfüllt wird, lauft Ihr Gefahr, vernichtet zu werden. (...) Wenn Eure Führung mein Ultimatum nicht annimmt und den Befehl Eures Oberbefehlshabers nicht ausführt, – handelt auf eigene Faust! Entscheidet selbst über Euer Schicksal! Streckt die Waffen (...) – gebt Euch gefangen! [gez.] Der Oberbefehlshaber der Sowjettruppen der Leningrader Front, Marschall der Sowjetunion Goworow, 7. Mai 1945“ Sowjetisches Propagandaflugblatt (Auszug) vom 7. Mai 1945 mit der Aufforderung zur Einstellung des Kampfes
25
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45 ZUM AUSHARREN VERDAMMT. Die Soldaten in Kurland sollen sich zur Verteidigung eingraben und dürfen den „Brückenkopf“ laut Befehl des „Führers“ nicht preisgeben Foto: picture-alliance/©dpa
IM ABSEITS Hitler belässt kampfstarke Verbände der Waffen-SS in Kurland, obwohl sie dort isoliert von der übrigen Ostfront sind Foto: picture-alliance/©dpa
eingesetzter Verbände, darunter die 14. Panzerdivision und die 30. Infanteriedivision, spiegeln dies deutlich wider. Auch Gerüchte über Evakuierungsaktionen machen die Runde. Sie tragen dazu bei, die abgekämpften Soldaten weiter zu verunsichern. Doch letztlich heißt es immer wieder: Der „Führer“ befiehlt, Kurland zu halten, zuletzt im direkten Gespräch mit der Heeresgruppenführung am 18. April 1945. Dies gilt für die Jahre davor auch für die Soldaten mit dem roten Stern: Sie wurden 1941 bis 1944/45 ebenso von quälender Ungewissheit und Angst um die Familienangehörigen heimgesucht. ERINNERUNG
Sammelfriedhof Saldus Im Jahr 1994 erhielt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge von der Rayonsverwaltung Saldus (Frauenburg) die Genehmigung, etwa drei Kilometer südlich der Stadt den Sammelfriedhof für Kurland im südwestlichen Landesteil von Lettland zu errichten. Dort weihte der Volksbund am 4. September 1999 den Soldatenfriedhof ein. Auf der mehr als sechs Hektar großen Anlage können bis zu 30.000 Tote bestattet werden. Vor allem Gefallene aus den Kämpfen in Kurland 1944/45 fanden und finden hier ihre endgültige Ruhestätte.
26
Eine Besonderheit der Kurland-Schlachten gegenüber zahlreichen anderen Kriegsschauplätzen ist die Tatasche, dass auf deutscher Seite zahlenmäßig starke Verbände der Waffen-SS mit Freiwilligen aus anderen europäischen Ländern kämpfen, darunter auch viele Letten. Sie sind in Kurland im Rahmen des VI. SS-Freiwilligen-Armeekorps (lettisch) unter SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Walter Krüger (1890–1945) an den schweren Gefechten in ihrer Heimat beteiligt. Sie
DOKUMENT Besitzzeugnis für das Ärmelband „Kurland“, das am 8. Mai 1945 in Libau ausgestellt wurde. Von der Hafenstadt Libau aus versuchen Soldaten bis zuletzt, der Roten Armee auf dem Seeweg zu entkommen Foto: MIREHO-Thies
zergrenadier-Brigade) „Nederland“, rekrutieren sich vor allem aus den von den Nationalsozialisten so bezeichneten „germanischen Ländern“ in Nord- beziehungsweise Westeuropa und aus Freiwilligen anderer Staaten. Man wirft sie häufig als „Feuerwehr“ an besonders hart umkämpfte Abschnitte.
Schwacher Trost Im April 1945 erhalten die ersten Soldaten der HGr. Kurland das im März 1945 von Hitler genehmigte Ärmelband „Kurland.“ Wer an
„Nur noch zwölf Kilometer beträgt die Breite dieses Abschnitts, aber die Kampfstärken sind so zusammengeschmolzen, dass kaum auf alle 100 Meter ein Doppelposten kommt.“ Zeitgenössische Schilderung über einen im März 1945 von Teilen der 30. Infanteriedivision gehaltenen Frontabschnitt
müssen im Falle einer militärischen Niederlage eine besonders harte Bestrafung durch die Sieger fürchten. Nicht wenige von ihnen kämpfen nach Kriegsende 1945 in den Wäldern Lettlands weiter gegen die sowjetische Besatzungsmacht („Waldkämpfer“). Es ist ein grausamer Partisanenkrieg, den beide Seiten bis in die 1950er-Jahre hinein führen sollten. Die Soldaten anderer SS-Verbände, darunter die Division (zuvor SS-Freiwilligen-Pan-
mindestens drei der sechs Kurland-Schlachten teilnahm, drei Monate im Kessel kämpfte oder dort verwundet wurde, hat damals Anspruch auf diese Auszeichnung mit Baltenkreuz (linke Seite), Kurland-Schriftzug in der Mitte und dem Stadtwappen der Hauptstadt von Kurland, Mitau (lettisch: Jelgava). Ein Großteil der zwischen Riga und Libau eingesetzten Soldaten fiel jedoch zuvor im Kampf gegen einen Gegner, der ebenfalls große Opfer brachte.
Schlachten, n e r r e h d l e F , k Techni Ihre Vorteile als Abonnent: Sie sparen 10% (bei Bankeinzug sogar 12%*)! Sie erhalten Ihr Heft 2 Tage vor dem Erstverkaufstag* bequem nach Hause und verpassen keine Ausgabe mehr!
GeraMond Verlag GmbH, Infanteriestraße 11a, 80797 München * nur im Inland ** 14 ct/Min. aus dem dt. Festnetz, Mobilfunk max. 42 ct/Min.
Sie können nach dem ersten Jahr jederzeit abbestellen und erhalten zuviel bezahltes Geld zurück!
n e b a g s u A 6 ie S n e Les . . . h ic s ie S n r e h ic s und Ihr Geschenk: GRATIS! SdKfz 251/1 Wurfrahmen 40 »Stuka zu Fuß« wurde der gepanzerte Raketenwerfer SdKfz 251 Wurfrahmen 40 auch genannt. Dank der mit Sprengwurfkörpern bestückten Packkisten hatte das Fahrzeug eine vernichtende Schlagkraft. Exklusiv-Modell von Editions Atlas Collections, inkl. schwarzem Kunststoffsockel. Maßstab 1:43
Upps, Karte schon weg? Dann einfach unter 0180 532 16 17**
oder unter www.clausewitz-magazin.de/abo bestellen!
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45
TIGER AUSF E Der schwere Kampfpanzer mit seinem 8,8-Zentimeter-Geschütz ist ein gefährlicher Gegner. Doch gegen die sowjetische Übermacht haben die wenigen Exemplare Foto: Hoppe letztlich keine Chance
Panzerwaffe als Feuerwehr der Eingekesselten
Retter in der Not 1944/45: Die Wehrmacht steht mit dem Rücken zum Meer. An operativen Kräften mangelt es im Kurland-Kessel überall. Die vorhandenen Panzer haben vor allem eine Aufgabe: Sie sollen Feindeinbrüche abriegeln Von Thomas Anderson
D
ie schweren Kämpfe in Kurland wogen hin und her, auf deutscher Seite herrscht an vielen Frontabschnitten höchste Alarmstufe. Die Hauptkampflinie (HKL) in Kurland ist löchrig. Die immer wieder anrennende Rote Armee nutzt jede noch so kleine Lücke aus, um in den Kessel zu stoßen. Dort will man die deutschen Stellungen aufrollen. Panzerkräfte sollen den Kessel sprengen. Die Aufzeichnungen der 14. Panzerdivision (14. Pz.Div.) zu den Kurland-Schlachten schildern ein häufig wiederkehrendes Szenario. Sowjetische Stoßtruppen mit schweren JS-2-Panzern (JS = „Josef Stalin“) durchdringen die deutsche Front und sorgen für große Gefahr. Noch einsatzfähige Tiger-Panzer rollen ihnen entgegen und bereinigen den feindlichen Einbruch. Die Kämpfe in Kurland sind durch die große sowjetische Überlegenheit, das schwierige Gelände und
28
die Entschlossenheit der deutschen Verteidiger gekennzeichnet. In insgesamt sechs Schlachten um den Kessel können die überlegenen Sowjets keinen entscheidenden Durchbruch erzielen. Die Raumgewinne sind gering und entspre-
chen in keiner Weise den eingesetzten Kräften. Dies liegt auch an der Tatsache, dass die sowjetische Führung im Frühjahr 1945 den Sturm auf Berlin für wichtiger hält und sich schließlich mit der Neutralisierung der Feindkräfte im Baltikum begnügt.
WUCHTIG Auf Basis des JS-2Panzers entwickelt die Sowjetunion verschiedene Sturmgeschütze. Hier ein JSU-122 mit Wintertarnung Foto: Netrebenko
BLICK NACH OBEN Der Kommandant eines Panzer IV einer Kampfgruppe schaut offensichtlich beunruhigt in den Himmel, denn die sowjetische Luftwaffe ist ein gefährlicher Gegner Foto: NARA
WICHTIGE ROLLE Sturmgeschütze stellen einen großen Teil der deutschen Panzerfahrzeuge in Kurland. Dieses Fahrzeug (StuG III Ausf G) steht getarnt in einer LauerFoto: Sammlung Anderson stellung
OPTIMIERTE FORMGEBUNG Viele Panzerjäger-Abteilungen der Infanteriedivisionen sind mit leichten Jagdpanzern IV ausgestattet. Das Fahrwerk ist allerdings frontlastig, in weichem Boden sind die Antriebskomponenten überlastet Foto: von Aufseß
Zum Jahreswechsel 1944/45 verfasst die 32. Infanteriedivision (32. I.D.) der Wehrmacht einen Bericht, der die Situation nach der zweiten Kurland-Schlacht (Ende Oktober bis Mitte Dezember 1944) genau umreißt. Das schwierige Gelände und die feuchte Witterung behindern die angreifende Rote Armee stark. Auf den Einsatz ihrer überlegenen Luftstreitkräfte und die operativen Panzerverbände muss diese größtenteils verzichten. Bereits der erste Angriff gegen die eingegrabenen Verteidiger endet äußerst verlustreich. So ist in dem Erfahrungsbericht der 32. I.D. vermerkt:
dass seine dort angreifende Infanterie in das Trommelfeuer hinein angriff und dabei erhebliche Verluste erlitt (…). Trotz der gesteigerten Artillerie-Vorbereitung konnte die feindliche Infanterie nur dort Erfolge erringen, wo die eigene zusammengetrommelt [durch Trommelfeuer] und praktisch nicht mehr vorhanden war (…). Wo allerdings Feindpanzer und das Feuer der Artillerie und Infanteriewaffen nicht so gewirkt hat-
DOKUMENT
Heftiges Trommelfeuer „Den Ausfall dieser operativen Kräfte versuchte der Russe durch ein artilleristisches Trommelfeuer aller Kaliber von ungewöhnlicher Stärke und Tiefe auszugleichen. Die Dauer des Trommelfeuers erstreckte sich einmal auf zwei Stunden, einmal auf zweieinhalb Stunden, und erfasste über die Divisions-Gefechtsstände hinaus auch die rückwärtigsten Feuerstellungsräume. Im Verlauf des Trommelfeuers versuchte der Feind offenbar, einzelne Räume für den Beginn eines Infanterieangriffs auszusparen, was artilleristisch nicht ganz gelang und dazu führte, Clausewitz 1/2018
Kriegstagebucheintrag „Feind führt aufgrund der festgestellten Transportbewegungen nach halbstündigem Artillerievorbereitungsfeuer Aufklärungsvorstöße in Bataillonsstärke, zum Teil mit Panzerunterstützung durch, die abgewiesen werden. Zunehmende Verstärkung der feindlichen Kräfte südostwärts Libau erkennbar.“ Eintrag im Kriegstagebuch des Oberkommandos des Heeres (OKH) – Heeresgruppe Nord vom 21. Januar 1945
ten, dass die eigene Gegenwehr ausgeschaltet war, war die russische Infanterie feige. Einzelne Maschinengewehre haben dort massierte Infanterieangriffe des Feindes zum Stehen gebracht, der Gegenstoß eines Offiziers mit beherzten Männern und wenigen Sturmgeschützen hat mehrfach kampfstarke feindliche Bataillone wieder aus den Einbruchsräumen verjagt (…).“
Deutscher Angstgegner Wie überall an der Ostfront, legen die angreifenden Rotarmisten großen Wert auf vorbereitendes Feuer aus allen Rohren. Die Artillerie ist mengenmäßig der deutschen weit überlegen. Das Feuer ist treffsicher und wirkungsvoll. Deutsche Berichte betonen, dass „sämtliche Gefechtsstände, B-Stellen, Infanteriegeschütz-Feuerstellungen und PakStellungen zu Stützpunkten in der Tiefe ausgebaut und mit Maschinengewehren, eventuell russischen Beute-MG, ausgestattet werden müssen.“ Die Rote Armee setzt bei ihren Attacken die neuesten Kampfpanzer ein. Der T-34/85 ist Ende 1944 in ausreichender Menge vorhanden, um die älteren T-34/76 als Spitzenfahrzeuge zu ersetzen oder zumindest zu
29
Titelgeschichte | Kurland-Kessel 1944/45 STURMHAUBITZE. Auf dem Dach ist das späte Fernlenk-MG erkennbar, das eine Bekämpfung von Nahkämpfern aus dem Fahrzeuginnern heraus möglich macht Foto: PeKo
STURMGESCHÜTZ Das JSU-152 ist mit einer schweren Haubitze und einem 12,7-Millimeter-MG bewaffnet, das gegen Erdund Luftziele verwendet werden Foto: Netrebenko kann
HOHER KAMPFWERT. Die schwere Panzer-Abteilung 510 hat bis März 1945 noch einige Tiger Ausf E im Bestand. Dieses Fahrzeug zeigt äußerlich leichte Beschädigungen Foto: Sammlung Anderson
unterstützen. Die 85-Millimeter-Kanone reicht aus, um die deutschen Tiger und Panther mit Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen. Auch auf größere Kampfentfernungen ist es möglich, beide Typen zu vernichten. Als schwerer Durchbruchspanzer steht der JS-2 zur Verfügung. Dieser gefürchtete Kampfwagen, Angstgegner der deutschen Panzereinheiten und der Infanterie, ist sehr schwer gepanzert und trägt ein 122-Millimeter-Geschütz. Zwar zeigt dieses eine sehr langsame Feuergeschwindigkeit und ist nur mäßig treffsicher, die Wirkung im Ziel gleicht diese Defizite jedoch mehr als aus. Wo der Panzer aufgrund seines Gewichts nicht weiter vorrücken kann, dient seine schwere Waffe als wertvolle direkte Feuerunterstützung auf große Entfernungen.
Enorme Feuerkraft Die sowjetische Artillerie ist ziemlich wirkungsvoll und stark. Auf Bataillons- und Regimentsebene verfügt sie neben beweglichen leichten Panzerabwehrkanonen (Pak) und Panzerbüchsen auch über zahlreiche 7,62Zentimeter-Kanonen. Diese vielseitige Waffe dient der Panzerabwehr. Man kann sie zugleich auch im indirekten Richten artilleristisch einsetzen. Rückwärtig stehen weit reichende 152-Millimeter- und 203-MillimeterHaubitzen. Sie decken das Gefechtsfeld in seiner Tiefe voll ab.
30
Die Verteidiger im Kessel sind zu einer rein defensiven Kampfführung gezwungen. Operative Gegenstöße können sie aufgrund der angespannten Situation nicht starten. Alle Panzer werden daher vorrangig zur Abwehr der feindlichen Panzerangriffe eingesetzt. Die 1936 im hinterpommerschen Köslin aufgestellte 32. I.D. notiert in einem Erfahrungsbericht dazu: „Hauptträger der Panzerabwehr ist die bewegliche Panzerabwehr durch Sturmgeschütze und Panzer und die Panzernahkampfwaffen (...). 8,8-Zentimeter-
geschützen und Tigern ist ein großer Erfolg des vollen Abwehrerfolges zu verdanken.“ Weiter heißt es in dem zeitgenössischen Papier: „Von ausschlaggebender Bedeutung für die Führung des Meldewesens ist die durch Tiger und Sturmgeschütze sichergestellte wertvolle Überlagerung der Funkverbindungen. Oft die einzigen verfügbaren Funkgeräte im Feld, war die schnelle Befehlsübermittlung ausschlaggebend für weitere Entschlüsse der Führung. Wenn auch die beweglichen Panzerabwehrwaffen (Sturmgeschütze und Panzer) die Bildung von Pan-
„Bei Moscheiken hat die Tigerabteilung 510 [schwere Panzer-Abteilung 510] am Spätvormittag Feind, der über die Venta vorgedrungen ist, auf das Südufer zurückgeworfen und dabei 13 Pak vernichtet.“ Eintrag (Auszug) aus dem Kriegstagebuch der 4. Panzerdivision für den 8. Oktober 1944
Pak kann, in der Tiefe des Hauptkampffeldes eingesetzt, bei günstigem Gelände aufgrund ihrer Reichweite hervorragende Wirkung erzielen. Ihre Anfälligkeit aufgrund ihrer Unbeweglichkeit muss jedoch in Rechnung gestellt werden. Die Organisation der Panzerabwehr durch den StOPak [Stabsoffizier der Panzerabwehrkanonen] der Division hat sich bewährt, den ausreichend vorhandenen Sturm-
zerabwehrschwerpunkten stets möglich machten, so ist die große Anfälligkeit dieser Waffen sehr störend. Vorausschauend konnte von der Führung daher immer nur mit einem Drittel der vorhandenen Fahrzeuge als einsatzbereit gerechnet werden.“ Diese Aufzeichnungen der 32. I.D. belegen, dass damals auf die Sturmgeschütze der divisionseigenen Panzerjäger-Abteilungen
Verlässliche Sturmgeschütze
Sturmgeschütz – Panzer der Infanterie Geschossgünstige Saukopfblende für 7,5-cm-Sturmkanone
Vier Mann Besatzung
265-PS-MaybachOtto-Motor Seitenschürzen durch Kampftruppe modifiziert, da Original zu anfällig
Rohrstütze
Seitenschürzen als wirksamer Schutz gegen sowjetische Panzerbüchsen
Zimmerit-Belag gegen magnetische Hafthohlladungen Bewährtes Panzer-IIIFahrgestell
Anfälliges Seitenvorgelege
80-Millimeter-Frontpanzerung ausreichend, seitlich aber nicht beschussfest
Foto: Sammlung Anderson
7,5-cm-Sturmkanone, auch 1945 noch von durchschlagender Wirkung
MOBILE WAFFE Die Raketenpanzerbüchse 54, oft „Ofenrohr“ genannt, ist ein effektives Mittel gegen Panzer. Die wirksame Reichweite liegt jedoch unter 100 Metern, somit ist jeder Einsatz sehr geFoto: Sammlung Anderson fährlich
UMGEBAUTES BEUTEGESCHÜTZ
sowie die Tiger der schweren Panzer-Abteilung 510 (s PzAbt 510) Verlass ist. Sturmgeschütze sind bei den meisten Infanteriedivisionen und der 21. Luftwaffen-Felddivision vorhanden. Auf Heerestruppen-Ebene existieren weitere Sturmgeschütz-Brigaden sowie die s PzAbt 510. Diese Fahrzeuge sind in Kurland für die Abwehr der durch Panzer unterstützten sowjetische Angriffe überlebenswichtig für die Eingeschlossenen.
Kampfstarke Panther Die 4. und die 12. Panzer-Division sind mit Panzerkampfwagen IV (PzKpfw IV) und Panthern ausgestattet. Die PzKpfw IV und Sturmgeschütze, entwickelt vor Ausbruch des Krieges, konnten ihren Kampfwert durch stetige Weiterentwicklung wahren. Trotz ihrer klaren konzeptionellen und waffentechnischen Unterlegenheit gegenüber dem T-34/85 zeigen sich diese Fahrzeuge im Kampf oft als gleichwertig. Jedoch ist jeder Treffer der russischen 85-Millimeter-Geschosse vernichtend. Die wenigen verfügbaren Panther sind die wohl kampfstärksten deutschen Panzer im Kessel. Sie sind den sowjetischen Gegnern in der Regel klar überlegen. Die 7,5Clausewitz 1/2018
Diese 7,5-Zentimeter-Pak 97/38 wurde in fast offenem Gelände in Stellung gebracht, nur durch einen leichFoto: Kaludow ten Schneewall getarnt
Zentimeter-Kampfwagenkanone L/70 ist eine der besten Panzerkanonen ihrer Zeit. Die schwere PzAbt 510 ist bis zu ihrer Evakuierung auf dem Seewege mit Tiger Ausf E ausgestattet. Diese sind mit der 8,8Zentimeter-KwK bestückt. Dieses Geschütz zeigt dieselben ballistischen Werte wie die 8,8-Zentimeter-Flak 36. Mit der Panzergranate 40 entfalten sowohl Tiger als auch Flugabwehrgeschütz im Jahr 1945 noch gefährliche Wirkung.
Tödliche Mängel Die Waffenwirkung der deutschen Panzer und Sturmgeschütze ist sehr gut. Doch leiden die Fahrzeuge an ihrer mechanischen Unzuverlässigkeit. Technische Ausfälle sind die Regel. Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung und der unzureichende Munitions- und Kraftstoffnachschub erschweren die Lage der Eingeschlossenen zusätzlich. So meldet die dem I. Armeekorps (I. A.K.) in Kurland unterstellte schwere PzAbt 510 am 1. März 1945 von 31 Tigern nur noch drei einsatzbereit. Weitere zehn befinden sich in der Werkstatt. Die Umstellung aller Panzer-
jäger-Abteilungen von gezogener Pak auf Pak-Selbstfahrlafette oder auf Sturmgeschütze konnte man in den Jahren 1943 und 1944 nicht abschließen. So sind 1945 noch viele herkömmliche Pak vorhanden. Diesen Waffen mangelt es an Beweglichkeit, da zu wenig Zugmittel vorhanden sind. An Nahkampfwaffen stehen den Kurland-Kämpfern zur Panzerabwehr neben Minen noch die Raketenpanzerbüchse („Ofenrohr“ oder „Panzerschreck“) sowie die Panzerfaust zur Verfügung. Obgleich sehr wirksam, ist der Einsatz nur bis etwa 100 Meter Entfernung zum Ziel erfolgversprechend. Dies kommt oft einem Himmelfahrtskommando gleich. Die weiteren Kurland-Schlachten bis Ende März/Anfang April 1945 verlaufen unter denselben Vorzeichen ähnlich, bis der Gefechtslärm schließlich am 8./9. Mai 1945 verstummt. Thomas Anderson, Jg. 1958, ist als freier Autor tätig und arbeitet für verschiedene Zeitschriften und Verlage im In- und Ausland.
31
Schlachten der Weltgeschichte | Lüttich 1914
Kampf um Stadt und Festung Lüttich
Heikles Husarenstück August 1914: Deutsche Truppen greifen die als uneinnehmbar geltende Festungsstadt Lüttich im neutralen Belgien an. Nach anfänglichen Misserfolgen gelingt ein überraschender Coup – mit vielen Schattenseiten Von Lukas Grawe
F
ieberhaft arbeiten Ingenieure der Firma Krupp daran, ihre neuesten „Wunderwaffen“ für das deutsche Heer scharf zu machen. Doch es dauert einige Tage, bis das Material an die Front entsandt werden kann.
32
Per Eisenbahn führt der Weg nach Lüttich, der belgischen Metropole nahe der deutschen Reichsgrenze. Am 12. August 1914 treffen die Krupp-Waffen an ihrem Bestimmungsort ein und verblüffen dort die lokale Bevölkerung.
„Das Ungeheuer bewegte sich in zwei Teilen vorwärts und wurde von 36 Pferden gezogen. Das Pflaster erzitterte. Die Menge stand stumm und bestürzt beim Anblick dieses phantastischen Gerätes“, erinnert sich der
VERWÜSTET: Was als Handstreich geplant war, mutierte zu einer wüsten Schlacht. Hier Fort Loncin im Osten von Lüttich. Seine Panzertürme sind durch schweren Artilleriebeschuss vollständig Foto: ullstein bild - ullstein bild vernichtet
5 KURZE FAKTEN
ZEIT: August 1914 ORT: Raum Lüttich, Wallonien/Belgien KONTINENT: Europa GEGNER: Deutsches Reich/Königreich Belgien EREIGNIS: Eroberung von Stadt und Festung Lüttich durch deutsche Truppen
Clausewitz 1/2018
33
Schlachten der Weltgeschichte | Lüttich 1914 KARTE
Kampf um Lüttich, August 1914
ZERTRÜMMERT: Schwere Artillerie vernichtet selbst stärkste Forts
belgische Politiker Célestin Demblon an seinen ersten Eindruck von den „Dicken Berthas“, den schwersten Artilleriegeschützen der deutschen Armee. „Hannibals Elefanten können die Römer nicht mehr verblüfft haben. Die Begleitmannschaften marschierten in gemessenem Schritt fast wie bei einer Prozession. Das war der Belial [Teufel] unter den Kanonen.“ Keine 24 Stunden später beweisen die diabolischen Geräte ihre verheerende Wirkung beim Feuern auf die ersten Forts der belgischen Stadt. Ihre Treffer bedeuten den Anfang vom Ende des umfangreichen Festungssystems.
Schlüsselrolle
Foto: ullstein bild
WAFFENBRÜDER: Österreichische Geschütze unterstützen die Angreifer Foto: pa/Everett Collection
Gestaltung: KGS Kartographie und Grafik Schlaich
ZÄHER WIDERSTAND: Die Verteidiger der Stadt und Festung Lüttich bringen den deutschen Truppen blutige Verluste bei. Die Kämpfe wogen anfangs hin und her Abb.: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
Der Festung Lüttich kam in den deutschen Kriegsplänen eine entscheidende Bedeutung zu, um rasch durch Belgien in Richtung Frankreich vorstoßen zu können. Die USamerikanische Historikerin Barbara Tuchman (1912–1989) bezeichnet die Stadt als das „Fallgatter, das den Zugang nach Belgien“ abriegelt. In der Tat scheint die Anlage vielen Zeitgenossen und Militärfachleuten als nahezu uneinnehmbar. Denn die Maas schützt die Stadt wie ein Burggraben, während der in den 1890er-Jahren erbaute und nach der Jahrhundertwende erweiterte Fortgürtel Lüttich in eine waffenstarrende Metropole verwandelt. Zwölf Forts mit jeweils zehn schweren und zahlreichen kleineren Geschützen umgeben in einem Umkreis von 48 Kilometern die Stadt – sieben bis neun Kilometer von der Innenstadt entfernt, drei bis fünf Kilometer auseinander. Das Gebiet zwischen den Forts ist für die Stationierung der belgischen Feldarmee gedacht. Außer den Geschütztürmen befinden sich die Festungen unter der Erde.
