Gerhard Wurbs Ganz am Rande Schlesiens liegtB ielitz Zweiter Band Laumann-Verlag Dülmen Die Herausgabe dieses Bandes wurde von der »Stiftung Haus Ober...
253 downloads
130 Views
13MB Size
Gerhard Wurbs
Ganz am Rande Schlesiens liegt B ielitz Zweiter Band
Laumann-Verlag Dülmen
Die Herausgabe dieses Bandes wurde von der »Stiftung Haus Oberschlesien«, Ratingen 6 (Hösel), der Ferialverbindung deutscher Hochschüler von Bielitz-Biala »Franken«, Sitz: Frankfurt/M., der »Heimatgruppe Bielitz-Biala«, Sitz: Frankfurt/ M. sowie der Ferialverbindung deutscher katholischer Hochschüler in Ostschle sien, »Academia«-Bielitz, gefördert.
© 1991 by Laumann-Verlagsgesellschaft, Postfach 1461, D-4408 Dülmen Gesamtherstellung: Laumann Druck KG, 4408 Dülmen ISBN 3-87466-142-3
Vorwort zum zweiten Band Das Bielitzer Land befindet sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhun dert im vierten Jahrhundert in österreichischem Besitz und hat sich zu einer beachtlichen Handwerkerstadt entwickelt. Die Gegebenheiten sind gün stig, das Absatzgebiet für die guten Bielitzer Tuche weit und aufnahmefä hig. Österreich kooperiert zu dieser Zeit mit Rußland und sucht günstige Tauschmöglichkeiten. Dazu braucht es Unterstützung, eben von diesem großen Land. Der Verlust Schlesiens ist nicht zu verschmerzen. Man möchte die österreichischen Niederlande gegen bayerisches Gebiet enttäu schen. Doch die zweite Großmacht im Deutschen Reich, Preußen, verhin dert es. Österreich beteiligt sich an der ersten wie auch an der zweiten Teilung Polens. Kurze Zeit danach folgt die dritte und völlige Aufteilung des östlichen Nachbarn des Reiches. Österreich folgt bezüglich der Umgestaltung und Modernisierung sei ner Länder hierbei zu einem großen Teil dem Beispiel Preußens. Reform folgt auf Reform. Eine der größten Leistungen ist die innere Kolonisation, zum Beispiel des Banats und seiner Nachbarlandschaften. 1781 wird die Leibeigenschaft aufgehoben und ein religiöses Toleranzpatent erlassen. Die Stellung der Juden im Staate wird verbessert. Im Zuge schroffer Säkularisierungsmaßnahmen werden rund 700 Klöster aufgehoben. 1784 wird die deutsche Sprache zur alleinigen Amtssprache erhoben. Die Maß nahmen des Kaisers Joseph II. sind jedoch übereilt und erregen unter der Bevölkerung wachsenden Unmut, besonders unter den Fremdsprachigen, so daß der Kaiser vor seinem Tod (1790) noch fast alle Maßnahmen zurückziehen muß. Seine Nachfolger Leopold II. und Franz II. setzen diese Maßnahmen fort.
5
Im benachbarten Polen ist der letzte Wahlkönig, Stanislaus II. August, an die Regierung gelangt, und unsere Schwesterstadt Biala ist gegen Ende des Jahrhunderts schon 28 Jahre zum österreichischen Staat gehörig. Zu sammen mit Bielitz hat unsere Sprachinsel ein riesiges Hinterland für seine Produkte gewonnen: zusammen (1795) 115.000 qkm (lt. Plötz, S. 786). Polen hört auf zu existieren. 1752 erwirbt das Geschlecht der Sulkowski die Herrschaft Bielitz und kann sie bis 1945 in seinem Besitz behalten. Zehn Sulkowskis bilden die lange Reihe der Herzoge von Bielitz. Alsbald ermöglichen die neuen technischen Erfindungen die Umstellung vom Handwerk zur Maschine hin. Ähnlich wie heute, zum Ende des 20. Jahrhunderts, ist eine gewaltige Umgestaltung die Folge: Der Mensch wird weitgehend überflüssig. Die Geschichte lehrt uns, daß es falsch ist, sich gegen den »Zug der Zeit«, gegen die Erneuerungen, gegen die Maschinen zu stellen. Der Fortschritt hat immer das Übergewicht. Dieser schmerzhafte Vorgang beschäftigt unsere Heimatstädte fast das ganze 19. Jahrhundert. Der zweite Band endet mit den Geschehnissen der letzten Friedensjahre vor dem Ersten W elt krieg. Unsere Sprachinsel war zum drittgrößten Textilplatz der Habsbur germonarchie geworden. Besonderer W ert wurde auf die Erfassung allen erreichbaren biographi schen und statistischen Daten- und Zahlenmaterials gelegt, erstmals auch der vorhandenen Biographien der »Herzoge von Bielitz«. Der dritte und letzte Band führt uns dann durch die Jahre der Zwischenkriegszeit und des Zweiten Weltkrieges bis zum bitteren Ende der Vertreibung aus der Hei mat. Düsseldorf, im Januar 1991 Gerhard Wurbs
6
AN DER WENDE ZUM 19. JAHRHUNDERT Österreichs Politik und Aktivität - Das Geschehen östlich von uns - Europa wird unruhig - Das neue Nationalgef Uhl - Die Jahre 1792 bis 1807, Alexander-Josef von Sulkowskis Zeit bis zum Auftreten seines Nachfolgers - Der Kampf geht zu Ende - Aus der Landschaft rund um Bielitz - Die Lasten Österreichs - Haydns Kaiserhymne —Die Jahre 1807 bis 1835, die Zeit Johann-Nepomuks von Sul kowski - Ein namhafter Verwandter
Österreichs Politik und Aktivität 1787 hat sich schon Kaiser Joseph II. mit Katharina II. in der Hafenstadt Cherson getroffen, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Türkei zu beraten; der Krieg brach noch im gleichen Jahr aus. Der neugegründete Hafen Cherson, von Fürst Potemkin angelegt (1778), beherbergte von da an die russische Schwarzmeerflotte. Österreich führt in der Zeit Alexander-Antons und Franz de Paulas von Sulkowski seinen letzten Türkenkrieg. General Laudon erobert 1789 Bel grad und gewinnt den Paß des Eisernen Tores (Alt-Orsowa an der Donau). In der damals aktuellen »Orientalischen Frage« ging es darum, die verwirrten nationalen und religiösen Verhältnisse in der Türkei zu klären. Die Türkei war nicht in der Lage, ihr Staatswesen zu einem modernen umzubauen. Schon 1770 plante bereits Katharina II., mit Joseph II. die Türkei zu teilen. Aufstände in den betroffenen Gebieten veranlaßten die europäischen Mächte, mehrfach einzugreifen. So auch jetzt Österreich, welches unter Generalfeldmarschall Laudon Belgrad besetzen konnte. Am 20. März 1790 war Kaiser Joseph II. gestorben, erst neunundvierzig Jahre alt. Seine letzten Jahre waren von Mißerfolgen und Rückschlägen ausgefüllt, und viele seiner Anordnungen mußten zurückgenommen wer den. Ihm folgte sein Bruder Leopold II., der treffliche Verwalter Toskanas, der auch als Kaiser nicht unbedeutend war. Er beendete den Türken krieg und schloß auch mit Rußland Frieden. Am 1. März 1792 starb Kaiser Leopold II., der in seiner zweijährigen Regierungszeit vieles zu erledigen hatte: Er beendete die Unruhen, die durch Kaiser Joseph II. hervorgerufen waren, verglich sich m it Preußen 1790 in der Reichenbacher Konvention, gab den Türken im Frieden von
7
Sistowa (4. August 1792) die Walachei und Belgrad, beide kurz vorher erobert, zurück und schloß mit dem König von Preußen am 7. Februar 1792 ein Bündnis zur Unterdrückung der Französischen Revolution. Sein ältester Sohn war der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Rei ches Deutscher Nation: Franz II. (1792 bis 1806 als deutscher Kaiser, als Kaiser von Österreich 1804 bis 1835). Seinen Regierungsantritt erlebte Franz de Paula gerade noch in seinem eigenen Todesjahr. (Franz II. kam am 1. März 1792 zur Regierung, Franz de Paula starb am 7. August 1792.) Um die Zeit zu charakterisieren, in welcher unsere Fürsten im Rahmen der Donaumonarchie lebten, seien die militärischen Aktionen in allen Himmelsrichtungen der österreichischen Armee nur kurz skizziert: Am 9. Februar 1788 besetzen die Österreicher Alt-Orsowa im Banat, am 24. April die Stadt Schabatz in Serbien, am 26. August Dubica in Slawo nien, am 1. September erobern österreichische Truppen das türkische Lager bei Gradiska, am 29. September nehmen sie Chocim in Bessarabien, am 3. Oktober nimmt Laudon Novi in Bosnien, und am 31. Juli siegen Prinz Coburg und Suworow bei Fokschany in der Moldau über die Türken und im August bei Ozapar in der Walachei, im September erobert Laudon die Vorstadt und im Oktober Belgrad. Im Mai rücken die Österreicher über die Grenzen von Luxemburg und Namur, am 28. Juli 1790 kämpfen sie in Bulgarien, im September siegen sie über Rebellen an der Maas, und am 12. Januar 1791 erobern sie Lüttich. Ein Chronist schrieb in dieser Zeit, er kenne nur eine einzige Hauptstadt Europas, die von keinem Feind betreten wurde. Es ist dies Petersburg. Und man kann hinzufügen, daß dies bis zum heutigen Tag so geblieben ist. »Paris« - so schrieb er, »ward so gut von den Engländern erobert als London von den Dänen, Berlin von den Österreichern und Russen, Madrid von den Österreichern und Franzosen, Lissabon von den Österreichern und den Spaniern, Krakau, Lemberg, W arschau von den Österreichern, Russen und Franzosen, Stockholm von den Dänen, Kopenhagen von den Englän dern, W ien von Ungarn und Franzosen, Budapest von Türken und Österrei chern, Venedig von den Österreichern und Franzosen, Rom und Neapel von Österreich, Spanien und den Franzosen. So kreuzten sich Siege und Schicksale, Glück und Unglück der Nationen.« Es ist eigenartig, daß diese Zeilen zweihundert Jahre später ihre Rich tigkeit noch immer behalten haben. Damals wie heute: bewegte Zeiten!
8
Das Geschehen östlich von uns Und nun wollen wir uns noch unserem Nachbarn im Osten zuwenden, der verzweifelt um seine Freiheit kämpfte: Polen! Thaddäus Kościuszko (geboren 12. Februar 1746 in Mercezewszczyzna in Litauen), der spätere polnische Nationalheld und Feldherr, war in den Jahren 1777 bis 1783 Adjutant Washingtons in Amerika und kehrte 1783 in seine Heimat zurück. 1789 tritt Fürst Josef Poniatowski aus dem österreichischen Heer aus und nimmt seinen Dienst in der polnischen Armee auf. In den Jahren 1788 und 1789 war er Flügeladjutant Kaiser Josephs II. Mit seinen dort erworbe nen Fähigkeiten reorganisierte er nun die polnische Armee, deren Oberbe fehl er 1792 erhielt. Bei Belgrad war er auch dabei. Im Jahr seines Übertritts erhebt sich Belgien gegen Österreich, und in Frankreich bricht die große Revolution aus. 1792 beginnt ein Vierteljahr hundert großer Kriege. Die polnischen Patrioten um Ignatz Potocki schließen am 19. März 1790 mit König Wilhelm III. ein Bündnis mit dem Ziel, dahin zu wirken, daß - nach Rückgabe von Galizien - Preußen Danzig und Thom zurücker hält. Diesen Vertrag schließt Preußen schon deshalb, um gegen Österreich zu wirken und die polnischen Ambitionen in dieser Richtung zu fördern. Der Vertrag brachte Preußen jedoch nichts ein. Am 3. Mai 1791 erhielt Polen eine neue Verfassung, auf welche König Stanislaus II. August Poniatowski, der letzte polnische König, noch am selben Tag vereidigt wurde. Das Bündnis mit Preußen blieb. Im Juli 1792 verteidigte Kościuszko das Lager Dubienka m it 4.000 Mann fünf Tage lang gegen 18.000 angreifende Russen. Preußen weigerte sich zunächst, seiner Bündnispflicht Genüge zu lei sten, was als Ausgangspunkt der zweiten Teilung Polens anzusehen ist. Erst diese bringt Preußen Danzig und Thom zurück. Polen konnte den Russen statt 100.000 nur etwa 60.000 mittelmäßig bewaffnete Soldaten entgegenstellen. Sie standen unter dem Befehl von Fürst Josef Poniatowski und General Kościuszko. Da von Preußen keine Hilfe kam, mußten die Polen ihren Kampf einstellen, und im nächsten Jahr erfolgte dann auch die vorgenannte zweite Teilung ihres Staates. Etwa zwanzig Jahre nach der ersten Teilung etwa hatte sich eine Bewe gung gebildet, welche die Rechte des Adels beschneiden wollte, und der
9
Adel schloß sich als Abwehrmaßnahme seinerseits zur Konföderation von Targowice (14. Mai 1792) zusammen. Der Adel rief Rußland ins Land, Preußen kam hinzu, und so mußte der polnische Reichstag zu Grodno 1793 die zweite Teilung des Landes bewilligen. Der Aufstand Kosciuszkos schlug fehl, Suworow erstürmte für seine Kaiserin die W arschauer Vorstadt Praga.
Europa wird unruhig In die Zeit Franz de Paulas fällt aber noch ein Ereignis, welches für ganz Europa entscheidend wirkt. Es ist die vorerwähnte Französische Revolu tion: Reich und Arm stehen sich kraß gegenüber. Die Löhne halten mit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten nicht mehr Schritt. Alle Mißstände und Mißverhältnisse werden mit zunehmender Schärfe empfunden, der Geist der Kritik herrscht in der französischen Gesellschaft und beherrscht sie völlig. Reformversuche scheitern an der Opposition des Parlamentsadels, der die derzeitigen Verhältnisse, die Feudalrechte und ständischen Privilegien aufrechterhalten möchte. Der amerikanische Freiheitskrieg, den Frank reich unterstützt, belebt noch die radikalen Tendenzen, eine Industrie- und Agrarkrise am Ende der achtziger Jahre steigert die Unzufriedenheit. Der Glaube an den Fortschritt beflügelt die Neuerungs wünsche. Paris gibt allen Bewegungen stärkste Resonanz. Unruhen entstehen, die Massen stürmen die Bastille, die Expansion beginnt: Am 20. April 1792 erklärt Frankreich Österreich den Krieg. Die »Marseillaise« wird geboren. Die Revolutionsarmee erobert Speyer, Worms und Mainz. Österreich wird bei Jemappes in Belgien geschlagen. Frankreich besetzt Belgien, die »natürli che Grenze« ist die Begründung.
Das neue Nationalgefühl Frankreich glaubte durch die Verwirklichung seines neuen Nationalgefühls der Menschheit am besten zu dienen, und kraft der Geltung, die die fran zösische Sprache in der Diplomatie, den Salons und den wissenschaftli
10
chen Akademien besaß, trat diese Idee ihren Siegeszug durch ganz Europa an. Von den Deutschen übernommen, wurde sie an die kleineren Völker östlich und südöstlich von uns weitergegeben, wo sie eine geistige Revolu tion größten Ausmaßes auslöste, durch die die slawischen Völker beson ders tief erfaßt wurden. Dabei haben die von dem Ostpreußen Herder niedergelegten Gedanken unerwartet zündend gewirkt. Er selbst lernte die Kluft zwischen der deutschen Oberschicht und der nichtdeutschen Unterschicht im Baltenland kennen. A uf diese Weise bil dete sich bei ihm das eigenartige Bild der »gewalttätigen Germanen« und der »friedlichen, aber unterdrückten« Slawen heraus (Stadtmüller). Im »Slawenkapitel« seiner »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« (Riga, 1784-1791) schreibt er auch von dem »Kriegs- und Abenteurervolk der Deutschen«. Was Herder da schrieb, löste unabsehbare Auswirkungen aus. Seine Anschauung, daß die slawischen Völker Träger einer neuen und großen Zukunft seien, hat ihr Selbstbewußtsein unerhört gestärkt, und Herder wurde, ohne es zu wollen, zu einem der Väter der panslawistischen Idee. Ihr geistiges und politisches Erwachen vollzog sich in der ersten Phase auch noch in deutscher Sprache! Erst später wurde dann ihre eigene Sprache und Kultur zum entscheidenden Merkmal ihres Natio nalbegriffs, und ihre Rolle, die sie in Gottes Geschichtsplan einzunehmen hatten, hat ihn sogar noch vielfach mit religiösem Gehalt erfüllt (Stadtmül ler). Diesem nationalen Erwachen stand aber die Stärke des imperialen Machtblockes entgegen. Um das Ende des 18. Jahrhunderts wuchs so schrittweise der militante Nationalismus, dessen Merkmale die Muttersprache als Kriterium der na tionalen Zugehörigkeit und das Recht auf einen eigenen Staat, selbst für das kleinste Volk, waren.
Ein Sohn Herzog Franz’ von Sulkowski: Josef Im Alter von 41 Jahren erhielt Franz von Sulkowski einen Stammhalter. Der 1774 geborene natürliche Sohn erhielt eine sorgfältige Erziehung, im besonderen nahm sich aber Onkel August-Kasimir dieses Jünglings an, der außergewöhnliche Talente in der M athematik und in Sprachen zeigte. Im Alter von fünfzehn Jahren trat er in die polnische Armee ein, verfaßte
11
Flugschriften, worin er für die Selbständigkeit des Landmanns und die Gleichheit aller Stände eintrat. Nach Targowice begibt er sich nach Frank reich, von dort nach Konstantinopel. Er kehrt nach Polen zurück und muß nach Niederschlagung des Auf standes wieder nach Frankreich, zieht mit Napoleon nach Malta und Ägyp ten, kämpft bei den Pyramiden und kommt schließlich bei der Bekämpfung einer Aufständischengruppe in den Außenbezirken von Kairo nach einem Sturz vom Pferd durch die wilde Menge zu Tode. Im Jahr 1832 gab Hortensius de St. Albin die Biographie Josefs von Sulkowski heraus. Titel: »Memoires historiques, politiques et militaires sur les revolutions de Pologne 1792, 1794, la Campagne d ’Italie 1796, 1797, l ’expedition du Tyrol et les campagnes d ’Egypt 1798, 1799« (Paris 1832, A. Mesmer). Eine Übersetzung des Werkes unternahm Ludwig Milkowski und ließ sie mit Sulkowskis Bild 1864 bei J. K. Zupanski in Posen erscheinen. Josef von Sulkowski starb am 21. Oktober 1798 in Kairo, vierzehn Jahre früher als sein Vater. Der Vater war zunächst kinderlos verheiratet mit Marie, Gräfin Strzemecka, die am 13. Januar 1759 seine Frau wurde und im Januar 1770 starb. Wer die Mutter des eben geschilderten Josef war, ist nicht bekannt. Am 3. April 1774 heiratete Vater Franz de Paula ein zweites Mal. Seine Frau wurde Judith Maria von Bazzardi-Montbelli (geboren in Utoschkowitz am 11. September 1756, gestorben am 2. Oktober 1823 zu Wien). Dieser Ehe entsprang Alexander-Josef. Unsere Bielitzer Herrschaft war nun seit dem 7. August 1792, dem Tag, an welchem Franz de Paula unsere Stadt verließ, herrenlos. Das Erbe wird von jetzt ab von Sohn Alexander-Josef verwaltet.
Die Jahre 1792 bis 1807, Alexander-Josef von Sulkowskis Zeit bis zum Auftreten seines Nachfolgers Der Fürst, der Verwalter von Bielitz, österreichischer Major Alexander-Josef kommt schon in jungen Jahren zu den Soldaten und ist (geboren am 1. März 1775 in Warschau) am 24. August 1791 - also schon mit sechzehn Jahren - Unterleutnant im Infanterieregiment Ludwig Frei
12
herr von Terzi. In den folgenden Jahren stand er als Adjutant des Regi mentsinhabers Feldmarschall Terzi in Verwendung, 1793 - also mit acht zehn Jahren - ist er Oberleutnant und im November 1795 bereits als Kapitänleutnant genannt. Ludwig Freiherr Terzi (auch Terzy), k.k. Feldzeugmeister und Kom mandeur des Maria-Theresien-Ordens, zu Görz 1730 geboren, kämpfte im Siebenjährigen Krieg, geriet bei Breslau in Gefangenschaft, kam frei, be lagerte Glatz und wurde in Anerkennung seiner Verdienste Inhaber des 16. Infanterie-Regiments, in welches unser Fürst Alexander-Josef am 24. August 1791 »transferiert« wurde (bis 1796). Nun, 1793 mußte Terzi - 63jährig - mit den in Oberösterreich versam melten Truppen doch noch auf den Kriegsschauplatz in die Niederlande ziehen. Bei der Eroberung von Valenciennes, in der zwar verlorenen Schlacht bei Wattignies-la-Victoire in Nordfrankreich und jener an der Sambre, einem linken Nebenfluß der Maas, in welcher das Terzische Korps vom 10. Mai bis 4. Juni 1794 Rückzugsgefechte erfolgreich überstand, war Sulkowski mit dabei. Im Sommer 1796 wurde unser Fürst zum Infanterieregiment Josef Graf Mittrowski Nr. 40 und am 1. Juli 1798 als Premier-Rittmeister zum Drago nerregiment Andreas Freiherr Karaiczay Nr. 4 (seit 1851 Ulanenregiment Nr. 7) überstellt. Am 1. Februar 1799 kommt er zum Husarenregiment Ott von Bartorkes Nr. 5. Am 5. April 1799 hat er sich bei Magnano, einem Dorf südlich Verona, hervorgetan, als die Franzosen unter General Scherer geschlagen wurden. Am 10. Juni 1799 kommt Fürst Alexander-Josef, zum M ajor befördert, zum Generalquartiermeisterstab; er ist Adjutant von Feldzeugmeister Kray und wird in Armeebefehlen öffentlich gelobt. Es war dies bei den Kämp fen an der Trebbia - einem rechten Nebenfluß des Po - vom 17. bis 20. Juni 1799 und am 18. September 1799, als unter Führung des österrei chischen Generals der Infanterie Michael Friedrich-Benedikt Freiherr von Melas Fossano, eine Stadt in der Provinz Cueno, den Franzosen entrissen und besetzt wird. Am 1. Dezember 1800 verließ Fürst Alexander-Josef das nach Kray benannte Regiment. Paul Freiherr von Kray v. Krajów, k.k. General-Feldzeugmeister und Kommandeur des Maria-Theresien-Ordens, war ein geborener Zipser.
13
Seine Wiege (geb. am 5. Februar 1735) stand in Käsmark, er studierte in Schemnitz und Wien, kämpfte im Siebenjährigen Krieg, im Aufstand in Siebenbürgen, gegen die Türken (1788), in den Niederlanden (1793), bei Neuwied am Rhein (1796), bei Wetzlar, Gießen und Altenkirchen; 1799 in Italien (Legnano, Magnano), Peschiera und Mantua, Novi und Fossano. Ab 1. Dezember 1800 steht er in den Reihen des Dragonerregiments Hercules Herzog von Modena Nr. 5, welches aber 1802 aufgelöst wird. Ab 1. Februar 1802 finden wir Fürst Alexander-Josef im Dragonerregiment Friedrich Fürst Hohenlohe-Ingelfingen Nr. 2 (späteres Husarenregiment Nr. 15, seit 1783). Friedrich-Karl-Wilhelm Fürst Hohenlohe-Ingelfingen, k. k. Feldmar schall-Leutnant aus fränkisch-württembergischem Geschlecht, kämpfte gegen die Türken, in der Rheinarmee und Süddeutschland, wurde Divisio när in Galizien und 1801 erster Inhaber des 2. Dragoner-Regiments, in welches unser Fürst Alexander-Josef am 1. Februar 1802 überstellt wurde. Fürst Hohenlohe-Ingelfingen starb 1815 in Kaschau. Aus den eingesehenen Unterlagen geht über die noch vor unserem Fürsten liegende Zeit nichts mehr hervor. Major von Sulkowski, Offizier des österreichischen Heeres, ist ein tapferer Soldat. Sein Leben steht offen bar auf seinem Höhepunkt, er hat nicht mehr lange zu leben. Die Ursachen, warum in so jungen Jahren sein Leben schon erfüllt war, wissen wir nicht. Der fähige Soldat ist unverheiratet und stirbt mit nur 29 Jahren am 28. Februar 1804 in Wien, im gleichen Jahr, in welchem der deutsche Kaiser aus dem Hause Habsburg, Franz II., sich am 10. August 1804 zum Kaiser von Österreich proklamiert und so das Ende des einstigen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einleitet.
Der Kampf geht zu Ende Seit 1795 gehört das Gebiet jenseits der Białka wieder zu Österreich. Aber vorher hatte Polen noch mit allen Mitteln versucht, seine Freiheit wieder zuerlangen. Am 24. März 1794 beginnt ein blutiger Aufstand der Polen mit einer Proklamation Kosciuszkos auf dem Krakauer Ringplatz. Am 4. April gelingt es den Polen, die Russen bei Racławice (nordwest lich von Krakau) zu schlagen.
14
W enige Tage später, am 17. April, beginnt der Aufstand in Warschau, es folgt die Niederlage der Polen bei Szczekociny. W arschau wird von Russen und Preußen belagert. Am 4. November 1794 erstürmt Suworow die Vorstadt Praga, und Kościuszko gerät verwun det in russische Gefangenschaft. Am nächsten Tag kapituliert Warschau. Am 24. Oktober 1795 erhält Österreich Westgalizien einschließlich Krakau. Im nächsten Monat, am 5. November 1795, dankt der letzte polnische König, Stanislaus II. August Poniatowski, ab. Polen hört auf zu bestehen. Zwölf Jahre dauert es, bis wieder ein eigener Staat gebildet wird, der aber in keiner Weise den Wünschen und Vorstel lungen der Polen entspricht. Davon wird beim Nachfolger unseres Fürsten Alexander-Josef die Rede sein. Zwei Jahre nach der Auflösung des polnischen Staates wird in Paris unter Dombrowski eine polnische Legion gegründet, die nominell im Dienste der mailändisch-lombardischen Republik steht. Dieser Dombrow ski, Johann-Heinrich, ist am 29. März 1755 in Pierszchowice bei Bochnia geboren, diente 22 Jahre im sächsischen Heer, machte 1792 unter Ponia towski den Feldzug gegen Rußland mit, schloß sich 1793 Kościuszko an und verteidigte als General Warschau. 1796 bildete er in Mailand in französischen Diensten eine polnische Legion gegen Österreich, die am 3. Mai 1798 in Rom einzog. Er kämpfte 1799 bis 1800 unter Saint-Cyr und M assena und bildete dann zwei neue polnische Legionen. Er mußte nach dem 15. August 1799 die Belagerung von Serravalle aufheben und sich mit den anderen Truppen zurückziehen. Danach diente er der Zisalpinischen Republik, dem König von Neapel und von 1806 bis 1813 Napoleon. Nach dessen Sturz 1815 von Zar Alexander zum Senator ernannt, lebte er seit 1816 auf seinem Landgut W inogora bei Posen, wo er am 6. Juni 1818 starb. - Ein Leben für die Freiheit seines Volkes und Staates, das aber keine richtige Erfüllung fand. Sein W irken in Italien, der Zeitpunkt und die Örtlichkeiten decken sich mit jenen, die wir bei unserem Fürsten Alexan der-Josef schon erwähnten, nur war Dombrowski auf der Gegenseite zu finden. 1797 wird Kościuszko in die Schweiz entlassen. Beim letzten Versuch der Befreiung Polens wurde Kościuszko prak tisch zum Diktator und siegte über die Russen am 4. April 1794 bei Racla-
15
wice; er verteidigte mit Dombrowski und Poniatowski Warschau, verlor aber schließlich am 10. Oktober 1794 bei Maciejowice gegen die Russen und wurde verwundet gefangen. 1796 von Zar Paul I. freigelassen, lebte er in Amerika, Frankreich und seit 1816 in Solothurn. Sein Leichnam liegt in der Kathedrale zu Krakau, sein Herz im pol nischen Nationalmuseum in Rapperswil. Ihm zu Ehren wurde der nach ihm benannte Hügel bei Krakau aufgeschüttet. Er starb am 15. Oktober 1817 in Solothurn. 1798 und 1799 sind wieder polnische Legionäre in Italien, sind bei der Besetzung von Rom dabei und treffen mitten in Italien auf russische Truppen unter Suworow, dem Sieger von Maciejowice und Praga. Um die Jahrhundertwende erwacht, wie schon gesagt, das National bewußtsein der slawischen Völker, die »Sprachnation« erhob von nun an Anspruch auf einen eigenen Staat. Herder mit seinen Schriften gab diesem Streben einen unerhörten Auftrieb: Die Völker beginnen sich rückzube sinnen! Unsere österreichische Monarchie gelangt in einen unabwendbaren Strudel, aus welchem sie nicht mehr herauskommen sollte. Die Polen beginnen von nun an, eine bedeutende und in vielen Fällen eine entschei dende Rolle in der Wiener Diplomatie zu spielen. W ir werden ihr Wirken, so gut es geht, aufmerksam verfolgen. Das Deutsche Reich hingegen in seiner Zersplitterung geht seinem Ende entgegen. Obwohl der Reichsdeputationshauptschluß zu Frankfurt die Zahl der reichsunmittelbaren Gebiete von 300 auf 36 zusammenfügt, ist der Verfall nicht mehr aufzuhalten. Ein Jahr später (1804) wird der Habsburger Gesamtstaat zum »Kaiser tum Österreich«, und der deutsche Kaiser Franz II. nimmt als Franz I. den Titel »Kaiser von Österreich« an. Im gleichen Jahr, am 2. Dezember 1804, wird Napoleon zum Kaiser der Franzosen gekrönt. Wir wollen uns jetzt noch zu unseren beiden Schwesterstädten selbst hinwenden und die wichtigsten Ereignisse an uns vorbeiziehen lassen. Für Biala ist das Jahr 1799 von besonderer Bedeutung, denn die Stadt wird zur königlichen Freistadt mit eigenem Magistrat erhoben. Die Proto kolle der Bialaer Zunft und die Zunftbücher werden in deutscher Sprache geführt. Die Zahl der Bialaer Meister wird zu dieser Zeit (1800-1810) mit 173 angegeben. Die nunmehrige Freistadt ist damit vom Dominium Kunzendorf-Lipnik getrennt.
16
Es ist Kaiser Franz II., der die in Galizien liegende deutsche Stadt mit der entsprechenden Urkunde ausstattet. Im gleichen Jahr findet man eine ostgermanische Einsprossenfibel (in Spangenform) in Biala, die sicherlich aus einem verwitterten Grab eines Angehörigen des Stammes der Buren oder Vandalen stammen dürfte, die wohl mit Sicherheit in unserer Heimat gesiedelt haben. Das Jahr 1800 scheint für Bielitz der Anfang einer gewissen Blütezeit gewesen zu sein, was sowohl für das industrielle W achstum als auch für das Aufblühen der Kultur galt. Bielitz erwächst zu einer Stadt, wie sie zwi schen Krakau, Brünn und Breslau in dieser Periode wohl nicht zu finden war. Mit 550 Häusern und 4.200 Einwohnern hatte Bielitz in den ange gebenen Grenzen nicht ihresgleichen. Es folgte Teschen mit 527 Häusern und 3.650 Einwohnern. Daneben noch in unmittelbarer Nähe von Bielitz: Altbielitz mit 251 Häusern und 1.337 Menschen und Karnitz mit 132 Häu sern und 907 Menschen, zusammen immerhin ein Komplex von 933 Häu sern und 6.444 Einwohnern für Bielitz und seine angrenzenden Dorfschaften. In Bielitz gab es damals die stattliche Zahl von 520 Tuchmachermeistem, die mehrere tausend Menschen aus der Umgebung beschäftigten und 24.000 Stück Tuch fertigen. Die Wolle kommt aus Galizien, Ungarn und Mähren, Bielitz ist der Anziehungspunkt für dieses Produkt, und die zuständige Zunft hat auch schon ein Zunfthaus. Bielitz mit seinem spezialisierten Gewerbe wird langsam zum Kristallisationspunkt des Großgewerbes, eine Entwicklung, wie sie zur gleichen Zeit in England zu finden war. Dort wurden die Textilmaschinen erfunden, die ihren Weg schließlich auch nach Bielitz finden. 1806 werden die ersten Wollspinnmaschinen bei Traugott Förster am Purzelberg aufgestellt, in Biala sind es die Firmen Hensler, Strezygowski, Wenzelis und die Brüder Thetschel. Für ihre M itmenschen sorgten in Bielitz um diese Zeit noch zwölf Fleischer, neun Bäcker und siebzehn Schuster. Im Jahr 1804 verfertigt der Ordensgeistliche Reginald Kneifei die erste Stadtbeschreibung von Bielitz (die zweite folgt erst 1845—48 von Vetter). Aus dem Bielitzer Raum seien einige Dinge angeführt, die das Leben in unserem Gebiet charakterisieren. Zunächst auf kirchlichem Gebiet:
17
In Bielitz und in den zwölf die Stadt umgebenden Dörfern waren 1.600 Familien mit 9- bis 10.000 Seelen Angehörige der evangelischen Ge meinde. Von 1792 bis 1794 mauert Meister Drachny aus Teschen die Kirche in Istebna. Kurz nach deren Fertigstellung drohte das Gewölbe einzustürzen, ein anderer Meister wurde zur Ausbesserung herangezogen. A uf Kosten Drachnys verarbeitete Maurermeister Welscher aus Mistek neun Zentner Eisen, um die Einsturzgefahr zu bannen. Die Zimmerarbeiten besorgte Andreas Praschiwka aus Kopczyc in Mähren, und mit dem Polier Andreas Rebel aus Teschen gestaltete er den Turm der Kirche. Georg Johann Knobloch aus Neusohl goß 1795 eine Glocke für dieses Gotteshaus. Im Jahr 1800 vollführt Thomas Kozy aus Friedek Holzarbeiten an der Kirche in Riegersdorf, 1801 bis 1802 baute Baumeister Anton Englisch die Kirche in Emsdorf, und im gleichen Jahr vollendete Anton Staudinger die Orgel mit sechs Registern in Matzdorf. Von unserer St.-Anna-Kirche ist bekannt, daß ab 1793 in diesem Gotteshaus keine Messen mehr gelesen wurden. Von etwa dem Jahr 1800 an entwickelt sich in einer Spanne von rund 75 Jahren die Umgestaltung der Bielitzer Textilerzeugung vom kleinen Zunft gewerbe über das Großgewerbe zur modernen Fabrik des Großunterneh mers. Aus dem Jahr 1804 wissen wir, daß die Bielitzer Appretur und das Fär ben so bekannt sind, daß Tausende Stück Tuch aus Mähren zum Färben nach Bielitz gebracht wurden. 1806 kamen die ersten Textilmaschinen in unsere Stadt: Es sind dies der erste Webstuhl und die erste Wollspinnmaschine, die Traugott Förster in seinem Unternehmen am Purzelberg aufstellt. Unsere Stadt bestand nach Aufzeichnungen Reginald Keifels zu dieser Zeit fast ausschließlich aus hölzernen Gebäuden (»Topographie des kai serlich-königlichen Anteils von Schlesien«, Band II, Seiten 126-148). Ohne Ereignisse mit Soldaten geht es auch in der Periode AlexanderJosefs nicht: 1805 ziehen russische Tmppen durch Bielitz gegen Austerlitz unter ihrem General Kutusow und hinterlassen bei ihrer Heimkehr eine sehr starke Typhusepidemie. Es wurde schon an anderer Stelle davon gesprochen.
18
Aus der Landschaft rund um Bielitz Aus unserer nachbarschaftlichen Umgebung erscheint es noch wichtig, darauf hinzuweisen, daß ab 1792 Herzog Albrecht-Kasimir von SachsenTeschen fast das ganze Herzogtum Teschen käuflich in seinen Besitz bringt (bis 1813): 1793 Baumgarten mit Haslach und Parchau, 1795 Krasna mit Mönnichhof, 1798 Drahomischl mit Perstetz, Ochab und Pruchna, 1799 Trzynietz, 1802 Gurek, Riegersdorf und Landek, 1805 Koniakau und Kotzobends; endlich kam auch Friedek wieder in Teschener Besitz. Seit 1793 wurden dem Teschener Kreis noch die Herrschaft Königsberg und die Güter Dobroslawitz, Bresdorf, ein Teil von Hultschin, Barzendorf, Hostialkowitz, Ellgoth, Kobelau, Ober-Pohlanka, Stauding, Stiebnig, Marzinau und Strzebowitz einverleibt. M ehr als 24 Jahre währte der Kam pf zwischen Österreich und Frank reich, wenn auch mit einigen Unterbrechungen. Aber Ruhe trat nicht ein. Unser Land wurde zwar nicht direkt berührt, aber doch in verschiedener Weise in Mitleidenschaft gezogen. Als die Bevölkerung 1793 aufgerufen wurde, zu einem Darlehen, mit viereinhalb Prozent verzinsbar, beizutra gen, tat sie es, ohne viel zu reden. Es war am 21. Dezember 1797, als Johann-Nepomuk Graf von Praschma die Herrschaft Friedek um 900.000 Gulden und 9.000 Gulden Schlüs selgeld an die Tochter Maria Theresias, die Erzherzogin Maria-Christine, und deren Gemahl Albrecht verkaufte. 1799 rief Erzherzog Karl eine böhmisch-mährisch-schlesische Legion ins Leben, und die Chronisten wissen zu berichten, daß sich waffenfähige Männer mit solcher Begeisterung meldeten, daß das Teschener Bataillon schon in vier Tagen vollzählig war. Die Weihe der später gestifteten Fahne fand am 29. August 1802 statt. Der Pate des Bataillons, Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen, wurde durch den Grafen Johann Larisch vertreten, und der anwesende Erzherzog Karl schlug die ersten drei Nägel in den Schaft der Fahne ein. 1805 marschierten wiederum russische Truppen des Generals Kutusow und ein Garderegiment unter dem Befehl von Großfürst Konstantin durch unser Herzogtum. Zu allem Unglück brachen Seuchen aus, die Kranken häuser konnten die Zahl der Betroffenen nicht mehr aufnehmen, so daß die evangelische Schule, die Pfarrgebäude und einige Häuser der Obervorstadt von Teschen beschlagnahmt werden mußten. Mehrere tausend österreichi
19
scher und russischer Soldaten starben an den Folgen der fiebrigen Krank heiten. Als Napoleon in bedrohliche Nähe von Wien kam, verließ ein Teil der kaiserlichen Familie die Stadt und begab sich ins Teschener Land. Die erkrankte Kaiserin weilte in Friedek, die Erzherzogin Marie-Luise in Skotschau, und Herzog Albert und Erzherzog Rainer kamen nach Teschen. Teschen wurde unversehens so etwas wie der Mittelpunkt der österreichi schen Regierung, was zur Folge hatte, daß die Stadt, wenn auch für kurze Zeit, aber doch Sitz der russischen, preußischen und der englischen Ge sandtschaften wurde. Auch der Reichshof, der Hofkriegsrat, die böhmische Hofkanzlei, das »Chifferkabinett«, die Schatzkammer und ein Teil der Garden und der Burgwachen kamen nach Teschen. Nach dem unglücklichen Ausgang der Schlacht von Austerlitz betraten wiederum russische Truppen auf dem Rückmarsch in ihre Heimat unser Land. Getrieben von Hunger und Kälte, kam es zu allerhand Ausschrei tungen gegenüber der Bevölkerung. Erst der Friede von Preßburg vom 26. Dezember 1805 ermöglichte den vielen sicherlich unfreiwilligen Gästen die Möglichkeit zur Rückkehr nach Wien. 1795 kam W estgalizien mit Krakau an Österreich, aber erst nach dem Frieden von Luneville (9. Februar 1801) wurden neue Kolonisationspläne für das uns östlich vorgelagerte Land aufgenommen. Ihr bedeutendster Förderer war der Sieger von Aspern, Hofkriegsratspräsident und Herzog von Teschen Erzherzog Karl. Im nicht weit entfernten Neu-Sandetz wird 1802 die evangelische Ge meinde gegründet, und die Chronisten dieser Tage wissen auch zu berich ten, daß gegen Ende des Jahrhunderts noch viele Deutsche in Krakau zu den ständigen und angestammten Einwohnern gehören. Es wird bis 1793 in Krakau von deutschen Truppen Theater gespielt, denn die meist reichen Deutschen der Stadt sind anspruchsvoll. Als 1795 Krakau an Österreich fiel, war deutsches Theater dort an der Tagesordnung. Vom nördlich von uns gelegenen Oberschlesien sei nur erwähnt, daß 1802 die Königshütte gegründet wurde, 1804 Graf von Reden Bergwerks minister wird und die Dekanate Beuthen und Pleß vom Bistum Krakau an das Bistum Breslau gelangen. 1806, nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt, in welcher Preußen vom französischen Marschall Davout geschlagen wird, betreten polnische
20
Freischärler die Grenzkreise des südlichsten Schlesien, wobei Gleiwitz durch Leutnant von Witkowski gerettet wird. Er zeichnet sich noch einige Male gegen die Polen aus, denen sich auch unser in Słupna weilender Fürst Johann-Nepomuk von Sulkowski angeschlossen hatte. Tamowitz, so wird berichtet, muß eine Plünderung erdulden.
Die Lasten Österreichs Der oberste Fierr unseres Bielitzer Fürsten trat im gleichen Jahr sein Amt an: Kaiser Franz II. hat in der Regierungszeit von Alexander-Josef eine beachtliche Standhaftigkeit und Ausdauer in dieser Zeit schwerster politi scher Rückschläge für seinen Staat an den Tag gelegt. Als er 24jährig seinem früh verstorbenen Vater Leopold II. folgte, sah er sein Reich sofort der französischen M achtpolitik gegenübergestellt, und mit den Koalitions kriegen von 1792-97 und 1799-1801 und den napoleonischen Feldzügen waren auch empfindliche territoriale Einbußen Österreichs verbunden. Er bekundete aber seinen Rang in Europa nachdrücklich durch die Annahme der österreichischen Kaiserwürde als Franz I. im Jahre 1804. Zwei Jahre später sah er aber die Inhaltlosigkeit seiner Würde, immer noch als deut scher Kaiser zu amtieren, ein und zog die Konsequenzen. Das jedoch erlebte Fürst Alexander-Josef nicht mehr. Zwölf Jahre verwaltete Alexander-Josef, der Sohn von Fürst Franz de Paula, anstelle seines Vaters unsere Bielitzer Herrschaft. In dieser eigentlich kurzen Zeit ist Frankreich in Europa vorherrschend, und seine Entschlüsse haben meist weittragende Bedeutung. Seit dem Frieden zu Basel am 5. April 1795, durch welchen Preußen aufhört, Geg ner Frankreichs zu sein, trägt Österreich allein die Last des Krieges gegen Frankreich. Ein Jahr später schlägt Erzherzog Karl von Österreich, ein Bruder Kaiser Franz’ II., die in Bayern eingedrungenen Franzosen bei Amberg und Würzburg (1796), und die Franzosen müssen über den Rhein zurück. Bei Diez, Limburg und am Ehrenbreitstein schlägt er sie und nimmt das ganze rechte Rheinufer, außer Düsseldorf und Neuwied, in Besitz. Kehl, Straßburg gegenüber, wird gestürmt. Aber auch im Allgäu bei Isny, aus den Pässen des Lechtales hervorbre chend, werden die Franzosen bei Füssen und Immenstadt geschlagen.
21
Mit Hilfe der Tiroler siegen die Österreicher in Fleimstal. Trient und Rovereto werden besetzt, die Höhen des Monte Baldo am Gardasee ge nommen. Bei Arcole tobt am 12. November die Schlacht. Wurmser unternimmt einen Ausfall aus Mantua und schlägt das Blockade-Korps. Auch aus Bozen und Neumarkt werden die Franzosen verjagt, und die Truppen Neippergs dringen bis Verona vor. Triest wird am 14. April 1797 genom men. Feldmarschall Kray schlägt die Franzosen bei Legnano und Verona, auch bei Täufers werden sie geschlagen. Am 19. April 1799 fällt Bres cia. Um den 25. April geht die gesamte österreichisch-russische Armee über die Adda, und am 27. April siegt Suworow erneut bei Cassano. Am 28. April 1799 zieht die kaiserliche Vorhut in Mailand ein. Das Schicksal Italiens ist entschieden. Legendären Ruhm erwarb sich in dieser Zeit der russische Heerführer Suworow im zweiten Koalitionskrieg gegen Frankreich, in welchem er 1799 binnen weniger Monate die Franzosen in Oberitalien schlagen, sie zum Verlassen dieses Gebietes zwingen konnte und schließlich mitten im Winter mit seinen Truppen den St. Gotthard überstieg, ohne aber den bedrängten österreichischen Truppen helfen zu können. Peschiera fällt am 6. Mai, die Truppen gehen über den Po, Bologna ergibt sich am 12. Mai den Russen. Am 27. Mai schlägt Suworow sein Hauptquartier in Turin auf. Feldmarschall Ott zieht gegen die Trebbia, drängt am 17. Juni die Franzosen an den Fluß zurück, und am nächsten Tag müssen sich die Franzosen vor den vereinigten österreichischen Truppen über die Trebbia zurückziehen. Alexander-Josef gehörte ebenfalls zu Otts Soldaten. Am folgenden Tag, dem 19. Juni, müssen die Franzosen sich ins Genuesische zurückziehen. Mantua muß sich am 28. Juli Feldzeugmeister Kray erge ben. Der Pole Dombrowski muß die Belagerung von Seravalle aufgeben, die Franzosen ziehen sich in den Apennin zurück. Modena, Ferrara und Ravenna gelangen unter General Klenau in den Besitz der Österreicher. Am 3. November geht Ancona an Feldmarschall leutnant Fröhlich, Coni, die letzte französische Festung, geht an den Für sten Liechtenstein (1. November). Am 12. Mai 1800 besetzen die Österreicher Nizza, am 4. Juni ergibt sich Genua.
22
Am 14. Juni 1800 besiegt Napoleon die Österreicher fünf Kilometer südöstlich von Alessandria bei Marengo. Am 15. August wird bei Novi und am 5. November bei Fossano schwer gekämpft. Seit 1799 führte in Wien die Geschäfte des Außenministeriums Graf Johann Ludwig von Cobenzl, der zwei Jahre vorher die Berücksichtigung Österreichs bei der dritten Teilung Polens erreichte, sich aber erfolglos um die Beteiligung Preußens am scheiternden Zweiten Koalitionskrieg bemüht hatte. 1801, im Frieden von Luneville, mußte er den Rückgang der Macht stellung Österreichs in Deutschland hinnehmen, war aber der Hoffnung, dadurch zu einem Ausgleich mit Napoleon zu kommen, dessen Kaisertum er auch 1804 anerkannte. Man opferte die Interessen des Reiches zugun sten der habsburgischen Hausmacht. Aber Österreich hat das Glück verlassen, und nach all den Anstren gungen muß es schließlich in den Frieden von Luneville einwilligen (9. Februar 1801). In Italien geht alles bis auf Venetien bis zur Etsch verloren. Rußland spricht mit, so daß Preußen und Österreich ausgeschaltet sind, in Deutsch land mitzureden. Das Heilige Römische Reich liegt im Sterben. Der Kaiser selbst hat nichts zu sagen. Maßgebend wird der russisch-französische Ent schädigungsplan vom 3. Juni 1802. Die für die Verhandlungen bestimmte Reichsdeputation stimmt am 25. Februar 1803 im sogenannten Reichs deputationshauptschluß zu. Österreich muß Passau an Bayern und Salzburg an den Großherzog von Toscana abtreten. Würzburg geht ebenfalls an Bayern. Napoleon nimmt den Titel eines Kaisers der Franzosen an, und Öster reich verlangt nur, daß Napoleon dafür der Erhebung Österreichs zu einem Kaisertum zustimmt, die nun am 10. August 1804 proklamiert wird. Am 12. Juli 1806 entsteht der Rheinbund. Sechzehn deutsche Staaten treten aus dem Reich aus und werden Vasallen Frankreichs: das ist das Ende des Reichs! Napoleon fordert, bis zum 10. August befristet, die Nie derlegung der Krone durch Kaiser Franz II. Am 6. August legt dieser sie nieder und erklärt - Herolde verkünden dies von den Altanen der »Kirche am Hof« in Wien - , daß die »reichsoberhauptliche« Würde als erloschen gilt. Nach 842 Jahren ist das Deutsche Reich nun lautlos und allmählich unter dem Druck eines fremden Herrschers zu Ende gegangen. Damals
23
erscheint die Schrift »Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung«. Der Verfasser ist unbekannt geblieben. Die deutsche Zwietracht hat, durch die Rivalität der beiden Großen im Reich, der man größere Wichtigkeit beigemessen hatte, das Reich zu Fall gebracht. Unser Fürst hat diese Entwicklung nicht mehr erlebt, er war schon 1804 gestorben, und sein Vater, der eigentliche Herzog von Bielitz, war bereits 1792 aus unserer Heimat gegangen. Erst am 22. April 1807 folgt ein neuer Fürst in seinem Amt. Werfen wir noch kurz einen Blick zurück auf die Zeit Alexander-Josefs, um darzulegen, welchen schweren Erschütterungen und räumlichen Ver änderungen unser Staat unterworfen war: Hatte unser Österreich in der ersten Teilung Polens rund 80.000 qkm an Landzuwachs zu verzeichnen, waren es nun bei der dritten Teilung im Jahre 1795 52.000 qkm, die dazukamen. Das Jahr 1797, das Jahr des Friedens von Campo Formio, brachte bitere Verluste: die Niederlande und die gesamte Lombardei. Der gleiche Frieden brachte allerdings auch Zuwachs: die Stadt Venedig, Istrien und Dalmatien hinunter bis Cattaro, insgesamt 50.000 qkm. Dann kommt der Friede von Preßburg im Jahre 1805: Venedig, Istrien, Dalmatien und die Inseln gehen an Italien verloren. Burgau, Passau, das Innviertel, Tirol mit Vorarlberg (Hohenems, Tettnang, Argen und Lindau) gehen an Bayern, Vorderösterreich mit dem Zentrum Freiburg geht an Baden. Das ist ein Verlust von 74.000 qkm. Der Zuwachs, den dieser Friede bringt, ist flächenmäßig gering, doch es sind Juwelen, die da Österreich zufallen: Salzburg und Berchtesgaden mit 7.500 qkm und Würzburg mit 5.000 qkm. In die Zeit Alexander-Josefs von Sulkowski fallen aber auch unange nehme Dinge, die unsere W irtschaft schwer beeinträchtigen. Österreich erleidet in ganz kurzer Folge drei Staatsbankrotte, und zwar in den Jahren 1802, 1805 und 1806. 1807 ist Preußen an der Reihe. Es sind Folge erscheinungen des zusammenbrechenden Deutschen Reiches. Verlorene Schlachten und teure Friedens Schlußauflagen bringen die beiden Staaten an den Rand des Abgrundes. Es sind nicht nur, wie man sieht, politische Katastrophen, die sich da ereignen oder anbahnen. Was war doch die Zeit auch unruhig! Die Koalitionskriege 1798 bis 1802, der Friede von Luneville mit seinen gewaltigen Gebietsverlusten,
24
1805 Austerlitz, 1806 Jena und Auerstedt und die Niederlegung der deut schen Kaiserkrone durch Franz II. Das war mehr, als das gesündeste Staats wesen vertragen konnte. Vom 13. November 1805 bis 12. Januar 1806 war sogar die Residenzund Kaiserstadt W ien von den Franzosen besetzt. Und das alles in einer Zeit, in welcher erst 60 Prozent des Festlandes unserer Erde, aber schon 92,1 Prozent der Wasseroberfläche unseres Erdballs erforscht waren (1800).
Haydns Kaiserhymne An ein Ereignis aus dem Jahre 1797 sei hier noch erinnert. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als das napoleonische Frankreich Mitteleuropa bedrohte, verstärkte sich am kaiserlichen Hof zu Wien der W unsch nach einer Natio nalhymne. Auch damals erinnerte man sich an die Zugkraft nationaler Gefühle, es war nicht anders als im Zweiten Weltkrieg, da selbst das kommunistische Rußland in höchster Not zum »vaterländischen« Krieg aufrief. Der Erfolg blieb nicht aus. Zu dieser Zeit stand Joseph Haydn auf dem Gipfel seiner Erfolge und folgte freudig dem Ruf, die Melodie zu einer Hymne, zu einer »Kaiserhymne«, zu schaffen, welche die Vertraut heit eines Volksliedes erlangen sollte. Lorenz Leopold Haschka schrieb den ersten Text. »Gott erhalte Franz, den Kaiser ...« So erklang es am 12. Februar 1797 aus Anlaß des Kaiser geburtstages erstmals bei der Uraufführung des Liedes im Wiener Hof burgtheater zu Ehren des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deut scher Nation, Franz II. Er war damals Kaiser des noch ungeteilten Deut schen Reiches. Dann kam das Jahr 1806, in welchem er seine deutsche Kaiserkrone niederlegte, und von da an wurden die Deutschen Europas von zwei Kaisern regiert: einer saß in Wien, der andere in Berlin. 1835 schuf Grillparzer einen neuen Text: »Gott erhalte unseren Kaiser, unseren guten Kaiser Ferdinand! . . . « 1841 hatte der deutsche Dichter August Hoffmann von Fallersleben der Haydnmelodie sein wunderschönes »Lied der Deutschen« unterlegt: »Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der W e lt. . .« Es war dies ein Text, der bis heute Anliegen jener Deutschen des gesamten Sprachgebietes ist, denen ihr Land »über alles in der Welt« ging, ver
25
bunden durch die gemeinsame Sprache, die uns mit in die W iege gelegt wurde. 1848 änderte Grillparzer den Text: »Gott erhalte unseren Kaiser und in ihm das Vaterland!...« 1854 schuf Johann Seidl, ein Wiener Schriftsteller, einen neuen Wortlaut: »Gott erhalte, Gott beschütze unseren Kaiser, unser L a n d !...« In Wien sang man ab 1919 die Haydn-Hymne mit einem Text von Ottokar Kemstock, in Berlin blieb man beim »Lied der Deutschen«. 1945 trennte man sich in W ien nicht nur staatlich erneut, wie 1806 unter Druck, vom Deutschen Reich, sondern auch von der altehrwürdigen Haydn-Hymne. Diese Haydn-Hymne erklang auch in Bielitz am 12. Februar 1797 bei der Kaisergeburtstagsfeier, wie in allen Theatern Österreichs, zum ersten Mal, damals noch im alten Zunfthaus. Das letzte Mal erklang sie in unseren Heimatstädten 1918, dem Jahr, in welchem die Donaumonarchie zusam menbrach. Unsere Heimat wurde durch den Alliierten Rat von Österreich abgetrennt und fiel an Polen. Die Haydn-Hymne war seitdem von uns nur im Rundfunk zu vernehmen. *
Die wenigen Jahre dieses Abschnittes sind angefüllt mit Ereignissen umwälzendster Bedeutung. Der polnische Staat verschwindet für 123 Jahre völlig von den Landkarten Europas, das Deutsche Reich geht zu Ende, Österreich und Preußen liegen am Boden. Frankreichs Stellung nähert sich dem Zenit, die Nationalbewegungen nehmen ihren Weg. Die Bielitzer Tuchmacher stellen sich um, die Mechanisierung ihres Gewerbes beginnt. Bielitz beschreitet den Weg der Industrialisierung. *
A uf den Plan tritt nun eine Gestalt von besonderer Prägung. Ein Kind seiner Zeit, mit all ihrer Unruhe und ihren ungestillten Träumen. Es ist der zwei Jahre jüngere Bruder Alexander-Josefs, Johann-Nepomuk von Sul kowski. Es sind heiße 28 Jahre, die vor uns liegen!
26
Die Jahre 1807 bis 1835, die Zeit Johann-Nepomuks von Sulkowski Der Fürst und die Familie Seit dem Jahre 1752 haben fünf Fürsten in Bielitz regiert, nun folgt der sechste. Ein sonderbarer Mann, der den höheren staatlichen Stellen aller hand zu schaffen macht und der schließlich die Gnade des Kaisers findet, um wieder Einzug in Bielitz halten zu können. Eine Gnade, die dieser Mann vielleicht gar nicht verdient hat. Fürst Johann-Nepomuk von Sulkowski war am 23. Juni 1777 in Luschwitz bei Posen geboren und trat am 28. Mai 1795 als Expropriis-Kadett in das österreichische Husarenregiment Dagobert Graf Wurmser (seit 1798 Nr. 8) ein, nachdem er vorher durch ein Jahr als Unterleutnant in kronpolnischen Diensten gestanden war. Das Regiment Wurmser trug den Namen eines Mannes - in Straßburg geboren - , der sich in den Jahren 1793 bis 1796 durch militärische Leistungen einen Namen machte. Im Jahre 1796 rückte Sulkowski zum Unterleutnant und am 21. April 1799 zum österreichischen Oberleutnant im gleichen Regiment auf. Am 15. März 1800 erfolgte seine Versetzung zum Inf.-Rgt. »Hoch- und Deutschmeister Nr. 4«, der Traditionseinheit, nach dem Ordensmeister, dem obersten Verwalter der Balleien Österreichs, benannt. Am 16. März 1800 wurde er in diesem Regiment Kapitänleutnant und am 1. Oktober 1800 zum Hauptmann befördert. Am 1. Januar 1802 kam Johann-Nepomuk zum Infanterieregiment Michael Freiherr von Fröhlich Nr. 28. Das Regiment trug den Namen des aus Marburg stammenden Feldmarschall-Leutnants, der sich 1796 im Höllental und 1799 bei Verona, Legnano, Magnano, Fosano und Novi auszeichnete und dafür Inhaber des Inf.-Rgt. Nr. 28 wurde (vormals Wartensleben). Schon am 31. März 1802 quittierte er aber Dienst und Charge und trat am 4. März 1807 als Oberst einer polnischen Einheit in französische Dien ste. Nach Wurzbachs »Biographischem Lexikon« folgte er am 22. April 1812 seinem Vater Franz de Paula, nach Zahradniks »Geschichte von Bielitz« jedoch schon um 1807 in der Herrschaft unseres Herzogtums. Der in Luschwitz bei Posen geborene Johann-Nepomuk Franz von Sulkowski verheiratete sich am 16. Dezember 1806 in Myslowitz mit Luise
27
Freiin von Larisch auf Osiek (dem alten Bretmannsdorf, etwa 24 km nordöstlich von Bielitz). Sie wurde am 17. März 1790 in Bretmannsdorf geboren und war Tochter des preußischen Kammerherrn Carl Freiherr von Larisch auf Osiek und Kopciowitz und der Aloisia von Zborowska aus dem Hause Czwiklitz. Diese von Larisch waren ein altes Adelsgeschlecht irischen Ursprungs, kamen nach Polen und waren von dort nach Schlesien eingewandert. Den Grafentitel soll ihnen König Otto III. schon Anfang des 11. Jahrhunderts verliehen haben. In Schlesien haben sie sich nach dem Besitztum Elguth im Oppelnschen (auch Ellgoth, böhmisch Ligoty, Lhoty) Freiherren von Ellgoth genannt. Später kam noch der Name Karwin hinzu. Die Freiher renwürde wurde mit dem Diplom vom 4. August 1654 durch JohannFriedrich, Herrn auf Karwin im Teschener Fürstentum, Landmarschall und Landeshauptmann zu Teschen - der als »heros ilustris meritis« bezeichnet wurde - , erworben. Eine andere Linie aus Nimmsdorf wurde mit zwei Brüdern, Franz-Josef und Karl-Ludwig, am 2. April 1720 beim k. k. Oberamt in Schlesien als Freiherren bekannt. Ein Franz-Wilhelm war Landesältester von Schlesien und wurde am 24. April 1748 böhmischer Graf. Ein Johann G raf Larisch war 1820 Landeshauptmann des Fürstentums Teschen und m it Anna von Mönnich verheiratet. Ihr gemeinsames Wappen erhielten sie durch das kaiserliche Diplom vom 27. Januar 1791 (mähr.-schlesisches Incolat). Das böhmische datiert schon vom 15. Juli 1780. Ein weiterer Franz von Larisch stellte ein ungarisches InsurektionsKorps in Schlesien auf und war Landeskommissär, zuletzt Landesältester des Fürstentums Teschen. Er wurde für seine Verdienste in der Zeit der Preußeneinfälle mit dem Diplom vom 24. April 1748 in den Grafenstand erhoben. Unsere Fürstin Luise-Josefine-Barbara, geborene von Larisch, heiratete am 4. Oktober 1806. Sie wurde am 3. März 1848 auf Schloß Słupna bei Myslowitz ermordet.
28
Das Schloß Słupna und Myslowitz Słupna ist durch die Schicksale der Familie von Sulkowski berühmt ge worden, in deren Besitz sich das Schloß in den Jahren 1803 bis 1852 befand, deren Oberhaupt Johann-Nepomuk war und dessen Frau Luise, geborene Freiin von Larisch, am 3. März 1848 meuchlings ermordet wurde. Ihr jüngerer Sohn Maximilian kam 1848 beim Zeughaussturm in Wien zu Tode. Das Schloß liegt am östlichen Ende des Dorfes Słupna auf dem hohen, stark vorspringenden Pschemsa-Ufer, von wo aus man nach rechts und links freien Blick ins Tal genießt. Es ist ein hölzernes Parterre-Gebäude, dessen westlicher Flügel in gemauerter Bauweise ausgeführt wurde. Słup na liegt südlich der Stadt Myslowitz. Der Enkel Johann-Nepomuks, Ludwig-Johann-Nepomuk, trennte sich wieder von diesem Besitz. Die Stadt, in deren Kraftfeld das Schloß lag, hatte 1316 Stadtrechte erhalten und war ab 1483 Besitz des Teschener Herzogs. Bis dahin gehörte es zum Herzogtum Troppau-Ratibor. 1517 kam es an Alexander Thurzo. 1679 bis 1839 war es Besitz der Mieroschewski und ging dann an den preußischen Handelsherrn F. Wink ler über. Seit 1802 entstanden hier, durch die preußische Verwaltung begünstigt, die ersten großen Öfen, und 1846 erhielt Myslowitz auch Bahnanschluß. Im nahen Słupna kam die Herrin von Bielitz zu Tode. Nach ihr ist unser schönes Tal an der Quelle des Lobnitzbaches benannt. Das Luisental ist uns allen noch in lebendiger Erinnerung, aber kaum ein braver Bielitzer dürfte gewußt haben, daß die Namenspatronin dieses stillen Waldtales auf Schloß Słupna ihr Ende fand. Die Polen haben nach dem Ersten Weltkrieg dem Tal einen anderen Namen gegeben.
Ein namhafter Verwandter Unter Poniatowski focht auch ein Neffe des Gründers der Bielitzer Herr schaftslinie der Sulkowskis, der Sohn des Gründers der preußischen Linie mit Namen Anton-Paul, zunächst als 25jähriger General bei der Einnahme von Moskau mit und 1813 als Divisionsgeneral bei Leipzig. Nach dem Tod von Poniatowski wurde Anton-Paul von Sulkowski, obwohl der jüngste
29
unter den polnischen Generalen, von Napoleon zum Kommandanten der polnischen Armee ernannt, die ihn auch bis an den Rhein begleitete, dann aber in die Heimat zurückkehren wollte. Die polnischen Soldaten waren jedoch anderer Meinung, sie wollten an der Seite Napoleons verbleiben. So war Sulkowski gezwungen, die Armee zu verlassen, und begab sich nach Warschau. Später stieg er in Preußen noch bis zum Mitglied des Provin ziallandtages auf, wurde dessen Landmarschall und schließlich Mitglied des preußischen Staatsrates. Der einstige Generaladjutant des Zaren Alex ander I., polnischer General und preußischer Staatsrat, starb im Alter von 51 Jahren.
30
DAS 19. JAHRHUNDERT Der größte Zeitgenosse: Napoleon - Das Geschehen im deutschen Sprachraum Das Ende des Reiches - Dem Wiener Kongreß entgegen - Auschwitz und Neustadt/Zator kommen zum Deutschen Bund - Die Aufrechterhaltung des Systems — Der große Mann in Wien —Das Hambacher Fest —Der Deutsche Zollverein Der Widerspruch - Blick nach Osten - Der Aufstand - Die deutsche Polen begeisterung-Der sächsische Herzog in Saybusch-Die Habsburger in Saybusch - Eine Bielitzer Gründung in Saybusch - Das technische Jahrhundert beginnt Die neue Technik in Bielitz —Was in den kirchlichen Gemeinden geschah - Blick über die Białka: Biała und östlich davon - Das Auf und Ab dieser Epoche Die Einheitsbewegung und der Deutsche Bund - Der Verlauf der Revolution in Österreich - Blick auf das Land an der Białka —Der Strukturwandel dieser Zeit - Unsere Textilindustrie - Einige Bielitzer Gründungen - Uber Schulen und kirchliche Belange - Kurzer Blick nach Biala - Über die Juden - Das Wappen Wilmesau - 1866: Der Bruderkrieg in Bielitz-Biala - Die Nachbarn nördlich der Weichsel - Durch Ostschlesien (1868) - Ein Blick in die Verwaltung unseres Kronlandes - Die Land- und Forstwirtschaft in unserem Land - Die Fischzucht I)ic Schafzucht - Die Pferdezucht — Die Flußregulierungen —Eisenbahnen in unserem Ländchen - Industrie und Bergbau seit 1742 —Der »letzte Monarch« alter Schule - Unser Land um 1840 - Europas Einigung wird angestrebt - Armes Österreich - Der Sozialismus - Staatslenker im Sturm - Die Beschwerde der schlesischen Stände —Der Wechsel in der schlesischen Verwaltung - Unser Kronland Österreichisch-Schlesien in Zahlen - Das Schulwesen - Die Judikatur der obersten Gerichte-Bielitzer Nachrichten-Die Umstellung auf das metrische System - Unsere Wirtschaft -Zusammenfassung 1835 bis 1879-Erfindungen und Entdeckungen der Jahre 1880 bis 1889 —Die Eisenindustrie in unserem Staat Das Bankwesen - Die Lenker unseres Staatswesens
Der größte Zeitgenosse: Napoleon Einer der größten Herrscher in Europa war gleichfalls Zeitgenosse JohannNepomuks von Sulkowski. Schon unter seinem Vorgänger hatte Napoleon den ruhmvollen Italienfeldzug absolviert, mit dem Papst Frieden und mit Österreich einen Waffenstillstand geschlossen. Das Jahr 1798 sah ihn in Ägypten als fast souveränen Herrn, und in den Jahren 1799 bis 1804 voll brachte er seine bedeutendsten und dauerhaftesten Leistungen. In Lune-
31
ville schloß er am 9. Februar 1801 Frieden, dann folgten die siegreichen Feldzüge in Deutschland: 2. Dezember 1805 Sieg bei Austerlitz, im Juli 1806 Errichtung des Rheinbundes, 14. Oktober 1806 Sieg bei Jena, am 21. November 1806 verkündet er von Berlin aus die Kontinentalsperre, und 1807 folgt die Allianz mit dem Zaren Alexander I. Schon längst wirkt das bonapartische Modell einer modernen konsti tutionellen Monarchie kaum nachahmenswert, sondern als schändliche Fremdherrschaft. Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein in Preußen und Erzherzog Karl in Österreich waren die Kristallisationspunkte eines deut schen Nationalgefühls von modemem Zuschnitt. In großem Stil allerdings brach die Revolte unter den Deutschen aber erst durch, als Napoleon im Winter 1812 geschlagen aus dem winterlichen Rußland zurückkehrte. Das französische Imperium, das sich von Lübeck bis Dalmatien aus dehnte, brach militärisch zusammen, als Österreich und Preußen, die von Napoleon 1805, 1806 und 1809 zwar gedemütigt und verstümmelt, aber am Leben gelassen worden waren, die Allianz mit England und Rußland schlossen. Vom 16. bis 19. Oktober, nach der Schlacht bei Leipzig, begann die Vertreibung Napoleons aus Deutschland, am 31. März 1814 besetzten die Verbündeten Paris. Am 18. Juni 1815 schloß das Intermezzo der »Hundert Tage« mit der verlorenen Schlacht bei Waterloo und besiegelte Napoleons Sturz. A uf St. Helena starb er sechs Jahre später. Dieser Despot schlug auch den Fürsten von Bielitz in seinen Bann und trieb ihn auf den Unrechten Weg gegenüber seinem Kaiser.