Halten um jeden Preis
Zur Bedeutung Lüttichs Der Festung Lüttich kommt in den deutschen Militärplanungen eine zentrale Bedeutung zu. Während Alfred von Schlieffen, Chef des Generalstabs von 1891 bis 1905 und Schöpfer des „Schlieffen-Plans“, die Stadt lediglich belagern will, setzt sein Nachfolger Helmuth von Moltke (Stabschef von 1906 bis 1914) auf eine Eroberung der Forts. Anders als Schlieffen will Moltke die niederländische Neutralität nicht verletzten, so dass die deutsche Streitmacht allein durch Belgien in Richtung Frankreich vordringen muss. Dabei ist man auf die Eisenbahnen des Knotenpunkts Lüttichs und die dortigen Maasbrücken angewiesen. Zudem verengt die Festungsstadt das deutsche Vormarschgebiet derart, dass sich die Armeen nicht frei entfalten können. Moltke entwirft daher gemeinsam mit seinem Chef der Aufmarschabteilung, Erich Ludendorff, einen Plan, um die Festung
Sie sind daher mit flüchtigem Blick kaum zu erkennen. Auf den Höhen um Lüttich gelegen, sind sie in Friedenszeiten mit mehr als 6.000 Soldaten bemannt. Laut Schätzungen
vor Abschluss der eigentlichen Mobilmachung zu nehmen. Der Generalstabschef vermerkt dazu: „Das Unternehmen ist nur ausführbar, wenn der Angriff gemacht wird, bevor die Zwischenräume ausgebaut sind. Es muss daher sofort nach der Kriegserklärung mit immobilen Truppen ausgeführt werden.“ Zeitvorgaben spielen demnach eine entscheidende Rolle. Moltke ist sich des hohen Risikos bewusst: „Eine moderne Festung durch Handstreich zu nehmen, dürfte in der Kriegsgeschichte noch kein Beispiel haben. Es kann aber glücken und muss versucht werden, da der Besitz Lüttichs für unseren Vormarsch die conditio sine qua non ist [unabdingbare Voraussetzung].“ Folglich lässt der Generalstab in den Jahren vor Beginn des Ersten Weltkriegs die Umgebung Lüttichs akribisch auskundschaften und fertigt detaillierte Pläne an.
gung vorzubereiten. Man will der deutschen Seite keinen Anlass liefern, die Neutralität Belgiens zu verletzen. Lange stützt sich das kleine Land auf die Hoffnung, im Falle eines
„Eine moderne Festung durch Handstreich zu nehmen, dürfte in der Kriegsgeschichte noch kein Beispiel haben.“ Generalstabschef Helmuth von Moltke 1911 über die Bedeutung des Handstreichs
des deutschen Generalstabs warten in der Garnison nach einem möglichen Kriegsbeginn etwa 19.000 belgische Soldaten auf die Angreifer. Mit dieser Zahleneinschätzung liege die Deutschen jedoch gravierend falsch: Im August 1914 sind mehr als 32.000 Mann in und um Lüttich stationiert – etwa ein Fünftel der belgischen Armee.
Festung im Fokus Da der deutsche Angriffsplan („SchlieffenPlan“) unabhängig vom casus belli zunächst einen Vorstoß im Westen vorsieht, rückt auch die Festung Lüttich in den Fokus der deutschen Militärführung. Insgesamt sind sechs verstärkte Infanteriebrigaden des X. Armeekorps unter der Führung von Otto von Emmich vorgesehen, um die Festung zu erobern. Diese sollen noch vor Abschluss der deutschen Generalmobilmachung die Forts erstürmen. Sie versammeln sich im Raum Aachen, Eupen und Malmedy. Demgegenüber beginnen die Belgier unter der Führung des Festungskommandanten Gérard Leman erst am 2. August 1914 damit, die VerteidiClausewitz 1/2018
deutsch-französischen Krieges nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden. Die belgische Armee ist lediglich sechs Divisionen stark, unzureichend ausgebildet und bewaffnet. Es fehlt an Maschinengewehren und Geschützen. Als sich aber in den ersten Augusttagen 1914 abzeichnet, dass das Deutsche Reich die Neutralität des Landes verletzen wird, ruft der belgische König Albert I. zu energischem Widerstand auf. Vor allem die Festung Lüttich sei um jeden Preis bis zum Ende zu halten, so der Monarch.
Überraschte Angreifer Am 4. August 1914 betreten die ersten deutschen Soldaten etwa 110 Kilometer östlich von Brüssel belgisches Gebiet: Ihnen folgen Emmichs Infanteriebrigaden. Trotz unerwartet heftiger belgischer Gegenwehr und dem Auftauchen echter oder vermeintlicher „Francs-tireurs“ (zivile Freischärler und Heckenschützen) läuft der Vormarsch zunächst nach Plan. Rasch müssen die deutschen Truppen aber feststellen, dass sie die belgischen Verteidiger in Lüttichs Forts nicht überraschen können: Die Festungen sind am 5. August bemannt und alarmbereit, als sich die ersten Deutschen den Anlagen nähern. Erstaunt erkennen deren Brigaden, dass ihnen die belgische Division personell überlegen ist. Auch sind die Maasbrücken bereits gesprengt. Das Übersetzen mit Pontons erweist sich im belgischen Abwehrfeuer als schwierig. Die deutsche Seite reagiert hart auf den unerwartet heftigen belgischen Wi-
OTTO VON EMMICH (1848–1915)
GÉRARD LEMAN (1851–1920)
Siegreich
Unterlegen
General der Infanterie Otto von Emmich (1848–1915) ist während der Kämpfe um Lüttich Kommandierender General des X. Armeekorps, dessen Verbände die Stadt und Festung erobern
Generalleutnant Gérard Leman (1851–1920) ist Festungskommandant von Lüttich und Kommandeur der 3. belgischen Division
Foto: picture-alliance/arkivi; picture-alliance/HIP
HINTERGRUND
35
Schlachten der Weltgeschichte | Lüttich 1914 Der Angriff der Infanteriebrigade verläuft ähnlich verlustreich wie an anderen Abschnitten. Chaos macht sich breit. Selbst der Kommandeur der Brigade, Friedrich von Wussow, fällt. Ludendorff übernimmt kurzerhand selbst die Führung der Einheit und treibt die Männer vorwärts. Er weiß: Weitere Verzögerungen kann die deutsche Gesamtstrategie nicht verkraften. Andernfalls droht das frühzeitige Scheitern des „Schlieffen-Plans.“
SCHUSSGEWALTIG: Während der Belagerung Lüttichs kommen auch 30,5-Zentimeter-Mörser des österreichischen Verbündeten zum EinFoto: picture-alliance/Everett Collection satz
„Held von Lüttich“
derstand. Man lässt verdächtige belgische Zivilisten exekutieren und Dörfer niederbrennen. Erst gegen Abend glückt an einigen Stellen der Übergang über die Maas. Doch im deutschen Gesamtplan bilden diese Aktionen lediglich den Anfang der Operation.
Gefürchtetes Fallgatter Der Plan, den Festungsring an fünf Stellen zu durchbrechen, um so in die Stadt selbst eindringen zu können, erweist sich schnell als undurchführbar. Trotz sehr massiver Artillerieunterstützung brechen die ersten deutschen Angriffe im Maschinengewehrfeuer der Belgier zusammen. Die Brigaden erleiden horrende Verluste, auch unter den Offizieren. Das Problem für die Angreifer: Die belgischen Forts sind durch die deutschen Feldgeschütze mit ihren 77-Millimeter-Granaten nicht zu zerstören und die schwere Artillerie ist noch nicht vor Ort. „Sie machten keinen Versuch, auszuschwärmen, sondern rückten Glied um Glied vor, fast Schulter an Schulter, bis wir sie niederschossen; die Gefallenen häuften sich zu einer furchtbaren Barrikade
36
PROPAGANDA: Plakat, das die Wirkung der 42-Zentimeter-Geschosse der deutschen Artillerie triumphierend herausstellt Foto: picture-alliance/prisma
von Toten und Verwundeten auf“, beschreibt ein belgischer Offizier den deutschen Ansturm. Es zeichnet sich ein Desaster für die Deutschen ab. Die Verlustzahlen wirken schockartig bis in die höchste Ebene der deutschen Militärführung hinein. Hastig werden Verstärkungen heranbeordert. Man erwägt sogar, bis in die Niederlande hinein auszugreifen, um auf diese Weise das Fallgatter Lüttich zu umgehen. In der Nacht vom 5. auf den 6. August versucht die 14. Infanteriebrigade, den Festungsgürtel zu durchbrechen. Mitten unter den einfachen Soldaten befinden sich auch die hochrangigen Offiziere Otto von Emmich und – als Planer des Handstreichs – Erich Ludendorff. Letzterer, der spätere Erste Generalquartiermeister, kennt die Festungsanlagen in allen Einzelheiten und will nun zu ihrem schnellen Fall beitragen.
In dieser schwierigen Situation ergreift Ludendorff die Initiative. Scheinbar furchtlos schreitet Ludendorff neben einem zusammengewürfelten Trupp deutscher Soldaten her, will endlich in die Stadt eindringen. „Es war ein unerhörtes Wunder“, berichtet später einer der Soldaten, „Da ging ein Mensch, als wäre er unverwundbar, jede Deckung verschmähend, (…) aufrecht durch das heftige Feuer, das unsichtbare Schützen aus Keller-, Haus- und Bodenfenstern aus geringer Entfernung auf uns richteten.“ Am 7. August 1914 ist es schließlich soweit: Unter der Führung des energischen Generalmajors bricht die 14. Infanteriebrigade in Lüttich ein, wohl wissend, dass die belgischen Forts kaum auf ihre eigene Zivilbevölkerung feuern können. Noch befindet sich die Lütticher Zitadelle jedoch in der Hand der Verteidiger. Wieder zeigt sich Ludendorffs Unerschrockenheit. In der falschen Annahme, die Zitadelle habe sich bereits ergeben, eilt er zur städtischen Festung. „Kein deutscher Soldat war dort, als ich eintraf“, notiert Ludendorff triumphierend in der Rückschau. „Die Zitadelle war noch in feindlicher Hand. Ich schlug an das verschlossene Tor. Es wurde von innen geöffnet. Die paar hundert Belgier ergaben sich (...) auf meine Aufforderung.“ Offensichtlich überschätzt die Besatzung die Stärke des deutschen Voraustrupps und verkennt die Lage. Vollkommen unnötig gibt sie eine wichtige Stellung kampflos preis – der erste Mosaikstein ist damit aus der Festungsstadt Lüttich am 7. August 1914 herausgebrochen. Die deutsche Militärführung bricht in Jubel aus, als erste Nachrichten den Fall Lüt-
Literaturtipp Barbara Tuchman: August 1914. Ungekürzte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 2001.
Vernichtende Artillerie SPUREN DES KAMPFES: Die Stadt Lüttich leidet erheblich unter der Schlacht um die Festungsanlagen und Forts. Die Zahl der getöteten Zivilisten ist hoch Foto: picture-alliance/akg-images
tichs verkünden. Kaiser Wilhelm II. ist außer sich vor Freude und drückt den Chef des Großen Generalstabs, Helmuth von Moltke (1848–1916), in inniger Umarmung an sich. Doch tatsächlich ist die Festung noch weit von einer Kapitulation entfernt. Zwar sind Zitadelle und Stadt in deutscher Hand, nicht
sichtbar, ihr Zünder setzt erst nach dem Durchschlagen der Betonwände ein. Bereits wenige Schüsse aus den „M-Geräten“ genügen, um das erste Fort sturmreif zu schießen. Den Rest erledigt die bereitstehende Infanterie. Bis zu 30 Meter hoch steigen die Rauchsäulen der Explosionen in den Himmel auf.
„Der Ruhm der im Frieden in aller Stille entwickelten deutschen 42- und 38-Zentimeter-Mörser erfüllte plötzlich die ganze Welt.“ Urteil des Reichsarchivs über die Wirkung der deutschen schweren Artillerie
aber der Großteil der zwölf Gürtelforts. Um diese ausschalten zu können, sind die Deutschen auf die schweren Belagerungsgeschütze angewiesen, die durch zerstörte Eisenbahnverbindungen aufgehalten werden. Sie treffen erst am 12. August vor Lüttich ein. Die schwere Küstenmörserbatterie (zwei Geschütze à 38 Zentimeter) und die kurze Marinekanonenbatterie (zwei Geschütze à 42 Zentimeter, auch „M-Geräte“ genannt), eröffnen das Feuer auf die erste Festung des Sperrgürtels, das Fort Pontisse. Mit dabei sind auch einige österreichische 30,5-Zentimeter-Mörser der Firma Skoda, die der Verbündete der Deutschen leihweise an die Westfront verlegt hat. Die Bedienmannschaften der schweren Artillerie gehen schließlich ans Werk. Die abgefeuerte Munition ist mit dem bloßen Auge Clausewitz 1/2018
Artilleriebeobachter leiten von Kirchtürmen oder Hügeln aus das Feuer der gewaltigen Mörser. Am 13. August 1914 fallen zwei weitere Festungen nach schwerem Beschuss. Stellungswechsel der Artillerie sind allerdings mit einem hohen Zeitaufwand verbunden, da die massigen Geschütze auseinander gebaut werden müssen, ehe sie per Bahn verladen werden können. Am 16. August 1914 haben sich elf der zwölf Forts ergeben. Einzig das Festungswerk Loncin leistet noch Widerstand. Als der belgische Festungskommandant eine Kapitulation ablehnt, beginnen die Mörser erneut mit dem Beschuss. Ein „Volltreffer“ in der Munitionskammer sprengt nahezu das gesamte Fort in die Luft und tötet mehr als 350 belgische Soldaten. Die übrigen Männer geben schließlich den hoffnungslosen Kampf auf.
Nun ist der Weg für den deutschen Vormarsch Richtung Frankreich frei. Die ungünstig angelaufene Eroberung Lüttichs brachte den engen deutschen Zeitplan kaum ins Wanken.
Modernes Husarenstück? Die wenigen unzerstörten Eisenbahnlinien und Brücken befinden sich in deutscher Hand. Der Nachschub für die nächsten Wochen ist sichergestellt. Doch auch wenn das „Husarenstück der modernen Kriegsgeschichte“ (Manfred Nebelin) gelingt, fordert es einen hohen Blutzoll. Etwa 4.000 bis 5.000 deutsche Soldaten sterben oder werden bei Versuchen, die Festungen zu erstürmen, verwundet. Die belgische Armee dagegen beklagt eine weitaus höhere Zahl an Toten, Verwundeten und Gefangenen. Der verlustreiche Kampf um die Festung kann zudem nicht die eklatanten Führungsschwächen auf beiden Seiten kaschieren, denen noch im ersten Kriegsjahr 1914 unzählige weitere junge Männer zum Opfer fallen werden. Letztlich ist es aber vor allem der deutsche Überfall auf das neutrale Belgien, der seine verheerende Wirkung im neutralen Ausland entfaltet. Der Fall von Lüttich trägt damit bereits zu Kriegsbeginn entscheidend zur propagandistischen Niederlage des Deutschen Reiches bei. Dr. Lukas Grawe, Jg. 1985, Historiker am SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen.
37
Militärtechnik im Detail
DAS DEUTSCHE BMW-R75-GESPANN
Dreirädrige „Donnermaschine” Illustration: Jim Laurier
Erbeutet
BMW R75 Hubraum: 745 cm³ Produktion: 16.510 Stück Das Design des Beiwagens erlaubte ursprünglich das Ziehen eines leichten Artilleriegeschützes, aber die Besatzungen erhöhten die Mobilität und Vielseitigkeit der R75 durch das Anbringen eines Maschinengewehrs
Die Soldaten griffen regelmäßig auf unterschiedlichste feindliche Ausrüstungsgegenstände zurück. In diesem Fall handelt es sich um einen sowjetischen Zwölf-Liter-Feldküchen-Thermobehälter
DIE KONKURRENZ BSA M20 Hubraum: 496 cm³ Produktion: 126.335 Stück Die Maschine wurde anfänglich als langsam und schwer kritisiert, aber die M20 war zuverlässig und in der Wartung unkompliziert. Die Briten setzten sie auf unterschiedlichste Weise auf fast allen Kriegsschauplätzen ein
HARLEY-DAVIDSON WLA Hubraum: 740 cm³ Produktion: 90.000 Stück Das Motorrad wurde 1940 in relativ kleinen Stückzahlen eingeführt, nach dem Kriegseintritt der USA kam es aber zu einer deutlichen Erhöhung der Produktion. Während des Krieges diente die WLA als Begleit-, Kurier-, Polizei- und Transportfahrzeug
DNEPR M72 Hubraum: 750 cm³ Produktion: 6.000 Stück Nach der schwachen Leistung, die die sowjetischen Motorräder während des sowjetisch-finnischen Krieges 1939 bis 1940 gezeigt hatten, orientierte sich die UdSSR an einem BMWVorbild und es entstand die robuste M72.
Kanistermuli Der Erfolg der BMW R75 beruhte besonders auf ihrer Fähigkeit, unter extremen Umweltbedingungen zu funktionieren. Egal ob die Maschine heißen Wüstensand (wie die zum Afrikakorps gehörende Besatzung im Bild links) oder den kalten Schlamm der Ostfront (Bild rechts) durchquerte, die R75 blieb immer ein verlässliches Fahrzeug für die verschiedensten Anforderungen Abb.: picture-alliance/akg-images; picture alliance/akg
38
In der Wüste waren Wasser und Treibstoff von höchster Bedeutung. Daher befestigten die Besatzungen zusätzliche Kanister, wo immer sich eine Möglichkeit bot
A
uf ihrem Vormarsch durch Europa erkannte die Wehrmacht, dass sie ein kleines und schnelles Fahrzeug für unterschiedlichstes Gelände benötigte. Die Antwort darauf war die R75 von BMW, ein dreirädriges Motorradgespann mit Beiwagen, das schnell, beweglich und extrem geländetauglich war. Die deutsche Armee setzte die R75 von der nordafrikanischen Wüste bis zu den Weiten der Ostfront auf allen Kriegsschauplätzen ein. Obwohl das Gespann mit mehr als 400 Kilogramm ein ziemliches hohes Leergewicht hatte, schaffte es der 750-Kubikzentimeter-Motor, die Maschi-
Gefährlicher Stachel Das auf einem Drehgelenk montierte MG 34 bot eine große Feuerkraft. Die Vielseitigkeit und Verlässlichkeit dieser Waffe machte sie bei den R75Besatzungen sehr beliebt
ne auf fast 100 Kilometer pro Stunde zu beschleunigen. Um sicherzustellen, dass genügend Bremskraft vorhanden war, versah BMW alle drei Räder mit Bremsen, nämlich hydraulischen Bremsen an den hinteren Rädern und einer mechanischen Bremse am Vorderrad. Das Motorrad verfügte über einen Kardanantrieb mit einem Vierganggetriebe – drei für unterschiedlichstes Gelände und einen Rückwärtsgang. Ab August 1942 versuchte die Wehrmacht, den Herstellungsprozess zu vereinfachen. Sie drängte BMW und deren Konkurrenten Zündapp dazu, ihre Einzelteile zu standardisieren, um ein Hybridmodell zu schaffen. Man einigte sich darauf, dies zu tun, nachdem BMW die Stückzahl von 20.200 R75 erreicht haben würde. Allerdings zerstörten alliierte Bomber vorher das Werk in Eisenach, und so entstanden nur 16.510 R75. Paraag Shukla
Immer griffbereit Die meisten Soldaten benutzten den Gasmaskenbehälter für das schnelle Erreichen oft verwendeter Dinge, während sie die Gasmaske anderweitig verstauten
Markenzeichen Dies ist das Abzeichen des Afrikakorps, das vom März 1941 bis zum Mai 1943 in Nordafrika kämpfte. Aus rechtlichen Gründen wurde das Hakenkreuz entfernt In dieser Serie u. a. bereits erschienen: Amerikanischer P-38-Abfangjäger (6/2016) Sowjetischer schwerer Panzer IS-2 (Josef Stalin) (1/2017) Japanische Bomben und Torpedos bei Pearl Harbor (2/2017) US-Jagdbomber P-51D Mustang (3/2017) Sowjetischer Raketenwerfer Katjuscha (4/2017) Japanischer Panzer Typ 97 Chi-Ha (5/2017) Amerikanischer Patrouillenbomber PB4Y-2 (6/2017)
Clausewitz 1/2018
39
Kriege, Krisen & Konflikte
UNERSCHROCKENE UNGARN: Mit Kühnheit kämpfen die Magyaren für ihre Freiheit – dabei überschätzt die kleine Nation allerdings ihre Möglichkeiten. Die Sowjets greifen hart durch und schlagen den Aufstand Abb.: picture-alliance/ dpa gewaltsam nieder
40
Revolution in Ungarn
Der Ostblock bebt 1956: Stalin ist seit dreieinhalb Jahren tot, als in Budapest sein Denkmal gestürzt wird. Menschen treten in das Gesicht der Statue, schleifen sie durch die Straßen – sie muss als Symbol für den sowjetischen Kommunismus herhalten, der auch die Geschicke Ungarns bestimmt – etwas, das die Menschen dort nicht mehr wollen Von Robert Riemer
M
itte der 1950er-Jahre ist der Kalte Krieg in einer heißen Phase angekommen. Es gibt größere und kleinere Auseinandersetzungen. Der Ost-West-Konflikt entlädt sich – ebenso wie die Spannungen im Rahmen der Dekolonialisierung – im Koreakrieg, im Vietnamkrieg, in der Suezkrise, im Algerienkrieg, in den Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan und der Wiederaufrüstung in den beiden deutschen Staaten. Dabei gärt es nicht nur zwischen den Blöcken, sondern auch im Osten selbst. Kurz nach Stalins Tod bricht im Juni 1953 ein Aufstand in der DDR aus, bei dem Demonstranten politische und wirtschaftliche Reformen fordern; die Partei ruft die Sowjetarmee zu
Clausewitz 1/2018
Hilfe, die den Volksaufstand blutig beendet. Doch der Ruf nach Änderungen im sozialistischen System lässt sich nicht unterdrücken und auch die Ungarn greifen ihn auf. Drei Jahre später mündet dieser Wunsch in einer von Anfang an zum Scheitern verurteilten Rebellion. 1956, in dem Jahr, in dem die Bundesrepublik die Kommunistische Partei als verfassungsfeindlich verbietet und Hitler amtlich für tot erklärt, spielt nicht nur Ungarn eine Rolle im Kampf für oder gegen den Sozialismus. Ende des Jahres landet Fidel Castro erfolgreich auf Kuba und beginnt seinen Kleinkrieg gegen den Diktator von Amerikas Gnaden in Havanna. Parallel finden Aufstände
41
Kriege, Krisen & Konflikte | Revolution in Ungarn MIT ALLER MACHT: Sowjetische Panzer in den Straßen von Budapest demonstrieren, dass es Moskau ernst meint – einen ungarischen Sonderweg wird es nicht dulden Abb.: picture alliance/akg
in Posen (ab Juni 1956) statt, die im „Polnischen Oktober“ gipfeln, als trotz einer sowjetischen Invasion kurzzeitige politische Zugeständnisse („Tauwetter“) möglich werden. Doch diese sind wohl nur als taktisches Entgegenkommen zu bewerten, da zeitgleich die Lage in Ungarn eskaliert. Weitere Unruhen finden in der Georgischen Sowjetrepu-
Herrschaft der kommunistischen Partei richten. Das Ende der 1940er-Jahre unter Mátyás Rákosi eingesetzte stalinistische Regiment nach sowjetischem Vorbild ist zwar seit 1953 von Imre Nagy als damals neuem ungarischen Ministerpräsidenten aufgeweicht worden. Doch kann sich der Reformer nicht dauerhaft gegen die moskautreuen Kräfte in der
Abb.: picture-alliance/dpa
„Wir haben den Eindruck, dass die ungarischen Genossen in der so entstandenen Atmosphäre kaum in der Lage sind, ohne Hilfe den Weg des entschlossenen und mutigen Handelns einzuschlagen.“ Juri Andropow, sowjetischer Botschafter in Ungarn, in seiner Meldung am 23.10.1956 nach Moskau über den Beginn der Proteste
blik genau drei Jahre nach dem Tod Stalins, einem Georgier, im März 1956 statt. Pro-Stalin-Demonstrationen münden in Forderungen nach Unabhängigkeit, die die Rote Armee gewaltsam beendet.
Es rührt sich was im Osten Der Aufstand in Ungarn beginnt am 23. Oktober mit der Absicht, demokratische Veränderungen herbeizuführen, die sich gegen die
42
eigenen Partei etablieren. Staatliche Investitionsschwerpunkte verlagern sich von der Schwerindustrie hin zur Landwirtschaft und Konsumgüterproduktion, was zu einem steigenden Lebensstandard führt. Der zwar in seiner Alleinherrschaft beschnittene, aber nicht aus der Partei entfernte Rákosi übernimmt im April 1955 nach der durchgesetzten Demission Nagys wieder das Ruder und kehrt zum alten Kurs zurück.
Dieser ist jedoch Anfang 1956 obsolet, als in Moskau Chruschtschow eine Abkehr vom stalinistischen Personenkult verkündet, Stalins Verbrechen öffentlich anprangert – und den Satellitenstaaten dezente Freiheiten zugesteht. Das hat in Ungarn zur Folge, dass Rákosi zugunsten seines bisherigen Stellvertreters Ernö Gerö den Vorsitz in der Kommunistischen Partei abgeben muss. Doch die parteiinterne Intelligenz diskutiert wochenlang über deutlichere Reformen, unter anderem eine öffentliche Rehabilitation der Opfer der parteiinternen und -externen Säuberungen vor allem Ende der 1940er-Jahre. Mehrere hunderttausend Ungarn verfolgen, wie der ehemalige Innen- und Außenministers László Rajk neu bestattet und die Rákosi-Opfer Anfang Oktober 1956 rehabilitiert werden. Am 16. Oktober gründen Studenten in Szeged den unabhängigen Hochschulverband MEFESZ neu und diskutieren Reformen, die deutlich über die parteiinternen Zugeständnisse hinausgehen.
Neugestalteter Nationalstaat Parallel dazu wird die Entwicklung in Polen aufmerksam verfolgt, wo am 21. Oktober der ehemalige polnische stellvertretende Ministerpräsident Władysław Gomułka, der selbst drei Jahre aufgrund innerer Säuberungen im
Die Sowjets schießen CHRONOLOGIE 1944/45 Besetzung Ungarns durch die Rote Armee 1945/48 Gründung des Staatssicherheitsdienstes (Államvédelmi Hatóság, ÁVH) nach dem Vorbild des sowjetischen Volkskommissariats für Staatssicherheit (NKWD, später KGB) 1948 bis 1953 Eine kommunistische Minderheit reißt mit Unterstützung der Sowjetunion die Macht an sich und errichtet ein stalinistisches Regime unter Mátyás Rákosi 1949 Wirtschaftlicher Zwangszusammenschluss des Ostblocks im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) 1953 Beginn der Reformperiode unter Ministerpräsident Imre Nagy
1955 Militärischer Zwangszusammenschluss des Ostblocks im Warschauer Vertrag (Warschauer Pakt, WP, eigentlich Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand) als Gegenstück zur NATO und Reaktion auf die sich abzeichnende Wiederaufrüstung der Bundesrepublik; Sturz von Nagy durch Ernö Gerö nach innerparteilichen Auseinandersetzungen – die beginnende Restauration orientiert sich wieder an der Sowjetunion Oktober bis November 1956 Volksaufstand in Ungarn 23. Oktober 1956 Beginn der Studentenproteste in Budapest
SOLIDARISCH: Franzosen demonstrieren ihre Verbundenheit mit den aufständischen Ungarn. Überall im Westen wird versucht, den bedrängten Magyaren zu helfen
Gefängnis gesessen hat, erster Parteisekretär wird. Und das, obwohl Moskau dies ausdrücklich ablehnt. Dennoch unterbleibt eine befürchtete sowjetische Invasion, was die Ungarn – wohl auch angestachelt durch die bis heute nicht aufgeklärten falschen Hilfsversprechungen des Westens durch Radio Free Europe – dazu verleitet, an den Erfolg der eigenen Reformbewegung zu glauben. Studenten der Technischen Universität in Budapest orientieren sich mit ihren am 22. Oktober gestellten 14-Punkte-Programm an Plänen, die auf der Ungarischen Revolution von 1848 basieren. Nagy soll eine neue Regierung bilden, Freiheitsrechte und die freie Wahl einer neuen Nationalversammlung durchsetzen, Rákosi muss vor ein Volkstribunal gestellt und die Sowjetarmee zum Abzug gezwungen werden. Nur so kann die nationale Unabhängigkeit gelingen. Meinungs- und Pressefreiheit finden sich ebenso in diesem Forderungskatalog wie die Absenkung der völlig unrealistischen planwirtschaftlichen Produktionsnor-
men und eine gerechte Bezahlung der Arbeiter. Die 14 Punkte sollen im Rundfunk verkündet werden, aber die dort Zuständigen weigern sich mit Rückendeckung der Staatssicherheit (ÁVH). Dagegen erhebt sich am 23. Oktober Protest, der vor allem in Budapest die Massen auf die Straßen bringt. Am Abend ziehen 200.000 Menschen vor das Parlament und erreichen tatsächlich, dass man Imre Nagy zum neuen Ministerpräsidenten ernennt. Doch die noch in der Nacht von Parteichef Gerö zu Hilfe gerufene Sowjetarmee (sowie die ÁVH) haben bereits das Feuer auf die Demonstranten eröffnet.
Grad der Unabhängigkeit von Moskau – möglicherweise in Form einer blockfreien Neutralität nach jugoslawischem Vorbild. Am 25. Oktober wird János Kádár anstelle von Gerö neuer Parteisekretär und vor dem belagerten Parlament fallen Schüsse, die zu über 100 Toten führen. Zwei Tage später steht Nagys neue Regierung; zugleich verkündet er die Auflösung der ÁVH und macht sich die Revolution zu eigen. Dies gipfelt am 30. Oktober in der Bildung einer Mehrparteienregierung und der Freilassung von József Kardinal Mindszenty, einem Regimekritiker sowie ehemaligen Erzbischof von Ungarn, aus dem Gefängnis. Die sowjetische Seite hält sich zunächst zurück und geht nach den blutigen Auseinandersetzungen der ersten Tage auf die Forderung nach ihrem Abzug scheinbar ein. Doch der sowjetische Botschafter in Budapest, Juri Andropow, bereitet hinter den Kulissen einen Einmarsch weiterer sowjetischer Trup-
Das Imperium schlägt zurück Am 24. Oktober greift der Aufstand auf andere Städte über, wo sich ebenfalls Arbeiter-, Revolutions- und Soldatenräte bilden, die einen landesweiten Generalstreik ausrufen. Dieser richtet sich auch gegen Nagy, der den Aufständischen nicht weit genug geht. Das Festhalten am Sozialismus steht dabei nicht grundsätzlich zur Debatte, sehr wohl aber der
Abb.: pa/akg-images
HINTERGRUND
Ungarns Nationalheld: Imre Nagy Imre Nagys Leben ist ein Spiegelbild der historischen Entwicklung seiner Heimat. Als er 1896 als Bauernsohn auf die Welt kommt, ist Ungarn noch Teil der k. u. k. Monarchie. Der gelernte Maschinenschlosser wird im Ersten Weltkrieg Soldat in der österreichisch-ungarischen Armee, Kriegsgefangener in Russland, dann Soldat in der Roten Armee und Teilnehmer an der Oktoberrevolution im Herbst 1917. Aus dem seit Kriegsende souveränen Ungarn emigriert er Ende der 1920er-Jahre in die Sowjetunion, wo er sich wissenschaftlich mit Agrarwirtschaft beschäftigt und Mitglied der Kommunistischen Internationale ist. Am Ende des Zweiten Weltkriegs ist er zurück in Ungarn, wird Landwirtschaftsminister und Organisator der ungarischen Bodenreform, doch politische Forderungen abseits der vorgegebenen sowjetischen Linie enden mit seiner Kaltstellung. Die auch in Ungarn Mitte 1953 einsetzende Entstalinisierung spült ihn in das Amt des ungarischen Ministerpräsidenten. Er nutzt seinen neuen Posten, um umfangreiche Reformen innerhalb des sozialisti-
schen Systems anzustoßen, wird nach inneren Auseinandersetzungen in der kommunistischen Partei der ungarischen Werktätigen (MDP, Magyar Dolgozók Pártja) aber im April 1955 wieder aus allen Parteiämtern sowie als Ministerpräsident entlassen. Mit Beginn der Studentenproteste am 23. Oktober 1956 wird Nagy erneut Ministerpräsident und damit Hoffnungsträger der sich anbahnenden Revolution. Er muss aber angesichts des sowjetischen Vorrückens Anfang November in die jugoslawische Botschaft in Budapest fliehen. Diese verlässt er Ende November, wird verhaftet und nach einem Geheimprozess am 16. Juni 1958 wegen Landesverrats und versuchter Beseitigung der StaatsBEZAHLT MIT DEM LEBEN: Nach dem ordnung hingerichtet. Der Ausbruch des Aufstandes erklärt Nagy heutige Nationalheld lehnt Ungarns Austritt aus dem Warschauer ein Schuldeingeständnis Pakt und die Neutralität seines Landes in diesem politischen Pro– dafür wird er 1958 hingerichtet zess ab. Abb.: picture-alliance/United Archives/TopFoto
Clausewitz 1/2018
Kriege, Krisen & Konflikte | Revolution in Ungarn pen aus den angrenzenden WarschauerPakt-Staaten vor. Um der von Nagy befürchteten Intervention, vor allem nach der Lynchjustiz seitens der Aufständischen gegenüber Regimeangehörigen Ende Oktober, zuvorzukommen, verkündet er am 1. November Ungarns Neutralität und den Austritt aus dem Warschauer Pakt. Darauf reagiert die Sowjetunion – nach interner Bestätigung des gewaltsamen Vorgehens durch die kommunistischen Regime in Polen, Bulgarien, Rumänien, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und China – mit dem Einmarsch.
Ausgeträumt Die von den Ungarn erhoffte Hilfe aus dem Westen kommt nicht. Und auch mit den Vereinten Nationen ist nicht zu rechnen, zumal zeitgleich die Suezkrise militärisch eskaliert. Als die Sowjets das Parlament erobern, setzen sie Nagy ab und bilden eine neuen Regierung von sowjetischen Gnaden unter Ministerpräsident Kádár. Dies geschieht am 4. November in Szolnok, etwa 100 Kilometer östlich von Budapest, da in der Hauptstadt die Kämpfe andauern. Doch trotz des Widerstandes ist der Aufstand spätestens jetzt endgültig verloren, auch wenn die Gefechte bis
birgt jedoch zusätzlichen politischen Sprengstoff, denn nach den Grenzziehungen infolge des Ersten und deren Bestätigung nach dem Zweiten Weltkrieg leben größere ungarische Minderheiten in benachbarten Ländern, et-
politischen Schauprozess hingerichtet. Die von vornherein aufgrund der weltpolitischen Lage und der sowjetischen Interessen zum Scheitern verurteilte Revolution erreicht zunächst keines ihrer Ziele.
Abb.: picture alliance/AP Images
Am Ende ist wenig erreicht
„Was geschah, war nicht etwa eine Revolution, sondern ein Freiheitskampf. Das System wurde vom ganzen Volk hinweggefegt. [...] Dieser Kampf wurde gefochten, weil die Nation ihr Schicksal frei bestimmen will.“
wa in Siebenbürgen in Rumänien. Es kann zu dem Zeitpunkt weder im Interesse des Westens noch der Sowjetunion sein, über erneute Grenzverschiebungen nachzudenken. Der in die jugoslawische Botschaft geflüchtete Nagy verlässt diese nach der Zusicherung von Straffreiheit am 22. November, wird jedoch verhaftet und zusammen mit mehreren Anhängern Mitte 1958 nach einem
Das in Ungarn stationierte „Sonderkorps“ der sowjetischen Armee steht unter dem Befehl von Generalleutnant Pjotr Nikolajewitsch Laschenko, der nicht nur eng mit Andropow zusammenarbeitet, sondern als Beteiligter am sowjetischen Vorgehen gegen den Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR auch über praktische Erfahrungen bei der Niederschlagung von Aufständen verfügt. Die Verhandlungen und der angebliche Rückzug der Sowjetarmee am 29. Oktober nach den Auseinandersetzungen der ersten Tage sind lediglich taktische Manöver, die die Ungarn jedoch fatalerweise in ihrer Überzeugung bestärken, siegen zu können. Kaum eingesetzt, bemüht sich die neue ungarische Regierung unter Nagy ebenfalls darum, die Lage zu befrieden, indem sie ei-
4. November 1956 Nach der sowjetischen Einnahme des Verteidigungs- und des Innenministeriums, des Parlamentsgebäudes und der Absetzung der Mehrparteienregierung Nagys folgt in Szolnok die Gründung der moskautreuen „ungarischen revolutionären Arbeiter- und Bauernregierung“, Beginn des Zusammenbruchs des Aufstandes 6. November 1956 Budapest wird sowjetischer Militärverwaltung unterstellt, Verhängung einer Ausgangssperre 15. November 1956 Bis auf einzelnen Widerstand enden die Auseinandersetzungen zwischen Sowjetarmee und ungarischer Bevölkerung, es gibt mehrere tausend Tote Ende November 1956 Mehr als 200.000 Ungarn fliehen über Österreich in den Westen 1956 bis 1988 János Kádár, einer der Gründer des
Staatssicherheitsdienstes, ist Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (sowie 1956–1958 und 1961–1965 auch ungarischer Ministerpräsident) Juni 1958 Politischer Schauprozess gegen Nagy, beschuldigt des Landesverrats und des versuchten Sturzes der volksdemokratischen Staatsordnung, sowie weitere Anführer des Aufstandes 16. Juni 1958 Hinrichtung von Nagy, einer von zirka 350 zum Tode Verurteilten Januar bis August 1968 Prager Frühling 1989 Rehabilitation von Nagy im Zuge der Wende, feierliche Beisetzung am 16. Juni auf dem neuen Budapester Stadtfriedhof
József Kardinal Mindszenty nach seiner Befreiung Ende Oktober 1956
Mitte November – und an einigen Orten sogar bis zum Januar 1957 – weitergehen. Am Ende gibt es auf beiden Seiten insgesamt mehrere tausend Tote, Zehntausende sind verwundet und 200.000 Ungarn sind auf der Flucht in den Westen. Die von den Demonstranten am 23. Oktober gerufene Parole „Wer Ungar ist, ist mit uns!“ zeigt den nationalen Charakter des Aufstandes. Sie CHRONOLOGIE 24. Oktober 1956 Ausweitung des Aufstandes auf den Rest des Landes, Entstehung von Räten, Generalstreik, Wegfall der Pressezensur 25. Oktober 1956 über 100 Tote bei Schüssen vor dem Parlament in Budapest 27. Oktober 1956 Regierungsbildung unter Nagy und Auflösung des Staatsicherheitsdienstes 30. Oktober 1956 Ende der Einparteienherrschaft und Verhandlungen mit der Sowjetunion über einen kompletten Abzug der Sowjetarmee aus Ungarn 1. November 1956 Erklärung der Neutralität Ungarns und Austritt aus dem Warschauer Pakt, Kampf gegen die Niederschlagung des Aufstandes durch die Sowjetarmee
44
Ungarischer „Gulaschkommunismus“
VERHASST: Teil eines zerstörten Denkmals in Budapest. Für viele Ungarn 1956 gehört der Kommunismus sowjetischer Prägung – so wie der Stalin-Schädel im Bild – auf den Müllhaufen der Geschichte Abb.: picture alliance/IMAGNO
nerseits auf die Forderungen der Demonstranten eingehen, andererseits aber auch planen, die Revolte militärisch niederzuschlagen. Erst nach dem Übergang vieler ungarischer Soldaten auf die Seite der Demonstranten scheidet diese Option aus. Gleich-
UNVERGESSEN: Zahlreiche Denkmäler und Veranstaltungen (zuletzt im Jahr 2016 zum 60-jährigen Jahrestag des Volksaufstandes) erinnern an die historischen Ereignisse und ihre Protagonisten von 1956. Das Foto zeigt eine Ehrenwache für die Toten des Aufstandes Abb.: picture alliance/Klaus Rose
wohl nutzt auch Nagy in den ersten Tagen seiner Amtszeit die bisher übliche kommunistische Rhetorik, von der er erst später abweicht. Am 28. Oktober spricht Nagy selbst erstmals nicht mehr von einer Konterrevolution, sondern verwendet die Bezeichnung
HINTERGRUND
What if? – Alternativszenarien Was hätte passieren können, wenn der Ungarn-Aufstand nicht unterdrückt worden wäre? Eine Konzentration der Sowjetunion auf einen echten inneren Wandlungsprozess nach Stalins Tod wäre möglich gewesen, doch zeigen die Entwicklungen der folgenden Jahre, dass dies nicht gewollt ist. Aufstände gegen das System in den Gulags 1953/1954 und die Arbeiterunruhen in Nowotscherkassk 1962 werden blutig beendet und ziehen eher eine Verschärfung der Repressionen nach sich. Insofern müssen die folgenden Überlegungen spekulativ bleiben. Ein erfolgreicher Aufstand in Ungarn,
HISTORISCHE ALTERNATIVEN: Am Ungarn-Aufstand hätte sich der Dritte Weltkrieg entzünden können. Das Foto zeigt Bundeswehr-Soldaten in den 1950er-Jahren Abb.: picture alliance/United Archives
Clausewitz 1/2018
dazu ein ebensolcher in Polen und ein schnelles Nachziehen der Tschechoslowakei – quasi eine Vorverlegung des 1968 stattfindenden Prager Frühlings – hätte zu einem beginnenden Zerfall des Ostblocks geführt. Das heißt nicht, dass der Sozialismus verschwunden wäre, aber die Gewährung bürgerlicher Freiheiten und ein Ausbruch aus dem Blocksystem hätten Wirklichkeit werden können. Das wäre aber gegen den sowjetischen Willen nicht zu erreichen. Der Westen wiederum reagiert sehr zurückhaltend, um nicht – neben den Stellvertreterkriegen in Asien, Afrika und Lateinamerika – einen dritten, atomar geführten Weltkrieg zu riskieren. Dazu hätte es aufgrund einer Intervention der NATO an der direkten Grenze beider Blöcke in Mitteleuropa kommen können. Außerdem ist die Suezkrise in vollem Gange, die politische Differenzen innerhalb des Westens offenbart. Die Zurückhaltung, mit der vor allem auf die Aufstände 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn reagiert wird, macht deutlich, dass sich die NATO im Einflussgebiet der UdSSR nicht einmischt. Die argumentative Rückzugsposition sind die noch im Zweiten Weltkrieg festgelegten Einflussbereiche der damaligen Alliierten, die unter anderem Ungarn dem Machtbereich der Sowjetunion zuschlagen.
Volksaufstand. Jedwede Maßnahmen, auch die Errichtung einer Nationalgarde aus Bürgern, Soldaten und Politzisten, die sich mit dem Volk solidarisieren, kommen zu spät und halten die Unterdrückung des Aufstandes, der – Tauwetter hin oder her – in dieser Dimension von den Sowjets nicht toleriert werden kann, nicht mehr auf. Der Versuch, einen blockfreien sozialistischen Staat mit einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu schaffen, ist gescheitert.
Wandel durch 1989er-Wende Zu leichten, von Moskau wegen der sich mildernden Spannungen im Ost-West-Konflikt tolerierten Reformen kommt es erst unter Kádár in den 1960er- und 70er-Jahren. Man fasst sie unter dem – angeblich von Chruschtschow selbst stammenden – Namen „Gulaschkommunismus“ zusammen. Vorsichtiges Abrücken von der Planwirtschaft, die touristische Öffnung, wissenschaftliche Zusammenarbeit über die Systemgrenzen hinweg sowie eine offensivere Kommunikationspolitik des Regimes mit dem eigenen Volk kennzeichnen diesen Weg. Ein echter Wandel tritt aber auch in Ungarn erst Ende der 1980er-Jahre mit der politischen Wende in Osteuropa ein, wo sich die heutigen Parteien zwecks eigener Legitimation immer wieder auf den gescheiterten Volksaufstand vor sechs Jahrzehnten berufen. Dr. Robert Riemer forscht und lehrt als Privatdozent am Historischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Außerdem unterrichtet er an der Offizierschule des Heeres in Dresden und an der Offizierschule der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck.
45
Schlachten der Weltgeschichte
Ende des 19. Jahrhunderts: Die Moderne hält mit großen Schritten Einzug ins feudale Japan. Und mit ihr verschwindet der Berufsstand der Samurai. Ein letztes Aufbäumen dieser stolzen Krieger treibt sie in eine tödliche Konfrontation mit der kaiserlichen Armee. Anführer der Aufständischen ist ein Mann, der heute noch verehrt wird: Saigo Takamori Von Alexander Losert
46
in Japan: Saigo Takamori. Der „Riese aus Kagoshima“, wie ihn viele schon zu seinen Lebzeiten nennen, ist der Kopf der Satsuma-Rebellion, dem letzten Aufbäumen der Krieger des alten Japans gegen die tiefgreifenden Veränderungen, die mit der Meiji-Restauration einhergehen. Dabei steht Takamori stets treu auf Seiten des Kaisers, bis zu seinem Ende 1877. Ist das nicht widersprüchlich? Keineswegs! Doch um das zu verstehen, muss man in die Seele Japans blicken.
Der Riese aus Kagoshima
E
s stinkt nach Pulver und Blut an diesem 24. September 1877. Vorangegangen ist eine Schlacht, deren Ausgang eigentlich von Anfang an feststeht. Auf der einen Seite ein paar hundert aufständische Samurai, auf der anderen Seite etwa 30.000 Soldaten der neuen Kaiserlichen Armee. So gelingt es den Kaiserlichen in wenigen Stunden, die als Satsuma-Rebellion in die Geschichte eingegangene Revolte blutig niederzuschlagen. Vielleicht wäre dieses Gemetzel eine kleine Randnotiz der Geschichte geblieben, wenn damit nicht auch gleichzeitig eine ganze Ära und eine ganze Kaste ihr Ende gefunden hätten. Und wie kaum ein anderer steht ein Name sinnbildlich für den Niedergang der Samurai
DER TRADITION TREU BIS IN DEN TOD: Die von Saigo Takamori (in der rechten oberen Ecke des Bildes in schwarz-roter Uniform zu sehen) angeführte Handvoll Samurai und Soldaten gehen im Kugelhagel der kaiserlichen Armee unter. Sie sterben für die alten Werte in einer modernen Welt, die für Samurai keinen Bedarf mehr hat Abb.: picture alliance/CPA Media
Clausewitz 1/2018
Der spätere Rebell kommt im Jahr 1827 auf die Welt. Seine Heimat ist die Provinz Satsuma auf der Insel Kyushu – weit weg von den Machtzentren Edo (Sitz des Shoguns) und Kyoto (Residenz des Kaisers). Der Shogun – seit der Reichseinigung zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Tokugawa Ieyasu immer jemand aus diesem Hause – ist der eigentliche Machthaber, während dem Kaiser nur zeremonielle und geistige Aufgaben zufallen. Der Kaiser wird als Gott verehrt und viele Japaner sehen in ihm, nicht im Shogun, den einzig berechtigten Führer der Nation. An diesem Streit wird sich auch Saigo Takamori führend beteiligen, was so allerdings nicht zu erwarten ist. Die japanische Gesellschaft ist strikt hierarchisch gegliedert. Die Berufskrieger sind die Samurai, die jedoch nach der Reichseinigung immer weniger ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Kämpfen, nachgehen. Es herrscht weitgehend Frieden im ganzen Land. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts verändert sich dieses Gefüge. Saigo Takamori stammt aus einer Samurai-Familie niederen Ranges, die dem Shimazu-Klan angehört. Er fällt schon früh durch seine
Der Helm („Kabuto“) hat weit ausladende Seitenteile und oft auch eine grimmig wirkende Gesichtsplatte
Die Rüstung („Do“) besteht aus vielen kleinen zusammengefügten Plättchen. Sie wird manchmal durch große Platten und Kettenteile verstärkt. Die Rüstung ist leicht, da der Samurai oft in ein Handgemenge verwickelt ist und sich schnell bewegen muss KAMPFBEREIT: Ein Samurai mit gezücktem Schwert, zirka 1860 Abb.: picture alliance/Leemage
Leibesfülle (Schätzungen sprechen von mehr als 120 Kilogramm) und seiner für einen Japaner der damaligen Zeit beachtlichen Größe auf. Doch soll er seinen Körper sehr gut beherrscht haben und für seine wuchtigen Verhältnisse auch gewandt gewesen sein. Samurai-Tugenden wie Mut, Bescheidenheit und Rechtschaffenheit kennzeichnen schon früh seinen Weg. Dementsprechend erhält er eine Ausbildung zum Krieger.
Neues Nippon Im Jahr 1851 tritt Shimazu Nariakira an die Spitze des Shimazu-Klans. Saigo, zu dieser Zeit 24 Jahre alt, begrüßt die Veränderung, da sich sein Daimyo (Fürst) für eine größere Unabhängigkeit gegenüber dem TokugawaShogunat stark macht und auf Seiten des Kaisers steht. Beide Männer – das Klanoberhaupt und der Samurai – teilen die gleichen Ansichten. So avanciert Saigo zum Vertrauensmann von Shimazu Nariakira. Doch Letzterer stirbt unerwartet. Nun steigt mit Shimazu Hisamitsu ein Konservativer an die Spitze des Klans, dem die Modernisierungsund Unabhängigkeitsbestrebungen zuwider sind. Die Folge davon: Saigo Takamori wird verbannt. Erst im Jahr 1864 auf Fürsprache von Freunden endgültig rehabilitiert, kehrt er in seine Heimat zurück. Dennoch bleibt der „Riese aus Kagoshima“ unbeugsam. Alle, die ebenfalls den Kaiser als führende Person in Japan haben wollen, sehen fortan in ihm einen Helden, weil er es wagt, gegen den Shogun zu opponieren. Überhaupt setzen nun Veränderungen ein, die rasend schnell das Gesicht Japans wandeln, zuerst zur Freude der Kaisertreuen. Am 3. Januar 1868 tritt ein politisches Erdbeben ein. An diesem Tag verkündet der Shogun Tokugawa Yoshinobu seinen Rücktritt und die Übergabe seiner Macht an den 15-jährigen Kaiser Mutushi-
Hauptwaffe ist das „Katana“, ein langes Schwert, das während der Edo-Zeit nur von Samurai getragen wird. Der Handschutz („Tsuba“) besteht aus einer flachen Scheibe. Da kein Schild verwendet wird, ist das Schwert für Angriff und Verteidigung gleichermaßen wichtig Das kurze Schwert, das „Wakizashi“, ist eine Seitenwaffe, die der Samurai zum Beispiel für Seppuku (ritueller Selbstmord, im Westen meist als „Harakiri“ bezeichnet) verwendet
47
Schlachten der Weltgeschichte | Shiroyama 1877 tig nieder. Inwieweit er selbst zu diesem Zeitpunkt erkennt, dass die Ära der japanischen Berufskrieger vorbei ist, gibt bis heute Anlass zu Spekulationen. Eventuell ist sich Saigo auch nicht im Klaren darüber, wie tief die Meiji-Restauration in das gesellschaftliche Gefüge eingreift. Vor allem die Einführung einer neuen Armee, ausgebildet und ausgerüstet nach westlichen Maßstäben, gepaart mit der allgemeinen Wehrpflicht, offenbart eines: Die Samurai werden arbeitslos. Ihre Dienste als Krieger, oft in jahrhundertealter Familientradition, sind nicht mehr gefragt. Viele stehen so vor dem Ruin ihrer Existenz, erst recht, als der Staat ihnen immer weitere Restriktionen auferlegt. SOLDATEN DER ALTEN SCHULE: Takamori mit seinen Offizieren. Die Zeichnung stammt aus einem französischen Nachrichtenmagazin aus dem Jahr Abb.: picture alliance/CPA Media 1877, also dem Todesjahr des „letzten Samurai“
to. Im Vorfeld ist derart starker Druck auf den Shogun ausgeübt worden, dass ihm keine andere Wahl bleibt. Vorangegangen ist vor etlichen Jahren die erzwungene Öffnung des abgeschotteten Landes und die langsam einsetzende Modernisierung. Kaufleute avancieren zur neuen aufstrebenden Schicht, wohingegen die Samurai, auf die sich der Shogun stützt, ihre starke Stellung nach und nach verlieren. Deshalb kann sich der Shogun nicht mehr an der Spitze halten. Was nun jedoch passiert, ist eine Umwälzung von epochalem Ausmaß. Der Kaiser schafft kurzerhand die Position des Shoguns
ab und ordnete an, das Land zu modernisieren. Noch begrüßt Saigo Takamori diese Veränderungen, er sieht sein Ziel erreicht. Natürlich akzeptieren viele den neuen Wind nicht. Vor allem die Samurai, die um ihre Privilegien und ihren Status bangen, verweigern sich den Reformen. So erheben sich noch im selben Jahr etwa 20.000 Samurai, die dem Shogun treu ergeben sind und versuchen, das Rad der Geschichte wenn schon nicht zurückzudrehen, so doch zumindest anzuhalten. Niemand Geringeres als Saigo Takamori schlägt diesen Aufstand blu-
Zwiegespaltener Samurai Trotzdem bleibt Saigo Takamori weiterhin dem Kaiser treu. Viele sehen in ihm die Chance, etwas vom Geist der Samurai zu bewahren. Vor allem, als er im Jahr 1872 zum Oberbefehlshaber aller bewaffneten Kräfte in Japan aufsteigt, keimt diese Hoffnung stärker auf den je. Zumal er es vorzieht, in traditioneller Kleidung zu Sitzungen zu erscheinen, bei denen ansonsten Anzüge westlichen Zuschnitts dominieren – offen nach außen getragenes Traditionsbewusstsein eben. Doch schon ein Jahr später vollzieht sich für Saigo der Bruch mit den neuen Verhältnissen. Der Auslöser ist ein Konflikt, der die Halbinsel Korea betrifft. Deren Regierung weigert sich, japanische Gesandtschaf-
HINTERGRUND
Die Samurai: Ritter im Land der aufgehenden Sonne Das Wort „Samurai“ bedeutet in etwa kommt es 1874 und 1876 zu Samurai-Auf„Dienstmann“. Es ist zunächst die Bezeich- ständen. Als 1876 auch noch die bis dahin nung für das bewaffnete Begleitpersonal des übliche Reisration (als Pension) in RentenpaKaisers und des Adels, später (Ende des 12. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts) für die Vasallen des Shoguns und der Daimyos (Fürsten). Will man einen Bezug zu einer vergleichbaren Kriegerkultur mit strengem Ehrenkodex und ähnlicher Funktion herstellen, so passen am besten die Ritter des europäischen Mittelalters. Während der Tokugawa-Periode/Edo-Zeit (1603–1868) geht die Bedeutung der Samurai bereits zurück. Die Reformen der Meiji-Ära (1868– 1912) wird von vielen Samurai – zumindest in Teilen – befürwortet. Da die Kriegerkaste in der Folge aber ihre feudalen Privilegien an den Adel und das aufstre- VERALTET: Die Hauptaufgabe der Kriegerkaste bende Bürgertum verlieren, ihr Landbe- ist das Kämpfen. Als moderne Waffen und die sitz 1871 aufgebhoben und zwei Jahre Wehrpflicht eingeführt werden, sind die stolzen Abb.: picture alliance/Heritage Images später die Wehrpflicht eingeführt wird, Samurai überflüssig
48
piere umgewandelt wird, führt dies zum großen Aufstand von 1877, der Satsuma-Rebellion. Traditionell sind die Samurai mit ungewöhnlich langen Bögen (rund zwei Meter lang) und Schwertern ausgerüstet. Jeder Krieger trägt zwei davon bei sich – ein langes, „Katana“ genanntes, und ein kurzes, das „Wakizashi“. Für festliche Anlässe gibt es ein besonders langes und reich verziertes Schwert, das „Tachi“. Zur Feststellung der Klingenschärfe benutzt man die Leichen abgeurteilter Verbrecher. Die Rüstung eines Samurai ist einerseits stark genug, um Treffer abzuwehren, andererseits aber auch leicht und flexibel genug, um die schnellen und gewandten Manöver eines Schwertkämpfers durchzuführen. Da der Samurai sein Schwert beidhändig hält, hat er keinen Schild. Auch wenn die Samurai als Kämpfer spätestens mit der Meiji-Restauration überflüssig sind – ihre Werte leben bis heute weiter als wichtiger Bestandteil der japanischen Kultur.