Das Geschehen im deutschen Sprachraum Bielitz, obwohl am Rande des Reiches und Sprachraumes gelegen, war aber schon allein durch seine Industrie sehr hellhörig für politische und kulturelle Vorgänge jenes Gebietes, zu welchem es gehörte, und das war: der weite deutsche Raum. Immer mehr tritt in ihm die dualistische Struktur zutage, immer mehr nimmt die Kraft der zwei großen deutschen Staaten zu, und immer mehr nehmen sie gegeneinander Stellung, immer mehr fällt das alte Reich auch völklich auseinander: Seit 1806 gibt es immer deutlicher Preußen im Norden und Österreicher im Süden des Sprachraumes, deren Herrscher häuser ihre Hausmacht zunehmend verstärken, zum Schaden des Gan-
32
zen. Aber immer noch flackern Versuche auf, die tragische Trennung abzuwenden. Kleindeutsche Fürsteninteressen stehen gegen gemeinsame V olkserfordemis se. Die Verwaltung des Deutschen Reiches lag seit dem 17. Jahrhundert in den Händen des Reichstages. Mit der Urkunde, die sich »Jüngster Reichs abschied« nannte, vom 17. Mai 1654 wurden die Verhandlungsergebnisse des letzten in Regensburg verabschiedeten Reichstages niedergelegt, und von da an tagte der sogenannte »Immerwährende Reichstag« in Permanenz im alten Regensburg bis zum Jahr 1806. Von da an gab es keine Sitzungen m e h r - b is 1867. Das Führungsorgan der deutschen Lande war nach der Auflösung des alten Deutschen Reiches die Bundesversammlung geworden. Diese war das Organ des Deutschen Bundes, zusammengesetzt aus Gesandten (Be vollmächtigten) der verbündeten Regierungen. Den Vorsitz hatte Öster reich durch den Bundespräsidialgesandten. Dieser durch die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 gestiftete Staatenbund hatte den Sinn, die innere und die äußere Sicherheit der Teilnehmerstaaten zu gewährleisten, und setzte sich aus 34 (zuletzt 31) monarchistischen Staaten und vier Freien Städten zusammen. Nicht dabei waren: Ost- und Westpreußen, Posen, Schleswig, ElsaßL othringen- dagegen aber die deutschen Kronlande Österreichs: Liechten stein und Luxemburg-Limburg. Unsere Heimat gehörte als Teil des öster reichischen Kronlandes Schlesien auch dazu. Bestätigt durch die kaiser liche Akte vom 8. Juni 1820, gehörten auch die ehemals schlesischen Herzogtümer Auschwitz und Neustadt/Zator zum Deutschen Bund. Der dauernde Bundestag, zusammengesetzt aus den Gesandten der Bundesstaaten, wurde am 5. November 1816 eröffnet und hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main. Zur Vervollständigung der erstellten Bundesakte diente die vorhin erwähnte und zum Bundesgesetz angenommene Wiener Schlußakte. Das Bundesheer bestand aus zehn Armeekorps, wovon Öster reich und Preußen je drei stellten, die anderen kleineren Staaten nur ein zelne Divisionen, wie z. B. Bayern. Am 30. Oktober 1834 wurde ein Bundes Schiedsgericht ins Leben ge rufen. Inzwischen hatten aber schon 1819 vorbereitende Gespräche über einen preußisch-deutschen Zollverein stattgefunden, der dann auch am 1. Januar 1834 gegründet wurde. 1835 treten Baden und Nassau hinzu. Das war also schon eine unter nur gewissen Mitgliedsstaaten, unter Ausschluß
33
Österreichs, geschlossene Vereinbarung, welche den deutschen Dualismus stark vertiefte. (Später folgen als Mitglieder: Frankfurt [1836], bis 1888 schließlich als letztes Hamburg beitritt.) 1804 hatte sich der deutsche Kaiser die österreichische Kaiserwürde zugelegt, was etwa als Ersatz für die durch Frankreich eingeleitete Auflö sung des Deutschen Reiches zu werten war. Das Jahr 1806 war für das ganze deutsch besiedelte Gebiet Europas von tiefgreifender Bedeutung.
Das Ende des Reiches Am 1. August 1806 forderte Napoleon ultimativ Kaiser Franz II. auf, die deutsche Kaiserkrone niederzulegen, da Frankreich das Reich nicht länger anerkenne, und bereits fünf Tage später, am 6. August, erklärte Kaiser Franz II. das Amt eines deutschen Kaisers für erloschen, was auf die führenden Schichten des Reiches keinerlei Eindruck mehr machte. Das Reichsbewußtsein hatte schon stark gelitten. Herolde verkündeten an diesem Tage von den Altanen der Kirche am Hof »Zu den neun Engelschören« im ersten Bezirk von Wien das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Diese Kirche Wiens, baulich ein Meisterwerk des Frühbarocks, deren Schöpfer nicht ganz eindeutig festgestellt wurde, war schon einmal Schauplatz eines beson ders feierlichen Aktes: Es war im Jahr 1782, als Papst Pius IV. von eben diesen Altanen aus seinen Segen erteilte. Er war nach Wien gekommen, um Kaiser Joseph II., allerdings erfolglos, von der Durchführung seiner Kirchenreformen abzubringen. Es folgen Schläge auf Schläge: Am 14. Oktober wird Preußen bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen - es ist das Ende Preußens - , Napo leon rückt nach Polen ein und hatte vorher, am 24. Oktober, Berlin besetzt, wo er bis zum 1. Dezember 1808 bleibt. Am 21. November 1806 verhängt er von Berlin aus die europäische Kontinentalsperre. Das Jahr 1807 ist nicht besser: Im Februar kämpft Napoleon gegen Preußen und Russen bei Preuß.-Eylau, am 6. Juni findet eine Unterredung von Königin Luise mit Napoleon statt, und Friedrich-Wilhelm III. von Preußen und Alexander von Rußland treffen sich mit Napoleon. Am 14. Juni siegt Napoleon bei Friedland über Russen und Preußen. Auf der Seite der Franzosen kämpfen
34
nicht weniger als 30.000 Polen. Am 21. Juni unterzeichnet Alexander I. in Tauroggen den Waffenstillstand, und vom 7. bis 9. Juli raubt der Friede von Tilsit Preußen die Hälfte seines Gebietes. Das Land ist von 150.000 Franzosen besetzt. Preußen wird von Rußland preisgegeben. Es ist keine Großmacht mehr. Polen fällt praktisch an Sachsen. Am 9. und 10. Oktober treffen sich Napoleon und der Zar in Erfurt und schließen ein Bündnis. Nun geht Napoleon gegen Österreich vor, siegt bei Regensburg, und am 3. Mai 1809 ergibt sich Wien nach dreitägiger Beschießung durch die Franzosen, die Wien bis zum 14. Oktober 1809 besetzt halten. Napoleon selbst zieht am 13. Mai in Wien ein. Aber schon am 21./22. Mai 1809 erleidet er seine erste Niederlage überhaupt. Es ist Erzherzog Karl, der ihn bezwingt. Am 5./6. Juli 1809 siegt wiederum Napoleon bei W agram über den Erzherzog. Österreich verliert 24.000 Mann, die Franzosen etwa die gleiche Zahl. Dem Waffenstillstand von Znaim (12. Juli 1809) folgt der Friede von Wien (14. Oktober 1809). Nach dem Frieden von Preßburg (1805) war Johann Phillip Graf von Stadion österreichischer Außenminister geworden und bemühte sich um die Stärkung Österreichs, der Zentralverwaltung, des nationalen Schul wesens, des W irtschaftslebens. Mit Erzherzog Johann betrieb er die Volks bewaffnung, die die Grundlage für einen Nationalkrieg gegen Napoleon werden sollte. Aber Stadions Hoffnung, Österreichs deutsche Erhebung von 1809 werde sich zum allgemeinen deutschen Aufstand ausweiten, ging nicht in Erfüllung. Preußen machte nicht mit, und Erzherzog Karl stimmte nur widerwillig einer offensiven Kriegsführung zu. Im April 1808 wird mit zündenden Aufrufen Napoleon der Krieg er klärt. Erzherzog Ferdinand von Este, österreichischer Feldmarschall, zieht mit 36.000 Mann durch unser Land gegen das Großherzogtum Warschau und suchte vergeblich die Polen zum Aufstand gegen Napoleon zu bewe gen. Er stößt mit ihnen bei Raszyn zusammen, besiegt sie und besetzt Warschau und Thom. Durch den Aufruhr in Galizien muß er schließlich Warschau räumen. Zwischen ihn und die Polen schieben sich russische Streitkräfte, er muß bis nach Mähren aus weichen und Teile von Galizien mit Krakau dem nachrückenden Poniatowski überlassen. 1809 wird er als Führer eines Teiles der Napoleonischen Armee in den Tuchhallen von Krakau feierlich begrüßt. Die Niederlage von Wagram 1809 führte zum Sturz Stadions. Das Ausscheiden Österreichs aus Deutschland war offensichtlich schon 35
eingeleitet. Im Frieden von Schönbrann-Wien mußte Österreich schwere Landverluste hinnehmen: Tirol-Vorarlberg, Salzburg, Berchtesgaden so wie das oberösterreichische Inn- und Hausruckviertel gingen an Bayern, Görz, Monfalcone, Triest, Krain, die istrischen Enklaven, der Villacher Kreis, Kroatien, Fiume und Litorale gingen an Frankreich, W estgalizien und der Kreis Zamosc an das Großherzogtum Warschau, Ostgalizien ohne Brody an Rußland und die böhmischen Enklaven in der Lausitz an Sach sen. Das waren zusammen 115.000 Quadratkilometer wichtigen Landes mit drei Millionen Einwohnern, die da verlorengingen. Die Grenzen Öster reichs waren wieder unmittelbar an unsere Heimat herangerückt. Krakau kommt bis 1815 zum Großherzogtum Warschau und wird dann bis zum 16. November 1846 Freie Stadt, von da an gehört es zu Österreich. Österreich hat also seinen Zugang zum Meer verloren und muß zu allem Überfluß noch eine Kriegsentschädigung von 85 Millionen Franken be zahlen. Die finanzielle Belastung des österreichischen Staates ist so groß, daß er 1811, völlig bankrott, die Zahlungen einstellt. Preußen ereilte dasselbe Schicksal schon 1807 und ein zweites Mal 1813. Österreich teilt das Unglück noch öfters. Außer 1811 stellte der Staat noch 1802, 1805/06 und 1816 die Zahlungen ein. All das hat auch unsere Heimat auf das stärkste betroffen. Aus staatspolitischen Gründen heiratet am 1. April 1810 Napoleon die Tochter des Kaisers Franz II., Maria-Luise. Im Jahr 1811 befindet sich Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht. Der deutsche Sprachraum ist von Frankreich vollkommen in Besitz genommen. Im Frühling 1812 kommt es zum Bruch zwischen Frankreich und Rußland, was zur Folge hat, daß Napoleon sich nun gegen Osten wendet. Die geschlagenen deutschen Staaten Preußen und Österreich müssen Hilfs truppen bereitstellen: Preußen 20.000 Mann (unter Yorck und M assen bach), Österreich 30.000 Mann unter Schwarzenberg. Insgesamt ziehen 650.000 Mann nach Rußland. Auch 75.000 Polen sind dabei, wovon 35.000 ein geschlossenes Korps unter Poniatowski bilden. Im Juni 1812 setzte sich das österreichische Hilfskorps von Lublin aus in Bewegung, am 12. August schlug es bei Podubnie den russischen Gene ral Tormassow. Im September wird Moskau besetzt, am 19. Oktober beginnt jedoch der 36
Rückzug mit der nachfolgenden völligen Auflösung der Riesenarmee. Am 19. Dezember 1812 trifft der geschlagene Napoleon wieder in Paris ein. Nach der Katastrophe an der Beresina zog sich das Korps auf Białystok zurück und ermöglichte durch die Deckung Warschaus die Organisation der polnischen Truppen durch Poniatowski. Schwarzenberg selbst zog sich nach Krakau zurück. Der preußische General Ludwig G raf Yorck von Wartenberg ist es, der den kühnen Entschluß faßt, ohne Ermächtigung durch seinen König, ganz aus persönlicher Verantwortung, eine Konvention über die Neutralisierung der preußischen Truppen mit dem von Clausewitz beratenen russischen General Diebitsch - übrigens in Großleipa in Schlesien geboren - abzu schließen. Diese am 30. Dezember 1812 in der Poscheruner Mühle bei Tauroggen vollzogene Konvention gab den Anstoß zur Befreiung Preu ßens vom französischen Joch. Seit 1806 aber erhielten die Begriffe wie Treue, Ehre, Volk und Boden eben in dieser größten Erniedrigung einen neuen tiefen Sinn. Das Er wachen der deutschen Einheitsbewegung vollzieht sich am Widerstand gegen die Fremdherrschaft, ihrer Kräfte und ihrer Ideen. Während die Erhebung im österreichischen Raum 1809 scheiterte, ging sie im nord deutschen Raum in stürmischer Bewegung weiter. Die Nachricht vom Abschluß einer deutsch-russischen Konvention ist das Signal zum Befrei ungskampf, und 1813 stellt sich das durch Reformen verjüngte Preußen an dessen Spitze. In die Regierungszeit Johann-Nepomuks von Sulkowski fiel auch die unglückliche Gestalt Andreas Hofers, der 1809 an der Spitze seiner Bau ern, eben im Jahr der deutschen Erhebung, gegen die französischen und bayrischen Truppen in einer Reihe von Gefechten am Berg Isel antrat. Trotz Amnestierung durch die Franzosen führte er weiteren Widerstand aktiv durch. Verraten und verhaftet, wurde er 1810 in Mantua erschossen. Als legendäre Gestalt und Symbol des deutschen Freiheitswillens ging dieser Mann in die Geschichte ein. Nach diesem Abstecher in den Süden kehren wir wieder nach den nördlichen Gebieten zurück. Ein denkwürdiger Tag in dieser Periode ist auch der 13. März 1813. Nachdem am 5. Februar in Königsberg der Entschluß gefaßt wurde, das Volk zu bewaffnen, stiftete König Friedrich-Wilhelm III. am Tag des Geburtstages seiner verstorbenen Gemahlin Luise, dem 10. März, im 37
Stadtschloß zu Breslau die Auszeichnung des »Eisernen Kreuzes«. Mit seinem Aufruf »An mein Volk!« ergingen die Befehle, den Kampf um die Freiheit einzuleiten. Siege und Niederlagen wechseln ab, bis es vom 16. bis 18. Oktober zur Völkerschlacht bei Leipzig kommt. Die Truppen der Verbündeten werden von Schwarzenberg geführt. Mit Napoleon und gegen die vereinigten Deutschen und Russen kämpfen 20.000 Polen unter Poniatowski. Fürst Josef Poniatowski (geboren am 7. Mai 1763 zu Warschau) war von 1788 bis 1789 Flügeladjutant Kaiser Josephs II., ging dann nach Polen und war 1792 Oberbefehlshaber der polnischen Truppen. Das Amt legte er nach dem Übertritt König Stanislaus’ II. Poniatowski zur Konfödera tion von Targowice nieder. 1794 verteidigte er Warschau gegen die Preußen und ging nach dem Fall der Stadt nach Wien. Zur gleichen Zeit kämpften polnische Legionen unter Dombrowski in Mailand. 1807 war Poniatowski wieder in Warschau als Kriegsminister tätig. 1812 befehligte er das polnische Armeekorps im Dienste Napoleons in Rußland und wurde im folgenden Jahr bei Leipzig von Napoleon wegen der Verteidigung von Connewitz (südl. von Leipzig) zum Marschall von Frankreich ernannt. Kurz darauf ertrank er bei der Sprengung der Elster brücke im Fluß. Schwarzenberg und Poniatowski verband seit dem Jahr 1786, als sie beide gegen die Türken fochten, ein freundschaftliches Verhältnis; nun bei Leipzig standen sie sich gegenüber. Poniatowski verließ hier das Glück.
Dem Wiener Kongreß entgegen 1814 dankte Napoleon ab, kehrte kurz wieder, und bei Waterloo sinkt der Stern Napoleons für immer. Der Nationalismus der Völker ist und bleibt aber erweckt. Im Jahr 1815 bedrohen die Polen durch einen Aufstand praktisch den Bestand des preußischen Staates. 200 polnische Adelige aus den preußi schen Gebieten beteiligen sich an dem Aufstand, und die häufigen Deser tionen von Polen aus der preußischen Armee zur polnischen Nationalarmee zeigen, daß ihr Nationalgedanke stärker als der preußische Staatsgedanke war. Die deutsche Anteilnahme für den polnischen Freiheitskampf trat nun 38
in Gegensatz zur preußischen Politik in den polnischen Gebieten Preußens, was die inneren Fronten nur radikalisierte. 1817 wird das W artburgfest der Deutschen Burschenschaft abgehalten, 1819 folgen die Karlsbader Be schlüsse, 1820 die Wiener Schlußakte. Der Mißerfolg hatte eine Änderung der inneren Politik zur Folge, die von Staatskanzler Metternich bis 1848 zwar glänzend, aber letzten Endes doch verhängnisvoll geführt wurde. Der geborene Koblenzer war ab 1801 Gesandter des Kaisers in Dres den, Berlin, Paris und wurde nach Wagram 1809 Außenminister in Wien. Er schloß einen Vertrag mit Frankreich, unterhielt aber heimliche Kontakte zu Rußland. Verhandelte mit Napoleon neun Stunden lang in Dresden und entschied sich dann gegen Frankreich. Am 11. April 1814 verhandelte er in Paris den Thronverzicht Napoleons und dessen Überführung nach Elba, Unterzeichnete für die Verbündeten den Frieden von Paris (30. Mai 1809). Am 8. Oktober 1814 eröffnete er den W iener Kongreß, dessen Vorsitz er führte. Am 26. September 1815 schloß er die Heilige Allianz. Zur höchsten Macht gelangt, bekämpfte er jede freiheitliche Bewegung auf den verschiedensten Kongressen (in Karlsbad 1819, Troppau 1820, Lai bach 1821 und Verona 1822). Seit 1821 war er Haus-, Hof- und Staats kanzler Österreichs, ab 1826 Vorsitzender der Ministerkonferenz für die inneren Angelegenheiten, hatte die oberste Leitung des gesamten Staates. Seine Politik erweckte aber den Haß des deutschen Volksteiles in Deutschland und Österreich, und er erhielt nach der Thronbesteigung Kaiser Ferdinands I. in dem reformfreudigen Grafen Kolowrat innerhalb der Konferenzen einen entschiedenen Gegner (1835). 1814 tritt der W iener Kongreß zusammen. Österreich erhielt zur Lom bardei noch Venetien und Dalmatien, das Haus Habsburg-Este erhielt Modena, Erzherzog Ferdinand von Österreich die Toskana. Der bis 1815 in W ien tagende Kongreß trifft auch Entscheidungen, die unsere Heimat berühren, um Europa neu zu ordnen. Krakau wird zur Freien Stadt erklärt, deren Gebiet von 1.100 qkm unter dem Schutz von Öster reich, Rußland und Preußen steht. Ihr Gebiet liegt nördlich der Weichsel und hat im Norden die gleiche Grenze, die später als galizisch-russische Grenze bis zum preußisch-schlesischen Gebiet hin verläuft. Das übrige Herzogtum W arschau steht als Königreich Polen unter dem Zepter von Zar Alexander I. von Rußland. Galizien kommt an Österreich und erhält 1817 eine eigene ständige Vertretung. 39
Auschwitz und Neustadt/Zator kommen zum Deutschen Bund Der Deutsche Bundestag trifft bezüglich der Zugehörigkeit der einzelnen deutschen Landesteile des früheren Reiches neue Entscheidungen. Im Süden gehört das gesamte Tirol einschließlich der italienischsprachigen Gebiete um und südlich von Trient dazu, im Norden Böhmen, M ähren und unser kleines Schlesien, das bei Österreich blieb. Von besonderer Bedeutung für unser Land rechts der Białka ist, daß die Deutsche Bundesversammlung 1818 beschließt, daß das Gebiet der alten schlesischen Herzogtümer Auschwitz und Neustadt/Zator von nun an zum Deutschen Bund gehört. Das ist für Biala und sein Hinterland von Bedeu tung. Die dokumentarisch untermauerten Tatsachen bezüglich der Zugehö rigkeit von Auschwitz und Neustadt/Zator zum Deutschen Bund werden vom Österreichischen Staatsarchiv wie folgt dargestellt: Durch die Bun desakte vom 8. Juni 1815 wurde bestimmt, daß der Kaiser von Österreich für »seine gesamten vormals zum Deutschen Reich gehörenden Besitzun gen dem Deutschen Bunde beitrete«. Darauf beziehen sich zwei Vorträge Metternichs vom 5. und 29. März 1818 (Haus-, Hof- und Staatsarchiv: Staatskanzlei, Vorträge). Eine kaiserliche Entschließung hierzu stammt vom 29. März 1818. Bei Auschwitz-Neustadt/Zator ging es darum, beide Herzogtümer als böhmisch-schlesische Gebiete auf dem Bundestag vertreten zu lassen, sie aber administrativ bei Galizien zu lassen. Eine genaue Umschreibung der dem Deutschen Bund zugehörenden Gebiete des österreichischen Kaiserstaates erfolgte durch eine Erklärung des österreichischen Bundestagsabgesandten in Frankfurt, Johann-Rudolf Graf Buol-Schauenstein, am 6. April 1818 (abgedruckt bei Philipp Anton Meyer - Heinrich Zoepfl, Corpus iuris confederationes Germaniae 2,1859, 62 f.). Der entsprechende Absatz 11 lautet: »der österreichische Antheil an dem Herzogthume Schlesien, mit Inbegriff der Böhmisch-Schlesischen Herzogthümer Auschwitz und Zator« (Schreiben der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs vom 22. Mai 1973. Im Besitz des Verfas sers). Der Wiener Kongreß gab Österreich viel des seit Campo Formio verlorenen Gebietes wieder, nicht aber: die Niederlande, die Vorlande, W estgalizien mit Krakau, so daß das Gebiet der Monarchie damals 622.337 qkm betrug. 40
Die Aufrechterhaltung des Systems Rußland war in der Person seines Zaren Alexander I. bisher im Glauben, daß die Beherrschung der W elt gemeinsam mit Napoleon I. möglich sei, und plante die Außenpolitik in diesem Sinne. Nach den Niederlagen von Austerlitz (1805) und Friedland (1807) gab er jedoch im Frieden von Tilsit (1807) impulsiv diese Pläne auf und schloß sich der »Heiligen Allianz« an, die seiner Initiative zuzuschreiben ist, einem Werkzeug zur Aufrecht erhaltung des bisherigen Herrschaftssystems. Mit seiner Person ist auch der Aufstieg Rußlands zur kontinentalen und militärischen Hegemonialmacht eng verbunden. Publikumswirksamkeit und die Gabe zu repräsen tieren, halfen ihm dabei. Preußens König Friedrich W ilhelm III. war nach Abschluß des Wiener Kongresses ein eifriger Verfechter der Restauration, wie sie Metternich sich vorstellte, und ebenso der »Heiligen Allianz«. Die Verfolgung der Burschenschaften und der Patrioten, die Festigung der absolutistischen Regierung und die Verständnislosigkeit gegenüber der deutschen Frage gaben diesen Jahren das Gepräge.
Der große Mann in Wien Leitender Minister in Wien ist Fürst Clemens von Metternich, seit 1809 Minister des Auswärtigen, seit 1821 Staatskanzler, seit 1826 Vorsitzender der Ministerkonferenzen für die inneren Angelegenheiten. Er wirkt in seiner Außen- und Innenpolitik stark für die Erhaltung der überlieferten Sozialordnung Europas. Ein beachtlicher Anwalt dieses Systems war zu dieser Zeit der deutsche politische Schriftsteller Friedrich Gentz. In Breslau/Schlesien geboren, erstrebte er im Berliner Gesellschaftsleben eine zentrale Stellung. 1802 berief ihn Kaiser Franz I. zum Kaiserlichen Rat, 1809 ist er an den Re gierungsgeschäften beteiligt und wird 1812 von Metternich in die Staats kanzlei berufen. Er wurde nach seiner Übersiedlung nach Wien zu einem »Stockösterreicher« und Verteidiger der europäischen Bündnispolitik Metternichs. In diese Zeit fällt auch die Einberufung des Wartburgfestes der deut schen Studenten (auf Einladung der Jenaer Burschenschaft) zum Gedächt 41
nis an die Reformation und die Schlacht bei Leipzig (18. Oktober 1817). Die innere Ruhe wird immer häufiger gestört, und so faßt eine M ini sterkonferenz im August 1819 die später vom Bundestag bestätigten Karls bader Beschlüsse, die die Zensur aller Zeitungen und Schriften unter 20 Druckbogen, das Verbot der Burschenschaften, die Entlassung revolutio när gesinnter Lehrkräfte und die Überwachung der Universitäten nach sich ziehen. 1830 wird ein polnischer Aufstand niedergeschlagen. Es ist praktisch eine interne Angelegenheit von Preußen und Österreich. Seit 1830 ist Erzherzog Ferdinand von Este Gouverneur von Galizien. Er ließ sich in Lemberg, vom galizischen Adel in Sorglosigkeit gewiegt, von der Revolution überraschen, so daß er seinen Posten verlor (1846). 1830 flammen aber auch Unruhen in Italien auf, sie werden unterdrückt; 1831 erhält Radetzky den Oberbefehl in Italien über insgesamt 109.000 Mann österreichischer Truppen.
Das Hambacher Fest Das Zentrum der politischen Radikalisierung in Deutschland war die Rheinpfalz, die 1816 an Bayern gekommen war. München war weit und die Errichtung eines straffen Polizeiregiments dadurch erschwert. Frank reich war nahe, und politisch Verfolgte konnten leichter von der Bildfläche verschwinden. Steigende Steuern, schlechte W einernten und die zollpoliti sche Isolierung steigerten aber die Erbitterung. Die Gründung des »Deutschen Preß- und Vaterlandsvereines« im Jahre 1832 in Zweibrücken hatte den ausschließlichen Zweck, die deutsche Nationaleinheit auf dem Weg friedlicher Reformen und auf Grund einer demokratisch-republikanischen Verfassung zu erringen. Johann Wirth und Phillip Jakob Siebenpfeiffer waren die Wortführer. Das Verbot dieses Vereins im März 1832 steigerte noch die Erregung in der Pfalz. Sie fand ihren stärksten Ausdruck in dem von Wirth und Siebenpfeiffer angeregten Nationalfest auf dem Hambacher Schloß bei Neustadt a.d. Hardt vom 27. bis 30. Mai 1832, an welchem 20.000 bis 30.000 Menschen aus allen Volksschichten unter der Parole »Nur eine Farbe und ein Vater land« teilnahmen. Mit Hambach wurden erst die Farben der Deutschen Burschenschaft 42
zum allgemein anerkannten Symbol deutscher Einheit. In einem Bericht des Bundestages über die Vorgänge in Hambach hieß es darüber: »Alles trug dreifarbige Kokarden, schwarz-rot-golden, von früh an die Farben der Burschenschaft, jetzt auch das Panier all derer, die unter Umsturz des Bestehenden ein deutsches Reich wollten.« Über den W eg zu diesem Ziel bestanden allerdings tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten. Wirth wandte sich gegen die Franzosenschwärmerei Siebenpfeiffers, andere forderten den Anschluß Elsaß-Lothringens an Deutschland, die Befreiung und Einigung Polens und den Anschluß des wallonischen Belgiens an Frankreich. Deutschland besaß auch zu dieser Zeit keinen politischen Mittelpunkt; Frankfurt war zwar Sitz des Bundestages, aber keine politi sche Hauptstadt. Es war ein Irrtum zu glauben, wenn man sich Frankfurts bemächtigte und dort die deutsche Republik ausriefe, würde das genügen. Das Vorhaben scheiterte allerdings schon, als man im April 1838 die Frankfurter Hauptwache stürmte und dieses Unternehmen mißlang. Die Bevölkerung verhielt sich ohnehin passiv und versagte den Aufständischen den Beistand. Jedenfalls war es zu dieser Zeit so, daß alles, was in Deutschland Wert darauf legte, als »liberal« zu gelten, mit dem Herzen im Lager der Polen stand. So auch beim Hambacher Fest. Dem Aufmarsch am Schloß wurden zwei Fahnen vorangetragen: die schwarz-rot-goldene der Deutschen Burschenschaft und die weiß-rote der Polen. Und doch haben sich die Geister länger als ein Menschenalter in Deutschland an ihrer Einstellung zu den polnischen Freiheitsbestrebungen geschieden. Ein derartiger Vorgang wäre in Polen, wenn es um die Deut schen ginge, überhaupt nicht denkbar.
Der Deutsche Zollverein Der Deutsche Zollverein schließt unter Führung Preußens die meisten deutschen Länder, allerdings mit Ausschluß unseres Heimatstaates Öster reich, wirtschaftlich zusammen. Die deutschen Einigungshoffnungen be ginnen sich auf Preußen zu richten. In Triest war ein Mann eifrig als Kaufmann tätig. Es war der spätere österreichische Handelsminister und Freiherr Karl Ludwig von Bruck, der Sohn eines Elberfelder Buchbinders, der aus Sympathie für den griechi43
sehen Freiheitskampf seine Heimat verließ und durch die Gründung des Triestiner Lloyds, des späteren Österreichischen Lloyds, 1832, viel zum wirtschaftlichen Aufschwung des österreichischen Küstenlandes beitrug. Er schuf dadurch die Grundlage zur österreichischen Handels Schiffahrt. Mit den Vorarbeiten für eine Eisenbahnverbindung W ien -T riest-V en edig -M ailan d wurde er bahnbrechend für die industrielle Entfaltung des Habsburgerreiches. Sein W irken war auch für unsere Heimat von Ein fluß. Infolge der Überschwemmung mit den jahrelang gestapelten engli schen Waren kommt es, begünstigt durch eine Hungersnot der Jahre 1816 und 1817, zu einer schweren Wirtschaftskrise im deutschen Sprachraum, und nachdem Preußen 1818 die Binnenzölle aufgehoben hatte, schließen sich 1833/1834 die meisten deutschen Länder unter Führung Preußens zum Deutschen Zollverein zusammen. Die Auswanderungszahlen waren seit 1816 immer höher geklettert. Der einst mächtige Staatenbund zur Aufrechterhaltung des sozialkon servativen OrdnungsSystems zerbricht schließlich an den Gegensätzen Österreichs und Rußlands in der griechischen Frage. 1828 erscheint die aufsehenerregende Schrift von Charles Sealsfield: »Austria as it is« - eine Schrift, die im selben Jahr in Österreich verboten wurde - , in welcher er die Schwächen und den Zerfall des österreichi schen Kaiserstaates schildert. Dieser Sealsfield ist kein anderer als der am 3. März 1793 in Poppitz in Mähren geborene Karl Postl, ein Mönch aus Prag, der 1822 nach Amerika entfloh, dort den englisch klingenden Namen annahm und erst 1826 zurückkehrte, 1827 wieder nach Amerika ging und später in Paris, London und schließlich ab 1832 in der Schweiz lebte. In der Slowakei entstehen zu dieser Zeit aus deutsch-romantischen Anregungen Begriff und Idee des Panslawismus als eine sprachlich-kultu relle Gemeinsamkeit aller Slawen. Was also die Deutschen im Herzen Europas anstrebten, machte Schule, war Vorbild für die kleinen Völker und führte dort zum Ziel, während die Deutschen nicht in der Lage waren, ihre Einigung zu Ende zu führen. Wieder waren es die Deutschen, die eine Saat ausstreuten, deren Früchte aber andere ernteten - letzten Endes über den Zusammenbruch des deut schen Zentralstaates hinweg.
44
Der Widerspruch In der deutschen Musikwelt erlöschen in dieser Zeit auch die Lebenslichter der großen Romantiker mit Weltgeltung: Carl Maria von W eber (1826) und Franz Schubert (1828). Johann Philipp Palm wird wegen seiner Flugschrift »Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung«, gegen Napoleon gerichtet, erschossen (1806), der große Joseph Haydn, Schöpfer von 118 Symphonien, 83 Streichquartetten, 163 Klaviersonaten, 19 Opern, 15 Messen und zwei Oratorien, der Begründer der »Wiener Klassik«, der Schöpfer der Melodie der Kaiserhymne und des späteren Deutschlandliedes, schließt für immer die Augen (1809). Ebenso Franz Schubert, der Komponist von über 600 Liedern (1828), und Ludwig van Beethoven, der letzte »Wiener Klassiker« (1827); und auch der größte Sohn der Deutschen, Johann Wolfgang von Goethe, stirbt am 22. März 1832, der Mann, dem Deutschland Weltgeltung und Achtung mitverdankt. Deutschland hatte damals 29 Millionen Einwohner. In dieser Zeit zerstören auch schon Arbeiter Textilmaschinen. Es sind die englischen »Maschinenstürmer«, deren Aktionen, von der inzwischen entstandenen Arbeiterbewegung aufgenommen und begonnen, in Richtung einer sozialen Aus Schlachtung der Technik gelenkt werden. A uf der anderen Seite entstehen jetzt die ersten Großlogen in England (1813). In W ien stirbt, auch im Todesjahr des Bielitzer Fürsten, der letzte römisch-deutsche Kaiser Franz II. In dieser Periode entstehen auch Fichtes »Reden an die Nation«, gegen Napoleon gerichtet (1807), es entsteht Uhlands Soldatenlied »Ich hatt’ einen Kameraden« (1809), und es erscheint Brockhaus ’ Konversations lexikon (1808), Georg Henschel gründet seine Maschinenfabrik in Kassel (1810) und Friedrich Krupp 1811 die Krupp werke und 1812 das erste Stahlwerk auf dem europäischen Festland in Essen. Werner von Siemens wird geboren (1816), und auch Karl Marx (1818). Gregor Mendel, der Schöpfer der Vererbungstheorie, erblickt das Licht der Welt in Heinzen dorf bei Odrau im Kuhländchen (1822), Victor von Scheffel wird 1826 geboren und Johann Strauß (Sohn) 1825. In dieser Zeit - wie kann es anders sein - wird der W alzer zum Gesellschaftstanz. Marie von EbnerEschenbach, geborene Gräfin Dubski, die mährisch-deutsche Dichterin, 45
gehört auch dazu. Nicht zu vergessen: Franz von Liszt, geboren 1811, Franz von Suppe (1819), Robert Schumann (1810), Felix Mendelssohn Bartholdy (1809). Aber auch Karl Spitzweg (1808) und Adolf Menzel (1815) beginnen in dieser Zeit ihren Erdenweg. Wie so oft in der deutschen Geschichte: neben politischer Zwietracht und Gegnerschaft untereinander gewaltigste Einzelleistungen auf den ver schiedensten Gebieten.
Blick nach Osten Der Wiener Kongreß hatte neben dem napoleonischen Polen noch einen weiteren, allerdings kleinen polnischen Staat geschaffen, der unter öster reichischem Protektorat stand: die »Freie Stadt Krakau«. Er sollte nun die polnische Unabhängigkeit symbolisieren. 1823 begann in Lodsch/Litzmannstadt mit deutschen Unternehmern und Arbeitern der Aufbau einer Textilindustrie, die mit ihren Erzeugnissen bald W eltruf erlangte. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft kam es auch zu einer Gebiets verschiebung; diese bestand darin, daß das Amt Imielin im Kreis Pleß mit Chelm und Kosztow (34 qkm) am rechten Przemsza-Ufer auch an das neue polnische Herzogtum fiel. Das Gebiet war ein altes Besitztum der Krakauer Kirche, welches weder Polen noch den schlesischen Herzogen gehörte (es kehrte erst 1817 wieder an Preußen zurück).
Der Aufstand Aber zufrieden waren die Polen mit ihrem Los nicht. Zahlreiche Patrioten und Künstler gingen ins Ausland. Die meisten in fremde Heere. Frederic Chopin zum Beispiel verließ Warschau 1830 und lebte nach einem kurzen Aufenthalt in W ien ständig in Paris. Mickiewicz ging 1829 außer Landes. Die Unzufriedenheit stieg, und die Spannung wuchs. Dann - im Jahre 1830 - beginnt sich das Verhängnis über Polen zusammenzubrauen. In der Nacht vom 28. zum 29. November 1830 verübten die Kadetten der polnischen Militärschule in Warschau ein Attentat auf den Großfürsten 46
Konstantin, ein Angriff auf das Belvedere-Palais schlug fehl. Das waren die Ergebnisse der sich langsam steigernden Unruhe und Aufregungen der vergangenen Monate. Es waren unbedachte Taten. M ehrere Generäle, die nicht mitmachen wollten, wurden beseitigt, und General Chlopicki wurde zum Diktator ernannt. Dieser Josef Chlopicki (geb. 24. März 1772, gest. 30. September 1845 in Krakau) war seit 1797 im französischen Heer, kämpfte 1799 bis 1812 in Italien, bei Eylau und Friedland, in Spanien, bei Smolensk und an der Moskwa. Ab 1830 gehörte er zum Administrations rat des Oberbefehlshabers und übernahm am 5. Dezember 1830 das Amt des Diktators, bemühte sich in dieser Position um die Verständigung mit Rußland. Vom patriotischen Verein zur Rechenschaft gezogen, legte er am 23. Januar 1831 die Diktatur nieder und kämpfte in der Schlacht bei Grochow (sö. v. Warschau) als einfacher Soldat. Die Polen wurden ge schlagen. Die Revolutionäre hatten dem Zaren die polnische Krone abgespro chen. Fürst Czartoryski wurde Regierungschef und die Krone Polens ei nem Habsburger Erzherzog angeboten, um Österreich zum Eingreifen auf seiten der Polen zu bewegen. Dieser Versuch schlug aber fehl. Die Polen mußten allein kämpfen. So war das Ende des Aufstandes schon auszuma chen. Das Haus Romanow wird am 25. Januar 1831 abgesetzt, was folgt, ist die Ausschaltung jeglichen polnischen Eigenlebens. Die Russen siegen über die Polen am 25. Februar bei Grochow und am 26. Mai bei Ostrolenka. General Paskiewicz besetzt am 8. September 1831 Warschau, die Verfassung wird aufgehoben. Polen hört nun wirklich auf zu existieren. Bei diesen letzten Kämpfen tauchen Namen auf, denen wir später noch einige Male begegnen: Es sind polnische Freiheitskämpfer. Da ist Josef Bern, geboren in Tamow (1795), der während des Aufstandes General wird und nach dem Fall von Warschau auf preußisches Gebiet Übertritt, und es ist Heinrich Dembiński, geboren am 16. Januar 1791 bei Krakau; er war 1813 mit Napoleon in Rußland, im selben Jahr bei Leipzig dabei und schließlich als General bei Ostrolenka. Beide - und das ist typisch - sind im österreichischen Teilgebiet geboren. Polen geht nun jenen Weg, den schon vor ihm viele europäische Länder gingen: von Spanien über Portugal, Belgien, Italien bis Ungarn, Grie chenland und den Balkanstaaten; sie alle hatten viel länger unter fremder Herrschaft leben müssen. Preußen war durch den Polenaufstand zum erstenmal nach 1815 in 47
seiner territorialen Integrität bedroht worden. Die Teilnahme von 200 polnischen Edelleuten aus preußischem Gebiet am Aufstand und die umfangreiche Desertion von polnischen Angehörigen des preußischen Heeres zur polnischen Nationalarmee machten unmißverständlich klar, daß der nationale Gedanke im Polentum der Ostprovinzen eine stärkere Kraft war als der übernationale preußische Staatsgedanke. Die Folge war, da es Rußland und Österreich nicht anders erging, eine erneute Annähe rung der drei Teilungsmächte. Die Heilige Allianz wurde durch diese Inter essengemeinschaft in der polnischen Frage nur wieder gefestigt. All das trug aber dazu bei, daß sich die Einheitsbewegung in Deutsch land erhärtete und der Prozeß ihrer Radikalisierung beschleunigt wurde.
Die deutsche Polenbegeisterung In keinem anderen Fände aber schlug der Polenenthusiasmus so hohe Wellen wie in Deutschland. Überall bildeten sich Polenvereine, und die liberale Presse rief zu Spenden und zum Teil sogar zur aktiven Unterstüt zung der um ihre Freiheit kämpfenden Polen auf. Beträchtliche Geld- und Sachspenden kamen zusammen und wurden nach Polen geschickt. Achtzig deutsche Ärzte eilten neben anderen Freiwilligen auf den polnischen Kriegsschauplatz. Nach Niederschlagung des Aufstandes flüchteten über dreitausend Polen, vornehmlich aus Adelskreisen, durch Deutschland, wo ihnen zu Ehren zahlreiche Festbankette und Empfänge gegeben wurden. In manchen Städten waren die Bürger derart darauf versessen, polnische Flüchtlinge zu bewirten, daß sie sich schon vor den Stadttoren förmlich um die Gäste rissen. (Da muß man unwillkürlich an die Behandlung der Deutschen im Jahre 1945 denken, als diese flüchten mußten.)
Der sächsische Herzog in Saybusch Die Herrschaft Saybusch hatte sich im Faufe der Zeit - bedingt durch schlechtes Wirtschaften - hoch verschuldet, und man mußte immer öfter an einen Verkauf denken. Als Bewerber für den Besitz schien mit immer ernsteren Absichten Herzog Albert von Sachsen-Teschen aufzutreten, der Schwiegersohn Maria Theresias und Gatte ihrer Fieblingstochter Maria48
Christine, der Sohn Friedrich-Augusts II. (III.) v. Sachsen-Polen (geboren am 11. Juli 1738 zu Moritzburg, gestorben am 1. Februar 1822 in Wien). Dieser Albert (Albrecht-)Kasimir-August von Sachsen-Teschen erhielt von M aria Theresia das Herzogtum Teschen als Geschenk, war 1765 bis 1780 Statthalter in Ungarn, 1780 bis 1790 Generalstatthalter in den öster reichischen Niederlanden, und im Krieg gegen Frankreich befehligte er 1792 und 1794/95 mit wenig Glück das kaiserliche Heer. Seiner Frau ließ er nach ihrem Tod 1798 in der Wiener Augustinerkirche 1805 von Canova ein Grabmal errichten und schuf auch die durch zahlreiche Handzeich nungen und Kupferstiche berühmte Sammlung »Albertina« in Wien. Sein Vater war der letzte König von Polen aus Napoleons Gnaden, der im Frieden von Tilsit 1807 das Großherzogtum Warschau erhielt. Albert ist bestrebt, seinen schlesischen Besitz zu mehren. 1808 kauft er die Güter von Bestwin, wo er die erste Kammerverwaltung errichtet, die zunächst noch der Teschener Direktion untersteht. 1810, 1822 und 1883 sind weitere Zukäufe getätigt worden, bis der ganze Wielopolskische Besitz erworben ist. Nach dem Tode Alberts 1822 folgt ihm als Erbe sein Neffe Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern, und 1847 Erzher zog Albrecht. 1895 fallen die galizischen Güter an Erzherzog Karl-Stefan. Vor dem Ersten Weltkrieg hat der Saybuscher Besitz einen Umfang von 52.674 Hektar und ist längst schon ein selbständiges Verwaltungsgebilde mit einer eigenen Kammerdirektion. Wieprz, Alt-Saybusch, Zablocie, Bistrai, Ojsoly, Żabnica, W engierska Gurka und Miluwka gehören schon dazu. An der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert gehören die Besitzer der Wälder des Saybuscher Landes zu den größten Holzexporteuren unserer Heimat. Auf der Sola flößte man das Holz nach Auschwitz und von dort auf der Weichsel nach Krakau. 1772 begann dann die österreichische Periode des Saybuscher Landes, das, wie auch das übrige Galizien, viel aufzuholen hatte. 1808 kaufte Herzog Albrecht die Güter Bestwin und Porombka, die den Grundstock zur neuen Herrschaft Saybusch bildeten. 1810 folgten dann Jeleśnia, Hucisko und Koscharawa, und in seinem Todesjahr - 1822 - erwirbt Albert Dankowitz/Denkendorf, Jawischowitz, Pszyborow, Obschar und Brzeszcze. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verzeichnet Saybusch ein dringliche Eindeutschungstendenzen, die Amts- und Unterrichtssprache ist Deutsch. 49
D ie H a b sb u rg er in S a y b u sch
Im Jahr 1822 stirbt der sächsische Herzog im Alter von 84 Jahren, und das Besitztum des Saybuscher Landes geht an seinen Neffen Erzherzog Karl, den Sieger von Aspern. Mit dem Beginn der Habsburger Periode setzt auch in den dreißiger Jahren eine wirtschaftliche Erschließung des Landstriches ein. Es ist nicht so, wie polnische Stellen feststellen, daß die Habsburger das Land vernach lässigten. Aus dem ganzen großen Reich kommen Berater und Begutachter und zuletzt auch Fachkräfte, die in bewährter altösterreichischer Art sauber und unbestechlich arbeiten. Während 1830 wenige kleinere Papiermühlen um Saybusch herum in Milówka, Jeleśnia, Rajcza und Saybusch selbst existieren, werden das Eisenhüttenwesen und die Forstwirtschaft von akademisch gebildeten Spezialisten aufgebaut. Die Hütten in Wengierska Gurka, Sporysch und Zlatna werden ausgestaltet und der gewaltige Forstbestand von rund 40.000 Hektar neu bewirtschaftet. Selbst deutsche W aldarbeiter aus den Sudeten- und Alpenländem werden geworben und angesiedelt. 1856 wird die uns durchaus bekannte erzherzogliche Bierbrauerei in Pawlusie bei Saybusch gegründet. Über die Gründung der Papierfabrik Saybusch wird an anderer Stelle berichtet. Es sind Deutsche, die eine Aufbauperiode im Saybuscher Lande begin nen. 1838 entsteht in Wengierska Gurka das Fundament für eine Hütte. Zwei Hochöfen beginnt man zu bauen und fast zu gleicher Zeit die Hütte Sporysch. Der Bau der beiden Hochöfen in Wengierska Gurka wird zunächst durch Hochwasser zerstört, was schließlich zum Verkauf an Erzherzog Karl von Habsburg führt, welcher den Bau fortsetzt. Man organisiert auch den Eisenerzabbau in Kamesznica, Jeleśnia und Lichtenwald (Rychwald), Hauptgebiet war Kamesznica. Zunächst gab es sechzehn Schächte, im Jahr 1885 waren es schon zwanzig. Ihre Tiefe lag bei siebzehn Metern. Etwa achtzig Arbeiter waren eingesetzt. Da die Erzmengen, die man förderte, nicht ausreichten, führte man auch noch Erz aus Baschka und Ustroń zu. 1840 entstand eine Glashütte in Zlatna, und in Wengierska Gurka wurde der erste Hochofen in Betrieb genommen, 1844 der zweite. 50
Ab 1844 führte man auch ausländische Erze ein, was aber das Ende des heimischen Erzbergbaues einleitete. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte Wengierska Gurka einen Anteil von 71 % an der damaligen galizischen Eisenproduktion. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden alle Hütten von Wengierska Gurka, Sporysch, Ustroń, Trzynietz und Karwin, deren Leitung in Teschen saß, an die Österreichische Bergund Hüttengesellschaft zu Wien verkauft. Als 1847 Erzherzog Karl starb, erbte alle Güter und Liegenschaften sein Sohn Erzherzog Albrecht, der Sieger von Custozza. 1878 wurde das Land an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Die Bahn linie B ielitz-Saybusch wurde am 18. August 1878 eröffnet, und am 3. November 1884 die restlichen 36,9 Kilometer, die den Anschluß an die ungarische Grenze bei Zwardoń brachten. 61 Jahre später - 1945 - wurde im Zeichen der polnisch-tschechischen Spannung diese Verbindung wie der unterbrochen. Außer dem Übergang Seibersdorf-Petrowitz auf der früheren Kaiser-Ferdinands-Nordbahn gibt es keinen einzigen Bahnüber gang auf der fast 400 Kilometer langen Grenzstrecke zwischen Polen und der Tschechoslowakei mehr. Bis zum heutigen Tage nicht. Bis 1781 waren die Wielopolskis (seit 1676) im Besitz von Saybusch. Der Besitz war verschuldet, und als Käufer war Erzherzog Albrecht von Sachsen-Teschen aufgetreten. Die Verkäufe liefen bis 1883. 1895 starb Erzherzog Albrecht ohne Erben. Die Teschener und die Altenburger Besitzungen in Ungarn fielen an Erzherzog Friedrich, die Saybuscher Güter an Erzherzog Karl-Stephan. Dieser kaufte noch Rajcza, Targanitz, Rzyki, Zembrzyce, Lenawitz und Bistrai hinzu. 1918 umfaßte die Herrschaft Saybusch 52.674 Hektar. Der Sitz der Verwaltung lag in Saybusch. 1905 erloschen die großen Öfen in W engierska Gurka, da sie unren tabel geworden waren. Man betrieb noch eine Gießerei weiter, die in der Zeit des Ersten Weltkrieges 350 Arbeiter und 22 Angestellte beschäftigte. Die Österreichische Berg- und Hüttengesellschaft verkaufte das Werk Sporysch an die Galizischen Schrauben- und Nietenfabriken in Auschwitz und diese wieder an die Firma Brevillier & Urban AG. 1912 begann die Herstellung von Schrauben als Spezialfertigung. 1936 beschäftigte das W erk 350 Menschen.
51
E in e B ielitzer G rü n d u n g in S ayb u sch
Saybusch, unsere Nachbarstadt im Süden, lebte nie im Überfluß. Hand werkliche Anfänge reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück, und erst im 18. und 19. Jahrhundert begannen sich auch dort in bescheidenem Rahmen Textil- und Metallerzeugung zu rühren. Der Holzreichtum des Kreises ließ Betriebe zur Herstellung von Möbeln entstehen, und im kleinen wurde auch Papier zu erzeugen versucht. Sägespäne aus den zahlreichen Säge werken waren ja genügend da - in Milówka, Jeleśnia oder Rajcza sowie in Saybusch selbst. Der Kontakt mit Bielitz-Biala war stets rege, und so war es im Jahr 1834, als Karl Schröder und Franz Mänhardt eine Mühle pach teten und dort die ersten Schritte für einen Großbetrieb der Papierfertigung unternahmen. Die beiden trennten sich später, Schröder blieb allein. Sein Sohn Moritz baute die Fabrik 1889 nach Plänen des Bielitzer Architekten Theodor Biowski um, und zu ihm gesellte sich als Teilhaber Herr Bematzik. Noch vor der Jahrhundertwende waren an die 300 Arbeiter hier tätig. 1900 trat ein weiterer Gesellschafter hinzu: Bernhard Serog. Die »Saybuscher Papierfabrik« wurde eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von zwei Millionen österreichischen Kronen. Im Jahr 1916 trat eine Tochtergesellschaft mit dem Namen »Solali« ins Blickfeld, die sich besonders mit der Herstellung von Zigarettenpapier und den für Österreich typischen Zigarettenhülsen befaßte. 1930 vereinigten sich die beiden Firmen. In der Donaumonarchie und auch im späteren Polen waren die Erzeugnisse dieser Bielitzer Gründung recht gut bekannt. Auch Verpackungspapier für Sonderzwecke, Etiketten und Kartonagengüter wurden hergestellt. In den Jahren 1939 bis 1945 - im Deutschen Reich - lief die Produktion weiter, und man beschäftigte rund 500 Arbeits kräfte. Das Unternehmen arbeitet heute für den polnischen Staat als dessen eigener Betrieb.
Das technische Jahrhundert beginnt Das 19. Jahrhundert, an dessen Schwelle unser Fürst Alexander-Josef unsere Herrschaft verwaltet, ist aber auch in anderer Beziehung höchst bemerkenswert: Es beginnt ein neues technisches Zeitalter. A uf fast allen Gebieten der Technik werden in dieser Zeit entscheidende Erfindungen 52
gemacht. Seit 1797 ist das Eisen ein wichtiger Posten in der englischen Handelsbilanz geworden. 1800 erfindet Fulton das U-Boot, 1801 FocardChateau den Eisschrank, 1807 fährt das erste Dampfschiff auf dem Hud son, 1812 hat Koenig seine Buchdruckschnellpresse fertig, und Hahnemann verbreitet seine Homoöpathie. 1812 erfindet der Österreicher Ressel die Schiffsschraube, findet aber in Europa keine Anerkennung und geht nach Amerika. Die Amerikaner erkennen den Wert seiner Erfindung. 1814 erfindet der in Kufstein geborene Madersperger die Nähmaschine und Stephenson die Dampflokomotive. 1818 baut der badische Forstmei ster Karl Freiherr von Drais (geboren in Karlsruhe) die nach ihm benannte »Draisine«. Es ist ein Zweirad, das man mit den Füßen, die den Boden berühren, antreibt. Im nächsten Jahr fährt zum ersten Mal ein Schiff ohne Segel in 26 Tagen über den Ozean. Stephensons Erfindung wird vervollkommnet und zur technischen Reife gebracht. Seine Lokomotive zieht 1820 den ersten Eisenbahnzug von Stockton nach Darlington. Und schließlich erfindet Jedlicka 1829 den Elektromotor. 1830 tritt Vinzenz Frießnitz im österreichisch-schlesischen Gräfenberg mit seinen Kaltwasserkuren an die Öffentlichkeit. Drei Jahre später hören wir das erste Mal vom brauchbaren Zündholz, und im gleichen Jahr führen Gauß und Weber die elektromagnetische Telegraphie ein! Das ist eine breite Palette von neuen Dingen, die da auf die Menschheit einwirken. Ihre Anwendung läßt nicht lange auf sich warten. Die neuen technischen Geräte und Möglichkeiten, schneller, besser und billiger zu erzeugen, greifen auch auf unsere Heimat über. Es dauert nicht lange und sie halten auch in Bielitz Einzug.
Die neue Technik in Bielitz Immer mehr wird der Handwebstuhl verdrängt. 1806 stellte man in Bielitz die erste Wollspinnmaschine auf, und die Handwebstühle machen zuse hends solchen mit mechanischem Betrieb Platz. Die großen, rationell arbeitenden Fabriken entstehen: Zipser, Wolff, Vogt, Bittner, Jankowski, Riesenfeld, Krischke, Komhaber und viele an dere folgen. 53
Am 6. Juni 1808 kam es zu dem schlimmsten aller Stadtbrände von Bielitz. Alle Häuser innerhalb der Stadtmauer, bis auf eines, 350 W oh nungen und fast alle öffentlichen Gebäude wurden vernichtet. Nur die Häuser auf der Bleiche und um die Salzburg blieben erhalten. Unter den verlorenen waren auch das Zunfthaus in der damaligen Rathausgasse (spä ter Zollamtsgasse) und das St.-Anna-Spital. Erzherzog Ferdinand marschierte mit dem 7. Armeekorps im Jahre 1809 durch unser Land nach Polen, besetzte Krakau und Warschau, fand aber die Stimmung im Lande nicht günstig. Man sympathisierte mit den Verbündeten der Franzosen, den Russen. Er mußte sich bis zur ungarischen Grenze zurückziehen, und das freigegebene Land, West- und ein Teil von Ostgalizien mit Lemberg, wurde von den Russen besetzt. Die Folge war, daß die alteingefahrenen Handelsbeziehungen gelöst werden mußten. Dazu mußte an Frankreich eine Kriegssteuer gezahlt werden, zu welchem Zweck silbernes Gerät abgeliefert werden mußte. Eine Flut von Papiergeld ließ die Preise steigen, und selbst wohlhabende Leute kamen in Not. 1809 wurde die erste Kratzenmaschine bei A. Strzygowski und J. Hensler in Betrieb genommen. 1810 wurde die erste Schermaschine bei Traugott Scholz und Valentin Jankowski eingesetzt. Bis 1810 läßt sich auch die Bielitzer Textilmaschinenindustrie zurück verfolgen. Die Namen Brachvogel & Kolatschek und Esser & Fieber sind damit verbunden. Im Jahr 1810 begann man auch mit dem Bau eines neuen Zunfthauses, und zwar an jener Stelle, an welcher das St.-Anna-Spital stand. Es war dies am Börsenplatz, dem späteren Niederring. Im ersten Stockwerk des Gebäudes wurde ein Theatersaal eingerichtet. M it 550 Tuchmachermeistem und 30 Tuchscherem hatte diese Zunft fünf mal soviel Mitglieder als alle anderen Zünfte der Stadt zusammen. 1811 erhielten die Fabriken von Fröhlich, Grünwald und Comp, sowie die Gebrüder Kolbenheyer das k. k. Privilegium zum Arbeitsbeginn. Mit einigen Zahlen wollen wir die Entwicklung unserer Textilindustrie in dieser Zeit darstellen. Ich berichtete an anderer Stelle von der gespann ten Finanzlage unserer Donaumonarchie auf weiten Strecken dieser Zeit epoche. 1811 war es soweit, daß der Staat Österreich einen Bankrott anmelden mußte. Der Wert des Geldes wurde auf ein Fünftel herabgesetzt (1 Gulden 54
= 12 Kreuzer). Trotzdem vermehrte sich die Zahl der Tuchmachermeister in unseren Schwesterstädten Bielitz und Biala bis 1815 auf fast 700 in Bielitz und etwa 500 in Biala. Das war der Höhepunkt der Entwicklung. Ein Bericht aus dem Jahr 1815 spricht sogar von 800 Mitgliedsmeistem der Bielitzer Tuchmacherzunft. Von den zusammen rund 8.000 Einwohnern der beiden Städte lebte nahezu die Hälfte mit und von der Textilbranche. Der Rückzug napoleonischer Truppen führte auch ein kleines franzö sisches Korps durch unser Land, und einige Verbände österreichischer Hilfstruppen zogen auf ihrem Weg in die Heimat durchs Teschener Land. Der Führer der polnischen Truppen, Fürst Poniatowski, hielt sich längere Zeit in Teschen auf, als er die Reste seiner Einheiten wieder sammelte, um den Franzosen weiter helfen zu können. Er, der inzwischen von Napoleon zum Marschall von Frankreich ernannt worden war, kam an der Elster brücke mit dem größten Teil seines Korps ums Leben. Als Napoleon nach Frankreich zurückkehrt, um seine »Herrschaft der hundert Tage« anzutreten, rüstet Europa noch einmal gegen ihn. Russische Truppen ziehen wieder gegen Westen durch das Teschener Land. Sie ziehen über Bielitz, Teschen und Troppau, andere über Jablunkau, Friedek und Neutitschein. Erst der zweite Pariser Frieden bringt die so lang ent behrte Ruhe. 1813 kehrten die russischen Truppen aus Deutschland zurück. Alle Schulen und öffentlichen Gebäude verwandeln sich in Militärlazarette, und in der Folge entwickelt sich eine große Teuerung vor allem für die lebens wichtigen landwirtschaftlichen Produkte. Aus dem nächsten Jahr (1814) liegt eine Meldung vor, wonach sich das Bielitzer Textilgeschäft wieder aufwärts entwickelt; der Anschluß neuer Gebiete an Österreich, Venetien und die Lombardei wird als Grund ange geben, so daß aus dem Jahr 1815 wieder ein Anstieg der Zunftmitglie derzahl auf 700 zu verzeichnen war. Als besonderes Zwischenspiel wird aus dem Jahr 1816 der Besuch des tschechischen Historikers Franz Palacky - wir hören noch von ihm überliefert. 1815 gab es in Bielitz etwa 800 Tuchmacher, 500 in Biala, wie auch heute polnische Berichte feststellen. In diesem Jahr tritt ein Rückschlag ein. Die napoleonische Zeit hat ihre Spuren hinterlassen: verlorene Kriege, Verarmung, Staatsbankrotte, sie haben zuerst die Handwerksbetriebe betroffen. Die Staatskassen sind 55
durch die Feldzüge über die Gebühr beansprucht worden. Stagnation und Rückschläge sind die Folge. 1816 muß der österreichische Staat nochmals einen Bankrott anmelden. Wiederum brachen Existenzen zusammen. 1818 ist der Rückgang schon sehr stark spürbar: von 6.000 bis 8.000 Stück Tuch ist die Produktion auf 500 bis 600 Stück gefallen. Wichtige Städte für den Bielitzer Tuchhandel nach dem Süden sind Preschau (Eperies), Kaschau, Miskoltsch, Tokay und Munkatsch gewor den. 1820 wird die erste Dampfmaschine in Bielitz zum Antrieb in Textilfa briken verwendet. Es ist die Firma Jankowski, die sich auch auf dem Gebiet des Maschinenantriebs modernisiert. Bis 1822 war durch die Beendigung der Franzosenkriege und das Aus bleiben von Heereslieferungen die Zahl der Tuchmacher auf nur 289 Aus übende abgesunken. Die Erzeugung fiel auf ein Drittel des Umfanges. Dazu war die erste Hälfe des 19. Jahrhunderts in Bielitz-Biala charakteri siert durch einen zusätzlichen zähen Kampf zwischen Handwerk und dem beginnenden Industriebetrieb. Am 1. Februar 1822 hatten von 688 eingetragenen Webern nur noch, wie schon gesagt, 289 eigene Werkstätten. 285 gingen in die Fabriken, 95 wohnten in den nahen Dörfern, und 20 wanderten aus. Jene, die in die Fabriken gingen, hatten den Gewerbeschein zurückgelegt und wurden Arbeitnehmer. 1825 gründete Schneeweiß auf dem Strößel eine Buchdrukkerei, später bekannt unter dem Namen die »Handel’sehe«. Die schlechte Periode wurde aber überwunden, und 1828 meldet man in Bielitz-Biala wieder die beachtliche Zahl von rund 1.000 Tuchmachern, die 20.000 Stück Tuch erzeugten. Fünf Tuchfabriken sind schon dabei. 1830 sind es schon 40.000 Stück Tuch, die man herstellt. Im gleichen Jahr erhalten die Gebrüder Bathelt das kaiserlich-königliche Privileg für eine Tuchfabrik mit 160 Arbeitern und eine Produktion von bis zu 2.000 Stück Tuch. Um die Leistung unserer Heimat vielleicht besser verstehen zu können, die sich trotz widrigster Verhältnisse und bösen geldtechnischen Verlusten nicht nur behaupten, sondern noch weiter aufwärts entwickelte, seien hier nur in knappen Daten allein die Staatsbankrotte im deutschen Sprachraum aufgeführt, welche in den 27 Jahren unseres Berichtsabschnittes den Be troffenen schwersten Schaden zufügten. 56
Da waren zunächst je ein Staatsbankrott in den Jahren 1811, 1812 und 1813 in Österreich, Westfalen und Preußen. Es folgten Kurhessen und die Niederlande im Jahre 1814, Kurhessen nochmals 1815 und schließlich Österreich wieder im Jahre 1816. Was war denn eigentlich noch heil im Herzen Europas? Konnte sich da überhaupt noch ein solides Wirtschafts gefüge gestalten lassen? Die Bielitzer haben ihre Antwort gegeben: Es ging trotz allem aufwärts. Die weiter fortschreitende Industrialisierung unserer Textilerzeugung ließ einen starken Bedarf an Kratzen für die Tuchbehandlung entstehen. 1830 gründete Adolf Erich Mänhard in Erkennung dieses Bedarfs mit seinem Gesellschafter Ferdinand Hähnel auf der Bleichstraße eine Fabrik für die Herstellung dieser Kratzen. Die erforderlichen Maschinen kamen aus Deutschland und England oder aus heimatlichen Werkstätten. Das Produkt nahm seinen Weg in alle Bedarfsstätten der Donaumonarchie und über stand auch die schlechten Geschäftszeiten um 1883, und als Exportland trat Rußland (Lodsch, Bialystock und St. Petersburg) auf den Plan. 1914 über nahm der Sohn Adolf Gustav das W erk und 1935 die dritte Generation das Unternehmen. Die Kriegszeiten, 1939 bis 1945, konnte das Unternehmen ebenfalls durchstehen, und erst im Januar 1945 mußte die Fertigung still gelegt werden. Die neuen Herren enteigneten den Besitz entschädigungslos und nahmen ihn wieder in Betrieb. 1950 entstand ein neues Unternehmen Mänhardt in Saalfelden im Salz burgischen, das im Geiste unserer heimatlichen Tatkraft weiterfertigt. Sei ne Erzeugnisse nehmen wie einst ihren Weg zu den in- und ausländischen Abnehmern. Von 1830 an ist bis 1850 ein Anstieg zu verzeichnen, der sich daraus ergibt, daß die fleißigen Bielitz-Bialaer neue Absatzmärkte erschließen. Die Tuche waren auf den Märkten sehr begehrt, und man zog sie selbst englischen Tuchen vor, die doch durch Manchester einen so guten Ruf hatten. Ich will es hier gleich einmal einflechten: 1945 hatte der polnische Staat rund 2.000 mechanische Webstühle und 56.146 Gamspindeln »übernehmen« können. Zuletzt dürfte in der deut schen Ära die Produktion bei 10 Millionen Meter Tuch gelegen haben. 1831 wurde aus Anlaß des Novemberaufstandes im Krakauer Land die Bielitzer Schützengesellschaft gegründet, die im nächsten Jahr ihre Schieß stätte auf der früheren Breslauer Straße erhält. Zwei Meldungen liegen aus dem Theaterleben aus dieser Zeit vor: Einmal, so wird berichtet, entsteht 57
im Jahre 1813 ein »hochfürstliches Theater« in Bielitz; die zweite Meldung besagt, daß am 1. Juli 1817 Kaiser Franz I. Bielitz einen Besuch abstattete. Ihm zu Ehren läßt Fürst Johann-Nepomuk von Sulkowski (1807-1835) ein kleines Theater aus Holz vor dem Schloß - an der Schloßkapelle - errich ten, in welchem in den ersten Jahren lediglich geschlossene Aufführungen für die Angehörigen des Adels stattfanden. Der Kaiser befand sich auf der Reise nach Galizien und wurde bei uns unter dem Jubel der Bevölkerung empfangen. Aus dem Jahre 1834 wissen wir, daß der Bielitz-Bialaer M ännergesang verein als der Zweitälteste der gesamten Donaumonarchie aus der Taufe gehoben wurde.