Entehrt und gedemütigt
Provinz Satsuma auf der Insel Kyushu. Hier wird Saigo Takamori geboren
„Mijako“ bedeutet „Hauptstadt“, die damals Kyoto ist – der Sitz des Kaisers
Kagoshima, Ort der Schlacht am Hügel von Shiroyama
ten zu empfangen. Ein absoluter Affront. Doch die japanische Regierung beschließt, nicht darauf zu reagieren. Saigo aber, ganz den Werten von Ehre und Mut verschrieben, fordert ein energisches Eingreifen. Die Realpolitiker erkennen jedoch, dass eine aggressive Aktion gegen Korea unweigerlich zu Problemen mit China (beziehungsweise den europäischen Nationen, die das Reich der Mitte damals dominieren) und Russland führen würde. Einem Samurai wie Saigo Takamori ist dies unverständlich. Er tritt von allen seinen Ämtern zurück, mit Ausnahme dem des Armeegenerals. Damit hat er sich mächtige Feinde geschaffen, die den noch immer einflussreichen Samurai gerne losgeworden wären. Für seine Gegner ist er ein Relikt aus einer Zeit, die der Vergangenheit angehört. Takamori ist sich bewusst, dass, wenn Japan unabhängig bleiben will, es zu den modernen Nation aufschließen muss. Doch deshalb, so seine Ansicht, sollten die Japaner nicht vergessen, wer sie sind. Kultur und Tradition müssen seiner Meinung nach bewahrt werden. Der Samurai zieht sich in seine Heimat Kagoshima zurück. Dort verbringt er viel Zeit mit Clausewitz 1/2018
seinen Hunden und gründet zahlreiche Kampfschulen, in denen seine Schüler den klassischen Schwertkampf, aber auch den Umgang mit den modernen Feuerwaffen erlernen. In der Hauptstadt sieht die Regierung darin eine Gefahr. Versuche, Saigo Takamori wieder in Amt und Würden zu bringen, scheitern. Alles scheint auf einen handfesten Konflikt hinauszulaufen. Und so kommt es auch.
Die Rebellion beginnt Immer wieder flammen örtliche Aufstände von Samurai auf, die gegen die neue Zeit kämpfen. Alle werden von der neuen Armee niedergeschlagen. Und die Regierung gießt weiter Öl ins Feuer. An einem Ausgleich scheint niemand interessiert. Nicht nur, dass man den Samurai die Lebensgrundlage entzieht (den Erhalt ihrer Reisrationen), nein, man demütigt sie auch noch, in dem man etwa den traditionellen Haarschopf verbietet. Eine der schwerwiegendsten Restriktionen, die man den Samurai auferlegt, ist im Jahr
Abb.: picture alliance/Everett Collection
Edo respektive Yedo, heute Tokyo, ist Sitz des Shoguns
1876 das Verbot, Schwerter zu tragen. Doch trotz all dieser Geschehnisse vermeidet es Saigo Takamori, Stellung zu beziehen; bis zu jenem Ereignis, das ihm keine Wahl mehr lässt. Am 30. Januar 1877 will die Regierung die potenzielle Gefahr, die sich in Kagoshima zusammenbraut, beseitigen. Aus diesem Grund marschieren Truppen auf, um die örtlichen Waffen- und Munitionslager zu beschlagnahmen. Doch die geheime Aktion wird publik und die Schüler Saigo Takamoris gehen ihrerseits in die Offensive und plündern die kaiserlichen Magazine. Takamori gerät außer sich vor Wut, als er von den Geschehnissen erfährt. Doch anstatt zu versuchen, ausgleichend zu wirken, stellt er sich an die Spitze der Aufständischen. Ihm muss klar sein, dass es nun kein Zurück mehr gibt. Seine Feinde in der Regierung würden alles daran setzen, ihn nach den Taten seiner Schüler zum Schuldigen zu stempeln. So geschieht es auch. Saigo gilt nun als Feind des Hofes, der ausgeschaltet werden muss. 60.000 Mann der neuen Armee rücken aus, um die Aufständischen zu vernichten. Zu ihrer Unterstützung verfügen diese Männer über Artillerie und Schiffe. Alles macht sich auf den Weg nach Kagoshima.
49
Schlachten der Weltgeschichte | Shiroyama 1877
AUFGERIEBEN: Saigos Samurai (linke Seite) kämpfen vor der Burg Kumamoto (im Bildhintergrund links oben zu erkennen) gegen die eintreffenden Kaiserlichen (rechts in westlichen Uniformen) und müssen sich zuAbb.: picture alliance/CPA Media rückziehen
Auf der anderen Seite schart Saigo Takamori 14.000 Mann um sich – entgegen der landläufigen Meinung finden sich auch Soldaten unter ihnen, die mit Gewehren und Pistolen ausgestattet sind. Der „Riese aus Kagoshima“ begeht aber einen kapitalen Fehler bei der nun offen ausbrechenden Satsuma-Rebellion: Er unterschätzt den Gegner. Für ihn steht fest, dass seine Berufskrieger, obwohl geringer an Zahl und auch materiell unterlegen, der Wehrpflichtigen-Armee haushoch überlegen sind.
Vergebliche Angriffe Um sich einen strategischen Vorteil zu verschaffen, beschließt Takamori, die Burg von Kumamoto einzunehmen. Er will dies tun, bevor die kaiserlichen Truppen auftauchen. Doch er scheitert. Immer wieder lässt er seine Soldaten anrennen, immer wieder weisen die Verteidiger die Angriffe ab. Dann erscheinen die Kaiserlichen und die Aufständischen müssen
Literaturtipps Roland Habersetzer: Die Krieger des alten Japan – Berühmte Samurai, Ronin und Ninja. Chemnitz 2011. Kure Mitsuo: Samurai – Bushido – Der Weg des Kriegers. Augsburg 2001. Michael Sharpe: Die Schlachten der Samurai – Die Kriegsherren Japans in über 700 Jahren Krieg. Stuttgart 2010.
sich schließlich zurückziehen. Außer hohen Verlusten erreicht man nichts. Aber es kommt noch schlimmer. Um Kumamoto anzugreifen, muss Takamori Kagoshima unbewacht lassen – die Stadt fällt ohne größere Gegenwehr an seine Gegner. Damit geht die Basis der Rebellen verloren. Saigo Takamori und seine Samurai fliehen vor den Regierungstruppen. Alles scheint auf ein schnelles Ende hinzudeuten – doch das trifft nicht zu. Über Monate hinweg liefern sich die Aufständischen Schlachten oder Gefechte in Guerillamanier auf der Insel Kyushu. Saigos Truppen verlieren mehr und mehr an Stärke, doch auch die Kaiserlichen müssen schwerste Verluste hinnehmen. Von den losgeschickten 60.000 Männern sind inzwischen nur noch 30.000 am Leben, als es zur letzten Schlacht kommt.
Das letzte Aufgebot Nur noch einige Hundert Kämpfer sind Saigo geblieben, als er im September wieder in Kagoshima ankommt. Ihm muss zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass es dem Ende entgegengeht, sonst hätte er diesen Weg wohl nicht eingeschlagen. Er will in seiner Heimat den letzten Gang antreten. Shiroyama – nördlich VOM VOLK VEREHRT: Diese Statue von Takamori befindet sich in Tokio. Der große Samurai wird von seinen modernen Landsleuten bewundert Abb.: picture alliance/dpa-Zentralbild
50
der Stadt gelegen – ist der letzte Ort, an dem die Satsuma-Rebellion noch einmal aufflackert. Die folgenden Ereignisse werden in die Geschichte Japans eingehen – als Beispiel vom Heldenmut der Samurai: Mit seinen wenigen Getreuen wartet Saigo Takamori ab. Sie haben sich verschanzt, sind von den Kaiserlichen eingekreist. Am 23. September 1877 überbringt ein Bote eine Nachricht des Generals der Regierungstruppen. Takamori solle aufgeben. Für ihn kommt das natürlich nicht infrage. Auch für seine letzten Kämpfer nicht. Damit ist ihr Schicksal besiegelt. Am 24. September 1877, gegen 4 Uhr morgens, geht es in den letzten Kampf. Saigo und seine Männer kämpfen mit dem Mut der Verzweiflung, wohl wissend, dass dies ihr Ende ist. Ihr Anführer erleidet eine schwere Schussverletzung an der Hüfte, zieht sich aus dem Kampf zurück und bittet einen Begleiter, ihm den Kopf abzuschlagen – was dieser auch vollzieht. Die letzten Samurai sterben bei einem finalen Angriff im Kugelhagel der Regierungstruppen. General Yamagata von den Kaiserlichen gibt unmittelbar nach dem Sieg den Befehl, den Leichnam von Saigo Takamori zu suchen. Zuerst findet man nur den Körper, dann den Kopf. Man erweist den sterblichen Überresten alle Ehre. Der Leichnam wird gewaschen und dann feierlich mit den anderen Gefallenen in Kagoshima bestattet. Mit dieser Schlacht geht die Zeit der Samurai für immer zu Ende. Alexander Losert, M.A., ist Journalist, Politologe und interessiert sich besonders für die Geschichte Japans.
WO O OLDT OLDT LD L DT DT TIIME TIMER ER AU UCH CH C SCH SC SCH CH HMUTZ MU UT TZIG TZ ZIG SE ZI SEIN IN DÜR DÜRFEN RFE FEN FEN EN Ausgabe 2017 Deutschland: EUR
6,80 Österreich: EUR 7,800 Schweiz: CHF 9,80
Italien: EUR 7,80
Luxemburg: EUR 7,80
4x4classic Nr. 3
GLEICH
ST STE
VER
WAS -
1 0 BESTEN OFFR
OADERALLER ZEITEN
Jeep Wrangler TJ Rubicon • Lada N Range Rove Ra Niva • Land Ro err • Steyrr-P ver Deffend Pu ucch h Pinz der • Merrcede n gaue er • Suzuki LJ s-Benz G • Ni 80 • To oyota Land Cr ssan Patrol GR ru uiisse err J4 • Toy o ota Land Cr uiser J10
Ab sofo ort im Handel erhältlich!
Direktbesteellung: Tel. 0 80 61 / 38 998 -0 www.wieland-verlagg.com
Neu am Kiosk | Clausewitz Spezial / Militär & Geschichte
NEU am Kiosk
Stärke der Wehrmacht
Clausewitz Spezial
DEUTSCHE PAANZER
Jetzt bei Ihrem Zeitschriftenhändler Cl
i l
it S
D: €
9,90 A: € 10,90 CH: sFr 19,80
12,85 SK: € 13,40 BeNeLux: € 11,40 Italien: €
Teil 3 DEUTSCHE Te PANZER
Clausewitz Spezial Deutsche Panzer Teil 3 Die Panzertruppe war zweifellos sehr effizient, lief aber Gefahr, schutzlos im Feld zu stehen, wenn die Infanterie, Artillerie und nicht zuletzt die Flak weit zurückblieben. Pferde und menschliche Muskeln können nun mal nicht mit Panzermotoren mithalten. So nimmt es nicht wunder, dass bereits die Reichswehr überlegte, die Infanterie möglichst gepanzert ins Gefecht zu führen – und mit ihr am besten auch eine möglichst große Feuerkraft. Vor diesem Hintergrund entstand der mittlere Schützenpanzerwagen mit der schmucklosen Bezeichnung SdKfz 251. Das Halbkettenfahrzeug sollte zu jenen Waffensystemen gehören, die das Bild von der Wehrmacht entscheidend prägten. Ihm folgten eine Reihe von weiteren Panzerfahrzeugen wie der Flakpanzer Wirbelwind und die Panzerhaubitze Hummel. Clausewitz zeigt die technische Entwicklung dieser wegweisenden Innovationen auf, vom einfachen Fahrgestell mit aufmontierter Waffe bis hin zum modernen Einsatzfahrzeug. Packende Erlebnisberichte von Soldaten vermitteln ein authentisches Bild vom Einsatz bei den Unterstützungseinheiten der Panzertruppe. Und nicht zuletzt verrät das Magazin in einer üppigen Museumsschau, wo Interessierte überlebende Panzerfahrzeuge heute besichtigen können.
us
tz S ezia
DE
E
NZ
Zukunftsweisend Die Flak-Panzer der Wehrmacht
Aufklärer, Schützenpanzer un
d Panzerhaubitzen
So mobil war die WehrmÜabercrashchtend!
TECHNIK: Clausewitz Spezial bietet eine umfassende Übersicht zu den wichtigsten Halbkettenfahrzeugen der Panzertruppe
Technik
Panzerhaubitzen 1943atz
Späher des „Blitzkriegs“
Wie der erste scharfe Eins der Panzerartillerie ablief
Vom leichten Aufklärer zum r e brandgefährlichen Panzerjäg
Auf dem Prüfstand
n Das wahre Urteil der Alliierte über Tiger und Panther
Das Multitalent SdKfz 251
SdKfz 251/2
SdKfz 251/1
Granatwerfer
„Stuka zu Fuß“
Maulesel und Frontschwein
eben Raketen konnte man den mittleren SPW auch mit einem schweren Acht-Zentimeter-Granatwerfer versehen. Als Granatwerferwagen verfügten sie zusätzlich über ein MG 34/42 und eine MP 40. Der Munitionsvorrat umfasste insgesamt 66 Wurfgranaten.
N
SdKfz 251/6
Führungsfahrzeug
Deutschland führte als erste kriegführende Nation Schützenpanzerwagen ein, womit es Von Thomas Anderson die Verluste der Infanterie deutlich reduzieren konnte
Deutsche Panzer Teil 3
GEPANZERT AN DIE FRONT: Das SdKfz 251, hier ein Fahrzeug der 24. Panzerdivision, erlaubte es der Infanterie, mit den Panzern Foto: Thomas Anderson Schritt zu halten
96 Seiten, zirka 250 Abbildungen Preis: 9,90 Euro ISBN: 978-3-86245-478-5 GeraMond Verlag GmbH Bezug: www.verlagshaus24.de
ten Transporters, wieder auf. Der Westfeldzug von 1940 machte diese zukunftsweisenden Pläne jedoch zunichte, bevor die Franzosen sie im großen Maßstab umsetzen konnten.
Kette oder Rad? Auf deutscher Seite stellten die Militärs Mitte der 1930er-Jahre ähnliche Überlegungen an. Wie sollte die Infanterie den ungestüm nach vorne preschenden Panzereinheiten effektiv folgen, wie konnte man in der kritischen Phase des Durchbruchs Verluste vermeiden? War es vielleicht möglich, ein Infanteriekampffahrzeug zu schaffen? Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs montierten Ingenieure versuchsweise einen
M
it dem Tank absolvierte im Ersten Weltkrieg ein Waffensystem sein Debüt, das die Kriegführung maßgeblich beeinflussen sollte. Konnte es doch seine Feuerkraft unter Panzerschutz nach vorne tragen und im Idealfall die feindlichen Stellungen durchbrechen. Damit hielten die Westalliierten ein wirkungsvolles Werkzeug
IM EINSATZ: Das Magazin illustriert, wie sich die fortschrittlichen Panzerhaubitzen bewährt haben
in den Händen, um den Stellungskrieg aufzubrechen. Die anderen Waffengattungen blieben jedoch zurück und mussten ohne Panzerschutz nachrücken. Noch während des Ersten Weltkrieges zogen die Verantwortlichen daher in Betracht, auch Teile der Infanterie zu panzern. Als die Welt nach 1918 aller-
dings begann, im großen Stil abzurüsten, verfolgten die Militärs diesen Ansatz zunächst nicht weiter. Erst Ende der 1920er-Jahre arbeitete die UdSSR an Lösungen, die aufgrund technischer Probleme jedoch schnell im Sande verliefen. Auch Frankreich griff diese Idee in Gestalt des Chenilette Lorraine, eines gepanzer-
Kursk 1943
Nur begrenzter Schutz Im Juni 1939 lief der MTW schließlich vom Band. Die Grundvariante mit der offiziellen Bezeichnung SdKfz 251/1 sollte als Basisvehikel für eine Familie von teilweise hoch spezialisierten, gepanzerten Transport- und Kampfunterstützungsfahrzeugen dienen. Der m gep MTW erhielt einen stark gewinkelten Panzeraufbau, ähnlich den deut-
SdKfz 251/8
Mobiler Sani m Verwundete sicher und schnell aus der Kampfzone zu bergen, führte die Wehrmacht das SdKfz 251/8 als Abart des SPW ein. Insgesamt bot das Fahrzeug vier Verwundeten Platz auf Bahren.
U
24
25
Clausewitz Spezial
INNOVATIV: Clausewitz erklärt die lange Entwicklungsgeschichte der Flak-Panzer bis hin zum legendären Kugelblitz
Einsatzgeschichte
im
tatsächlich machte das Kettenlaufwerk etwa drei Viertel der Fahrzeuglänge aus. Vorne befand sich eine lenkbare, nicht angetriebene Vorderachse, während der 100 PS starke Hanomag-Motor zwischen der Vorderachse und dem Laufwerk saß.
SdKfz 251/7
„Brückenbauer“ eim SdKfz 251/7 handelt es sich um einen mittleren Pionierpanzerwagen, der die Werkzeuge und Waffen der Panzerpioniere transportierte und darüber hinaus vollgepackt mit Sprengmitteln und Minen war. Zusätzlich trugen die m PiPzWg zwei kleine Behelfsbrücken mit einer Kapazität von acht Tonnen seitlich am Aufbau, wodurch man sie leicht erkennen konnte.
B
_
bitzen PanzerhauEins atz bei
D
gepanzerten Aufbau auf dem Fahrwerk des leichten Zugkraftwagens 3 t (SdKfz 11). Mit Erfolg: Unter der selbst erklärenden Bezeichnung „mittlerer gepanzerter Mannschaftstransportwagen“ (m gep MTW) lief die Entwicklung weiter. Halbkettenfahrzeuge boten beim Stand der Technik Mitte der 1930er-Jahre gegenüber Rad- oder Vollkettenfahrzeugen eine Reihe von Vorteilen. Ausgelegt für den Einsatz in Mitteleuropa mit seinem gut ausgebauten Straßennetz, erreichten sie eine hohe Marschgeschwindigkeit auf befestigten Wegen und verfügten gleichzeitig über eine gute Geländegängigkeit. Die Bezeichnung Halbkette war allerdings irreführend. Denn
CWS_19_42_49_FlugzeugClassic_Klassiker 18 CWS_19_42_49_FlugzeugC
er mittlere Kommandopanzerwagen war eine sehr wichtige Variante, die in Stäben auf Bataillons-, Regimentsund Divisionsebene zum Einsatz kam. Die Fahrzeuge waren mit weitreichenden Funkgeräten unterschiedlicher Bauart und Leistung ausgerüstet, um die Verbindung mit allen Führungsebenen sicherzustellen. Die sogenannten m Kdo PzWg waren zu Beginn des Krieges leicht an den großen und weithin auffälligen Rahmenantennen erkennbar. Ab 1942 führte die Wehrmacht schließlich die weniger auffällige Sternantenne d ein. Teilweise führte man zehn Kurbelmaste am Heck mit.
as Grundfahrzeug der Baureihe hatte den Zweck, eine Schützengruppe von elf Mann plus Fahrer zu befördern. Das Fahrzeug war mit zwei MG 34 (später MG 42) bewaffnet und trug die gesamte persönliche Ausrüstung der Soldaten, die die beiden MG auch abmontieren konnten. Teilweise befanden sich zudem Lafetten an Bord, um die Maschinengewehre als sMG zu nutzen. Galt es, die artilleristische Feuerkraft der Schützen zu erhöhen, konnte man die Fahrzeuge auch mit dem schweren Wurfrahmen 40 ausstatten. Diese Rahmen trugen wiederum sechs Holzkästen, die als Lafetten für 28-Zentimeter-Sprengwurfkörper oder 32-Zentimeter-Flammwurfkörper dienten. Diese schweren Unterstützungswaffen besaßen eine Reichweite von zirka zwei Kilometern. Dieser eigentlich für die Nebeltruppe entwickelte „Stuka zu Fuß“ sollte sich als äußerst erfolgreich erweisen, eine gesonderte SdKfz-Nummer erhielt er indes nicht.
D
D
ie Schlacht um Kursk im Sommer 1943 ist als größte Panzerschlacht des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte eingegangen. Sie war aber auch eine gewaltige Artillerieschlacht. Die deutsche Panzerartillerie erlebte dabei ihren ersten Großeinsatz. Anfang Juli 1943 verfügten Wehrmacht und Waffen-SS an der gesamten Ostfront über insgesamt 150 Artillerie-Selbstfahrlafetten Wespe und Hummel. Weitere 54 dieser Fahrzeuge waren auf dem Weg von der Heimat an die Front, wo sie im Verband der Artillerieregimenter der Panzer- und teils der Panzergrenadierdivisionen fuhren. Von jeweils zwei Abteilungen der Panzerartillerieregimenter verfügte je eine über Panzerhau-
während Etwas im Schatten von Tiger und Panther fuhren Hummel. „Zitadelle“ die Panzerhaubitzen vom Typ Wespe und Ihr Einsatz sollte alle Erwartungen übertreffen
bitzen, während die zweite Abteilung ihre reguläre, gezogene Artillerie behielt. Die gepanzerten Artillerieabteilungen hatten eine Sollstärke von drei Batterien zu je sechs Artillerie-Selbstfahrlafetten, insgesamt also 18 Panzerhaubitzen, davon zwölf Wespen und
8 Seite 54
sechs Hummeln. Bis Ende Juni 1943 hatten die Hersteller zwar schon 239 Wespen und 141 Hummeln ausgeliefert. Das reichte aber nicht aus, um alle Panzerdivisionen mit einer kompletten Artillerieabteilung auf Selbstfahrlafetten auszurüsten. Deshalb schickte das Oberkommando des Heeres die neuen Panzerhaubitzen bevorzugt zu jenen Panzer- und Panzergrenadierdivisionen, die am 5. Juli
Technik
Hummel Eine Panzerhaubitze GROSSES KALIBER: ments 1 SS-Panzerartillerieregi der 6. Batterie des auf Hitler“ beim Angriff „Leibstandarte Adolf R. Töppel Foto: NARA/Sammlung Kursk im Juli 1943
Von Roman Töppel
Die Flakpanzer der Wehr macht
Fliegerschreck
Vieles hat die Wehrmacht mobil bekommen, nur bei der Flak tat sie sich schwer. Erst am Ende des Krieges verfügte die Panzertruppe über Flakpanz er, die Maßstäbe setzen sollten – und zwar bis in die 1960er-J ahre hinein
Von Rudi Wagner
I
IN STELLUNG: Eine Batterie leichter Panzerhaubitzen Wespe der SSPanzergrenadierdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“ während der Operation „Zitadelle“
m Jahr 1905 stellte die Firma Erhardt/Zella ten ausgefeiltere Taktiken St Blasii auf der Automobilau anwendeten. Wie sstellung in wirksam indes die auf Wagen Berlin etwas ziemlich Kurioses montierten Kavor: Ein genonen mit dem Kaliber 7,62, panzertes Radfahrzeug mit 7,7 und 8,8 Zeneiner Fünf-Zentitimeter waren, zeigten sie meter-Kanone in einem Drehturm. bei Cambrai 1917, Es war daals sie nicht nur feindliche zu gedacht, die zu dieser Luftfahrzeuge, Zeit gebräuchlichen sondern auch 52 Panzer abschossen. Luftfahrzeuge (Ballon, Zeppelin) zu bekämpfen. Das preußische Kriegsministe rium verhielt Hinter dem Rücken der sich aber gegenüber dieser Sieger Innovation sehr reSo nimmt es nicht wunder, serviert, und so kam es, dass dass die Siegerdas deutsche Feldmächte im Versailler Vertrag heer zu Beginn des Ersten den Deutschen Weltkriegs nur sechs verboten, fortan Flugabwehrk Kraftwagen- und zwölf bespannte anonen zu Ballonabbauen. Mit dem Befehl des wehrkanonen (BAK) zur KriegsministeriVerfügung hatte. In ums vom 4. Juli 1919 musste den Jahren 1914/15 lieferte Deutschland die Firma Krupp die vorhandene Flakartillerie 57 weitere Kraftwagen BAK auflösen. Die (Kraftwagen 14). Alliierten beschlagnahm Österreich-Ungarn stellte ten oder zerstörten 1917 sechs Batterien sämtliche noch vorhandenen mit Erhard Plattformwag Geschütze soen Typ 1914 auf. wie alle Richtgeräte. Lediglich Im Jahr 1916 löste die Führung ihre die Flakarmigten Festungen und Kriegsschiffe genehtillerie aus der Artillerie heraus und führte sie die Deutschen mit Flak ausrüsten. durften fortan als selbstständige Ein gerinWaffengattun ger Teil der Kraftwagen-F BAK nannte man fortan Flugabwehrk g. Die lakartillerie anonen wagen 19) wurde der Reichswehr (Kraft(Flak), während die Soldaten belassen, weiterhin die sie musste aber technisch hochrote Farbe der Artillerie so verändert weraber nun mit geden (Höhenricht-Sperre), flügelten Granaten auf den dass sie nur noch Kragenspiegeln als Artillerie einsetzbar trugen. Die für den Frontdienst war. Ein Teil dieser und zum HeiGeräte durfte die Reichswehr matschutz aufgestellten obendrein nur Einheiten bekamen alle fünf Jahre ersetzen. Die zusätzlich Entfernungsm Firma Krupp lieessgeräte und Suchferte 1919 und von 1925 scheinwerfer, um Flugzeuge bis 1930 trotzdem auch nachts benoch insgesamt 49 Flak-Selbstfa kämpfen zu können. Die hrlafetten Abschusserfolge vom Typ Krupp-Daimler konnten sich durchaus sehen 1, bestückt mit eilassen. 1914/15 ner 7,7-Zentimeter-Kanone. fielen der Flak 52 und im Darüber hinaus Jahr 1918 bereits 748 nutzte die Reichswehr im Flugzeuge zum Opfer, was Geheimen natürlich auch daaus die Kenntnisse und Erfahrungen, durchran lag, dass die Führung die die ihre Flakartillerie Flakartillerie im Ersten Weltkrieg kontinuierlich ausbaute. gesammelt Bis zum Ende des hatte, um auf dieser Grundlage Krieges zählte sie über 2.576 neue WafGeschütze unfensysteme zu entwickeln. terschiedlichster Kaliber. Dessen ungeachtet, 1928, nachdem die Alliierten mussten die Deutschen lernen, den eisernen dass das vorGriff des Versailler Vertrages handene Gerät allmählich gelockert hatseine Leistungsten, begann Deutschland grenze erreichte, da die feindlichen , eine schwere FlugzeuSelbstfahrlafette zu planen, ge immer besser wurden, die den Kraftwawährend die Pilogen 19 ersetzen sollte. Da die drei Prototypen
Typ WesIM TIEFSTEN RUSSLAND: Panzerhaubitzen vom Die pe nehmen an der Ostfront den Feind unter Beschuss. eine mobile Artillerie sollte während der Sommeroffensive entscheidende Rolle spielen
Foto: NARA/Sammlung R. Töppel
Foto: ullstein bild – Archiv Gerstenberg
43 42
52
Clausewitz Spezial
EIN LANGER WEG: Aus der Luft waren die deutschen Panzer sehr verwundbar. Gepanzerte Flakfahrzeuge wie dieser Wirbelwind sollten die Lücke schließen – ihre Konstruktion bereitete den Ingenieuren allerdings erhebliches Kopfzerbreche n Foto: MIREHO
54 Clausewitz Spezial
55
TITELTHEMA Abb.: BArch 101I-113-0031-20, 101I-111-1800-23, 101I-110-1688-36A, MIREHO-Weitze
wegzunehmen, um auch künftig die Blockade der sowjetischen Ostseeflotte sicherzustellen. Doch ob dies gelang, war nun mehr als fraglich. Zwar schaffte es der bunte Haufen, in den frühen Morgenstunden den kleinen Inselhafen Suurkylä zu besetzen, doch befanden sich die Soldaten danach auf dem Präsentierteller für die finnischen Mörser und Geschütze, die sie von den Höhen ringsum unter Dauerfeuer nahmen. Schon gegen 5 Uhr morgens war das Hafenbecken von zusammengeschossenen Marinefährprahmen und Sturmbooten derart blockiert, dass die noch nicht
gedanke gegenüber den Sowjets zu groß, um sich den Wünschen Berlins komplett zu verschließen. Nach einigen weiteren Gesprächen war bald klar: Finnland würde der Wehrmacht, wenn der Feldzug gegen den Kommunismus begänne, seine Grenzen nicht verschließen. Zudem würden die Finnen, wenn die Lage günstig wäre, eine eigene Offensive gegen die Rote Armee in Südkarelien starten.