Was in den kirchlichen Gemeinden geschah Schon im Jahre 1705 schnitzte Andreas Honkisch aus Krakau - ohne Frage ein Deutscher - die Kanzel und vier Evangelistenfiguren in der Kirche in Wilmesau. Zu dem Erzdekanat Bielitz gehörten 1807 folgende Gemeinden: Bie litz, Tschechowitz, Kurzwald, Riegersdorf, Grodzietz, Brenna, Zabrzeg und Ellgoth (1813 kamen Grodzietz und Brenna an Skotschau). 1810 schuf Johann Nitsch das Tabemakel, 1811 den Taufstein und 1812 den Muttergottesaltar der Bielitzer Pfarrkirche. Am 14. September 1812 war die katholische Kirche in Biala fertig und wurde an diesem Tage eröffnet (Augasse Nr. 83). Am 27. August 1813 wurde der neue katholische Pfarrer von Fürst Johann-Nepomuk dekretiert. Im gleichen Jahr schuf Phillip Valentin, Bildhauer aus Nikolai, den St.Anton-Altar und 1814 die Kanzel der Bielitzer Pfarrkirche. In der Zeit von 1790 bis 1814 tobten die kostspieligen französischen Kriege, in welche Österreich verwickelt war. Auch unsere katholische Kirche hat den Verlust ihres gesamten Kirchensilbers zu beklagen. 1817 wurde der Holzturm der Riegersdorfer Kirche durch Zimmermei ster Olejczyk W enzel aus Mähren erneuert. 1818 vergoldete der Vergolder und Staffierer Karl Kästner aus Troppau die Orgel und die Altäre in der Bielitzer Pfarrkirche, und 1820 baute der Brünner Orgelbauer Franz Harbich die Orgel der Bielitzer Pfarrkirche. Aus dem Jahre 1821 ist überliefert, 58
daß durch die Bulle »de salute animarum« vom 16. Juli 1821 das BistumsKommissariat Pleß mit den Archipresbyterien Beuthen, Myslowitz, Niko lai, Pleß und Tamowitz von der Krakauer Diözese getrennt und zu Breslau geschlagen wird. Zu Bielitz gehörten damals: Bielitz, Altbielitz, Karnitz, Ellgoth, Ems dorf, Heinzendorf, Kurzwald, Matzdorf, Riegersdorf und Zabrzeg. Zu Schwarzwasser gehörten: Groß-Kuntschitz, Haslach, Ochab, Pruch na, Klein-Kuntschitz, Schwarzwasser und Zarzicz. 1821 bis 1822 schnitzte Bildhauer Johann Friedl aus Troppau den Hochaltar der Bielitzer Pfarrkirche, und ein Jahr später schuf Maler Johann Fignowski aus Saybusch zwei Bilder am St.-Johannes-Altar und das Dekkengemälde der Kirche in Wilmesau, in welcher schon 1642 der Ratiborer M aler Andreas Helfert Vergoldungsarbeiten durchführte (Kruzifix). Das Gemälde des heiligen Nikolaus, des Patrons der Bielitzer Pfarrkirche, malte der W iener akademische Maler Josef Kraft - wie es heißt: für teures Geld. 1808 war die Dreifaltigkeitskirche ein Opfer der Flammen geworden. Bis 1815 diente sie durchziehenden Tm ppen als Heumagazin und später als Salzdepot. Von etwa 1820 bis 1830 wurde sie wieder aufgebaut und am 15. Juni 1830 als katholische Kirche neu eingeweiht. Östlich von unseren Schwesterstädten liegt das deutsche Dorf Alzen. In dieser Periode wurde es im Jahre 1829 als kirchliche Gemeinde selbstän dig. Schriftliche Hinweise auf dieses Dorf reichen in kirchlicher Sicht bis in das Jahr 1645 zurück, als in den Batzdorf er Kirchenbüchern die Alzener aus »Alzenau« verzeichnet erscheinen. 1767 ist das Jahr, seit welchem Alzen als Wallfahrtsort gilt. 1777 etwa wurde eine hölzerne Kapelle in Alzen gebaut. Um 1784 entstand eine neue Kirche. Am 2. Februar 1945 sank sie durch den Beschuß russischer Artillerie bis auf die Grundmauern in Trümmer und brannte aus. Sie wurde in den Jahren 1946 bis 1948 wieder aufgebaut. Aus dem Jahre 1831 weiß »Das Judentum in Geschichte und Gegen wart«, erschienen in Berlin 1929, zu berichten, daß bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bielitzer Juden zum Judentum des Teschener Kreises gehörten und 1831 die Bewilligung zum Bau eines eigenen Bethauses erhielten. Aus dem Jahre 1834 ist bekannt, daß Karnitz seine erste katholische Schule erhielt und der Maler Anton Berger aus Neutitschein das Ölberg 59
schild in der Bielitzer Pfarrkirche schuf. All diese Aufzeichnungen verdan ken wir Londzin und Oppolski. 1832 können die Baulichkeiten für die Schulen in Bistrai, Nickelsdorf und Städtisch-Ohlisch begonnen werden. 1834 wird auch das zweite Schulgebäude der Jugend von Karnitz, Fürstlich-Ohlisch und Lobnitz er baut. Durch Dekret Kaiser Franz’ I. vom 5. April 1811 wurde für ganz Österreich eine Pastoratsregulierung angeordnet. Zu ihrer Erledigung für unsere Heimat fand im Sommer 1812 im Schloß zu Bielitz eine Verhand lung statt, an welcher Kreiskommissar Sommer von Teschen, die beiden Bielitzer Pastoren, der Bürgermeister und Kirchenälteste aus Bielitz, Alex anderfeld, Altbielitz, Batzdorf und Braunau teilnahmen. Zur Bielitzer Kirchengemeinde gehörten damals: Alexanderfeld, Altbielitz, Batzdorf, Braunau-Ellgoth, Franzfeld, Karnitz mit Ober-Ohlisch, Kurzwald, Lob nitz, Matzdorf, Nieder-Ohlisch, Bistrai und Nickelsdorf. Die Seelenzahl der Landgemeinden betrug 2.261, jene der Stadtgemeinde 2.300. Die evangelischen Gemeinden unserer Sprachinsel hatten auch ihre Sorgen. Für die vielen Gläubigen ist der Betsaal der Stadt viel zu klein. Es sind 1.884 Seelen allein in den Dörfern Altbielitz, Alexanderfeld, Lobnitz, Karnitz und Ober-Ohlisch zu betreuen. Dazu kommen noch die Stadt mit 2.300 Evangelischen und rund um die Stadt Bielitz noch einmal 1.337, so daß zusammen 5.561 Seelen - M atzdorf mit berücksichtigt - zu betreuen sind. So beschließen die Interessierten am 12. September 1811, für die Schaf fung eines neuen Gotteshauses zu wirken. Dieses Bemühen dauert bis zum 30. März 1817, und die Stationen bis zur Erlangung des Gewünschten sind: Vom 27. Oktober 1814 stammt der Kaufbrief für den erworbenen Altbielitzer Grundbesitz; es ist der »Niederhof«, den man für 16.000 Gul den erwirbt. Am 13. März 1817 hat die hohe Hofkanzlei die angesuchte Errichtung eines eigenen Bethauses und Pastorats zu genehmigen geruht. Am 18. April 1817 reicht das k. k. Kreisamt Teschen die Genehmigung an die Kirchengemeinde weiter. Am 20. Juli 1817 findet die Einweihung des Platzes für die Kirche statt, und am 9. Mai 1818 wird der Platz in einer Breite von 30 Ellen und einer Länge von 46 Ellen Breslauer Maßes für den Bau des Bethauses ausgesteckt. Am 12. Mai des gleichen Jahres wird der Grundstein gelegt, und man beginnt zu bauen. Am 24. Juli 1827 ist die Kirche vollendet. Aber erst am 17. Oktober 1852 kann der Turm einge 60
weiht werden, und 1867 wird der ganze Bau fertig. Dagegen wurden die evangelischen Gemeinden Altbielitz mit Alexanderfeld, Karnitz, Ohlisch und Lobnitz bereits im Jahre 1827 selbständig.
Blick über die Białka: Biała und östlich davon In Biala wurde an die Schaffung eines Zunfthauses gedacht. Das im Jahr 1812 erbaute zweistöckige Haus am Franzensplatz, dem zweiten Bialaer Ring, Ecke Bahnstraße, wurde 1825 käuflich erworben, und seine Einwei hung fand am 17. Oktober 1825 statt. In den Jahren 1790 bis 1800 wurden 122 M eister in die seit dem Anschluß Galiziens wieder völlig deutsche Innung aufgenommen, davon waren allein 91 neu zugewandert. 1800 bis 1810 sind es 173 weitere Meister, die ankommen, und von 1810 bis 1820 treffen nochmals 135 neue Meister ein. Diese Zunft war aus der 1667 gegründeten Kunzendorf-Lipniker Zunft hervorgegangen, in deren Reihen sich auch Polen befanden. Nun sollen einige Begebenheiten aufzeigen, daß östlich von uns - ganz in unserer Nähe - das Deutschtum auch noch von sich reden macht: Von 1795 bis 1809 war ein starker Zuzug deutscher Bürger nach Krakau zu verzeichnen, so daß ein Verzeichnis der Krakauer Kaufleute 1809 mehr als ein Drittel deutsche Namen aufzuweisen hat. Ein Forkmann stellt das erste Mikroskop zur öffentlichen Besichtigung auf, ein Peter Steinkeller, dessen Name auch noch an anderer Stelle er scheint, unterhielt eine Schnellpostverbindung zwischen Krakau und War schau, und zu Anfang des 19. Jahrhunderts werden Deutsche durch die Landwirtschaft reich. Es ist das Deutschtum des Neu-Sandetzer Gebietes, das damals noch florierte.
Das Auf und Ab dieser Epoche Wenn wir abschließend für diesen Zeitabschnitt unserer Darstellung kurz zusammenfassen, in welcher Lage unsere Heimat - am Rande des deut schen Sprachgebietes, an den Stellen des Sichberührens, vor allem der Deutschen auf der einen und der Polen und Tschechen auf der anderen 61
Seite - sich befand, so erhalten wir ein unruhiges, unsicheres und am Vorabend einer noch viel erregenderen Epoche stehendes Geschehen. Wie war es denn in den Jahren bis 1835? Am Eintritt in diese Epoche befinden wir uns im Machtzuwachs Napo leons. 1805 wird er Kaiser; vom Papst gekrönt, richtet er das Königreich Italien auf. Vom 20. November bis zum 2. Dezember hat er sein Haupt quartier im nahen Brünn. Das nächste Jahr bringt das Ende des Deutschen Reiches. 1806 stehen die Polen im Kampf gegen Preußen auf der Seite des französischen Herrschers, 1807 bricht Preußen zusammen, und bis 1809 trägt der Habsburger Gesamtstaat die Hauptlast des Kampfes gegen Napo leon. Eben in diesem Jahr rücken die Polen im Kampf gegen Österreich an die Seite des Korsen. Nach Aspern folgt Wagram und der Zusammenbruch Österreichs. Im Wiener Frieden (14. Oktober 1809) erhalten die Polen einen eigenen Staat, das Herzogtum Warschau, allerdings nach den W ün schen Napoleons. Im Januar 1807 erscheint ein Teil des 9. Französischen Korps vor Cosel und muß abziehen, am 4. April wird Cosel wiederum belagert, es sind bayrische Abteilungen, die die Stadt belagern. Cosel überstand und wurde nicht genommen. In diesem Jahr sind die Franzosen wieder in Brünn, zuvor war aber am 3. Mai 1809 W ien nach dreitägiger Beschießung von den Franzosen ge nommen worden. Die Besetzung dauert sieben Monate und ist praktisch bis zum Wiener Kongreß Mittelpunkt der französischen Kriegsmacht. In die ser Zeit hat auch unser Bielitzer Fürst eine nicht gerade rühmliche Rolle gespielt. Ich habe an anderer Stelle darüber berichtet. Österreich verliert rund 115.000 Quadratkilometer seines Landes.
Die Einheitsbewegung und der Deutsche Bund Im ausgehenden 18. Jahrhundert trat ganz Europa in eine revolutionäre Epoche ein. Gezündet im Westen, ergoß sich diese Bewegung ostwärts über unseren ganzen Kontinent, machte auch vor Deutschland nicht halt. Sie hatte überall die Einigung der jeweiligen Nation zum Ziel. Unser Volk war besonders behindert, diesen Weg zu gehen, da neben der alten Gesell schafts- und Herrschaftsordnung - zum Unterschied von allen unseren 62
Nachbarn - ein zerrissenes dynastisches Staatsgefüge mit mehreren großen und vielen kleinen, staatlich souveränen Territorien sowie zahlreichen geistlichen und weltlichen Herrschaften - Bielitz war auch eine solche eine schwere Hypothek auf dem W eg zur Einigung darstellte. Allen Übeln voran stand der unüberbrückbare Gegensatz der beiden Großen im Reich: Österreich und Preußen. Im Reich fehlten größere Wirtschaftsräume, man erstickte in der deut schen kleinstaatlichen Enge, das Bürgertum war im politischen Bereich ohne jede Initiative und ordnete Ideale stets politischen Forderungen unter. Die neuen Gedanken fanden in Deutschland lebhaften Widerhall. Frankreich behauptete sich gegen die zerstrittene, bisher übermächtige europäische Koalition, und dieser Schritt nach vom führte schließlich zur Auflösung des Reiches. Kaiser Franz II., der sich die österreichische Kai serwürde 1804 gab, legte am 6. August 1806 dann auch die Krone des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation« in Wien nieder. Von den »Altanen« der Kirche Am Hof »Zu den neun Engelschören« im I. Bezirk von W ien verkündeten damals Herolde diesen tragischen Entschluß des Kaisers. Was früher, durch die gemeinsame Sprache verbunden, auch staatlich zusammen war, wurde nun geteilt und entwickelte sich natürlich auseinander, da ein besonderes Reichsbewußtsein sowieso nicht mehr recht vorhanden war. Es gab kaum eine Erregung darüber. 1806 war Preußen zusammengebrochen. 1809 folgte Österreich. Der russische Feldzug Napoleons und die Völkerschlacht bei Leipzig brachten die Wende. Der Deutsche Bund - gegründet am 18. Juni 1815 - schloß 34 souve räne Fürsten und vier freie Städte zu einer lockeren Staatsgemeinschaft (die Preußen und Österreich einschloß) zusammen. Seit 1818 zählte auch das frühere schlesische Herzogtum Auschwitz-Neustadt/Zator dazu. Für uns insofern interessant, da Biala von da an mit dem gesamten rechten Bialkaufer auch zu Deutschland gehörte. Doch gab es in diesem Deutschland noch keine geschlossene, einheit liche Opposition gegen die Regierungen der einzelstaatlichen Gewalten. Nicht zuletzt spielten auch die beiden verschiedenen Religionen eine Rolle, die Führung - besonders im Osten - blieb in den Händen der mnd 12.000 Rittergutsbesitzer mit ihren Vollmachten. Um so mehr sticht jetzt die Aktivität der Burschenschaft hervor, die einen ersten Kern für die erstrebte Einheit und Freiheit abgab. 63
Das Wartburgfest vom 18. Oktober 1817 und das Hambacher Fest vom 27. Mai 1832, auf dem sich alles traf, was in Deutschland eine liberale und konstitutionelle Umgestaltung des öffentlichen Lebens und die Überwin dung der deutschen Vielstaaterei herbeisehnte, waren Stationen auf dem Weg zur deutschen Einigung. Dem Aufmarsch am Hambacher Schloß wurden zwei Fahnen vorangetragen: die schwarz-rot-goldene der deut schen Burschenschaft und die weiß-rote der Polen. Seit etwa der gleichen Zeit (1830) wurde in Österreich die schrittweise Loslösung der Donauvölker von der deutschen Führung sichtbar. Der Slawenkongreß 1848 zu Prag war ein weiteres deutliches Signal in dieser Richtung. Eine besondere Figur in der Regierungszeit Ludwig-Johann-Nepomuks von Sulkowski war der tschechische Geschichtsschreiber und Politiker Franz Palacky, 1798 in Hotzenplotz, dem deutschen Städtchen in unserem österreichischen Schlesien, geboren. Er schrieb zuerst in deutscher und später in tschechischer Sprache seine »Geschichte von Böhmen« mit tschechischer Parteinahme. Der W ahlaufruf des Vorparlaments löste bei den Tschechen in Böhmen den heftigen Widerspruch ihres Führers Palacky aus, der nach Frankfurt einen ablehnenden Bescheid gab und als Böhme slawischen Stammes ein Bekenntnis zum österreichischen Staat ablegte: »Ich bin ein Tscheche slawischer Herkunft, und mit dem Wenigen, das ich besitze und das mir gehört, habe ich mich ganz und für immer dem Dienst meines Volkes gewidmet. Wohl ist dieses Volk klein, aber seit unvordenklichen Zeiten ist es ein unabhängiges Land mit eigenem Charak ter gewesen; seine Herrscher haben seit alten Zeiten am Bund der deut schen Fürsten teilgenommen, aber das Volk fühlt sich deshalb niemals als Teil des deutschen Volkes und wurde von anderen durch die Jahrhunderte hindurch niemals dafür gehalten. Die Verbindung der tschechischen Län der erst mit dem Heiligen Römischen Reich und dann mit dem Deutschen Bund war immer eine rein dynastische, von der die tschechische Nation, die tschechischen Städte nicht viel wissen wollen und die sie kaum beach teten ... Der zweite Grund, der mich davon abhält, an Ihren Beratungen teilzunehmen, ist die Tatsache, daß Sie nach allem, was bisher öffentlich von Ihren Zielen und Absichten bekanntgeworden ist, jetzt und zukünftig unwiderruflich danach streben, Österreichs Unabhängigkeit zu vernichten und sein Weiterbestehen unmöglich zu machen - ein Reich, dessen Erhal 64
tung, Integrität und Festigung eine große und wichtige Angelegenheit nicht nur für meine eigene Nation, sondern für ganz Europa, sogar für die Menschheit und die Kultur selbst ist und sein muß. Wenn ich über die böhmischen Grenzen sehe, wende ich mich aus natürlichen und historischen Gründen nicht nach Frankfurt, sondern nach Wien, um dort den Mittelpunkt zu suchen, der geeignet wäre, den Frieden, die Freiheit und das Recht meines Volkes zu sichern und zu verteidigen ... Um Europas willen darf Wien nicht zur Rolle einer Provinzstadt herabsin ken. Wenn es in Wien selbst Leute gibt, die ihr Frankfurt haben wollen, dann müssen wir rufen: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie verlangen. Endlich gibt es einen dritten Grund, weshalb ich es ablehnte, an Ihrer Versammlung teilzunehmen: ich halte alle die bisher gemachten Versuche, dem Deutschen Reich eine neue, auf dem Willen des Volkes gegründete Verfassung zu geben, für undurchführbar und als nicht sicher genug für die Zukunft, solange Sie sich nicht wirklich für die Operation auf Leben oder Tod entscheiden, womit ich die Proklamierung einer deutschen Republik meine ... Jedoch muß ich im voraus energisch und eindeutig jede Idee einer Republik innerhalb der Grenzen Österreichs zurückweisen. Denken Sie an ein in zahlreiche Republiken und Zwergrepubliken geteiltes Österreich was für eine großartige Basis für eine russische Universalmonarchie! Das schrieb der Tscheche Palacky im Jahr 1848, als die slawischen Völker der Monarchie sich anschickten, sich vom österreichischen »Joch« zu befreien. Es kam allerdings, das wissen wir heute ganz genau, völlig anders. Die Freiheit kam nicht. Lediglich ein anderes Joch. In Böhmen war tschechischer Nationalismus erwacht, er forderte die Vereinigung Mährens und Schlesiens - also unserer Heimat - mit Böhmen. Er forderte die Gleichstellung mit den Deutschen des Landes. Der Kongreß der Slawen wird am 2. Juni eröffnet. Deutsch ist die Verhandlungssprache. Unter den Teilnehmern befindet sich auch der russische Anarchist Baku nin. Am Pfingstsonntag wird durch eine Kugel die Fürstin Windischgrätz, die Frau des Prager Kommandanten, getötet. Barrikaden werden errichtet, es wird kurz verhandelt, dann beginnt eine Beschießung, und die Stadt muß sich ergeben. In diesen Tumulttagen geht der Prager Slawenkongreß aus einander. Nach Frankfurt zu gehen lehnte Palacky ab, war dagegen aber Leiter des Slawenkongresses in Prag. 65
Die Mehrheit des deutschen Parlamentes in der Paulskirche schloß sich der westeuropäischen und auch amerikanischen Terminologie des Natio nalbegriffes an, unter welchem eine übergeordnete Gemeinschaft verstan den und wonach jeder als Deutscher betrachtet wurde, der auf deutschem Gebiet lebte. Das paßte weder den Polen noch den Tschechen, nun als Deutsche angesehen zu werden; ihr Nationalgefühl war schon viel zu sehr ausgeprägt. Was diese Völker wollten, was also deutscherseits falsch ge macht wurde, zeigt am deutlichsten Palackys Brief auf die Einladung nach Frankfurt. Dazu kam noch, daß Frankfurt auch diplomatisch nicht die erforderli che Anerkennung fand. Lediglich die Vereinigten Staaten hatten volle diplomatische Beziehungen - abgesehen von einigen kleineren europäi schen Staaten - mit der Zentralregierung aufgenommen. Das bedeutendste Faktum von 1848 war das Erscheinen einer Arbeiterbewegung im deut schen Volk. Sie wurde erstmals zum politischen Faktor. Und wenn bis dahin der deutsche Zwiespalt sich in friedlicher Weise abwickelte, so bestimmte fortan der offene politische und militärische Dualismus zwischen Preußen und Österreich die deutsche Politik, die schließlich in das Jahr 1866 mündete. Der Weg in die deutsche Einheit war für lange Zeit zu Ende. Zwei deutsche Staaten standen sich für rund neunzig Jahre gegenüber. Das große Reich war zerbrochen. Unsere Nach barn rundum haben das gern zur Kenntnis genommen. Republikanische Neigungen zeigten sich in Deutschland erstmals etwa 1840. Die schlechte Ernte des Jahres 1847 begünstigte die Unzufrieden heit, und so bedurfte es nur eines Anlasses, um einen Aufstand auszulösen. Diesen Anlaß bot die französische Februarrevolution. Am 27. Februar 1848 beantragte Heinrich von Gagem in der hessischen Kammer die Errichtung einer deutschen Zentralgewalt, und Vorberatungen fanden am 30. März in Frankfurt statt, nachdem schon am 19. März die Prüfung der Bundesverfassung beschlossen war. Am 13. Januar 1848 war Metternich durch den dort losgebrochenen Volksaufstand in Wien gestürzt, am 16. März war die Bildung eines liberalen Ministeriums in Sachsen verwirklicht, am 18. März gab es Un ruhen in Berlin, und am 20. März dankte König Ludwig von Bayern ab. Ebenfalls im März 1848 gab es Unruhen in der Rheinprovinz, und am 18. dieses Monats siegte die Revolution in Berlin. Drei Tage später ritt der preußische König mit einer schwarz-rot-goldenen Armbinde angetan durch 66
die Stadt. Preußen sollte von nun an in Deutschland aufgehen. Außer in Preußen und Österreich tobte aber auch noch in Süddeutschland die Revolution. Im südlichen Baden kam es sogar zur Aufstellung regelrech ter Revolutionstruppen, deren bekanntester Führer, Friedrich Hecker, ein Obergerichtsadvokat, der zum sozialdemokratischen Republikaner wurde, fliehen und gleich unserem Bielitzer Herzog Ludwig-Johann Nepomuk von Sulkowski Farmer in Amerika werden mußte. Auch Gustav von Struve, Rechtsanwalt - wie Hecker - in Mannheim, mußte flüchten und betä tigte sich in Amerika als Offizier im Bürgerkrieg. Wie Sulkowski kehrte er nach Europa zurück und starb in Wien. Das waren heiße Monate für Deutschland. Am 18. Mai 1848 wurde die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt mit ihren 568 Mitgliedern eröffnet, Heinrich von Gagem war ihr Präsident. Am 29. Juni 1848 wird der österreichische Erzherzog Johann zum Reichsverweser gewählt, der den Bundestag aber schon am 12. Juli des gleichen Jahres wieder auflöst und ein Reichsministerium (Fürst von Leinigen) beruft. Nie war die Elite eines Volkes so ernst den Dingen hingegeben, nie waren so viele bedeutende und zugleich ehrliche und ideal gesinnte Män ner beisammen wie hier in Frankfurt. Aber jene hochsinnigen M änner des Frankfurter Parlamentes waren eben nichts anderes als Kinder ihrer Zeit und Deutsche, das heißt, sie, die Revolutionäre, waren selbst ängstlich auf Legitimität bedacht, hatten ein blindes Vertrauen zu Verfassungsplänen und kamen nicht auf den Ge danken, daß nur ein Wandel in der Verteilung der politischen Kräfte den Verfassungsprojekten zur Wirkung verhelfen konnte. Sie fürchteten die Volkserhebung und neigten zur Hoffnung, daß die alte Ordnung durch Aufrichtung einer komplizierten Maschinerie von Hemmungen befreit und durch Schaffung von Gleichgewichten reformierbar sei. Zu allem Überfluß hatte dieses Parlament eben gar keine Exekutivgewalt, hatte keine innere Stoßkraft, weil ihm die inneren und tieferen politischen Grundkräfte fehlten. Die Bundesversammlung oder der Bundestag war ein Organ des Deut schen Bundes, das sich aus den Bevollmächtigten (Bundestagsgesandten) der verbündeten Regierungen zusammensetzte. Den Vorsitz hatte Österreich durch den Bundespräsidialgesandten. Aus der Wirrnis der aufgetauchten Probleme zogen sich schließlich 65 M it 67
glieder der Frankfurter Versammlung zurück und verließen das Haus - »sie wollten nicht den Bürgerkrieg schüren«. Die hochachtbaren Männer dieses Parlaments hatten die Gelegenheit versäumt, die Unterstützung des Volkes zu suchen und eine echte soziale Bewegung zu erwecken. Doch ob in dieser Zeit mit den Massen gegangen werden konnte, ist zu bezweifeln, so daß damals also niemals die Männer von Frankfurt, sondern vielmehr die Verhältnisse dieser Zeit die Schuld am Nichtgelingen des begonnenen Werkes trugen (Helbock). Die Schaffung eines deutschen Bundesstaates in der Frankfurter Pauls kirche rührte aber an der Existenz der Habsburgermonarchie, denn die nichtdeutschen Teile Österreichs konnten darin keinen Platz haben. Zwischen der Schaffung eines damals modernen Nationalstaates und dem Fortbestehen des auf universalen Ideen begründeten österreichischen Kaiserstaates klaffte ein unüberbrückbarer Widerspruch. Es war vor allem die »Frage an Österreich«, die den Deutschen Öster reichs eine Entscheidung zwischen der Beteiligung an einem deutschen Nationalstaat bei staatsrechtlicher Auflösung des Kaiserreiches oder dem Verbleiben in der Donaumonarchie abverlangte. Als die Habsburgermonarchie unter den Märzstürmen zu zerbrechen drohte, schien der Aufnahme ihrer deutschen Teile - also auch unseres heimatlichen Schlesiens - in das zukünftige Deutsche Reich nichts im Wege zu stehen. Ein Sieg der demokratisch-nationalen Revolution in Wien, zu welcher auch das Geschehen um die Bielitzer Nationalgarde und ihr Zug gegen Wien zu rechnen ist, hätte der Habsburgerdynastie sogar die Chance ge geben, die Führung in einem gesamtdeutschen Reich zu erlangen. Ungarn und die slawischen Völker unseres Donaustaates hatten sich ja gleichzeitig erhoben. Inzwischen siegte aber die »Reaktion«, und unter der starken Hand des Ministerpräsidenten Felix Schwarzenberg wurde die Revolution entschlos sen niedergeschlagen, und in der Erklärung von Kremsier Ende November 1848 erteilte die österreichische Regierung den Frankfurter Verfassungs plänen eine eindeutige Absage: Die Erhaltung des österreichischen Ge samtstaates, so hieß es, sei ein deutsches und europäisches Bedürfnis. Als aber ein Vierteljahr später, am 4. März 1849, der österreichische Reichstag aufgelöst und eine neue Verfassung aufgezwungen wurde, war es klar, daß sich der Hof jeder bundesstaatlichen Regierungsform widersetzte. 68
In den Vordergrund der politischen Ziele der Wiener Regierung trat der Gedanke eines mitteleuropäischen föderalistischen Siebzig-Millionen-Reiches. Und das wiederum stand im krassen Gegensatz zu den nationalen Vorstellungen der Paulskirche. Heinrich von Gagem schlug dann noch die Schaffung eines deutschen Bundesstaates vor, der völkerrechtlich mit der Habsburgischen Monarchie verbunden sein sollte. Dadurch wäre die deutsche Einheit gewahrt geblie ben. Die Entwicklung verlief aber so, daß die beiden großen Mächte im Deutschen Reich durch das Nichtgelingen der Revolution wieder erstark ten und so im Frankfurter Bundestag der Dualismus offen zutage trat. Man entschloß sich, ein Deutschland ohne Österreich zu schaffen. Die Gegen sätze der beiden Herrscherhäuser Habsburg und Hohenzollern waren die Ursache, daß das gesamte Deutschland unter Einschluß Österreichs nicht entstand. Nun interessiert noch die Frage, warum die Wiener Regierung, warum das Haus Habsburg einen eigenen Weg ging. Die schrittweise Loslösung der nichtdeutschen Völker der Donaumon archie wurde etwa ab 1830 sichtbar. Stärksten Anteil an dieser Entwicklung hatten die Gedanken Herders vor allem auf die Slowaken und Tschechen. Der evangelische Slowake Johann Kollar hat als junger Theologiestudent in Jena die Gedanken Her ders und der deutschen Romantik kennengelemt und gierig eingesogen. Stefan Szecheny wurde der Führer der ungarischen Emeuerungsbewegung. Sie taten alles, um die deutsche Führung »abzuschütteln«, und das weithin verstreute Deutschtum des Donauraumes geriet in die Isolierung. Es blieb nur national der engste Kontakt mit der eigenen Heimat. Die eigene Heimat wurde zum Geschichtsbewußtsein. Man befaßte sich mit der eigenen Geschichte. Diese Feststellung trifft genau den Kern des Inseldaseins der deutschen Sprachinsel um Bielitz-Biala. Für die Bürger des Reiches waren wir ja keine Deutschen, sondern Ausländer - also mußten wir unser Dasein und unser Leben allein gestalten. Aus eigener Kraft und Klugheit wurden die Möglichkeiten und Partner gesucht und gefunden, um nicht nur die Masse unserer Inseldeutschen zu erhalten, vielmehr sie nach Kräften noch zu vermehren. Soweit es die Deutschen unserer Insel betrifft, haben sie es geschafft, bis Deutschland zerbrach und andere Mächte uns vertrieben. Diese Verwurzelung der einheimischen Deutschen hielt sich lange Zeit. Ihr 69
bekanntester Vertreter war Adalbert Stifter mit seinen farbenprächtigen Schilderungen der heimatlichen Geschichte. Und eben diese Deutschen erwiesen sich als die Klammer, welche die Donauvölker mit dem Gesamt deutschtum verband. Die Entscheidung, daß die Deutschen nach 1945 diese Gebiete verlassen mußten, wurde sicherlich von der Kenntnis dieser Tatsache beeinflußt. Die Völker der Monarchie waren im großen und ganzen mit der politi schen Ordnung recht zufrieden und zeigten keine Aufstandsgelüste. Ihre Führer, vor allem der Tscheche Palacky, hatten recht deutlich zum Aus druck gebracht, daß das Habsburgerreich der unentbehrliche Rahmen des vielvölkischen Kaiserstaates an der Donau sei. Bei Habsburg und seinem Staat wollten sie bleiben, nur einem rein deutschen Staat angehören, das wollten sie nicht. Und Palacky lehnte es auch ab, am Frankfurter Bundes tag teilzunehmen. So stand Habsburg vor der Entscheidung, entweder »seine Völker« zu verlieren oder in einem rein deutschen Staat unter Umständen nicht die Führung zu besitzen, und so entschied man sich gegen den gesamtdeut schen Staat. Den größten Widerstand leisteten die Ungarn, und sie sahen schließ lich nach der Niederlage Österreichs 1866 im »Ausgleich« den staatsrecht lichen Standpunkt als verwirklicht an. Die Donaumonarchie brach in zwei Hälften. Das geschwächte Deutschtum Österreichs und sein Kaiserhaus wichen zurück, mußten zurückweichen! Neben ihm herrschten nun auch die Un garn im Habsburgerreich. Und die anderen, die Slowaken, Kroaten, Tsche chen, Slowenen und Ukrainer, fühlten sich zurückgesetzt. Sie sahen ihre Kaisertreue betrogen. So schlug die weitere Entwicklung auseinander strebende Tendenzen ein. Kaum eine andere Volksgruppe als wir Inseldeutsche aus Bielitz kann dieses Geschehen verstehen, standen wir doch mitten drin in dieser Be drängnis unseres eigenen Volkstums. W ir mußten Zusehen, wie aus Wien kommende Anordnungen genau unserem Volkstum abträglich waren, nur um die nichtdeutschen Nachbarn und Mitbewohner unserer Heimat zufrie denzustellen. Der erste Band von Palackys »Geschichte des tschechischen Volkes«, 1836 herausgegeben, sprach von einem einzigen Kampf des Guten mit dem Bösen, das selbstverständlich die Deutschen verkörperten. Sie waren für 70
ihn das Sinnbild für Unfreiheit, Ungleichheit und Unbrüderlichkeit (nach G. Stöckl). Seit dem Jahr 1838 fließen auch ständig sozialistische und kommunisti sche Theorien aus dem benachbarten Frankreich nach Deutschland ein. Es sind die Lehren von Claude Henri Comte de Saint-Simon, einem Adeligen, der als Gründer der ersten sozialistischen Schule gilt (1825-1832), und es ist das System des Franęois Marie Charles Fourier, des »Fourierismus«, nach welchem die Menschen in »Konsumgemeinschaftshäusem« nach der Art von Luxushotels wohnen sollen und am Erfolg der gemeinsamen landwirtschaftlichen oder gewerblichen Arbeit nach Maßgabe des Beitra ges jedes einzelnen an Arbeit, Kapital und Talent teilnehmen. Es ist aber auch das »Kommunistische Manifest«, das Karl Marx mit Friedrich Engels 1848 in Brüssel verfaßt und das zuerst in deutscher Sprache herauskommt. Marx und Engels bekennen sich in ihren »Forderungen der kommuni stischen Partei in Deutschland« damals noch zum nationalen Einheits gedanken. Dort heißt es: »Ganz Deutschland wird zu einer einigen, unteilbaren Republik erklärt« (April 1848). Großdeutsch waren aber auch die Ziele der »demokratischen Linken« sowie die Mehrheit des »linken Zentrums«. Das Erscheinen der Arbeiterbewegung ist als bedeutendstes Faktum der Revolution von 1848 in Deutschland zu bezeichnen. Kein Verbot und keine Unterdrückung waren in der Lage, diese Bewegung zum Schweigen zu bringen. Ganz im Gegenteil. Schon 1863 gründete Lassalle den »Allgemeinen deutschen Arbeiterverein«, und 1868 wurde die Gründung der »Gewerk schaft« beschlossen. Sie wurde mit der Zeit ein wesentlicher Kernpunkt des Staatslebens, und es gab nach und nach im öffentlichen Leben kaum eine Einrichtung, auf welche die Gewerkschaft nicht unmittelbar oder mittelbar Einfluß ausüben sollte. Diese Bemerkungen sind wichtig, um das spätere Geschehen zu verstehen. Auch für Bielitz und Biala mit ihrer großen Zahl von Arbeitern war diese Entwicklung nicht unerheblich, wie wir noch sehen werden. Doch kehren wir zunächst wieder zum Deutschen Bund nach Frankfurt zurück. Vom 12. Juli 1848 bis 2. September 1850 war der Bundestag wegen der anhaltenden Unruhen aufgelöst. Schmerling ist ab September Präsident des 71
Reichsministeriums und tritt im Dezember wieder zurück, Gagern wird Nachfolger. Am 28. März 1849 wird König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zum »Kaiser von Deutschland« gewählt (290 Stimmen sind dafür, 248 enthalten sich). Am 29. März 1849 wird eine neue Reichs Verfassung veröffentlicht, was Österreich veranlaßt, seine Abgeordneten zurückzurufen. W enige Tage später, am 3. April, lehnt der preußische König die Wahl ab, und am 2. September 1849 lädt Österreich zum Zusammentritt des wiederher gestellten Bundestages nach Frankfurt ein; es gelingt aber nicht mehr, alle Staaten zusammenzufassen, und so legt Erzherzog Johann am 20. Dezem ber 1849 das Amt des Reichsverwesers nieder. Fünf Monate später, am 10. Mai 1850, tritt der Deutsche Bundestag, durch Österreich einberufen, wieder zusammen und beginnt am 2. Septem ber mit seiner Arbeit, ratifiziert am 26. Oktober den Frieden mit Däne mark, aber den Eintritt Österreichs in den Deutschen Zollverein erreicht man nicht mehr. Preußen ist entschieden dagegen und beschickt den Bun destag erst wieder im Mai 1851. Im Krimkrieg (1854-1856) und im Italienkrieg (1859) ist der Bund neutral und kann durch den Widerstand Preußens nicht zugunsten Öster reichs dort eingreifen. Am 14. Juli 1866 übersiedelt der Bundestag nach Augsburg und hält dort am 24. August seine letzte Sitzung ab: Am 3. Juli 1866 war die Schlacht von Königgrätz geschlagen worden, die Österreich endgültig aus dem Verband des deutschen Staatenbundes ausscheiden läßt. Das Oberkommando hatte Feldzeugmeister Ludwig Benedek übernehmen müssen, da der Kaiser nicht den Ersten Offizier der Armee - Erzherzog Albrecht, Herzog von Teschen - dem Zufall eines derartigen Feldzuges aussetzen wollte. Albrecht erhielt ein sicheres Kommando in Italien. Die Schlacht ging verloren, und auf die Unglücksbotschaft hin tritt Kaiser Franz-Joseph telegrafisch Napoleon Venetien ab. Am 26. Juli kommt der Vorfriede zu Nikolsburg und am 23. August der endgültige Frieden in Prag zustande. Der Deutsche Bund besteht nicht mehr. Österreich ist nicht mehr Glied des deutschen Staatsverbandes. Das Reich ist also zerfallen, unsere Heimat liegt nun in Österreich, einem Staat mit einem deutschen Kaiserhaus, aber vielen inneren Schwierigkeiten. Es ist ein anfälliges Staatswesen. Seine Merkmale eines heute so erstrebten vereinigten Europas werden immer mehr zum Keim des 72
vorauszuahnenden Zerfalls. Die staatstragenden Deutschen aber sind nicht die Schuldigen an dieser Unterspülung der staatlichen Autorität des Do naustaates. Es sind vielmehr die nichtdeutschen Völker, die anderen Plänen und Träumen nachhängen. W enden wir uns nun diesen Verhältnissen zu. Es sind die Vorgänge in jenem Land, dem wir nun einmal zugehörten: in Österreich.
Der Verlauf der Revolution in Österreich Aller Glanz und aller Jammer des Jahres 1848 aber zeigte sich in Wien. Von hier aus hatte der alte Metternich sein »System« gelenkt. Hier wurden die Studenten immer noch schülerhaft gehalten, hier durften Professoren sich weniger als woanders zur Freiheit der Forschung und Lehre bekennen. Die Hochschule hatte nach wie vor den Sinn, brauchbare und gehorsame Staatsdiener zu bilden. Die Stimmung an der Universität, dem Poly technikum und der Kunsthochschule war explosiv. Tausende von Wienern führt ihr Weg zur Arbeitsstätte oder zu den Vergnügungslokalen der Innenstadt durch die Herrengasse, über den Michaelerplatz dem Graben zu. Man schrieb den 13. März 1848. Seit einigen Tagen befanden sich die Menschen in fieberhafter Aufregung. Die Schuld trugen die Gerüchte über die Vorgänge in Frankreich, über die Februar revolution in Paris. Die vorausgegangenen Jahre hatten Mißernten und schwere Teuerungen gebracht, was wieder einen schlechten Geschäftsgang nach sich zog und Arbeitslosigkeit auslöste. W er konnte anders schuld sein als die Regierung! Diese Auffassung über die Regierung wuchs langsam, war doch seit 1620 nach dem Sieg der Gegenreformation die staatsbürger liche Freiheit mehr oder weniger unterdrückt worden. W enn es nicht mehr anders ging, raffte man sich zu Bittschriften an den Kaiser auf. Neben den vielen Sonderwünschen einzelner Gruppen wurde aber immer wieder der Wunsch nach der Teilnahme an der Gesetz gebung, Aufhebung der Zensur, Lehr- und Lemfreiheit, Bekanntgabe des Staatshaushaltes und der Staatsschulden sowie nach der Schaffung von Geschworenengerichten laut. Eine Bittschrift war von besonderer Bedeutung: die Bittschrift der Studenten. Der Gedanke, dem Kaiser eine Bittschrift zu übersenden, war zuerst bei der Burschenschaft »Arminia« aufgetaucht. Am 12. März wurde 73
die Bittschrift nach dem akademischen Gottesdienst, an welchem damals die Studenten teilnehmen mußten, in der Aula verlesen. Sie enthielt For derungen nach Presse- und Redefreiheit, Hebung des Volksunterrichts, Gleichstellung der Konfessionen im staatsbügerlichen Recht und auch die Vertretung der deutschen Gebiete der Monarchie beim Deutschen Bund in Frankfurt. Sie sollte den Ständen von Niederösterreich überreicht werden. Von der Universität, die damals in der Bäckerstraße lag, bewegte sich ein langer Zug von Studenten dem Landhaus zu, wo die Stände ihre Beratungen abhielten. Vor dem Landhaus angelangt, ergreift ein junger Mann - es ist der Mediziner Dr. Adolf Fischhof - das Wort. Dann wird in deutscher Übersetzung die Rede Kossuths, die er am 2. März im Preßburger Landtag hielt, verteilt. Sie spricht von Gerüchten über eine neue Geldentwertung, wie man sie 1811 vorgenommen hatte, und von versteck ten Angriffen auf das System. Die Erregung steigt derart, daß der Saal des Landtages gestürmt und die Einrichtung zertrümmert wird. Militär wird angefordert, und zwei Stunden später befiehlt der Stadtkommandant Erzherzog Albrecht, die Unruhen mit W affengewalt zu unterdrücken. Die Stadttore werden geschlossen und offene Stellen durch Barrikaden versperrt. Die Burg und ihre Umgebung werden besetzt. Schüsse fallen. Das Zeughaus wird gestürmt, um sich W af fen zu beschaffen. Aber ohne Erfolg. Überall stößt die Menge auf Militär. Das Hauptquartier der Revolution war die Aula der Universität. Dort lag die »Akademische Legion« alarmbereit, anfangs 6.000 überwiegend aus Studenten aufgestellte Freiwillige, geführt von selbstgewählten Offi zieren. Sie trugen blaue Waffenröcke, schwarz-rot-goldene Schärpen, graue Hosen und schwarze Filzhüte (Kalabreser oder Stürmer) mit Feder schmuck. Wie die Burschen aussahen, so fühlten sie sich auch: »Die Akademische Legion sprach: >Es werde L ic h t, und es ward Licht. < Theologieprofessor Fürster, der Kaplan der Legion, predigte den Studenten und Arbeitern der Wiener Vorstädte eine soziale >Religion der Freiheit«« Die Legion wurde immer radikaler, und die Aula wollte die Regierung und damit ganz Österreich kontrollieren. Einem »Zentralkomitee der Studierenden« legte die Regierung Ge setzesentwürfe zur Genehmigung vor. Liefen die Dinge nicht nach dem Willen der Radikalen, hatte man immer noch Barrikaden und Gewehre. In 74
den Hörsälen lag Stroh ausgebreitet, auf dem Soldaten und Studenten, die Waffen an der Seite, ganz gemütlich schliefen, von den Wänden schauten verwundert die Bildnisse der hochangesehenen gelehrten Herren nieder, welche hier einst ihre Weisheiten vortrugen. Für die großdeutsche Studentenschaft war der eigentliche Höhepunkt der Erhebung das W artburgfest vom 12. bis 18. Juni 1848 mit dem Ziel, eine »nationale Reorganisation der Universitäten« zu erlangen, die in den »großen Strom unserer nationalen Bewegung« gestellt werden sollte. Aber auch die 1.200 Abgesandten hatten keine einheitliche Zielsetzung. Durch das lange Hin und Her schrumpfte die stolze akademische Le gion in Wien auf 600 und weniger zusammen, und was blieb, war kaum noch »akademisch«. Als es sich zeigte, daß der im Handstreich errungene Sieg schwer zu halten war, wuchs der Widerstand gegen die Revolutionäre in den eigenen Reihen. Die Studentenschaft war uneinig. Die Erhebung in Wien stand aber noch unter einem anderen düsteren Vorzeichen: Die Freiheit, die die Deutschen meinten, verstanden die ande ren Völker der Donaumonarchie anders. Die Regierung setzte deshalb in Wien kroatische und tschechische Truppen ein. Über das Ende des Aufstandes schrieb Adolf Pichler damals: »Auf der Universität, dieser einst berühmten Geburts Stätte der Freiheit, war alles öde, wüst und verlassen. Beim Rückweg über den Domplatz blickte ich zufällig am Stephansdom empor: von der Rose flatterte die schwarz-gelbe Fahne, das Siegeszeichen der Militärherrschaft und Reaktion, durch den feuchten Nebel nieder. Das war der Abschluß des wüsten Dramas, frei lich der Knotenpunkt einer neuen unberechenbaren Entwicklung« (Adolf Pichler, Naturforscher und Poet, in »Freiheit schreibt auf Euere Fahnen« von W. Klose, Oldenburg 1967). Am 13. März 1848 beginnt die Revolution in Wien. Aber es war nicht nur in W ien unruhig: In den italienischen Provinzen betrieb man offen den Anschluß an das Königreich Sardinien. Ungarn, Kroaten, Serben, Tsche chen und Polen forderten Selbstverwaltung. Wütende Nationalitätenstrei tigkeiten brachen aus, weil sich die Serben, Kroaten, Rumänen und Slo waken ihrerseits wieder gegen die Bevorzugung der Ungarn auflehnten. Elf Nationen rebellierten schließlich, die auf sehr verschieden hohen Kul turstufen standen. Vier davon - Slowaken, Slowenen, Ruthenen und Ru mänen - waren geschichtslose Bauemvölker. Das Ziel der Revolution 75
sollte die Schaffung eines bürgerlich-kapitalistischen Organismus sein, aber diese Aufgabe hat sie eben nicht erfüllt. Metternich trat zurück, und die Zensur wurde aufgehoben. Wieder wurde das Zeughaus gestürmt, und man bewaffnete sich mit den dort befindlichen, nicht mehr zeitgemäßen Feuersteingewehren. Andere waren nicht da, obwohl man 1842 bis 1847 52 Millionen Gulden für die Armee ausgegeben hatte. Und warum diese Revolution? Die Wurzeln lagen sehr tief. Zeitweilig hatte es den Anschein, als würde das alte Habsburgerreich auseinanderfallen. Zwar wurde Metternich gestürzt, die Opposition mit ihren bürgerlichen Schichten hatte ihn zum Rücktritt gezwungen. Damit war das Ende seines Systems erreicht, aber zugleich begann auch die letzte Phase des Habsbur ger Nationalitätenstaates: In Italien, Ungarn, Böhmen und Galizien ent wickelten sich zunehmend mehr Selbständigkeitsbestrebungen. Auf dem Stephansdom und auf der Hofburg flatterten schwarz-rotgoldene Fahnen und in Prag wiederum als Protest gegen die deutsche Vorherrschaft schwarz-gelbe. Die großdeutsche Vorherrschaft stand in unserem Staat gegen den »Austroslawismus«. Die Monarchie befand sich am Rande der Anarchie. Der Kaiser floh nach Innsbruck, und von da aus lief dann die Gegenrevolution an. Nach dem Aufstand vom 13. bis 15. März 1848 erhielt Österreich am 25. April 1848 die sogenannte April- oder Pillersdorfer Verfassung, die aber die Aufstände vom 15. und 26. Mai nach sich zog. Diese Aufstände erzwangen das allgemeine Wahlrecht und das Einkammersystem. Am 1. Juni 1848 wurde der Allslawische Kongreß in Prag als Demon stration gegen das in Frankfurt tagende deutsche Volksparlament eröffnet. 340 Teilnehmer waren versammelt. 237 Tschechen, 60 Polen und Ruthenen und 42 Südslawen. Schließlich nahm noch der russische Revolutionär Bakunin daran teil. Die Polen träumten von der Wiederherstellung ihres Reiches, ein Traum, dessen Verwirklichung noch 70 Jahre auf sich warten ließ, die Slowaken befanden sich in scharfer Auseinandersetzung mit der Budapester Regierung. Am 7. September 1848 wurde bereits die Aufhebung des Untertänig keitsverhältnisses und die Grundentlastung von allen »Giebigkeiten und 76
Leistungen« ausgesprochen. Das Land, welches die Bauern schon vorher bewirtschafteten, kam nun in ihren vollen Besitz. Den Grundherren blieb im wesentlichen nur der Wald. An die Stelle der Patrimonialbehörden traten landesfürstliche Gerichts und politische Behörden. Die politische Verwaltung selbst ging auf das Ministerium des Innern als oberste Behörde über. Die »Zweite Instanz« waren die »Statthaltereien« in den Kronländem. Landesfürstliche Steuer ämter und auch Kreise wurden geschaffen. Im Herbst 1848 war die revolutionäre Front in Wien praktisch zerbro chen, die Provinz stand der Sache teilnahmslos gegenüber, in Italien hatte Radetzki einen Waffenstillstand erzwungen, und Mailand war zurücker obert worden, aber in der letzten Septemberwoche herrschte in der Haupt stadt starke Erregung. Am 6. Oktober brach erneut ein Aufstand los. Am 7. Oktober floh der Hof unter starker militärischer Bedeckung nach 01mütz. Am 8. Oktober gab Windischgrätz seinen Truppen den Marschbefehl gegen Wien. Die eigentliche Leitung der militärischen Operationen der Aufständi schen lag in den Händen des polnischen Revolutionsgenerals Josef Bern. Er hatte unter Napoleon gedient und im polnischen Aufstand von 1831 eine führende Stellung inne. Der in Tamow geborene Bern trat nach dem Fall Warschaus auf preußisches Gebiet über. Am 31. Oktober 1848 mußte er nach Ungarn fliehen. Die Feindseligkeiten begannen am 23. Oktober, am 25. begann der Großangriff. Am 28. Oktober war das Verteidigungssystem in voller Auflösung begriffen. Am 31. Oktober begannen die Beschießung und der Generalsturm auf die Stadt. Um 17 Uhr waren die letzten »Mobi len« entwaffnet. Dann folgte ein hartes Strafgericht. Am 1. November entstand aus einer Rauferei zwischen Soldaten und Zivilisten eine größere Demonstration. Lemberg wurde am 2. November mehrere Stunden lang beschossen, der Aufstand brach zusammen. Die letzten Zuckungen der niedergeschlagenen Revolution zeigten sich in den Bauemunruhen im Buchenland und in Schlesien, die aber mühelos unter drückt wurden. Am 22. November 1848 übernahm Fürst Felix von Schwarzenberg die Regierung. Am 2. Dezember legte Kaiser Ferdinand die Krone nieder, die sein Neffe Franz-Joseph I. (geb. 1830) erhielt. Ende 1848 war die österrei chische Revolution tot. Im ganzen Land waren die Nationalgarden auf gelöst. 77
Auch von diesen Ereignissen blieb unsere Heimat nicht unberührt. Die Bielitzer Nationalgarde stand unter dem Kommando von Fürst LudwigJohann-Nepomuk von Sulkowski. Ihre Geschichte und ihr Ende wird an anderer Stelle besprochen. Ein weiterer Sulkowski büßte sogar sein Leben beim Sturm auf das Zeughaus in W ien ein. Es war Maximilian von Sulkowski, über den Wurzbach schreibt: »6. Maximilian (geb. 6. April 1816, gefallen auf den Barrikaden Wiens im October 1848). Der jüngere Sohn des Fürsten Maximilian Johann Rep. (S. 302, Nr. 3) aus dessen Ehe mit Luise Josephine Barbara geborene Freiin von Larisch. In der Sulkowskischen Familie war durch ein Fideikommiß bestimmt worden, daß der ältere Sohn die väterlichen Güter, das Herzog tum Bielitz, der jüngere die mütterlichen nach dem Ableben der Eltern erbe. Dieser jüngere, auf das Erbe nach dem Tode der Mutter angewiesen, war Fürst Maximilian. Sein Leben war nicht auf einen Fuß eingerichtet, daß die ihm ausgeworfene Apanage hingereicht hätte, seinen Aufwand zu bestreiten. Er ging daher nach Amerika, und dort freite er eine Kreolin, die ihm, nach ins Publikum gedrungenen Mitteilungen, ein sehr bedeutendes Vermögen zubrachte. Mit ihr kehrte er nach Europa zurück. So lange diese Frau lebte, welche es verstanden haben soll, den Leidenschaften des M an nes einen Zügel anzulegen, gingen die Dinge ihren geregelten Gang. Nachdem sie ihrem Gatten einen Sohn geboren hatte, siechte sie langsam dahin und starb. Mit ihrem Tode geriet auch der Fürst durch sein ver schwenderisches Leben wieder in große Schulden, und da die Mutter, deren Vermögen er erben sollte, noch lebte und das Ansinnen des Sohnes, schon bei ihren Lebzeiten ihm die Güter abzutreten, entschieden zurück wies, so entstand zwischen beiden eine Mißstimmung, welche im Herzen des Fürsten, durch das wüste zügellose Leben gesteigert, sich, wie es allgemein verlautete, in tödlichen Haß verwandelte. In der Tat soll das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn einen Charakter angenommen ha ben, daß gegen dessen getreue Schilderung die Feder sich sträubt. Es war am 3. März 1848, bald nach 9 Uhr abends. Die damals auf ihrem bei Myslowitz gelegenen Schlosse lebende Fürstin Mutter wollte sich, da sie etwas leidend sich fühlte, früher denn gewöhnlich zu Bett begeben. Da fiel in dem Augenblicke, als ihr Gesellschaftsfräulein sie zu entkleiden begann, ein Schuß durchs Fenster ins Zimmer, und die Fürstin brach zusammen. Sie war tödlich getroffen worden. Von der auf den Hilferuf des Mädchens her 78
beieilenden Dienerschaft wieder zum Bewußtsein gebracht, rief sie aus: >Das hat mir mein Sohn Max getan.< Nun aber war der Fürst gar nicht anwesend, sondern befand sich bereits seit Monat Jänner in Wien. Als man ihr dies in Erinnerung brachte, bemerkte sie: >Ja, er hat es m ir gedrohte Eine Stunde nach dem Schüsse gab sie unter schmerzlichen Leiden ihren Geist auf. Die Leichensektion erwies, daß zwei Spitzkugeln durch die Brust eingedrungen und in der Gegend des Halses herausgekommen, also die Verletzungen absolut tödlich waren. Wohl nahm diese entsetzliche Tat zunächst die ganze Tätigkeit der Behörde in Anspruch, doch ungeachtet der Worte der Sterbenden, die übrigens nicht sehr bekannt wurden, schritt man gegen den Sohn nicht ein, vielleicht weil die politisch hochbewegte Zeit ein Vorgehen gegen den in W ien Befindlichen kaum durchführbar erscheinen ließ. Was nun den Sohn selbst betrifft, so lebte dieser, wie gesagt, in Wien, wo unter dem Wehen der Freiheitsluft alle Ordnung und Gesetzlichkeit außer Rand und Band ging. Als dann am 6. Oktober der Aufstand mit aller M acht ausbrach, verbreitete sich desselben Tages die Nachricht, Fürst Sulkowski habe in der Nacht IIV 2 Uhr mit einem Jäger stutzen vor dem Zeughause auf die Besatzung gefeuert, und er ist, getroffen von acht Kartätschenkugeln, mit vielen anderen tot auf dem Platze geblie ben. Dunder fügt diesem Berichte hinzu: >Der Fürst muß irrsinnig gewesen sein<. Die Aussage seines Arztes, des Dr. Mańkowski, bringt über diesen Vorgang Licht. Der Benannte machte folgende Angabe: >Der Fürst habe ihm einen Tag vor seinem Ableben gestanden, sein Gewissen lasse ihm keine Ruhe, es laste auf ihm der Tod seiner Mutter, seiner ihm angetrauten Frau, der Amerikanerin, und noch eines weiblichen Wesens - er nannte es Auguste - , welches durch ihn zur Selbstmörderin gewordene Nachdem Dr. Mańkowski die Leiche des gefallenen Fürsten agnosciert und die Identität eidlich bekundet hatte, gab er die Äußerungen desselben zeugeneidlich zu Protokoll. Nach diesem hatte aber der Fürst den Tod gesucht und auch gefunden. Was nun den Mord an der Fürstin und ihre Mörder betrifft, so richteten sich zunächst alle Anzeichen auf einen Eisenbahnarbeiter, frühe ren Sattler, namens Karl Obst, der jedoch von einem Dritten, einem Hütten meister Joseph Franke, gegen eine Summe von 2000 Talern zum Morde gedungen worden. Obst leugnete, die Tat begangen zu haben, wurde aber dessenungeachtet in der Schwurgerichtsverhandlung im Dezember 1850 von den Geschworenen als >schuldig< erkannt und zum Tode durch das Rad verurteilt. Aus Angst vor seiner Hinrichtung erkrankte Obst so schwer, daß 79
er noch vor dem Exekutionstage starb. Vor seinem Tode aber bat er noch um eine Vernehmung, in welcher er wiederholt seine Unschuld beteuerte und den Hüttenmeister Joseph Franke als den eigentlichen M örder bezeichnete. Nun wurde die Verhandlung gegen denselben aufgenommen, sie mußte aber verschoben werden, da er flüchtig war. Erst im Jahre 1855 wurde er in Hamburg verhaftet, und nun begann der Prozeß gegen ihn. Dieser Franke bietet in seinem vorangegangenen und späteren Verbrecher leben den Stoff zu einem Sensationsroman, wie ihn die lebhafteste Phanta sie nicht besser erfinden kann. Der Anteil des Fürsten an der Ermordung seiner Mutter, wenn auch nicht erwiesen, ist aus den Zeugenverhören evident. Am 18. Juni 1857 kamen die Verhandlungen über Franke zum Schlüsse. Die Geschworenen sprachen über ihn das Schuldig, und das Urteil lautete auf Tod.« Nach dieser eingeflochtenen Betrachtung über recht unerfreuliche Dinge kehren wir wieder nach Wien zurück. Dort ist von einem inneren Frieden noch lange keine Rede, denn die Wünsche der kaiserlichen Unter tanen, vor allem nichtdeutscher Zunge, sind immer noch nicht befriedigt. Am 7. März 1849 erschien die Reichs Verfassung für Gesamtösterreich. Nach ihr wurden aus den Herzogtümern Teschen und Bielitz die Be zirkshauptmannschaften Teschen, Bielitz und Freistadt geschaffen. Süd lich unserer Berge sah es allerdings noch nicht friedlich aus. Die Slowaken, unsere Anrainer im Süden, wurden zum Mitmachen gezwungen, da dem kleinen Bauemvolk die Kraft zu einer eigenen natio nalen Politik fehlte. Ungardeutsche und Ungarn bildeten dort das Rückgrat des noch lebenden Aufstandes. Im Dezember brach in der Slowakei eine zweite Erhebung aus, die aber rasch zusammenbrach. Die Ungarn unter Görgey mußten von Süden kommend in die Slowakei aus weichen, aber bald mußten wichtige Städte aufgegeben werden. Die westliche Slowakei war in der Hand der Kaiserlichen, das Land östlich der Waag aber unter Befehl der Revolutionsregierung. General Bern war in Ungarn aktiv. Den Oberbefehl der Revolutionsarmee hatte nach dem 21. Januar 1849 Graf Heinrich Dembiński übernommen. Gemäß der W arschauer Konvention vom 21. Mai rückten 130.000 Russen in Ungarn unter General Paskiewitsch ein. Von W esten kamen 80.000 Kaiserliche unter General Haynau, von Süden kamen Kroaten unter Jellatschitsch. Am 13. August kam es mit den Russen zu einem Kapitula 80
tionsvertrag. Kossuth, Bem und Dembiński flohen in die Türkei. Damit war auch der Aufstand in Ungarn zusammengebrochen Ungarn wurde mit russischer Hilfe am 13. August 1849 niedergewor fen, das bei Vilagos kapitulieren mußte. Auch hier folgte ein sehr hartes Strafgericht. Ungarns Selbständigkeit war zu Ende. Die deutsche Amts sprache war mit allen Dienststellen, die dem Obergespan übergeordnet waren, Pflicht. Die harten Maßnahmen währten bis 1851, und die weit gehende Selbständigkeit errangen die Ungarn erst 1867 wieder zurück. Gleichzeitig kämpfte Österreich in Italien unter Radetzky glänzend, unterwarf Venedig und stellte die österreichische Stellung in Italien wieder her. Am 31. Dezember 1851 wurde die M ärzverfassung aufgehoben, und unter den M inistem Bach und Thun herrschte ein zentralistisch-absoluti stisches Regiment, in welchem das Militär, die Bürokratie und die katho lische Geistlichkeit überwogen. 1859 verlor Österreich die Schlachten bei Magenta und Solferino und mußte im Frieden von Zürich am 10. Novem ber auf die Lombardei verzichten. In Wien besann man sich und kehrte nun zur konstitutionellen Staats form zurück. Das »Oktoberdiplom« (20. Oktober 1860) verkündete eine neue Verfassung, die aber nicht zustande kam. Die folgende »Februarverfassung« (26. Februar 1861) lehnten die Un garn ab und bekämpften die Slawen. Zu den inneren Schwierigkeiten traten nun auch äußere hinzu. Die auf dem Frankfurter Fürstentag geplante Durchführung der Hege monie Österreichs in Deutschland scheiterte an Preußen. Der Kam pf um die Vorherrschaft beider Staaten steigerte sich und kam schießlich zum Ausbruch. Der Kampf auf zwei Schlachtfeldern, gegen Preußen und Ita lien, ging über die Kräfte der Donaumonarchie. In Italien siegten die Öster reicher bei Custozza und Lissa, aber bei Königgrätz unterlagen sie am 3. Juli 1866. Im Prager Frieden verlor Österreich Venetien und mußte einer Neuordnung Deutschlands ohne sein Eingreifen zustimmen. Die verhängnisvolle Katastrophe wirkte sich natürlich auf die inneren Verhältnisse aus, denn schon am 20. September 1865 war die FebruarVerfassung sistiert. Ein Plan, Österreich in fünf Staaten (Tschechei, Polen Südslawien, Ungarn mit Siebenbürgen) aufzugliedem, kam nicht zustande. Die zunehmenden Spannungen innerhalb der Donaumonarchie führten schließlich zum sogenannten »Ausgleich«. Das bedeutete einen Zuwachs 81
an Selbständigkeit für die Ungarn innerhalb des Doppelstaates. Von nun an unterschied man zwischen der österreichischen Hälfte, deren Behörden sich »K. K.« nannten, der ungarischen Hälfte, deren Behörden »k. u.« bezeichnet waren, und die gemeinsamen Behörden wie die Finanz-, die Militär- und die außenpolitischen Ministerien wurden »k. u. k.« genannt. Neben dem Reichsrat in Wien gab es noch sechzehn Landtage und Landes regierungen. Darunter unser Schlesien mit der Hauptstadt Troppau, M äh ren mit Brünn, Galizien mit Lemberg und das Buchenland mit Tschernowitz. Im Februar 1867 schloß man also einen Ausgleich mit Ungarn, aber im nächsten Jahr forderten die Tschechen am 23. August 1868 eine Sonder stellung für die Länder der Böhmischen Krone (Böhmen, Mähren und unser Schlesien), um bei der Ausarbeitung einer Verfassung mitzuwirken. Auch die Polen forderten Autonomie und die Slowenen ein eigenes Kö nigreich. 1870 versuchte man durch das Zugeständnis der polnischen Dienst sprache für Galizien die Polen zu gewinnen, was aber mißlang. Wie früher die Tschechen verließen nun die Polen den Reichsrat, denen Slowenen, Istrianer und Bukowiner folgten, und aus kirchlichen Gründen blieben die Tiroler fern, so daß der Rat beschlußunfähig wurde. Von April 1870 bis Februar 1871 war der Pole Potocki Leiter des Ministeriums, schaffte aber die Verständigung auch nicht. Die politischen Verhältnisse verschlechterten sich im Innern Öster reichs für uns Deutsche immer mehr. Der Einfluß der Polen im Wiener Parlament war, wie ich schon erwähnte, zunehmend stärker geworden. Dazu gehörte auch, daß die Polen über das Parlament im Anschluß an das Volksschulgesetz, das ihnen politische Stärkung brachte, nun versuchten, auch das an Galizien angrenzende Herzogtum Bielitz politisch an den Krakauer Kreis anzuschließen. Die deutschen Vertreter Schlesiens konnten aber diesen Versuch der Abtrennung unserer Heimat vom schlesischen Mutterland verhindern (1871). A uf der anderen Seite waren die Deutschen ihrerseits auch nicht untätig, und die Stadtgemeinde Biala richtete eine Eingabe an das Parlament des Inhalts, ihre Stadt an das Herzogtum Schlesien anzuschließen wegen der deutschen Arbeitskräfte aus den östlich Bialas gelegenen deutschen Dör fern. W enn sie nach Schlesien zur Arbeit gingen, also von Schlesien abhängig seien, sollte ihre Heimat auch an Schlesien angegliedert werden. 82
Aber auch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Fürst A dolf von Auersperg konnte zwar am 25. November 1871 durch eine W ahlreform die Mehrheit sichern, nicht aber die Sicherung des Deutschtums im Staate gewährleisten. Auch konnte das Deutsche nicht Staatssprache werden. Ich habe mich bemüht, in den vorausgegangenen Abschnitten ein Bild von der Unruhe und der Zerrissenheit im Herzen Europas so eindringlich wie möglich zu geben. Wenn ich die Jahre von 1807 bis 1835 »heiße« Jahre nannte, so waren jene von 1835 bis 1879 voller explosiver Elemente, die weder den W unsch traum von einem einheitlichen Reich aller Deutschen - egal ob Preuße oder Österreicher - in Erfüllung gehen ließen, noch die beiden, sich in einem harten Dualismus gegenüberstehenden tragenden Herrscherhäuser glück lich werden ließen. Der innere Zwiespalt ist so nachhaltig vertieft worden, daß die damals erzeugte gegenseitige Abneigung noch heute nachwirkt, obwohl es keines der beiden Herrscherhäuser gibt und deren Reiche und Völker seit langen Dezennien in völlig anderen Verhältnissen leben. Oft möchten sie die damals so umkämpften Zeiten heute wiederhaben, sind sie doch bis heute alle nicht freier geworden. Damals wie Leute wirkten aber, unsichtbar für den Alltag, außenstehende Kräfte mit, die weder den Wunsch der Deutschen noch den Traum der anderen »unterdrückten« Völker Wirklichkeit werden lassen sollten. Nach der Schilderung dieser unserer Umwelt und ihrer Unzulänglich keiten kehren wir in die Heimat zurück mit dem Ziel, das wiederzugeben, was sich dort - und bei unseren Nachbarn - abspielte.