Suursaaris, geriet zum Desaster. Es war die Folge eines weiteren Missverständnisses am Ende einer ohnehin holprigen Waffenbrüderschaft. Nur fünf Jahre zuvor hatte Berlin tatenlos zugesehen, wie Stalins Truppen Finnland angriffen und versuchten, es sich einzuverleiben. Der sogenannte Winterkrieg von 1939/40 gegen die Sowjetunion brachte die Fortexistenz des Landes als souveräner Staat ernstlich in Gefahr (siehe Kasten S. 12). Und das vergaß man in Helsinki natürlich nicht so schnell. Als sich im Frühjahr 1941 deutsche Unterhändler bei der finnischen
Eine Zweckgemeinschaft
Als Partner im Kampf in Nordrussland waren die Finnen hochwillkommen. ausgeschifften deutschen Truppen den Rückmarschbefehl nach Tallin erhielten. Ihre auf der Insel verbliebenen Kameraden kämpften ohne jede Funkverbindung zum Festland noch bis zum Abend weiter, dann streckten sie die Waffen. Von 1.400 angelandeten Soldaten entkamen nur 85, die in kleinen Motorbooten flohen, dem Tod oder der Gefangenschaft. Das als operativer Spaziergang geplante Unternehmen „Tanne Ost“, die Besetzung
Staatsführung vorstellten, um einen Verbündeten für den nun anstehenden eigenen Kampf gegen Moskau zu gewinnen, reagierten die zuvor Missachteten recht kühl. Ein formelles Bündnis mit dem Deutschen Reich lehnte der finnische Staatspräsident Risto Ryti strikt ab. Doch letztlich waren die Furcht vor weiteren Expansionsgelüsten Stalins, die wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland und nicht zuletzt auch der Revanche-
Selbst gebastelter Anhänger aus Rentierknochen von 1943, Mitbringsel eines deutschen Gebirgsjägers
Damit hatte man sich zumindest auf den gemeinsamen Feind geeinigt. Über den wahren Charakter dieser Zweckgemeinschaft täuschte man sich auf den höchsten Ebenen allerdings nie. So erklärte Ryti noch am 21. Juni 1941 vor einer Parlamentsdelegation, dass Deutschland „heute“ zwar das einzige Land sei, „das die Sowjetunion besiegen könne oder sie
Abschuss einer Granate eines deutschen 15-Zentimeter-Panzerwerfers 42. Inferno: Ein Dorf an der Front in Karelien geht in Flammen auf. 1944/45 Gefechte in bewaldetem Terrain waren in Lappland an der Tagesordnung werden auch die Deutschen beim Rückzug „verbrannte Erde“ hinterlassen zumindest deutlich schwächen“, aber auf der anderen Seite bemerkte er, dass es auch „kein Verlust für die Welt wäre, wenn Deutschland durch diesen Kampf selbst geschwächt würde“. Nur wenige Wochen davor hatte sich die finnische Regierung zudem recht nachdrücklich jede Einmischung des NS-Regimes in ihre Innenpolitik verbeten. In Berlin wusste man also, was von diesem Partner zu halten war, störte
Ausrichten eines 21-ZentimeterMörsers 18 einer Küstenbatterie, 1943 in Lappland
sich daran jedoch nicht übermäßig. Zu willkommen war die erwartete Mitwirkung des finnischen 475.000Mann-Heeres am Kampf in Nordrussland. Außerdem gab es bei Petsamo an der Eismeerküste strategisch wichtige Nickellagerstätten, die es vor feindlichem Zugriff zu schützen galt. Nicht zuletzt sicherte eine deutsche Präsenz in Finnland die Verteidigung Norwegens nach Osten ab. Die Murmanbahn, die den eisfreien Hafen Murmansk mit Zentralrussland verband und im weiteren Kriegsverlauf zur Hauptroute für alliierte Hilfslieferungen avancierte, spielte in den frühen deutschen Planungen hingegen keine große Rolle. Tatsächlich wurden die deutschen Angriffsplanungen, je näher der 22. Juni 1941 rückte, sogar immer weiter zurechtgestutzt. Zu lang und wenig durchlässig waren die Transportwege nach Nordnorwegen, um dort rechtzeitig die notwendigen Truppen-
Gettysburg 1863
Elsässer 1914 Loyale Soldaten im deutschen Heer?
ZAHLEN, DATEN, FAKTEN
Kriege in Finnland 1939–1945 Die bewaffneten Konflikte, die sich während des Zweiten Weltkriegs in Finnland abspielten, sind aufgrund der wechselnden Konstellationen und der Pausen zwischen ihnen unter verschiedenen Namen bekannt: „Winterkrieg“ 30. November 1939–12. März 1940 Finnland gegen die Sowjetunion „Fortsetzungskrieg“ 25. Juni 1941–5. September 1944 Finnland, Deutschland und dessen europäische Verbündete gegen die Sowjetunion „Lapplandkrieg“ 15. September 1944–28. April 1945 Finnland gegen Deutschland
10
Wiie die We Wehrmacht in Finn nland standhielt
11
Militär & Geschichte
KRÄFTEZEHREND: Im hohen Norden kämpfte die Wehrmacht lange Jahre an der Seite der Finnen – bis diese zu Gegnern wurden
STRATEGIE & TAKTIK
ZIAL Wie NVA & Bundeswehr h zu ihren Uniformen kamen
Militär & Geschichte 1/2018 Als Wehrmacht und finnische Armee im Juni 1941 gemeinsam den Kampf gegen die Sowjetunion aufnahmen, konnte niemand ahnen, dass aus den Waffenbrüdern einmal Kriegsgegner werden sollten. Nachdem es über Jahre hinweg gelungen war, alle Vorstöße der Sowjets auf finnisches Territorium abzuwehren, änderte sich die Situation im Sommer 1944 schlagartig: Vor dem Hintergrund der Kriegslage im Osten sah sich die finnische Führung gezwungen, einen Friedensvertrag mit der UdSSR abzuschließen – verbunden mit der Zusage, die Wehrmacht aus dem Land zu treiben. Warum sich der dann anschließende „Lapplandkrieg“ zu einem der merkwürdigsten Waffengänge des Zweiten Weltkriegs entwickelte, lesen Sie in der neuen Ausgabe von Militär & Geschichte, die bis zum 7. Januar 2018 am Kiosk erhältlich ist. Weitere spannende Themen: die „Rudeltaktik“ der deutschen U-Boote im Atlantik, Elsass-Lothringer im deutschen Heer des Ersten Weltkriegs, die preußische Festung Magdeburg und vieles mehr.
Wölfe e im At Atlantik
Die erfo olgreiche „Rudeltaktik“ der deutschen U-Boote
Als Preuße vor Ort und Gettysburg die Heere der NordIm Sommer 1863 prallten bei hat die größte preußischer Kriegsbeobachter Südstaaten aufeinander. Ein t Bürgerkrieges hautnah miterleb Schlacht des Amerikanischen
Infantry Regiment Angriff: Das 1st Minnesota Volunteer gegen Truppen der der Nordstaaten geht bei Gettysburg Die Schlacht entwickelte konföderierten Südstaaten vor. n Bürgerkriegs sich zum Vorentscheid des Amerikanische
36
GI-Look
64 Seiten, ca. 110 Abbildungen Preis: 4,20 Euro GeraMond Verlag GmbH Bezug: www.verlagshaus24.de
MÄCHTIGE MAUERN: Magdeburg wurde über Jahrhunderte zur stärksten Festung Preußens ausgebaut
WAFFE N & TECHN IK (2), Archiv Stefanek, Helmut Abb.: FG-Festungsanlagen
GETTYSBURG 1863
Männer der Tat: Leopold von AnhaltDessau (links) ließ die Wehranlagen nach 1700 modernisieren. Dem General Michel Ney fiel die Festung 1806 nur dank einer List in die Hände
aufschüttungen sichern. Herzstück der neuen Anlage wurde die auf einer Elbinsel errichtete Zitadelle. Bereits 1679 hatten Ingenieur e das hierfür nötige Gelände abgesteck t, aber erst 1702 konnte man den Bau fertigstellen. Zum Schutz der Zitadelle musste Munitionsaufzug: der Verlauf des Flusses reguliert wer- In den Geschützden, der nun westlich der Zitadelle stellungen (hier entlangführte. Kavalier I, siehe Leopold befahl zudem, den Südab- Karte S. 39, Nr. 15) schnitt der Elbfront durch den kase- konnte man per mattierten Fürstenwa ll zu befestigen. Handkurbe Der Nordabschnitt l die erhielt eine neue Granaten aus dem krenellierte – mit Schießsch arten ver- unteren Geschosssehene – Mauer. Die alten Rondelle itaraum direkt zu
den Kanonen hinauf befördern
lienischen Vorbilds wichen modernen pfeilförmigen Bastionen , die man zunächst nummerie rte, später auch nach preußischen Landestei len oder wichtigen Verbünde ten benannte.
Eine Besonderheit: Fort
Stern
Entscheidenden Anteil an der Konzeption der neuen Werke hatte der Ingenieuroffizier Gerhard Cornelius von Walrawe, der 1728 zum Chef für das preußische Festungsw esen ernannt wurde. Er war es, der maßgeblich die sogenannte altpreußische Befestigungsmanier entwickelte. Beispielsweise ließ er die Gräben auf der dem Festungswerk zugewand ten Seite durch niedrige, aber schwer zu erklimmende Mauern, die sogenannten Eskarpenmauern, abstützen. Weiterhin stattete er die einzelnen Werke mit Kasematten aus, die auch als Unterkunft für Soldaten dienten. Eine Besonderheit von Walrawes Baukunst stellte das zwischen 1721 und 1725 errichtete Fort Stern dar. Dabei handelte es sich um ein den eigentlichen Stadtbefe stigungen im Süden vorgelagertes sternförmiges Werk. In dessen Zentrum befand sich ein Donjon (Wehrturm ) mit erdabgedeckten, zweigesch ossigen Kasematten. Unter den Gräben führten Minen-
Das Brücktor (siehe Nr. 29, Karte rechts), stadtseitig, dahinter die eiserne Elbbrücke, Foto um 1905
gänge, die man im Bedarfsfall sprengen konnte, in das Glacis (eine flache, als freies Schussfel d gestaltete Aufschüttung vor dem Graben). Ursprünglich sollten solche vorgeschobenen Werke wie Fort Stern eine schnelle Annäherung des Gegners an die Stadtmauern verhinder n. Später versuchte Walrawe das Fort durch den Ausbau der vorgelage rten Befestigungsabschnitte in diese mit einzubeziehen. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Befestigung der Stadt im Wesentlichen abgeschlo ssen. Die Stärke Magdeburgs verhinder te während des Siebenjährigen Krieges jeglichen Versuch französischer Truppen, hier die Elbe zu überquere n und nach Berlin vorzustoßen. Bezeichne nderweise fand der einzige Versuch, Truppen nach Mitteldeutschland zu verlegen, über den Weg durch Thüringen statt und endete im Novembe r 1757 in der Schlacht bei Roßbach.
Endlich eigene Kasernen
Friedrich II. wusste die Wehranlagen zwar zu schätzen, investierte aber wenig in ihren Erhalt. Nach der schmachvollen Kapitulation von 1806 ließ Napoleon die Stadtwerk e wenig später nochmals intensiv verstärken. 1813, als schließlich eine in Magdeburg liegende französische Garnison von den Preußen belagert wurde, widerstand diese wesentlich länger. Weil die Soldaten der preußisch -russischen Belagerungsarmee wussten, wie mächtig die vor ihnen liegenden Wälle und Mauern waren, trauten sie sich gar nicht richtig an diese heran. 1815 fiel Magdebur g an Preußen zurück. Durch die im Zuge der preußischen Reformen 1808 erlassene Städteordnung musste das Militär in festungsbaulichen Fragen nun Rücksicht auf kommuna le Belange nehmen. Obwohl Magdebur g nicht zu den deutschen Bundesfes tungen gehörte, wurde es weiter umfangre ich modernisiert. Auf den Wallanlag en entstanden beschusssichere Blockhäuser und für die Soldaten, die bisher überwiegend in den Bürgerhäu sern einquartiert gewesen waren, errichtete man eigene Kasernen bauten. Die 1820/25 in den abgetrage nen Tenaillen Ravensberg und Magdeburg errichteten Kasernen wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, aber von der 1860 gebauten Kaserne Mark sind noch heute der Westund Mittelflügel erhalten. Diese Bauten stellten keine reinen Wohnunterkünfte dar, sondern verfügten feldseitig auch über
TECHNIK
Festungsanlagen zur Zeit der Brandenburgisch-Pre ußischen Festung 1679–1806
9
6
5
10
3
7
12 11
13
4
8
1 2
14 15
16 17 18 19 20
21
23
29
22
36 24
25
31 32 37 33
34 27
28
30
35
26
39 38
1 Bastion Preußen 2 Hohe Pforte 3 Bastion Hessen (det.) 4 Bastion Mark 5 Bastion Lüneburg 6 Bastion Ferdinand 7 Bastion Hessen 8 Krökentor 9 Bastion Braunschweig 10 Bastion Heinrich 11 Bastion Halberstad t 12 Bastion Wilhelm 13 Bastion Friedrich 14 Bastion Magdeburg 15 Schrotdorfer Tor 16 Bastion Dönhoff 17 Bastion Ravensberg 18 Bastion Stillen 19 Bastion Minden 20 Ulrichstor 21 Bastion Arnim 22 Bastion Pommern 23 Bastion Leopold 24 Bastion Anhalt 25 Sudenburger Tor 26 Bastion Oranien 27 Bastion Cleve 28 „Stern“ (Fort Berge) 29 Brücktor 30 Bastion Königin 31 Bastion Kronprinze ssin 32 Wassertor der Zitadelle 33 Bastion Kronprinz 34 Bastion Markgraf 35 Bastion König 36 Stadttor der Zitadelle 37 Zitadelle 38 Cracauer Tor 39 Turmschanze
Die Herrenpforte befand sich nahe der Bastion Cleve (Nr. 27, Karte oben). 1365 eine neue Stadtmauer fertiggestellt, in die sich hatten die Bürger auch der Turm über der Pforte einfügte
Militär & Geschichte
37
Abb.: U.S. Government/Don Troiani
KRIEGE & SCHLACH TEN
14:16 Seite 22 MG_2018_01_22_27 12.10.17
versus
Militär & Geschichte 1/2018
Menzel, Slg. M&G, p-a/akg-image s
14:16 Seite 23 MG_2018_01_22_27 12.10.17
Preußentum
23
AN VORDERSTER FRONT: Die Schlacht bei Gettysburg hat ein deutscher Kriegsberichterstatter hautnah miterlebt
22
Clausewitz 1/2018
53
Militär und Technik | Churchill-Panzer
Der britische Infantry Tank Churchill
Kolossale Kampfmaschine
1941:
Mit seinem archaischen Erscheinungsbild wirkt der Churchill-Panzer wie aus der Zeit gefallen. Dennoch mausert sich der Infantry Tank zum vermutlich besten Gefechtsfahrzeug Großbritanniens im Zweiten Weltkrieg Von Ulrich Pfaff
54
D
as Trauma des Grabenkriegs der Jahre 1914 bis 1918 hat sich fest in den Köpfen der britischen Militärs eingebrannt: England baut daher in der Zwischenkriegszeit sein Konzept des Infanterie-Panzers („Infantry Tank“, „I-Tank“) aus. Man möchte ein Fahrzeug, das sich auf dem von Granattrichtern und Drahthindernissen übersäten Schlachtfeld ungehindert und gegen Beschuss geschützt bewegen kann. So setzt der britische Generalstab am Vorabend des Zweiten Weltkriegs auf den „A 20“, um die Reihe der „I-Tanks“ fortzuführen: Es ist ein mehr als 40 Tonnen schweres, enorm langsames Gefechtsfahrzeug. Und es kann seine Herkunft vom Ursprungstyp der Tanks kaum verbergen.
IM GEFECHT: Britischer Churchi ll-Panzer im Einsatz an der Front. Nach anfänglic hen Misserfolgen entwickelt sich der Infantry Tank zur gefürchteten Waffe Foto: ullstein bild - TopFoto
Abrupte Planänderung Vier Prototypen entstehen, bis die britischfranzösische Katastrophe von Dünkirchen im Juni 1940 alle Pläne über den Haufen wirft: Das Szenario eines erneuten Stellungskrieges ist in den Augen der Briten angesichts der deutschen „Blitzkriegsstrategie“ nun unwahrscheinlich. Die britische Militärführung entscheidet sich dafür, bis spätestens Sommer 1941 einen schweren Panzer in Dienst zu stellen, um die
AUSGESCHALTET: Bei der missglückten alliierten Landungsoperation bei Dieppe im August 1942 eingesetzter ChurchillPanzer. Die schwerfälligen Fahrzeuge sind leichte Beute für die Deutschen Foto: ullstein bild - Roger Viollet
AUF DEM VORMARSCH: Der Churchill stand bis Kriegsende im Dienst, obwohl er keineswegs perfekt war. Hier Churchills der 6th Guards Armoured Brigade mit aufgesessenen Fallschirmjägern bei Coesfeld am 30. März 1945 Abb.: ullstein bild - TopFoto
Clausewitz 1/2018
55
Militär und Technik | Churchill-Panzer
TUNESIEN 1943: Britische Infanterie geht bei „Longstop Hill” gedeckt von einem Churchill Mk.III vor Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto
Infanterie auch in schwierigem Gelände zu unterstützen. Diese Entscheidung fällt auch und vor allem im Hinblick auf die Gefahr durch einen möglichen Angriff der Deutschen über den Ärmelkanal. Es ist die Geburtsstunde des „A 22“ – sein Name „Churchill“ kennzeichnet ihn als Vorläufer der schweren „Uni-
FRANKREICH 1944: Churchill „Crocodiles“ während der Belagerung von Brest Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto
werten, befindet sich in der Wanne neben dem Fahrer eine Drei-Zoll-Haubitze. Diese feuert jedoch nur starr geradeaus. Als im Juli 1941 die ersten Exemplare des Churchill Mk.I (Mk. = Mark) vom Band rollen, ist die Liste der Kinderkrankheiten lang: Unter anderem beträgt die Lebensdauer des
„Dieser Panzer hatte viele Macken und Anfangsschwierigkeiten und als diese offensichtlich wurden, wurde der Panzer umgetauft in ,Churchill’ (...).“ Premierminister Winston Churchill im Juli 1942 in einer Unterhausrede
versal“-Panzer, die nach Kriegsende die zuvor getrennten Rollen der „Cruiser“ und „I-Tanks“ in sich vereinigen (wie etwa der legendäre „Centurion" ab 1945). Premierminister Winston Churchill erlaubt sich den selbstkritischen Witz, wonach es für den neuen, eiligst entworfenen und in Dienst gestellten Panzer keinen treffenderen Namen hätte geben können: Man habe diesen Panzer nach ihm benannt, nachdem sich herausgestellt habe, dass dieser nicht viel tauge.
Merkwürdige Optik Das äußere Erscheinungsbild des ChurchillPanzers lässt auf den ersten Blick ein technisch und konzeptionell veraltetes Fahrzeug vermuten: Die über die gesamte Länge des Chassis und über die Oberwanne verlaufenden Ketten des „A 20“ behielt man bei. Die Wanne ist zurückgesetzt, dadurch überragen die Ketten die Wannenfront seitlich und schränken den Sichtbereich des Fahrers ein. Der Turm ist zwar größer als der des Matilda II, trägt aber das lediglich zur Bekämpfung von leicht gepanzerten Fahrzeugen taugliche Zwei-Pfünder-Geschütz. Um die Waffen, die die Infanterie unterstützen sollen, aufzu-
56
350-PS-Zwölfzylinder-Motors sowie des Getriebes nur etwa 250 Meilen. Aber der Churchill besitzt eine enorme Stärke: Die breiten Ketten und das Laufwerk mit insgesamt elf einzeln gefederten und aufgehängten Laufrollen sorgen für eine hohe Geländegängigkeit. Und dies selbst bei Ausfall mehrerer Laufrollen durch Schäden.
Dazu ist seine Panzerung mit bis zu 102 Millimetern an der Front für die aktuelle Phase des Krieges beträchtlich.
Desaster von Dieppe Seinen ersten Auftritt auf dem Schlachtfeld hat der Churchill am 19. August 1942. Er spielt eine wichtige Rolle bei dem anglo-kanadischen Landungsversuch über den Ärmelkanal bei Dieppe in Nordfrankreich. Die Panzer des kanadischen „Calgary Regiments“ scheitern ebenso wie der Rest der Unternehmung. Denn der Strand mit seinem groben Kies erweist sich als unüberwindbares Hindernis für die meisten Churchills Mk.I und Mk.III. Letztere sind mit der neuen leistungsstarken Sechs-Pfünder-Kanone ausgestattet. Die deutschen Verteidiger glauben angesichts des antiquierten Erscheinungsbildes der Churchills, die Briten hätten für das aussichtslose Unternehmen einen Teil ihrer veralteten Fahrzeuge eingesetzt. Und tatsächlich scheint die noch junge Karriere des
HINTERGRUND
„Infantry Tank“-Konzept Zu Beginn des Krieges sieht das britische Konzept des Panzereinsatzes eine Trennung in zwei Haupttypen vor: den Infanterie-Panzer („Infantry Tank“) und den Kreuzer-Panzer („Cruiser Tank“). Die „I-Tanks“ sind als Unterstützung der Infanterie beim Angriff auf gegnerische Stellungen gedacht, während die „Cruiser“ nach dem Durchbruch hinter die feindlichen Linien vorstoßen. Hier sollen sie rückwärtige Nachschub- und Kommunikationsverbindungen unterbrechen und Chaos stiften. Beim „Infantry Tank“ legt man daher Wert auf einen hohen Panzerschutz. Dieser geht mit einer recht geringen Fahrzeuggeschwin-
digkeit einher. Das geringe Tempo ist aus Sicht der Panzerstrategen verkraftbar, da der „I-Tank“ lediglich Schritt mit den Fußtruppen halten muss. Mit seinen Vorgängern Matilda II und Valentine teilt der Churchill zu Beginn seiner Laufbahn die für seine Rolle wirkungslose Hauptbewaffnung: das Zwei-Pfünder-Geschütz. Es verschießt nur panzerbrechende Munition und bietet keine wirksame Unterstützung der begleitenden Infanterie. Das ändert sich mit dem Einbau der Sechs-Pfünderund 75-Millimeter-Geschütze. Mit dem AVRE und dem „Crocodile“ erfüllt der Churchill die Rolle des „I-Tank“ nahezu perfekt.
Neue Bewährungschance
TEST: Ein Churchill AVRE (Assault Vehicule Royal Engineers) mit Faschine erklimmt eine Panzermauer Foto: ullstein bild - mirrorpix
Churchill sogleich ihrem Ende zuzustreben: Die Briten wollen die Produktionskapazitäten zugunsten des neuen Cromwell-Panzers verschieben. Doch dann kommt es 1942 zur Schlacht bei El Alamein. Auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz erhält der Churchill eine neue Bewährungschance. Im August 1942 kämpft Großbritannien in Nordafrika gegen Rommels Truppen. Hier ist ein Ende der Gefechte noch nicht abzusehen. Daher soll der Churchill noch einmal
auf die Probe gestellt werden. Die Briten verschiffen sechs Churchill Mk.III nach Ägypten und stellen diese als „Kingforce“ unter Befehl der 1st Armoured Division. Das von Major Norris King geführte Kleinkontingent nimmt an der Schlacht von El Alamein im Oktober 1942 teil. Bei einem Vorstoß greifen drei Churchills eingegrabene deutsche Panzer und „Acht-Acht“-Flak an – nur einer von ihnen geht verloren. Die beeindruckende Bilanz nach dem Gefecht: 38 panzerbrechende
TECHNISCHE DATEN
Infantry Tank Churchill Besatzung Länge Breite Höhe Gewicht Panzerung Hauptbewaffnung
5 Mann 7,45 m 2m 2,02 m 40 t 16 bis 102 mm; ab Churchill Mk. VII 25 bis 152 mm Mk. I/II: 2-Pfünder-Geschütz im Turm, 76,2-mmHaubitze im Bug; Mk III/IV: 6-Pfünder-Geschütz; Mk V: 95-mm-Haubitze; ab Mk VI: 75-mm-Geschütz; sekundär: 2 x 7,92-mm-BESA-MG (Bug und koaxial) Motor Bedford V-Zwölfzylinder mit 350 PS Höchstgeschwindigkeit Straße 20 km/h, Gelände 13 km/h Varianten/Modelle Mk.I bis XI; zahlreiche Spezialversionen durch Umbauten und Weiterentwicklung, z.B. „Crocodile“ mit Flammenwerfer
Clausewitz 1/2018
TÖDLICHER STRAHL: Churchill MK.IV mit „Crocodile“-Flammenwerfer bei einer Demonstration Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto
ÜBUNG GEGEN TIEFFLIEGER: Der Kommandant eines Churchill Mk.III feuert mit dem Bren-MG seines Panzers, Oktober 1943 Foto: picture-alliance/United Archives/TopFoto
deutsche Geschosse der Kaliber 50 Millimeter und 75 Millimeter haben den Panzer getroffen. Doch nur zwei sind durchgeschlagen. Es ist die Geburtsstunde vom Nimbus des beinahe unzerstörbaren Churchill.
Unerwarteter Karriereschub Der Panzer erlebt fortan einen wahren Karriereschub, so dass die Verantwortlichen ihn nicht auf das Abstellgleis schieben. Man rüstet die 25th Army Tank Brigade in England mit vorhandenen Churchills aus und verschifft sie Anfang 1943 nach Tunesien. Dort scheinen die Panzer wie geschaffen für das Gefecht im zum Teil bergigen und schwer befahrbaren Gelände. Am „Longstop Hill“ beim Vormarsch auf Tunis sind es die Churchills, die der britischen Infanterie am 22. April den Weg bahnen, um den von den Deutschen für Panzer unzugänglich gehaltenen Höhenzug einzunehmen. Dort gelingt einem Churchill des 48 RTR (21st Army Tank Brigade) ein besonderer Coup: Ein Treffer aus seinem Sechs-PfünderGeschütz blockiert den Turmkranz eines deutschen Tiger I. Die Besatzung gibt den deutsche Stahlkoloss daraufhin auf, sprengt ihn aber nicht. Es ist der erste von den Alliier-
57
Militär und Technik | Churchill-Panzer
RUHE VOR DEM STURM: Churchill mit Crew, fotografiert im Juli 1944 nördlich von Rom Foto: Rue des Archives/Tallandier/Süddeutsche Zeitung Photo
ten erbeutete Tiger-Panzer. Versehen mit der Kennung „131“ steht dieser heute als fahrbereites Exemplar im Panzermuseum von Bovington. Gerry Chester, Veteran des „North Irish Horse“-Regiments, erinnert sich: „Der [Churchill-]Panzer war in der Lage, unglaubliche Steigungen zu bewältigen. Nach ‚Longstop Hill‘ nannten sie uns ,Die Bergziegen’.“ Einen Umbau mit dem zur Infanterieunterstützung besser geeigneten 75-MillimeterGeschütz des US-amerikanischen Sherman (200 Stück) setzt man neben der Sechs-Pfünder Version als „NA 75“ in Italien bis zum Kriegsende ein. Währenddessen bereiten sich die Alliierten auch zum Sprung über den Ärmelkanal vor. Der D-Day am 6. Juni 1944 soll den
58
FLAMMENWERFER-PANZER: Churchill als Modell des Fahrzeugs „Sandgate“ des 141st Bataillon „Royal Armoured Corps“ Foto: Ulrich Pfaff
Kampf gegen NS-Deutschland ins Herz des europäischen Festlandes tragen. Eines der Werkzeuge dazu: der Churchill.
Die „Fliegende Mülltonne“ Denn aufgrund seiner mittlerweile legendären Kletterfähigkeit zieht man das Fahrzeug für besonderen Aufgaben heran: Tests zeigen, dass man den „A 22“ ideal als Speerspitze bei Angriffen auf befestigte Positionen einsetzen kann. So entsteht das „Assault Vehicle Royal Engineers“ (AVRE), übersetzt etwa „Pioniersturmpanzer“: Statt des Geschützes trägt dieser Churchill eine von außen zu ladende Abschussvorrichtung für eine 18 Kilogramm schwere Sprengladung zum Einsatz gegen Bunker. Man nennt sie
aufgrund ihrer Bauform auch „Fliegende Mülltonne.“ Drei mit AVREs ausgerüstete Bataillone bilden eine Brigade in der 79th Armoured Division. Sie ist ausschließlich mit Spezialpanzern ausgestattet und stellt ihre Fahrzeuge je nach Einsatzerfordernissen den britischen und kanadischen Angriffsspitzen zur Verfügung. Auf Basis des AVRE hinaus entstehen Versionen, die riesige Bündel mit Holzlatten tragen, mit denen die Briten Granattrichter oder Panzergräben überwinden können. Andere rüstet man als „Teppichleger“ mit Segeltuchrollen aus, die auf den Landestränden in der
Speerspitze für den D-Day
GROSSEXPONAT: „Crocodile“ im Panzermuseum Bovington. Er zeigt die Markierungen der 34th Army Tank Brigade Foto: Ulrich Pfaff
Normandie das Vorwärtskommen von Radund Kettenfahrzeugen auf dem losen Sand erleichtern. Man entwickelt auch Rampenleger („Armoured Ramp Carrier“). Sie tragen Brückenelemente und nutzen die turmlose Wanne als Fahrgestell gleichzeitig als zentralen „Pfeiler“. Als „Crocodile“ wird eine Version des Churchill bekannt, bei der man das WannenMG durch eine Flammenwerferlanze ersetzt: Das dazu nötige Flammöl wird in einem gepanzerten Anhänger mitgeführt und über Rohrleitungen durch die Panzerwanne nach vorne geleitet. Der „Crocodile“ gilt selbst bei den Briten als furchterregende Waffe: Seine Flammstöße reichen bis zu 150 Yards (zirka 137 Meter) weit. Als die Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie landen, ist auch der „A 22“ einer Überarbeitung unterzogen worden: Der Churchill in der Variante Mk.VI verfügt nun über ein 75-Millimeter-Geschütz britischer Herkunft. Als Mk.VII besitzt er eine
IN DER NORMANDIE: Churchill „One Charlie“ steht heute als Denkmal an seinem Einsatzort „Juno Beach“ (1944) Foto: Ulrich Pfaff
wesentlich überarbeitete Wanne. Sie weist eine verstärkte Panzerung auf, am Bug bis zu 152 Millimeter stark. Der „Heavy Churchill“ ist geboren, der „Schwere Churchill.“ Drei eigenständige Army Tank Brigades mit Churchills stehen der 21st Army Group von Bernard Montgomery zur Verfügung, darunter eine, die mit „Crocodiles“ ausgerüstet ist. Schon am Tag der Landung zeigt sich die Lehre aus dem Desaster von Dieppe im Sommer 1942: Dank der Churchill-Spezialversionen gelingt es, an den drei alliierten Landestränden „Sword“, „Juno“ und „Gold“ den Atlantikwall zu durchbrechen. Dabei sind die Verluste der Infanterie geringer als erwartet. In den Wochen bis Ende August 1944 zeigen die Churchills bei den britischen Offensivaktionen in der für die Verteidiger vorteilhaften Landschaft ihre Stärke. Insbesondere westlich von Caen, wo sich Montgomerys Vormarsch durch starke deutsche Linien verlangsamt, sind die Churchills der 31st, 34th
und 6th Guards Army Tank Brigade von Mitte Juni bis Ende Juli 1944 permanent im Einsatz. Sie sollen mit der Infanterie über die offenen Geländeabschnitte vorgehen und die befestigten Ortschaften sichern. Im Gefecht mit ihren im Kampf erprobten und gut ausgerüsteten Gegnern der SS-Panzerdivisionen „Das Reich“, „Hohenstaufen“ und „Frundsberg“ zeigt sich, dass der Churchill zwar eine wirkungsvolle Kampfmaschine, aber nicht unzerstörbar ist: Denn die britischen Verluste an Fahrzeugen sind beachtlich. Gegen die deutsche „Acht-Acht“ reicht die massive Panzerung des Churchill nicht aus. Besonders deutlich wird dies bei einem Gefecht während des ersten Tages der Operation „Bluecoat“, dem britischen Durchbruch durch die Bocage-Landschaft ins normannische Hinterland. Bei der strategisch wichtigen Höhe 226 südlich von Caumont überraschen Ende Juli 1944 drei Jagdpanther der schweren Panzerjäger-Abteilung 654 die S-Squadron der 3rd „Scots Guards.“ Innerhalb von zwei Minuten bleiben von elf Churchills nur noch brennende Wracks auf dem Gefechtsfeld.
Letzte Stunde
D-DAY: Britische Pioniere nehmen am Landeabschnitt „Sword” am 6. Juni 1944 Deckung hinter einem Churchill Foto: Rue des Archives/Tallandier/Süddeutsche Zeitung Photo
Clausewitz 1/2018
Trotz dieser Rückschläge bleiben die Churchill-Panzer bei den Army Tank Brigades bis zum Ende der Kämpfe in Deutschland und Italien im Dienst. Die „Crocodiles“ und AVREs bewähren sich bei den Gefechten um mehrere von den Alliierten eingekesselte Hafenstädte an der französischen Kanalküste. Die letzte Stunde des Churchill als Kampffahrzeug schlägt erst 1951 in Korea: „Crocodiles“ kämpfen dort in der Schlacht um Seoul. Ulrich Pfaff, Jg. 1965, ist Redakteur und hat sich als freier Journalist unter anderem auf Themen zur Militärgeschichte spezialisiert.
59
Menschen und Geschichten
HORDE AUS DER HÖLLE: Als Willard in Kurtz’ Reich ankommt, empfängt ihn dessen indigene KhmerGarde. Vittorio Storaros grandiose Kamera beschert dem Zuschauer zahlreiche attraktive – und dennoch Abb.: picture alliance/Everett Collection bedrohliche – Bilder
60
1976–1979: Vier strapaziöse Jahre lang dreht Coppola im Dschungel ein Epos, das für viele der beste Vietnamfilm – vielleicht sogar Kriegsfilm – aller Zeiten ist: Apocalypse Now. Das teilweise surreale Monumentalwerk zeigt in schaurig-schönen Bildern schonungslos den Wahnsinn des Vietnamkrieges HINTERGRUND
Von Maximilian Bunk
Der Regisseur Coppola, 1939 in Detroit geboren, ist nicht irgendein Regisseur – er gehört zu den erfolgreichsten Filmschaffenden Amerikas. Filme wie die spannende Familien-Sage um einen italo-amerikanischen Mafia-Clan Der Pate (1971) und Der Pate, 2. Teil (1973) begeistern sowohl Publikum als auch Kritik – für die beiden Paten bekommt er insgesamt vier Oscars. Ermöglicht wird ihm die Finanzierung dieses Wunschprojektes durch den Erfolg von Patton – Rebell in Uniform (1969), für den er das Drehbuch schreibt (und dafür ebenfalls einen Oscar erhält). Während der 1970er- und 1980er-Jahre gilt er als das enfant terrible Hollywoods, das auch vor kuriosen (Mishima, 1984) und kleinen (Die Outsider und Rumble Fish, beide 1982) Projekten nicht zurückschreckt und der nach eigener Aussage seine Karriere nach dem Vorbild Hitlers geplant hatte. Apocalypse Now bleibt Coppolas kontroversester Film – und für lange Zeit auch sein letzter kommerziell erfolgreicher. Coppola selbst ist in einer kurzen Szene zu sehen – als Reporter eines Fernsehteams, das amerikanische Soldaten während eines Gefechts filmt. Er schreit: „Nicht in die Kamera schauen, Jungs, weiterkämpfen!“
�
in amerikanischer Napalm-Angriff verwandelt den grünen Dschungel in ein gelb-rot leuchtendes Flammen-Inferno, akustisch untermalt von dem Doors-Song The End – das ist die Eröffnungsszene von Coppolas Kultfilm Apocalypse Now. Sich bewegende Rotorblätter eines Hubschraubers „verwandeln“ sich durch eine Überblendung in einen Deckenventilator in einer schäbigen Absteige irgendwo in Saigon im Jahre 1969. Captain Willard, Experte für Geheimoperationen, liegt auf dem Rücken und starrt die Zimmerdecke an. Er lauscht den monotonen Geräuschen des Ventilators. Plötzlich tauchen zwei Militärpolizisten auf, reißen den Special-Forces-Offizier aus seinem tranceähnlichen Zustand und bringen ihn zu einer Lagebesprechung ins CIA-Hauptquartier in Na Trang.
Irrfahrt in den Wahnsinn Die neue Mission für Willard lautet: „Machen Sie den hochdekorierten und einst als Militärgenie gefeierten Green Beret Colonel Kurtz ausfindig und liquidieren Sie ihn!“ Kurtz, der von den Militärs als unzurechnungsfähig eingestuft wird, hat in den Wäldern Kambodschas sein eigenes kleines Reich geschaffen, das er als allmächtiger König regiert. Und so beginnt eine lange Odyssee auf einem kleinen Patrouillenboot, während derer Willard dem Herz der Finsternis und seinem wahnsinnigen Herrscher immer näher kommt. Unterwegs begegnet er unter anderem dem exzentrischen Lieutenant Colonel Kilgore, der seine Angriffsziele danach aussucht, wie surftauglich die nächsten Strände sind. In einer der spektakulärsten Szenen des Films fliegt er einen Hubschrau-
Clausewitz 1/2018
VERSTÖREND: Kurtz‘ Männer sehen wie eine Mischung aus Söldnern, Kannibalen und Eingeborenen aus, die in einer halbverfallenen Tempelstadt hausen. Italienisches Poster von 1979 Abb.: picture alliance/Everett Collection
berangriff auf ein vom Vietcong besetztes Dorf. Aus den Lautsprechern dröhnt dabei Wagners Walkürenritt – als Mittel der psychologischen Kriegführung, oder wie Kilgore es ausdrückt: „Um die Schlitzaugen zu Tode zu erschrecken.“ Willard trifft auf seiner Reise auch auf einen Tiger im Dschungel, erlebt eine bizarre Truppenaufführung mit Playboy-Girls auf einer grell erleuchteten Bühne inmitten eines nächtlichen Schlachtfeldes, unterhält sich mit desillusionierten GIs, die einen sinnlosen Kampf um eine Brücke führen und muss mitansehen, wie die nervöse Crew seines Schiffes Zivilisten massakriert. In der letzten Szene manifestiert sich das Problem der Amerikaner, in dem fremden Land Freund und Feind zu unterscheiden. Je tiefer die Reise in den Dschungel hinein – hin zu Kurtz – führt, desto weiter entfernt er sich von der Zivilisation und der Wahnsinn und das Grauen nehmen stetig zu. Die Soldaten an Bord verwahrlosen zunehmend, die Umgebung wird bedrohlicher – und immer irrea-
61
Menschen und Geschichten | Apocalypse Now SPEKTAKULÄR: Die Kampfszenen in Apocalypse Now gehören zu beeindruckendsten und überzeugendsten der Filmgeschichte – und zu den verstörendsten: „Death from above“ steht auf der Nase des Hubschraubers Abb.: picture alliance/Mary Evans Picture Library
ler. Als Willard endlich sein Ziel erreicht hat, betritt er eine andere Welt. Das Dschungelreich des völlig wahnsinnig gewordenen Kurtz, der in einer Tempelruine haust, könnte von einem Hieronymus-Bosch-Gemälde inspiriert worden sein. Es ist ein Blick in die Hölle: Abgeschlagene und aufgespießte Menschenköpfe und Tierkadaver „schmücken“ den blasphemischen Ort, der von einem Irren regiert wird, der sich von seinen Soldaten und den Eingeborenen wie ein Gott verehren lässt. Der
Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger interpretiert das Eintreffen Willards treffend: „Mit der Ankunft in Kurtz‘ Reich hat der Zuschauer mit Willard eine andere Zeitebene betreten: die mythische Zeit, in der alles in eines fällt: die Apokalypse. Deshalb kann Coppola auch davon sprechen, sein Film „handle nicht von Vietnam“, sondern er „sei Vietnam“, wie er auch für jeden anderen Krieg stehen kann. Kurtz‘ Reich ist zugleich das Reich des ewigen Krieges.“ Kurtz ahnt, weswegen Willard gekommen ist – und die-
ser ist entschlossen, seine Mission ordnungsgemäß zu Ende zu bringen …
Desaster-Dreh Die Geschichte von Apocalypse Now beginnt bereits 1969, als John Milius ein Manuskript mit dem Titel The Psychodelic Soldier vorlegt. Coppola will das Buch an Ort und Stelle, also mitten im Krieg in Vietnam, verfilmen. Das verwegene Vorhaben ist aber nicht realisierbar. Milius arbeitet weiter an seinem Drehbuch und Coppola ist inzwischen mit Der Pate beschäftigt. 1975/1976 geht es endlich los. Bis 1979, insgesamt 235 Drehtage auf den Philippinen und dann noch einmal zwei Jahre im Schneideraum, braucht Coppola, bevor er seinen groß angelegten Streifen erstmals
„Dieser Film handelt nicht von Vietnam. Er ist Vietnam.“ Francis Ford Coppola auf einer Pressekonferenz über Apocalypse Now
DURCHGEKNALLT IM URWALD: Marlon Brando alias Colonel Kurtz ist der „Herr der Finsternis“. Er führt eine groteske Terrorherrschaft im kambodschanischen Dschungel, die als Metapher für den Vietnamkrieg selbst gelten könnte: eine gigantische Geisterbahn, die niemand Abb.: picture-alliance mehr versteht
62
DER JÄGER: Captain Willard (Martin Sheen) soll den wahnsinnig gewordenen Kriegsverbrecher Kurtz aufstöbern und auslöschen. Der Film stellt vor diesem Hintergrund allerdings die Frage: Wenn der ganze Krieg ein Verbrechen ist, wie lassen sich dann Kriegsverbrechen defiAbb.: picture alliance/Everett Collection nieren?
in Cannes vorstellt – ein gigantischer Aufwand für einen Film! Die ohnehin schon strapaziösen Aufnahmen werden durch eine Reihe von Umständen zum Beinahe-Desaster. Hauptdarsteller Martin Sheen erleidet einen fast tödlichen Herzinfarkt und Marlon Brando weigert sich, trotz unverschämt hoher Gage, dem Drehbuch Folge zu leisten –
„Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen!“ er besteht darauf, laufend und ausschließlich zu improvisieren.
Astronomische Kosten Die übrigen Crew-Mitglieder und Schauspieler sind inzwischen eifrig damit beschäftigt, jede lokal aufzutreibende Droge auszuprobieren, ein Wirbelsturm zerstört die bereits erstellte Kulisse – und über allem thront die Exzentrik des Regisseurs, der sich seine Hamburger einfliegen lässt. Unter solchen Bedingungen ist das Einhalten eines Drehplans – und des veranschlagten Budgets – kaum möglich. Die Kostenüberschreitungen sind astronomisch. Coppola gesteht: „Es war verrückt … wir hatten Zugriff auf viel zu viel Geld und Ausrüstung und nach und nach sind wir wahnsinnig geworden.“ Von den ursprünglich veranschlagten zwölf Millionen Dollar steigen die Ausgaben am Ende auf sage und schreibe über 31 Millionen Dollar. Formal kann Coppolas Film auch heute noch als Meisterwerk gelten. Die Bilder sind exzellent, die Schauspieler über jeden Zweifel erhaben, und der Soundtrack – der neben The Doors auch Jimi Hendrix und Wagner enthält – ist herausragend (außerdem ist Apocalypse Now einer der ersten Filme in Dolby Stereo!). Man merkt dem Film an, dass
DIE BUCHVORLAGEN
Literaturklassiker und Vietnamreport Der spätere Conan-Regisseur John Milius (den Coppola als „Mussolini“ und er sich selbst als „Zen-Faschist“ bezeichnet) und Coppola stützen sich für das Drehbuch von Apocalypse Now auf zwei Bücher. Das erste ist Das Herz der Finsternis (1899) des engli-
VATER DER VORLAGE: Der polnischstämmige Conrad (gebürtig Teodor Jósef Konrad Korzeniowski) gehört zu den großen Literaten der frühen Moderne
Heldinnen der Befreiungskriege gegen Napoleon
Ein historischer Roman über Eleonore Prochaska, Friederike Krüger und Johanna Stegen sowie ihre Förderer Ludwig von Borstell und Friedrich Ludwig Jahn ISBN 978-3-945861-52-3 19,80 € Bestellung: in Deutschland portofrei, im Ausland Porto gegen Auslage, direkt beim: Miles Verlag George-Caylay-Str. 38 14089 Berlin
[email protected] oder im Buchhandel
Dieses Buch erzählt die Heldengeschichten dreier Frauen aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon, von denen zwei mit der Waffe in der Hand für Preussen gekämpft haben. Kommen Sie ein Stückchen mit auf einer bedeutenden Wegstrecke unserer Geschichte - auf der Suche nach der deutschen Einheit. Der Autor, Eberhard Korthaus, ist zufällig auf dieses spannende Thema gestossen, und hat es in neuerer Sprache, ursprünglich für seine Töchter niedergeschrieben.
„Ein fesselendes Stück deutscher Geschichte “
Abb.: picture-alliance/MAXPPP
schen Schriftstellers Joseph Conrad. Darin geht es um den Flussdampferkapitän Marlow, der den Kongo hinauffährt. Auf einem Handelsposten hört er von Kurtz, einem Elfenbeinjäger tief im Inneren des Dschungels. Die Fahrt zu Kurtz wird für Marlow zu einer Reise in sein unbewusstes Selbst. Der Fluss führt ihn mehr und mehr weg vom Licht der Zivilisation – hinein in die Dunkelheit der Wildnis, in das Herz der Finsternis, das legendäre Reich von Kurtz. Im Buch heißt es: „Den Fluss hinaufzufahren war eine Reise zurück zu den frühesten Anfängen der Welt … Ein leerer Strom, ein großes Schweigen, ein undurchdringlicher Wald ... die langen Abschnitte des öden Flusslaufs führten tiefer und tiefer in die Düsternis … hinein.“ Conrad liefert dem Drehbuch-Duo den grundlegenden Plot für ihren Film. Das eigentliche Skript basiert auf dem Zweiten Buch: Den 1977 erschienenen Dispatches (deutscher Titel: An die Hölle verraten) des ehemaligen amerikanischen Vietnam-Kriegsberichterstatters Michael Herr, der auch persönlich am Film mitwirkt – er verfasst die inneren Monologe Willards. Herr ist zudem an Kubricks Full Metal Jacket (1987) beteiligt.
Menschen und Geschichten | Apocalypse Now
GRENZÜBERSCHREITUNG: Die Do-Lung-Brücke markiert die Front, dahinter beginnt das Reich von Kurtz – das Boot Erebrus dringt langsam aber sicher in das Herz der Finsternis vor. Coppola gibt gigantische Geldsummen aus, um den Krieg authentisch zu simulieren und eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen. Die Inszenierung trägt (alb-) traumhafte Züge, die Bilder wirken oft wie von einer andeAbb.: picture alliance ren Welt
sein Macher bereit ist, alles (!) für die Verwirklichung zu tun – er setzt immense Teile seines Privatvermögens und seinen Ruf aufs Spiel, arbeitet wie ein Besessener an Apocalypse Now. Das Ergebnis geht weit über das hinaus, was bis dahin die Standards des Kriegsfilmes sind: Ein beinahe halluzinatorischer Bild- und Klangteppich flimmert über die Leinwand. Wie jedem Spielfilm, der Krieg zum Thema hat, kann man natürlich auch Apocalypse Now die Ästhetisierung von Gewalt vorwerfen – doch dies ist ein medienimmanentes
Problem, das eigentlich kaum zu vermeiden ist. Die filmische Inszenierung von Krieg
„Coppolas Apocalypse Now Redux ist bis heute ein denkbarer Endpunkt des Kriegsfilmgenres.“ Marcus Stiglegger, Professor für Filmwissenschaft
birgt immer auch das Potenzial dieses zu äthetisieren, ja, sie setzt solches geradezu voraus. Was wäre also die Lösung? Gar keine (Anti-) Kriegsfilme mehr zu drehen? Ange-
FAKTEN
Alt und Neu: Die beiden Versionen Apocalypse Now ist die Originalversion von 1979 mit einer Laufzeit von 153 Minuten. Im Jahr 2001 bringt Coppola den Film als Apocalypse Now Redux, jetzt mit 202 Minuten Länge, erneut in die Kinos. Die zusätzlichen Sequenzen geben dem Film eine universellere politische Dimension. Besonders der Begegnung mit den Franzosen, die immer noch auf ihrer Plantage leben beziehungsweise diese seit dem Indochinakrieg nicht verlassen haben, wird viel Raum eingeräumt. Marcus Stiglegger arbeitet die Unterschiede zwischen den Fassungen heraus: „Was an diesen Erweiterungen auffällt, ist, dass sie sich weniger mit den an der alten Version entwickelten Thesen zum Mythischen und Bösen decken, sondern vielmehr die moralische und politische
64
sichts des Meisterwerks Apokalypse Now scheint eine solche „Lösung“ unangebracht
Dimension des Films ergänzen. So zeigt er …mittels der berühmten Plantagensequenz, wie die Epochen ineinanderfließen … Während die alte Fassung vor allem auf der ethischen Ebene funktionierte, kann man Apocalypse Now Redux durchaus als politisierte Variante betrachten.“ Das Trauma und die Qualen, die die Arbeiten an Apocalypse Now für die Beteiligten darstellen, fängt die Dokumentation Hearts of Darkness: A Filmmaker’s Apocalypse von 1991 (deutsch Hearts of Darkness – Reise ins Herz der Finsternis) ein. Es ist ein aufschlussreicher Film über das Filmemachen.
KRIEGSFILM-KLASSIKER: Cover der deutschen DVD von Apocalypse Now Redux. Abb.: Archiv Clausewitz
und auch Filme wie Platoon oder Full Metal Jacket gäbe es dann nicht. Ob der opernhafte Inszenierungsstil Coppolas der Darstellung des Grauens angemessen ist, kann diskutiert werden – optisch opulent ist Apocalypse Now in jedem Fall. Der historische Gegner, der Vietcong beziehungsweise die Nordvietnamesische Volksarme, kommt kaum vor. Ähnlich wie in Oliver Stones autobiographisch angehauchtem Platoon (siehe Clausewitz 5/2015) kämpfen die Amerikaner mehr mit sich und ihrer Angst. Sie sind Fremde in einem fremden Land und ringen ständig gegen das Wahnsinnigwerden an. Ob nun der albtraumhafte Apocalypse Now oder der dokumentarisch-nüchterne Platoon der bessere Vietnamfilm ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Beide sollten in keiner Sammlung fehlen und beide ergänzen sich hervorragend, zeigen sie doch deutlich, dass man sich dem Thema Vietnam filmisch auf völlig unterschiedliche Weise nähern und trotzdem zu einem jeweils exzellenten Ergebnis kommen kann. Beide Filme sind Klassiker ihres Genres. Maximilian Bunk, Jg. 1976, ist Historiker und Redakteur bei Clausewitz.
Ausgabe verpasst?
Je Ausgabe 96 Seiten
nur € 9,90
ISBN 978-3-86245-475-4
ISBN 978-3-86245-476-1
ver
ISBN 978-3-86245-460-0
ISBN 978-3-86245-457-0
ISBN 978-3-86245-938-4
ISBN 978-3-86245-473-0
ISBN 978-3-86245-937-7
ISBN 978-3-86245-477-8
ISBN 978-3-86245-450-1
grif fe
n
ISBN 978-3-86245-459-4
ISBN 978-3-86245-472-3
ver
GeraMond Verlag GmbH, Infanteriestraße 11a, 80797 München
grif f
en
Vervollständigen Sie Ihr Archiv und bestellen Sie jetzt fehlende Sonderhefte nach!
ISBN 978-3-86245-451-8
Lieferung nur solange der Vorrat reicht!