Blick auf das Land an der Białka Unser Herzog ist beim Tod seines Vaters noch minderjährig, und die Vormundschaft übernehmen seine Mutter, die Fürstin Luise, eine geborene Freiin von Larisch aus Bratmannsdorf/Osiek, und der Onkel des kleinen Baron von Larisch bis zur Großjährigkeit. Ludwig-Johann trat die Herrschaft in Bielitz erst am 6. November 1835 an. Am 5. August des Jahres 1836 wütet ein Großbrand in unserer Stadt, es ist der zweite in diesem Jahrhundert. Ihm fällt ein großer Teil der Häuser zum Opfer, darunter die katholische Kirche, die ein flaches Notdach erhält, 83
und es brannte auch das hölzerne Gebäude des fürstlichen Schloßtheaters ab, an dessen Stelle im Schloßpark eine »Arena« errichtet wird, in welcher bei schönem Wetter Theater gespielt wird. Die evangelische Kirche bleibt verschont. Im gleichen Jahr gießt Franz Leopold Stanke aus Troppau eine Glocke für die Bielitzer Kirche. Durch den Stadtbrand vom 5. August 1836 wurde die Entwicklung und der Ausbau unserer Stadt jählings unterbrochen. Doch von da an wird die Stadt vollständig erneuert. So erhalten die Häuser am Ring jene Ausgestal tung, wie sie bis zum Ersten Weltkrieg erhalten blieb. Eine Stadtbeschrei bung von Vetter aus den Jahren 1845 bis 1848 (»Statistik des Herzog- und Fürstentums Bielitz«) nennt die Häuserzahl mit 600 und die Zahl der Einwohner mit rund 8.000. Das Jahr 1840 bringt wenig Gutes: Die wirtschaftliche Lage verschlech tert sich und endet in einer Katastrophe. Mißernten, Hungertyphus und andere Krankheiten grassieren und bringen größtes Elend über weite Teile unseres schlesischen Landes. Zwischen dem Staat und der Kirche herrscht Zwietracht, als deren Konsequenz unser Fürstbischof Graf von Sedlnitzky auf sein Amt ver zichtet. Der Breslauer Fürstbischof ist geborener Österreich-Schlesier und erblickte auf Schloß Geppersdorf (nördlich von M.-Schönberg) das Licht der Welt (29. Juli 1787). Er war ab 1840 Fürstbischof von Schlesien, wurde schließlich 1863 evangelisch und stiftete in Berlin das »Paulinum« und das »Johanneum« für evangelische Gymnasiasten und Theologie studenten. Das war für die damalige Zeit und für einen Mann dieses Ran ges ein höchst bemerkenswertes Vorgehen. Er faßt diesen Entschluß aus einem inneren Zwiespalt zwischen der Ergebenheit gegenüber dem Landesherm, d. h. dem Kaiser, und dem Gehorsam gegenüber dem Papst. Unserer Provinz bleiben dadurch die Folgen eines solchen Streites erspart. Im Jahr 1842 wird den Juden zum zweiten Mal der Aufenthalt in Biala verboten. Aus dem Jahr 1843 wird berichtet, daß große Menschenverluste durch eine Ruhr-Welle entstehen. Allein aus Altbielitz und Em sdorf sterben in den Monaten Juli bis September neunzig Menschen an den Folgen dieser Krankheit. Das Revolutionsjahr 1848 bringt neben der Bildung der Bielitzer Natio nalgarde und deren Fahrt nach Wien auch einen technischen Fortschritt, 84
indem unsere Stadt an das K. u. K. Telegrafennetz angeschlossen wurde. Nicht vergessen sei auch die Gründung des Bielitz-Bialaer Lesevereins in diesem Jahr. Revolutionen und Aufruhr sind meist die Folge schlechter wirtschaft licher Verhältnisse im Land. Und so war es auch jetzt. Die gewerbliche Arbeit lag darnieder, um so leichter konnten Kräfte für die Nationalgarde gefunden werden, die ihre Übungen auf dem Bleichplatz abhielten. Im Sturmjahr 1848 fanden im Schloßpark die großen Festakte und Feiern statt. Nachher wurden noch Wohltätigkeitsveranstaltungen im Park abgehalten, bis es schließlich um ihn still wurde. Um das Gewerbe wieder in Gang zu bringen, genehmigte das Finanzministerium einen Vorschuß von 150.000 Gulden an das Gewerbe. Die Vermögensverwaltung der Gemeinde Bielitz lag bis 1848 in Hän den des Teschener Kreishauptmannes, und zu allem Überfluß stellte die österreichisch-ungarische Bank zu guter Letzt noch die Zahlungen ein. Um so mehr wurden die Märzereignisse von Wien auch in Bielitz ge feiert, und in der Arena des Schloßparks fanden Vorstellungen der Stücke »Die Garde der Nation« und »Ein deutscher Krieger« statt. Fürst Sul kowski, der Führer der Garde, zog mit ihr gegen Wien, wurde aber alsbald entwaffnet. Unser Fürst mußte sein Herzogtum verlassen und flüchten, und dem Herzogtum Bielitz wurde durch das Verhalten des Herzogs praktisch ein Ende bereitet. Über diesen Herzog schreibt auch Wurzbach. Es ist Ludwig-JohannNepomuk von Sulkowski: »5. Ludwig Johann (geb. 14. März 1814, gest. zu Bielitz 18. Februar 1879). Der ältere Sohn des Fürsten Nep. und Louise Josephinens, geborene Freiin Larisch. Fürst Ludwig vermählte sich am 2. Oktober 1845 mit Anna Elisabeth Franziska Maria, geborene Freiin von Dietrich, einer Tochter jenes Dietrich, welcher sich vom sogenannten Großfuhrmanne zum Millio när und Baron emporschwang. Im Bewegungsjahre 1848 stellte sich der Fürst an die Spitze der Bielitzer Nationalgarde, mit welcher er dem seit 6. Oktober im offenen Aufruhr stehenden W ien zu Hilfe eilen zu müssen glaubte, als Windischgrätz mit seinen in Böhmen gesammelten Truppen gegen die Residenz marschierte, um sie einzuschließen und zum Gehorsam gegen die Gesetze und seinen Kaiser zurückzuführen. In der Tat kam er auch mit seiner Schar Mitte Oktober in Napajedl an, wo erst tags zuvor eine Abteilung des Windischgrätzschen Armee-Korps mit einem Stabs85
Offizier eingetroffen war und die Eisenbahn besetzt hatte. Mit seiner Schar von den kaiserlichen Truppen in Empfang genommen, entwaffnet und verhaftet, erhielt er ein Zimmer in dem Gasthofe, in welchem der Erzähler dieser Begebenheit auf seiner Reise von Lemberg nach Wien abstieg, weil auch ihm von dem in Napajedl kommandierenden Stabsoffizier die W eiter fahrt nach der Hauptstadt nicht gestattet wurde. Vor dem Zimmer des Fürsten wurde eine Schildwache aufgestellt. Als am folgenden Morgen der Stabsoffizier seinen Arrestanten weiterbefördem wollte, fand es sich, daß sich derselbe in der Nacht durch das Fenster geflüchtet hatte. Verkleidet als Heizer, gelangte er aus Napajedl über die österreichische Grenze nach Preußen und von da in die Schweiz. In der Nähe des Bodensees bei Rorschach lernte er die Tochter eines Schweizer Bürgers, Maria Antoinette Gemperle, kennen, die ihn fesselte, und nachdem seine erste Frau am 13. Februar 1853 gestorben war, warb er um sie. Die Eltern hatten nichts dagegen, und so folgte sie ihm mit derefl Zustimmung nach Amerika, und zwar zunächst nach St. Louis. Von dort ging er später in einen anderen Staat, wurde Farmer und wirtschaftete dort bis zu Beginn der sechziger Jahre, worauf er nach Europa zurückkehrte und in Bielitz seinen dauernden Aufenthalt nahm. Des Fürsten Beteiligung an der Achtundvierziger-Revolution schließt nicht aus, daß er ein guter Öster reicher war, und er bewies dies im Jahre 1866, als ein preußischer General Graf St. mit einer Kolonne nach Bielitz und Biala kam und der von aller Mannschaft enblößten Stadt, die sich sonst auch ganz ruhig verhalten hatte, eine Brandschatzung von 60000 fl. in Wechseln, zahlbar in Eupen vom Hause Stemikl, auferlegte und nach Zerstörung der Telegraphenleitung und einigen Lokomotiven auf dem Bahnhofe durch Sprengung mit Nitro glyzerin nach Pleß zurückkehrte. Damals hätte der Fürst, über diese ei gentümliche Art von Kriegsführung auf das Äußerste gebracht, in seiner Aufregung sich zu einem für die ganze Gegend verhängnisvollen Gewalt streiche hinreißen lassen, wenn er nicht von seiner Frau, mit welcher er in schönster Harmonie lebte, und einem eben anwesenden Freunde wäre zurückgehalten worden. Mit seiner ersten Frau hatte er einen Sohn, den gegenwärtigen Majoratsherm Fürsten 6. Joseph, auf den wir noch unten zu sprechen kommen. Die zweite Frau, mit welcher der Fürst in glücklichster Ehe lebte, gebar ihm während seines mehrjährigen Aufenthaltes in Ameri ka fünf und nach seiner Rückkehr nach Europa sieben Kinder, von welchen zwölf noch folgende leben: Louis, Tay da, Alfred, Alexander, Antoinette, 86
Stanislaus, Paula, Gabriele, die Zwillinge Wanda und Edgar und endlich Victor, dessen Geburt seine Mutter im 43. Jahre das Leben kostete. Fürst Louis steht als Lieutenant bei den Husaren, Alexander als solcher bei den Dragonem, Alfred betreibt die Landwirtschaft, und Stanislaus, vordem im Theresianum, ist jetzt Tmppeneleve; von den Töchtern vermählte sich Prinzessin Tayda am 12. Febmar 1877 mit Lothar Freiherm Unterrichter von Rechtenthal, Offizier im k. k. 2. Dragoner-Regimente, der bei den jüngeren Prinzen und Prinzessinnen die Vormundstelle vertritt; Prinzessin Antoinette heiratete den verwitweten preußischen Landrat Wegener, den sie zufällig auf einer Reise in Ostende kennengelemt und der für sehr reich ausgegeben wurde, welcher Reichtum nach geschlossener Ehe auf sein Gehalt zusammenschrumpfte.« Direktor Schlauer vermerkt über Ludwig-Johann-Nepomuk: »Fürst Ludwig Johann von Sulkowski übernahm am 6. November 1835 das Herzogtum Bielitz. Seine Mutter Fürstin Luise starb plötzlich am 3. März 1848 auf Schloß Słupna. Im gleichen Jahre starb auch ihr zweiter Sohn Prinz Maximilian am 6. Oktober in Wien. Fürst Ludwig vermählte sich am 2. Oktober 1845 mit Anna Freiin von Dietrich und hielt noch in demselben Monate mit seiner Gemahlin den feierlichen Einzug in Bielitz. Die Stadt hatte Ehrenpforten errichtet, und unter dem Geläute aller Glokken und dem Donner abgeschossener Mörser begrüßte eine große Volks menge das Fürstenpaar.« Über die Familie der Gattin unseres Fürsten, die aus Niederösterreich stammt, schreibt W urzbach wie folgt. Ich übernehme den Text wörtlich, da er Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen dem Haus Sulkowski, dem Schloß Feistritz und dem Wiener Sulkowski-Theater gibt. Er schreibt: »Dietrich, Joseph Freiherr (geb. zu Wien 1780, gest. um die Mitte Juli 1855). Die Familie Dietrich bildete seit Menschenaltem eine gewerbliche Spezialität, namentlich in Beistellung des Armeefuhrwesens, eines nach dem Systeme Friedrichs II. eingerichteten Verfahrens, operierende Ar meen am raschesten und zweckmäßigsten zu verpflegen. Peter Dietrich, Großoheim des hier in Rede stehenden Joseph Freiherm von Dietrich, hatte von der Kaiserin M aria Theresia in Belohnung seiner besonderen An hänglichkeit und eifrigen Beförderung des höchsten Dienstes den Adel stand mit dem Prädikate von Dietrichsberg und den Titel eines k. k. Artillerie-Wagenmeisters erhalten. Seit jener Zeit blieben größtenteils die ärarischen Transportgeschäfte bei diesem Hause. Nach dem Tode Peter 87
Dietrichs wurden sie durch dessen Witwe Elisabeth und den ältesten Sohn Conrad fortgeführt. Letzterer zeichnete sich im ersten französischen Revo lutionskriege, besonders bei den Belagerungen von Yalenciennes und Mannheim aus. Er wurde mit der goldenen Civil-Ehrenmedaille ausge zeichnet. Der zweite Sohn Peters und Bruder des vorbenannten Conrad ist Jo seph, der nachmalige Freiherr von Dietrich, welcher sich nach Vollendung der philosophischen Studien, beinahe noch als Jüngling, den Geschäften seiner Mutter und seines Bruders widmete, dieselben als Chef des später unter der Firma Gebrüder Dietrich bekannten Speditionshauses erweiterte und besonders zur Zeit der Kontinentalsperre nicht nur die Straßen des angrenzenden Auslandes mit einheimischen Fuhrwerken belebte, sondern der Bahn direkte Fahrten selbst nach den entferntesten Handelsplätzen in Europa eröffnete und durch diesen Verkehr die damals in Österreich herr schende große Not an Silbergeld, das vom Auslande nach Österreich floß, heben half. Im Kampfe mit Frankreich bewirkte er nicht nur die Rettung mancher ärarischen Güter bei den Invasionen 1805 und 1809, sondern besorgte auch in den Kriegen 1813 und 1815 den Transport der enormsten Gewichtslasten an Munition und Rüstungssorten, diese mit der im Kriege erforderlichen Raschheit den siegreichen Armeen von den entlegensten Punkten der Monarchie bis nach Frankreich und Italien überliefernd. Gleich Verdienstliches leistete Dietrich mit seinen zahlreichen und treff lich organisierten stabilen Belagerungs- und Depotsbespannungen, deren Mannschaft eigens uniformiert war und samt den Pferden gleich dem wirklichen Militärfuhrwesen verpflegt und behandelt wurde. Als im Jahre 1810 infolge der unglücklichen Kriegsereignisse die inländischen Ge wehrfabriken von der Staatsverwaltung keine Beschäftigung mehr erhiel ten und mehrere Tausende von Arbeitern brotlos gemacht wurden, über nahm D. auf eigene Rechnung das Waffengeschäft und wendete so vielen brotlos gewordenen Arbeitern wieder Verdienst zu. Die in dieser Periode erzeugten Waffenmassen dienten aber in der Folge zur schnellen Arm ie rung im Befreiungskriege und wurden größtenteils an Preußen, W ürttem berg und andere später mit Österreich verbundene Mächte verkauft. Im Jahr 1816 forderte ihn die königlich-württembergische Regierung auf, der auch in diesem Königreiche entstandenen Getreidenot mittelst Lieferungen aus den österreichischen Provinzen zu steuern. D. unterlegte aber bei dem Umstande, daß die österreichischen Staaten selbst kaum mit dem eigenen 88
Bedarfe gedeckt waren, in genauer Kenntnis der Fruchtpreise auf sämtli chen Handels- und Seeplätzen, einen motivierten Vorschlag, nach wel chem durch den königlichen Finanzminister von Weckherlin das erfor derliche Getreidequantum aus den nördlichen Staaten auf das schnellste und mit den geringsten Kosten zugeführt wurde. In Rücksicht dessen erhielt D. 1817 das Ritterkreuz des kön. Civil-Verdienst-Ordens. Als seit eingetretenem Frieden die industriellen Verhältnisse eine veränderte Ge staltung erhielten, unternahm D. (1818) zur Beförderung der vaterländi schen Industrie auf eigene Rechnung Warensendungen nach Westindien und Amerika und scheute mit gewohnter Beharrlichkeit kein Opfer, eine unmittelbare Handelsverbindung mit jenen überseeischen Ländern anzu knüpfen und zu erhalten. In Würdigung dieser seiner Verdienste wurde um das Jahr 1835 in Triest von einem seiner Handelsfreunde ein österreichi sches Schiff nach ihm Baron D ietrich benannt. Auch Kaiser Franz wür digte die vielseitigen gemeinnützigen Bestrebungen D .’s, verlieh ihm 1819 das Indigenat des Königreiches Ungarn mit dem Kammergute Barakony und erhob ihn 1824 in den ungar. Freiherrnstand. Als er 1825 die von dem Könige und den Ständen Württembergs beabsichtigte Herabsetzung des Zinsfußes der württembergischen Staatsschuld durch seine glücklich kom binierten Operationen vollkommen durchführte, erhielt er dafür das Kom mandeurkreuz des Ordens der württembergischen Krone. Baron Dietrich war überdies auch ein Freund der W issenschaften und Künste. Die altritterliche Burg Feistritz in Niederösterreich V.U.W.W. verdankt ihm ihre Wiederherstellung und Erhaltung, er hat ihre Kapelle, Gemächer und Säle nicht nur mit den seltensten gemalten Glasfenstem aus der älte sten Zeit, sondern auch mit sehenswürdigen Waffen, Rüstungen und al tertümlichen Geräten ausgeschmückt. Er hat auch die früher unter dem Namen des Ritter von Schönfeldschen Museums bekannte AntiquitätenSammlung, welche Kunstwerke aus allen Fächern, unter andern das Schön ste aus dem ehemaligen berühmten Rudolphinum zu Prag, enthält, käuflich an sich gebracht und nach und nach mit anderen wertvollen Stücken vermehrt. Ausführlichere Nachricht darüber gab im J. 1856 F. W. Juranek, Vormund der Baron Dietrichschen Verlassenschaft, in der ö ste rre ich i schen Zeitung< (1856, Nr. 616). In seinem Wohnhaus nächst der Matzleinsdorfer Linie unterhielt Baron Dietrich auch ein Haustheater, welches durch die Schönheit seiner Ausstattung allgemein bekannt war. Den Ar men der benachbarten Vorstädte war D. ein großer Wohltäter, und diese 89
Eigenschaft mag jene Bizarrerien aufwiegen, welche über seine Persön lichkeit in die öffentlichen Blätter übergingen. Seine einzige Tochter Anna Elisabeth Francisca Maria hatte sich am 2. Oct.1845 mit Ludwig Fürsten von Sulkowski, Herzog von Bielitz, ver mählt. Die einzige Frucht dieser Ehe ist der Prinz Joseph M aria Ludwig (geb. 2. Febr. 1848), welcher der Universalerbe des großen Vermögens (5-6 Millionen Gulden) seines Großvaters ist.« - Quellen: Donau (Wiener Blatt, fol.) 1855, Nr. 343: »Die Familie von Dietrich.« - Wiener Conversations-Blatt (Bäuerle’s Theater-Zeitung, 4°.) 1855, S. 699 (D.’s Nekro log). - Laibacher Zeitung 1855, Nr. 177. - Oestr. National-Encyklopädie (von Gräffer und Czikann), (Wien 1835, 6 Bde.) I. Bd. S. 711. - Oestr. Zeitung (Wiener Blatt, Fol.) 1855, Nr. 269. - Dieselbe 1856, Nr. 616: »Das von Freiherm von Dietrich hinterlassene Museum.« Von besonderer Bedeutung für unser Fürstenhaus war der Tod der Gemahlin Fürst Ludwig-Johann-Nepomuks von Sulkowski. Zur Erinne rung an sie ließ der Fürst die Schloßkapelle bauen, deren Einweihung am 17. September 1855 erfolgte. Sie trägt ihr zu Ehren den Namen St.-AnnaKapelle. In ihr finden von da an alle Fürsten von Bielitz ihre letzte Ruhe stätte. Sie starb am 13. Februar 1853. Das Schloß selbst hat eine bebaute Fläche von 1.735 Quadratmetern, die Kapelle eine solche von 121 Qua dratmetern. Zu unserem Schloß gehörte auch der große schöne Schloßpark, der sich vom Steilabfall an der Ostseite des Schlosses bis zur Białka hinzog und in welchen man vom sogenannten Zwinger über Steintreppen durch ein klei nes Eisentor und über einen Holzsteg, der den noch offen fließenden Mühlbach überquerte, gelangte. Als im Jahr 1878 die Eisenbahnlinie nach Saybusch verlängert wurde, war dieser Park durch die Gleisanlage zer schnitten worden. Am 18. Februar 1879 starb Fürst Ludwig-Johann-Nepomuk von Sulkowski nach 44jähriger Regierungszeit.
Der Strukturwandel dieser Zeit Die Wirtschaft der damaligen Zeit war im Begriff, ihre Struktur zu wan deln. Die Industrialisierung war in Gang gekommen. Friedrich List, Na tionalökonom dieser Zeit (1789 -1848), war der Überzeugung, daß das seit 90
Maria Theresia einheitliche Wirtschaftsgebiet Österreichs auch für die Führung in Deutschland ausersehen sei, und beschwor Kaiser Franz und Kanzler Metternich, bei der kommenden Zolleinigung die Initiative zu ergreifen. 1800 zählte man in Österreich 15,6 Millionen Menschen (Alpen- und Sudetenländer, Galizien, Bukowina, Dalmatien und Istrien). Im Jahr 1910 war ihre Zahl fast doppelt so hoch (28,6 Mill.). Durch den Staatsbankrott von 1811 hatten viele Handwerker und Manufakturbesitzer ihre Erspar nisse verloren, Kredite waren aber nur schwer und zu sehr hohen Zinsen zu erhalten. Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden viele der alten Manufakturen in Fabriken umgewandelt, und viele neue Fabriken entstanden, so in Nordböhmen, Mähren und Schlesien - und somit auch in Bielitz. In Österreich waren im Jahr 1841 in der Baumwollverarbeitung 18.000 Arbeiter an 900.000 Spindeln beschäftigt. Die Tuchmacherei hatte ihren Sitz in Reichenberg, in Brünn und Bielitz. Die Flachsspinnerei und die Leinenweberei hatten ihren Sitz in Schlesien, Nordböhmen und Nieder österreich. Das »Weberelend« war sprichwörtlich. 1844 gab es im Preußi schen sogar den Weberaufstand. Neben der Textilindustrie war die Schwerindustrie bei uns heimisch; sie hatte ihren Sitz im nahen Witkowitz. Hier ersetzten Steinkohle und Koks die Holzkohle der Alpen, und mit dem Aufkommen der Fabriken entstand auch eine Maschinenindustrie. Die ersten Textilmaschinen kamen nach 1816 aus England, seit den dreißiger Jahren wurde im Inland erzeugt. Der Fabrikbetrieb setzte sich durch. Die Dampfmaschinen fanden zu erst in der Textilindustrie Eingang. 1815 wurde die erste Kraftmaschine aufgestellt. 1844 wurde der erste Dampfhammer in Betrieb genommen, zwei Jahre vorher ging die erste Dampfmühle in Betrieb, die erste Schaf wollspinnerei lief 1837 an. Begünstigt durch das Vordringen der Fabrik war auch der Bau von Eisenbahnen. M it dem Bau von festen Kunststraßen hatte man schon im 18. Jahrhundert begonnen. 1818 fuhr das erste Dampfschiff, die »Caroli na«, auf der Donau, 1825 wurde mit dem Bau der ersten Pferdeeisenbahn von Linz nach Budweis begonnen, und vom 19. bis 23. November 1837 fanden die ersten Probefahrten von Floridsdorf nach Wagram statt, und zwar mit Dampfmaschinen. Der regelmäßige Personenverkehr gegen Ent gelt begann Mitte April 1838. Seit 1767 wurde Kohle in verschiedenem 91
Umfang in Karwin gefördert. Das ausgedehnte Kohlenbecken verlangte dringend nach einem Eisenbahnanschluß. 1855 wurde Bielitz erreicht. 1850 gab es schon 2.240 Eisenbahnkilometer. 1830 war auch schon die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft gegründet, die 1841 bereits 23 Dampf schiffe auf der Donau betrieb. Die Hochfinanz nannte als erste Gruppe große Vermögen ihr eigen, der Staat hingegen war geldbedürftig. Politik und Börse spielten eng zusam men. Die Nationalbank besaß das Privileg des Notendruckens. Von hier ging das Geld an Banken und Industrien gegen Wechsel. Die Notenbank verlangte vier Prozent Zinsen, die Kunden mußten acht bis zwölf und mehr Prozent bezahlen. Das gab hohe Zwischengewinne. Ein Kohlenhauer verdiente im staatlichen Betrieb am Tag dreißig bis fünfundvierzig Kreuzer, ein Landarbeiter etwa zwei bis zehn Kreuzer bei vierzehn- bis sechzehnstündiger Arbeitszeit. Kinder mußten zwölf bis dreizehn Stunden arbeiten. Sonntagsruhe gab es nicht immer. Rosig war die Stimmung also nicht. Unter den europäischen Staaten hatte Österreich hingegen eine füh rende Stellung erlangt, und nur mit seiner Hilfe war der Korse besiegt worden. Dafür erhielt Österreich die Vormacht in Italien und die Führung im Deutschen Bund, der das alte Deutsche Reich ablöste. Metternich hatte es allerdings nicht verstanden, diese bedeutende Machtstellung zum Wohle des Staates auszunutzen. Zwar wurde mit Preußen der Frieden erlangt, das gleiche gelang mit Rußland, allerdings für den Verzicht auf eine aktive Balkanpolitik. Nach 1830 häuften sich aber die Niederlagen des öster reichischen Kanzlers. Die Aufstände in Belgien und Polen 1830 und die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 verhinderten jede Reform im Inneren des Staates. Die nationalen Kreise der Polen zum Beispiel wurden durch die Verfügung gereizt, daß nur Flüchtlinge der Aufstände von 1830 und 1846 nach Galizien durften, die österreichische Staatsbürger waren. Deswegen brach in Krakau ein Aufstand aus (25. und 26. April). Barrika den wuchsen aus der Erde, es kam auch zu Feuergefechten mit dem Militär, welches sich in die Festung, den Wawel, zurückziehen mußte. Die zivile Gewalt übernahm der Kommandant der Festung, Feldmarschalleutnant Graf Castiglione, und er ließ vom Wawel aus die Stadt mehrere Stunden beschießen, worauf die Aufständischen rasch die Waffen streckten. Den Bauern Galiziens wurde zum Dank für das loyale Verhalten wäh rend des Aufstandes von 1846 eine Erleichterung ihrer Robotverpflichtung 92
gewährt. Dieses Bauernland Galizien war wirklich arm. Aber gerade in diesem Unglücksjahr 1848 wurden in Galizien Funde von besonderer Bedeutung gemacht. In Bodenvertiefungen, Tümpeln und später in Brunnen trat eine merk würdige zähe Flüssigkeit zutage, die man zunächst in primitiver Form abschöpfte. Es waren die ersten Funde von schwerem Öl in diesem Land. Zwei Apotheker benutzten diese Öle zu allerlei Versuchen und gewannen unter anderem auch das rötliche »Solaöl«, das Petroleum. Die Kenntnis von der Erzeugung dieses raucharm und leuchtstark brennenden Produkts hat sich rasch bis Wien durchgesprochen, und die Kaiser-FerdinandsNordbahn beauftragte einige kleinere Gewerbetreibende in Drohobycz mit der Erzeugung von Solaöl, das die Bahn für ihre Zwecke benutzte. Neue Fundorte kamen hinzu: Borysław, Orlow und Ropianka, oft auch zusammen mit Salzlagem. So wurde in Österreich eine neue Industrie aufgezogen, und zwar in einem Maß, daß Österreich in den Jahren 1874 bis 1910 zum drittgrößten Ölproduzenten der Welt wurde. 1874 waren es 21.000 t, 1910 aber bereits 1.763.0001 und 1912 gar 2,1 Millionen t Erdöl. W ir müssen aber zurück nach Wien. 1818 hatte Preußen auf seinem Gebiet alle Binnenzölle abgeschafft. Metternich veranlaßte vielmehr 1820 den Deutschen Bundestag, die Schaf fung eines Deutschen Zollvereins abzulehnen, und als Metternich merkte, daß er Österreich durch seine Isolation politisch geschwächt hatte, war es zu spät; Preußen ergriff inzwischen das Gesetz des Handelns: Ein süddeut scher, ein mitteldeutscher und ein preußisch-deutscher Zollverein waren schon geschaffen. Im Bewußtsein der Problematik trat auf österreichischer Seite Karl Ludwig Freiherr von Bruck für den Kompromiß eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses der gesamten Donaumonarchie mit dem Deutschen Zollverein ein. Der geborene Rheinländer war Gründer des Österreichischen Lloyds in Triest, wurde 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und österreichischer Bevollmächtigter beim Reichsverweser Erzherzog Jo hann. Als österreichischer Handelsminister unter dem Fürsten Schwarzenberg trat er in die Fuß stapfen Friedrich Lists, der sich aus Verzweiflung über den mangelnden Fortschritt seiner großartigen Bestrebungen 1846 an der Zoll 93
grenze bei Kufstein das Leben genommen hatte. Im Sinne von List be mühte sich nun Freiherr von Bruck, die Zolleinigung zwischen Österreich und dem übrigen Deutschland als Bundesangelegenheit zu betreiben. Der Plan eines geschlossenen Wirtschaftsgebietes von damals 70 M il lionen wurde auch in der Folgezeit nicht aufgegeben, obwohl Preußen einen nachträglichen Eintritt Österreichs verhinderte. Vor 1848 war Österreich ein geschlossenes System eines Handelsstaa tes. Es war schwierig, diesen Staat in den deutschen Zollverein einzube ziehen, was bei Preußen leichter war. Preußen war außerdem kapitalkräfti ger, hingegen litt Österreich an einer dauernden finanziellen Zerrüttung (Staatsbankrotte von 1811 und 1816) und schloß sich vom deutschen Markt ab. Und als man es versuchte - es waren Ministerpräsident Schwar zenberg und sein Handelsminister Bruck, die Österreich in den Zollverein eingliedem wollten - , war Preußen nicht gewillt, dem Eintritt zuzustim men. Das Handelsministerium im Kabinett Schwarzenberg leitete der schon genannte Freiherr von Bruck. 1844 geadelt, bemühte er sich um eine mitteleuropäische Zolleinigung und wollte den Deutschen Zollverein mit Österreich zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet zusammenschließen, wobei er vor allem die politische Vormachtstellung des Deutschtums im Donauraum sichern wollte. 1851 wurde er entlassen und konnte ein Jahr später als österreichischer Unterhändler die Zoll- und Handelsverträge mit Preußen abschließen. Als Finanzminister im Kabinett Bach erwarb er sich unschätzbare Ver dienste um den Aufbau der österreichischen W irtschaft und Industrie, insbesondere durch die Gründung der Österreichischen Kreditanstalt für Handel und Gewerbe und die energische Förderung des Eisenbahnbaus. Für ihn war Österreich der Vermittler zwischen Nord und Süd. Zu Unrecht in Ungnade gefallen, verübte er trotz Rehabilitierung 1860 Selbstmord. Alexander Freiherr von Bach, ein geborener Niederösterreicher, war deutsch und freiheitlich gesinnt, trat 1848 in das amtierende liberale Kabi nett ein, legte aber schon im Oktober während der Revolution sein Amt nieder, wurde im Kabinett Schwarzenberg ab 1849 Innenminister, und nach dessen Tod führte er die Bauernbefreiung durch und erreichte auch wieder die Eingliederung Ungarns in das zentralistische System. Das »System Bach« war allgemein verhaßt. Seine Politik wirkte sich in einer verhängnisvollen Verschärfung der innenpolitischen Spannungen und 94
Aushöhlung des Habsburgerstaates aus. Praktisch mit allen politischen Richtungen verfeindet, wurde er 1859 entlassen. In Deutschland setzte erst 1848/49 die Industrialisierung ein, man war damit schon um ein halbes Jahrhundert später dran als England, da auch in Deutschland bislang Kapitalmangel und schlechte Transportmöglichkeiten bestanden. Nun war es aber soweit, und man wollte sich durch Österreich nicht den erreichten Erfolg gefährden lassen. Die Folge davon war, daß Österreich schließlich aus dem Deutschen Reich ausschied. Die Hauptur sache dieses Ausscheidens war neben dem ausländischen politischen Druck die unglückliche Wirtschaftslage des Donaustaates. Um über den Eintritt Österreichs in den Zollverein zu verhandeln, lud man nach W ien ein zu Besprechungen mit den Regierungen des Zollverei nes über den Abschluß eines Zoll- und Handelsvertrages. Preußen lehnte die Teilnahme an dieser Wiener Konferenz des Jahres 1850 ab. Die übrigen zollverbündeten Regierungen, über Preußens Haltung ver ärgert, berieten in Bamberg und Darmstadt (Darmstädter Koalition vom 6. April 1852) den Plan eines mitteleuropäischen Zollvereins mit Öster reich, worauf Preußen seinerseits dem Zollverein Ende 1852 kündigte. Geschlichtet wurde erst durch den Handels- und Zollvertrag zwischen Österreich und Preußen vom 19. Februar 1853, der die völlige Zolleini gung zwischen Österreich und dem Zollverein vorbereiten sollte. Am 4. April 1854 wurde schließlich in Berlin der preußisch-österreichi sche Zoll- und Handelsvertrag unterzeichnet. In seiner Organisation sehr locker, vollzog der Deutsche Zollverein seine Angelegenheiten in Einstimmigkeit seiner Generalkonferenzen, und seine Vorbereitung, Gründung und Entwicklung war nicht zu Unrecht als das bedeutendste Ereignis der deutschen Geschichte zwischen Waterloo und Königgrätz bezeichnet worden. Seit 1836 gab es ein gemeinsames Zollgesetz, seit 1838 war das damit zusammenhängende Währungsproblem geklärt (Ausgleich zwischen Ta ler- und Gulden Währung). Erst 1892 kam es zu einem Meistbegünstigungsvertrag mit Österreich. In den Jahren 1859 bis 1864 war Johann Bernhard G raf von Rechberg und Rothenlöwen Zeitgenosse von Ludwig-Johann-Nepomuk von Sulkowski. Der frühere österreichische Bevollmächtigte in Frankfurt, Adlatus Radetzkis für Zivilangelegenheiten in Lombardo-Venetien (1853) und Präsi dialgesandter beim Bundesrat wurde 1859 österreichischer Ministerprä 95
sident und von 1860 bis 1864 Außenminister. Der aus einem schwäbischen Geschlecht stammende Staatsmann strebte den Kompromiß mit Preußen an und sah nur in einem Zusammengehen mit Preußen die österreichischen Interessen gewahrt. Seine Hoffnung, durch Überlassung der nordischen Herzogtümer die Garantie Preußens für die Erhaltung der italienischen Provinzen zu erhalten, blieb unerfüllt. Die stürmische Opposition in Öster reich - selbst im eigenen Kabinett - und in Süddeutschland sorgte im Oktober 1864 für seinen Sturz, der formell über zollpolitische Konflikte mit Preußen erfolgte. 1868, vier Jahre nach seinem Ausscheiden, wurde die allgemeine W ehr pflicht in Österreich eingeführt. Ich habe diese wirtschaftlichen Betrachtungen eingeflochten, um aufzu zeigen, in welcher zollpolitischen Lage sich Bielitz befand, das mit seiner Textilerzeugung nur elf Kilometer von der Grenze Preußens entfernt lag und durch die Verhältnisse unendlich weit davon entrückt worden war.
Unsere Textilindustrie Gute Zeiten für unseren Textilhandel gab es seit 1814, als die italienischen Provinzen an Österreich angeschlossen wurden - vor allem die Lombardei. Schon 1856 brach dieses sorgsam aufgebaute und gepflegte Geschäft wieder zusammen, da infolge schlechter Seiden- und W einernten und schließlich durch den Verlust der genannten Provinzen jeder geschäftlicher Kontakt unterbunden wurde. Im Jahr 1843 kamen die Familien Stemickel und Gülcher aus Eupen nach Biala und brachten die neuesten deutschen Textilmaschinen mit. Zur gleichen Zeit wurde auch die Firma »Gustav Josephy’s Erben« ins Leben gerufen. »Stemickel und Gülcher« war zugleich die erste größere Textiluntemehmung in Biala. Aus dem Waldenburger Gebiet Schlesiens liegen aus dem Jahr 1847 Berichte über Hungertumulte vor. Es herrscht eine allgemeine W ohnungs not. In den Jahren 1847 bis 1849 breitete sich eine Kartoffelkrankheit aus, hervorgemfen durch einen Pilz, der die Kartoffel durch Fäulnis zerstörte. Die Kartoffel war schon damals das Hauptnahrungsmittel im schlesischen Land. Die Krankheit wurde von einer Typhusepidemie begleitet, der allein 96
in der evangelischen Kirchengemeinde 165 Menschen zum Opfer fielen. Das Jahr 1849 brachte zu allem Unglück noch eine Cholerawelle, die in den wenigen Wochen des Sommers 45 Menschen das Leben kostete. Was Wunder, wenn viele im Alkohol Trost suchten. Die Einführung der Maschine im Bereich der Handweber im schlesi schen Gebirge führte schließlich zum schlesischen W eberaufstand des Jahres 1844. Fast nicht zu glauben: Etwa 50 Prozent aller Gestellungs pflichtigen waren in diesen gebirgigen Bezirken militärdienst-untauglich, und aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes am eigenen Webstuhl kam es im preußischen Teil Schlesiens mancherorts zu Zerstörungen, und an einigen Orten wurde der Aufruhr unter Einsatz von Militär unterdrückt. Bielitz blieb derartiges zunächst noch erspart. Eine in den Jahren 1845 bis 1848 verfaßte »Statistik des Herzog- und Fürstentums Bielitz« nennt nach stehende Daten über unsere heimische Textilindustrie. Verarbeitet wurde eine aus Ungarn und Galizien eingeführte und ver edelte Schafwolle. Als Produktion werden 50.000 bis 62.000 Stück Tuch erwähnt, von welchen jedes eine Länge von 24 bis 30 Ellen besaß. (Eine Wiener Elle wird mit 77,76 cm angegeben, eine Hamburger mit 69,9 cm, eine Brabanter Elle, die im deutschen Manufakturenhandel üblich war, maß in Brüssel 69,5, in Aachen 68,02 cm.) Es kann also mit einer Gesamt länge zwischen 0,9 und 1,5 Millionen Metern gerechnet werden. Es waren 13 Spinnereien mit 400 Maschinen und 34.000 Spindeln, daneben 50 Maschinen bei einzelnen Tuchmachern, 5 Manufakturen mit 129 Webstühlen und 210 Meister mit 790 Webstühlen vorhanden. Der Wert der Produktion wurde mit etwa 3,5 Millionen Gulden bezif fert. Bedeutende Tuchkaufleute waren Karl Kolbenhey er, Zipser, Gebr. Barthelt und Förster. Jüdische Unternehmer waren Baum, Schäfer und Paneth. Die Stadt hatte 1845 7.923 Einwohner. Es gab 578 Häuser, und 30 Baupläne lagen den Behörden vor. Die Entwicklung unserer Industrie nahm einen günstigen Verlauf. Ein Auslieferungslager unserer Tuche für Ungarn wurde in Szegedin einge richtet. Leider wurde es in der Folge durch ein Hochwasser vernichtet. In Tschechowitz wurde eine Zündholzfabrik errichtet. Ein Zentner bester oberschlesischer Steinkohle kostete damals 28 Kreuzer. Die Tuchmacher hatten sich am dichtesten auf der Josef-, der Bleichund der Kaiserstraße angesiedelt und waren an ihren Doppelböden zu erkennen. Gegenüber dem Brauhaus auf der Kaiserstraße befand sich eine 97
Maut-Einnahmestelle. Bedingt durch den Bahnbau entstand das Bahnhofs gebäude, und die Station Biala-Lipnik wurde geschaffen. So ging der Verkehr von der Straße auf die Schiene über. Das galt auch für die Salztransporte, die nun mit der Bahn getätigt wurden. Unsere »Salzburg« in der Sunnegh-Gasse wurde so überflüssig und ist seither eine Ruine. Eine Krise für das Handwerk bestand durch den Übergang zur industri ellen Fertigung. Immer mehr tritt der Gegensatz Mensch und Maschine in den Vorder grund. Die Maschine und die Fabrik erringen schließlich die Herrschaft. Wohl wehren sich die Meister mit aller Kraft gegen die neue Strömung, senden Gesuch um Gesuch an die Behörden, ja selbst an den Kaiser, aber die Entwicklung läßt sich nicht aufhalten. W er die M öglichkeit und die finanzielle Kraft besitzt, sich Maschinen anzuschaffen, um fabrikmäßig zu erzeugen, ist gut dran. W er es nicht kann, mit dem ist es schlecht bestellt. Um 1850 ist der Kampf entschieden. Die Tuchmacher spielen neben den Fabrikanten nur mehr die Nebenrolle. Um 1900 sind die letzten Reste von ihnen bis auf kleine Überbleibsel verschwunden. Im Jahr 1851 wurde die bekannteste Maschinenfabrik in Bielitz, »Gu stav Josephy’s Erben«, gegründet. 1853 wurden 50.000 Stück Tuch im Wert von 3,5 Millionen Gulden, 1855 100.000 Stück im W ert von 7 Millionen Gulden und 1871 sogar 158.000 Stück mit einem Wert von 13,163 Millionen Gulden erzeugt. Das schafften 5.800 Männer, 1.500 Frauen und 150 Kinder unter vier zehn Jahren. Betrieben wurden die Maschinen von 52 Dampfmaschinen und 33 Wasserkraftantrieben mit 1.700 bzw. 750 PS Leistung. An Schafwollspindeln zählte man 78.000, andere Fasern 11.000 Spindeln. Der uralte Handelsweg in die Türkei über Jassy war für die Bielitzer Textilkaufleute von Wichtigkeit. Jassy und die Moldau kamen 1854 bis 1857 unter österreichischer Besetzung in unser Kraftfeld, der Handel mit Bielitzer Tuchen blühte nun auf, fand aber ein rasches Ende, als 1861 die Moldau rumänisches Staatsgebiet wurde. Nach 1860 erfolgte die Umstellung der Produktion auf Streich- und Kammgarn. Mit dem Entschluß des Gemeinderates von Bielitz vom 5. Februar 1858 wird eine Stadtsparkasse gegründet, und ihre Tätigkeit nimmt diese Institution im Februar 1859 auf. Ihre Agenten werden aber bis 98
1873 in der Stadtkasse selbst geführt. Erst dann tritt eine räumliche Tren nung ein. 1872 wurde entsprechend dem Industrievolumen das Bankwesen auf gebaut. In diesem Jahr wurden die Bielitz-Bialaer Handels- und Gewerbe bank, einige gewerbliche Vorschußkassen sowie eine Filiale der k. k. Priv. Österreichischen Notenbank in Bielitz ins Leben gerufen, und die Gemein den schufen sich eigene Sparkassen. Es war nicht verwunderlich, daß es um das Jahr 1870 zu den ersten Arbeiterdemonstrationen in unserem Bielitz kam. Die Bedingungen, unter welchen die Arbeiter ihr Geld verdienen mußten, waren aber auch nicht vorbildlich. Zwölf bis vierzehn Stunden Arbeitszeit, dazu für die meisten noch Anmarschwege zur Arbeit von zwei bis vier Stunden, so daß sie unter Umständen bis zu achtzehn Stunden von zu Hause femblieben. Zum Über nachten in der Fabrik fehlte die Einrichtung, wenn einer einen Strohsack hatte, mußte er in der verbrauchten Luft des Arbeitssaales die Nacht über verweilen. Ähnlich schlecht war es mit der Verpflegung, die fast aus schließlich aus Brot und Kaffee bestand; bei einigen war auch noch Milch dabei, die man mitbrachte. Die Mittagspause war zu kurz, um sich even tuell das mitgebrachte Essen auch warm zu machen. Darüber hinaus fehlte es an einem Herd und schon gar an einer Frau, die vielleicht für alle das W armmachen des Essens besorgen konnte. Nicht anders war es mit der Überwachung der Arbeitsbedingungen im Betrieb selbst. So etwas wie eine Gewerbeaufsicht gab es noch nicht. Zu dieser Zeit oblag es der seit der Revolutionszeit bestehenden Gendarmerie, für Ordnung und Sauberkeit im Kreisgebiet zu sorgen. Diese hervorragend ausgebildete Truppe, deren Aufgabenbereich sich bis in den W esten von Ostschlesien erstreckte, hatte ihr Kreiskommando in Bielitz, denn damals gehörten die Orte Skotschau, Golleschau, Ustroń, W eichsel und auch Brenna zum Kreis Bielitz. In Bielitz selbst waren nur acht bis zehn Beamte ständig tätig, die ihren Dienstsitz im Stadtpolizeiamt hatten. Direkter Vorgesetzter war der Be zirkshauptmann, der seinen Sitz am Ringplatz hatte. Dort mußte sich auch die Gendarmerie sammeln, wenn es ernste Dinge zu erledigen gab. Der Gendarmerie kam es zu Ohren, daß die unzufriedene Arbeiter schaft demonstrieren wollte. Sie erhielt den Befehl, sich am Tag der Kundgebung in der Bezirkshauptmannschaft einzufinden. Es war ein Mon tag (6. Mai 1872), und statt zur Arbeit zu gehen, blieben die Bielitzer 99
Arbeiter erstmals von ihr fern und begaben sich auf den Ringplatz. Der Postenkommandant richtete an die Demonstranten beruhigende Worte und riet, eine Abordnung zu wählen, die dann vom Bezirkshauptmann empfan gen werde. Sie solle dort Wünsche und Vorschläge unterbreiten. So ge schah es auch. Man forderte die Abschaffung der vorgenannten Mißstände und darüber hinaus auch noch Verbilligungen bei dem bevorstehenden Projekt der Bahnlinie B ielitz-Saybusch für die Fahrten zu und von der Arbeit. Nicht vergessen wurde auch die Forderung nach Verbesserung der Krankenkassenhilfe, der Unfallversicherung und einer gerechten Lohn erhöhung. Bezirkshauptmann Klinger gab alle Wünsche an die Landesregierung weiter. So konnte die Ruhe wiederhergestellt werden, und alles ging wie der an die Arbeit. Die Arbeiterschaft von Bielitz-Biala war - so berichten Zeitgenossen - immer ruhig und loyal. Auch die Polen und die Schlonsaken, die zu uns zur Arbeit kamen, benahmen sich stets ordentlich. Dieser erste Streit nahm einen guten Verlauf, und es blieb noch lange Zeit im Bielitzer Arbeitskreis ruhig, bis es im Jahr 1890 zu den ersten blutigen Unruhen kam. Doch davon hören wir später. Wichtig für diese Zeit ist der Bielitz-Bialaer Gewerbeverein, der in rührigster Weise für die Bielitzer Industrie warb. In ihm kann der Vorläufer der Industrie- und Handelskammern gesehen werden. So ist seiner Initia tive 1862 die Gründung der Webschule und der Gasanstalt, 1863/64 die Gründung der Bielitz-Bialaer Feuerwehr, 1867 die Industrie- und Gewer beausstellung in Bielitz und 1871 die Schlesisch-Westgalizische Industrie ausstellung in Biala zu verdanken. Er war Mittler zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, vor allem nach dem Arbeiteraufstand vom 6. und 7. Mai 1872. Seinem Einfluß entspringt auch die Schaffung des Arbeiter stützungsvereines, der Arbeiterkrankenkasse, der Konsumvereine und der Arbeiterfürsorge, soweit dies im damaligen Rahmen möglich war. Im Jahr 1868 war die Notenbank in Österreich wieder einmal zahlungs unfähig. Es kam zu einer schweren Krise, die einen erneuten Staatsbankrott zur Folge hatte. Dennoch konnten aus dem Jahr 1870 nachstehende Zahlen überliefert werden: Erzeugt wurden etwa 147.094 Stück Tuch im W ert von rund 12.037.000 Gulden. Ganz Österreichisch-Schlesien erzeugte Tuche im W ert von 18.677.982 Gulden, Bielitz besaß also einen Anteil von rund 65 Prozent im Kronland. 100
\
Aus dem Jahr 1871 liegen Zahlen vor, die eine Produktion von 158.000 Stück Tuch im Wert von 13,2 Millionen Gulden melden. Es gibt 78.000 Schafwollspindeln. Die Zunahme seit dem Jahr 1820 mit 15.000 Stück Tuch betrug also mehr als das Zehnfache. Anläßlich der Wiener Weltausstellung verfaßte 1873 Pastor Dr. Theo dor Haase eine Schrift »Die Bielitz-Bialaer Schafwollwarenindustrie in ihrer historischen Entwicklung« (Teschen, bei Prochaska). Aus ihr entneh men wir, daß um diese Zeit etwa 260 selbständige Erzeuger, darunter 31 Fabriken, vorhanden waren. Dazu traten noch die notwendigen Hilfsbetrie be und Zuliefergewerbe: 3 Lohnspinnereien, 9 Lohn-Walkereien und -Wäschereien, 11 Lohnfär bereien und 4 Appreturanstalten. All das führte dazu, daß auch das letzte noch bestehende Tuchmacher handwerk vernichtet wurde. Durch geschicktes Verhalten der Notenbank stieg im Jahr 1878 der Wert des Papiergeldes in Österreich durch Nichteinlösen und starke Men genbeschränkung weit über seinen ursprünglichen W ert hinaus, eine in Österreich nicht gerade geläufige Erscheinung. Seit der Jahrhundertwende veränderte sich unsere Tucherzeugung durchgreifend. Aus der zunftmäßig betriebenen Tuchmacherei, bei welcher man mit der bodenständigen deutschen Arbeitskraft auskam, ging mit den Jahren nun die maschinelle Fabrikation hervor, bei der man mit den Deut schen der Städte und Nachbardörfer nicht mehr auskam. Der Zuzug von polnischen Arbeitern aus der weiteren Umgebung machte sich bemerkbar, siedelte sich doch ein beachtlicher Teil eben dieser Menschen in und um unsere beiden Städte und Dörfer für immer an. So war die Eingabe der Stadtgemeinde Biala an das Wiener Parlament, den Anschluß des Bialaer Gebietes an das Kronland Schlesien zu genehmigen, nicht unberechtigt, sondern aus der Sorge heraus geboren, übervölkert zu werden. Das Wiener Parlament entschied aber gegen das Deutsche Reich.
Einige Bielitzer Gründungen Die Geschichte der Buchdrucker nimmt auch in unserer jetzt beschriebe nen Periode ihren Anfang. Im Jahr 1854 richtet der Unternehmer Karl Prochaska aus Teschen in dem Gebäude der Buch- und Steindruckerei 101
Johann & Carl Handel in Bielitz, Am Strößel 6, einen Betrieb ein. Dort werden die »Bielitz-Bialaer Deutsche Zeitung« und später die »Beskiden ländische Deutsche Zeitung« verlegt, dort wird auch der »Bielitzer A n zeiger«, die erste Zeitung, herausgegeben. 1868 bezog die Buch- und Steindruckerei Eduard Klimek das Traditionsgebäude. Es wurden beste Druckerzeugnisse herausgebracht und Fachkräfte aus dem Deutschen Reich wie auch aus Österreich herangezogen. Im gleichen Jahr wurde die Ortsgruppe Bielitz im Kreis Schlesien des Gewerkschaftsverbandes der Buchdrucker gegründet. Die Initiative ging vom Reichsdeutschen Robert Hinke aus, der auch Mitbegründer des Landesverbandes Schlesien mit Sitz in Troppau war. Der Name Heinrich Hoffmann ist für jeden echten Bielitzer ein Begriff. Er gründete im Alter von 25 Jahren ein Geschäft, das als »Eisen- und Farbwarenhandlung Heinrich Hoffmann« bis 1945 bestand und in unsere Heimatgeschichte eingegangen ist, wenn auch der Gründer, später sogar Bürgermeister unserer Stadt, schon 1918 starb. Die Nachfolger Boszczyk und Gürtler waren gleichwertige Geschäftsleute und machten dem bisheri gen Ruf durchaus Ehre, so daß das Unternehmen, gegründet im Jahr 1854, immerhin 91 Jahre existierte und nur durch höhere Gewalt geschlossen werden mußte. Am 16. März 1857 wird in Bielitz der neuerbaute Zunfthaustheatersaal eingeweiht. Ein weiterer gut klingender Name ist jener der Firma Rudolf Schmidt, Armaturenfabrik und Gießerei in Biala. Aus Jägemdorf zugewandert, gründete Schmidt in Biala eine handwerklich betriebene Metallgießerei, welcher auch alsbald eine Reparaturwerkstatt und später eine Eisengieße rei angeschlossen wurden. Im Ersten Weltkrieg 120 Mann stark, konnte das Unternehmen im Zweiten Weltkrieg 600 M enschen beschäftigen. 1945 mußten auch sie ihre Tätigkeit einstellen und die Heimat verlassen. Nach der Flucht konnten die Schmidts in Kärnten wieder einen Betrieb aufbauen, so daß Bielitzer Tatkraft sich weiter entfalten konnte. Eine weitere Gründung aus dieser Zeit ist die Bauschlosserei des Au gust Groß aus dem Jahr 1862, ebenfalls in Biala.'Neben Reparaturarbeiten befaßte sich das Unternehmen auch mit der Herstellung von Stahlrolladen, Rollgittern und Markisen, gliederte später noch einen Stahl- und Metallbau und die Fertigung von Leichtmetallerzeugnissen an. Einrichtungen für den Straßenbahn- und Omnibusbau sowie Portale aus Leichtmetall wurden 102
produziert, und als der Zweite Weltkrieg ausbrach, befaßte man sich auch mit kriegswirtschaftlich wichtiger Fertigung. Nach dem Krieg und Nieder lassung in Wolfsburg wurde ein neuer Großscher Betrieb ins Leben geru fen. Die Gasanstalt wird 1864 errichtet, und von 1866 an setzt eine lebhafte Ausweitung der Zahl unserer Großbetriebe ein. Es gab damals 260 selb ständige Unternehmungen, darunter 30 Fabriken, in denen etwa 8.000 Arbeiter tätig waren. Im Jahr 1871 findet auch die schlesisch-galizische Ausstellung in Biala statt, und bis zum Jahr 1874 werden alle Stufen des Gymnasiums sowie das Mittelschulgebäude geschaffen. Ab 1. März 1874 war das Bielitzer Postamt in der früheren Gaststätte »Zum Löwen« am Ringplatz untergebracht. Das Gebäude war das spätere »Lubich-Haus«. Aus dem Jahr 1875 wird die Grenzziehung für Altbielitz und Alexan derfeld gemeldet. Die erste Gemeinde umfaßte 1.264,4 Hektar, die zweite 521,5 Hektar Fläche. Im Jahr 1878 wurde der regelmäßige Omnibusverkehr von Bielitz aus in den Zigeunerwald eingeführt. Die »Elektrische« fuhr erst ab 1895 dort hin. Unser Schlesien gehörte zu jenen Ländern der Donaumonarchie, die eine hohe Zahl von Bränden zu verzeichnen hatten. Grund genug, warum man von seiten der Behörden und auch der privaten Hand bemüht war, in unserem Land recht bald zu einem geordneten Feuerschutz zu kommen. Bielitz-Biala kann für sich in Anspruch nehmen, die älteste Feuerwehr in unserem Landstrich zu besitzen. Unsere Väter gründeten die Bielitzer W ehr im September 1863, sieben Jahre später entstand die Teschener, dann folgten Skotschau und Schwarzwasser. Unsere heimatliche Sprachinsel hatte nicht nur die älteste Stadt- oder Gemeindefeuerwehr, sondern auch die älteste Landfeuerwehr. Es war Altbielitz mit seiner Gründung im Jahr 1886, 1892 folgte Oberkurzwald und 1893 die W ehren von Dzieditz, Zabrzeg, Istebna und Punzau. In allen Einheiten war die Dienst- und Kommandosprache Deutsch, und sie unterstanden dem Landeskommando in Troppau. Immerhin hatte es fast 50 Jahre bedurft, bis die Bewegung des Turnva ters Jahn (1811, Berlin) in der Donaumonarchie Fuß fassen konnte, denn erst 1861 hatte Kaiser Franz-Joseph I. eine Erweiterung der Genehmigun 103
gen für Vereinsgründungen verordnet. Nach Aufrufen der beiden Real schullehrer Alfred Jacobi und Karl Riedl in den Zeitungen fand dann am 17. Januar 1862 in »Schneiders Restaurant« die Gründungsversammlung statt. Dem Vorstand gehörten an: Karl Riedl als Obmann, Franz W olf als Ersatzmann, Alfred Jacobi als Tumwart, E. Zawadzki als Ersatzmann, Karl Hermann als Säckelwart, Adolf Mänhardt als Ersatzmann, Friedr. Roth als Zeugwart, Karl W olf als Ersatzmann, M. Nadler als Schriftwart und E. Fiber als Ersatzmann. Die Eintrittsgebühr betrug 25 Neukreuzer, Jahres beitrag 1 Gulden. Etwa 100 Personen meldeten sich an, Mitte 1862 waren es schon 250. Am 24. März 1862 fand die erste Hauptversammlung statt. Die Genehmigung der Landesregierung in Troppau lautete auf den Namen »Turnverein in Bielitz«, und dieser Verein beteiligte sich auch schon an einer Versammlung, die zum Zwecke der Gründung eines Verbandes der Turnvereine Österreichs nach W ien einberufen wurde. Vom 14. bis 16. Juni 1862 dauerten die Festlichkeiten für die Fahnen weihe, die am Ringplatz unter Beteiligung der gesamten Bevölkerung stattfand. Redner war Pastor Dr. Haase. Abordnungen kamen aus Troppau, Teschen, Neutitschein, Ratibor und Myslowitz. Es war das ganze südliche Schlesien vertreten, ohne Rücksicht auf die Grenze, die unsere Heimat an der Weichsel zerschnitt. 1864 wurde ein einfaches Tumsaalgebäude auf gepachtetem Schießhausgrund errichtet. Im Jahr 1862 war der junge Bielitzer Turnverein auch schon beim Ersten Schlesischen Tumgaufest in Gleiwitz vertreten. Alle Tumtätigkeit erstarb aber, als 1866 der unsinnige Bruderkrieg zwischen Preußen und Österreich ausbrach. Aus dem Turnsaal wurde zunächst ein Lazarett, nach her ein Cholerakrankenhaus. In diesen Jahren erscheinen auch zum erstenmal Zeitungen in unserer Heimat, als erste im Jahr 1854 der »Bielitzer Anzeiger«, ein belletristisches Anzeigenblatt. Am 10. Januar 1857 kam die Nachfolgerin, das »Bielitzer Wochenblatt«, das bei Karl Budweiser & Co. in Krakau gedruckt wird, leider nur drei Monate, dann wird es eingestellt.. In den Jahren darauf erscheinen »Der Sammler«, eine nichtpolitische Zeitung für Stadt und Land, geleitet vom Bielitzer Postmeister F. Ditzius, der »Bielitzer Telegraph« der E. Mariot und K. Dittmeier. 1862 erscheint in Teschen bei Karl Prochaska die »Silesia«. 1871 wird »Der Bote« gedruckt, und 1873 kommt das wöchentlich erscheinende »Volksblatt für Bielitz-Biala und Umgebung« heraus. 104
1876 folgt das »Wochenblatt für die Bezirke Bielitz-Biala, Skotschau, Schwarzwasser und Sayhusch«. Die Auflage beträgt 600 Exemplare. Sich dem Zeitgeschehen zu verschließen, ist trotz abseitiger Lage nicht möglich. Um uns herum ist alles in Bewegung, und von besonderer Wich tigkeit für unsere Tuchmacherstädte ist die W endung, welche die Wirt schaft in unseren Staaten durchmacht.
Über Schulen und kirchliche Belange Am 27. Juni 1846 begrüßte die gesamte Bevölkerung, ohne Unterschied der Konfession, den Breslauer Fürstbischof Kardinal Diefenbrock in unse rer Stadt, der auch im fürstlichen Schloß wohnte. 1850 wurde die vierte Klasse der Bialaer Hauptschule in eine erste Unterrealschulklasse umgewandelt, der noch zwei weitere folgten. Die katholischen Schulschwestern konnten am 4. November 1859 in Bielitz einziehen. Es waren »die Armen Schulschwestem von Unserer Lieben Frau«, die sich der Aufgabe unterzogen, hier eine Bildungsstätte aufzubauen, die segensreich wirkte und nicht nur Schule betrieb, sondern auch zukünftigen Lehrkräften das Rüstzeug mit auf den in unserer Heimat nicht gerade leichten Lebensweg gab. Auch sie nahm ein Ende, an das die Gründer mit ihren hohen Zielen wohl nie gedacht hatten. »Der 23. August 1860, an welchem im Schießhaussaal unter Vorsitz des Herrn k. k. Schulrates Vinzenz Prausek die KommissionsVerhandlung bezüglich der Realschulgründung abgehalten wurde, kann als der Geburts tag dieser Anstalt gelten.« So stand es in einem Programmheft der k. k. Staatsoberrealschule des Jahres 1910/11. Man wollte einen neuen Bil dungsweg für das Gewerbe der technischen Richtung einrichten und hatte recht damit. Zwischen 1860 und 1870 stieg die Schülerzahl auf 275. In den Jahren 1872 bis 1874 wurde die bisher evangelische Unterrealschule zur Vollanstalt ausgebaut, und 1876 folgte die Verstaatlichung als k. k. Staats oberrealschule. 1872 bis 1876 baute die Stadtgemeinde mit maßgeblicher Unterstützung der aufstrebenden Industrie das Mittelschulgebäude in der Schießhausstraße. 1876 übersiedelte auch die Realschule in dieses Gebäu de und verblieb dort bis zur Auflösung. Am 10. Juli 1875 wurde das erste Abiturexamen abgehalten. In den Jahren 1860 bis 1878 baut die evangeli sche Gemeinde Bielitz unter tatkräftiger Unterstützung und Mitarbeit von 105
Pastor Dr. Haase das vielgliedrige evangelische Schulwesen auf. Schon 1862 wurde eine private Webmeisterschule gegründet, die 1864 mit einer neuen staatlichen Berufsschule zur Bielitzer Gewerbeschule vereinigt wird, in welcher vor allem Meister der eisenverarbeitenden Industrie und für das einschlägige Handwerk ausgebildet werden. Am 14. Mai 1868 trat das österreichische Reichsvolksschulgesetz in Kraft, das sich in den sprachlichen Randgebieten und den gemischten Kronländem und Gemeinden zum Nachteil für die dort lebenden Deut schen auswirkte. Das deutsche Kaiserhaus war nicht mehr in der Lage, den deutschen Volksteil seiner Länder vor der Entdeutschung in Schutz zu nehmen. Die Folgen waren katastrophal. Am 1. Januar 1870 wurde die Eröffnung des Bielitzer Untergymnasi ums und am 2. Juni 1874 die Schaffung einer Oberstufe von der Landes behörde Troppau genehmigt. Bis 1872 mußten die Alexanderfelder Kinder nach Altbielitz zur Schule gehen. Entsprechende Bemühungen führten zur Schaffung einer eigenen deut schen Schule in Alexanderfeld, die allerdings erst 1876 vollendet werden konnte. Im Jahr 1874 wurde für die katholische Schule in Biala ein Neubau in der Friedrichsgasse 10 (am Ende der Tuchmachergasse) ausgeführt. In unsere jetzige Periode fällt auch das Bemühen, eine Universität nach Bielitz zu bekommen, und zwar wurde die 1784 als deutsche Universität Lemberg gegründete Hochschule polonisiert, und man war bestrebt, diese Bildungsstätte nach Bielitz zu verlegen. Tschernowitz, die Hauptstadt des Buchenlandes, erhielt den Vorzug, und so wurde dort 1875 eine deutsche Universität eröffnet. 1870 war Dr. Theodor Haase Mitglied der Delegation, die sich in Wien um die Verlegung nach Bielitz bemühte. 1848, als das österreichische Parlament in Wien Zusammentritt, entsen det Bielitz seinen evangelischen Pfarrer Karl Samuel Schneider als seinen Abgeordneten dorthin. Schneider ist der einzige Mann des Reichstages, der die Interessen des Protestantismus Österreichs vertritt. Ihm ist zu danken, daß schon 1848 die »Vorläufigen Bestimmungen« erscheinen, welche die drückendsten Benachteiligungen der Evangelischen mit einem Schlage beseitigen, und als nach dem Protestantenpatent der »Gustav-Adolf-Ver ein« in Österreich ins Leben gerufen wird, ist Bielitz sein erster Tagungs ort. 106
Das Jahr 1848 brachte für die evangelischen Gemeinden in unserer Heimat verheißungsvolle Aussichten, hatte sich doch Kaiser FranzJoseph I. positiv eingestellt und auch der Reichstag sich für die Protestan ten entschieden. Ihr tapferer Fürsprecher war der mährisch-schlesische Superintendent Karl Samuel Schneider, Pfarrer von Bielitz, ein ausgezeichneter Redner, der seine kraftvolle Stimme furchtlos für die Glaubensgenossen einsetzte und deren Bitte bis an die Stufen des Thrones heranbrachte m it dem Er folg, daß am 1. Februar 1849 das für uns zuständige Gubem ium zu Brünn nachstehende kaiserliche Willenskundgebung veröffentlichte und den ein zelnen Gemeinden kundtat. Cirkular
Bekanntgebung der provisorischen Verfügung betreffend die Verhältnisse der Akatholischen. Der Ministerrat hat bei Seiner Majestät um die allergnädigste Ermächti gung angesucht, bis zur definitiven Regelung der kirchlichen Verhältnisse im allgemeinen durch ein im konstitutionellen Wege zu erlassendes Gesetz in bezug auf die Verhältnisse der Akatholiken einige provisorische Verfü gungen zu treffen. Seine Majestät haben mit Allerhöchster Entschließung vom 26. v. M. dem Ministerium diese Ermächtigung zu erteilen geruht, und es werden somit infolge des Ministerialerlasses vom 30. v. M. ZI. 2260 folgende provisorischen Verfügungen erlassen: 1. Die bisher unter der Bezeichnung »Akatholiken« begriffenen prote stantischen Konfessionsverwandten in Österreich sind künftig mit dem Namen Evangelische der Augsburger oder Evangelische der Helvetischen Konfession zu bezeichnen. 2. Der Übertritt von einem christlichen Bekenntnisse zu einem anderen steht jedermann frei, der das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat, nur ist folgendes zu beachten: Derjenige, der überzutreten wünscht, ist gehalten, diese seine Absicht vor dem Seelsorger der Kirchengemeinde, zu welcher er bisher gehörte, in Gegenwart zweier selbstgewählter Zeugen zu eröffnen und vier Wochen nach dieser Eröffnung abermals vor dem Seelsorger derselben Kirchengemeinde in Gegenwart derselben oder zweier anderer ebenfalls selbstgewählter Zeugen die Erlärung abzugeben, daß er bei dieser Erklärung beharre. 107
Über jede dieser Erklärungen ist der Seelsorger verpflichtet, dem den Übertritt Beabsichtigenden ein Zeugnis auszustellen. Sollte dasselbe aus was immer für einer Ursache verweigert werden, so sind die Zeugen berechtigt, es auszuteilen. Diese beiden Zeugnisse hat der Übertretende dem Seelsorger der Kir chengemeinde, zu welcher er Übertritt, vorzuweisen, wodurch der Akt des Übertritts vollkommen abgeschlossen ist. Alle anderen Vorschriften bezüglich des Übertritts werden außer W irk samkeit gesetzt. 3. Die Tauf-, Trauungs- und Sterbebücher werden von den Seelsorgern Evangelisch-Augsburgischer und Evangelisch-Helvetischer Kirchenge meinden über die von ihnen vorgenommenen kirchlichen Akte ebenso geführt und aus denselben von ihnen Auszüge unter ihrer Fertigung mit derselben Rechtswirksamkeit erfolgt, wie dieses bei den katholischen Seel sorgern der Fall ist. 4. Stolgebühren und andere Giebigkeiten an Geld und Naturalien für kirchliche Amtshandlungen von seiten Evangelisch-Augsburgisch oder Helvetischer Konfessionsverwandten an die katholischen Geistlichen sind, insofern sie nicht für Amtshandlungen gefordert werden, welche der katho lische Geistliche wirklich verrichtet, oder insofern sie nicht dringliche, auf dem Realbesitz haftende Abgaben sind, aufgehoben. Dasselbe gilt von den an den Mesner zu entrichtende Leistungen. 5. Die an manchen Orten üblichen Abgaben Evangelisch-Augsburgi scher und Helvetischer Konfessionsverwandten an katholische Schullehrer haben dort, wo dieselben eigene Schulen haben und ihre Kinder nicht in katholische Schulen schicken, aufzuhören. 6. Bei Ehen zwischen nichtkatholischen Religionsgenossen hat das Aufgebot nur in den gottesdienstlichen Versammlungen der Brautleute, bei Ehen zwischen katholischen und nichtkatholischen Religionsgenossen in der Kirche eines jeden derselben zu geschehen, und es wird diesfalls der § 71 des bürgerlichen Gesetzbuchs außer Wirksamkeit gesetzt. Diese provisorische Verordnung ist sogleich kundzumachen. Brünn, am 1. Februar 1849. Der k. k. M. S. Landeschef Leopold Graf Lazansky
108
Am 4. März 1849 trat das kaiserliche Patent in Kraft, wonach evangeli sche Bethäuser auch Türme haben dürfen. Bereits am 24. Juni 1849 fand die feierliche Grundsteinlegung für den Turmbau statt. Am 18. August 1852 fand die Turm- und Glockenweihe statt. Der Turm blieb in dieser Form bis 1870 unverändert. Nach Plänen des Oberbaurats Freiherr von Ferstel (auch Erbauer der Votivkirche in Wien) wurde ein völliger Umbau der Kirche durchgeführt. Die schlichte deutsche Gotik fand hier Anwen dung, und das Bauwerk wurde am 13. Oktober 1881 eingeweiht. Am 18. August 1852 konnte die evangelische Gemeinde Bielitz die Einweihung ihres neuen Kirchturmes und dessen Glocken begehen. 1861 wird der Evangelische Frauenverein Bielitz gegründet. 1868 er hält er ein eigenes Heim. Der Glaubenskampf geht seinem Ende zu. Von besonderer Bedeutung ist auch der 14. Juli des Jahres 1834 für das Bielitzer Land. An diesem Tag wurde Theodor Haase in Lemberg als Sohn des dortigen Pastors und Superintendenten für Galizien und das Bu chenland, Adolf Theodor Haase, geboren. Seine theologischen und philo sophischen Studien tätigte er an den Universitäten in Wien, Göttingen und Berlin, erwarb zwei Doktorhüte und wurde 1859 einstimmig zum Pfarrer der Gemeinde Bielitz gewählt, wo er neben Superintendent Pastor Karl Samuel Schneider tätig wurde und siebzehn Jahre lang erfolgreich wirkte. Das Protestantenpatent vom 8. April 1861 ermöglichte die Gründung evangelischer Wohltätigkeitsvereine, und so entstanden durch Haase der Evangelische Frauenverein (1862), eine Zweigstelle des Gustav-AdolfVereins und das Evangelische Waisenhaus. Auch die Evangelische Lehrerbildungsanstalt verdankt ihr Entstehen der Initiative Haases. Am 4. November 1860 wurde im Hause Kirchplatz 5 zunächst eine dreiklassige Realschule eröffnet, die auf eine Idee von Pfarrer Schneider zurückging. Die Schaffung der Evangelischen Lehrerbildungsanstalt war Dr. Haases ureigenste Schöpfung. 1870 wurde das Alumneum, die Lau terbachstiftung, und 1871 das Gymnasium errichtet. 1876 verließ Dr. Haase Bielitz, er war zum Pfarrer der Gnadenkirche in Teschen auserwählt worden. Mit Bielitz blieb er bis zu seinem Tode verbunden, indem er Landtags- und Reichsratsabgeordneter sowie Mit glied des österreichischen Herrenhauses blieb. Für die Evangelischen brachte erst das am 8. April 1861 veröffentlichte Toleranzpatent Kaiser Franz Josephs I. die volle Religionsfreiheit und die 109
Gleichberechtigung mit den Katholiken. Im Gerichtsbezirk Bielitz gab es damals 9.199 Protestanten und in der Stadt Bielitz selbst 5.049 Protestan ten des Augsburgischen Bekenntnisses, in Troppau 387 Protestanten Hel vetischen Bekenntnisses; der Gerichtsbezirk Teschen, wo auch der Super intendent des Augsburgischen Bekenntnisses für Mähren und das österrei chische Schlesien residierte, hatte 21.911 Protestanten. Am 2. Mai 1862 wird die evangelische Kleinkinderbewahranstalt in Bielitz gegründet. Am 8. September 1866 wird der Grundstein zur evangelischen Kirche in Kurzwald gelegt, der Bau wird 1868 fertig und eingeweiht. Die Mutterkirche aller Gemeinden der Evangelischen ist die Teschener Gnadenkirche. Nach dem Toleranzpatent des Kaisers folgten ihr der Bau der Kirchen in Bielitz, Emsdorf, Ustroń, Weichsel, Golleschau und Draschendorf. In Anschluß an das Gesetz über die Gleichberechtigung aller Bekennt nisse entstanden die Kirchen zu Skotschau (1864) und dann Kurzwald mit der Gmndsteinlegung von 1866 und der Einweihung 1868. Die Kirche bot 1.200 der knapp 2.000 Seelen zählenden Gemeinde Platz. Zu ihr gehörten die Evangelischen aus Ober- und Niederkurzwald, Matzdorf, Ellgoth (mit den Ökonomien der Familien Gasch und Mecke), Braunau, Landek und Zabrzeg. Im ganzen ein Gebiet von rund 400 qkm. Die Gottesdienste fanden jeden Sonntag abwechselnd in deutscher und polnischer Sprache statt (bis zum 20. April 1940). Im Jahr 1867 kam es - nachdem erst am 17. Oktober 1852 in Altbielitz die feierliche Turmweihe stattgefunden hatte und die aufgelaufenen Schul den gerade abgezahlt waren - zum Ausbau der Kirche durch die Schaffung eines zweiten Chores. Der Bau wurde so stark gefördert, daß schon am 17. November 1867 die feierliche Einweihung der nunmehr vergrößerten Altbielitzer evangelischen Kirche erfolgen konnte. Im darauffolgenden Jahr wurde die fünfzigste W iederkehr der Gmnd steinlegung zum Kirchenbau begangen. Die Feier fand am 17. Mai 1868 statt.
110
Kurzer Blick nach Biala 1850 wurde die erste Unterrealschulklasse im Zunfthaus untergebracht. Durch die zunehmende Mechanisierung geriet auch in Biala das Zunft leben in langsamen Verfall, so daß sich immer weniger M eister zu ihren »Quartalen« trafen. Das reichliche Zunftinventar bildete schließlich den Grundstock für das im Jahr 1904 eröffnete Städtische Museum, das im 1897 erbauten Spar kassengebäude seine Bleibe fand. Im Jahr 1906 konnte man in den Dreizehnhütten (die ersten Häuser der zugewanderten Weber) noch beim letzten Handwebermeister sehen, wie es früher gemacht wurde. Die neuen, anfänglich noch nicht so leistungsfähi gen Maschinen erbrachten aber schon eine zwanzigfache Produktionsstei gerung. Zu den Zeugen der einstigen deutschen Handwerkerleistung gehö ren aber auch die alten Handwerkerhäuser der Tuchmacher entlang der beiden Au-Ufer, in der späteren Johannesgasse und in den eben schon genannten »Dreizehnhütten« (nach Dr. Kaluza, Wien). Dem Bedürfnis zur Pflege des deutschen Liedes Rechnung tragend, wurde im Jahr 1876 der Männergesangverein Biala gegründet. Vierund zwanzig wackere Sänger kamen nun regelmäßig in der alten Volksschule an der Au zusammen und probten. Sie probten bei Kerzenlicht, und die Kerzen mußte jeder Sänger selbst mitbringen. Bald stieg die Zahl der Sänger auf vierzig, und die Leistungen stiegen besonders unter der Leitung des Direktors der Bialaer evangelischen Schule Bartling. Wandert man auf der Kaiserstraße in Biala weiter und biegt bei der Zipserschen W irtschaft in das Tal des Ritterschaftsbaches ab, traf man noch auf dem Gebiet der Gemeinde Kunzendorf auf ein altes, wenig beachtetes Holzkreuz. Hier soll 1866 ein Gefecht zwischen Preußen und Österreichern stattgefunden haben, und das Kreuz sollte an jene erinnern, die hier den Tod fanden. Südwärts, schon auf dem zum Josefsberg ansteigenden Hang lag das bei uns recht beliebte Bialaer Jägerhaus, ein vielbesuchter Ausflugspunkt. Die Gemeinde Kunzendorf hatte um das Jahr 1866 etwa 15.000 Ein wohner.
111
Über die Juden Nachdem die Bielitzer Juden 1831 den Bau eines Bethauses und 1849 die Anlage eines Friedhofs genehmigt erhielten, konnten sie 1852 ein eigenes Geburts- und Taufregister anlegen und führen. Die Bürger von Biala waren mit den Verhältnissen in ihrer Stadt nicht immer zufrieden. Sie beschwerten sich zum Beispiel beim polnischen König August über das Vorgehen und den Handelsbetrieb der Juden in ihrer Stadt. 1764 war ihnen schon einmal verboten worden, sich in Biala niederzulassen. Nun - im Jahre 1842 - wird ihnen der Aufenthalt in Biala ein zweites Mal untersagt. 1870 wird ihre Gemeinde von der Zugehörigkeit zu Auschwitz gelöst, und sie siedeln sich nun in dem an Kunzendorf angrenzenden Teil der Bialaer Hauptstraße an. 1870 löst sich die Bialaer jüdische Gemeinde aus der Gemeinde Auschwitz, zu welcher sie bisher gehörte, und wird selbständig. Die Juden erhielten 1849 sowohl in Bielitz als auch in Biala die Bewil ligung, eigene Friedhöfe anzulegen. Für die Juden in Schlesien liegt aus dem Jahr 1861 die Zahl von 8.580 Seelen vor, wovon in den deutschspra chigen Gebieten des österreichischen Schlesien etwa 4.000 wohnten. Das waren 1,52 % der Bevölkerung. 1865 wurde die Bielitzer Gemeinde selbständig, und 1872 schritt man an den Bau einer jüdischen Volksschule. Im selben Jahr konstituierte sich dann die jüdische Gemeinde Biala.
Das Wappen Über Bielitz schrieb 1870 das »Wappenbuch der Schlesischen Städte und Städtel«, verfaßt von Hugo Saurma, Reichsfreiherr von und zu Jeltsch, in Berlin herausgegeben, daß Bielitz erstmals 1312 erwähnt wurde, Altbielitz aber älter war. Das Siegel, wohl das älteste und schönste der Stadt, zeigt den hl. Nikolaus - stehend mit segnend erhobener Hand - im bischöflichen Ornat. Zu seinen Füßen der Wappenschild: rechts der halbe goldene Adler der oberschlesischen Herzoge auf blauem, links drei stilisierte Lilien in Silber auf rotem Grund. 1874 befand sich im Bielitzer Museum eine Veteranenfahne aus dem gleichen Jahr, die sowohl den goldenen Adler als auch die weißen Lilien 112
auf einheitlich rotem Grund zeigte. Hingegen beschrieb eine Handschrift aus dem Jahr 1855, die sich im Teschener Museum befand, unser Wappen mit einem schwarzen Adler auf goldenem Grund. Erwähnt sei noch ein Vers aus dem Jahr 1610, der unser Wappen wie folgt kennzeichnet: »Im Blauen steht der Adler gelb und drei Lilien im roten Feld«.
Wilmesau W ir wenden unsere Schritte ostwärts gegen Seibersdorf/Kozy und schwen ken dann nach Norden ein. Durch das einst deutsche Schreibersdorf/Pisarzowice geht es noch etwa fünf Kilometer, und wir sind in Wilmesau. Rund zwanzig Kilometer von Bielitz entfernt liegt ein deutsches Dorf, eine kleine Stadt, die wie so viele deutsche Siedlungen eine harte Lebensge schichte hinter sich hat, aber voller alter Erinnerungen steckt. Aus dem Jahr 1326 stammt die erste urkundliche Erwähnung in den Listen für den Peterspfennig. Damals regierte in Böhmen Johann von Luxemburg, in Polen Ladislaus III. Ellenlang und im Herzogtum Teschen Kasimir I. aus dem Hause der Piasten. Die schlesischen Herzoge haben Teilfürstentümer entstehen lassen, die zu klein waren, um Macht ausüben zu können. Diese Gelegenheit nutzte Johann von Luxemburg, um sich nach und nach ganz Schlesien botmäßig zu machen. Ein Jahr nach der ersten Erwähnung Wilmesaus wird auch unsere Heimat Schutzgebiet des Luxemburgers. Die deutschen Siedler haben das ganze Land bis weit hinter Krakau zu dem ihren gemacht. Die deutsche Zunge reicht bis über die Karpaten nach Süden und weit in den Osten. Wilmesau ist nur ein kleines Glied in dieser Kette. Den Namen hat der Ort sicherlich von seinem adeligen Grundherrn Wilhelm. Er gehörte zunächst zum nahen Altdorf und zum Einzugsgebiet des Städtchens Liebenwerde/Kenty, zu »Lejwerd«, wie ihre Bewohner sagten. Mit dem Treueid unserer Herzoge für König Johann von Luxemburg im Jahre 1327 war auch Wilmesau zum Deutschen Reich gehörig. Man sprach deutsch, man prägte das Land, auch die Amtssprache war Deutsch, und auch die Nachbarstädte waren deutsch. 113
1457, in der Zeit der deutschen Schwäche, verkaufte der letzte Herzog von Auschwitz Johann III. sein Land, und damit kam auch Wilmesau für lange Zeit unter polnische Hoheit. Trotzdem blieben Alzen, Wilmesau und Seibersdorf »die bekannten deutschen adeligen Dörfer«, wie die Bialaer Kirchenchronik von 1766 noch zu berichten weiß. Durch die Übersiedlung der Seibersdorf er im Jahre 1770 nach Anhalt in Oberschlesien zerriß die bis dahin sprachliche Bindung mit Bielitz-Biala. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts breitete sich der evangelische Glau ben in unserem Gebiet aus. 1661 erhielt Wilmesau eine neue Kirche. Fleißig wie die Bielitz-Bialaer, haben sich die Wilmesauer beizeiten handwerklich betätigt und wurden als rührige, unternehmungslustige und dem Handel zugewandte Menschen bezeichnet (1825 durch Franz Augu stin, Pfarrer von Saybusch, der früher auch in Wilmesau tätig war). Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren viele mit ihren Waren nach Hamburg, Lübeck, Lemberg, Jassy, Wien oder gar bis Triest gekom men, hatten offenbar stets mehr Geld und konnten ihren herrschaftlichen Zins besser als andere bezahlen. Sie brachten ihre Webwaren selbst zum Kunden und schalteten den Zwischenverdienst aus. Die 700, später rund 1.000 Bewohner schlugen sich so gut es ging durch. 1772 kam das Land zu Österreich. Am 3. April 1808 kauften sich die Wilmesauer von ihrem Grundherrn los und kamen so aus der Untertänigkeit heraus. 30.000 rheinische Gulden erhielt der bisherige Grundherr. 1811 kam dann der schon erwähnte öster reichische Staatsbankrott, der das Geld stark entwertete. Die Dorfgemein schaft war nun Besitzer der Herrschaft. Pfarrer Hanel hat sich da für seine Gemeinde große Verdienste erworben. Am 8. Januar 1818 wurde Wilmes au ein Marktflecken, nachdem es schon 1816 um Stadtrechte angesucht hatte; 1819 wurde der Marktplatz angelegt. Im Rahmen der städtischen Organisation wurde 1826 ein Standesamt errichtet mit einem staatlichen Kämmereidirektor an der Spitze. Die Amts sprache war schon ab 1820 Deutsch, und mit der Kämmereiverfassung erhielt auch die deutsche Sprache neben der polnischen ihr Recht im inne ren Gebrauch. Das Städtchen zählte 1845 306 Häuser mit 2.040 Einwohnern, deren Hauptverdienst nicht mehr in der Landwirtschaft, sondern in der Weberei gefunden wurde. Die Hungerjahre und die Epidemien nach 1847 ließen die 114
Einwohnerzahl bis auf 1.600 Seelen im Jahr 1850 zusammenschmelzen. Das Stadtamt bestand von 1826 bis 1867, dann zog ein gewählter Bürger meister ein. Aus dem Jahr 1850 stammt das deutsche Stadtsiegel mit dem Text: »Stadtkämmerey Wilamowice«. Deutsch wurde wieder eingeführt, worauf die österreichische Verwaltung drängte, bis dann 1867 die Sonderstellung Galiziens eine Änderung brachte. 1808 gab es 1.150, 1815 waren es schon 1.549 und 1845 endlich 2.040 Einwohner, die das Städtchen bevölkerten. Der Ort erhält 1866 ein Postamt, 1867 sogar einen Stadtarzt, 1872 eine Apotheke, und 1875 wurde die Schule von Wilmesau dreiklassig. Der »Ausgleich« innerhalb der Donaumonarchie ging eindeutig zu La sten des deutschen Bevölkerungsteiles des betroffenen Landstriches. Stell vertretend für unzählige Orte, die gleichermaßen in ihrem Deutschtum schwersten Schaden durch diese Maßnahme erlitten, sei W ilmesau ge nannt. Galizien, auf dessen Gebiet auch Wilmesau lag, verlor nach 1867 stufenweise seine Sonderstellung. Damit wurde das bisher mehrsprachige Land nun rein polnisch verwaltet, und die Polen benutzten ihre erlangte Sonderstellung dazu, ihrerseits von nun an Ukrainer und Deutsche zu polonisieren. Das geht am schnellsten, wenn man der Jugend ihre mutter sprachliche Schule nimmt. Das taten die Polen auch in Wilmesau. Hatte der deutsche Ort schon von 1829 an keinen deutschen Pfarrer mehr, so wurden ab 1867 die staatlichen Ämter in Wilmesau mit Polen besetzt und auch die Lehrerstelle gemäß dem Reichs Volksschulgesetz von 1869 ebenfalls ver staatlicht und damit einem Polen überlassen. Selbstverständlich war es dann auch, daß sich die Folgen recht bald zeigten. Ab 1876 wurde nur noch in polnischer Sprache unterrichtet. Ähnliches erlebten auch die Deutschen der Sprachinseln im Trienter Land, so zum Beispiel im Fersental, in den »Sieben« und den »Dreizehn Gemeinden«, im Suganertal und noch vielen Orten Südtirols, die einstmals deutsch waren. Sie sind ein Gegenstück zu dem Los der Wilmesauer, zu dem Los der Deutschen im westlichen Galizien, von welchem nur die Ältesten und die Interessierten wissen, daß es dort Deutsche gab oder noch gibt. Es gehört zu den Duplizitäten der Ereignisse, daß, obwohl die beiden Landschaften ein und derselben Monarchie angehörten und über 1.000 Kilometer entfernt auseinanderlagen, die Methoden, die dort lebenden Deutschen ihrem Volkstum zu entfremden, die gleichen waren: der Pfarrer war nicht mehr ein Deutscher, und die Schule vermittelte das W issen nicht 115
mehr in der deutschen Muttersprache der Schüler. Die Staatsverfassung aber sagte gleiche Behandlung vor dem Gesetz zu. Die Zeit von 1939 bis 1945 brachte noch einmal eine Änderung. Wilmesau wurde dem Kreis Bielitz angeschlossen und so eine Gemeinde des Reichsgaues Oberschlesien. Dies nur kurze Zeit. Die meist mit wenig Geschick geführte Verwaltung änderte kaum etwas an dem Zustand der Gemeinde. 1945 konnten die W ilmesauer in ihrer Heimat bleiben. Es dürfte das einzige Gemeinwesen sein, in welchem noch die Alten einen deutschen Dialekt sprechen, bis auch ihre Stimme verstummt. (Nach W. Kuhns »Wilmesau«)
1866: Der Bruderkrieg in Bielitz-Biala Aus dem Bielitzer Museum stammen die folgenden Ausführungen zu den Ereignissen, die sich in unserer Heimat abspielten, als im Jahr 1866 der unselige Krieg zwischen Deutschen ausbrach - ohne Frage ein recht dunk ler Punkt in unserer Geschichte. Trotz der engen familiären, wirtschaftlichen, kulturellen und gesell schaftlichen Beziehungen, die auch noch nach der unsinnigen Teilung Schlesiens im Jahr 1742 bestanden, gingen die Herrscherhäuser nur nach rein hausmachtpolitischen Gesichtspunkten vor - es war die Vormacht in Deutschland, die rücksichtslos angestrebt wurde - , ohne sich um die Be völkerung des südlichsten schlesischen Zipfels zu kümmern, und begannen einen Krieg, Krieg zwischen deutschen Menschen. Die Bevölkerung von Bielitz-Biala und auch die anderen Deutschen Österreichs konnten zu nächst nicht an eine blutige Auseinandersetzung zwischen deutschen M en schen glauben. Vom Reich aus gesehen, lagen die Dinge etwas anders, es waren »Ausländer« mit anderen Pässen, die in einem anderen Staat lebten, also Fremde. Daß man das im Ausland vielleicht mit größtem Unver ständnis betrachtete, daß sich Deutsche untereinander ernstlich und blutig befehdeten, spielte offenbar keine Rolle. Die ersten Kriegsanzeichen waren die Einberufungsbefehle der in Bie litz lebenden preußischen Deutschen, die diese im Frühjahr 1866 erhielten. Die Bevölkerung wurde unruhig, und die Sorge unserer Bürger, durch die Nähe der Grenze zum Kriegsgebiet zu werden, nahm beängstigend zu. Im Mai des Jahres 1866 erließ Feldzeugmeister Benedek entsprechende Ar 116
meebefehle, und die Bürgermeister Karl Sennewaldt für Bielitz und C. Samesch für Biala erließen Aufrufe an die Bürger, Wäschestücke, Decken, Verbandszeug, Naturalien und auch Geld zu spenden. Unsere Heimat, als patriotisch bekannt, tat dies auch bis zum Ende der Auseinandersetzung. Sämtliche Räume des Schießhauses und auch die neuerbaute Turnhalle wurden zu Lazaretten, das fürstliche Schloß und viele bürgerliche Privat quartiere wurden für Verwundete zur Verfügung gestellt. Schützen- und Turnvereine sowie die Feuerwehr richteten einen Ordnungs- und Sicherheitsdienst ein. Nach dem Aufruf der Bürgermeister vom 14. Juni erfolgte am 17. Juni die Verlautbarung eines kaiserlichen Manifestes »An meine Völker« mit der Kriegserklärung an Preußen. Militär zog in die Stadt ein, das die staatlichen Behörden, Ämter und Dienststuben, die geräumt werden mußten, belegte. Die schlesische Lan desregierung wurde nach Mährisch-W eißkirchen verlegt, und mit den letzten planmäßigen Eisenbahnzügen wurden auch die gesamten Geld bestände, Effekten und Wertpapiere der städtischen Sparkasse in einer Höhe von rund 400.000 Gulden nach Wien gebracht und größere Waren bestände verlagert. Aus Geldmangel brach das ganze geschäftliche Leben zusammen, und erlassene Moratorien mußten verlängert werden. Hannak berichtet, daß sein Großvater in der Zeit des Krieges 1866 als k. u. k. Gendarmeriepostenkommandant in der Gegend von Schwarzwasser eine preußische Offizierspatrouille zu Pferd, drei Mann stark, gefangen genommen und nach dem Bielitzer Schloß gebracht hatte, da hier das höhere Kommando lag. Falsch in der oben erwähnten Darstellung im Bielitzer Museum ist, daß die Preußen alle Weichselbrücken in unserem Gebiet sprengten. Freiwillig wurde am 23. Juni 1866 die Grenzbrücke über die Weichsel zwischen Mysiowitz und Auschwitz zerstört (gesprengt). Am 26. Juni erfolgte die erste Kampfhandlung. Von Pleß aus unter nahmen drei preußische Füsilierkompanien, drei Landwehrbataillone und eine halbe Batterie unter starker Kavalleriebedeckung einen Angriff auf Auschwitz, der jedoch nach zehnstündigem Kam pf mit einem Verlust von 120 Mann abgewiesen wurde. In den nächsten Tagen fanden kleinere Gefechte im Raume zwischen Kaniów und Bestwin statt. Am 27. Juni 1866 wurde die hölzerne Brücke über das Überschwem mungsgebiet der Weichsel zwischen Szczakowa und Myslowitz verbrannt, 117
am 28. Juni 1866 die eiserne Gitterbrücke über der Weichsel zwischen Auschwitz und Trzebinia gesprengt. Das geschah während des Rückzuges vor den rasch nachstoßenden Preußen. Ein Rückzug auf der ganzen Strecke unserer Kaiser-Ferdinands-Nordbahn war überhaupt nur bis zum 15. Juli möglich, da ab diesem Tage die preußischen Truppen die Nordbahn schon zwischen Hradisch und Lundenburg unterbanden. Am 3. Juli, dem Entscheidungstag von Königgrätz, war Bielitz von österreichischen Truppen fast entblößt, da sie an anderer Stelle benötigt wurden. Am 4. Juli rückte eine Ulanenabteilung der Preußen bei einem Erkundungsuntemehmen praktisch kampflos in Bielitz ein. Die Preußen hatten mit den städtischen Behörden auf dem Ringplatz in korrekter Weise Fühlung genommen und die Bereitstellung von Quartieren für größere Truppenabteilungen gefordert. Am nächsten Tag besetzten eine Eskadron Kavallerie und eine Kompanie Jäger unsere beiden Städte, sahen die Amtskassen nach, zerstörten die Mautschranken, sprengten auf dem Bahnhof zwei Lokomotiven und drei Güterwagen, unterbrachen die Femsprechleitungen und stellten Wachen auf. Eine davon wurde am zweiten Bialaer Ring mit Steinen beworfen, was eine Kriegskontributionsforde rung in Höhe von 60.000 Gulden zur Folge hatte. Da die Summe jeden einzelnen Bürger mit einem Betrag von 40 bis 1.500 Gulden belastet hätte, war die Summe nicht aufzubringen. Die beiden Bürgermeister stellten vierzehntägige W echsel auf Handelshäuser in Breslau und Eupen (Stemikkel & Gülcher) aus, um über die Runden zu kommen. Nach zwei Tagen wurden die preußischen Abteilungen sowohl aus den beiden Städten als auch aus dem Land rundum abgezogen. Am 8. Juli kam wieder österreichisches Militär unter Generalmajor von Preisach in die Stadt, welches am 16. Juli einen Angriff über die Weichsel bei Dzieditz auf Gottschalkowitz unternahmen, der aber von preußischen Jägern unter Verlust von 90 Mann zurückgeschlagen wurde. Am 21. Juli räumten auch diese Truppen Bielitz wieder, lediglich ein Bataillon Roß bach-Infanterie blieb zurück. Damit waren die Kriegsereignisse für Bielitz beendet. Am 26. Juli 1866 wurden zwischen Preußen und Österreich die Friedenpräliminarien ausgehandelt, denen der Waffenstillstand und der Frieden von Prag am 23. August folgten. Nach Friedens Schluß bereiste der Kaiser die getroffenen Landstriche und sprach in einem Handschreiben vom 18. Oktober 1866 davon, daß 118
durch den Wiederaufbau der Eisenbahnen die ärgsten Schäden möglichst bald behoben werden mögen.
Die Nachbarn nördlich der Weichsel 1811 wurde der erste Wegweiser in Myslowitz für den Verkehr nach Auschwitz errichtet. 1816 wurde die erste Postverbindung von BeuthenKönigshütte und Myslowitz nach Krakau aufgenommen und am 13. Ok tober 1847 die Bahnlinie von Myslowitz nach Krakau (über SzczakowaTrzebinia), 1848 jene von Oderberg an die preußische Grenze, 1861 die von Dzieditz nach Pleß und am 16. März 1863 jene von Neuberun nach Auschwitz dem Verkehr übergeben. Es war ein besonderer Tag für die Stadt, als am 5. September 1846 die erste Lokomotive nach Myslowitz kam. 1820, als sich die Monarchen Rußlands, Preußens und Österreichs in Troppau trafen, nahm der Zar seinen Weg über Tschenstochau und Tamowitz. Dort verlief damals die große Straße von Warschau nach Wien. Als sich in den Jahren 1853 bis 1856 das Verhältnis zu Österreich während des russisch-türkischen Krieges abkühlte, wurde die Strecke Kattow itz-Zom bkow itz gebaut, um österreichische Gebiete im russisch-preu ßischen Verkehr zu umgehen. Der Bahnhof Granica war die russische Grenzstation gegen Österreich und Sosnowitz jene gegen Preußen. Seit 1848 war dann auch ein Anschluß an die Warschau-W iener Bahn in Szczakowa mit der Bahn Oberschlesien-K rakau gegeben. Preußische Zollämter gab es in Myslowitz (Hauptzollamt), dann in Auschwitz, Pleß und Gottschalkowitz (1863). Interessant ist auch, daß Myslowitz ab 3. Mai 1762 zum Kreis Pleß, und zwar unter damals österreichischer Verwaltung, gehörte. 1806 und 1807 mußte Myslowitz Kontributionen an die Franzosen zahlen, und unser Fürst Sulkowski machte sich völkerrechtswidriger Greuel schuldig (nach Dr. Lustig: »Geschichte der Stadt Myslowitz«, 1867, S. 38). Im Jahr 1807 proklamierten polnische Soldaten unter dem Gutsbesitzer Nowoszelski die polnische Republik, und auch Fürst Sulkowski schloß sich den Polen an und stellte Freikorps auf. Schloß Słupna, das an der Stadtgrenze von Myslowitz lag, war Besitz der Sulkowskis. Es wurden 119
Gerüchte laut, Fürst Sulkowski würde die Stadt in Brand stecken. Zehn Scheunenbrände ließen diesen Verdacht aufkommen. Um die damalige Zeit zu charakterisieren, seien noch einige Begeben heiten genannt, die die Unruhe um uns herum aufzeigen sollen. 1813,1814 und 1815 zogen russische Truppen unter Feldmarschall Graf Barclay de Tolly, einem russischen Offizier (1810 Kriegsminister, 1812 Befehlshaber des russischen Westheeres, kämpfte 1813 bei Bautzen, aus irischem Ge schlecht, das sich in Livland ansiedelte), durch Myslowitz. Seit 1820 wird die Zinkindustrie aufgebaut. Während der polnischen Revolution 1830/31 wird eine Cholera-Epidemie eingeschleppt. Im östli chen Teil des Kohlenbeckens werden Eisenhüttenwerke in diesen Jahren (ab 1830) in Niwka und Dombrowa erbaut, und ab 1844 beginnt der Bahnbau in diesem Landstrich. Im Jahr 1849 wird ein Teil der russischen Interventionstruppen zur Niederschlagung des ungarischen Aufstandes durch Myslowitz mit der Bahn transportiert. Am 21. und 22. Juli 1860 tritt Myslowitz auch in das Blickfeld von Bielitz: An diesen Tagen nehmen Bielitzer Turner an dem großen Turnfest des Deutschen Turnbundes teil, das dort abgehalten wird. 1863 wird gleich Bielitz - auch Myslowitz zu einem Heerlager für Flüchtlinge, am 17. Juni 1866 zieht in Myslowitz eine Infanteriekompanie ein, und zehn Tage später findet unterhalb der Eisenbahnbrücke hinter Słupna ein Ge fecht statt. 1839 kommt die Herrschaft Myslowitz, die seit 1536 von Pleß getrennt war, durch Heirat wieder zu Pleß. 1865 setzt der Fürst von Pleß die ersten Wisente aus Białowieża in Litauen in den Plesser Forsten aus.
Durch Ostschlesien (1868) Der bekannteste Verfasser der schlesischen Geschichte, Prof. Dr. Grün hagen, unternahm im Jahr 1868 eine Reise durch unser Teschener Schle sien. Er hat seine Eindrücke schriftlich niedergelegt, und sie sollen hier im Wortlaut wiedergegeben werden: »Am nächsten M orgen entführte mich der Schnellzug (von Breslau), und zwar über Cosel, nach Oderberg. Hier mußten vier schwer auszufüllen 120
de Stunden zugebracht werden, ehe der Zug abging, der mich nach Pruch na, dem Anhaltepunkt für Teschen, brachte. Die zweieinhalbstündige Fahrt von Pruchna nach Teschen in einem österreichischen Postwagen war ganz geeignet, die Vorzüge des preußi schen Postwesens lebhaft vor die Seele zu führen und mich zugleich recht bedauern zu lassen, daß die Eisenbahn, die von Oderberg über Teschen nach Kaschau gebaut wird und im Herbst bis Teschen befahrbar werden soll, noch nicht eröffnet war. Es ging über polnische Dörfer von sehr primitivem Charakter mit rohem Blockhausbau, blühender Schweinezucht. Die Statistik der natio nalen und konfessionellen Verhältnisse zeigt hier eine merkwürdige Ab weichung von dem, was sonst als Regel gelten kann: die Stadt Teschen ist fast ausschließlich deutsch und dabei überwiegend katholisch, das Land volk rundum ganz protestantisch. In Teschen fand ich freundliche Aufnahme bei meinem historischen Freunde Biermann, unserem korrespondierenden Mitglied (Histor. Verein Breslau), der jetzt an einer Geschichte der Herzogtümer Troppau und Jägemdorf arbeitet. Von den Fenstern seiner hochgelegenen Wohnung steigt die Stadt amphitheatralisch herab zu dem schönen, breiten, baumreichen Tal der Olsa, das dann in der Feme der Zug der Beskiden anmutig begrenzt, überragt von der Lysahora, auf der noch nicht aller Schnee geschwunden war. Hier sah ich auch in nächster Nähe den Dreibrüderbrunnen, den die Sage als die Stätte bezeichnet, wo einst drei slawische Fürsten im Jahr 810 das alte Teschen gründeten. Noch im Jahr 1810 hatte die Stadt auf Grund dieser Sage ihr tausend jähriges Jubiläum gefeiert, jetzt hat bei der Restauration des Brunnens die historische Kritik, die in der Person Biermanns auch im städtischen Aus schuß vertreten ist, in die Inschrift die Worte >der Sage nach< hineinge bracht, wofür dann das hier erscheinende slawische Blatt >gwiazda< (Der Stern) den deutschen Historiker hart geschmäht hat. Das älteste Zeugnis für die Existenz des Bmnnens datiert aus dem 15. Jahrhundert, die Sage selbst taucht zuerst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf. Während der zwei Pfingsttage, welche ich hier verlebte, fand ich doch auch Muße, ein Manuskript der hiesigen städtischen Bibliothek, welche ein ehemaliger Jesuit namens Scherschnig aus dem Ende des vorigen Jahrhun 121
derts der Stadt vermachte, näher zu betrachten. Es war eine Sammlung alter Grabinschriften aus schlesischen Kirchen, zusammengestellt von einem Geistlichen der Peter-Pauls-Kirche zu Liegnitz um das Jahr 1654, nicht ohne Bedeutung, insofern hier manches seitdem verschwundene Monu ment beschrieben wird. Durch Biermann erfuhr ich auch noch einiges über einen anderen Teschener Historiker, der gleichfalls unserem Verein als korrespondieren des Mitglied angehört hatte, den herzoglichen Güterdirektor Ritter von Kasperlik, der vor einigen Jahren gestorben ist. Er hat eine kleine Biogra phie des Teschener Herzogs Kasimir verfaßt. Kasperlik hat auch eine Geschichte der Stadt Friedek druckfertig hinterlassen, bedeutsam durch einige ältere Urkunden, die er vor dem Spürsinn des Teschener Historikers Biermann eifersüchtig im Schloßarchiv geborgen hat. Er hat das Manu skript der Stadt Friedek vermacht und den buchhändlerischen Erlös für die in Friedek zu gründende Realschule bestimmt.« Dieses südlichste Schlesien hatte in den ganzen Jahren ebenfalls eine stürmische Geschichte hinter sich gebracht. Ruhelos wie seine Umwelt war auch Schlesiens Weg. Seit der Teilung des Landes 1742 ein kleines Wirtschaftsgebilde, mußte es sich seine Lebens- und Verwaltungsgrundlage erst wieder neu schaffen. Das war mitunter ein steiniger und domenreicher Weg, bis es sich langsam zu einem wenigstens zeitweise mhigen Dasein durchrang. W esentlich war hierfür die staatliche Verwaltung des Ländchens.
Ein Blick in die Verwaltung unseres Kronlandes Die Ereignisse von 1848 und 1849 sind nicht spurlos an unserem Lande vorübergegangen. Es kam zur Bildung von Vereinen und Nationalgarden wie in anderen Teilen der Monarchie, periodische Zeitungsblätter entstan den, und berechtigte und unberechtigte Wünsche wurden da und dort ausgesprochen. Werfen wir nun einen Blick auf die Verwaltung Österreich-Schlesiens, soweit sie für Bielitz von Interesse ist. Seit Schlesien zerrissen und unser südlichster Zipfel ein eigener Verwaltungskörper wurde, standen Landes hauptleute an der Spitze der Landes Verwaltung. Es waren dies: 122
vom 5. Februar 1743 bis 1751: Friedrich W ilhelm G raf von Haugwitz auf Bielitz, später Oberstkanzler, Reformator und Begründer des österrei chischen Finanz- und Steuerwesens. Ab 6. November 1751: Franz Graf von Larisch, Geh. Rat auf Karwin, Albrechtsdorf, Tierlitzko und Grodischt. Ab 16. Juli 1763: Felix Graf von Sobek, Geh. Rat, früher Landes hauptmann von Kärnten. Ab 9. Mai 1764: Max Heinrich Freiherr von Sobek auf Stablowitz, Köhlersdorf und Schlatten. Ab 3. Januar 1769: Leopold Graf von Lamberg, k. k. Geh. Rat und Kämmerer, Herr von Sananstein und Reuttenberg, früher Landesverweser und Oberstraßendirektor von Krain (gest. 1772). Ab 28. April 1770: Ferdinand Philipp von Harsch, Herr von St. Mar garethen am Moos, k. k. Geh. Rat, Feldzeugmeister, Generaldirektor des Geniewesens, Gouverneur und Kommandierender General von ÖsterreichSchlesien. Im Jahr 1778: Karl Freiherr von Troio, k. Amtsrat, Präsidiumsverweser in diesem Jahr. 1779 bis 1782: Pompeo Graf von Brigida, später in Triest. 1783 wurde das schlesische Amt aufgehoben und m it M ähren vereinigt. M it W irksamkeit vom 18. März 1848 erhielt der Verwaltungskörper Österreich-Schlesiens eine neue Form. Das kaiserliche Patent von diesem Tage sah einen verstärkten Konvent vor. Zu den bestehenden fünf votie renden (abstimmenden) Mitgliedern sollten noch drei aus dem Herrenstand und acht Mitglieder aus dem Bürgerstand hinzutreten, und einer davon auch aus Bielitz. , Die Gliederung sollte nach diesem Patent nicht m ehr in mehrere Für stentümer aufgeteilt sein, es sollte eine Einheit und Schlesien eine selbstän dige österreichisch-deutsche Bundesprovinz werden. Die Frage des An schlusses der Herzogtümer Auschwitz und Neustadt/Zator wurde offenge lassen. Vom Landtag wurde aus Anlaß der Ernennung Erzherzog Johanns zum Reichsverweser von Deutschland bei dessen Durchreise nach Frank furt ihm in Ostrau eine »Adresse« durch eine Deputation überreicht. Im Zentralausschuß vom April 1848 zu W ien war Schlesien wie folgt vertreten: durch den Landeshauptmann des Fürstentums Teschen Franz Ritter von Scharschmid, den Stände Vertreter Dr. Demel (Teschen) und zwei Vertreter aus dem Herzogtum Troppau. 123
Die Verfassung vom 24. April 1848 galt in unserem Gebiet für Ausch witz und Neustadt/Zator, Ober- und Niederschlesien (d. h. West- und Ost schlesien, wie es landläufig in Österreich genannt wurde). Die wesentlichen Punkte dieser Verfassung waren: 1. Allen Volksstämmen ist die Unverletzlichkeit ihrer Nationalität und Sprache gewährleistet. 2. Der Kaiser besetzt alle Staatsämter, verleiht alle Würden, Orden und Adelsgrade, führt den Oberbefehl über die Land- und Seemacht. 3. Alle Rechtspflege geht vom Kaiser aus. 4. Die Freiheit der Auswanderung darf nicht behindert werden. Schlesien stellt aus den Reihen der Grundbesitzer bei 463.340 Wählern: 4 Vertreter für die Kammer: Troppau 1, das flache Land 9 Vertreter. Alle Wahlmänner müssen 24 Jahre alt sein. Arbeiter gegen Tag- oder Wochenlohn, Dienstleute und Personen, die von öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten Unterstützung erhalten, können nicht W ähler sein. Der Teschener Kreis entsandte seine Vertreter nun auch zum Frankfur ter Parlament und zum Reichsrat nach Wien bzw. Kremsier. Der erste Vertreter von Bielitz in diesem Reichsrat ist der Bielitzer Pastor K. S. Schneider. Er ist der einzige evangelische Abgeordnete in diesem Hause. Ihm ist es zu verdanken, daß das erst 1861 erschienene Patent des Kaisers den Protestanten die völlige Gleichberechtigung bringt. Die wichtigste Tat dieses Reichsrates ist die Aufhebung der Erbunter tänigkeit der Bauern am 7. September 1848, herbeigeführt durch den Antrag des schlesichen Bauernsohnes Hans Kudlich. Aus meiner Jugendzeit weiß ich noch, daß sowohl der Name Schneiders als auch jener von Kudlich je einen Straßenzug in Bielitz bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zierte und ihr Wirken vergegenwärtigte. Dieses Patent hob »die Untertänigkeits- und schutzobrigkeitlichen Verhältnisse mit allen dieselben normirenden Gesetze, desgleichen alle aus dem Unterthänigkeitsverhältnisse entspringenden, dem unterthänigen Grunde anklebenden Lasten, Dienstleistungen und Giebigkeiten auf, und sprach den Grundsatz der Gleichstellung und Entlastung alles Grund und Bodens aus«. »Die allerhöchste Entschließung vom 4. März 1849 anerkannte die vollständige Entlastung des Grund und Bodens gegen eine billige Entschä digung und hob jede Art von Leibeigenschaft, jeden Unterthänigkeits- oder 124
Hörigkeitsverband für immer auf«, so wird aus dieser Zeit berichtet. Auf Grund dieser Bestimmung wird am 30. Dezember 1948 die Landesver fassung für »das Herzogtum Ober- und Niederschlesien« erlassen, wobei es sich bei dieser Bezeichnung der Landesteile bei »Oberschlesien« um den westlichen Teil des Österreich verbliebenen Schlesiens mit Troppau und bei »Niederschlesien« um jenen östlichen mit Teschen und Bielitz handelt; der erstere wurde auch als West-, der andere als Ostschlesien bezeichnet. Der in Troppau tagende Landtag bestand aus dreißig Abgeord neten, welche für die Dauer von vier Jahren aus direkten W ahlen hervor gingen. Die gleiche Reichsverfassung sagt die Gleichberechtigung aller Volks stämme wie auch die Selbständigkeit der einzelnen Kronländer zu. Sie hebt den § 77 der Reichsverfassung auf, welcher von der ständischen Verfas sung spricht. Länderangelegenheiten sind von nun an Sache der Landtage. 1848 wird unser Schlesien von Mähren getrennt, und eigene schlesische Abgeordnete werden nach Wien und nach Frankfurt zum Deutschen Bun destag entsandt. Ab 1848 gehörte das Herzogtum Bielitz zum österreichischen Herzog tum Oberschlesien. Es bestand aus: 1. der Herrschaft Bielitz, 2. der Stadt Bielitz, 3. der Herrschaft Emsdorf, 4. dem Freisassenhof Besitz Nr. 52 zu Altbielitz. Die Bücher des Herzogtums Bielitz wurden beim Kreisgericht Bielitz geführt. Als Abgeordneter des Herzogs von Bielitz im Schlesischen Konvent fungierte Erdmann Gusnar Ritter von Komorna. Bis zur Errichtung von Kreisämtem erschien beim Fürstentag und beim Konvent bis 1848 für Bielitz der jeweilige Fürst v. Sulkowski. Im Her zogtum Bielitz selbst hat es niemals eine ständische Korporation oder Versammlung gegeben. Die Würdenträger in Schlesien waren 1. die Lan deshauptleute (auch oberste Justizverwaltung) und 2. der Oberst-LandesOffizier. In Bielitz hatten diese Stellen in letzter Zeit überhaupt nicht bestanden. Die Stelle eines Deputierten des Fürsten von Bielitz wurde in der Regel von einem Troppauer Vertreter des Fürstenstandes versehen. Auch hat im Fürstentum Bielitz nie eine Landeshauptmannschaft be standen. Seine ständigen Angelegenheiten wurden mit der Teschener Lan deshauptmannschaft verhandelt, da das Fürstentum Bielitz besonders in Ausübung der landrechtlichen Gerichtsbarkeit dem Fürstentum Teschen zugewiesen war. Landeshauptmannschaften gab es nur in Troppau, Jägemdorf und Teschen. Der Landeshauptmann wurde vom Herzog ernannt. Das 125
Landrecht von Bielitz und Teschen wurde vereinigt, ebenso jenes von Troppau und Jägemdorf. Am 14. April 1848 wurde der Beschluß gefaßt, daß aus der Mitte der Gutsbesitzer der Fürstentümer Bielitz und Teschen zwei Beiräte und aus der Stadt Bielitz ebenfalls zwei Beiräte gewählt werden sollten. Der Ge samtkonvent hatte jetzt 18 Mitglieder (früher 5), davon 9 aus den Ständen und dem Gutsbesitz und 9 aus den Städten. Beim Konvent vom 9. Mai 1848 wurde der Beschluß gefaßt, daß aus den Fürstentümern Teschen und Bielitz drei Deputierte gewählt werden sollen. Von Bielitz waren hierbei G. Matzner aus Karnitz und Gorgon zugegen. Auf dem Konvent vom 13. Juli 1848 war das Bielitzer Land durch folgende Herren vertreten: für den Großgrundbesitz und den Herzog von Bielitz: Erdmann Gusnar Ritter von Komorna und für die Stadt Bielitz: Johann Bartelmuß und Dr J. Karl van der Straß. Ersatzmänner waren: Johann Hanke und Heinrich Hoffmann für Bielitz; für die Landgemeinden: Andreas Kreis, Georg Matzner, Johann Schu bert, alle aus dem Fürstentum Bielitz. Im großen Ausschuß des verstärkten schlesischen öffentlichen Kon vents saß auch als Abgeordneter des Herzogs von Bielitz Erdmann Gusnar von Komorna. Der konstituierende Reichstag trat erst am 22. Juni 1848 zusammen und wurde von Erzherzog Johann als Stellvertreter des Kaisers mit einer An sprache eröffnet. Mit Rücksicht auf das Aufleben der revolutionären Be wegung wurde am 22. Oktober 1848 angeordnet, den Reichstag von Wien zu unterbrechen. Er wurde am 22. November 1848 in Kremsier weiterge führt. Kurz darauf erfolgte die Thronentsagung Kaiser Ferdinands L, und der Regierungsantritt Kaiser Franz Josephs I. wurde am 2. Dezember 1848 verkündet. In der Reichsverfassung vom 4. März 1849 erscheint unser Land wie folgt: die Herzogtümer Ober- und Niederschlesien. Die Herzogtümer Auschwitz und Neustadt/Zator sind beim Königreich Galizien genannt. Nach § 77 erhält das Kronland Schlesien eine eigene Verfassung. Die bisherige ständische Vertretung verliert ihre Befugnisse. Das Land wird in politische Bezirke (Wahlbezirke) eingeteilt. Sie sollen einen vorzugsweise 126
auf Gemeinschaftlichkeit der Interessen beruhenden Faktor des Gemeinde lebens darstellen. Dieses Reichsgemeindegesetz war auch für Bielitz eine wichtige Ent scheidung. Von da an gab es bei uns die »Erste Instanz« der staatlichen Behörden. Bielitz wurde eine solche. Die Landesverfassung von Schlesien vom 30. Dezember 1849 sagt folgendes aus: Der Kaiser ist Herzog von Ober- und Niederschlesien, Auschwitz, Neustadt/Zator und Teschen. Schlesien ist ein untrennbarer Bestandteil der österreichischen Erbmon archie und ein Kronland dieses Kaisertums. Troppau ist die Hauptstadt von Ober- und Niederschlesien. Der Landtag besteht aus zehn Abgeordneten der Höchstbesteuerten, zehn Abgeordneten der Städte und Märkte und zehn Abgeordneten aus den übrigen Gemeinden. Troppau, Teschen und Bielitz bilden als Stadt je einen Wahlkreis und Jablunkau, Skotschau und Schwarzwasser zusammen auch einen. In Standessachen vertritt (ohne Bauangelegenheiten) den Gerichtsbezirk Bielitz (mit Stadt Bielitz), Schwarzwasser, Jablunkau, Skotschau, Oderberg, Freistadt, Friedek (ohne Stadt Friedek) Dr. Franz Stratil. K. k. Bezirksschulräte für Bielitz (Land) sind Karl Sohlich, Bürger meister und Kaufmann in Skotschau, sowie Friedrich Skalla, Bürger meister und Kaufmann in Sch warz wasser. In der Erwerbsteuer-Lan deskommission sitzt Stanislaus Gutwinski, Bürgermeister und Apotheker in Bielitz. Ersatzmänner aus den Landgemeinden waren Dr. Eduard Türk, Landtagsabgeordneter und Advokat in Bielitz, Vertreter für die Landge meinden war Gustav Josephy, Landtagsabgeordneter und Kommerzialrat in Bielitz. Im Ausschuß für gewerbliche Fortbildungsschulen saß Josef Wiś niowski, k. k. Bezirksschulinspektor in Bielitz. Amts- und Geschäftssprache war Deutsch. In den gemischtsprachigen Gerichtsbezirken wurden Angaben, in einer der drei Landessprachen ab gefaßt, angenommen. Deutsche Gerichtsbezirke sind Freiwaldau, Jauemig, Weidenau, Zuck mantel, Benisch, Freudental, Würbental, Jägemdorf, Olbersdorf und Odrau. Erst 1850 erfolgten wieder eine administrative Selbständigkeit Schle siens und die Errichtung einer eigenen Statthalterei für Schlesien. 1853 bis 127
1860 wirkte k. k. Statthaltereirat Anton Halbhuber als Landespräsident von Schlesien. Ab 15. November 1860 leitete Hofrat Wilhelm Freiherr von Krieg die Geschäfte der Landesregierung. 1850 wurde Schlesien in sieben Gerichtsbezirkshauptmannschaften eingeteilt. Bielitz war der siebente Bezirk mit den Gerichtsbezirken Bielitz, Schwarzwasser und Skotschau und mit 13,1 Quadratmeilen und 66.268 Einwohnern (in Österreich 1 Meile = 4.000 Wiener Klafter = 7.585,9 Meter). Durch ein kaiserliches Patent vom 31. Dezember 1851 wurde aber die Verfassungsurkunde vom 4. März 1849 außer Kraft gesetzt, so daß die angeführte Landesverfassung für das Herzogtum Schlesien nicht zum Tra gen kam. Das frühere Landrecht verschwand, da »alles Recht vom Reiche ausgeht«, und gleichfalls wurden auch alle städtischen Kriminal- und alle Patrimonialgerichte aufgelöst. Ganz Schlesien wurde dem Oberlandesgericht zu Brünn zugeordnet, für das Teschnische gab es nur einen Gerichtshof erster Instanz, das Landesge richt in Teschen. j In der politischen Verwaltung wurde Schlesien von Mähren getrennt und erhielt einen Statthalter mit Sitz in Troppau. Bis zum Jahr 1848 war das Herzogtum Teschen flächengleich mit dem Kreis Teschen. Nun wurden aus dem herzoglichen Land drei Bezirkshaupt mannschaften und ab 1851 acht Bezirke gebildet: Oderberg, Friedek, Frei stadt, Teschen, Jablunkau, Schwarzwasser, Skotschau und Bielitz. Dieses Land umfaßte 39,5 Quadratmeilen, was etwa 2.170 qkm entspricht, und hatte eine Bevölkerung von 190.000 Seelen. Das waren rund 87 Menschen auf den Quadratkilometer. Mit Entschließung vom 14. September 1852 erhielt Schlesien eine Landesregierung unter dem Vorsitz eines Landespräsidenten, die 1853 im Zuge einer Zusammenlegung der Landesregierungen kleiner Kronländer wieder aufgehoben wurde. Darunter fiel auch die schlesische Regierung. Durch ministerielle Verordnung vom 19. Januar 1853 wurde die Statt halterei in eine Landesregierung unter Leitung eines Landespräsidenten umgewandelt. Der Zustand war von kurzer Dauer, denn schon am 5. Juni und 31. Ok tober 1860 setzten unter Bezugnahme auf ein kaiserliches Handschreiben vom 4. Mai dieses Jahres Verordnungen des Innenministeriums diese Lan 128
desregierung wieder außer Kraft und bestimmten die verwaltungsmäßige Unterordnung des Herzogtums unter die Statthalterei zu Brünn. Als Kronland des Reiches sollte Schlesien weiterbestehen, und seine besondere Landesvertretung sollte gleichfalls gewahrt bleiben. Aber auch diese Rege lung wurde nicht alt. Schließlich wurde am 29. März 1861 die Errichtung einer selbständigen Landesbehörde (Landesregierung) für Schlesien be fohlen. Die Chefs dieser Verwaltung waren: 1861 bis 1863: Richard Graf Belcredi; 28. April 1863 bis 25. Juni 1866: Hermann Freiherr von Piliersdorf; 25. Juni 1866 bis August 1868: August Ritter von Merkel; bis 20. September 1870: wieder Hermann von Piliers dorf; 4. Oktober 1870 bis 26. April 1882: Alexander Ritter von Summer; 6. Mai 1882 bis 1886: Oliver Marquis Bacquehem (wurde k. k. Han delsminister); 3. Juli 1886 bis 22. Juli 1889: Hofrat Franz G raf Merveldt aus Graz; 22. Juli 1889 bis 6. September 1894: Dr. Karl Ritter von Jäger; 6. September 1894 bis 13. Februar 1896: Karl Graf Coudenhove; 13. Februar 1896 bis 1. Dezember 1898: Manfred Graf Clary und Aldringen; 1. Dezember 1898 bis 28. Juni 1905: Josef Graf von Thun und Hohenstein; 28. Juni 1905 bis 15. September 1905: Dr. Edmund von Marenzeller; 15. September 1905 bis 26. Januar 1908: Dr. Karl Freiherr von Heinold-Udinski; und ab 12. Januar 1908: Max Graf von Coudenhove. Weitere Unterlagen lagen keine vor. Mit einem »allerhöchsten Handschreiben« wurde am 29. März 1861 die Errichtung einer selbständigen Landesbehörde für das Herzogtum Schle sien mit ihrem Amtssitz in Troppau verfügt. Schlesien war von nun an direkt den Wiener Ministerien unterstellt. Sechs Vertreter entsendet Schlesien nun in den Reichsrat, und in Trop pau tagt jährlich einmal der schlesische Landtag, der aus einunddreißig Mitgliedern besteht. Für die Wahl der Abgeordneten aus der Klasse des großen Grundbesitzes bildet ganz Schlesien (österreichischer Teil) einen Wahlbezirk mit dem W ahlort Troppau. Die W ähler bilden zwei Wahlkör per. Zum ersten gehören die Herzoge von Teschen, Troppau-Jägemdorf, Bielitz und der Hoch- und Deutschmeister, zum zweiten alle übrigen wahlberechtigten großen Grundbesitzer. Die ersten wählen zwei, die zwei ten sieben Abgeordnete. Von den Städten entsenden Teschen und Bielitz je einen, Friedek, Oderberg und Freistadt zusammen einen Abgeordneten und Jablunkau, Skotschau und Schwarzwasser ebenfalls zusammen einen Abgeordneten. 129
Die Abgeordneten der Landgemeinden wurden aus einem Wahlbezirk ermittelt, welchen Teschen, Freistadt und Jablunkau bildeten, einem zwei ten aus Friedek und Oderberg und einem dritten, zusammengesetzt aus Bielitz, Skotschau und Schwarzwasser. Der erstgenannte W ahlbezirk ent sandte zwei, die beiden anderen je einen Abgeordneten. Den Leiter des Landtages, den Landeshauptmann, sowie seinen Stellvertreter ernannte der Kaiser selbst. Gesetzesvorschläge in Landesangelegenheiten gelangten als Regie rungsvorlagen in den Landtag. Nach Zustimmung des Landtages war noch »die kaiserliche Sanktion« nötig, um Gesetzeskraft zu erhalten. Gemäß der neuen Reichs Verfassung und der Länderordnung erhält unser Schlesien wieder Anteil am verfassungsmäßigen Leben und schickt Abgeordnete in den Reichsrat. Aus der Stadt Bielitz gehörten von 1861 bis 1908 dem Landtag an: Rudolf Seeliger (1861-1866), Dr. Josef Preissler (1867-1869), Dr. Theo dor Haase (1870-1902) und Gustav Josephy (seit 1902). Aus den Landgemeinden Bielitz, Schwarzwasser und Skotschau waren dabei: Karl Schneider (1861-1870), Dr. Alois Eisenberg (1871-1873), P. Johann Zahradnik (1873-1877), Johann Cichy (1878-1883), Johann Pellar (1884-1889) und Dr. Michejda (ab 1891). Seit 1907 existierte eine Übersetzungskanzlei mit einem polnischen und einem tschechischen Dolmetscher.
Die Land- und Forstwirtschaft in unserem Land Österreich-Schlesien ist durch seine Lage entlang der preußischen Grenze recht ungünstig weggekommen, als man es 1742 teilte. Durch eine eigenar tige Grenzziehung, bei welcher man bestimmt keine Maßstäbe anlegte, die unserem Land und den darin wohnenden Menschen helfen sollten, war der kleine Rest »Österreich-Schlesien« noch dazu in zwei Teile zerlegt wor den, die wirtschaftlich auch noch verschieden waren. Im westlichen Teil war die Bevölkerung hauptsächlich in der Bodenkultur tätig, im östlichen in unserem - herrschte der W ald vor. Die Landwirtschaft erkannte aber schon recht früh, daß es in der Gemeinschaft besser gehen müßte, als wenn jeder einzeln für sich seinen Weg geht. Der erste Zusammenschluß kam am 12. September 1862 zustande, als in Troppau ein »Schlesischer Landwirt130
schaftlicher Verein« gegründet wurde (er wandelte sich 1901 in die »Kai serlich-königliche österreichisch-schlesische Land- und Forstwirtschafts gesellschaft zu Troppau« um.) 1869 bildete sich der »Landwirtschaftliche Verein für das Herzogtum Teschen in Teschen«, und 1871 bildete sich eine »Land- und Forstwirtschaftsgesellschaft für Ostschlesien«, ebenfalls in Teschen. Trotz der geringen Größe des Landes Schlesien machte sich alsbald ein stark ausgeprägter Partikularismus bemerkbar, der selbst bei der Förderung der Bodenkultur störend wirkte. Man fühlte sich oft zurückgesetzt. Auch ein Fachorgan wurde ins Leben gerufen, es war die »Landwirt schaftliche Zeitung für Österreich«.
Die Fischzucht Durch das Vorhandensein von guten Fischwassem und guten Absatzmög lichkeiten hat die Fischzucht bei uns in Ostschlesien eine ziemliche Bedeu tung erlangt und ist bahnbrechend geworden. Aus Ostschlesien stammt auch die in den sechziger Jahren des 19. Jahr hunderts von dem erzherzoglichen Kameraldirektor Scheidlin erfundene Art der Teichsäuerung, welche seither »auf dem ganzen Erdkreise Nach ahmung gefunden hat«. Diese Methode besteht darin, daß trockengelegte Teichgründe allmäh lich bewässert und nach Maßgabe der Abweidung durch Hornvieh wieder der Teichwirtschaft zugeführt werden. Stück für Stück des abgeweideten und so natürlich gedüngten Teichbodens mit seiner kostenlos entstandenen Fischnahrung wird bewässert und zu gleicher Zeit stärker mit Fischen belegt, so daß dem Fischvolk bessere Lebensgrundlagen geschaffen waren. Dazu kommt noch das »Dubisch’sche Verfahren«, das darin besteht, daß zwischen dem Streich- und Aufwachsteich der Streck- und Vorstreckteich eingeschoben wurde, wodurch die Produktion von Zwei-kg-Speisefischen in der Drei-Sommer-Zucht erreicht wird. Rakus aus Trzynietz erfand eine Methode zur Erzeugung künstlichen Naturfutters, und Schröder entwickelte die verbesserte nasse Methode der künstlichen Befruchtung der Fischeier. Ebenso führte Schröder die Ablei tung des nahrungsarmen Unterwassers ein. In Ostschlesien gab es einen Jagd- und Fischereischutzverein in Teschen, der sich bemühte, die Fisch 131
zucht des Landes zu heben. Der Verein hatte im Laufe der Jahre die ostschlesischen Flüsse und Bäche in Pacht genommen und mit Forellen brut bevölkert. Das Land und die Landesregierung unterstützten jährliche Fischkurse und Wandervorträge für dieses Wirtschaftsgebiet unseres Ländchens.