Jetzt online bestellen unter:
www.clausewitz-magazin.de/archiv
Menschen & Geschichten
Ludwig von Benedek
Sündenbock für 3. Juli 1866: Österreichische Truppen unterliegen der preußischen Armee in der Schlacht von Königgrätz. In der österreichischen Öffentlichkeit ist der Schuldige für die Niederlage schnell ausgemacht: Ludwig von Benedek Von Lukas Grawe
PREUSSEN-POWER: Bei Königgrätz erfahren die Österreicher eine herbe Niederlage gegen ihre deutschen Brüder (im Bild eine preußische Brigade). Das Fiasko kostet Benedek – im übertragenen Sinn – seinen Kopf – zu Unrecht? Abb.: picture-alliance/akg-images
66
E
ure Majestät haben nicht bloß die Schlacht, sondern den Feldzug gewonnen“, meldet Helmuth von Moltke, der Chef des preußischen Generalstabs, am Nachmittag des 3. Juli 1866 dem König von Preußen, der das Schlachtgeschehen in der Nähe von Königgrätz auf einem Hügel verfolgt. Das Eintreffen der 2. preußischen Armee unter der Führung des Kronprinzen überrascht die österreichischen Truppen, die sich nun der Gefahr der Umfassung ausgesetzt sehen. Der österreichische Oberbefehlshaber, Feldzeugmeister Ludwig von Benedek, muss den Rückzug anordnen. Moltkes bis dahin größter Triumph ist zugleich die größte Niederlage seines Kontrahenten. Als populärster Feldherr der kaiserlichen öster-
reichischen Armee hat Benedek den Befehl über die Nord-Armee übernommen. Doch seine bis dahin glorreiche Militärlaufbahn endet an diesem Tag auf den Feldern Böhmens.
Eintritt in die Armee Ludwig Benedek wird am 14. Juli 1804 im ungarischen Ödenburg geboren und im protestantischen Glauben erzogen – im erzkatholischen Kaiserreich Österreich eine Seltenheit. Sein Vater dient als Arzt der dortigen Militärgarnison und behandelt auch einen der Helden der österreichischen Armee, Joseph Graf Radetzky von Radetz. Dessen Fürsprache verhilft Benedek zum Studium an der Theresianischen Militärakademie in Wien, an der sonst nur katholische Zöglinge
Königgrätz angenommen werden. 1822 tritt der 18-jährige Benedek in die Armee ein. Sein Talent ist offensichtlich. Schnell steigt er auf: 1835 noch Hauptmann, avanciert er bereits 1846 zum Oberst – eine beispiellose Militärkarriere kündigt sich bereits jetzt schon an. Das Österreich, in dem Benedek aufwächst, ist ein Vielvölkerstaat, in dem es an allen Ecken und Enden brodelt. Zahlreiche Ethnien rufen nach Unabhängigkeit, Aufstände gegen die Herrschaft der Habsburger sind keine Seltenheit. 1846 erheben sich die Polen gegen das Regiment des Kaisers und verlangen die Wiederherstellung ihres Staates. Die österreichische Armee soll den sogenannten „Krakauer Aufstand“ niederschlagen. Auch Benedeks Einheit ist dabei. Im Zuge der
KOMETENHAFTER AUFSTIEG, ABRUPTER FALL: Der glanzvollen Karriere folgt ein Kriegsgerichtsverfahren und ein ruhmloser Lebensabend Abb.: picture-alliance/akg-images
Clausewitz 1/2018
Menschen & Geschichten | Ludwig von Benedek
CHRONOLOGIE
Von Benedek GALIONSFIGUR: Während der Schlacht von Novara 1849 erweist sich Benedek auf dem Schlachtfeld als leuchtendes Beispiel. Radetzky nennt Benedek gegenüber dem Kaiser ein „militärisches Vorbild“ Abb.: picture-alliance/akg-images
Kämpfe erweist sich schnell die Tatkraft des Obersten, als er durch Angriffe bei Gdow und Wieliczka wichtige Erfolge erringt, die maßgeblich dazu beigetragen, den Aufstand niederzuwerfen. Aufgrund seines energischen Vorgehens erhält Benedek den Beinamen „Falke von der Weichsel“ und wird mit dem Leopold-Orden ausgezeichnet, mit dem eine Erhebung in den Ritterstand verbunden ist. Längst sind die ranghohen Militärs auf den zupackenden Mann aufmerksam geworden. Einige Kreise erblicken in Benedek bereits den legitimen Nachfolger des betagten Feldmarschalls Radetzky. In den folgenden Jahren fehlt es Benedek zudem nicht an Gelegenheiten, sein Talent unter Beweis zu stellen. 1848 brechen sich in ganz Europa revolutionäre Ereignisse Bahn, die die alten Monarchien an den Rand der Auflösung bringen. In Österreich tritt neben die politische noch die ethnische Komponente hinzu. Nach den Polen erheben sich nun die Italiener in Lombardo-Venetien gegen die habsburgische Herrschaft. Unter der Führung Radetzkys nimmt auch Benedek, zunächst als Kommandeur eines Regiments, dann einer Brigade, an den Kämpfen gegen Sardinien-Piemont, dem „Preußen Italiens“, teil. Hier beweist der ungarische Offizier Kaltblütigkeit und Schneid. In der Schlacht von
68
Curtatone legt Benedek „eine an Todesverachtung grenzende Tapferkeit“ an den Tag, wie der offizielle österreichische Bericht betont. Folglich wird Benedek für seine Leistungen noch vor Abschluss der Kämpfe zum Ritter des Maria-Theresia-Ordens ernannt, der höchsten Auszeichnung der Monarchie. Auch in den folgenden Schlachten zeichnet sich Benedek mehrfach aus. In den Gefechten von Mortara und Novara geht er erneut als Beispiel voran und feuert seine Leute zu Höchstleistungen an. Radetzky, der sich als Förderer Benedeks seit dessen Jugend versteht, erwähnt den talentierten und energischen Offizier in einem Bericht an den österreichischen Kaiser explizit als lobenswertes militärisches Vorbild. Bereits mit 45 Jahren wird Benedek daraufhin zum Generalmajor befördert – ein in der österreichischen Armee einmaliger Vorgang.
Generalstabschef Radetzkys Auch in den folgenden Monaten kommt das Kaiserreich kaum zur Ruhe. Nach einem kurzen Intermezzo in Ungarn, wo sich Benedek ebenfalls an der Niederschlagung des dortigen Aufstands gegen die Zentralherrschaft beteiligt und eine Verwundung erleidet, kehrt der Generalmajor nach Italien zurück. Dort übernimmt er die Stelle des Generalstabschefs von Radetzkys Italienarmee. Sein Förderer spricht voll des Lobes über seinen Zögling: „Seine glänzenden Eigenschaften sind so allgemein bekannt, daß der gute Klang seines Namens bei Hoch und Nieder feststeht. Auch in dem jetzt zugewiesenen
1804 1822 1846
Geburt in Ödenburg Eintritt in die Armee Teilnahme an der Niederschlagung des Krakauer Aufstandes 1848/49 Teilnahme am Italienfeldzug 1849 Niederschlagung der ungarischen Revolution 1849 Chef des Generalstabs der 2. Armee (Italien) 1853 Feldmarschallleutnant 1857 Kommandeur des 4. Armeekorps (Galizien) 1859 Kommandeur des 8. Armeekorps, Teilnahme am Krieg gegen Italien 1860 Zivil- und Militärgouverneur von Ungarn 1861 Ernennung zum Herrenhausmitglied 1861 Oberbefehlshaber der Italien-Armee (Venezien) 1866 Oberbefehlshaber der Nord-Armee (Böhmen), Krieg gegen Preußen und Schlacht von Königgrätz 1866 Kriegsgerichtsverfahren, Versetzung in den Ruhestand 1881 Tod in Graz ERST SUPERMANN, DANN SÜNDENBOCK: Lange gilt er als Koryphäe der Kriegführung, doch Königgrätz macht Benedek zum Buhmann Abb.: picture alliance/akg-images
Tapfer und tüchtig
AUSNAHME: Obwohl kein Katholik, darf Benedek trotzdem an der renommierten Theresianischen Militärakademie in der Wiener Neustadt studieren. In Radetzky hat er einen mächtiAbb.: picture alliance/arkivi gen Fürsprecher
Wirkungskreis entspricht er vollkommen und ich sehe mit voller Ruhe seinem Wirken in bewegten Zeiten entgegen.“ Benedek avanciert zum Feldmarschallleutnant und rückt damit in Sphären auf, die zum Kommando über ein Armeekorps berechtigen. Als Befehlshaber des 4. Armeekorps kurzzeitig nach Galizien versetzt, kehrt Benedek bereits kurze Zeit später wieder nach Italien zurück, um das 8. Armeekorps in Cremona zu übernehmen.
Krieg gegen Italien Die „bewegten Zeiten“, von denen Radetzky gesprochen hatte, brechen bereits 1859 an. Mit französischer Waffenunterstützung unternimmt das Königreich Sardinien-Piemont einen neuerlichen Anlauf, die italienischen Staaten zu einigen. Auch das zum österreichischen Kaiserreich gehörende LombardoVenezien soll der italienischen Nation ein-
ner Paladine“ zum Feldzeugmeister, wobei der ungarische Offizier 55 rangältere Generäle überspringt. Zahlreiche Städte, darunter auch Wien, verleihen Benedek die Ehrenbürgerschaft.
Statthalter in Ungarn Benedek ist auf dem Zenit seines Ruhms, höhere Weihen sind kaum noch möglich. Dass es fortan nur noch bergab gehen kann, weiß auch der Offizier selbst. Bereits 1863, mit gerade einmal 59 Jahren, denkt er an Rücktritt, hat keine rechte Freude mehr am Soldatenberuf. „Ich bin alt und kränklich, ich habe nicht das Zeug in mir […], ich reibe mich bei meinen sich immer steigernden Unterleibsund Nervenleiden sichtlich auf und sehe somit den Zeitpunkt herannahen, wo ich Seine Majestät den Kaiser werde bitten müssen, mich allergnädigst in den definitiven Ruhestand treten zu lassen.“ Doch Franz Joseph
„Einer der tapfersten Soldaten, begabt mit seltenen militärischen Talenten, mit dem hellen und schnellen Überblick des geübten Feldherrn, zählt zu den ersten Zierden des k. k. Österreichischen Heeres.“ Text von Benedeks Ehrenbürger-Urkunde der Stadt Wien
verleibt werden. Im folgenden Krieg stehen die kaiserlichen Truppen schnell auf verlorenem Posten. Dennoch zeichnet sich Benedek erneut aus. In der Schlacht von Solferino gelingt es dem Feldmarschallleutnant und seinem Korps, die strategisch wichtigen Höhen von San Martino stundenlang gegen eine piemontesische Übermacht zu halten – und so den Rückzug anderer österreichischer Einheiten zu decken. Benedek ist in aller Munde, Kaiser Franz Joseph befördert den „tüchtigsten aller seiClausewitz 1/2018
will seinen „neuen Radetzky“ nicht gehen lassen, erblickt in ihm vielmehr die Garantie für militärische Siege in kommenden Kriegen. Zunächst übernimmt der Soldat Benedek jedoch das politische Amt des Statthalters in Ungarn. Dort ist die innere Lage mehr als angespannt, schließlich verlangen die Ungarn eine gleichberechtigte Stellung neben den Deutsch-Österreichern. Obwohl selbst in Ungarn geboren, hat Benedek kein Gespür für die Empfindungen der Bevölkerung, be-
Menschen & Geschichten | Ludwig von Benedek handelt die Ungarn vielmehr wie aufsässige Rekruten. Nach wenigen Monaten ist er erleichtert, in seine militärische Heimat Italien zurückkehren zu dürfen, wo er den Oberbefehl über die österreichischen Truppen übernimmt.
ge, mir das Kommando übertragen zu haben. Habe wörtlich gesagt, daß ich für den deutschen Kriegsschauplatz ein Esel bin, während ich in Italien vielleicht von Nutzen sein könnte.“ Die Führung in Italien übernimmt jedoch stattdessen Erzherzog Albrecht. Oberbefehlshaber der Nord-Armee Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Im Jahr 1866 verdunkeln Gewitterwolken Nord-Armee nehmen den Beden europäischen Horizont, ein neuer Krieg schluss des Kaisers mit Begeistedroht. Seit mehr als einem Jahrhundert be- rung auf. Benedek ist bei seinen herrscht der Dualismus zwischen Österreich Truppen sehr beliebt, gilt als und Preußen die Geschicke der deutschen volksnah und kameradschaftlich. Staaten. Nun ist der Deutsche Bund zu klein Auch in Europa lässt seine ErnenBEWUNDERER: geworden für zwei Vormächte. Preußens Mi- nung aufhorchen. Der französiDer französische nisterpräsident Otto von Bismarck hält seit sche Kaiser Napoleon III. kommenKaiser Napoleon III. Monaten nach einer Gelegenheit Ausschau, tiert die Wahl gar: „Wenn es Benedek hält viel von Bedie Feindseligkeiten zu eröffnen, ohne Preu- versteht, die österreichische Armee in nedeks Fähigßen als Aggressor dastehen zu lassen. Wäh- Böhmen ebenso geschickt zu führen keiten rend die Spannungen zunehmen, überlegt wie 1859 sein Armeekorps bei San MartiAbb.: picture Franz Joseph, wer den Oberbefehl über die no, dann werden die Preußen keinen leich- alliance/akg-images Armee auf dem nördlichen Kriegsschauplatz ten Stand haben.“ Doch die Dinge stehen anin Böhmen übernehmen soll. Er hat die Wahl ders als im Krieg gegen Italien: Benedek trifft zwischen Benedek und Erzherzog Albrecht. auf eine neu zusammengestellte Armee in ei- schließlich zu dem abwertenden Urteil: BeDa ein Habsburger nicht verlieren darf, fällt nem desolaten Zustand. Es fehlt an Material nedek sei „kein Feldherr, kein Stratege“ und die Wahl auf Benedek. Doch der Feldzeug- und Nachschub, Bewaffnung und Ausbil- brauche „sehr kräftige Unterstützung bei meister traut sich ein derartiges Kommando dung lassen zu wünschen übrig. Seit vielen Führung der Armee.“ nicht mehr zu und lehnt es auf einer Militär- Jahren hat die österreichische MilitärverwalDer Krieg zwischen Österreich und Preukonferenz im März 1866 auf das Entschie- tung eine grundsätzliche Reorganisation der ßen beginnt mit einer Reihe von Rückschlädenste ab, um sich dann letztlich doch dem veralteten Armeestrukturen hinausgezögert. gen für die kaiserlichen Truppen. In den Gefechten erweist sich schnell die Überlegenheit des preußischen Zündnadel-Gewehrs, „Kein Feldherr, kein Stratege, braucht sehr kräftige einem Hinterlader, der sich wesentlich schneller nachladen lässt als die veralteten Unterstützung bei Führung der Armee.“ österreichischen Gewehre. Folglich erleiden Preußisches Urteil über Benedek vor der Schlacht von Königgrätz die österreichischen Truppen im gegneriWunsch des Kaisers zu fügen. Seiner Frau schreibt er: „Als man mir das Kommando gegen alle meine motivierten Vorstellungen aufgezwungen hat, habe ich es in einer Konferenz laut und ungeschminkt ausgesprochen, daß ich dem Kaiser meine bürgerliche und militärische Ehre völlig zum Opfer bringe und wünsche, daß er es nicht bereuen mö-
70
Auch sind die Stäbe nicht genügend eingespielt – ein Umstand, der auch für den Stab Benedeks gilt. Im preußischen Lager sind zudem längst Zweifel an den Qualitäten Benedeks aufgekommen. Zwar sei dieser ein „glücklicher, sehr mutiger, ja selbst verwegener Soldat“, der in der ganzen Armee „unendlich beliebt“ sei. Doch kommt man
SARGNAGEL: Die Niederlage bei Königgrätz beendet die militärische Laufbahn Benedeks und macht ihn zur Zielscheibe für Hohn und Spott. Das ist ungerecht, denn die österreichische Militärverwaltung hat mindestens ebenso großen Anteil an dem Fiasko Abb.: picture alliance/Artcolor
Katastrophe von Königgrätz HINTERGRUND
Kriegführung zur Zeit der Schlacht von Königgrätz In der Mitte des 19. Jahrhunderts befindet sich die mitteleuropäische Kriegführung in einem tief greifenden Wandel. Während auf der einen Seite die Infanterietaktik aus den Napoleonischen Kriegen noch weit verbreitet ist, bei der in dichten Schützenlinien gemessenen Schrittes angegriffen und der finale Sturm mit dem Bajonett erledigt wird, entwickelt sich die Waffentechnik rasant. Gezogene Läufe erhöhen die Reichweite von Kanonen und Gewehren, das Zündnadelgewehr lässt sich nun erstmals von hinten laden. Da die Kugel nicht mehr vorne in den Lauf eingeführt werden muss, lässt sich eine weitaus höhere Schussfolge er-
schen Kugelhagel schwere Verluste, die Bajonettangriffe verpuffen meist wirkungslos. Anfang Juli 1866 fasst Benedek den Entschluss, seine Streitkräfte gegen die getrennt marschierenden preußischen Armeen vorgehen zu lassen. Diese werden von Helmuth von Moltke dirigiert – einem General, der das genaue Gegenteil von Benedek ist. Während letzterer von seinen Truppen verehrt wird, ist Moltke noch nahezu unbekannt. Doch der preußische Chef des Generalstabs verfügt nicht nur über taktische Weitsicht, die auch Benedek besitzt, sondern auch über strategisches Geschick. Diese Kompetenz ist Benedek nicht gegeben. „Zeitlebens ist er ein – wenn auch glanzvoller – Mann des Terrains gewesen, ein mutiger und unternehmungslustiger Praktiker, ein Haudegen, wie er im Buch steht“, urteilt der Historiker Jean-
zielen. Die erhöhte Waffenwirkung führt in der Folge zu lichteren Schützenlinien und zur Anlegung erster Grabensysteme, die sogenannte Leere des Schlachtfelds greift um sich. Neben der Entwicklung der Waffentechnik verbessern sich auch die Kommunikationstechnik und die Logistik. Der Aufmarsch ganzer Armeen lässt sich nun mithilfe der Eisenbahnen weitaus schneller durchführen als zuvor, was die österreichische Nord-Armee im Krieg gegen Preußen zu spüren bekommt. Die Kriegführung wandelt sich so von den Napoleonischen Kriegen hin zum Maschinenkrieg des Ersten Weltkrieges.
Jacques Langendorf. „Kompetent im Angriff wie in der Verteidigung, fehlt ihm dennoch die überlegene Kombinationsfähigkeit, was er auch durchaus eingesteht.“ In der Nähe des kleinen Örtchens Königgrätz kommt es am 3. Juli 1866 zum Entscheidungskampf. Benedek begeht dabei einige schwere Fehler. So beginnt er die Schlacht mit der Elbe im Rücken, „eine Eselei“, wie der österreichische Minister des Äußeren später notiert. Seine Truppen erringen gegen die 1. Armee und die Elbarmee Preußens zwar einige lokale Erfolge, doch als die 2. preußische Armee eintrifft und eine Einkesselung der österreichischen Truppen droht, muss Benedek seine Einheiten zurücknehmen – der Krieg ist verloren. Seine Armee erleidet hohe Verluste, die österreichische Hauptstadt liegt beinahe schutzlos da. Das ganze Kaiserreich ist geschockt und gelähmt. Die Öffentlichkeit sucht einen Sündenbock und findet ihn in Benedek, dessen glanzvolle Militärkarriere mit einem Schlag beendet ist. ÜBERLEGENER GEGENSPIELER: In Moltke findet Benedek seinen Meister. Der Preuße mit Weitblick ist dem Österreicher strategisch überlegen Abb.: picture alliance
ZWISCHEN NAPOLEON UND INDUSTRIELLER KRIEGFÜHRUNG: Königgrätz ist eine Mischung aus alter Lineartaktik und zukunftsweisender Technik. Das moderne preußische Zündnadelgewehr wirkt sich verheerend auf die Österreicher aus Abb.: picture alliance/akg
Gegen den Feldzeugmeister wird ein Kriegsgerichtsverfahren eröffnet. Dass die Armeeverwaltung jahrelang schwere Versäumnisse begangen hat, bleibt zunächst unbeachtet. Franz Joseph lässt das Verfahren zwar einstellen, doch bleibt Benedek Zeit seines Lebens die Zielscheibe von Hohn, Verachtung und Spott.
Ruhmloser Lebensabend Am 1. November 1866 wird er in den Ruhestand versetzt, er verbringt seinen Lebensabend in Graz, wo er in aller Stille 1881 stirbt. Auf eigenen Wunsch findet seine Beisetzung ohne militärische Ehren statt. Anlässlich seines Todes urteilt das österreichische Militärmagazin Vedette über Benedek: „Seine militärische Befähigung war mehr moralischer Art, mehr Sache des Charakters als einer reich gebildeten, tief denkenden Intelligenz. Benedek war ein ausgezeichneter Corpscommandant, der im gegebenen Moment eines durchaus selbstständigen und erfolgreichen Entschlusses fähig war, aber es fehlten ihm die höheren Qualitäten eines Armeecommandanten.“
Literaturtipp Oskar Regele: Feldzeugmeister Benedek. Der Weg nach Königgrätz. Wien/München 1960.
Dr. Lukas Grawe, Jahrgang 1985, Historiker am SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen.
Clausewitz 1/2018
71
24
Das große
Winter-Gewinnspiel!
X gewinnen Gewinnen Sie tolle Preise! Das Mitmachen ist kinderleicht: Wählen Sie Ihren Wunschpreis und nennen Sie uns – telefonisch oder per SMS – Ihren Namen und Ihre Adresse. Und schon nehmen Sie an der Verlosung teil. Ihre Daten behandeln wir selbstverständlich streng vertraulich, wir benötigen Sie nur für die Ziehung und zur Gewinnbenachrichtigung. Sie werden an niemanden weitergegeben. Das Beste: Sie können keinen Gewinn verpassen! Denn Sie haben die Möglichkeit, jederzeit während der ganzen Spieldauerr an allen 24 Verlosungen teilzunehmen – sooft Sie wollen!
Klimagerät von Pearl
01 So nehmen Sie am Winter-Gewinnspiel teil: Per Telefon: Wählen Sie Ihren Wunschpreis und rufen Sie uns bitte unter der Nummer 01378-13 01 70 – XX (€ 0,50/Anruf aus dem deutschen Festnetz, Mobilfunk viel höher) an. Als Endziffern »XX« nehmen Sie bitte die zweistellige Nummer, die ihrem Wunschpreis zugeordnet ist. Nennen Sie uns bitte jetzt einfach deutlich Ihren Namen, Ihre Anschrift und Ihre Telefonnummer. Per SMS: Wählen Sie Ihren Wunschpreis und schicken Sie uns bitte eine SMS mit GEWINNXX an folgende Kurzwahlnummer: 99699 (€ 0,50/ SMS). Als Endziffern »XX« nehmen Sie bitte die zweistellige Nummer, die ihrem Wunschpreis zugeordnet ist. Bitte geben Sie in der SMS auch Ihren Namen und Ihre Adresse an.
Mobiles Klimagerät von Pearl im Wert von € 350,–
Verwöhnhotel Kristall 4 Übernachtungen f. 2 Pers. + HP in Luxus-Wellness-Suite im 4* Superior Wellnesshotel am Achensee in Tirol im Wert von € 1.920,–**
06 71
Twercs-Set
Sea-Life
Vorwerk Werkzeug-Koffer i. W. v. € 650,–
4-Personen-Ticket SeaLife im Wert von € 160,–
Wichtiger Hinweis: Die Telefon- und SMSNummern sind bereits ab dem 10.11.2017 für alle Gewinne bis einschließlich 28.02.2018 freigeschaltet. Teilnahmeschluss ist der 28.02.2018. Der Rechtsweg und die Barauszahlung von Gewinnen ist ausgeschlossen. Mitarbeiter der GeraNova Bruckmann Verlagshaus GmbH und der verbundenen Verlagsunternehmen, beteiligter Kooperationspartner, deren Angehörige sowie Personen, die außerhalb der Bundesprpublik Deutschland leben, sich von der Teilnahme ausgeschlossen. Teilnahme ab 18 Jahren.
Mit freundlicher Unterstützung von:
02
Walkera VITUS Quadrocopter
Werkbank
04
Holz-Werkbank von Sjöbergs im Wert von € 554,–
im Wert von € 799,–
14
16
MULTIPLEX Rockstar MULTIPLEX Rockstar RR im Wert von € 289,90
TeslaS 1 Wochenende Tesla S fahren im Wert von € 570,–
52
17
20
21
im Wert von € 1.399,–
Roco Digitales Start-Set im Wert von € 239,–
ELYSEE Chronograph im Wert von € 335,–
KAWASAKI E-Bike Men
Startset Roco
Oldtimertour 3-Tage Oldtimertour i. Salzkammergut im Wert von € 985,–
72
05
18
Sea-Life 4-Personen-Ticket SeaLife im Wert von € 160,–
ELYSEE Chronograph
BRAWA Diesellok Diesellok BR V90 im Wert von € 409,90
55
im Wert von € 280,–
53
19
HLS Viewcase-Vitrine
Startset Fleischmann
03
im Wert von € 450,–
FLEISCHMANN Digitales Start-Set i. W. v. € 199,–
11
Lederjacke von Fuel Legends im Wert von € 500,–
Klimagerät von Pearl
78 TILLIG Einsteiger-Set TILLIG Dig.-Einsteiger-Set im Wert von € 599,–
68 Retro-Grafik Ihr Foto wird zum Retro- Kunstwerk von bg-color im Wert von € 200,–
13
Mobiles Klimagerät von Pearl im Wert von € 350,–
360° Taschenset Ultimatives Segeltuch-Taschenset von 360° im Wert von € 449,60
24
54
Verwöhnhotel Kristall 4 Übernachtungen f. 2 Pers. + HP in Luxus-Wellness-Suite im 4* Superior Wellnesshotel am Achensee in Tirol im Wert von € 1.920,–**
* Sa, Feiertage, Silvester, Weihnachten ausgeschlossen, keine Hochsaison, keine Brückentage, gültig 1 Jahr. ** Sa, Feiertage, Silvester, Weihnachten ausgeschlossen, gültig 1 Jahr
BUSCHFeldbahn-Set BUSCH-Feldbahn-Set in H0f im Wert von € 470,–
Reenactment | Tanks in Town
GEPANZERTES TAXI: Wer schon immer davon geträumt hat, in einem Panzer mitzufahren, hat bei „Tanks in Town“ die Gelegenheit dazu – etwa mit diesem Panzer 61 der Schweizer Armee
Populäres Reenactment-Event in Belgien
Tanks in Town
D
er ist größer als gedacht“, bemerkt Linus R., als er sich dem M4 Sherman nähert und die 75-Millimeter-Kanone inspiziert. Vor dem Rechner hat Linus schon viele Shermans (sowie Panzerkampfwagen II, Leopard 1 und Hetzer) gesteuert. Jeden Abend zeigt er in digitalen Strategiespielen wie „Call of War 1942“ sein Können und kämpft auf historischen Schlachtfeldern um den Spielsieg.
Einzigartige Mischung Er ist nur einer von Hunderttausenden Nutzern, die das Browserspiel des Hamburger Entwicklerstudios Bytro Labs spielen – und heute steht er im Schlamm vor den Toren der belgischen Stadt Mons seinem „Lieblings-
74
spielzeug“ leibhaftig gegenüber. Damit ist er nicht allein. Tausende „Militärfans“ und Schaulustige sind an dem Spätsommer-Wochenende vom 1. bis 3. September 2017 wieder nach Mons gereist, um am diesjährigen Tanks-in-Town-Festival teilzunehmen. Nicht wenige von ihnen sind leidenschaftliche Strategiespieler: Denn „Call of War“ war in diesem Jahr Kooperationspartner des Festivals, das an die Befreiung der Stadt Mons durch die Alliierten im Jahr 1944 erinnert. Und die populäre Veranstaltung stellt eine einzigartige Mischung aus Militärparade und militärhistorischem „Jahrmarkt“ dar. Tanks in Town wird vom Royal Mons Auto Moto Club (RMAMC) organisiert. Er ist unter anderem auf Militärfahrzeuge spezia-
lisiert und zeichnet für die alljährliche friedliche Invasion der historischen Altstadt von Mons verantwortlich. Sammler und Veteranen aus aller Welt stellen dabei ihre restaurierten beziehungsweise instand gesetzten Fahrzeuge zur Schau – darunter in diesem Jahr der Panzer 68, der Truppentransporter FV432 und der berühmte Leopard 1. Auch Leihgaben historischer Kriegsmuseen waren zu bestaunen, so etwa ein Sturmgeschütz III (StuG III).
Zahlreiche Highlights Für die Anwesenden gab es Vieles zu sehen und zu erleben. So konnten die rund 20.000 Besucher auf historischen Panzern mitfahren, unzählige Ketten- und Radfahrzeuge bestau-
Alle Fotos: Bytro Labs GmbH
September 2017: Das jährliche Treffen Tanks in Town in Belgien begeistert rund 20.000 Besucher. Sie bestaunen gepanzerte Fahrzeuge aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, aber auch jüngere Panzer – wie etwa den Leopard 1 Von Marvin Eschenauer
AUF DEM RUNDKURS: Ein Panzer M4A3 Sherman, eine modifizierte Version des M4, präsentiert sich den Besuchern
SPRINGT INS AUGE: Ein Teil der Fahrzeuge diente als fahrender Werbeträger
mpfpanzer – IN DER ABENDSONNE: Ein mittlerer US-Ka der US-Armee al Arsen dem viele Fahrzeuge stammen aus
MIT WERBEBANNER: Ein gepanzerter Truppentransporter FV432, das britische Gegenstück zum amerikanischen M113
AUF HALBKETTE: Ein Sonderkraftfahrzeug 250 ruckelt auf dem offiziellen Tanks-in-Town-Rundkurs. Die Besucher dürfen mitfahren!
DETAILANSICHT: Ausrüstungsgegenstände auf einem US-Panzer Clausewitz 1/2018
MÄNNERSPIELZEUG: Auch mit diesem US-Panzer haben die Besucher Gelgenheit, durch den Matsch zu pflügen
75
Reenactment | Tanks in Town ERFOLGSMODELL: Leopard 1, westdeutscher Kampfpanzer der späten 1960er-Jahre. Über 6.000 Stück wurden produziert
FÜR DIE STRASSE: Außerhalb des Geländes der Tieflader ran
nen und verschiedene Artikel und Andenken auf einem militärhistorischen Flohmarkt käuflich erwerben. Williys Jeeps, Shermans, StuG und Jagdpanzer waren neben weiteren Panzerfahrzeugen vor Ort – ein wahrer Augenschmaus für Technikfreunde.
Begeisterte Zuschauer Weitere Highlights an dem ersten September-Wochenende 2017 waren die „Amphibien-Fahrzeug-Show“ am Grand Large und die Militärparade mit Hunderten von Fahrzeugen. Sie endete im Zentrum der Stadt. Auch die Rekonstruktion der Befreiung von Mons begeisterte viele Zuschauer, denn dort konnten sie ein nachgestelltes Feldmanöver beobachten. Nähere Informationen zur Veranstaltung – auch bereits für das Jahr 2018 – stehen im Internet unter: www.tanksintown.be
76
muss natürlich
FRONTALANSICHT: Ein US-amer ikanischer M4 Sherman auf dem Treffen Tanks in Town im belgischen Mons
HINTERGRUND
20 Jahre Tanks in Town Tanks in Town fand das erste Mal 1999 statt. Die Idee dahinter war es, die Befreiung der westbelgischen Stadt Mons (deutsch: Bergen) durch das 83. Reconnaissance Battalion der 3. US-Panzerdivision „Spearhead“ am 2. September 1944 zu feiern. Seit der ersten Veranstaltung ist das Event von Jahr zu Jahr gewachsen – mittlerweile kommen bis zu 20.000 Besucher für ein Wochenende nach Mons, um die Panzer zu bestaunen. Immerhin wird dort auch etwas weltweit Einmaliges geboten: Mehrere hundert verschiedene historische Ketten- und Radfahrzeuge und deren Besitzer bilden eine Art „lebendiges Museum“ des Zweiten Weltkriegs. Tanks in Town findet jährlich Anfang September statt. Zum Abschluss jeder
Veranstaltung „besetzen“ die Fahrzeuge friedlich das historische Zentrum der Stadt Mons. Diese „kleine Invasion“ ist bis ins Detail dem US-amerikanischen Konvoi von 1944 nachempfunden, der nach der Befreiung der Stadt durch die Straßen von Mons rollte. Und auch die nächsten zwei Termine des Events für 2018 und 2019 stehen bereits fest: Vom 31. August bis zum 2. September 2018 wird die 19. Ausgabe von Tanks in Town stattfinden. Im Jahr darauf gilt es dann, mit der 20. Ausgabe der Veranstaltung und der 75-Jahr-Feier der Befreiung der Stadt Mons ein doppeltes Jubiläum zu begehen. Dieses wird sicherlich mit einigen Special Guests und zusätzlichen Besonderheiten aufwarten.
Beeindruckende Fahrzeugschau
WELTBEKANNT: Der klassische „Willys Jeep” der US Army
MARKANT: Deutsches StuG III, das sich den Besuchern von Tanks in Town im September 2017 präsentierte ALLIIERTES ARSENAL: Drei amerikanische Panzer M4 Sherman und ein britischer Crusader (vorn)
IMPOSANT: Der M4 Sherman war der meistgebaute US-Panzer des Zweiten Weltkriegs und ist dementsprechend keine Seltenheit
Spurensuche | Marienburg EINZIGARTIGER ANBLICK: Die Marienburg wurde seit dem späten 13. Jahrhundert im Stil der Backsteingotik errichtet und war Sitz der Hochmeister des Deutschen Ordens; Photochrom, vermutlich Foto: picture-alliance/akg-images Ende 19. Jahrhundert
Die weltberühmte Deutschordensburg an der Nogat
Majestätisches Machtzentrum Die Marienburg strahlt seit Jahrhunderten einen besonderen Glanz aus. Im Mittelalter war sie Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens. Heute zählt sie zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist ein wahrer Touristenmagnet Von Tammo Luther
D
ie mächtige Anlage entlang des NogatFlusses zieht jeden Betrachter förmlich in ihren Bann – die Marienburg (polnisch: Zamek w Malborku) an der Grenze der ehemaligen Provinzen West- und Ostpreußen. Wer die wohl imposanteste aller Deutschordensburgen selbst besichtigt hat, den lassen die unvergesslichen Eindrücke dieses gewaltigen Gebäudekomplexes aus Backstein nicht mehr los. Die herausragende historische Bedeutung der mittelalterlichen Burganlage wird dadurch unterstrichen, dass sie seit dem Jahr 1997 den Status als Weltkulturerbe der UNESCO trägt.
Gewaltige Ausmaße Die Anfänge der Marienburg reichen bis ins späte 13. Jahrhundert zurück, doch ihr stetiger Ausbau zieht sich bis weit ins 15. Jahrhundert hinein. Nachdem Siegfried von
78
Feuchtwangen die Marienburg im Jahr 1309 zum Hochmeistersitz bestimmte, lassen die adeligen Bauherren umfangreiche Ausbaumaßnahmen in der beengten Burg vornehmen. Der Deutsche Orden will dem Sitz sei-
ner Hochmeister schon rein äußerlich einen majestätischen Glanz verleihen. Die über Jahrhunderte hinweg baulich immer wieder veränderte und nach den schweren Zerstörungen des Jahres 1945 an vielen Stellen restaurierte Burganlage unterteilt sich in Hochschloss, Mittelschloss und Vorburg. Sie erstreckt sich rund 600 Meter entlang der Nogat, einem etwa 60 Kilometer langen Mündungsarm der Weichsel. Das charakteristische Hochschloss der Marienburg zählt zu den frühen Deutschor-
WEHRHAFT: Die ursprüngliche mittelalterliche Wehranlage wird 1945 stark zerstört und seit 1960 planmäßig restauriert Foto: picture-alliance/ (c)dpa-Report
BEEINDRUCKENDE AUSMASSE: Die Marienburg erstreckt sich insgesamt etwa 600 Meter entlang der Nogat und gilt als größte Backsteinburg der Welt Foto: picture-alliance/akg-images/Erich Lessing
densburgen im Kastelltypus. Die im viereckigen Grundriss gehaltene Anlage konzipiert man ursprünglich mit drei Flügeln, während man nach Osten hin nur eine Wehrmauer erbaut. Die ursprüngliche Vorburg baut man im 14. Jahrhundert zum Mittelschloss mit dem in Form eines Wohnturmes errichteten Hochmeisterpalast aus. Dieser liegt auf der Westseite mit dem daran anschließenden Großen Remter (Repräsentations- und Festsaal). Die jüngere Vorburg nimmt zahlreiche Zweck- und Wirtschafts-
bauten auf, darunter der Karwan (Zeughaus) im Ostteil. Darin sind damals Wagen und Geschütze untergebracht. Hinzu kommen das Gießhaus und das Backhaus sowie mehrere Werkstätten. Auch das zwischen 1335 und 1341 zur Nogat hin errichtete Brückentor mit seinen beiden Rundtürmen zählt zur ausgedehnten Vorburg der Wehranlage.
Bitteres Ende Nach der Niederlage des Deutschen Ordens gegen ein polnisch-litauisches Heer in der Schlacht von Tannenberg im frühen 15. Jahrhundert setzt der Niedergang des Deutschordensstaates ein. Damit einher geht der Bedeutungsverlust der Marienburg als dessen Machtzentrum. Während Heinrich von Plauen mit seinen Männern einer feindlichen Belagerung der Burg im Jahr 1410 noch erfolgreich standhalten kann, fällt sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schließlich an König Kazimierz IV. von Polen. Dieser
DENKMAL: Bronzeplastik im Hof des Mittelschlosses. Sie stellt Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen dar, der 1309 den Sitz des Deutschen Ordens in die Marienburg verlegte Foto: picture-alliance/Bildarchiv Monheim
DATEN
Zur Geschichte der Marienburg 13. Jahrhundert 1309–1454 14. Jahrhundert 1410 1466 18. Jahrhundert
OPFER DES KRIEGES: Die acht Meter hohe Madonna mit Kind im Chor der Marienkapelle wird bei den schweren Kämpfen 1945 zerstört und bis 2016 wiederhergestellt; Aquarell von Friedrich Gilly, 1794 Abb.: picture-alliance/akg-images Clausewitz 1/2018
Seit 1817 1851–1874 1882–1922 Anfang 1945 Ab 1960 Seit 1997
Errichtung der Burg Sitz der Hochmeister des Deutschen Ordens Erweiterung der Anlage Belagerung der Burganlage durch polnisch-litauische Truppen Zweiter Thorner Frieden – die Marienburg fällt an die polnische Krone Weitreichende Umgestaltungen und Ausbau für Militärzwecke (bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein) Erste Wiederaufbauphase unter dem Einfluss der Romantik Umfangreiche Restaurierungsarbeiten Neue Rekonstruktionsphase Zerstörung weiter Teile der Anlage durch schwere Kämpfe Planmäßiger Wiederaufbau Weltkulturerbe der UNESCO
79
Spurensuche | Marienburg waltungsbeamter), während man im Hochmeisterpalast ab 1476 eine königliche Residenz einrichtet. Doch Teile des Hochschlosses nutzen die neuen Burgherren auch als Kornspeicher oder Magazin. In den Räumen des Mittelschlosses interniert man zeitweise prominente Gefangene und verwahrt in der Großkomturei den regionalen Staatsschatz. Nach einer schwedischen Besetzungszeit während des Dreißigjährigen Krieges und einem verheerenden Brand im Jahr 1644 beIM ÜBERBLICK: Plan der mittelalterlichen Marienburg mit Hochschloss im Zentrum sowie Mittelschloss und lang gezogener Vorburg (links im Bild) Abb.: picture-alliance/Süddeutsche Zeitung Photo
kauft sie von den die Hochmeister-Residenz verteidigenden Söldnern, da der Deutsche Orden diese nicht mehr bezahlen kann. Alle Versuche, die Marienburg für den Orden mit dem Schwarzen Kreuz zurückzugewinnen, scheitern.
Wichtige Zäsuren Nach dem Zweiten Thorner Frieden von 1466 dienen die Gemächer des Großkomturs als Sitz eines Starosten (slawischer Ver-
„Furchtbar war die Beschießung der Burg. Ich meine, es müssen überschwere Kaliber gewesen sein, da sie große Löcher in die dicken, roten Mauern rissen.“ Erinnerung eines an den Kämpfen von 1945 beteiligten deutschen Fahnenjunkers
deutet das Jahr 1772 eine weitere wichtige Zäsur in der Geschichte der Marienburg. Im Zuge der von den europäischen Mächten Russland, Österreich und Preußen vorgenommenen ersten polnischen Teilung kommt die Marienburg zum Königreich Preußen und zählt ab 1773 zur neu errichteten Provinz Westpreußen.
DUNKLES KAPITEL: Die Nationalsozialisten erklären die Marienburg in den 1930er-Jahren zur „Burg des deutschen Jungvolkes“. Reichsjugendführer Baldur von Schirach (Mitte) und Gauleiter Erich Koch (li.) schreiten eine Ehrenformation ab Foto: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
80
Von nun an nutzen die neuen „Hausherren“ weite Teile der Anlage weniger als Repräsentationsgebäude, sondern vielmehr für militärische Zwecke. Im Rahmen des erforderlichen Umbaus zerstört man viele Elemente der mittelalterlichen Architektur. Man erwägt sogar, das Hochschloss abzureißen, um dort einen großen Magazinbau zu errichten. Gegen diese Pläne regt sich heftiger Widerstand. So ruft der Dichter Max von Schenkendorf (1783–1817) dazu auf, die Umgestaltung zu beenden. Er und weitere Mistreiter
wollen nicht tatenlos zusehen, wie man den ursprünglichen Charakter der einzigartigen Anlage zerstört. Preußen-König Friedrich Wilhelm III. untersagt schließlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Abbruch weiterer historischer Burgelemente. Im Jahre 1817 setzen umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen im
Schwere Zerstörungen 1945
VORBOTE DES UNTERGANGS: Bei Tannenberg unterliegt im Jahr 1410 das Heer der Ordensritter einem polnisch-litauischen Aufgebot. Diese Niederlage ist der Auftakt zum Niedergang des Deutschordensstaates Abb.: picture-alliance/akg-images
Geiste der Romantik ein. Der Baumeister und Architekt Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) etwa ist daran beteiligt, jene zu planen und umzusetzen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nimmt man wieder Umbauten vor, um die Burganlage weiterhin für militärische Zwecke nutzen zu können. Während des Deutschen Kaiserreiches dient die Anlage dann wieder verstärkt Repräsentationszwecken. So nutzt sie Kaiser Wilhelm II. als eine seiner offiziellen Pfalzen. In dieser Zeit nimmt man weitere Restaurierungsmaßnahmen vor. Nach dem Ersten Weltkrieg fällt die Marienburg infolge der neuen deutsch-polnischen Grenzziehung von 1920 im Rahmen des neu gebildeten Regierungsbezirks Westpreußen an die Provinz Ostpreußen. Die seit 1933 im Deutschen Reich herrschenden Nationalsozialisten halten in dem
AUS DER VOGELPERSPEKTIVE: Luftbild der Burganlage an der Nogat und der angrenzenden Stadt Malbork. Die schweren Kämpfe von 1945 haben tiefe Narben im Stadtbild hinterlassen Foto: picture-alliance/blickwinkel
ehemaligen Deutschordenssitz regelmäßig Großveranstaltungen ab und erklären die Marienburg zur „Burg des deutschen Jungvolkes“. Von der NS-Propaganda medienwirksam in Szene gesetzt, besuchen der
Weltberühmte Sehenswürdigkeit
Literaturtipps Christopher Herrmann: Burgen im Ordensland. Deutschordens- und Bischofsburgen in Ost- und Westpreußen – Ein Reisehandbuch, Würzburg 2006. Bernd Ulrich Hucker, Eugen Kotte, Christine Vogel (Hrsg.): Die Marienburg. Vom Machtzentrum des Deutschen Ordens zum mitteleuropäischen Erinnerungsort, Paderborn 2013.
Clausewitz 1/2018
„Führer“ und andere mächtige Nationalsozialisten die Ordensburg. Die braunen Machthaber missbrauchen den Deutschen Orden und seine ehemalige Residenz symbolhaft für ihre ostwärts ausgerichtete „Lebensraumideologie“.
SPUREN DES KAMPFES: Teilansicht der 1945 zerstörten Wehranlagen der Marienburg, um 1950. Der groß angelegte Wiederaufbau beginnt ab 1960 und dauert Jahrzehnte Foto: ullstein bild - ullstein bild
Im Frühjahr 1945 schlägt das Pendel zurück. Die von Osten her unaufhaltsam vordringende Rote Armee will die seit Herbst 1944 auf eine Verteidigung vorbereitete „Festung Marienburg“ erobern. Die Wehrmacht verteidigt die oft provisorisch verstärkten modernen Werke und historischen Backsteinmauern verbissen. Doch nach längerer Belagerung und schwerem Beschuss fällt die Marienburg in sowjetische Hände. Sie wird – wie auch die unmittelbar angrenzende Stadt Marienburg (polnisch: Malbork) – stark in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fällt die gewaltige Ruine schließlich zusammen mit Westpreußen und dem südlichen Teil von Ostpreußen an Polen. Zunächst als Armeemuseum geplant, setzen in den 1950er-Jahren verstärkte Sicherungsmaßnahmen zum Erhalt ein. 1960 beginnt der planmäßige, auf Jahrzehnte hin angelegte Wiederaufbau der von schweren Kriegsschäden gezeichneten Marienburg. Heute erstrahlt sie wieder in majestätischem Glanz und zählt zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Polens.
81
Vorschau Nächstes Heft mit DVD „Panzerjäger“
Sedan 1940
So erreichen Sie uns
Entscheidender Durchbruch im Westen
Abonnement/Nachbestellung von älteren Ausgaben
Mitte Mai 1940: Panzer der Wehrmacht stoßen bei Sedan im Nordwesten Frankreichs durch die feindlichen Linien über die Maas. Sie erringen wider Erwarten einen überraschend schnellen militärischen Erfolg – eine wichtige Vorentscheidung im Feldzug gegen die Großmacht Frankreich.
*14 ct/min aus dem dt. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 42 ct/min
Clausewitz ABO-SERVICE Gutenbergstr. 1, 82205 Gilching Tel. +49 (0) 1805 321617* oder +49 (0) 8105 388329 (normaler Tarif) +49 (0) 1805 321620*
[email protected] www.clausewitz.de/abo www.clausewitz.de/archiv
Preise Einzelheft € 5,95 (D), € 6,80 (A), € 7,10 (BeNeLux), € 8,30 (I, SK), sFr. 11,00 (CH) (bei Einzelversand jeweils zzgl. Versandkosten) Jahresabonnement (6 Hefte) € 32,00 incl. MwSt., im Ausland zzgl. Versandkosten Erscheinen und Bezug Clausewitz erscheint zweimonatlich. Sie erhalten Clausewitz in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz und in Luxemburg im Bahnhofsbuchhandel, an gut sortierten Zeitschriftenkiosken sowie direkt beim Verlag.
Redaktion
(Leserbriefe, Fragen, Kontaktaufnahme) Clausewitz Spezial Infanteriestr. 11a, 80797 München
[email protected] www.clausewitz-magazin.de Bitte geben Sie bei Zuschriften per E-Mail immer Ihre Telefonnummer und Postanschrift an.
Anzeigen
[email protected]
Impressum Nr. 41 | 1/2018 | Januar–Februar | 8. Jahrgang Clausewitz, Tel. +49 (0) 89 130699-720 Infanteriestr. 11a, 80797 München
Schlacht von Breitenfeld 1631 Schwedischer Sieg im Dreißigjährigen Krieg
Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library; picture-alliance/United Archives/WHA; Sammlung Anderson
September 1631: In der Nähe von Leipzig besiegen die protestantischen Schweden die katholischen Truppen unter Tilly. Der Triumph Gustav II. Adolfs demonstriert nicht nur das taktische Talent des „Löwen aus Mitternacht“, sondern eröffnet sogar die Möglichkeit eines schwedischen Kaisertums.
Jagdtiger Schwerer Panzerjäger der Wehrmacht Februar 1943: Die deutsche Rüstungsindustrie erhält den Auftrag, einen schweren Jagdpanzer zu entwickeln. Das Ergebnis ist der seit Herbst 1944 in Serienproduktion gefertigte Jagdtiger. Wie bewährt sich der Stahlkoloss im Feld? Kann der 70-Tonnen-Gigant mit seiner 12,8-Zentimeter-Kanone die Alliierten das Fürchten lehren?
© 2018 by GeraMond Verlag. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Durch Annahme eines Manuskripts erwirbt der Verlag das ausschließliche Recht zur Veröffentlichung. Für unverlangt eingesandte Fotos und Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Gerichtsstand ist München. Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: Markus Wunderlich; verantwortlich für die Anzeigen: Thomas Perskowitz beide: Infanteriestraße 11a, 80797 München. ISSN 2193-1445 100%-Gesellschafterin der GeraMond Verlag GmbH ist die GeraNova Bruckmann Verlagshaus GmbH. Geschäftsführender Gesellschafter: Clemens Schüssler.
Außerdem im nächsten Heft: Amiens 1918. Alliierte Offensive gegen die deutschen Linien im Nordosten Frankreichs. Heydrich-Attentat 1942. Der tschechisch-britische Anschlag auf den Stellvertretenden Reichsprotektor in Prag und seine Folgen. Und viele andere Beiträge aus den Wissensgebieten Geschichte, Militär und Technik.
Die nächste Ausgabe von 82
Redaktion Markus Wunderlich (Chefredakteur Luftfahrt, Geschichte, Schifffahrt und Modellbau), Dr. Tammo Luther (Verantw. Redakteur), Maximilian Bunk, M.A., Stefan Krüger, M.A., Alexander Müller (Volontär) Chef vom Dienst Christian Ullrich Berater der Redaktion Dr. Peter Wille Ständige Mitarbeiter Dr. Joachim Schröder, Dr. Peter Andreas Popp Layout Ralph Hellberg Verlag GeraMond Verlag GmbH Infanteriestr. 11a 80797 München www.geramond.de Geschäftsführung Clemens Hahn Gesamtanzeigenleitung Thomas Perskowitz Tel. +49 (0) 89 130699-527
[email protected] Anzeigenleitung Uwe Stockburger Tel. +49 (0) 89 130699-521
[email protected] Anzeigendisposition Rudolf Schuster Tel. +49 (0) 89 130699-140, Fax +49 (0) 89 130699-100
[email protected] Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 27 vom 1.1.2017 Vertriebsleitung Dr. Regine Hahn Vertrieb/Auslieferung Bahnhofsbuchhandel, Zeitschriftenhandel: MZV Moderner Zeitschriften Vertrieb GmbH & Co. KG, Unterschleißheim Litho ludwigmedia, Zell am See, Österreich Druck Severotisk, Ústí nad Labem, Tschechien
erscheint am 12. Februar 2018.
Hinweis zu §§ 86 und 86a StGB: Historische Originalfotos aus der Zeit des „Dritten Reiches“ können Hakenkreuze oder andere verfassungsfeindliche Symbole abbilden. Soweit solche Fotos in Clausewitz veröffentlicht werden, dienen sie zur Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und dokumentieren die militärhistorische und wissenschaftliche Forschung. Wer solche Abbildungen aus diesem Heft kopiert und sie propagandistisch im Sinne von § 86 und § 86a StGB verwendet, macht sich strafbar! Redaktion und Verlag distanzieren sich ausdrücklich von jeglicher nationalsozialistischer Gesinnung.
Auf allen Meeren zuhause
Mi
tK
om
pa
ss
Der Kompass ist in 6°-Intervallen markiert und enthält ein Millimeter-Maß
gn e d i
erm an
y
G
es i
Länge des Armbandes verstellbar (max. 23 cm), Ø Uhrengehäuse: ca. 4 cm Produkt-Nr.: 522-FAN03.01 Produktpreis: € 199,80 (zahlbar auch in 4 Monatsraten zu je € 49,95) zzgl. € 8,95 Versand
n
D
Exklusive Herrenuhr zu Ehren des stolzen Segelschulschiffes „Gorch Fock“
Das Angebot ist limitiert – Reservieren Sie noch heute!
Das stolze Segelschulschiff „Gorch Fock“
PERSÖNLICHE REFERENZ-NUMMER: 80974
W
er einmal auf einem großen Windjammer Dienst tat, weiß, was es heißt, Seemann zu sein. Wenn bei Windstärke 10 aufgeentert werden muss, das Schiff schlingert und stampft, dann trennen sich Männer von Jungs. Diese Männer sind „Auf allen Meeren zuhause“, und für sie ist diese Uhr aus Edelstahl mit präzisem Quarzuhrwerk.
Mit 120-TAGE-Rückgabe-Garantie
Zeitlich begrenztes Angebot: Antworten Sie bis 15. Januar 2018
Ja, ich reserviere die Armbanduhr ࡐ$XIDOOHQ0HHUHQ]XKDXVH´
Robuste Armbanduhr für echte Männer – exklusiv bei The Bradford Exchange
www.bradford.de
PLZ/Ort
Geburtsdatum
WEEE: 97075536
Segelschiff Gorch Fock auf dem früheren 10 DM-Schein
Bitte in Druckbuchstaben ausfüllen
Straße/Nummer
Unterschrift
Telefon für eventuelle Rückfragen
%LWWHJHZQVFKWH=DKOXQJVDUWDQNUHX]HQ(): Ich zahle den Gesamtbetrag nach Erhalt der Rechnung Ich zahle in vier bequemen Monatsraten
Für Online-Bestellung Referenz-Nr.: 80974
Ihre Uhr kommt in einer edlen Präsentbox zu Ihnen nach Hause
Die Silhouette der „Gorch Fock“ ziert das durch robustes Mineralglas geschützte Zifferblatt mit Datumsanzeige. Die Namen der drei Weltmeere sind auf der drehbaren Gehäusefassung mit Gradeinteilung eingraviert. Und wenn Sie sie aufklappen, sehen Sie einen voll funktionstüchtigen Kompass. Der Kompass ist in 6 Grad-Intervallen markiert und enthält ein Millimetermaß zur Distanzberechnung. Diese eindrucksvolle Männerarmbanduhr erscheint nun exklusiv bei The Bradford Exchange und ist nicht im Handel erhältlich. Eine edle Uhrenbox präsentiert sie und das Echtheits-Zertifikat belegt ihre Authentizität. Sichern Sie sich „Auf allen Meeren zuhause“ am besten noch heute!
Name/Vorname
%LWWHHLQVHQGHQDQ7KH%UDGIRUG([FKDQJH Johann-Friedrich-Böttger-Str. 1–3 • 63317 Rödermark Österreich: Senderstr. 10 • A-6960 Wolfurt • Schweiz: Jöchlerweg 2 • CH-6340 Baar