Die Schafzucht Die ehemals in den Beskiden betriebene Schafzucht ist infolge des Preis verfalls für Wolle und des Niederganges des Webergewerbes bei uns völlig zugrunde gegangen. Die Schafe wurden noch zur Ausnutzung der mageren Gebirgsweiden gehalten, die gewonnene Wolle wurde von den Gebirgsbe wohnern als Hausbedarf verarbeitet, und später wurden die Tiere verkauft, um geschlachtet zu werden. Dazu kam noch, daß der Bergbewohner, zunehmend den Erwerb im flachen Land suchend, immer mehr talabwärts zog. Das »schlichtwollig deutsche Landschaf« verschwindet ganz. Das Bes kidenschaf ist klein, fast ein verkümmertes Gebirgsschaf, das sich weder durch Wolle oder Milch, sondern höchstens durch sein Fleisch auszeichnet. Es ist einfach nur ein schlechter Ersatz für die Haltung von Vieh- oder Ziegenbeständen. Das Vieh in unserem Land war ursprünglich das sogenannte »Beskiden vieh« und wurde später mit dem »Kuhländer-Typ« gekreuzt. Besondere Bedeutung hat die Vieh Wirtschaft in unserer bergigen Gegend nicht er reicht.
Die Pferdezucht Von staatlicher Seite war die Pferdezucht bis 1869 von der Kriegsverwal tung betreut und danach in den Bereich des k. k. Ackerbauministeriums überführt worden. Das Pferd Ostschlesiens unterschied sich, durch die Nähe Galiziens bedingt, wesentlich von jenem des westlichen Teilstückes unseres Landes. Bei uns in Ostschlesien war ein kleines orientalisches Pferd »mit viel Typus und Temperament« heimisch. Von den für die ganze österreichische Monarchie aufgestellten Haupt zuchtgebietsgruppen wurde Schlesien in den »mittelschweren Wagen- und Reitschlag« eingeteilt. 132
Zur Zucht wurden zunehmend Norfolkerhengste verwendet. Das orien talische Blut trat immer mehr zurück. Die erste Stelle nahm der 1875 in England gekaufte »The Great Gun« für die Zucht ein. 1902 wurde er aber wegen geringer Fruchtbarkeit wieder fallengelassen, und so blieb in Ost schlesien der orientalische Typ vorherrschend. In Ostschlesien musterten die Militärbehörden regelmäßig Remonten aus, in Westschlesien nicht. Ostschlesien wurde als »warmblütiges orienta lisches Zuchtgebiet« bezeichnet. Privatgestüte gab es in Ostschlesien in Deutsch-Leuthen (Inh. Graf Heinrich Larisch), welcher Reit-, Wagen- und vielbegehrte Jagdpferde züchtete. Trotz überwiegender Industrie in Schle sien zeigte die Pferdezucht doch namhafte Erfolge. Ab 1896 gab es einen Trabrenn verein in Troppau.
Die Forstwirtschaft in unserem Land Etwa die Hälfte des österreichisch-schlesischen Landes (180.000 ha) war Wald. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fehlten sowohl gute Straßen als auch Eisenbahnen und moderne Transportmittel. Auch Waldstraßen und Forstwege waren noch nicht gebaut. Die Holzindustrie hatte noch sehr kleine Ausmaße, und ebenso gering war die Zahl der Abnehmer für Nutz holz. Vorhanden war nur ein Bedarf an Bau- und Brennholz. Die billigere Steinkohle war noch wenig bekannt und ohne Transportmittel zu hoch in den Frachtkosten. Die damaligen Eisenhämmer, Hochöfen und Hüttenwerke waren auf Holzkohlenheizung eingerichtet und wurden in manchen Fällen überhaupt nur zur Verwertung des Holzes aufgebaut. Größere Sägewerke bestanden nicht, dafür aber einige sehr primitiv eingerichtete Wassersägen. Holzindustrie, Holzhandel und Holzexport be wegten sich daher in sehr bescheidenem Umfang. Besonders der Export beschränkte sich nur auf die grenznahen Gebiete. Erst durch den Eisenbahnbau und die Schaffung von Straßen wurde der Wald erschlossen und der Export auf weitere Strecken möglich. Größere Holzunternehmungen entstanden, und die Zahl der Holzkäufer stieg nun erheblich. Solide Waldstraßen wurden angelegt und auch Dampfsägen gebaut. Eine geregelte Waldwirtschaft war im Entstehen. Dazu gehörte auch eine Wildbachverbauung im Gebirge, die Uferbrüche und Rutschun 133
gen verhindern sollte. Im Gefolge dieser Arbeiten trat auch die Flußregu lierung zunächst in das Stadium der Planung, und alsbald wurde auch sie Wirklichkeit.
Die Flußregulierungen Die Schäden größeren Ausmaßes durch das große Hochwasser vom 17. und 18. August 1872 gaben den Anstoß, die Flußverhältnisse zu studieren und so schnell wie möglich zu verbessern. Am 8. April 1873 erhielt bereits die Gemeinde Ellgoth im Bezirk Bielitz ein Darlehen von 3.000 Gulden und die Gemeinde Poremba 140 Gulden. In den Jahren 1872 und 1873 wurden aber auch Vorstudien betrieben, die Weichsel, Białka, Olsa und Ostrawitza zu regulieren. Diese Arbeiten kosteten 1.500 Gulden. Unsere schlesischen Wasserläufe wurden durch Prof. Dünkelberg aus Bonn-Poppelsdorf zusammen mit österreichischen Bauräten aus Brünn und Troppau besichtigt. Die Untersuchungen stellten die zunehmende Verwilderung der ostschlesischen Flüsse fest, die dadurch verursacht wur de, daß die Täler der Flüsse in den Karpatensandstein eingeschnitten sind, der leicht verwittert und zerfällt, dann von den Wildbächen als Rollsteine und Geschiebe fortbewegt und in Strecken mit weniger Gefälle durch die nachlassende W assergeschwindigkeit abgelagert wird, wodurch Profil verengungen und Überschwemmungen entstehen. All die Schäden wurden nun durch eine gezielte Behebung, sei es durch Aufforstung, rationelle W aldwirtschaft auf steilen Hängen, W ildbachver bauung, Wehre, kleine Sperren oder gar Talsperren Schritt für Schritt abgebaut. In erster Linie kam da bei uns in Ostschlesien die Illownitza samt Lobnitz- und Heinzendorfbach, die Weichsel von Skotschau bis Drahomischl, die Olsa bei Darkau und Lonkau in Frage. Am 19. Oktober 1884 kam das Gesetz zur Regulierung der Weichsel heraus. Für uns ist da die Strecke von Schwarzwasser bis zur Einmündung des Bialkaflusses (vom 6. April 1885), die Kosten von 280.000 Gulden, und die Strecke von Drahomischl bis Schwarzwasser, die 65.000 Gulden Kosten verursachen sollte, interessant. Am 31. Oktober 1885 fand hierfür in Dzieditz eine gemeinsame Ver handlung von österreichischen, preußischen und schlesischen Vertretern 134
über das gemeinsame Vorgehen bei der Regulierung der Weichsel-Grenzstrecke statt. Man wurde sich einig. Am 4. Juli 1892 traf man in Gottschalkowitz ein österreichisch-preußi sches Übereinkommen für die Regulierung. Am 4. Juli 1893 fand eine gemeinsame Bereisung der Weichsel statt, so wie sie die Grenze bildete. Im folgenden Jahr wurde ein Kostenvoranschlag für die Ergänzung der Bedeichung der Weichsel von der Eisenbahnbrücke in Dzieditz bis zur Bialkamündung vorgelegt. Im November und Dezember 1896 wurde die Vermessung für die einseitige Bedeichung der W eichsel von Ochab bis zur galizischen Grenze durchgeführt (Kosten: 174.000 Gulden) Am 12. und 13. April 1898 fand dann in Bielitz eine gemeinsame Verhandlung über die Arbeiten statt: Vertreter des k. k. Ackerbauministe riums, der k. k. schlesischen Landesregierung, der königlich-preußischen Regierung in Oppeln und der k. k. galizischen Statthalterei waren anwe send. Es wurde ein System für die gemeinsame Bedeichung in Aussicht genommen. Lokalerhebungen wurden am 23. und 24. August 1898 vorge nommen, und am 21. Januar 1899 fand noch eine gemeinsame Beratung von österreichischen und preußischen Vertretern in Dzieditz statt. Am 15. Januar 1900 führten Verhandlungen in Troppau zur Einigung. Das Projekt der Eindeichung und der partiellen Regulierung der Weich sel bis zur Bialkamündung sah Kosten von 1.040.000 Gulden vor. Am 7. August 1902 war man in Auschwitz beisammen, um über die Strecke Bialka-Pschem sa-M ündung zu beraten, dann noch mal am 23. März 1906 in Bielitz. Man plante für 1904 die Regulierung bei Tschechowitz, für 1905 die Regulierung der Białka und des Lobnitzbaches. Ein Fonds für die Regulierung des Lobnitzbaches bis zur Wildbach grenze, das ist bis etwa ein Kilometer unterhalb der Brücke im Zuge der Reichsstraße Skotschau-Bielitz, wurde 1908 eröffnet. An weiteren Planungen, die, wie die Unterlagen zeigen, damals schon auf recht weite Sicht durchgeführt wurden, lagen für die Jahre 1906 bis 1923 vor: Białka für 60.000, Lobnitzbach für 124.000, Ohlischbach für 55.000 und Heinzendorfer Bach für 76.000 Gulden. Leider machte der weitere Verlauf des Geschehens einen harten Strich durch diese friedliche Aufbauarbeit.
135
Eisenbahnen in unserem Ländchen Das erste Teilstück einer Eisenbahnlinie in Schlesien war das Stück der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, das von W ien aus bei Oderberg unser ost schlesisches Land erreichte und am 1. Mai 1847 eingeweiht wurde. 1848 folgte der Anschluß von Oderberg aus an die preußischen Bahnen bei Annaberg, der sofort einen regen Verkehr nach Breslau und Berlin aufwies. Am 11. Dezember 1855 wurde die Strecke Oderberg - Dzieditz dem Verkehr übergeben. Die Flügelbahnen nach Troppau und Bielitz wurden am gleichen Tag in Betrieb genommen. 1856 wurde auf der Strecke Lundenburg - Oderberg das zweite Gleis fertig und am 1. März 1856 die Strecke Dzieditz - Auschwitz eröffnet. Mehr als ein Jahrzehnt waren dies die einzigen Bahnlinien unseres Schlesiens. Ein zweiter Anschluß an die preußischen Bahnen entstand von Würbental aus in Richtung Neisse. Der Bau der Kaschau-O derberger Bahn schritt auch munter voran: Am 1. Februar 1869 wurde das Stück Oderberg - Teschen und am 8. Januar 1871 das Stück Teschen - Sillein beendet. Die Einweihung der Strecke Bielitz - Saybusch folgte am 18. August 1878. Am 1. Juni 1888 wurden fertig: die Strecke Friedek - Teschen - Bielitz und die Verbindungskurve der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn in Bielitz mit der Linie Bielitz - Liebenwerde/Kenty - Frauenstadt/Wadowitz - Kalwa ria. Kalwaria besitzt eine Bemhardinerkirche aus dem 16. Jahrhundert und wurde auf Veranlassung des Krakauer W oiwoden Nikolaus Zebrzydowski von den Jesuitenarchitekten Johann M aria Bemardoni und Karl Baudart aus Belgien erbaut. Neben italienischem Stil sind auch flandrische Einflüs se festzustellen. Der Marktflecken hatte 1921 1.962 Einwohner, wovon ein Viertel Juden waren. Bahnanschluß an Bielitz erhielt das 57,5 km entfern te Kalwaria mit Bielitz am 1. Juni 1888, als diese Linie Anschluß an die Bahn Krakau - Skawce erhielt. Am 1. Mai 1889 wurde das zweite Gleis der K.-F.-Nordbahn von Oderberg nach Dzieditz bzw. Auschwitz in Betrieb genommen. Die Strecke Golleschau - Ustroń kam am 18. Dezember 1888 und die Strecke Petrowitz - Karwin am 1. September 1898 in Verkehr.
136
Industrie und Bergbau im österreichischen Schlesien seit 1742 Die großen Steinkohlenlager von Ostrau, Orlau und Karwin sollen etwa 1750 von Boleslaus Werner gefunden worden sein, der Abbau kam aber nicht so recht in Fluß. Forciert wurde er durch Franz-Josef Graf von Wilczek im Jahre 1787, aber erst im 19. Jahrhundert erlangte er seine große Bedeutung. Der Kohlenabbau in Karwin begann 1776 bzw. 1785 durch Graf Larisch, stockte und wurde neu angefangen in den Jahren 1794 und 1801. Der Abbau bei Orlau begann 1817 durch den Baron Richard von Mattenkloit. Im Jahre 1819 betrug die abgebaute M enge in Ostrau und Karwin etwa 11.700 Tonnen, im ganzen Teschener Kreis 1841 etwa 111.200 Tonnen und stieg 1844 auf 146.000 Tonnen. Der »Bericht der Handels- und Gewerbekammer für das Herzogtum Schlesien über den Zustand des Handels, der Industrie und der Verkehrs verhältnisse des Kammerbezirkes in den Jahren 1854, 1855 und 1856« (Troppau 1857) weist nachstehende Kohlenfördermengen aus: 1848: 195.600 Tonnen, 1850: 254.000 Tonnen, 1852: 337.600 Tonnen, 1854: 416.800 Tonnen, 1855: 479.000 Tonnen und 1856: 468.800 Tonnen. Das Fundgebiet umfaßte Ostrau mit Schildenau und Zamost, Michalkowitz, Hruschau mit Muglinau und Herzmanitz, Peterswald, Karwin mit Solza, Orlau mit Lazy, Dombrau und Poremba. Die zuletzt genannte För derzahl entsprach einem Wert damaliger österreichischer Währung von 1.494.734 Gulden und 35 Kronen. Es wird berichtet, daß die Ausbeute noch größer gewesen wäre, wenn das Gebiet bahnmäßig mit der Nordbahn verbunden gewesen wäre und die Kohlenfrachtsätze auf dieser Bahn nicht so hoch gewesen wären. Aus diesem zuletzt genannten Grunde waren die Bielitzer Tuchfabrikanten genötigt, ihren Kohlenbedarf über den Weg auf der Landstraße anfahren zu lassen. Einen gewissen Umfang nahm auch die Eisenerzgewinnung in unserem Lande an. Die Gewinnungsstätten erstreckten sich längs der Karpaten von Mähren her bis an die Grenze von Galizien. In Baschka, Trzynietz, Ustroń und Umgebung und im westlichen Win kel von Galizien bei W engierska Gurka wurden nach damaligen Angaben 1854: 33.700 Tonnen, 1855: 29.700 Tonnen und 1856: etwa 33.100 Ton nen »Eisenstein« gewonnen. Gebrochener Kalkstein wurde in Lischna und 137
in Bielitz gebrannt. Besonders zu vermerken ist wohl der Anstieg und die Ausweitung der Bielitz-Bialaer Tuchindustrie. Zwar wurden Tuche nach wie vor in kleineren W erkstätten und von einzelnen Tuchmachern herge stellt, aber das Übergewicht verlagerte sich zunehmend nach den größeren Fabriken hin. Sie stellten von der rohen Wolle bis zur Fertigware alles im eigenen Hause her und verkauften sie durch ihre eigenen Fabrikniederla gen in Wien und Budapest. In Bielitz-Biala wurden in den Jahren 1852 bis 1856 zwischen 2.400 und 4.000 Tonnen meist russische und ungarische Wolle im W ert von 2,1 bzw. 4,8 Millionen Gulden, was einem Geldwert der Fertigware von 4,4 bzw. 8,1 Millionen Gulden entsprach, verarbeitet. In einer eigenen Fabrik wurden »Mousselines de laine« sowie »Thibets, Kachemirs- und Wollatlasse« hergestellt, eigene Spinnereien stellten aus schließlich Garn für die Tuchfabriken her, und in Batzdorf war eine »Shuddy-Fabrik«, welche aus Hadem eine zur Neu Verarbeitung geeignete Wolle herstellte. Die Leinenindustrie war im westlichen österreichischen Schlesien wie der glücklicher in ihrer Entwicklung als bei uns. Der Wert der im Tschechi schen erzeugten Leinwand-, Zwillich- und Damastwaren betrug in den Jahren 1854 bis 1856 lediglich 27.300, 31.500 bzw. 32.025 Gulden. Eine Spinnerei im Besitz Erzherzog Albrechts arbeitete um diese Zeit mit der beachtlichen Zahl von 7.000 Spindeln. Baumwolle wurde im Friedeker Raum heimisch. Ihre Erzeugnisse stellten einen W ert von 1.417.750 Gulden in den Jahren 1854 bis 1856 dar, und für den übrigen Raum im Tschechischen im gleichen Zeitraum 141.750 Gulden jährlich. Lähmend wirkte sich der in Amerika wütende Bürgerkrieg auf diese Erzeu gungssparte aus. Die »Erste österreichische Sodafabrik« in Hruschau (Eigentümer: M. Miller und K. Hochstetter) und die gräflich Larisch-Mönnichsche So dafabrik in Petrowitz erzeugten Soda, Chlorkalk, Schwefel und Salzsäure; die erstgenannte jährlich im W ert von 399.000 bis 525.000 Gulden, die andere schuf Werte von jährlich 74.000, 97.983 bzw. 177.975 Gulden in den gleichen Jahren wie vorher erwähnt. In der Berichtszeit waren im Lande etwa 84 Branntweinbrennereien in Betrieb, die jährlich bis zu 41.000 »Eimer« Spiritus erzeugten. Liköre wurden in Teschen und Bielitz hergestellt. Im Jahre 1768 wurde in dem bestehenden Eisenwerk in Ustroń, das seine Entstehung den Eisenerzla 138
gerstätten am Berg »Ostry« verdankt, ein Hochofen in Betrieb genommen. Die für damals recht große Eisenindustrie - sie befand sich im Besitz des Herzogs von Teschen - erzeugte in den Jahren 1851 bis 1856 für 643.000 Gulden, ansteigend bis 1.732.590 Gulden je Jahr, Werte, die auch damals nicht übersehen werden konnten. Papierfabriken gab es damals nur eine in Matzdorf, eine zweite in Ustroń kam zum Erliegen. In ihren Gebäuden wurde das Hüttenwerk »Theresienhammer« untergebracht. Im Jahre 1863 wird über den Telegrafen des Landes berichtet, daß »nun Bielitz in das großartige Telegrafennetz der Monarchie bereits einbezogen ist und in Bälde auch die Städte Teschen und Friedek angeschlossen werden.« Zur gleichen Zeit bestand erst die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, und man hofft, daß die in Aussicht gestellte Schaffung einer Verbindung vom nördlichen Ungarn her über den Paß von Jablunkau und Teschen zur Nordbahn hin bald verwirklicht wird. Wie schon die Inbetriebnahme der Strecke Dzieditz - Bielitz für den Handel dieser Gegend segenbringend war, verspricht man sich durch die in Planung bfindliche Verbindung über den Paß einen gleichen Aufschwung. Am 1. Juli 1857 tritt eine kaiserliche Verordnung aus dem Jahre 1856 in Schlesien in Kraft, nach welcher die niederösterreichischen Hohl- und Längenmaße sowie Gewichte ausschließlich zu gelten haben. Die nieder österreichischen »Eimer, Metzen und Klafter, das W iener Pfund, die Klaf ter und die Elle sowie der Zentner« sind nunmehr alleinige gesetzliche Einheiten. Eine kleine Übersicht soll erläutern, wie die damals eingeführten Ein heiten den heute üblichen dekadischen Maßeinheiten entsprechen: Das »niederösterreichische Maß« entspricht 1,4 Litern, ein »niederösterreichi scher Eimer« 56,6 Litern, ein »niederösterreichischer Metzen« 61,4 Litem, die »Wiener Klafter« 1,89 Meter, die »Wiener Elle« 0,77 Meter, ein »Wiener Pfund« 0,56 Kilogramm und ein »W iener Zentner« 56 Kilo gramm. In bezug auf den Handel nimmt das industrialisierte Bielitz eine bevor zugte Stellung ein. Das schwungvolle Geschäft der Fuhrunternehmer von Leipnik in Mähren oder von Ostrau aus nach Galizien, der Bukowina oder nach Oberungam ist wohl durch die Inbetriebnahme der Eisenbahnverbin dungen nach Galizien zurückgegangen, aber der Verkehr ist immer noch lebhaft. 139
Im Jahre 1856 sind von Bielitz aus mittels der Eisenbahn an Fracht gütern befördert worden: Eisen und Eisenwaren: etwa 57.000 Zentner (2.850 Tonnen), Salz: 29.133 Zentner (1.456 Tonnen), Tuch: 18.402 Zentner (920 Tonnen), Schafwolle und Schafwollwaren: 12.531 Zentner (626 Tonnen), Getränke aller Art: 12.868 Zentner (643 Tonnen). Darüber hinaus waren Flachs, Hanf, Felle, Häute, Pelze, Getreide, Hülsenfrüchte, Holzwaren und Leinwand weitere wichtige Frachten. Die Gesamtfracht von Bielitz aus betrug 195.920 Zentner (9.796 Ton nen). Davon gingen allein nach Wien 36.746 Zentner (1.836 Tonnen), nach Oderberg 2.629 Zentner (131 Tonnen), nach Troppau 14.783 Zentner (739 Tonnen). Im gleichen Jahr gingen etwa 552.745 Zentner (27.637 Tonnen) ein. Sie teilten sich in 334.779 Zentner (16.737 Tonnen) Getreide und Hülsen früchte, 30.000 Zentner (1.500 Tonnen) Erze, 25.148 Zentner (1.257 Ton nen) Schafwolle und Schafwollabfälle, 17.020 Zentner (850 Tonnen) Koh len und »vieles andere«. Seit 1855 kam auch zunehmend Mais aus Ungarn. Bielitz war Hauptplatz für den Salzverkehr, man schätzt seinen damali gen Umsatz auf 30.000 bis 40.000 Zentner (1.500 bis 2.000 Tonnen). Der Kohlenbedarf von Bielitz betrug schätzungsweise mindestens 200.000 Zentner (10.000 Tonnen). Ausgeprägt ist der Holzhandel. Die herzogliche Kammer nennt an die 500 Quadratkilometer Waldungen ihr eigen. Grubenholz, Bretter, Schin deln und nicht zuletzt Brennmaterial sind die Verwendungsarten. Ein nicht unbeträchtlicher Teil davon geht das Waag- und Kisutschatal abwärts nach Komom oder Budapest.
Der »letzte Monarch« alter Schule Kaiser Franz-Josef I. bemühte sich, die uneingeschränkte Autorität im Staate aufrechtzuerhalten. So hob er die Märzverfassung von 1849 wieder auf, erneuerte mit Hilfe von Bach und Kübeck 1851 das System des absolutistischen Zentralismus und ernannte auch aus dem gleichen Grund nach dem Tod Schwarzenbergs keinen verantwortlichen Ministerpräsiden ten mehr. Als sein eigener Außenminister führte er Österreich in die diplomatische Isoliemng des Krimkrieges und den verhängnisvollen italie 140
nischen Feldzug von 1859, ohne ein erträgliches Verhältnis zu Preußen geschaffen zu haben. Unbeugsam hielt er an der Gemeinsamkeit der Armee fest und opferte darüber - obwohl er sich als deutscher Fürst fühlte, darüber gibt es gar keinen Zweifel - das Deutschtum in Ungarn der Magyarisierung und gab auch die Hoffnung einer Wiedergewinnung der habsburgischen Macht in Deutschland und Italien preis, leitete hingegen eine Balkanpolitik ein, deren gefährliche Konsequenzen er leider nicht voraussah. Dazu leitete er stufenweise den Abbau der Verfassung unter Taaffe und Badeni ein. Menschenscheu, wie er war, vermied er es, selbständige und profilierte Persönlichkeiten zu seinen Ratgebern zu machen, und so verlor er den Blick für große Entscheidungsfragen. Die vom Volk heißgeliebte Kaiserin Elisabeth von Bayern erwarb ihm die Gunst der M assen, und die nicht enden wollenden Schicksalsschläge in der eigenen Familie (Selbstmord Kronprinz Rudolfs, Erschießung Maximilians, Ermordung der Kaiserin und des Thronfolgers Franz-Ferdinand) verliehen seiner Gestalt einen tragischen Glanz. Den beginnenden Zerfall spürte er wohl, doch zu Refor men fehlte die Entschlußkraft und wohl auch die Zielsetzung. Sein Tod am 21. November 1916 ersparte ihm die letzte tragische Erfahrung der Auflösung der Monarchie und das Erlöschen der Habsburger Hausmacht. Beide zu erhalten, war ihm stets Richtschnur seines Handelns.
Unser Land um 1840 Eine besonders interessante Zusammenfassung von Daten für unseren Zeitabschnitt gibt ein im Jahr 1840 erschienenes umfassendes Werk: »Po puläre Geographie oder Geographisches Handbuch« von Dr. F. H. Unge witter, in Leipzig von der Fest’sehen Verlagsbuchhandlung herausgebracht für unser heimatliches Land, noch aus der »guten alten Zeit« - der vor märzlichen Zeit - , wie man sie heute noch ganz selten geboten findet, da solche Werke kaum mehr zugänglich sind. Bielitz wird wiederum als am Rande Deutschlands liegend beschrieben. Seine Umgebung ist Grenzland Deutschlands, und bei der Beschreibung der Grenze Deutschlands gegen Osten sagt Dr. Ungewitter, daß diese das preußische Schlesien entlang, dann gegen Krakau und weiter längs »einem unbedeutenden Teil Galiziens und dann längs der ungarischen Grenze nach Wien« verläuft. 141
Weiter heißt es an anderer Stelle: »Wir sehen also, Deutschland - das heißt, der Deutsche Bund und nicht etwa, so weit die deutsche Sprache reicht - grenzt im Osten an den polnischen Freistaat Krakau, an einen geringen Teil von Galizien und an Ungarn.« Der höchste Berg des damaligen Deutschlands ist die Ortlerspitze mit 12.060 Fuß (= 3.900 Meter, erstmals 1804 bestiegen) in den räthischen Alpen Tirols. Größte Stadt Deutschlands ist W ien mit 450.000 Einwohnern, dann Berlin mit 260.000, Hamburg und Prag mit je 120.000 Einwohnern. Der österreichische Bundesstaat ist mit 3.700 Quadratmeilen der größte unter 38 Bundesstaaten. Er hat 11.750.000 Einwohner. Zum österreichischen Bundesstaat gehörten (unter anderen) auch die Grafschaft Mähren und das Kronland Österreichisch-Schlesien. Sie bildeten damals eine politische Einheit, die im Norden vom preußischen Schlesien und im Osten von Ungarn und Polen (Galizien) begrenzt wird. Die Hauptstadt dieser Ein heit war Brünn. Ebenfalls zum Deutschen Bund gehörten die einstmals schlesischen Herzogtümer Auschwitz und Zator, die seit 1772 auf galizischem Boden liegen. (Sie gehörten zwar zum »Deutschen Bund«, aber verwaltungsmäßig zum Kronland Galizien.) Dieses besondere Gebiet um faßte 87 Quadratmeilen mit 350.000 Einwohnern und hatte Auschwitz zum Hauptort. Im Folgenden seien diese deutschen Bundesstaaten beschrieben: zunächst der Süden der Provinz Schlesien; insbesondere als Teilstück Oberschlesiens, das an die mährische Grenze stößt. (Gemeint ist hierbei Mähren einschließlich des österr. Schlesiens.) Zu Oberschlesien gehören u. a. die acht alten Fürstentümer Bielitz, Münsterberg, Neisse, Teschen, Troppau, Jägemdorf, Oppeln und Ratibor sowie die Standesherrschaften Pleß und Beuthen. Hierbei sind die Fürstentümer Teschen und Bielitz und mehr oder minder größere Teile der Fürstentümer Troppau, Jägem dorf und Neisse österreichisch. An unser Gebiet grenzen vom preußischen Teil Schlesiens: Pleß, Kreisstadt des gleichnamigen, im südlichsten Teil des Regie rungsbezirkes Oppeln an der »galizisch-mährischen« Grenze liegenden Kreises und Hauptort des dem Herzog von Anhalt-Cöthen gehörenden 20 QM großen und 50.000 E. enthaltenden Fürstentums Pleß, hat ein schönes Schloß nebst Garten, Orangerie usw., eine katholische und zwei kleinere Kirchen, eine evangelische, zwei Schulen, zwei Hospitäler, Tuchweberei, 142
Wachsbleichen, Runkelrübenzucker- und Bleiweißfabrik und 2.500 Ein wohner. A nhalt, Dorf an der »polnischen Grenze« mit einer Deutsch-Reformier ten Kirche, einem Leichenhause und vielen Leinwebern. Dazu gehört die kleinere Kolonie Neu-Anhalt, »eine Ansiedlung von Polen« (!), die sich 1770 wegen harter Bedrückung hierher flüchteten. (Es handelt sich hierbei um unsere wackeren Deutschen aus Seifersdorf/Kozy bei Biala, die bei Nacht und Nebel die Bielitzer Sprachinsel wegen religiöser Verfolgung verließen.) Oderberg, gräfl. Henckel von Donnersmarcksches Schloß, an der mäh rischen Grenze. Dann folgt die Beschreibung von Österreichisch-Schlesien: »Es besteht aus zwei voneinander getrennten und an Flächeninhalt verschiedenen Kreisen, von denen der eine größere, nämlich der Troppauer Kreis (48 QM mit 230.000 E.), und der kleinere oder der Teschener Kreis (34 QM mit 190.000 E.) im Westen an Mähren, im Norden an PreußischSchlesien, im Osten an Galizien und im Süden an Ungarn grenzten. »Seit 1783 in Betreff der Verwaltung mit Mähren vereinigt.« Das Gubemium hat seinen Sitz in Brünn. Von den angeführten Orten des Teschener Kreises interessieren uns: Jablunkau, Stadt in einem tiefen Grunde zwischen Gebirgen an der Elsa, mit starker Leinweberei und 1.800 E. Nicht weit von hier, nach Ungarn zu, ist ein Paß, der durch die Jablunkauer Schanze verteidigt wird, und in der Umgebung der Stadt wohnen noch einige Jazygen, deren Vor fahren sich schon im 5. Jahrhundert hier niederließen. Skotschau, Stadt an der Weichsel, über welche hier eine 950 Fuß lange Brücke führt, mit einem herrschaftl. Gebäude und 1500 E. W eichsel, eins der ausgedehntesten Dörfer der Monarchie, dessen Häu ser auf einem Flächenraum von 4 QM zerstreut liegen, an der Weichsel, deren drei Quellbäche sich im oberen Teil des Dorfes vereinigen, und die hier einen sehenswerten, 180 Fuß hohen Wasserfall bildet. Ustroń, Dorf mit einem Schloß und Eisenbergwerk. Schw arzw asser, Stadt an der Weichsel und Hauptort einer ehemaligen Herrschaft, zu der noch fünf Dörfer gehörten. R iegersdorf, Dorf mit einem Schloß und einer Rosogliofabrik (Rosoglio = feiner italienischer Likör aus Blüten oder Früchten, etwa wie Mara schino). 143
B ielitz, ummauerte Stadt und Hauptsitz des gleichnamigen, dem Für sten von Sulkowski gehörenden Fürstentums, an der Biala, die es von der galizischen Stadt Biala trennt, ist eine Hauptniederlage des galizischen Steinsalzes für Mähren und Österr.-Schlesien und hat ein fürstl. Sulkowskisches Schloß mit einem Park, Tuch- und »Casimirfabriken«, in denen 500 W eber 24.000 Stück Tuch jährlich liefern, Leinwanddruckereien, Schönfärbereien, Handel mit Wolle, Tuch und ungarischen Weinen, und 5.300 Einwohnern. Batzdorf, Dorf mit einer Papierfabrik, die gute Preßspäne liefert.
Und nun folgen noch die uns interessierenden Gebiete östlich der Białka, die zu Galizien gehören, aber zum Deutschen Bund gerechnet werden. Dr. Ungewitter sagt in seinem Werk darüber: A uschw itz, Stadt und ehemaliger Hauptort eines gleichnamigen (einst schlesischen) Herzogtums, welches jetzt neben dem Herzogtum Zator einen Bestandteil des Deutschen Reiches bildet, umweit der Mündung der Sola in die Weichsel, westlich, sechs Meilen von Krakau und etwa zwei Meilen von der schlesischen Grenze, mit 2.300 E. N eustadt!Zator, zum krakauischen Gebiet, bis der polnische Herzog Kasimir es 1197 seinem Neffen, dem Herzog Mieschko von Oberschle sien, überließ, dessen Nachkomme Johannes, Dom-Scholastikus zu Kra kau, es als Erbteil bekam und sich Herzog von Auschwitz nannte. Johannes bekannte sich nach dem Beispiel der meisten schlesischen Fürsten 1327 für einen Vasallen des Königs Johann von Böhmen und Polen. In den darüber angefertigten Urkunden sind die Orte Stadt Auschwitz, das Schloß Zator und die Marktflecken Wadowitz, Kenty, Zips und Spinowitz [Spytkowitz?j als Orte des »Landes Auschwitz« genannt. Beide Herzogtümer haben zusammen einen Flächeninhalt von 87 QM und 350.000 E. Es gehören zum Herzogtum Auschwitz namentlich noch: »Biala oder Biella, Stadt an der Biala, durch welche sie von der österr.schlesischen Stadt Bielitz geschieden ist, mit Hauptschule, Leinwand- und Tuchfabriken, Eisen- und Nagelschmieden, Speditionshandel und 4.200 E. Kenty!Liebenw erde oder Kant, Stadt an der Sola und der von hier über die Karpaten führenden Straße nach Ungarn mit Leinwand-, Tuch- und Lederfabriken und 3.800 E. W adowitz, Kreisstadt in einer sehr fruchtbaren Gegend, fünfeinhalb Meilen von der österr.-schlesischen Grenze entfernt mit 2.800 E. 144
Seybusch oder Żyw iec. Stadt an der Sola, mit einem Schloß, Spinnerei, Leinen- und Tuchweberei und 3.000 E. H einrichaul Andrychów oder Jendrichau, Stadt an der W ieprzowka mit einem Schloß, Leinwand- und Drillichweberei, Tuchmacherei, Bleichen und 2.800 E. K alw aria, Marktflecken mit einem Schloß und einer AugenkrankenHeilanstalt und einem Kloster, zu dessen auf dem Kalwarienberge befind lichen Marienbilde stark gewallfahrtet wird.« Soweit die Ausführungen von Dr. F. H. Ungewitter aus dem Jahre 1840. Die folgenden kurzen Ausführungen sind der wirtschaftlichen Lage in der damaligen Zeit gewidmet, und wir werden sehen, daß auch diese Zeit ihre Probleme und Sorgen zu überwinden hatte. Auch damals versuchte man, Europa wirtschaftlich zu einigen, man schrieb, man redete, machte lange Konferenzen, aber die Mächtigen der damaligen W elt entschieden sich dagegen.
Europas Einigung wird angestrebt Seit dem Wiener Kongreß bemühte man sich schon um die Beseitigung der innerdeutschen Zollschranken. Einer der Träger und Verfechter des Zollvereinsgedankens war Fried rich List, ein Württemberger, der seiner Kritiken wegen nach Amerika mußte, 1833 zurückkam und nun für Deutschlands volkswirtschaftliche Einheit stritt. Er war sogar der Meinung, daß das einheitliche Wirtschafts gebiet Österreichs auch ausersehen war, die Führung der Wirtschaft in Deutschland zu übernehmen. Er beschwor Kaiser Franz sowie Metternich, die Initiative zu ergreifen. Metternich aber sah darin vor allem eine Begünstigung der nationalen und demokratischen Einheitsbewegung, die auf keinen Fall zum Durch bruch kommen durfte. A uf seine Veranlassung hin lehnte der Deutsche Bundestag 1820 eine deutsche Zollunion ab. Wirtschaft und Verkehr fielen in die Zuständigkeit der deutschen Einzelstaaten, denn der Deutsche Bund war ein Verein ohne Gesetzgebungsbefugnis. Es wurde nicht einmal eine Reform des Zollsy stems in Angriff genommen, obwohl die deutschen Unternehmer durch den Import besonders englischer Industrieerzeugnisse schwer gefährdet 145
waren. In Wien lehnte man eine Union auch wegen des Widerstandes der Ungarn ab. List änderte seine Planung deshalb später sogar auf eine mitteleuropäische Konzeption ab, die auch von den Ungarn begeistert aufgenommen wurde. Es geschah trotzdem nicht viel. Als Metternich selbst nun doch merkte, daß er Österreich durch seine Haltung politisch geschwächt hatte, hatte Preußen längst die Führung in Händen, das schon 1818 alle innerhalb der eigenen Grenzen bestehenden Binnenzölle abgeschafft und diesem Vorgehen sich der Großteil der »Kleindeutschen« Staaten angeschlossen hatte. Dieser komplizierte Vorgang der Zolleinigung war in den 50 Jahren zwischen Waterloo und Königgrätz wohl das bedeutendste Ereignis der damaligen deutschen Zeitgeschichte, und nicht die Revolution von 1848! Diese Zolleinigung war wohl auch das frühe Vorbild für die EGBemühungen unserer Tage. Die Organisation des Zollvereins entschied über alle Zoll-, (1836: Zollgesetz und Zollordnung) und W ährungsproble me (1838: Münzausgleich zwischen Taler- und Guldenwährung), genau wie es der EG-Ministerrat heute zu tun pflegt. A uf Teile der Souveränitätsrechte der einzelnen Staaten verzichtete man auch damals, hatte doch § 33 der Frankfurter Paulskirchen-Verfas sung bestimmt, daß »das Deutsche Reich von einer gemeinschaftlichen Zollgrenze umschlossenes Zoll- und Handelsgebiet ohne Binnenzölle sein soll«. Da waren Österreich und Bielitz mit eingeschlossen. In dieser Richtung wirkend, trat auf der österreichischen Seite Ludwig Freiherr von Bruck für die Verschmelzung der Donaumonarchie mit dem Deutschen Zollverein ein. Der geborene Rheinländer wurde 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und österreichischer Bevollmäch tigter beim Reichsverweser Erzherzog Johann. Als österreichischer Handelsminister unter Schwarzenberg nahm Bruck ebenfalls Lists Haltung ein - der sich aus Verzweiflung über seine Mißerfolge schon 1846 an der Zollgrenze das Leben genommen hatte und setzte sich für die gleichen Ziele ein. Österreich war aber der Eintritt in den Zollverein versperrt. Trotzdem gab Österreich seinen Plan eines Wirtschaftsraumes von 70 Millionen Menschen nicht auf, bis dann Königgrätz alles zerschlug. Es waren also vor allem wirtschaftliche und damit machtpolitische Interessen, welche die Deutschen nicht Zusammenkommen ließen. Obwohl Bismarck in seiner Reichstagsrede vom 14. März 1887 und in 146
Briefen betonte, daß er »eine beide Reiche umfassende Zolleinigung als ideales Ziel betrachte, das handelspolitisch die Richtung weise« - er wollte das Bündnis von 1878 auch auf handelspolitisches Gebiet ausge dehnt wissen - , blieben die Zollgrenzen noch lange geschlossen. Und obwohl später die deutsche Abnahme österreichischer Produkte mehr als die Hälfte des Exports und die deutschen Einfuhren nach Österreich mehr als ein Drittel betrugen, kam es zu keiner Einigung. Die Zollschranken 11 km nördlich von Bielitz an der Weichsel machten das weite deutsche Land für unsere Tuche unerreichbar. Im Süden fiel die Zollgrenze, die den Bielitzer Handel einengte, erst nach dem ungarischen Ausgleich 1867 fort. So suchte sich der Bielitzer Tuchexport den Weg nach Süden, und als die Ungarn 1898 die Verträge nicht erneuerten, weil sie sich eine eigene Industrie schufen, war auch dieser Weg wieder versperrt. Erst 1907 kam es zu einem neuen Zollvertrag mit Ungarn, der aber nur bis 1917 wirken sollte. Bielitz lag stets zwischen zwei Zollgrenzen, und seine Tuchmacher mußten ihr Los, so gut es ging, selber meistern. Nur zu oft hemmten äußere Einflüsse das Streben. So auch bei uns in Bielitz, dessen Handelswege über lange Zeitabschnitte nur schmale Pfade waren, auf welchen sich unsere Tuchkaufleute bewegen konnten. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt nochmals auf diese Dinge zu sprechen kommen.
Armes Österreich In unsere Berichtszeit fällt auch jene für die Deutschen Österreichs, in welcher ihre führende Stellung im Staat nicht nur gefährdet wird, sondern tatsächlich verlorengeht. Angefangen von der Ära Metternichs bis zum Jahre 1879, in welchem unser Fürst stirbt, gibt es schwere und schwerste innere Kämpfe. Um Frieden zu bekommen, wird zunächst der Weg des Föderalismus, der W eg des Nebeneinanderlebens, gewählt, nach dem Leitmotiv, daß jeder »nach seiner Faęon« selig werden möge. Allein bis 1879 waren in 44 Jahren 14 Regierungen bemüht, einen Ausgleich unter den Nationen und Ländern zu finden. Auch unsere Heimat ist betroffen; hier leben neben Deutschen auch Menschen anderer Nationalitäten. Man versucht es mit 147
acht Verfassungen - den Absolutismus Metternichs eingeschlossen um die vielen W ünsche der Völker zu erfüllen: Noch im April 1848 bekommen wir die Pillersdorfsche Verfassung, Österreich schafft die Untertänigkeiten ab, übersteht den Slawenkongreß und nimmt an der Frankfurter National versammlung teil. Auch Bielitz und sein Land entsendet Abgeordnete dorthin und verläßt die Versammlung wieder, übersteht militärische Nie derlagen und Finanzkrisen. Die Regierungen treten zum Teil schon nach wenigen Monaten wieder zurück. Im März 1849 gibt es für uns eine neue Verfassung. Es ist die Stadionsche Reichsverfassung. Sie ist zentralistisch. Das Getriebe der staatli chen Verwaltung funktioniert nicht mehr recht, der Reichstag in Kremsier wird aufgelöst. Am 1. Dezember 1851 ergeht das Sylvester-Patent aus Olmütz. W ir überstehen auch jetzt wieder Niederlagen und sanieren die Staatsfinanzen (1855-1859), erhalten ein neues Strafgesetz (1852), die Polizei erhält mehr Macht, ein neues Mittelschulgesetz (1859) und die Statthalter lenken die einzelnen Kronländer im Sinne des Kaisers. Außer halb der Grenzen Österreichs - nicht ohne Einfluß auf unser Land entsteht in Rußland ein »Komitee zur Förderung der außerhalb Rußlands wohnenden Slawen« (durch Pogodin, 1857). Der 20. Oktober 1860 bringt uns das »Oktoberdiplom«, ein Staats grundgesetz, das nach Ideen des Polen Goluchowski ausgearbeitet wurde. Nach den Niederlagen von Magenta und Solferino (1859) übernimmt dieser Mann sogar für zwei Monate das Ministerpräsidentenamt. Aber schon am 26. Februar 1861 erhalten wir eine neue Verfassung: die »Fe bruar-Verfassung«, die auch neue Landesverfassungen nach sich zieht, aber am W iderstand von Ungarn und Tschechen scheitert. Seit 1861 ist der Bielitzer Adolf von Pratobevera Justizminister, und auch ein weiterer Bielitzer geht nach Wien, es ist Pfarrer Schneider, der in den Reichsrat delegiert wird. Unablässig arbeitet man am Staatsgebilde: Gemeindegesetz, Pressege setz und eine Sprachverordnung werden erlassen. 1866 ist Krieg. Er endet mit einer Niederlage (Prager Friede vom 23. August 1866)! In die Verfassungsperiode fallen auch der finanzielle Ruin Österreichs und das Ende der deutsch-liberalistisch-zentralistischen Herrschaftsform. Schließlich wird am 20. September 1865 die FebruarVerfassung von 1861 aufgehoben. In Galizien kann Goluchowski jetzt auch die Polonisierung der Ämter 148
dieses Kronlandes durchführen, was für die Ortschaften unserer Sprach insel östlich der Białka von entscheidender W ichtigkeit ist. Ihre deutschen Belange sind nicht mehr geschützt und gehen unter. 1862 rufen die Tsche chen ihre »Sokol«-Bewegung ins Leben, die die nationale Spannung noch kräftig anheizt. Zwei Jahre später, am 21. Dezember 1864, ergeht eine weitere Verfas sung: die »Dezember-Verfassung«, die zwar den Ausgleich mit Ungarn, nicht aber die Lösung der anderen Wünsche bringt: Die Polen verlangen einen Handelsministerposten, die anderen Autonomie. Von jetzt ab gibt es die »Monarchie Österreich-Ungarn«. Unsere Sprachinsel liegt in Öster reich, das Land südlich des Jablunkapasses und des Zwardonsattels gehört zu Ungarn. Am 14. Mai 1859 ergeht das neue Reichsvolksschulgesetz, aber die deutsche Sprache als Staatssprache wird nicht festgelegt. In den Jahren 1867 bis 1879 sind es allein sieben Kabinette, die die schwierigen Aufga ben der Staatslenkung zu meistern versuchen. Es gelingt nicht! Zu Ende ist für immer der Föderalismus, und zu Ende ist die bisherige staatstra gende Rolle der Deutschen in der Monarchie. Bis 1879 hatten sie noch die Zweidrittelmehrheit im W iener Parlament. Die deutschliberale Partei gruppe Österreichs zerfällt, und Österreich ist aus dem Deutschen Bund ausgeschlossen. Nur ein Bündnis bleibt. Es bahnt sich unwiderruflich ein Umschwung, besser gesagt ein Abschwung an. W as jetzt folgt, ist ein Übergangszustand, aber der Vormarsch der Slawen ist unaufhaltsam und schreitet mit Riesenschritten vorwärts. Im Herzen Europas beginnt aber auch auf anderer Ebene eine beachtli che Regsamkeit einflußreicher zu werden. Schon lange ist die breite Masse unzufrieden, und mitten in ihren Unmut fallen Ereignisse, die Europa, die die Welt in den nächsten Jahrzehnten in Atem halten und in Schrecken versetzen sollen. Es ist die soziale Revolution, die beginnt, feste Formen anzunehmen. Sie erfaßt auch den deutschen Sprachraum.
Der Sozialismus Im Jahr 1869 kommt es zur Gründung des selbständigen Zweiges der Sozialdemokratie, der sozialistischen Arbeiterpartei, in Eisenach. Diese Entwicklung hat ihren Ursprung, abgesehen von der Französischen Revo lution, vor allem in den Gedanken des 1818 geborenen Karl Marx über das 149
Proletariat, das Privateigentum, Mensch, Kapital, Klasse und Maschine. Diese Partei, deren geistige Väter auch noch Liebknecht und Bebel sind, verschmilzt 1875 mit Lassalles Bewegung in Gotha. Es geht um die »ei gentumslosen und entmachteten« Menschen, es geht um die »entmensch ten, zum Zubehörteil der Maschine« gewordenen Menschen. M an will »keine neue Klassenherrschaft mit Privateigentum an Produktionsmitteln« errichten, sondern »das Kapital in gemeinschaftliches Eigentum verwan deln« und damit eine neue Klassenbildung beseitigen. Die Herrschaft soll von der breiten Masse ausgeübt werden, »Privateigentum an Produktions mitteln« sowie »wirtschaftliche Sicherheit der Massen« sind »miteinander unvereinbar«. Diese Ideen und ihre Varianten drangen nun auch in unser Land mit seinem bunten Getriebe und verschlimmerten nur die Lage. Sie beschäfti gen nun schon seit über 100 Jahren die Menschen. Diese Ideen waren, wie so viele andere in unserer Welt, wenig praxis nah und unterlagen seither vielfachen Wandlungen. Heute ist fast mit Sicherheit zu sagen, daß der Weg der Industriegesellschaft doch ein ande rer ist, zeigt es sich doch, daß er nicht zu einem totalen Auseinanderleben der »Klassen« in »Ausbeuter« und »Ausgebeutete« führte. Vielmehr sind die sozialistischen Organe heute selbst Eigentümer von Banken, Fabriken und auf Gewinn eingestellter Gesellschaften. Und wenn wir die einzelnen Spielarten der Systeme betrachten, ist doch bei allen ein Moment das entscheidende: die soziale Gerechtigkeit für jene, deren Los es ist, arbeiten zu müssen. A uf diese Weise können, wie wir sehen, die entgegengesetztesten Systeme friedlich nebeneinander existie ren, wenn sie es nur wollen. Und man spricht auch gar nicht mehr darüber, wenn führende Sozialisten selbst zu Millionären werden. Die Zeichen dieser Periode stehen auf Sturm, und man wird die Ent wicklung besser verstehen, wenn wir uns in gedrängter Kürze den Dingen zuwenden, die für die Führung in unserem Staate wichtig waren, und zu jenen Menschen, welche in dieser Zeit an den entscheidenden Positionen standen. Sie hatten es nicht leicht, dieses schwierige Gebilde der Donau monarchie zu steuern.
150
Staatslenker im Sturm Die Zeit von 1835 bis 1879 war für die Lenker des österreichischen Staatsschiffes nicht gerade die leichteste. Ich habe berichtet, wie sich Bielitz und seine Industrie entwickelte, wie der Fleiß der Bürger unserer Doppelstadt reiche Früchte trug und wie es ein stetes Bergauf und Bergab gab. Auseinandersetzungen innerhalb Europas und Kämpfe innerhalb der deutschen Siedlungsgebiete und seiner Fürstenhäuser schlugen sich auch deutlich in der Spitze nieder, die durch die Ereignisse ins W anken geriet und reichlich oft wechselte. Unter diesen schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen mußten unsere Vorfahren ihr Tagewerk verrichten. Wie war es nun in Wien, wo die Fäden der für uns maßgebenden Politik zusammenliefen? Welche und wieviel M änner standen nun am Steuer, und welche Rückwirkungen waren für unsere Heimat zu verzeichnen? Neben den sozialen Spannungen gab es nicht minder starke nationale. Am 13. März 1848 mußte der Kaiser den großen M etternich entlassen. Am 8. April schon sicherte er in einem Handschreiben der »böhmischen Natio nalität« die völlige Gleichstellung mit der deutschen zu. Der gerade regie rende M inisterpräsident Piliersdorf erließ am 25. April 1848 die nach ihm benannte Verfassung (auch Aprilverfassung genannt). Vom Schicksal für zu leicht befunden, mußte er am 8. Juli 1848 abtreten. Dann kam Wessenberg-Doblhof (Juli bis November 1848) mit seinem Innenminister Bach. Die Ereignisse fegten ihn nach fünf Monaten hinweg. Es folgte Felix Graf von Schwarzenberg (22. November 1848 bis 1852). Er mußte den seit Juli in Wien tagenden Reichstag nach Kremsier verlegen, löste ihn auf und erließ die sogenannte Märzverfassung, die sein Innenminister Bach ausarbeitete. Sie war liberal-zentralistisch und ge währleistete ein absolutes Regieren. Zum erstenmal taucht jetzt ein Plan Karl Ludwig Freiherr von Brucks - dem Sohn eines W uppertaler Buch binders - auf, einen mitteleuropäischen 70-Millionen-Staat unter Führung Österreichs zu errichten. Bruck, der seine Heimat verließ und nach Öster reich ging, ist der Gründer des Triestiner, später »Österreichischen Lloyds« und schuf so die Grundlagen zur österreichischen Handelsschiffahrt. Dann befaßte er sich mit dem Beitritt Österreichs zu einem Handels- und Zollver trag mit Preußen. Als Finanzminister bemühte er sich nach den verlorenen Kriegen, die anhaltende Wirtschaftskrise zu überwinden. Zu guter Letzt 151
fiel er beim Kaiser in Ungnade, wurde in den Ruhestand versetzt und beging Selbstmord aus Gram darüber. Schwarzenberg und sein Kabinett galten als »großösterreichisch«, und es war auf die Beibehaltung des Einflusses der Deutschen im Lande ausgerichtet. Die großen Pläne scheiterten am Widerstand der europäi schen Großmächte. Das gleiche Schicksal erlitten die Pläne der Frankfurter Paulskirche. Wirtschaftlich war vor 1848 kein größerer Aufschwung für unsere und auch für die österreichische Industrie zu verzeichnen. Es fehlten die billi gen Verkehrsmittel und der große Verbrauch zum Beispiel der Eisenbah nen. Ab 1848 änderte sich die Situation mit einem Mal. Die Eisenbahnen verbrauchten selbst große Mengen von Eisen und mineralischen Brenn stoffen. Einheimisches und fremdes Kapital strömten ins Land, von Jahr zu Jahr stieg der Umsatz. Das merkte auch Bielitz. Im Lande arbeiteten 132 Hochöfen, 1863 wird das neue Bressemer-Verfahren (23. November) ein geführt, 1867 wird in Kapfenberg die erste Siemens-Martin-Schmelze abgestochen. Bis 1851 bestanden hohe Schutzzölle, sogenannte »Prohibitionszölle«, die der Industrie aber keinen Aufschwung brachten. Nun kommt ein neuer Zolltarif heraus, der aber nicht von langer Dauer ist. Man versuchte durch Ermäßigung der Einfuhrzölle der Industrie billigere Rohstoffe zuzuführen. Es fehlt aber immer noch an Verkehrsmitteln. Schlesien erzeugt 1848 1,8 % des österreichischen Roheisens. Die Durchbildung des Zolltarifes war mangelhaft. Nun strebte man den Anschluß an den Deutschen Zollverein an, aber auch dieses Unternehmen war ohne Erfolg. 1879 kann das W erk Witkowitz die erste Thomas-Schmelze abgießen. Es ist die erste Schmelze nach diesem Verfahren auf dem Festland. Nach dem Tod von Schwarzenberg folgt Alexander Freiherr von Bach als Ministerpräsident (1852-1859). Auch sein Kabinett ist auf das deutsche Element ausgerichtet und zentralistisch. Er ist der Bauembefreier von allen Obrigkeitslasten, er setzt eine Verwaltungsreform durch, stärkt den Einfluß der Deutschen, ist aber verhaßt. 1853 kommt wieder ein neuer Zolltarif mit Ermäßigungen verschiede ner Art, bleibt aber erfolglos, da die Einfuhren immer noch zu teuer sind. 1855 schließt von Bach das Konkordat mit dem Vatikan ab. 1859 wird er entlassen. Immerhin war er sieben Jahre im Amt. 152
Im August 1859 wird der polnische Graf Agenor Goluchowski (Vater), der von 1849 bis 1859 Statthalter in Galizien war, österreichisch-ungari scher Innenminister. Das Amt nimmt er bis Dezember 1860 wahr, von 1866 bis 1867 ist er wieder galizischer Statthalter des Kaisers von Wien. Ihm hängt wohl der traurige Ruhm nach, dafür gesorgt zu haben, daß sowohl der ukrainische Volksteil als auch die deutsche Kultur im Kronland Galizien unterdrückt wurden. Die östliche Hälfte der Bielitzer Sprachinsel und die übrigen Deutschen Galiziens bekommen das deutlich zu spüren. Der in Skala in Podolien Geborene kommt nach der Niederlage von Solferino auf diese hohe Staatsstelle und erreicht die unbeschränkte An wendung und Einführung der polnischen Sprache bei Gerichten und Äm tern im Kronland Galizien. Die deutschen im Lande tätigen Beamten bemühte sich Goluchowski mit Erfolg zu verdrängen und durch Polen zu ersetzen. 1849, 1866 und auch 1871 wird er erneut Statthalter des Kaisers. Er ist auch der Schöpfer des sogenannten »Oktober-Diploms« vom 20. Oktober 1860, welches für Galizien die Autonomie bringt. Man beginnt, sich vom absolutistischen System in Österreich zu lösen. Kaiser FranzJosef I. ist den Polen günstig gesonnen, die deutschen Universitäten in Galizien, Lemberg und Krakau werden schrittweise polonisiert. 1860 trug man sich mit dem Gedanken, die deutsche Universität Lemberg nach Bielitz zu verlegen. Sie kam jedoch nach Tschemowitz. Goluchowski repräsentierte im W iener Kronrat die österreichische Legalität und die polnische Staatsraison. M it seinen autonomistischen Bestrebungen folgte er den schon erfolgreichen Ungarn. Die Folge war ein polnisch-nationaler Aufschwung, nationale Begeisterung, die bis War schau und das übrige nicht österreichische Polen aus strahlte. W ir wollen aber noch mal zurück nach Wien, das wir 1859 verließen. Die nächsten fünf Jahre (1860-1865) ist Anton Ritter von Schmerling Kabinetts-Chef. Sein zentralistisch-bürokratisches Kabinett bringt die Februar-Verfassung vom Jahr 1861 heraus, die keine Rücksicht auf die Nationalität nimmt. Seine Bemühungen beim Fürstentag 1863 in Frankfurt scheitern an Preußen. In Böhmen wird im gleichen Jahr der Kampfverband »Sokol« gegründet. 1865 stürzt auch Schmerling. Es ist das Ende der deutschen liberalen und zentralistischen Bürokratie in Österreich. In weni gen Jahren kamen und gingen sechs Ministerkabinette. Das war ein schlechtes Zeichen für die gesamte Donaumonarchie. Das Kabinett Belcredi ist auch nur von kurzer Dauer. Es will die inneren Gegensätze durch 153
Aufteilung der österreichischen Reichshälfte in mehrere selbständige Staats wesen beseitigen, aber ab 23. Juni 1866 ist schon wieder ein anderer Mann an der Spitze. Es ist Graf Friedrich Ferdinand von Beust, ein Sachse, ein Mann, der sich auch noch auf das freiheitlich gesinnte Deutschtum im Staate stützt. Schon am 20. September 1865 sistiert er die Februarverfas sung seines Vorgängers. Er schließt am 23. August 1866 einen Frieden mit Preußen und überredet Kaiser Franz-Josef zur Versöhnung mit Preußen, es treffen sogar die beiden deutschen Kaiser in Salzburg zusammen, und 1867 gelang ihm noch der Ausgleich mit Ungarn, man schuf zwei Reichshälften, die Bach einst zusammengefügt hatte. Am 6. November 1871 ist auch seine Zeit vorüber. Vom 1. Januar 1868 bis September 1868 ist Karl von Auersperg M ini sterpräsident. Sein liberales Bürgerministerium besteht fast ganz aus Deut schen. Am 23. August 1868 deklariert er die Sonderstellung der Fänder der böhmischen Krone mit Mähren und Schlesien, er steuert Geldnot, brachte die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Glau bensausübung, er brachte aber keine Sicherung der Rechte der Deutschen in Österreich. Nicht einmal die deutsche Amtssprache wurde gesetzlich festgelegt. Im September 1868, also nach neun Monaten, tritt er zurück. Ihm folgt zunächst ein für diesen Zeitabschnitt unbedeutender Mann im Amt. Er bringt einen neuen Zollvertrag mit Preußen (1868) und im folgenden Jahr 1869 das österreichische Volksschulgesetz heraus, das sein Unterrichtsminister Hasner ausarbeitet. Es ist Eduard Graf von Taafe, der bis 1870 im Amt bleibt. Am 21. Dezember 1867 tritt die Dezember-Verfassung für Österreich in Kraft, und im darauffolgenden Jahr 1868 wird in Ungarn das Nationali tätengesetz eingeführt, worin den nicht ungarischen Völkern die kulturelle Entfaltung versprochen wird. Auch 2,1 Millionen Deutsche in Ungarn hoffen auf Verbesserung ihrer Lage. Am 23. August 1868 fordern die Tschechen eine Sonderstellung ihrer Kronländer Böhmen, Mähren und Schlesien, die Polen fordern Autonomie und die Slowenen ihr Königreich. Der Nachfolger Taafes heißt Hasner. Der bisherige Unterrichtsminister kann aber nur zwei ganze Monate das Amt des Regierungschefs bekleiden. Er versuchte, die Polen durch Inaussichtstellung der polnischen Amtsspra che in Galizien zu gewinnen, aber der Versuch mißlingt. Im Parlament in W ien wird es ungemütlich: Die Polen ziehen aus, ihnen folgen die Slo wenen, die Istrianer und die Bukowiner und aus religiösen Gründen auch 154
die Tiroler. Dann folgt für zehn Monate der Pole G raf Alfred Potocki, er ist der vorletzte Föderalist. Dann folgt der aus ukrainischem Adel stammende Graf Sigmund von Hohenwart. Er ist der letzte der Föderalisten. Die Zerrüttung des Staatsgefüges ist schon stark fortgeschritten, er versucht im Auftrag des Kaisers die Verfassung nach den Wünschen der Slawen um zubauen, aber auch er scheiterte, diesmal waren es die Deutschen und die Ungarn, die W iderstand leisteten. Der Kaiser ruft nun den deutsch-freiheitlichen A dolf von Auersperg, der das sogenannte »Doktoren-Kabinett« bildet, das vorwiegend aus Deut schen besteht. Er ist der letzte, der sich auf eine deutsche M ehrheit im Wiener Parlament berufen kann. Sie beträgt noch zwei Drittel der Abge ordnetenzahl. 1873 setzt die schon an anderer Stelle erwähnte Finanzkrise ein, außenpolitisch drängt sein Außenminister, der Ungar Andrassy, auf eine enge Zusammenarbeit und Anlehnung an das Deutsche Reich, doch im Innem geht der Zerfall der deutsch-liberalen Partei weiter. Zu seiner Zeit ist auch die Besetzung Bosniens im Gange, der Berliner Kongreß regelt zum letzten Mal noch die offenen Entscheidungen in europäischen Fragen unter sich - ohne Machtwort von außen. Nach ihm kommt für zehn Monate ein Übergangskabinett de Pretis. Mit ihm geht für das Deutschtum Österreichs alles verloren, was seine Vor machtstellung oder seine staatstragende Rolle bedeutete. Der Frieden in nerhalb der Untertanen will nicht mehr kommen. Die Deutschen sind von nun an nicht mehr die führende Volksgruppe in unserem Kaiserstaat. Das Jahr 1879 ist für uns Deutsche in Österreich ein Unglücksjahr. Damit sei die Geschichte der Staatslenker in diesem Zeitabschnitt beendet. In Bielitz starb auch im gleichen Jahr Fürst Ludwig JohannNepomuk von Sulkowski.
Die Beschwerde der schlesischen Stände Damit wollen wir diesen Abschnitt beschließen, uns wieder unserem Kronland zuwenden, und zwar uns mit den Verwaltungsfragen befassen, insbe sondere mit der Frage der als lästig empfundenen Zusammenlegung der schlesischen mit der mährischen Verwaltung, bei welcher natürlich unser Schlesien seine Selbständigkeit verlor und dieser Zustand reichlich böses Blut unter den mit Recht eigenwilligen Schlesiern erzeugt hatte. 155
Als Ausdruck dieses Unwillens verfaßten die schlesischen Fürsten tumsstände eine Beschwerdeschrift an die höchsten Stellen in W ien. Das wichtigste aus dieser Schrift soll im Wortlaut wiedergegeben sein. Sie trägt das Datum vom 1. Mai 1848: »An das Ministerium des Innern Es ist kein Separationsgelüst, sondern nur die durch das Benehmen des k. k. Gubemialpräsidenten in Brünn uns abgenötigte W ahrung der durch die Konstitution anerkannten Provinzialselbständigkeit, wenn die treuen Stände der Fürstentümer Troppau und Jägemdorf gegenwärtige Beschwer de Vorbringen und das Ansuchen um schleunige und willfahrene Erledi gung ihrer Bitte stellen. Seit langen Jahren in ihrer Provinzialselbständigkeit zurückgesetzt ge gen die Stände Mährens, finden wir uns auf das tiefste verletzt durch das Verfahren des k. k. Gubemialpräsidenten Herm Grafen Lożansky, welcher auf die Bitte einer Fraktion der mährischen Stände die von Seiner M ajestät angeordnete Wahl der Deputierten zum deutschen Parlamente in Schlesien verhindert und somit nicht nur die Existenz schlesischer Stände außer acht läßt, sondern auch die Provinz Schlesien mit der Provinz Mähren verwech selt oder vielmehr identifiziert. Der Herr Gubemialpräsident vergißt da bei, daß er nicht als Gouverneur Mährens und Schlesiens zu befehlen hat, sondern daß er, um hier als Gouverneur zu gelten, nur als Gouverneur Schlesiens in Betracht kommt; er ist derzeit Gouverneur Schlesiens und Mährens und hat somit jeder dieser beiden Provinzen gleiches Recht widerfahren zu lassen. Dieser gegenwärtige Anlaß zwingt uns aber auch, tief den Übelstand zu beklagen, daß die Regiemngsbehörde für die Provinz Schlesien in M ähren und noch dazu in dem für uns entfernteren Teile Mährens ihren Sitz hat, vorzüglich durch mährische Interessen influenziert und Schlesien somit in jeder Hinsicht nur als ein Teil Mährens betrachtet und behandelt wird. Dieser Übelstand muß jedenfalls behoben werden, und es kann dies nur geschehen, wenn Schlesien, wie in früherer Zeit, seine eigene Provinzial regierung, die ihm gebührt, zurückerhält, damit diese nicht, wie es leider schon so oft geschehen, durch Beschlüsse oder Anforderungen der m ähri schen Hh. Stände, welche unseren Ansichten, Wünschen und Interessen zuwiderlaufend sind, in ihren Amtshandlungen beirrt werde. 156
Die Rechtmäßigkeit dieses Verlangens sowie seine Notwendigkeit kann nicht bezweifelt werden; nur der finanzielle Punkt der Ausführung könnte auf den ersten Anblick ein Bedenken erregen. Allein auch abgese hen davon, daß die politischen Behörden ohnehin infolge der vom Reichs tage ausgehenden Gesetzreform den größeren Teil ihrer Wirkungskreise an die Gemeindeverwaltungen abgeben, also ein minderes Personal erfor dern werden, so würde nach der Bevölkerungszahl m it Einbeziehung des schlesischen Herzogtums Auschwitz und Zator, dessen Ausscheidung aus Galizien und Vereinigung mit den übrigen Teilen Schlesiens wir verlan gen, Schlesien größer und volkreicher als der vierte Teil Mährens sein, folglich mit Recht den vierten Teil des Personalstandes der schlesisch mährischen Regierungsbehörde für sich in Anspruch nehmen. W ir erlauben uns, folgende Betrachtungen anzuführen, welche unser Begehren nach dieser Reorganisation näher begründen: 1. Die Provinz Schlesien hat ihre eigene ständische, durch die Konstitu tion verbürgte Verfassung, und zur Tätigkeit der Stände ist es unbedingt erforderlich, daß alle darauf Einfluß nehmenden Verhandlungen, Akten, Dokumente und Ausweise den Ständen leicht zugänglich und benützbar seien. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die Regierungsbehörde, welche im Besitze dieser Papiere ist, ihren Sitz in der Provinz selbst und im Orte hat, wo die Provinzialstände ihre Sitzungen halten. In den dringendsten und wichtigsten Fragen müssen wir oft wiederholt um Auskünfte nach Brünn schreiben, lange Zeit auf Antworten, die dann noch unvollkommen genug erteilt werden und meistens zu spät kommen, warten und sind so in unseren wesentlichen Beratungen und Beschlüssen auf die bedauerlichste Weise gehemmt, weil die Regierungsbehörde entfernt von uns und in einem Orte ihren Sitz hat, der durch die mangelhafte Einrichtung der Eisenbahnen uns viel schwieriger zu erreichen ist als Wien selbst. 2. Jede Provinz zahlt im gleichen Verhältnis ihre Steuern, die doch auch zur Dotierung der Regierungsbehörden verwendet werden. Wie kommt nun Schlesien dazu, durch seine Steuern eine Menge Beamte zu besolden, die außerhalb der Provinz ihren W ohnsitz haben und ihre Ge hälter außerhalb der Provinz verzehren? Es ist nur eine Pflicht gegen die arbeitenden Klassen der Gesellschaft, daß zur Erweiterung ihres Erwerbs kreises ihre von ihnen bezahlten Provinzbeamten auch in ihrer Mitte woh nen. 157
3. Bei allen öffentlichen Anstalten, die in der Provinz Mähren, insbe sondere in Brünn, eingerichtet werden, wird unsere Provinz in das Mitleid gezogen, während für unsere Provinz wenig oder nichts getan wird; wir haben nur immer zu zahlen und keine Genüsse. Dieses nachteilige Verhält nis wird und muß aufhören, sobald unsere Provinz wieder, wie es ihr gebührt, ihre eigene Regierungsbehörde erhält. 4. Selbst was wir auf eigene Kosten in unserer Provinz errichten, sucht man mit Hilfe des Brünner Gubemiums uns zu entziehen und Brünn damit zu bereichern; so stand lange unser Museum in Gefahr, nach Brünn ver pflanzt zu werden, so mußte ein aus Privatmitteln fundiertes Arbeitshaus aufgegeben werden, so wandert das Geld Schlesiens nach Brünn, um den Franzensberg bauen zu helfen, usw. 5. A uf den unmotivierten Antrag des mährischen Gubemiums wurden die schlesischen Städte unter ein früher niemals in dieser Ausdehnung bestandenes schutzobrigkeitliches Bevormundungssystem gestellt, bloß weil man sie zu mährifizieren suchte und sie, die einer von der mährischen so sehr verschiedenen Verfassung angehören, nicht mit den königlichen Städten Mährens auf gleicher Stufe achten, sondern mit mährischen unter tänigen Städten identifizieren wollte. W ir könnten noch zahlreiche Gründe für unser Begehren aufstellen, aber wir wollen nicht weitläufiger werden, als nötig ist, und beschränken uns daher darauf, feierlichst zu erklären, daß wir die Überzeugung erlangt haben, wie auch die Vermischung der Provinzregierungen Schlesiens und Mährens in eine Behörde nur stets zum Nachteile Schlesiens gereichte, und daß wir - die wir doch in unseren Gesinnungen nicht schlechter sind als andere Provinzen - entschieden die Vereinigung aller bei Österreich ge bliebenen Teile Schlesiens, nämlich der Herzogtümer Troppau, Jägemdorf, Teschen, Bielitz, Auschwitz und Zator und des Fürstentums Neisse, in eine Provinz Schlesien mit eigener Provinzialbehörde, die ihren Sitz in Schlesien zu nehmen hat, beanspruchen, vermeinend, unseres gnädigen Kaisers Majestät könne niemals wollen, daß Provinzen, deren Stände immer zu den getreuesten des Landes gehörten, gegen ihren Wunsch und Willen, ja zu ihrem Nachteile anderen Provinzen einverleibt werden. W ir bitten demnach das hohe Ministerium des Innem, sofort die nöti gen Einleitungen zu treffen, damit Schlesien baldigst seine eigene Provin zialregierungsbehörde mit dem Sitze in der Provinzialhauptstadt Troppau erhalte.« 158
Dieser Beschwerdeschrift der Troppauer und Jägem dorfer Stände sind nachher die übrigen Fürstentümer Schlesiens beigetreten (nach Kozdon, S. 45/46). Wohl wurde am 4. März 1849 durch die neue Verfassung ein neues unabhängiges Schlesien verfügt, aber die Nachteile der in Wirklichkeit noch nicht völligen Eigenständigkeit machten eine weitere Eingabe, dies mal des erweiterten Ausschusses des schlesischen Konvents, an das Wie ner Ministerium notwendig. Sie trägt das Datum vom 16. April 1849 und bittet um eine wirklich unabhängige Verwaltung. Auch hiervon soll das wichtigste im W ortlaut abgedruckt werden: »An das gesamte hohe k. k. Ministerium! Das Herzogtum Schlesien bildete bis jetzt mit der M arkgrafschaft Mähren ein Gouvernement. Die politische Administration des Landes wird von dem in der mährischen Hauptstadt Brünn seinen Sitz habenden k. k. Gubemium, an dessen Spitze ein Landeschef steht, besorgt. D er beinahe einstimmigen Anerkennung des schlesischen Landtages und dessen Aus schusses gemäß gingen jedoch dem Lande Schlesien aus dem Grunde, weil dessen oberste Administrationsbehörde sich nicht in seiner M itte, sondern außer Landes befand, unverkennbare, höchst wichtige Nachteile zu, und wenn auch dies nicht zugegeben werden wollte, so entgingen dem Lande mindestens alle jene Vorteile, welche der Sitz der Landesbehörde im Lande selbst, ihm in demselben Maße, wie jeder anderen Schwesterprovinz ge währt und zugeführt haben würde. Die Beweisführung für die Nichtigkeit dieser Behauptung beruht auf Gründen, deren W ahrheit einleuchtend und unleugbar ist. Denn stets wurde das kleine Ländchen Schlesien gegenüber dem beinahe viermal größeren Mähren stiefmütterlich traitiert, nie wurde es bei Zahlungen, Auflagen und Beitragsaufteilungen, wohl aber dann vergessen und als bloßes Anhängsel Mährens behandelt, wenn es sich um Vorteilszuwendungen handelte. Stets wurden alle Verwaltungsvorteile der Hauptstadt Mährens zuge wendet; stets wurde nur Brünn bedacht, wenn es sich um Eröffnung von Geldhilfsquellen handelte, niemals aber Schlesien, aus dem man nur das Geld nahm, ohne für seinen Aufschwung etwas zu tun.« Es folgt die Aufzählung einiger Tatsachen zur Illustrierung der voran gehenden Beschwerden. Weiterhin heißt es: 159
»Es beweist dies ferner die Langsamkeit, mit welcher in der Regel Beschwerden auf baldige Abstellung von Übelständen erst dann erledigt wurden, wenn letztere bereits erklecklichen Schaden gestiftet haben oder aber durch andere als Regierungsmittel behoben worden sind.« Diese und andere ähnliche Fälle, deren Aufzählung erm üdend wäre, hatten längst in den Herzen der Schlesier den innigsten W unsch nach einer eigenen Administrativbehörde und einem eigenen Landeschef, die beide ihren Sitz in Troppau haben, erzeugt, und das Streben des Landes und seiner Vertreter war seit jeher nach dessen Selbständigkeit, Autonomie und Unabhängigkeit von jedem anderen Lande Österreichs gerichtet. Das Land jauchzte daher vor Freude auf, als ihm aus der oktroyierten Verfassung vom 4. März 1849, und zwar vornehmlich aus den §§ 1, 4, 70 und 92, bekannt wurde, Schlesien sei nunmehr ein eigenes, selbständiges Kronland, unabhängig von Mähren und Böhmen, mit denen es nie in einem Gouvemementsbezirk vereinigt sein mochte, und es würde hierfür in Kon sequenz dieser konstitutionellen Bestimmungen, namentlich nach § 92 der Konstitution, auch seine eigene administrative Landesbehörde und seinen eigenen Landeschef und Statthalter in der Mitte des Landes haben. Aus der Reihe zahlreicher Gründe, die der schlesische Konvent zur Rechtfertigung seines Standpunktes anführte, seien hervorgehoben: »Bei der Verschiedenheit der Verfassung des Landes von jener M äh rens und der sowohl hieraus als auch aus der Verschiedenheit der Bedürf nisse und Verhältnisse des Landes notwendig hervorgehenden Verschie denheit der Landesgesetze und der sonstigen Administrativmaßregeln ge genüber jenen der Markgrafschaft Mährens ergibt sich sowohl für die über beide Länder gestellte Zentralbehörde und deren Chef die Notwendigkeit einer doppelten Auffassung und Anschauung der Verhältnisse, Zustände, Bedürfnisse und Wünsche der beiden Länder und eben deshalb auch eine verschiedenartige, diesen angemessene Erledigung und Behandlung. Wie natürlich und häufig zeigen und ergeben sich sodann Schwierigkeiten in der raschen und kräftigen Exekution der für die beiden Länder verschiede nen Administrativmaßnahmen, welche Schwierigkeiten ohne Zweifel so wie in früheren Zeiten auch in der Zukunft die Geneigtheit erzeugen wür den, alles nach einem Maßstab zu behandeln und die Bedürfnisse des kleineren Landes jenen des größeren, dem Herzen und der Aufmerksam keit des Landeschefs und seiner Administrativbehörde ganz natürlich nä her liegenden Landes wenn nicht aufzuopfem, so doch nachzusetzen.« 160
»Schlesien bedarf aber gerade wegen seiner eigentümlichen Bodenund Industrie Verhältnisse eines besonderen Augenmerkes. Nur der größte Fleiß, ausdauernde, anhaltende Arbeit und der schätzenswerte hohe Stand der Agrikultur, auf welche der schlesische Landwirt stolz sein darf, trotzen dem minder fruchtbaren Boden des gebirgigen Landes, von dessen Fläche ungefähr ein Zweiunddreißigstel unproduktiv ist, ein zwar reichhaltigeres, aber im Verhältnis zur natürlichen Produktivität der Schwesterprovinz doch immer nur ärmliches Maß von Früchten ab; der größere Teil der Landbewohner findet seine Nahrungs- und Erwerbsquellen in industriellen und gewerblichen Unternehmungen. Das von der Natur schon so stiefmüt terlich ausgestattete Schlesien bedarf daher vorzüglich rücksichtlich seiner Industrie und seines Handels Unterstützung, und von der Hebung dieser Erwerbsquellen allein hängen vornehmlich die künftige materielle Wohl fahrt und das Gedeihen des Landes ab. Es ist daher auch wünschenswert, daß von seiten der Regierung Seiner Majestät dem Lande jene Unterstüt zung zuteil werde, an welche selbes seine Hoffnungen knüpft, daß dem nach die Administrativbehörde und der Landeschef sich nicht wie früher außer Landes, sondern im Lande selbst befinde und somit Gelegenheit habe, sich durch eigene unmittelbare Anschauung von den Verhältnissen, Zuständen, Bedürfnissen und W ünschen des Landes im Interesse der Agrikultur, der Industrie, des Handels, der öffentlichen Bauten, des Unter richts usw. Überzeugung zu verschaffen, um hierdurch die sowohl zu Hebung aller Anstände und Hindernisse als auch zur Förderung der Wohl fahrtszwecke von seiten der Landesvertretungen gefaßten Beschlüsse ge hörig beurteilen, im Interesse des Landes befürworten und zur Ausführung derselben die geeignetsten Mittel in Anwendung bringen zu können.« »Der große Landtagsausschuß glaubt hiermit nicht bloß die Zweckmä ßigkeit, sondern auch die Notwendigkeit der Existenz der administrativen Oberbehörde des Landes in dessen Mitte nachgewiesen zu haben und zweifelt nicht an der Ausführbarkeit dieser die W ohlfahrt des Landes bedingenden Maßregel. Am wenigsten dürfte der Kostenpunkt ein begründetes Hindernis abge ben, denn eben wegen der auffallenden und statistisch nachgewiesenen Verschiedenheit der Bedürfnisse und Verhältnisse des Landes, dann der künftig verschiedenartigen Landesgesetze und Administrativmaßregeln derselben würde, wenn der Landeschef und die Administrativoberbehörde Schlesiens sich in Brünn befände, zur möglichsten Vermeidung von Ver 161
mengungen der schlesischen Angelegenheiten mit jenen von Mähren sich ohnedies die Notwendigkeit heraus stellen, eine Abteilung der Brünner Landesbehörde dem Herzogtume Schlesien allein und eigens zu widmen. Ungefähr dieselbe Anzahl von Beamten, welche sich für die Besorgung der schlesischen Angelegenheiten im Lande selbst als notwendig darstellen würde, stellt sich auch dann als erforderlich heraus, wenn die Behörde in Brünn ihren Sitz hat, und es wäre höchstens die Person des besonderen schlesischen Landeschefs erspart, welche Ersparnis aber von den dem Lande durch eine solche Zentralisierung zugehenden Nachteilen weit auf gewogen wird. Ja, der Landtagsausschuß war sogar der Ansicht, daß durch die Vereinigung der schlesischen Landesbehörde mit der mährischen dem Lande - abgesehen von den etwaigen ihm hierdurch zugehenden Nachtei len - sogar ganz unnötig größere Kosten aufgebürdet werden dürften. Denn ungeachtet der Reisekosten und sonstigen Auslagen, die dann entstehen, wenn es notwendig ist, die Anliegen des Landes dem Landespräsidenten mündlich ans Herz zu legen, wird sicherlich das Land die verhältnismäßi gen Kosten für das schlesische Ressort der Landesbehörde in Brünn tragen müssen und ebenso sich die Kosten einer Kreisbehörde im Lande Schlesien gefallen lassen müssen ... Überdies würde hierdurch eine Instanz erspart, der Geschäftsgang un endlich erleichtert und beschleunigt, das Land und seine Vertretung in unmittelbare Verbindung mit dem Ministerium gesetzt und die von der oktroyierten Verfassung ausgesprochene Selbständigkeit Schlesiens, das an direkten und indirekten Steuern jährlich zirka 1.500.000 fl. C.-M. zum Staatshaushalte rein beiträgt und dessen Beiträge größtenteils ohnehin nur in anderen Provinzen zu deren Hebung verwendet werden, endlich eine Wahrheit werden. Ein hohes k. k. Ministerium wolle demnach diese Vorstellung, die auf so wichtigen und wahrheitsgetreuen Gründen beruht, im Interesse des Kronlandes Schlesien würdigen und dem innigen Wunsche sowie dem offen vorliegenden, durch die Konstitutionsurkunde garantierten Rechte des Herzogtumes auf dessen Selbständigkeit und einen diese bedingenden eigenen Landeschef samt Administrativoberbehörde nachgebend, in des sen Hauptstadt Troppau, die ohnedies in früherer Zeit stets der Sitz des schlesischen Gubemiums war (welches auch bis jetzt nicht ausdrücklich aufgehoben, sondern nur - aber zum Nachteile des Landes - mit dem mährischen vereinigt und nach Brünn übertragen wurde), ein eigenes selb162
ständiges, von dem eines anderen Landes unabhängiges Gouvernement errichten.« W ir werden sehen, daß diese Bitten nur schrittweise ihre Erfüllung fanden, aber die wiedergegebenen Eingaben sollen zeigen, daß man in Regierungskreisen mit der Zeit immer mal vergißt, was das Volk will und - wenn es sich nicht rührt - auch weiterhin über dessen W ünsche hin weggegangen wird. Im Falle unseres Schlesiens dauerte es immerhin noch bis 1853, bis es eine eigene Landesregierung erhielt, an deren Spitze ein Landespräsident stand.
Der Wechsel in der schlesischen Verwaltung Durch die Erhebung von 1848 und ihre Auswirkungen erhielt unser öster reichischer Teil von Schlesien auch seine Selbständigkeit wieder (am 25. April 1848 durch die sog. April- oder Piliersdorf-Verfassung). Von Mähren getrennt, erhält es eine eigene Statthalterei. Erster schlesischer Statthalter wird Freiherr Josef von Kalchberg, ein geborener Grazer. Er studierte in Graz und Wien, wurde Professor der Staats Wissenschaften an der Theresianischen Ritterakademie in Wien, trat 1839 als Güterdirektor in den Dienst von Erzherzog Karl in Schlesien, Mähren und Galizien, 1849 Ministerialrat im Innenministerium, dann Präsident der schlesischen Grundentlastungskommission und am 9. Dezember 1849 Statthalter in un serem österreichischen Schlesien. Ab Januar 1853 Vizepräsident und Stell vertreter des Statthalters in Lemberg bis 1. Dezember 1859. Dann trat er in den Ruhestand. 1860 wieder Sektionschef im Handelsministerium und später Leiter desselben. 1864 wurde er zum Geheimen Rat ernannt. 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, 1861 Landtagsabgeordne ter in Schlesien und Niederösterreich. Schrieb eine Reihe von Veröffentli chungen, erhielt den Orden der Eisernen Krone II. Klasse und das Groß kreuz des Franz-Josef-Ordens, 1847 wurde ihm der Freiherrenstand zuer kannt. 1865 in den Ruhestand getreten, starb er am 27. April 1882 in Graz. Im Revolutionsjahr 1848 zieht das Beskidenland in den Frankfurter Bundestag ein. Fünf M änner haben dort ihren Sitz: Kotschy, Dr. Demel, Dr. Josef v. Kalchberg (Teschen), Dr. Adolf Kolatschek (Ostrau), Dr. Karl van der Strass (Bielitz) und unser Bielitzer Pastor und W iener Abge ordneter Schneider. Er setzt durch, daß es keine »herrschende Kirche« 163
mehr in Österreich geben soll. Im gleichen Jahr wird das Untertänigkeits verhältnis aufgehoben (7. August 1848), der Bauer wird frei. Kudlichs Bemühungen - selbst auch ein Schlesier - sind erfolgreich. Nach den Revolutionsjahren werden im Staat Bestrebungen laut, Öster reich zu föderalisieren. Ein Deutsch-Österreich, ein Tschechisch-Österreich und ein polnisches Österreich sollten entstehen. Am 7. März 1849 tritt die Reichs Verfassung für Gesamt-Österreich in Kraft, und am 31. Dezember 1851 wird die Verfassung von 1849 wieder aufgehoben. Im Jahr 1853 wird unsere österreichisch-schlesische Statthal terei in eine Landesregierung umgewandelt, deren erster Landespräsident Anton Halbhuber Freiherr von Festwill wird. Anton Freiherr von Festwill war am 11. März 1809 zu Prag geboren, studierte Jura und wurde Verwaltungsjurist, war Praktikant am Braunauer Kreisamt, 1830 Präsidialsekretär des böhmischen Landesgubemiums und Gubemialrat, 1849 Ministerialrat im Innenministerium und wurde 1853 im Alter von 44 Jahren Landespräsident unseres österreichischen Kronlandes Schlesien. 1854 Freiherr, 1858 Geheimer Rat, 1860 bis 1862 Leiter der niederösterreichischen Statthalterei, 1864/65 Zivilkommissar in Schles wig-Holstein, wo er bei der Bevölkerung sehr beliebt war. Nahm an der Reorganisation der politischen Behörden der Kronländer regen Anteil und ebenso im Staatsrat; nach dessen Auflösung 1868 trat er in den Ruhestand. Er starb 1886 in Wien. Auf den Fürstentagen sind zu erscheinen berechtigt: der Bischof von Breslau sowie die Herzoge von Jägemdorf, Teschen und Troppau, und ab 1854 kam dann die zum schlesischen Herzogtum erhobene freie Standes herrschaft Bielitz mit gleichen Vorrechten hinzu, hatte aber nie das Vor recht einer Landeshauptmannschaft. Das Bielitzer Landrecht war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit jenem von Teschen vereinigt worden. Ab 1860 wurde unser Schlesien durch das Oktoberdiplom vom 20. Ok tober wieder mit Mährens Verwaltung vereinigt und im Jahr darauf, am 29. März 1861, durch ein kaiserliches Handschreiben wiederum selbstän dig gemacht. Das Februarpatent vom 26. Februar 1861 wird verwirklicht. Erster Landeschef wird für zwei Jahre Richard Graf Belcredi. Er war am 12. Februar 1823 in Ingrowitz bei Neustadt in Mähren geboren. Bel credi wurde 1865 Nachfolger von Ministerpräsident Schmerling in Wien und wird als Bürokrat ohne eigene Anschauung dargestellt. Er versuchte, von Graf Moritz Esterhazy unterstützt, eine auf Niederdrückung des Frei 164
sinns gerichtete, die Klerikalen und die Slawen begünstigende Politik durchzuführen, konnte aber 1867 nur die Entlassung nehmen. 1881 bis 1895 war er Präsident des Obersten Verwaltungsgerichtshofes in Wien und starb am 2. Dezember 1902 in Gmunden. Er war das Haupt der klerikal-feudalen Partei und mit 38 Jahren Landeschef von Schlesien. A uf Belcredi folgte 1863 Hermann Freiherr von Pillerstorff, geboren auf Schloß Biskupitz bei Wallachisch-Meseritsch in Mähren. Der Vater war Finanz-Oberkommissar und Besitzer dieses Gutes. Sohn Hermann studierte an der theresianischen Ritterakademie, war dann Kreiskommissar und anschließend Bezirkshauptmann von Brünn, 1854 Statthalterei-Rat in Trentschin in Ungarn bis 1870. A uf der Flucht mit den Staatskassen vor den Preußen kam er mit einem Insurgentenkorps in Berührung, das sich an der ungarischen Grenze gebildet hatte, und zog über Mähren nach Wien, wo er des Dienstes enthoben wurde. Nach der Rechtfertigung beim Kaiser wurde er wieder Landeschef von Schlesien. Er vertrat die Bezirke Troppau und W agstadt im Abgeordnetenhaus des W iener Reichsrates. Er wurde auch zweiter Vizepräsident dieses Hauses bis 1879, war Ritter des FranzJosef-Ordens und Ehrenbürger der königlichen Freistadt Trentschin und von Austerlitz. Er starb am 27. Mai 1887. 1866 bis 1868 ist Hofrat August Ritter von Merkl Landeschef. 1870 wird Alexander Freiherr von Summer Landespräsident, ab 1882 folgt Oliver Marquis de Bacquehem. Oliver Marquis von Bacquehem, geboren am 25. August 1847 in Troppau, war Neffe des Grafen Taafe und konnte 1882 das Amt des schlesischen Landeschefs im Alter von 35 Jahren antreten. Hier verdiente er sich ohne Frage die Sporen, wurde 1886 Handelsminister und vollzog in diesem Jahr den Ausgleich mit Ungarn, das Handelsbündnis und den Zolltarif, die Aufhebung des Freihafens von Triest und den Abschluß mehrerer Handelsverträge. 1893 wurde er Innenminister, 1898 Statthalter in der Steiermark, trat 1898 zurück und war seit dem 14. August 1900 Präsident des Verwaltungsgerichtshofes in W ien, wo er auch am 22. April 1917 starb. Er war der erste Präsident dieses hohen Amtes. Unter den Abgeordneten des schlesischen Landtages sind von den in und um Bielitz geborenen oder dort wirkenden Männern zu nennen: Johann Bartelmuß, am 24. Juli 1818 in Bielitz geboren, errichtete 1833 in Altbielitz eine Spinnfabrik und daraus 1854 eine Kammgarnspinnerei, einen damals in Österreich noch völlig unbekannten Industriezweig. Er 165
war Kurator der evangelischen Gemeinde in Bielitz und wirkte als lang jähriger Presbyter hervorragend bei der Gründung und Organisation der Bielitzer evangelischen Lehrerbildungsanstalt mit. Er ist Mitbegründer der Bielitz-Bialaer Handels- und Gewerbebank (später Filiale der böhmi schen Unionbank), wurde Zensor der Österreichischen Nationalbank (später österr.-ungar. Bank) und auch Mitglied des Bezirksstraßenaus schusses. Er starb am 8. April 1873. Rudolf Bukowski, am 26. November 1842 in Biala geboren, Sohn eines Arztes, absolviert das Gymnasium in Teschen, studiert Jura und wird Advokat. Seine Geburtsstadt wählt ihn zum Landtagsabgeordneten in den galizischen Landtag. 1875 übersiedelt er nach Teschen und wird Reichs konsulent der erzherzoglichen Kammer in Teschen, 1876 endlich selbstän diger Advokat. 1885 wird er Gemeinderat in Teschen, 1891 Vizebürger meister in Teschen. Der schlesische Landesausschuß entsendet ihn 1897 in den k. k. Bezirksschulrat Teschen, und ab 1901 wird er Beirat im Auf träge des Landtages für die Vorbereitung des Fischerei- und Ablösungs gesetzes. Er ist auch Referent für das Landesbudget. Dr. Alois Eisenberg, ein Jablunkauer, wird 1861 selbständiger Advokat in Biala, Notar in Hof, Neutitschein und in Bielitz. Er vertritt den politi schen Bezirk Bielitz im Landtag. Ab 1890 lebt er zurückgezogen in Biala. Er war Ehrenbürger von Jablunkau. Dr. Theodor Haase, ein geborener Lemberger, studiert in Wien, Göt tingen und Berlin Theologie und Philosophie, 1859 Pfarrer in Bielitz, 1876 in Teschen, 1866 bis 1882 Senior des schlesischen Seniorrates, 1882 schles.-mähr. Superintendent. Er nahm an dem Zustandekommen der evangelischen Kirchenverfassung tätigen Anteil. 1870 bis 1876 Gemein derat der Stadt Bielitz, seit 1873 Abgeordneter der Stadtgruppe BielitzSkotschau-Schwarzwasser-Jablunkau im Reichsrat als Angehöriger der Deutschen Fortschrittspartei. 1882 organisiert er den Evangelischen Frau enverein, das evangelische Waisenhaus, ist Obmann der Gustav-AdolfStiftung in Bielitz, war an der Gründung der Lehrerbildungsanstalt betei ligt, die die erste modern organisierte Lehrerbildungsanstalt der Monarchie wurde. Das evangelische Alumneum, die Ausgestaltung der evangelischen Unterrealschule, die Übernahme durch den Staat und die Errichtung der k. k. Staatsgewerbeschule sind weitere Stationen seines Wirkens. Er gab in Bielitz 1865 bis 1869 die kirchliche Wochenschrift »Neue protestanti sche Blätter« und 1874/75 die Zeitung »Schlesische Post« heraus. Er war 166
schriftstellerisch tätig, schrieb u. a. »Die Geschichte der Bielitz-Bialaer Schafwollindustrie« (1874). 1867 wurde er Ritter des Franz-Josef-Ordens, erhielt das Ehrendiplom der Universität Heidelberg, 1892 wurde ihm das Komturkreuz des Franz-Josef-Ordens und 1898 der Stern dazu, 1901 der preußische Kronenorden II. Klasse für die Errichtung eines preußischen Kriegerdenkmals in Prerau verliehen. Er war Ehrenbürger von Bielitz, Teschen, Jablunkau und Schwarzwasser. Gustav Josephy, geboren am 28. April 1855 in Bielitz, dort Volks-, Bürger- und Oberrealschule und zwei Jahrgänge der Gewerbeschule in Chemnitz, dann das Polytechnikum in Berlin. 1876/77 Einjährig-Freiwilli ger im »k. u. k. 1. Infanterieregiment Kaiser«, Feldzug in Bosnien 1878 als Reserveleutnant beim 44. Infanterie-Regiment. Praktiziert in deutschen und französischen Maschinenfabriken und österreichischen Textilunter nehmen. 1881 Mitinhaber, seit 1885 alleiniger Chef und Inhaber der Firma »G. Josephy’s Erben, Maschinenfabrik und Eisengießerei in Bielitz«, Prä sident der österr. Portlandzement-Fabriks AG in Szczakowa, Verwaltungs rat der Bielitzer Emaille-Fabriks AG, der Bielitz-Bialaer Elektrizitäts- und Eisenbahn AG, der »Bielitz-Bialaer Eskompte- und Wechselbank«, Mit glied der Sektion für Industrie und Gewerbe im Industrie- und Land wirtschaftsrat im k. k. Handelsministerium, Mitglied der Kommissionen für die Bestimmung der Handelswerte für Außenverkehr und den Zwi schenverkehr, k. k. Kommerzialrat, korrespondierendes Mitglied der schle sischen Handels- und Gewerbekammer. Obmann des »Industriellenver bandes von Bielitz, Biala und Umgebung«, Mitglied im Direktionskomitee des Zentralverbandes des Industriellen Österreichs, des Presbyteriums der evangelischen Kirchengemeinde Bielitz, Obmann des deutschfortschrittli chen Vereins in Bielitz. In den Jahren 1898 bis 1902 im Landtag in der Kommission für die Personalsteuerberufung. Seit 1888 im Gemeinderat der Stadt Bielitz, 1898 Ritter des Franz-Josef-Ordens. Dr. Eduard Neußer, ein Neutitscheiner, seit 1854 Advokat in Biala, später in Freiwaldau, Freudental und Troppau, 1880 Direktor der österr.schlesischen Bodenkreditanstalt, starb im Juli 1900 in Troppau. Johann Pellar, ein Landwirt aus Drahomischl, vertrat den politischen Bezirk Bielitz im Landtag, war von 1894 bis 1900 Mitglied des k. u. k. Bezirksschulrates im Landkreis Bielitz. W ar Presbyter der evangelischen Gemeinde in Drahomischl und auch ihr Kurator. Moritz Graf und Reichsfreiherr Saint Genois d ’Anneaucourt, ein ge 167
borener Paskauer (22. März 1816), studierte Jura in Wien, bis 1845 im Staatsdienst, 1857 übernimmt er die väterlichen Liegenschaften in M ähren und in Emsdorf, Groß-Kunzendorf und Rzepiszcz in Schlesien sowie Makow in Galizien und widmet sich nur der Landwirtschaft. Er starb am 12. Juni 1886 in seiner Villa in Baden bei Wien und liegt in der Em sdorfer Familiengruft begraben. Samuel Schneider, Sohn eines Tuchmachermeisters aus Bielitz, gebo ren am 22. September 1801 in Bielitz. Studiert in Preßburg Theologie, 1812 Lehrer an der evangelischen Schule in Bielitz, dann Theologiestudi umsfortsetzung in Wien. 1831 Pastor in Bielitz, 1864 mähr.-schles. Super intendent, 1848 Abgeordneter im Reichsrat in Wien und Kremsier, Ver dienste um die Lehrerbildungsanstalt in Bielitz. 1871 Präsident der evan gelischen Generalsynode in Wien, Ehrenbürger der Stadt Bielitz, starb am 25. Juli 1882. Rudolf-Theodor Seeliger, geboren am 24. August 1810 in Biala, Gym nasium in Breslau, dann kaufmännischer Bemf. Als Bürgermeister von Biala brachte er den Stadthaushalt auf einen mustergültigen Stand, er weiterte die öffentliche Volksschule, die ein neues Gebäude erhielt, ließ das Rathaus umbauen, reorganisierte die Polizei und das Armenwesen vorbildlich und war immer bemüht, den deutschen, auf Marburger Recht gebauten Charakter der Stadt zu wahren. Zu seinem 70. Geburtstag wurde er Ehrenbürger der Stadt Biala. Wurde Bezirksobmann des Bialaer Be zirks. 1861 wählte ihn der Landtag als Ersatzmann in das Abgeordneten haus des österr. Reichsrates. 50 Jahre gehörte er dem Vorstand der Bialaer evangelischen Kirchengemeinde an und war ihr Kurator, auch die galizisch-buchenländische Superintendential-Versammlung wählte ihn zu ih rem Kurator, die dritte Generalsynode zu ihrem Vizepräsidenten. Schrift stellerisch war er in der »Neuen Freien Presse« mit politischen und kir chengeschichtlichen Aufsätzen tätig. Er starb am 18. April 1884 in Biala. Dr. Eduard Türk, geboren am 7. April 1852 in Bielitz, studierte Jura in Wien, ab 1881 in Bielitz als Konzipient des Dr. Karl Winkler, 1883 Gemeinderat der Stadt Bielitz. 1884 Rechtsanwalt in Bielitz, Mitglied der österr.-schlesischen Land- und Forstwirtschaftlichen Gesellschaft, dann Gründung des landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbandes, dessen Mitgestalter er war. 1904 im schlesischen Landtag, Mitglied des Verwal tungsrates und zweiter Direktor-Stellvertreter der österr.-schlesischen Bodenkreditanstalt, weiter Mitglied des Staatseisenbahnrates und des Aus168
Schusses der allgemeinen gewerblichen Fortbildungsschulen in Bielitz. 1898 wurde er Ritter des Franz-Josef-Ordens. Er gehörte auch der Haupt leitung der »Nordmark« und dem Ausschuß des deutschen Volksschul vereins in Schlesien seit dessen Gründung an. Landeshauptleute in Österr.-Schlesien waren: 1861 bis 1864 Johann Graf Larisch-Mönnich, 1865 bis 1886 Amand Graf Kuenburg, 1887 bis 1904 Heinrich Graf Larisch-Mönnich.
Unser Kronland Österreichisch-Schlesien in Zahlen Österreichisch-Schlesien zählte 1846: 222.616 = 47% deutsche Einwoh ner, 93.561 = 2 0 % Tschechen, 146.878 = 31,5 % Polen und 2.947 Juden, die den neuen schlesischen Landtag Ende 1848 wählten. Davon waren 85,1 % katholisch, 14,1 % evangelisch und 6.6% Juden. Bielitz hatte etwa 7.500 Einwohner. Gesprochen wurde in den Schulen des Kronlandes im Schuljahr 1847/48 mit Mähren zusammen zu 36,5% deutsch, zu 54,2% slawisch, und 9,2% benutzten mehrere Sprachen. Rein deutsche Gegen den, rein slawische und solche mit gemischter Bevölkerung befanden sich im Land. Die Zahl der Mittelschulen - das sind Oberrealschulen und Obergym nasien - Österreichisch-Schlesiens und Mährens betrug zu dieser Zeit 11 Anstalten, sie waren zu 100% deutschsprachig. Das Deutschtum war füh rend, aber nationale Spannungen waren schon wirksam, denn Prag als Hauptstadt der Länder der »böhmischen Krone« beanspruchte schon zu dieser Zeit das Vertretungsrecht für Österr.-Schlesien. Das Deutschtum Böhmens, Mährens und Österr.-Schlesiens seinerseits schließt sich zum »Zentralverein der Deutschen« zusammen. Am 7. März 1849 wird mit der Stadionschen Verfassung Schlesien von Mähren getrennt, und eine neue Landesverfassung, eine schlesische, wird am 30. Oktober 1849 verabschiedet. Am 14. September 1852 erhält Schle sien eine eigene Landesregierung. Das Schulwesen im österreichisch-schlesischen Kronland war für die Deutschen in dieser ganzen Zeit ein recht kompliziertes Gebilde. Schon 1782 war ja die österreichisch-schlesische Schulverwaltung mit der mähri 169
sehen in Brünn vereinigt worden. Die Unterrichtssprachen waren die deut sche und die mährische. Die Landschulen des Teschener Bezirks sahen sich mit tschechisch geschriebenen Lehrmitteln versorgt, was den polen freundlichen Politikern Anlaß genug war, dagegen aufzutreten, denn sie blieben bis in die sechziger Jahre in Gebrauch, obwohl sich 1848 schon die Brünner Schulbehörde auch mit polnisch geschriebenen Lehrbüchern ein verstanden erklärte. Sie sollten aus Galizien bezogen werden, da polnische Lehrkräfte und auch Lehrmittel im Teschener Land nicht vorhanden wa ren. In das Jahr 1848 fällt auch die Gründung des »Tygodnik cieszyński« durch den Tschechen Dr. Klucki gemeinsam mit Stalmach in Teschen. Der Schriftleiter Ciencala hatte in Krakau studiert. Nach einem Jahr wurde das Blatt eingestellt, und Stalmach wandelte es in »Gwiazdka cieszyńska« um. Es war lange Zeit die einzige slawische Zeitung des ganzen schlesischen Raumes. Das Echo im eigenen Land war gering, denn im ersten Jahr gab es kaum 100 Abonnenten. In den 60er Jahren waren es 1.400 Bezieher, aber nur 300 wohnten in Schlesien, 600 in Galizien, 400 in Kongreßpolen, 100 in Posen und dem übrigen Ausland. Bis 1863 hat Stalmachs Blatt keinen politischen Charakter, aber die Begeisterung für die schlesische Frage erlischt in Polen nicht mehr. Diese Bemerkungen sind charakteristisch für die schwierige Lage in nationalen Dingen in unserem Land, zeugen aber auch davon, wie elegant die Wiener Zentralstellen diese heißen Eisen behandelten. Im Jahr 1851 lehnte das Justizministerium in Wien eine Eingabe Dr. Kluckis ab, das Polnische im Teschener Landgerichtssprengel offiziell anzuerkennen, »da in Schlesien weder das Polnische noch das Tschechi sche als Landessprache bestehe«, sondern höchstens das »W asserpolni sche« üblich sei. Die Polonisierung der Landschulen in diesem Raum schritt aber fort. Die zunehmende Aktivität in Richtung Nationalismus zeigt am besten die Tatsache, daß bei den Tschechen in Böhmen 1865 schon der erste »Sokol« und 1866, also kurz danach, auch in W ien gegrün det wurde. Die nationalistischen Vereine (insbes. Turnvereine) wurden immer aktiver und entwickelten ihre Tätigkeit über die staatlichen Grenzen hinaus. In Nancy hielt einer ihrer Vertreter eine flammende Rede an die Franzosen gegen die durch brutale Macht aufgerichtete Grenze (1892). Die Teilnahme an einem Studentenfest war durch die österreichischen Behörden verboten worden. 1890 hatte Wien zum Beispiel schon 162.000 Tschechen unter 1.675.000 Einwohnern. Es war der Höchststand. 170
A uf der anderen Seite erklärten noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Teschener Polenführer Stalmach, Kotula oder Ciencala, daß sie sich während ihrer Schulzeit als Deutsche betrachteten. Ja, es war eben nicht einfach, unser Nationalitätenproblem! Aus dem Jahr 1875 stammen nachstehende Zahlen für das Volksschul wesen im österreichischen Schlesien: Es gab 207 deutsche, 196 tschechische und polnische staatliche, außer dem 11 deutsche Privatvolksschulen sowie 17 tschechische und polnische. 1913/14 gab es 243 deutsche, davon 38 private, 140 tschechische, davon 7 private, 156 polnische, davon 6 private, und 33 utraquistische, davon je eine polnische und tschechische. Bürgerschulen gab es in diesem Schul jahr: 29 deutsche, davon 10 private, 8 tschechische und eine polnische, die staatlich waren, und 2 polnische private. W ährend es 1875 noch 57,7% deutsche staatliche Volksschulen im Kronland gab, waren es 1913/14 nur mehr 45 % deutsche Anstalten. So verlief also die Entwicklung während der Zeit der »Unterdrükkung«! 1846 spricht der Bericht des »Gubemiums von Eindeutschung der Schüler, die über die Stadtschulen in höhere Berufs- und Bildungsschich ten eintreten, besonders in Gegenden, wo die Industrie mehr Einfluß« gewinnt. 1849 gründet Stalmach in Teschen die »Polnische Bücher- und Lese stube«. Aus K. G. Hugelmanns Buch »Das Nationalitätenrecht des alten Öster reich«, 1934 in Wien erschienen, können wir einiges über die Rechtslage auf verschiedenen Gebieten unseres heimatlichen Schlesien entnehmen. Es folgen im W ortlaut die Seiten 412-416:
Die Sprache im Landtag. Das Landgesetzblatt Hinsichtlich des Sprachengebrauches im schlesischen Landtag geht aus den Protokollen hervor, daß nur die deutsche Sprache zugelassen war. Hinsichtlich des Landesgesetzblattes galt mindestens seit dem 19. April 1851, daß dasselbe für die Gemeinden, die dessen bedürfen, in Überset zung auch in nichtdeutschen Landessprachen hinausgegeben werden solle. Die tschechische und polnische Ausgabe des Landesgesetzblattes wurde 171
aber mit Erlaß des Ministeriums des Innern vom 25. September 1851 eingestellt, um erst in der Zeit nach Inkrafttreten der Dezember-Verfassung (ohne gesetzliche Anordnung) wieder aufgenommen zu werden. Jedoch blieb bis zum Ende der Monarchie der deutsche Text der authentische.
Das Schulwesen a) Die Volksschulen Abgesehen von den allgemeinen Normen über die Errichtung von Volks schulen mit bestimmter Unterrichtssprache - die nähere Ausführung des Reichsvolksschulgesetzes vom 28. Februar 1870, LGB1. Nr. 16 - galt in Schlesien der sogenannte Zeineksche Erlaß des schlesischen Landesschul rates vom 16. Jänner 1873. Dieser bezeichnete als Ziel des deutschen Sprachunterrichtes an den nichtdeutschen Volksschulen die Befähigung der Schüler: 1. mündliche und schriftliche Mitteilungen in deutscher Sprache richtig zu verstehen; 2. ihre Gedanken in der deutschen Sprache mündlich und schriftlich kor rekt auszudrücken. Der Erlaß führte sodann, bis ins einzelne gehend, für jedes der acht Schuljahre an, wie dieses Ziel zu erreichen sei und in welcher Weise der Lehrer vorzugehen habe. In der ersten und zweiten Klasse hatten demnach zunächst Sprechübungen zu erfolgen, um Ohr und Zunge der Kinder an die deutsche Sprache zu gewöhnen, wobei in die Wörtergruppe des ersten Schuljahres auch die gebräuchlichsten Eigenschaftswörter und die Gegenwart der Hilfszeitwörter »sind« und »haben« sowie die Frage wörter »wer, was, wie« aufzunehmen waren. Im 5., 6. und 7. Schuljahr hatte der Unterricht immer mehr utraquistischen Charakter anzunehmen. Nur der Religionsunterricht sollte auf allen Stufen den Kindern in der Muttersprache erteilt werden. Der Erlaß des schlesischen Landesschulrates vom 19. September 1875 ergänzte den vorstehenden Erlaß noch durch genaue Vorschriften über die Anzahl der Wochenstunden aus deutscher Sprache für die einzelnen Klas sen. Was die Zahl der Volksschulen anlangt, so bestanden in Schlesien im Jahre 1875 207 deutsche und 196 tschechische und polnische Volksschu len sowie 25 ausgesprochen utraquistische. Die Zahl der deutschen Privat172
Volksschulen betrug in diesem Jahr 11, der tschechischen und polnischen 17, der utraquistischen 2. Im Schuljahr 1913/14 betrug die Zahl der öffent lichen Volksschulen mit deutscher Unterrichtssprache 243 (nebst 38 priva ten), mit tschechischer 140 (7), mit polnischer 156 (6). Daneben gab es 33 utraquistische Schulen (davon eine deutsch-polnische und eine deutsch tschechische). Die Zahl der öffentlichen deutschen Bürgerschulen betrug (1913/14) 29 (10 private), der tschechischen 8, der polnischen 1 (2).
b) Die Mittelschulen Hinsichtlich der Realschulen bestimmte das Landesgesetz vom 15. Februar 1870, LGB1. Nr 12, daß zu den obligaten Lehrgegenständen jene Landes sprache gehöre, welche für die betreffende Realschule Unterrichtssprache ist, dann die französische und englische Sprache, während die beiden anderen Landessprachen nur freie Lehrgegenstände waren. Die Bestim mung der Unterrichtssprache stand, wie in den anderen Ländern auch, demjenigen zu, der die Unterrichtsanstalt erhielt. Trugen zu dieser Erhal tung mehrere bei, so wurde die Unterrichtssprache durch Vereinbarung festgestellt. Kam eine Vereinbarung nicht zustande, so hatte, im Unter schied zu den Bestimmungen einzelner Realschulgesetze anderer Länder, die Landesschulbehörde zu entscheiden. Die Statistik ergibt folgendes Bild: Es bestanden 1913/14 7 Gymnasien mit deutscher, 2 mit tschechischer und 2 mit polnischer Unterrichtssprache. Die Zahl der Realschulen betrug 5. Sie hatten ausnahmslos die deutsche Sprache als Unterrichtssprache und wurden von 1.273 deutschen, 12 tsche chischen und 121 polnischen Schülern besucht. Ferner gab es 2 deutsche Mädchenlyzeen und ein tschechisches. An Lehrerbildungsanstalten be standen 3 deutsche, eine tschechische und eine deutsch-polnische, ferner 4 deutsche Lehrerinnenbildungsanstalten.
c) Sonstige Lehranstalten In Schlesien gab es ferner eine öffentliche zweiklassige deutsche Handels schule in Troppau und eine private mit Öffentlichkeitsrecht (ebenfalls deutsch). An sonstigen Handelslehranstalten bestanden 2 deutsche, an 173
kaufmännischen Fortbildungsanstalten 12 deutsche, ferner eine Staatsge werbeschule (deutsch), eine Fachschule für Steinbearbeitung (deutsch), eine Landesfachschule für Granitindustrie (deutsch), 2 staatliche W ander kurse für Korbflechterei (deutsch), 5 Frauengewerbe-, Koch- und Haushal tungsschulen (eine deutsch, 2 tschechisch, eine polnisch), 58 allgemeine gewerbliche Fortbildungsanstalten (37 deutsch, 14 tschechisch, 7 pol nisch), 12 fachliche Fortbildungsanstalten (5 deutsch, 7 tschechisch), eine landwirtschaftliche Mittelschule (deutsch), eine niedere landwirtschaft liche Lehranstalt (deutsch), 5 landwirtschaftliche Schulen m it halbjähri gem Unterricht (3 deutsch, eine tschechisch, eine polnisch).
Die Judikatur der obersten Gerichte Zur Frage der Landesüblichkeit der Sprachen besagt das Erkenntnis des Reichsgerichtes Nr. 1485 vom 17. April 1907 und Nr. 1601 vom 9. Juli 1908, daß die »tschechisch-slawische« Sprache in Schlesien und insbe sondere auch im Sprengel des Landesgerichtes Troppau und in der Ge meinde Troppau landesüblich sei. Ebenso erkannte das Reichsgericht mit Nr. 1485 (Gemeinde Katharein), daß die tschechische Sprache im Her zogtum Schlesien, und zwar im Bezirk Troppau, landesüblich sei und die Gemeinden daher Eingaben in einer in der Gemeinde landesüblichen Spra che annehmen und erledigen müssen, wobei das Recht der Partei auf den Gebrauch ihrer Sprache gegenüber einer autonomen Behörde auch durch ihre Kenntnis der Amtssprache nicht berührt werde. Mit Nr. 1623 vom 16. Oktober 1908 erkannte es jedoch, daß der Verzicht eines Parteivertreters auf eine Erledigung in der Sprache der Eingabe eine Verletzung der sprach lichen Gleichberechtigung durch einen die Sprache der Eingabe ignorie renden Vorgang der Behörde ausschließe (Gemeinde Poruba). In ähnlicher Weise hat der Verwaltungsgerichtshof mit Nr. 7277 A (Troppau) erkannt, daß Eingaben von autonomen Behörden nicht zurückgewiesen werden können, weil sie in einer Landessprache verfaßt sind, die in dem betreffen den Amtssprengel, wenn auch nur von einer geringen M inderheit gespro chen werden kann (im vorliegenden Fall 10%). Hierbei sei es unwesent lich, ob der Dialekt in Troppau sich von der tschechischen Schriftsprache entferne. Ähnlich erkannte der V. G. H. mit Nr. 7637 A (Troppau), wobei er auch »eine noch so geringe Minderheit« berücksichtigt wissen wollte. 174
Mit Nr. 1760 erkannte das Reichsgericht (Polnisch-Ostrau), daß der schlesische Landesschulrat berechtigt sei, für die Auszahlung der Lehrer gehalte bestimmte Quittungsformulare vorzuschreiben. Die behauptete Verletzung des Rechtes der Nationalität durch deren sprachliche Fassung (es gab nur deutsche, deutsch-tschechische und deutsch-polnische, nicht aber nur slawisch vorgedruckte Formulare) berechtigt nicht zur reichsge richtlichen Klage auf formularfreie Zahlung. Zur Frage der Errichtung von Schulen mit bestimmter Unterrichtsspra che liegen auch für Schlesien einige Erkenntnisse des V. G. H. vor, welche hierfür die schon oben erwähnten Erfordernisse zur Bedingung machen: Nr. 3484 (Dombrau), 9279 A (Peterswald), 9623 A (Polnisch-Ostrau), 9674 A (Freiwaldau) bezüglich der Errichtung kommt der Gemeinde ledig lich die Stellung eines Konkurrenzfaktors zu; ähnlich auch das Reichsge richt in Nr. 1440, betreffend Gemeinde Polanka, jedoch seien zur Anfech tung der Entscheidung der Schulbehörden bezüglich der Bestimmung der Unterrichtssprache immer nur die Gemeinden, nicht aber die einzelnen Gemeindemitglieder legitimiert (Nr. 5821: Wlastowitz; Hinweis auf das schlesische Schulerrichtungsgesetz). Von Bedeutung ist ferner das Reichs gerichtserkenntnis Nr. 265, welches das durch das Unterrichtsministerium erfolgte Verbot der Errichtung eines Privatgymnasiums mit tschechischer Unterrichtssprache in Troppau als eine Verletzung des Art. XVII des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger fest stellte (Recht auf Unterrichtsfreiheit). Der Oberste Gerichtshof hat mit Entscheidung Nr. 8011, Slg. GlaserUnger-Walter, vom 15. Juli 1880 dem Rekurs der polnischen Genossen schaft »Towarzystwo oszezedności i zaliczek« gegen die Abweisung einer deutschen Wechselklage beim Kreisgericht Teschen, welche sich auf einen polnisch geschriebenen Wechsel (ohne beglaubigte deutsche Übersetzung) stützte, unter anderem mit der Begründung Folge gegeben, daß dem Ge richtshöfe die polnische Sprache wohl nicht fremd sei. Im Widerspruch hierzu hat er jedoch mit Nr. 8218 vom 21. Dezember 1880 einen Rekurs der gleichen Klägerin in gleicher Sache verworfen, da eine beglaubigte Übersetzung in der Gerichtssprache beizulegen sei. Eine in der Sammlung nicht vorfindliche Entscheidung des O. G. H. vom 23. August 1909 (Fi schei, Sprachenrecht, S. CIX) erkannte, daß die oben erwähnten Gerichte (Troppau, Wagstadt usw.) zu Recht slawische Eingaben deutsch erledigen und das Grundbuch deutsch führen. 175
Es ist doch sicher so, daß sich ungemein wichtige Fragen für das Eigenleben der Nation oft völlig einer rechtlichen Regelung entziehen und nicht selten dem Gerechtigkeitswillen der M itbürger und der öffentlichen Organe oder der Entfaltungskraft ihrer selbst überantwortet bleiben. Österreichisch-Schlesien hat (1869) 513.352 Einwohner, oberster Verwaltungschef in unserem Kronland ist Hofrat Ritter von Merkl (1866-1868) und ab 1870 Alexander Freiherr von Summer. Sie tragen den offiziellen Diensttitel eines »Landespräsidenten«; 1870 wird auch Dr. Haase Landtagsabgeordneter. An Schulen gab es in unserem Kronland 1870: 214 = 49,7 % mit deut scher, 163 = 57 % mit tschechischer Unterrichtssprache und 65 = 13 % mit mehrsprachigem Unterricht. Der slawische Prozentsatz in der Bevölkerung war in der letzten 12 Jahren um rund 3 % angestiegen. In den nachfolgenden Zeilen sollen nun wieder die Geschicke unserer Heimatstadt und ihrer Schwester betrachtet werden.
Bielitzer Nachrichten In Bielitz wird im Jahr 1852 der fürstliche Schloßgarten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und am 18. August 1852 kann die evangelische Gemeinde den Erfolg Pfarrer Schneiders feiern und Turm und Glocken ihrer Kirche festlich einweihen. Am 13. Februar 1853 stirbt die Gemahlin unseres Fürsten, AnnaElisabeth, geborene v. Dietrich. Am 17. September 1855 wurde schon die nach ihr benannte St.-Anna-Schloßkapelle eingeweiht. Die 121 Quadrat meter große Kapelle wird von nun an Begräbnisstätte der Bielitzer Fürsten. (Das Schloß hat eine bebaute Grundfläche von 1.735 Quadratmetern.) Am 17. Dezember 1855 erhält Bielitz einen Eisenbahnanschluß, die Station erhält den Namen »Bielitz-Biala«. Noch 1855 fertigt sie 38.000 Reisende und 700.000 kg Frachten ab. Die Familie Schneider-Dux erkennt die Gelegenheit und baut vor dem Bahnhof das Hotel »Zur Nordbahn«. Für das Theaterleben ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß am 16. März 1857 der Theatersaal im Zunfthaus auf dem Niederring eröffnet wird, ein Vorhaben, das von einem Baukomitee unter Ing. Rost verwirk licht wurde. 176
In der Gemeinderatssitzung vom 5. Februar 1858 wird die Gründung der Stadtsparkasse nach ministerieller Genehmigung beschlossen. 1859 wird Pfarrer Dr. Th. Haase nach Bielitz versetzt. Er ist der kommende Schulmann unserer Stadt. Er findet in allen Bielitzer Schulen ganze 11 Lehrer vor, 17 Jahre später (1876) sind es bereits über 100! Bie litz wird ein Mittelpunkt der deutschen Kultur im nördlichen Österreich. Am 10. November 1859 wird die katholische Mädchenschule von der für Knaben und Mädchen bestimmten Schule getrennt, 1866 erhielt sie einen eigenen Neubau. Durch die liberalen Maßnahmen Minister Brucks erfolgt nun ein star ker Zustrom von Slawen in unsere Städte, und 1860 wird unser Schlesien wieder mit Mähren vereinigt; die Kreisbehörden stellen ihre Tätigkeit ein, und Bezirksämter übernehmen ihre Aufgaben. In Bielitz wird Karl Senne wald zum Bürgermeister und 1861 wird Pfarrer Schneider in den schlesi schen Landtag gewählt und von dort in das Wiener Parlament delegiert. Ab dem 29. März 1861, als Folge der Februarverfassung dieses Jahres, wird unser Schlesien wieder von Mähren getrennt und selbständig. Ein Handschreiben des Kaisers verfügte diese Maßnahme. Erster Landeschef wurde Graf Richard Belcredi bis 1863. 1865 wird der geborene Mährer und Klerikal-Feudale österreichischer Ministerpräsident. In Em sdorf wird 1862 eine Kuranstalt eröffnet. In Wien macht ein Bialaer von sich reden: Am 1. Januar 1862 gründet der Bialaer Adolf Kolatschek die täglich erscheinende Morgenzei tung »Der Botschafter« und gehört ihr als Hauptschriftleiter an. Sie er scheint bis 1865. Der Plesser Dr. Max Friedländer m ft 1864 ebenfalls in W ien die »Neue Freie Presse« ins Leben, die zur einflußreichsten Zeitung Österreichs wird. Er war jüdischer Abstammung und liegt auf dem Bielitzer evangelischen Friedhof begraben (Dr. Kaluza). Schon ein Jahr nach der Gründung des »Deutschen Sängerbundes« wird 1863 auch der »Österr.-schlesische Sängerbund« ins Leben gerufen. 1865 wird der »Bielitz-Bialaer Gewerbe-Verein« gegründet, und als einzige Stadt im Kronland erhält Bielitz am 1. September 1865 eine Filiale der österreichisch-ungarischen Nationalbank. Vom 10. bis 19. Juni 1867 findet in Bielitz als Ausdruck seiner eigen ständigen Industrie die erste Gewerbeausstellung statt. Deutsche Tuchma cher und Weber sind schließlich auch die Vorläufer der nun einsetzenden 177
Arbeiterbewegung. Deutsche gründen in Bielitz den Arbeiter-Bildungs verein »Harmonie«. Obzwar noch keine behördliche Genehmigung vor liegt, läßt man den Verein gewähren. Ihr Vorsitzender war Karl Lauter bacher. Am 14. April 1871 bildet sich der Verein in einen »ManufakturarbeiterFachverein« um und wird von der Polizei verboten, sein Vermögen be schlagnahmt. 1867 erhält Bielitz im Zuge der Verfassungsemeuerung auch sein neues Statut und damit sein Gemeindeamt, das den Namen »Bürgermei steramt« trägt. Bürgermeister ist M. Scholz, der ein Entgelt von 600 Gulden, sein Vertreter der Vizebürgermeister Morawitz, der ein Gehalt von 300 Gulden als Funktionszuwendung zugebilligt erhält. So verfügt es das »Schlesische Verordnungsblatt« Nr. 3 von 1870. Bielitz wird damit politi sche Instanz erster Ordnung. Prof. Stoy, ein Pädagoge und Organisator von bestem Ruf, erhält 1867 die Genehmigung zur Errichtung unserer evangelischen Lehrerbildungs anstalt, die 69 Jahre segensreich wirken sollte. Dann ist dieser Stachel im polnischen Auge für immer geschlossen worden (1936). Der österreichi sche evangelische Oberkirchenrat ist der Schutzherr dieser Anstalt bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Nach zweijähriger Bauzeit wird 1868 trotz des Krieges in Kurzwald die evangelische Kirche geweiht. Ihre Grundsteinlegung war am 8. Sep tember 1866 erfolgt. Ihre Gottesdienste wurden bis zum 20. April 1940 zweisprachig abgehalten, danach nur noch deutsch. Am 29. Juli 1868 erscheint das Gesetz über die Gründung von Handels und Gewerbekammem in Österreich, ein für Bielitz sehr wichtiges Gesetz, da es auch die Schaffung unserer Bielitzer Handelskammer nach sich zieht. Bielitz hat 1869 10.721 Einwohner, und das Stadtbudget beträgt 1870 46.753 Gulden, die Ausgaben der Stadt 37.593 Gulden.
178
Nur ganz kurz sei noch auf die Belange der Bielitzer Fürstenfamilie Sul kowski eingegangen. Es sind zwar keine Ruhmesblätter, die da erworben wurden, aber man sollte sie doch festhalten. Ein für Bielitz gesellschaftlich erstrangiges Ereignis ist die Vermählung unseres Fürsten Josef-Maria von Sulkowski mit der nicht standesgemäßen Victoria Lehmann, der Gouvernante seiner jüngeren Schwester. Victoria Lehmann ist jüdischer Abstammung.
Die Entwicklung steht aber auch sonst nicht still in unserer Heimat: Seit dem 4. Juli 1874 ist unsere Gewerbeschule verstaatlicht. Einer ihrer Schü ler war der spätere Chef der deutschen Marineleitung, Admiral Zenker, ein geborener Bielitzer. Am 10. Juli 1875 wurde das erste Abitur an der Oberrealschule in Bielitz abgenommen, und ein Jahr später wird diese Anstalt verstaatlicht. Erster Direktor der verstaatlichten Schule wird bis 1887 Karl Ambroży. Im Jahr 1875 wird auch das Bielitzer Schlachthaus in Betrieb genom men: Es hat 1.507 qm bebaute und 1.888 qm unbebaute Flächen, zusam men 3.395 qm Grundfläche. Für Rinder, Kälber, Schweine, Schafe, Ziegen und Pferde bestand Schlachtzwang. Das Schlachthaus war in einem Hal lensystem erstellt und mit Kühlanlage, Eisfabrik, Gedärmewäsche, Frei bank und einer Kafillerie ausgestattet. 1910 wurden geschlachtet: 3.186 Rinder, 3.244 Kälber, 3.044 Schweine, 89 Ziegen und Schafe. Ständig tätig waren darin ein Beamter und drei Arbeiter. Im Jahr 1876 werden alle Straßen und Plätze gemäß Gemeinderats beschluß nach verdienten Männern unserer Heimat benannt, und für die bessere Beleuchtung der Wege werden 12 Öllampen installiert. Die ge samte städtische Straßenbeleuchtung kostet jährlich 3.447 Gulden. Dr. Haase wird Reichsratsabgeordneter in W ien und vertritt dort die Interessen des Teschener Schlesien mit Ausnahme von Teschen und Frei stadt. Im Juni 1876 verläßt er Bielitz, wo er 1873 bis 1876 Gemeinde ratsmitglied war. Nun wird er Ehrenbürger unserer Stadt. 1877 beginnt man mit den Arbeiten für die Verlängerung der Eisen bahnlinie nach Saybusch. Die Kaiser-Franz-Josef-Straße hieß damals noch »Tunnel-Straße«, sie wird in der Folgezeit großzügig und kostspielig aus gebaut. Unsere späteren Vororte Altbielitz und Alexanderfeld besitzen Gemeindegebietsflächen von 1.264,4 bzw. 521,5 Hektar. 179
1876 wurde eine deutsche Bibliothek des »Volksbildungsvereins für Bielitz-Biala und Umgebung« gegründet, die 1910 1.972 Bände umfaßte und 423 Entleiher mit 9.810 Entnahmen nach außerhalb verzeichnete (Ausleihdienst). 1.306 Kronen Einnahmen und 1.225 Kronen an Ausgaben fielen an. 1879 erteilte der Magistrat der Stadt Bielitz die Bauerlaubnis für eine jüdische Synagoge, die durch Karl Korn erstellt wurde. Und nun weiter mit den Bielitzer Ereignissen, Erneuerungen, Grün dungen und Wandlungen in der Industrie unserer Städte: Am 24. M ai 1869 ergeht ein österreichisches Grundsteuergesetz, und eine Novelle dieser Reinertragsteuer, nach Kulturgattungen gestaffelt, wird am 17. Juni 1881 erlassen. 1870 gründete man auch eine Zweiggruppe Bielitz des »Deutschen Schulvereins«, die aber Anfang 1873 ihre Tätigkeit einstellte. 1873 entstand ein polnischer Leseverein. Unser Pfarrer und Abgeordneter Schneider wird im Jahr 1871 mäh risch-schlesischer Superintendent. Im selben Jahr wird in W ien die »Deutsche Zeitung« gegründet, in deren Redaktionsstab auch Gustav Zelicka sitzt, der früher in Bielitz und Biala als Lehrer tätig war. M odem wird auch das Grundbuchwesen umgestaltet, es ist vorbildlich in seiner Exaktheit. Am 12. März 1871 wird Franz Michejda aus Olbracht bei Teschen evangelischer Vikar in Bielitz. Die Polen vermerken zu seiner Person, daß er »ein Patriot und Vorkämpfer für sein Volk« war, und im gleichen Jahr kam auch das Gerücht auf, daß die Polen bestrebt seien, das Teschener Land und das Herzogtum Bielitz mit Galizien vereinigen zu wollen. Das gab auf beiden Seiten Ärger, am meisten natürlich im deutschen Bielitz. Die deutsche Stadt Biala richtet ihrerseits wiederum eine Eingabe an das österreichische Parlament mit der Bitte, ihr Gebiet in das Herzogtum Schlesien einzuverleiben. Beide Unternehmungen bleiben ohne Erfolg. Im Frühjahr 1872 waren es 100 Jahre geworden, daß die Polen ihre staatliche Selbständigkeit verloren hatten. In dieses Jahr fällt auch der erste Versuch der Arbeiterschaft, ihre Lebensbedingungen verbessern zu wol len. Es gab Streiks, Gewalttätigkeiten, man schoß, und es floß zum ersten mal Blut. Um die Ordnung zu straffen, tritt in Österreich das neue k. u. k. M ilitärstrafgesetz in Kraft. Wie war es denn damals? 12 bis 14 Stunden wurde täglich gearbeitet, der Anmarschweg erforderte 2 bis 4 Stunden. Das 180
sollte geändert werden. Dazu der kleine Lohn, keine Zeit zum Kochen, man verlangte Schlafmöglichkeiten für die Nacht, eine Verbilligung der Eisen bahnpreise und ersuchte um den Ausbau der Krankenkassenhilfe und der Unfallversicherungen. Endlich wurde der Wunsch nach Lohnerhöhungen immer lauter. Wie groß war denn unsere Textilindustrie damals? Nun, es liefen 78.760 Spindeln für die Schafwollspinnerei, 2.570 Hand- und 487 mecha nische Stühle für die Weberei sowie 7 Lohnwalkereien. 150 Walkmaschi nen, 26 Imprägniermaschinen, 98 Waschmaschinen und 11 Lohnfärbereien waren da. Für die Tuchappretur waren 150 Rauhmaschinen, 278 Scher maschinen, 50 Maschinen für das Putzen und Absetzen, 45 Pressen, 10 Rähmmaschinen. Betrieben wurde das alles durch 52 Dampfmaschinen, 33 W asserwerke sowie durch 7.450 Arbeiter in 31 Fabriken. Von 290 selbständigen Schafwollwaren-Erzeugem wurden 158.800 Stück Tuch im W ert von 13,163 Millionen Gulden hergestellt. 1873 tritt für die österreichische Industrie, besonders für unsere Woll industrie, eine Krise ein; Bielitz spezialisiert sich, um auf breiterer Basis zu stehen, auch auf den Bau von Textilmaschinen, man wirbt und man zeigt, was man hat: Im August des Vorjahres hielt man in der Schießstätte eine Ausstellung für die Gewerbewirtschaft ab. Über 1.000 Ausstellungs stücke werden gezeigt. Die Polen nützen diese Gelegenheit und halten ein Treffen polnischer Feuerwehren ab. Am 11. November 1872 wird in Teschen der polnische Schulverein gegründet, die Deutschen von Bielitz gründen im gleichen Jahr einen pädagogischen und einen Veteranenverein. Ab 1. Januar 1873 nimmt das neugeschaffene Gewerbegericht in Bie litz seine Tätigkeit auf, das sich mit der Schlichtung von Arbeiter- und Arbeitsangelegenheiten zu befassen hat und den heutigen Arbeitsgerichten entsprechen würde. Ab 1873 unternimmt der österreichische Staat gewaltige Schritte nach vorne und führt schrittweise das »metrische System« ein.
181
Die Umstellung auf das metrische System Das Jahr 1876 brachte uns eine beschwerliche Umstellung im täglichen und beruflichen Handeln. Durch Gesetz wurden die zum Teil uralten Maßeinheiten auf das moderne metrische System übergeleitet. Übergelei tet schon deswegen, weil es einfach unmöglich war, das Alteingefahrene plötzlich abzuschaffen. Bis in unsere Tage haben sich einige der alten Maßeinheiten ja noch erhalten können. Da waren die Längenmaße: 1 Meile (Postmeile) mit 2.000 Ruten = 7,58 km; 1 Klafter = 6 Fuß = 1,89 m; 1 Elle = 0,77 m; 1 Fuß = 3 Faust = 12 Zoll = 0,31 m; 1 Zoll = 4 Strich = 12 Linien = 2,63 cm; 1 Linie = 2,19 mm oder die Flächenmaße, die wir zum Teil auch noch gut kennen: 1 Quadratmeile = 57,56 qkm; 1 Joch (Katastraljoch) = 57,55 a; 1 Qua dratklafter = 3,59 qm; 1 Quadratfuß = 999,06 qcm und dann die Raummaße für Holz: 1 Kubikklafter = 6,82 cbm; 1 Kubikfuß = 31,58 cdm. Endlich die Hohlmaße für Flüssigkeiten: 1 Fuder = 32 Eimer = 18,11 hl; beim Wein: 1 Faß = 10 Eimer = 5,66 hl; beim Bier: 1 Faß = 2 Eimer = 85 Maß = 1,13 hl; 1 Eimer = 40 Maß = 56,6 Liter; 1 Maß = 2 Halbe = 6,411; 1 Halbe = 2 Seitei = 0,701; 1 großes Seitei = \ yh Seitei = 0,53 1; 1 Seitei = 0,35 1 (wurde auch Seidel genannt). Schließlich die vielen Gewichte: 1 Last Wolle (für Bielitz besonders interessant) = 1 Last Federn = 20 Wiener Zentner = 1,12 Tonnen; 1 Wiener Zentner = 100 W iener Pfund = 56,0 kg; 1 W iener Pfund = 32 Lot = 560,0 Og; 1 Lot = 4 Quentchen = 17,5 g; 1 Quentchen = 4 Sechzehntel (Pfennig) = 4,31 g; für Gold: 1 Gran = 58,17 mg, und xl\ des alten Karatgewichtes für Juwelen und Edelsteine nannte man ebenfalls 1 Gran = 51,52 mg. All das konnte nun vergessen werden, soweit das in der Praxis durch zuführen war, und an die Stelle dieser Einheiten trat das (der) Meter, das Kilogramm, das (der) Liter. 182
In Deutschland war das metrische System zum 1. Januar 1872 und bei uns in Österreich zum 1. Januar 1876 eingeführt worden. Die Stufenleiter der Maßeinheiten zu den vier Grundmaßen bildete man durch Vorsetzen griechischer Zahlwörter: Deka für 10, Hekto für 100, Kilo für 1.000, und Myria für 10.000 Grundeinheiten. Durch Vorsetzen lateinischer Zahlwörter - Dezi für Zehntel, Zenti für Hundertstel und Milli für Tausendstel - wurde nach unten geteilt. In unseren Geschäfts- und Amtsstuben rauchten die Köpfe noch lange Zeit.
Unsere Wirtschaft Damals wie heute war das Kernproblem unseres Lebens, unserer Industrie, des Handels, des guten wie des schlechten Lebens schlechthin, die Wirt schaft. Sie war auch das Stimmungsbarometer. Unser Staat hatte im 19. Jahrhundert fünfmal den Staatsbankrott erklärt, allein 1811 sank der Nennwert der Konventionsmünze auf fast ein Fünftel des bisherigen Wer tes ab, und 1811 wie 1813 wurde bei uns das »Scheingeld«, eine Art österreichisches Papiergeld, ausgegeben und damit bezahlt. 1816 wurde die österreichische Nationalbank gegründet, deren alleiniges Recht es war, Geldnoten auszugeben, die allerdings einen Zwangskurs besaßen, bis 1893 die Goldwährung eingeführt wurde. 1848 hatte sie wegen zu großer Kre dite, die sie dem Staat gegeben hatte, ihre Zahlungen eingestellt, nachdem schon die Jahre vorher Krisen und Hungerwinter, Streiks und schwere Arbeiterunruhen gebracht hatten. Die Bemühungen des Nationalökono men List schlugen fehl, und sein Selbstmord bei Kufstein war symbolisch für den damals herrschenden Dualismus im deutschen Sprachraum. Die Finanznöte von Staat, Ländern und Gemeinden zogen sich noch weitere Jahre hin, man suchte nach Möglichkeiten, sie zu bannen. Seit 1849 gab es bei uns die Einkommensteuer, seit 1850 die »Allgemeine deutsche Wech selordnung« in Österreich, wodurch wenigstens die Einheitlichkeit im gesamtdeutschen Handelsrecht erzielt wurde, bis zum 1. Januar 1900 war auch das »Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch« für Deutschland und Österreich gleichermaßen gültig, und seit 1863 gab es auch schon das Handelsregister bei uns. W ir lebten bislang noch nach der einheitlichen Reichspolizeiordnung des Heiligen Römischen Reiches von 1530, welche für Sicherheit und 183
Ordnung sorgte, Sittenlosigkeit und den Luxus eindämmen und den Volks wohlstand heben sollte. Am 1. Juni 1811 erhielten wir das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, das mit 1.502 Paragraphen kürzer als das deutsche war, aber erst 1896 wirklich herauskam. 1833 waren bei uns die Postsparkassen und der Scheckverkehr einge führt worden, 1848 wurde die Österreichische Akademie der W issenschaf ten gegründet und am 6. März 1849 das Gemeindegesetz fertiggestellt. 1852 ergingen das neue Reichsforstgesetz, ein allgemeines Strafgesetz (27. Mai) und ein Vereinsgesetz für auf Gewinn berechnete Vereine (26. November). Danach konnte bei betrügerischer Schädigung oder Be günstigung und mangelhafter Buchführung eingeschritten oder Geschäfts aufsicht verfügt werden (§ 205). Vom 23. Mai 1854 stammt ein neues österreichisches Berggesetz, vom 7. Dezember 1854 ein Musterschutzgesetz und vom 20. Dezember 1859 eine neue Gewerbeordnung in Österreich. Vom Jahr 1861 an bestand Konzessionszwang bei uns. Schließlich gelang die Sanierung der Staatsfinanzen, allerdings nur für kurze Dauer. Kurz darauf werden die Zahlungen eingestellt, Geldentwertung tritt ein, Tausende Familien verlieren ihr Vermögen. Die österreichischen Staats papiere fallen in Frankfurt von 81 Gulden im Januar auf 38 im April des Jahres 1859, und die österreichische Staatskasse schließt das Jahr mit einem Verlust von 280 Millionen Gulden ab. Die Steuerrückstände waren größer als die Eingänge. Man legte 1860 eine Anleihe von 200 Millionen Gulden auf, die aber nur bis 76 Millionen Gulden gezeichnet wurde. Alle Maßnahmen änderten nichts am Zusammenbruch. 1864 ist Österreichs Finanzlage ruiniert. Die Staatseinnahmen steigen zwar, aber politisch und militärisch gibt es schwere Einbußen. 1859 geht die Lombardei, 1866 Venedig verloren. Damit verliert Bielitz ein mühsam aufgebautes Absatz gebiet. Unser Schlesien wird aus Kostengründen 1860 mit Mähren verei nigt. 1863 bis 1869 entstehen die österreichischen Großbanken mit Hilfe von französischem, englischem und belgischem Kapital, jedoch tritt schon ab 1864 der finanzielle Ruin in Österreich ein. Man schließt den österrei chisch-deutschen Zollvertrag, aber der irrsinnige Krieg gegeneinander kann nicht mehr abgewendet werden. 184
Für Bielitz ist auch das am 5. März 1862 fertiggestellte Reichsge meindegesetz von Wichtigkeit, auf Grund dessen die einzelnen Länder »Gemeindeordnungen« beschließen. Die sogenannte »Zuständigkeit« wird durch den Wohnsitz nicht erworben, aber ein zehnjähriger Aufenthalt berechtigt zum Anspruch auf Verleihung derselben, der auch von der Heimatgemeinde geltend gemacht werden kann. Am 1. September 1865 eröffnet die österreichische Nationalbank ihre Filiale in Bielitz. Bielitz ist die einzige Stadt im ostschlesischen Teilstück, die eine solche besitzt. Das Jahr 1867 beschert uns ein freiheitliches Vereins- und Versammlungsgesetz und ein solches für die Presse. Seit diesem Jahr sind wir auch die »Österreichisch-ungarische Mon archie«. Unser Staat wird nach dem dafür erlassenen Staatsgrundgesetz dualistisch gestaltet. Gemeinsam werden nur die Finanzen, das Auswärtige und die Heeresangelegenheiten behandelt. Österreich trägt 70% , Ungarn 30% der Staatslasten. Für Österreich bedeutet diese Umwandlung ein Absinken des Einflusses im Staat, dazu wollen nun nach den Ungarn auch die Slawen ihre eigenen staatlichen Gebilde haben. Im Jahr 1861 begeh ren zum Beispiel die Slowaken im sogenannten M emorandum von TurtzSt. Martin ihre »Oberungarische slowakische Provinz«, jedoch ohne Er folg. Die neue Staatsverfassung war als gemäßigt zentralistisch anzusehen. Von nun an gibt es in Österreich Landtage, für den schlesischen ist Troppau der Amtssitz, das auch Landeshauptstadt ist. Der amtierende Ministerpräsident wird nun »Reichskanzler«. Es ist Graf Friedrich Ferdinand Beust, der am 24. Dezember 1857 aber für neun Monate durch Fürst Karl von Auersperg abgelöst wird. Seit 1867 sind bei uns auch ein »Vereinsgesetz für Idealvereine« und ein »Vereinsregister« wirksam. Seit 1869 gibt es bei uns die allgemeine Schulpflicht. Nach dem ReichsvolksSchulgesetz trägt der Staat die Lasten für Lehrerseminare, die Lehramtskandidaten und die Lehrerfortbildung. Jene für die Volksschulen trägt die Ortsgemeinde, und nur zum geringen Teil hilft das Land mit. Die Bildung von Landwehren wird gemäß Landesgesetzen vorge schrieben. Bei uns in Schlesien kommt am 13. Mai 1869 ein solches Ge setz heraus. Die Grundsteuer wird laut Gesetz vom 24. Mai 1869 eingeführt, und ein Reichssanitätsgesetz gibt es seit 1870, das aber zahlreiche Unklarhei ten bezüglich der Kompetenzen in sich birgt. Vom 25. Juli 1871 stammt 185
das »Allgemeine Grundbuchgesetz« in Österreich und vom 9. April 1873 das österreichische Genossenschaftsgesetz. Es gibt Polizeiaufsicht oder Überwachung durch die Bezirkshauptmannschaft bis zu zwei Jahren. 1873 entsteht, wie schon angedeutet, eine neue Finanzkrise für unseren Staat. Rothschild vereinigt die zahlreichen kleinen Steinkohlengruben felder in Österreichisch-Schlesien, und in Wien entsteht die »Österrei chisch-Ungarische Nationalbank«, die eine private Aktiengesellschaft mit Monopolrecht auf Notenausgabe darstellt. 1878 wird ein M eistbegünsti gungsvertrag mit Deutschland abgeschlossen.
Eiliger Blick nach Galizien Dort haben sich die Verhältnisse im Verlauf guter zwanzig Jahre ganz entschieden geändert. Die »unterdrückten« Polen hatten im ausdauernden Kampf mit allen Mitteln ihr Los zu ändern versucht, und sie hatten schließ lich Erfolge zu verzeichnen, die sie zum Beispiel in Rußland nicht annä hernd erreichen konnten: 1846 entbrannte ein Aufstand in Galizien, bei welchem es nicht ohne Blutvergießen abgeht. Der österreichische Militärkommandant General Collin muß sich nach Fraustadt/Wadowitz zurückziehen, und der Statthal ter wird gewechselt. Agenor Goluchowski kommt. Alle Beamten, denen das Land fremd war, entläßt er. Damit müssen alle deutschen Beamten fort. Im gleichen Jahr annektiert Österreich auch den »Freistaat Krakau«, einen Unruheherd, und handelt sich damit zusätzlich Nationalitätsproble me ein, was dazu zwingt, sich an Rußland anzulehnen. Im benachbarten Kronland Galizien, zu welchem ja noch die Hälfte der Bielitzer Sprachinsel gehörte, bringt die neue Verfassung für die Polen enorme Vorteile. Die verlangte Selbstverwaltung ist praktisch erreicht. Das Polnische ist Unterrichtssprache in Volks- und Mittelschulen geworden. Das Land wird in Bezirkshauptmannschaften unterteilt. Der Pole Agenor Graf Goluchowski wird Statthalter. Er, der sich ausschließlich auf das Vertrauen stützt, das er bei Hofe besitzt, schuf das polnische Beamtentum in Galizien. Für die Deutschen dort bedeutet das alles nichts Gutes. Sie erhalten keine deutschen staatlichen Schulen mehr, obwohl alle ja bis 1867 deutsch waren. Für das Deutschtum des nachbarlichen Galizien war die Verfassung ein schwerer Schlag. Selbstverständlich sind die deutschen 186
Schulen unserer Sprachinsel, soweit sie jenseits der Białka liegen, auch betroffen. Alle deutschen Schulen werden geschlossen, während die Zahl der polnischen zusehends wächst. Dazu spricht das galizische Landes schulgesetz nur von polnischen und ruthenischen, nicht aber von deutschen Schulen. Kein Wunder, daß mindestens 200 Gemeinden keine deutschen Schulen mehr erhielten. Auch die deutsche Schule in W ilmesau wird verstaatlicht und damit polonisiert. Diese katastrophale Entwicklung für die Deutschen in Galizien wurde als Folge des galizischen Landesschulgesetzes vom 22. Juni 1868 ausge löst, das wiederum als Folge des österreichischen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 beschlossen werden konnte. Das einzige, was bleibt, ist der Gebrauch der deutschen Sprache im Verkehr mit den Zentralstellen in Wien und den Militärbehörden. Seit 1870 ist auch der Lehrbetrieb an der Universität in Krakau nur noch polnischsprachig. Die Lemberger Universität war hingegen noch bis 1871 bzw. 1879 deutschsprachig.
Zusammenfassung 1835 bis 1879 Das Ausscheiden Österreichs aus dem festen Rahmen des Heiligen Römi schen Reiches Deutscher Nation und die Ausrufung des »Kaisertums Österreich« haben nicht nur das Gesamtdeutschtum in seinem Zusammen halt gelockert - eine unseren Nachbarn sicherlich recht willkommene Tatsache - , sondern auch die slawischen Völker des deutschen Kraftfeldes ermuntert, sich von der deutschen Führung zu lösen. War nun, so muß man sich fragen, der unselige deutsche Dualismus für das gesamte Volk richtig? Den deutschen Streit machten sich vor allem die Polen, Slowaken und auch die Tschechen zunutze. Sie wollten den Deutschen gleichwertig sein. Herders Gedanken wirkten besonders bei den Slowaken und Tschechen, indem der Nationalismus bei ihnen geweckt wurde. Der Slowake Johann Kollar (1793-1852), einst Student in Jena, schrieb, nachdem er dort Herders Ideen und die deutsche Romantik kennengelemt hatte, in deutscher Sprache sein erstes Werk »Über die litera rische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Völker« (Pest, 1837). Es war das Evangelium des frühen Panslawismus. Palatzky tat das Seine für die Tschechen, Sze187
chenyj für die Madjaren, Jelatschitsch für die Kroaten und Mickiewicz für die Polen - neben vielen anderen. Während Polen, Ungarn und Slowaken eigene Staaten wollten, glaub ten die Tschechen und Kroaten ihren Rahmen innerhalb der Habsburger monarchie zu sehen. Palatzky sagte, wenn sie noch nicht bestünde, müßte sie geschaffen werden. Das klingt heute schlecht in tschechischen Ohren, ist aber nicht wegzuleugnen. Neben den verschiedenen Glaubensrichtungen trat nun auch das natio nale Moment zusätzlich trennend hervor. Das ergab schlechte Aussichten, nicht nur für unsere Grenzlandheimat, sondern auch für das gesamte Deutschtum in den beiden Großmächten Preußen und Österreich, dessen unwiderstehliche Kraft seines Einheitswillens den Slawen als Vorbild galt. Der deutsche Revolutions sturm hatte Metternich seiner Machtstellung entkleidet, und der ganze deutsche Sprachraum sandte seine Vertreter nach Frankfurt. Schon in den Märztagen konnten sich die Gesandten der deutschen Staaten in Frankfurt dem Druck der Revolution nicht entziehen. Sie muß ten den alten Reichsadler als Bundeswappen und die Farben Schwarz-RotGold für das Bundesbanner anerkennen. Noch im März nahm ein deutsches Vorparlament, das aus den Vertrauensmännern aller deutschen Stämme gebildet war, seine Beratungen auf. Aus ihrer Mitte kam der Anstoß zur Wahl der ersten deutschen Nationalversammlung. Die W ahlen sollten in allen Ländern und Provinzen, die zum Deutschen Bund gehörten, statt finden. Unter Glockengeläute und Böllerschüssen trat am 18. Mai 1848 die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt zusammen und wählte Heinrich von Gagem zu ihrem ersten Präsidenten. Man setzte zunächst eine provisorische Reichsregierung ein, an deren Spitze Erzher zog Johann von Österreich als Reichsverweser berufen wurde. Vornehm ster Beratungspunkt des Parlamentes war die Schaffung einer Verfassung. Dabei war die Stellung Österreichs in einem künftigen Bundesstaat wegen seiner überwiegend nichtdeutschen Bevölkerung ein äußerst schwieriges Problem. An dieser Frage schieden sich im Parlament zwei Parteien: die Großdeutschen, die für ein Verbleiben Österreichs im deutschen Staats ver band eintraten, und die Kleindeutschen, die einen stärker unitarisch ausge richteten deutschen Bundesstaat unter der Führung Preußens wünschten. 188
Bei der entscheidenden Abstimmung erreichten die Kleindeutschen eine schwache Mehrheit. In Wien, wo seit Juli die österreichische Nationalversammlung tagte, kam es zu Barrikadenkämpfen. Anlaß dazu bot das Eingreifen der kaiserli chen Armee gegen die aufständischen Ungarn, wogegen die revolutionär und liberal Gesinnten in Wien protestierten. Der kaiserliche H of sah sich gezwungen, sich nach Olmütz zurückzuziehen. W ien wurde von General Windischgraetz belagert und schließlich erobert. Die Rädelsführer des Aufstandes wurden hingerichtet, wobei man auch die Immunität des Frankfurter Abgeordneten Robert Blum nicht achtete. Dam it war die Re volution in Wien endgültig niedergeschlagen. Durch kaiserliches Patent verlegte der Reichstag seine Sitzungen in die Sommerresidenz des Fürstbischofs von Olmütz nach Kremsier. Dort konn ten die Abgeordneten in der Ruhe des abgeschiedenen mährischen Fandstädtchens eine Verfassung für das Kaisertum Österreich ausarbeiten. Zu Ende des Sturmjahres bestieg Kaiser Franz-Josef I. den Thron. In zwei Kriegen verlor er Österreichs Führung in Italien und dann in Deutsch land. 20 Millionen Taler mußten allein an Preußen gezahlt werden, Venetien ging an Italien verloren, und 1867 wurde der »Norddeutsche Bund« gegründet. Wohl kein gekröntes Haupt Europas war dann auch noch von so viel menschlichem Unglück betroffen. Gleichzeitig wuchs von Jahr zu Jahr aber immer mehr das panslawistische Sendungsbewußtsein Rußlands. Aus dem Wunsch, alle Slawen zu sammenzuschließen, wurde kein Hehl gemacht. Der Himmel verdüsterte sich zunehmend. Unsere Heimat, der österreichische Teil von Schlesien, gehörte zur »cisleithanischen« Reichshälfte der Monarchie, die von zwei Kammern, dem »Herren-« und dem »Abgeordnetenhaus«, regiert wurde. Im ersten saßen die kaiserlichen Prinzen, der grundbesitzende Adel, neun Erzbischö fe, acht Fürstbischöfe und einzelne hervorragende M änner, die der Kaiser in das »Haus« berief. Im »Abgeordnetenhaus« saßen die nach vier Wähler klassen (Zensusklassen) in allen Fändem gewählten Abgeordneten (Groß grundbesitzer, Städte, Handels- und Gewerbekammem, Fandgemeinden). In der ungarischen Reichshälfte lebten zwei M illionen Deutsche. Sie waren nun dem Schutz Wiens entzogen und der M adjarisierung ausgelie fert. In der österreichischen Reichshälfte lebten 10 M illionen Deutsche, 6,5 Millionen Tschechen, 5,0 Millionen Polen, 3,5 M illionen Ukrainer, 189
1,3 Millionen Slowenen, je 0,8 Millionen Kroaten und Italiener und 0,3 Millionen Rumänen. Das waren also 10 Millionen Deutsche gegen 18 Millionen Fremdspra chige! Zunächst regierten noch die Deutsch-Liberalen, dann liefen die anderen Sturm: Die Tschechen, Polen, Slowenen und alle anderen verlang ten ähnliches, wie es die Ungarn schon erhalten hatten. Schließlich wurde es zur Gewißheit für die Deutschen Österreichs, daß es selbst mit den süddeutschen Ländern keine staatliche Vereinigung mehr geben würde. Man versuchte, mit den Tschechen zu einem Einklang zu kommen; diese aber verlangten einen »Böhmischen Generallandtag«, dem auch Mähren und unsere schlesische Heimat zugehören sollten. Der schlesische Landtag protestierte energisch und erfolgreich gegen dieses Ansinnen, worauf die Tschechen sich weigerten, im Wiener Reichstag mitzuarbeiten. Aber was nun folgte, war auch nicht verheißungsvoll für unser Deutschtum. Das Verhältnis zu Rußland kühlte sich weiter ab. Spannungen über Spannungen im Innern und auch nach außen. Das war nun die Lage, wie wir sie am Ende dieses Berichtsabschnittes vorfinden. Das waren aber auch die Schwierigkeiten, mit welchen wir in unserem Ländchen fertig werden mußten. Schwierigkeiten, von welchen der »Reichsdeutsche« kei ne Ahnung haben konnte. Aber dort, wo im Reich Nichtdeutsche lebten, gab es auch derartige Unzulänglichkeiten, die beachtliche Teile der Le benskraft des Staates in Anspruch nahmen. Damit wollen wir den Abschnitt über die Jahre 1835 bis 1879 be schließen und uns einem neuen zuwenden, der von 1879 bis 1920 gefaßt sein soll, ein Abschnitt, der unter anderem die traurigste Epoche beinhaltet, welche unsere Heimat in den ersten zwei Jahrzehnten des neuen 20. Jahr hunderts erdulden mußte.
Erfindungen und Entdeckungen der Jahre 1880 bis 1889 Mit der neuen Berichtsepoche stehen wir auch an der Schwelle eines für die Forschung sehr erfolgreichen Abschnittes. Da ist das Jahr 1880, das die Entdeckung des Leprabazillus und des Typhuserregers durch G. H. Hansen bzw. Ebert, Koch und Gaffky bringt. 190
Im Jahr 1881 stellt Siemens & Halske die erste elektrische Straßen bahn vor, das Jahr 1882 läßt Robert Koch den Tuberkelbazillus finden, im nächsten findet er den Choleraerreger. H. St. Maxim baut sein M aschinengewehr und Daimler sein Motorrad. 1884 stellt Ch. Parsons seine Dampfturbine fertig. Im nächsten Jahr kann man das autogene Schweißen anführen, H. Bauers Druckknopf, Daimlers Benzin-Auto und Dunlops Luftreifen. Nicht vergessen seien auch die Schallplatte von E. Berliner aus dem Jahr 1887 und der Drehstrommotor von Tesla. Das ist ein breiter Fächer von neuen Möglichkeiten, das Leben der Menschen zu verbessern und auch zu verlängern. Vielen bisher unheilba ren Krankheiten konnte der Schrecken genommen werden. Im Jahr 1881 war der erste Telefonverkehr in W ien aufgenommen worden, und vier Jahre später gab es dort schon 3.400 km Leitungslänge. (Tschemowitz hatte schon 1854 seinen Telegrafenanschluß erhalten, nicht zuletzt aus strategischen Gründen, und 1869 war schon eine private Telegrafengesell schaft für Wien und Umgebung ins Leben gerufen worden.) Eine erstaunlich große Zahl von Entdeckungen und Erfindungen in einem einzigen Jahrzehnt. Auch Bielitz steht in diesem Jahrzehnt im Aufwind einer länger anhal tenden Konjunktur, die Produktionszahlen erreichten noch nie erzielte Höchstwerte. Man steigert in diesen zehn Jahren von etwa 300.000 Stück auf fast eine halbe Million Stück Tuch. Das Wirtschaftszeitalter ist auch in unsere Heimat mit Macht eingezo gen. W ir wollen einen kurzen Blick auf jene Erzeugnisse werfen, die zu gleich mit der fortschreitenden Industrialisierung von entscheidendem W ert sind. Östlich von uns beginnt im Karpatenvorland ein Naturprodukt seinen Weg in die Zukunft anzutreten.
Das Öl Dieses Produkt mit seiner eigenartigen Geschichte beginnt jetzt, »Epoche« zu machen. Es ist seit alters her bekannt, aber lange verkannt worden. Im Jahr 220 vor Christus läßt ein Kaiser der Dynastie Tschin in China nach Salz bohren, man findet aber Öl. Man findet auch Raffinationsmethoden man kochte es und entzündete die Dämpfe - , doch die Quellen versiegen 191
alsbald, das seltsame Produkt gerät wieder in Vergessenheit. Tausend Jahre später, etwa um 800 nach Christus, wird wieder Öl gefunden: bei Baku. Man findet auch wieder Reinigungsmethoden, man erfindet Lampen, aber auch diesmal gerät alles wieder in Vergessenheit. Aus dem Jahr 1546 wissen wir, daß man bei Celle »Erdpech« fand, das im Lande als beste »Wagenschmier« galt. 1550 konstruiert Hieronymus Cardanus eine Öllampe, 1640 findet der Spanier Don Alvaralfonso Barba Öl in Peru, das als Heilmittel Verwendung findet. 1669 wird bereits ein Ölvorkommen auf Sumatra entdeckt, und 1680 gewinnt J. J. Becher durch trockene Destillation Gas, das er entzündete. Er war es, der sich auch um die Herstellung von Koks und Teer aus Steinkohle bemühte. All das war damals noch völlig ohne Bedeutung. 1765 konstruiert Große seine Pumpenlampe, 1783 kennt man schon den hohlen Runddocht, ein Jahr später den Flachdocht. Ihn führte Leger in Paris ein. 1792 be leuchtet Murdock sein Haus und seine Werkstatt in Redruth (Cornwall) mit Steinkohlengas. 1801 gewinnt die Gasbeleuchtung durch W inzler aus Znaim großen Aufschwung, 1807 konstruiert Rivas den ersten, aber noch lange ohne Bedeutung bleibenden Kraftwagen mit einem Explosionsmotor. Es dauert fast noch 80 Jahre, bis Daimler den Durchbruch erzielt. 1811 beleuchtet Lampadius einen Teil von Freiberg (Sachsen) schon mit Gas, und noch weitere zwei Jahre soll es dauern, bis dann Öl und Gas endlich der Rang als alleinige Beleuchtungsmittel abgelaufen wird. (1813 entdeckt Davy die elektrische Bogenlampe.) 1817 und 1818 macht Prechtl Beleuch tungsversuche in Wien, wo ab 1833 diese Beleuchtungsart eingeführt wird. Um 1800 findet Carel seine Uhrlampe und seit 1833 Franchot seine »Moderateur-Lampe«, und auch seit 1833 kennt man die Dampflampe - aus sehr flüchtigen Flüssigkeiten betrieben. 1833 gelang es Prof. Mitscherlich, durch die thermische Spaltung von Benzoesäure den Grundstein für die später so berühmte »Petrochemie« zu legen. Das ist also der Stand der Dinge beim Eintritt in unsere eben abge schlossene Zeitepoche (1835-1879). Aber lange noch ist das Öl nicht anerkannt. Nach 1840 stellt die Russische Akademie der W issenschaften noch fest, daß der »stinkende Stoff« zu nichts als zum Schmieren gut ist. Um das Jahr 1840 stellt man im österreichischen Kronland Galizien Unter suchungen mit bituminösem Schiefer auf Paraffin und Mineralöl an. Dabei 192
entdeckt man das »Ozokerit«, das man bereits früher als »Bergwachs« zu Heilzwecken benutzt hatte und das als eine Art »festes Petroleum« angese hen wurde. Aus dem Jahr 1848 datieren die ersten Funde von Erdöl in Galizien, nur rund 300 Kilometer von unserer Heimat entfernt. In Tümpeln oder Vertiefungen tritt es offen zutage. Dieses Schweröl wird abgeschöpft und von zwei Apothekern zu Experimenten verwendet, wobei auch das raucharme, aber leuchtstarke »Solaröl« (Petroleum) ge wonnen wird. Das schwarze oder grünbraune Produkt ist den Einheimi schen schon seit dem 18. Jahrhundert bekannt; als »ropa« bezeichnet, wird es als Schmiere verwendet. Der technische W ert wurde allerdings erst in den fünfziger Jahren entdeckt. Bis dahin war es ausschließlich ein Beleuch tungsmittel - so ab 1851 auf den Bahnhöfen der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn - , das man unter dem Namen »Hydrocarbur« als ein Destillationspro dukt aus Schiefer über Hamburg bezog. Im gleichen Jahr, als die Eisenbahn nach Bielitz eröffnet wird (1855), konstruiert Silliman in den USA die erste brauchbare Petroleumlampe, die nun schließlich die »Tranfunzel« ab 1857 ersetzt. Ebenfalls 1857 werden erste Bohrungen bei Celle niedergebracht, und ein Jahr später baut der arme Schmied Siegfried Marcus aus Malchim in M ecklenburg das erste Modell eines Explosionsmotors, der schon 15 M inuten zu laufen in der Lage ist. (1875 zeigt er auf der Wiener Weltausstellung einen Motor, der schon drei Stunden zu laufen vermag.) 1858 taucht auch das erste Mal der Name Rockefeller im Zusammen hang mit Öl auf. Sein Vermögen betrug damals knappe 500 Dollar. 1859 wird der Wiener Nordbahnhof mit galizischem Erdöl beleuchtet, und am 27. August dieses Jahres findet Drake bei seinen Bohrungen, die er seit Mai 1859 betrieb, erstmals Öl. Diese Bohrstelle liegt in der Gemeinde Titusville in Pennsylvanien, und man erkannte auch gleich, welchen Schatz man gefunden hatte. In Deutschland beginnt Karl Engler die »Erdölwissenschaft« (Halle und Karlsruhe). Die Ölepoche kann beginnen. 1860 fördern die USA 69.000 t, Rumänien 1.000 t Öl, Österreich in Galizien 1 Million Zentner »Bergwachs«, und auf einem Streifen von 20 bis 30 km Breite, insgesamt auf einer Fläche von 14.620 Quadratkilome tern, werden Bohrungen fündig. Ein Vorgang, der für die ganze Ölversor gung Europas für die nächsten Jahre von entscheidender Bedeutung wurde. 193
1860 zahlt man für ein »Faß« Öl (1 Faß = 1 Barrel = 158,98 Liter) noch 20 Dollar, einige Zeit später 10 Cents! Das hatte seinen Grund. Ab 1860 baute man nämlich Anlagen, in welchen Batterien von Verti kalkesseln angeordnet wurden, heizte sie solange, bis aus ihren Kühl schlangen Leuchtöl floß. Man fand auch, daß unter Druck sogar viel, fast wasserklares Benzin statt, wie bisher, Leuchtöl und wenig Benzin ent stand. Justus Liebig baute noch 1850 solche »Crack-Prozeß-Anlagen« unter anderm in Baku. Justus Freiherr von Liebig war am 12. Mai 1803 in Darmstadt geboren, war zuerst Apothekerlehrling in Heppenheim, 1824 aber schon Professor in Gießen. Gemeinsam mit W öhler betrieb er Forschungen über Benzoylverbindungen, die epochemachend wurden. Er starb am 18. April 1873. Für Österreich wird es erforderlich, die Zugehörigkeit des Öls zum Grundbesitz zu regeln; das geschieht 1862, im selben Jahr, als ein gewisser Adam Opel in Rüsselsheim eine kleine Firma gründet, um Nähmaschinen und Fahrräder zu bauen, bevor im Jahr 1901 die ersten 30 Autos die Fabrik verlassen. Zwei Jahre später (1864) gründen N. A. Otto und Eugen Langen in der Servasgasse in Köln die erste Motorenfabrik der Welt, das Werk Deutz, die später so berühmten Klöckner-Humboldt-Deutz-Werke. Man baut Gaskraftmaschinen. Es ist der erste Viertaktmotor mit verdichteter Ladung (»Otto-Prozeß«), Er stellt den Ursprung der Verbrennungsmoto rentechnik dar, die Keimzelle der Motorisierung. Zu dieser Zeit schätzte man das Vermögen von Rockefeller schon auf 50.000 Dollar, und von nun an (1865) widmet er sich ausschließlich dem Öl, baut noch im gleichen Jahr die Standard Oil Works und gründet 1867 die Firma Rockefeller, Flagler & Andrews, ebenfalls in Cleveland, plant eine zweite Raffinerie, obwohl Öl 1869 in weiten Teilen der W elt noch als wunderbares Mittel gilt, Rheumatismus, Krebs, Brustkrankheiten oder Geschwüre zu heilen. Im gleichen Jahr behandelt Berthelot Kohle mit Jodwasserstoff, wandte aber zu wenig Beständigkeit auf, um das Ziel zu erreichen. So wurde Bergius später der erste mit seinem Patent. Als Rockefeller am 16. Januar 1870 die »Standard Oil Comp.« Cleve land gründete, besaß er schon ein Vermögen von 1 Million Dollar, obwohl in der Welt in diesem Jahr erst 800.000 t Erdöl gefördert werden. Im gleichen Jahr wird aber auch schon das erste Tankschiff »Charles«, das den N ew -Y ork-Europa-Dienst aufnimmt, in Belgien gebaut. 194
Unser Österreich ist seit dem Jahr 1874 mehr als 35 Jahre lang der drittgrößte Ölproduzent - hinter den USA und Rußland - der Welt. Es fördert in diesem Jahr schon 21.000 t galizisches Erdöl. Vier Jahre später baut der Ingenieur Karl Benz in Mannheim sein erstes Auto (1878). Die Motorstärke ist 3A PS und seine Reisegeschwindigkeit 30 km je Stunde. Es ist ein Zweitakter, später folgt der Viertaktmotor. A uf dem Beleuchtungssektor erhält das Öl 1879 einen Konkurrenten. Es ist die erste brauchbare elektrische Glühlampe Edisons. Aber das tut dem Öl keinen Abbruch, im Gegenteil: Im Jahr 1889 fördert Österreich schon 32.000 Tonnen, die übrige W elt gar schon 4,1 Millionen Tonnen Erdöl. Rußland förderte allein 2,5 Mill. t, und auf der anderen Hälfte der Erdkugel gründete Rockefeller seinen Standard-Oil-Trust (bis 1911), Daimler baut 1883 einen Einzylinder-Benzin-Motor mit 0,5 PS und läßt ihn sich patentieren. Für uns in Österreich ist es interessant zu wissen, daß am 11. Mai 1884 ein Reichsgesetz und am 17. Dezember 1884 ein Landesgesetz erlassen wird, das die Zugehörigkeit des Öls zum Grundbesitz klärt. Schon 4323 Arbeiter sind zu dieser Zeit in Österreichs Ölindustrie tätig. Das Jahr 1885 bringt wieder technische Fortschritte. Daimler baut sein Motor-Zweirad, und bei der Benz & Co AG verläßt der erste Motorkraft wagen die Werkshallen (Benzin-PKW). Gottlieb Daimler, geboren am 17. März 1834 in Schorndorf, war Maschinenbauer und übernahm 1872 die technische Leitung der neugegründeten Gasmotorenfabrik Deutz bei Köln. Unter ihm wurde der erste Gasmotor mit 100 PS gebaut. Inzwischen hatte sich das Vermögen Rockefellers auf 100 Millionen vermehrt, und die Welt steigerte ihre Fördermenge bis zum Jahr 1890 auf 10,5 Millionen t, Österreich als drittgrößter Produzent fördert schon 92.000 t, und nun setzt auch hier die industrielle Petroleumerzeugung ein. Die Vacuum Oil Company, eine Tochter der Standard Oil, erhält in Österreich eine Erzeugungslizenz. 1893 existieren in Galizien bereits 41 Raffinerien mit einer Produktion von 410.575 Meterzentnern = 41.057 Tonnen Petroleum mit einem Wert von 8,2 M illionen Gulden. Die Rohölproduktion beträgt 963.312 Meter zentner = 96.331 t mit einem Wert von 3,08 Mill. Gulden, 1896 sind es schon 6,75 Mill. Gulden. Ein Jahr später, 1897, macht wieder ein Mann von sich reden. Es ist ein Sohn deutscher Eltern, der am 18. März 1858 in 195
Paris geboren wird, der Ingenieur Rudolf Diesel, der jenen M otor baut, der auch seinen Namen trägt und Öl als Betriebsstoff verarbeitet. An der Jahrhundertwende (1900) fördert die Welt 20,5 Mill t Öl, Österreich 326.000 t Rohöl, und das Vermögen Rockefellers ist auf 1 Milliarde Dollar angewachsen! 1901 bringt Opel seine ersten 30 Autos heraus, und 1904 produziert Österreich schon 820.000 t Öl mit einem Wert von 24,4 Mill. Kronen. Deutschland erzeugt 1909 114.000 t eigenen Öls, und Benz baut im gleichen Jahr den »Blitzenbenz« mit 2.000 PS. Mit deutscher Kapitalbetei ligung werden in den Jahren bis 1910 die Erdölquellen Rumäniens und auch Galiziens erschlossen. In Rumänien übernimmt die Deutsche Bank hierbei die Führung. Die »Europäische Petroleum-Union« ist eine Grün dung deutscher Großbanken. Aber ich sagte es schon: Bis zur Einführung des Explosionsmotors war das produzierte Benzin ziemlich nutzlos. Das änderte sich 1910 schlag artig, als Bergius ein Patent erhielt, welches ein Verfahren schützte, das durch Hydrierung und Polymerisation die Leistung des Naturölvorrates verdoppelte. Dieser Dr. Bergius, ein Schlesier, beschäftigte sich 1910 in Hannover als Privatdozent mit der Verbesserung der Erdölraffination. Kohlen- und W asserstoff sind die Hauptbestandteile des Öls, aber auch der Kohle. Öl und Kohle müßten aufgeschlossen und ihre Bestandteile neu geordnet, es müßten neue Synthesen eingegangen werden. Das geschieht bei Temperaturen von 450 und 500 Grad und Drücken von 150 bis 200 Atmosphären. W ährend des Zersetzungsprozesses setzte Bergius noch W asserstoff zu. Während man früher 16,9% Benzin aus dem Einsatz erzielte, bekam man nun 44% heraus! Man konnte die gleiche Menge Benzin jetzt schon aus dem 2,5ten Teil des bisherigen Einsatzes gewinnen. Man erzeugte später auf die gleiche Weise aus 100 kg Braunkohle sogar schon 55 kg Benzin. Durch Druckhydrierung ergeben 100 kg Erdöl sogar 85 kg Ben zin. Bergius wies einen neuen Weg, Kraftstoff für die zunehmende M otori sierung zu erhalten, ohne auf Öl angewiesen zu sein. Das war revolutionie rend. Am 9. August 1913 wurde ihm das erste seiner vier Patente erteilt. Daß die Kohle bei 200 Atmosphären und 400 bis 500 Grad Hitze mit Wasserstoff reagiert und sich in petroleumartige Produkte verwandelt, das war die Krönung seiner Arbeit. Es sollte aber noch einige Zeit dauern, bis 196
das Verfahren im Großen produktionsreif werden wollte. Trotzdem fördert die Welt 1910 44,9 Mill. t, Österreich 1,7 Mill. t und 1912 gar 2,08 Milk t. 1913 steht aber schon Rumänien statt Österreich an der dritten Stelle in der Welt, und Rockefellers Vermögen war auf 2 M illiarden Dollar ange stiegen. Dann kam der Erste Weltkrieg und unterbrach die friedliche For schungsarbeit, aber mit der Motorisierung der Heere stieg der Ölbedarf in die Großzahlen, und eine »Woge von Öl« verhalf den Alliierten zum Sieg. Ein Großkampftag 1917 kostete die Franzosen rund 12.000 t Öl! 1914 bis 1918 verbrauchten die englische Armee 1,2 Milk t Öl, die Marine 9,1 Milk t und das französische Heer 1,8 Milk t Öl. Die Stellung des Öls in der Welt war so, daß Sir Elliot Alves 1917 schon sagte: »Armeen, Flotten, alles Geld der W elt und ganze Völker sind nichts gegen d e n , der das Öl beherrscht.« Das hat sich bis heute nicht geändert, im Gegenteil, nur noch bestätigt. Aus dem Ersten Weltkrieg ging Rußland als die zweite Ölmacht der W elt hervor: 1922 waren es 6 Millionen Tonnen, die es förderte. Aber es war nicht nur das Öl allein, das Fortschritte machte. Mit der zunehmenden Technisierung stieg der Bedarf, aber auch die Anforde rungen, die man an die Qualität des Eisens stellte.
Die Eisenindustrie in unserem Staat Am Aufstieg der Eisenindustrie in Österreich war unser Landstrich nicht unbeteiligt. Im Jahr 1848 erzeugt Österreichisch-Schlesien etwa 1,6% der Gesamtmenge, Mähren zum Vergleich 12,5 %. In W itkowitz traten zu Frh. v. Rothschild als Besitzer noch die Gebrü der Guttmann, und durch den tatkräftigen Generaldirektor Kupelwieser wurde Witko witz zu einem der größten Eisenwerke Österreichs. Im Jahr 1879 war bereits in Witkowitz als dem einzigen Werk auf dem europäischen Festland das Thomasverfahren eingeführt worden. 1888 wurde der Bau einer großen »Gußstahlhütte« in A ngriff genommen, die auch in der Lage war, die bis dahin vom Ausland bezogenen Kriegsschiff panzerplatten selbst herzustellen. 4.000 PS trieben allein das Trägerwalz werk an. In diesem Jahr wurden bereits 600.000 t Roheisen erzeugt. Schlesien allein erbrachte 53.803 Jahrestonnen oder 6,6 % der Monarchie, 197
Mähren: 32,0 %. In Witkowitz wurden damals allein 6,5 Millionen Kronen an Löhnen gezahlt. Die Zunahme der Produktion zum Vorjahr betrug 8.032 Tonnen = 17,55 %. An Steinkohle wurden in Schlesien 1897 4,2 Mill. Tonnen gefördert (Galizien: 0,8 Mill. t und Mähren 1,41 Mill. t). 1899 förderte man in Witko witz allein 1,3 Mill. t. Es hatte damals erst 18.000 Einwohner. An Koks wurden 1897 in Schlesien 412.324 Jahrestonnen erzeugt (Mähren: 0,45 Mill. t, Böhmen 0,06 Mill. t). Roheisen floß 1897 aus 52 Hochöfen mit etwa 0,9 Mill. Tonnen, 1899 waren es schon rund 1,0 Mill. t in Österreich. Witkowitz erbrachte allein 275.000 Tonnen. Hand in Hand mit der Industrialisierung ging natürlich auch die Geld wirtschaft dazu über, im Herzen Europas in andere Größenordnungen einzusteigen. Münzen und Noten mußten an Umfang zunehmen, und die Unternehmen, die damit arbeiteten, waren gezwungen, sich zu vergrößern und ihre Blicke auch über die Grenzen des eigenen Landes, die sie ja schon lange überschritten hatten, immer mehr ausgreifen zu lassen. Das Geldum laufvolumen und die Risiken nahmen unwahrscheinlich schnell zu.
Das Bankwesen Das Jahr 1870 ließ sich gut an, und es schienen politische Spannungen, besonders zwischen Deutschland und Frankreich, auszubleiben. Die lei dige orientalische Frage schien auch nicht aktuell. An den europäischen Börsen herrschte Hausse-Stimmung. A uf die Aktien der »Österreichischen Creditanstalt« wurde eine Überdividende von 20% erwartet. Das Bank wesen war mächtig im Kommen. Mit ihm die Bankaktien, die sogar den bislang führenden Eisenbahnaktien den Rang abliefen. Eisenbahn und Banken, sie bestimmten nicht nur den Kurszettel, sie waren überhaupt die beiden treibenden Elemente des wirtschaftlichen Lebens in Europa. Zwei Verkehrs-Medien waren also die Impulsgeber, und zwar in einem Maße, wie man es sich ein Menschenalter zuvor nicht hätte träumen lassen. Bankzentrum in den deutschen Landen war unbestreitbar Wien mit seinen jungen, großen Aktienbanken und einem dem ersten kritischen Höhepunkt zustrebenden Gründungseifer. Frankfurt und Hamburg ver 198
suchten Schritt zu halten, in Hamburg war wieder mehr Initiative als in Köln, und Berlin begann sich auch stärker zu regen. Die 1870 in Hamburg gegründete »Commerz- und Discontobank« be teiligte sich 1881 an der Gründung der »Nationalbank für Deutschland« in Berlin, ebenso die »Österreichische Länderbank« aus Wien. So kommt es 1882 zu einer Vereinbarung über eine Beteiligung der Commerzbank an allen Regierungsgeschäften der Österreichischen Länderbank, woraus dann wieder Verbindungen zur Banque de Romanie und zur Banque de Salonique resultieren. In Wien gab es rund 20 private Aktienbanken, an der Spitze die »Creditanstalt« mit 40 Millionen Gulden und die »Anglo-Österreichische Bank« mit 24 Millionen Gulden Aktienkapital. Der Berliner Kassenverein verfügte über 1 M illion Taler Aktienkapital. Der Abstand zu W ien galt aber nicht minder für die Notenbanken. In Berlin arbeitete die Preußische Bank mit einem Aktienkapital von 20 Millionen Talern, die Österreichische Nationalbank war aber mit 90 Mil lionen Gulden ausgestattet. Von Triest bis Bremen und von Luxemburg bis Königsberg zählte man etwa 100 Aktienbanken, die fast alle erst in den letzten 15 Jahren entstanden waren. Viele arbeiteten mit nur geringem Aktienkapital, andere wieder waren mit Aktienkapitalien ausgestattet, als wollten sie das kleine Residenzstädtchen, in welchem sie heimisch waren, in ein Finanzzentrum verwandeln. Man kam nicht umhin anzunehmen, daß es zuweilen den Gründern nur auf »Agiotage«, also auf Börsenspekulatio nen, ankam, aus Kursschwankungen Nutzen zu ziehen oder diese vielleicht gerade herbeizuführen. Manchmal mußte man zweifeln, ob im betreffen den Gebiet für so viel Geld Beschäftigung vorhanden war. Nicht umsonst enthält schon das Allgemeine Strafgesetzbuch den § 205 ff., der »betrüge rische Krida (Konkurs), Schädigung fremder Gläubiger, Begünstigung eines Gläubigers, fahrlässige Krida, mangelhafte Buchführung durch den Schuldner, Umtriebe während einer Geschäftsaufsicht im Ausgleichs- oder Konkursverfahren« zum Teil recht hart bestraft. 1872 taten sich die Österreichische Kreditanstalt, die Disconto-Gesellschaft Sal. Oppenheimer jr. & Co. und einige belgische Häuser zusammen und gründeten die Deutsch-Belgische La-Plata-Bank mit Niederlassungen in Buenos Aires und Montevideo. Man griff weit aus und überstand die Stürme, andere mußten die Schalter schließen. Durch österreichische In itiative war im April 1871 mit 6 Mill. Talern bei 40% Einzahlung der 199
»Berliner Bankverein« gestartet worden. Wiener Adelige repräsentierten im Aufsichtsrat des Berliner Instituts den Wiener Bankverein und die Österreichische Boden-Credit-Anstalt. 1874 mußte der W iener Bankverein reorganisiert werden, der 1869 von der Allgemeinen Boden-Credit-Anstalt gegründete »Bankverein« hatte sich zu viel zugemutet und war durch ein zu hohes Konsortialkonto imm o bil geworden. Von dieser Zeit an ist Georg von Siemens häufig Gast in Wien, er hat von den deutschen Helfern die größte Initiative entfaltet. Wenn die Regierung in W ien wieder Geld brauchte, legte sie Goldren ten auf, und man interessierte auch ausländische Banken, sich daran zu beteiligen. So wurde die Bankenverflechtung immer enger. Deutsche und österreichische Institute blieben eng miteinander verbunden. Aber auch Bankgruppen legten Anleihen auf: Die Rothschildgruppe, zu der die Österreichische Creditanstalt, die Disconto-Gesellschaft und Bleichröder gehörten, war erfolgreich; ebenso das Konsortium der All gemeinen Österreichischen Boden-Credit-Anstalt. Besonders Rothschild flößte Respekt ein. An der Berliner Börse gab es über 200 Notierungen in Eisenbahnwer ten. Die »Russen« und die »Österreicher« dominierten hier. Eine wirklich internationale Anleihe legte ein Konsortium von Banken für den Bau der Bagdad-Bahn auf, dem die Deutsche Bank, der W iener Bankverein, die Schweizerische Kreditanstalt, französische und holländi sche Banken und viele andere angehörten. Die Finanzierungsaufgaben nahmen immer mehr zu. 1890 beteiligte sich zum Beispiel die Deutsche Bank an der Gründung der Deutsch-Österreichischen Mannesmannröhrenwerke AG, Remscheid. Am 16. Juni 1890 kam es dann zur Gründung dieses Unternehmens mit dem Sitz in Berlin. Man kaufte ein altes Stahlwerk in Komotau, um auch dort nach dem neuartigen Verfahren Röhren zu walzen. Die Deutsche Bank und der Wiener Bankverein sanierten nicht ohne Reibungen auch die »Steaua Romana«, die rumänische Ölgesellschaft. Die Welle der Elektrifizierung und schließlich der Siegeslauf des Öls gab den Banken immer wieder neue Betätigungsfelder. Um 1854 fanden sich schon Banken zu Konsortien zusammen: die Österreichische Creditanstalt, die Rothschilds aus Wien und Paris und die Wiener Bankhäuser M. W odianer und S. G. Sina, dazu noch die Ungari sche Allgemeine Kreditbank, S. Bleichröder und die Darmstädter Bank für 200
Handel und Industrie. 1883 kam es zur Konvertierung, zur freien Ein tauschbarkeit von österreichischen und ungarischen Renten, EisenbahnObligationen über insgesamt 1,7 Mrd. Kronen und 46,3 Mill. Gulden und einem 4 %igen deutschen Papier. Der Plan stammte von Hansemann, Chef der Preußischen Bank in Berlin. 1913 bemüht sich ein österreichisch-ungarisches Bankkonsortium um den Kauf der Bahn Saloniki-M onstir unter Führung des Wiener Bank vereins, ein Beispiel dafür, wie die Banken auch für Staatsbedürfnisse eingesetzt wurden. All diese internationalen Fäden wurden im August 1914, mit Beginn des Ersten Weltkrieges, jäh zerrissen. Die kriegführenden und auch die neutralen Länder führen Moratorien ein, verfügen befristeten Zahlungs aufschub für staatliche und private Verpflichtungen. Die österreichischen Banken sind nur zur Zahlung von 3 % auf die Guthaben verpflichtet, die italienischen und französischen von 5 %. Die Kriegsjahre lähmen den ge samten Fluß der Kapitalien. Was übrig blieb, ist tieftraurig.
Die Lenker unseres Staatswesens W er waren nun die Lenker unseres österreichischen Staatsschiffes? Ob wohl Bielitz im großen Getriebe der Donaumonarchie nur ein kleines Rädchen darstellte, wird es doch von erhöhtem Interesse sein, jetzt, etwa hundert Jahre später, von den Männern zu hören, die damals, als das letzte Kapitel Österreichs aufgeschlagen wurde, an der Spitze des Staatsappa rates standen. Waren es zur Zeit Johann-Ludwig-Nepomuk von Sulkowskis, in vier undvierzig Jahren neun Ministerpräsidenten, die nach mehr oder weniger langer Zeit das Vertrauen des Kaisers verloren hatten und abtreten mußten, so setzten während der Regierungszeit des nächsten Bielitzer Fürsten Josef-Maria-Ludwig bis zum bitteren Ende einundzwanzig weitere Pre mierminister die lange Reihe der Verantwortlichen fort. Die große Zahl der Ministerpräsidenten an sich spricht schon eine beredte Sprache hinsichtlich der vorhandenen Schwierigkeiten, den Staat in Ordnung zu halten. Da ist Leopold Hasner, Ritter von Artha, ein Prager Deutscher, Profes sor der Rechtsphilosophie, ein Zentralist, Unterrichtsminister unter Graf Taafe, der vom 1. Februar bis 31. März 1870, also ganze zwei Monate, dem 201
Ministerrat Vorstand, aber ohne jede Bedeutung zu erlangen wieder abtrat. Ihm folgte der galizische Pole Graf Potocki, ein Föderalist, vom März 1870 ein knappes Jahr lang bis Februar 1871. Nur ein halbes Jahr lang (4. Februar bis 28. Oktober 1871) regierte KarlSiegmund Graf von Hohenwart, ein geborener Wiener. Ein verhängnis voller Mann und Föderalist, der den Ausgleich mit den Slawen versuchte, vor allem mit den Tschechen verhandelte und in den sogenannten »Fun damental-Artikeln« diese Fragen auf föderalistischer Grundlage lösen wollte. Mähren und Schlesien sollten durch den böhmischen Generallandtag vertreten werden, wogegen sich unser schlesischer Landtag heftig auf lehnte - und das mit Erfolg. Er bewog Kaiser Franz-Josef I. am 12. September 1871, den Tschechen zu versprechen, sich in Prag zum böhmischen König krönen zu lassen. Ende Oktober 1871 war der Graf schon entlassen. Beust und Andrassy verwarfen seine »Artikel« alsbald wieder. Sein Handelsminister war der württembergische Schwabe Albert Schäffler aus Nürtingen (Februar bis Oktober 1871), der die großdeutsche Richtung vertrat. Für fast acht Jahre stand dann (25. November 1871 bis Oktober 1879) der Niederösterreicher Adolf Fürst Auersperg an der Spitze, der für die Verfassung und die Staatseinheit eintrat. Durch eine Wahlreform werden seit 1873 die Abgeordneten unmittelbar gewählt. Die Ausdehnung der Verwaltung auf Bosnien und Herzegowina 1878 löste eine Krise aus, und wegen der Schwierigkeiten beim Ausgleich mit Ungarn bot er seinen Rücktritt an. Im Oktober 1879 trat er dann wegen seiner Orientpolitik und den sich daraus ergebenden parlamentarischen Kämpfe zurück. Auf Auersperg folgt für zwei Monate der verfassungstreue De Pretis, und dann wird der streng konservative Eduard Graf von Taaffe zum zweiten Mal Ministerpräsident. Im gleichen Jahr also, als Fürst Josef-Maria-Ludwig sein Regiment in Bielitz antrat, bestieg in Wien ein Mann den Ministerpräsidentenstuhl, der schon in der Zeit Ludwig-Johann-Nepomuk von Sulkowskis bei H of eine große Rolle gespielt hatte: Eduard Graf Taaffe. Der in Wien geborene, aus irischem Geschlecht stammende Graf Taaffe war Spiel- und Jugend gefährte Kaiser Franz-Josefs, dessen vollstes Vertrauen er genoß. Seit 1852 im Staatsdienst, war er ab März 1867 Innen- und Unterrichtsminister, ab Dezember noch Verteidigungsminister. 1868 bis 1870 Ministerpräsident, 202
1870/71 wieder Innenminister, dann Statthalter in Tirol. 1879 erneut In nenminister und ab August zum zweiten Mal Ministerpräsident. Allein schon die verschiedenartige Verwendung und deren Länge erhellt das Ver trauen. Seine klerikal beeinflußte Regierungsweise versuchte die »Versöh nung der Nationen«, scheiterte aber am sich bildenden »Eisernen Ring« aus Deutschklerikalen, Polen und Tschechen. Von der sozialen und indu striellen Bewegung der Zeit isoliert, mußte er am 11. November 1893 zurücktreten. Die ganzen Schwierigkeiten wollte er durch einen Wahl reformvorschlag beheben. Da ließen ihn die Linken, die Polen und das Zentrum im Stich und beendeten so Taaffes Laufbahn. Auch in diesen Jahren war unser Staatswesen von schweren inneren Unausgeglichenheiten erschüttert. Er bleibt vierzehn Jahre an der Regierung (12. August 1879 bis 11. November 1893). Der geborene Wiener stützt sich auf die Deutschklerika len, die Polen und die Tschechen. Durch die Gunst des Kaisers bestärkt, fühlte er sich mehr als Statthalter denn als konstitutioneller Regierungs chef, versuchte dennoch die Versöhnung der Nationen und scheiterte an den Forderungen gerade jener, die ihn stützten. Zwar gab der neue Zolltarif von 1879 der Industrie den notwendigen Schutz, aber der Einfluß der Deutschen in unserem Staat und unserem heimatlichen Schlesien ging stark zurück. Seine Regierungszeit ist der Beginn einer schicksalsschweren Periode für das österreichische Deutschtum. 1880 kommt die Sprachen verordnung seines Innenministers Stremayr, einem Grazer, die für uns schwerwiegende Folgen hatte, obwohl die Kenntnis der tschechischen Sprache in Mähren und Schlesien nicht erforderlich wurde. Aber der Einfluß der Slawen stieg auf Kosten der Deutschen. Sein Finanzminister (1880-1891) war der Stanislauer Pole und Straf rechtler an der Universität Preßburg Julian-Anton Dunajewski, der die direkten Steuern auf Spiritus, Öl und Zucker einführte und auch die Erhö hung der Zölle auf Kaffee und Tabak durchführte. Im Jahr 1882 folgen Zusätze zum Zolltarif und 1892 schließlich die Handels- und Zollverträge mit Preußen. Als Taaffe dann seine Wahlreform vorlegte, lassen ihn selbst seine Anhänger fallen. Am 11. November 1893 tritt er zurück. Als nächster übernimmt das leitende Staatsamt Alfred Fürst zu Windischgraetz für zwei Jahre bis Juni 1895. Der geborene Prager aus steiri schem Geschlecht, ein Enkel des Eroberers von Wien im Jahr 1848, stützt 203
sich auf eine Koalition von Deutschliberalen, Klerikalen und Polen. Einen Monat vor seinem Rücktritt hatte sich Windischgraetz noch den Lemberger Polen Agenor Goluchowski als Außenminister ins Kabinett geholt. W in dischgraetz ging, aber Goluchowski blieb noch durch weitere sechs Kabi nette im Außenamt. Er war der Sohn des österreichischen Innenministers von 1859 bis 1860. Das Kabinett Windischgraetz war weder fruchtbar noch langlebig, und was nun folgte, war nicht besser. Für vier Monate übernimmt Graf Erich Kielmannsegg das hohe Amt. Der gebürtige Hannoveraner war zwischen dem 19. Juni und 2. Oktober 1895 sogar als erster Protestant Innenminister im katholischen Öster reich. Ihm folgt - und das ist bezeichnend für die Kräfteverhältnisse im Staat der Pole Kasimir Graf Badeni im Amt (1895-1897), ein polnischer Groß grundbesitzer, aus Surochow in Galizien stammend. Aus italienischer Familie abkommend, wurde er zunächst 1888 Statthalter in Galizien und am 2. Oktober 1895 österreichischer Ministerpräsident. Seine tschechen freundliche Politik und die gegen die Deutschen gerichtete Sprachen verordnung über die Amtssprache in Böhmen und Mähren (5. April 1897) führte zu heftigstem Widerstand der Deutschen im Wiener Abgeordne tenhaus. Unter seiner Leitung brachte die Regierung 1896 die Wahlreform, eine Steuerreform und den umstrittenen Ausgleich mit Ungarn durch. Als er den Sprachenstreit durch einen Vorschlag zur Zweisprachigkeit m ildem wollte, rief er die schärfste Opposition aller deutschen Parteien hervor. Als Abgeordnete durch die Polizei aus dem Parlament herausgeworfen wur den, erhob sich gegen ihn ein leidenschaftlicher Proteststurm in allen deutschen Ländern, der revolutionäre Ausmaße anzunehmen drohte. Der W iener Bürgermeister Lueger forderte vom Kaiser die Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände, andernfalls er nicht mehr für Ruhe und Ordnung garantieren könne. Erst dann trennte sich der Kaiser von Badeni. Am 28. November 1897 wurde er entlassen. Zurück blieb ein politischer Trümmerhaufen, der das Habsburgerreich von nun an als dem Untergang geweiht erscheinen ließ. Die Zwietracht der Deutschen aber nahm wieder zu. Badenis Finanzminister war Leo Biliński aus Hinterwaiden (Zalesz czyki) in Galizien, Universitätsprofessor in Lemberg, der noch eine Rolle bis in das Jahr 1919 spielt. 204
Von Dezember 1897 bis zum 5. März 1898 ist Freiherr Paul Gautsch von Frankenthum Ministerpräsident. Der geborene W iener bildet ein Be amtenministerium, dem wiedemm nur kurze Monate beschieden sind. Sein Handelsminister ist Em st Körber, der später noch mal aufscheint. Auch er hat Sorgen mit den Slawen und erläßt erneut eine abgewandelte Sprachenverordnung, die nach deutschen, slawischen und gemischtspra chigen Gebieten unterscheidet. Für das nächste Jahr tritt Franz Graf Thun an die Spitze des Kabinetts (März 1898 bis 23. September 1899). Er ist geborener Tetschener, war Statthalter in Böhmen, trat für das böhmische Staatsrecht ein und vertrat feudale wie klerikale Grundsätze. In seiner Zeit wurde das »Pfingstprogramm der Deutschen« veröffentlicht, ein Programm, das den engsten Kontakt und die geistige Einheit mit Deutschland verlangte. Die nächsten drei Monate leitet Graf Clary-Aldringen (September bis 9. Dezember 1899) das Kabinett. Er war geborener Wiener, war Statthalter in der Steiermark und stammte aus einem Geschlecht, das 1363 aus Florenz in die Teplitzer Gegend einwanderte. W ie bei seinem Vorgänger war Emst Körber Innenminister. W iedemm nur für kurze Wochen - bis zum 18. Januar 1900 - ist das Kabinett W ittek mit seinem Beamtenministerium im Amt. Nun tritt für fünf Jahre der schon mehrfach erwähnte Em st von Körber in das Amt des Ministerpräsidenten und zugleich des Innenministers ein. Es ist wieder ein Beamtenministerium, das der Deutsche aus Trient bildet. Er war Handelsminister, Generaldirektor der Eisenbahnen und auch Innenminister; Goluchowski, der Pole, ist noch immer Außenminister. Körber betreibt die innere Befriedung des Landes, aber auf Kosten der Deutschen. Ihm folgt ab 31. Dezember 1904 zum zweiten Mal Paul Freiherr von Gautsch bis zum 30. April 1906. Am 23. Februar 1906 unterbreitet er einen Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahlrechts, der aber auf Wi derstand, besonders der Polen, stößt. Der Friedensschluß des Kaisers mit dem ungarischen Parlament erschüttert das Kabinett derart, daß es zurück treten muß. Die Kette der Schwierigkeiten reißt nicht ab, es will und kann keine Ruhe mehr im Land einkehren. Nach diesen sechzehn Monaten folgt das Kabinett des Prinzen Konrad zu Hohenlohe-Schillingsfürst, und das nur für wenige Tage (2. bis 29. Mai 1906). Auch ihm ist kein Glück beschieden, er scheitert an den Ausgleichs205
Verhandlungen mit Ungarn. (Er starb 1918 in Leoben.) 1906, im sie benundzwanzigsten Regierungsjahr unseres Fürsten Josef-Maria-Ludwig, wurde der in W ien geborene Max-Wladimir Freiherr von Beck österrei chischer Ministerpräsident. Seine recht kurze Regierungszeit (1906-1908) ließ ihn aber doch zu einem der bedeutendsten Politiker des alten Öster reich werden. Dieser Verwaltungsfachmann kam mitten in der Staatskrise an die Spitze der Regierung, setzte sich gegen den Widerstand des Thron folgers Erzherzog Franz-Ferdinand, dessen Lehrer er war, durch und konnte das allgemeine und gleiche Wahlrecht zur Annahme bringen. Nach diesem Wahlrecht (Gesetz vom 26. Januar 1907) sitzen im Wiener Reichsrat von insgesamt 516 Abgeordneten: 233 Deutsche, 108 Tsche chen, 80 Polen, 37 Südslawen, 34 Ruthenen, 19 Italiener und 5 Rumänen. Das war also das »Vereinigte Europa« von damals, das man heute so gern wieder haben möchte. Aber auch das war nicht gut, denn es sollte nie und nimmer zur Ruhe kommen. Die inneren Spannungen und die äußeren Beeinträchtigungen waren eben stärker. Den deutsch-tschechischen Ausgleich schafft auch Beck nicht. Das führt zu seiner Entlassung. Goluchowski verläßt im Oktober 1906 das Amt des Außenministers, das er unter sieben Kabinettchefs geführt hatte. Nachfolger als Außenmi nister wird Alois Graf Lexa von Ährenthal, ein gebürtiger Deutschböhme. Am 5. Oktober 1908 beschwor er, der seit dem 22. Oktober 1906 im Amt war, durch die Besitzergreifung von Bosnien und der Herzegowina durch Österreich im Handstreich, ohne die benachbarten Mächte zu verständigen und gegen das dem russischen Außenminister gegebene Versprechen, eine schwere europäische Krise herauf. Nur wegen der schwachen russischen Rüstung kam es nicht zur offenen Auseinandersetzung. Seine betont reser vierte Haltung in der Marokkokrise führte auch zu einer Abkühlung des österreichischen Verhältnisses zum Deutschen Reich (1911). Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er 1919 noch Präsident des österrei chischen Rechnungshofes. Er starb 1943. Graf Lexa von Ährenthal wird abgelöst, Freiherr Richard Bienerth ist sein Nachfolger. Dem inneren Zustand des Staates zufolge kann er auch nicht sehr glücklich werden: Schon im dritten Monat nach Amtsantritt, am 2. Dezember 1908, muß in Prag das Standrecht verhängt werden, da die Tschechen gegen die einheimischen Deutschen Vorgehen. Es ist ein un glücklicher Start. 206
Am 12. Dezember 1910 muß Bienerth seinen Rücktritt anbieten, aber er wird auch ein drittes Mal (17. Januar 1911) mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Lage ist und bleibt kritisch. Am 26. Juni 1911 tritt er nun endgültig zurück. Drei Kabinette in 21 Monaten charakterisieren schon zur Genüge den Zustand der Donaumonarchie. Das Karussell dreht sich aber noch weiter: Am 26. Juni 1911 tritt Freiherr Gautsch zum dritten Mal an die Spitze der Regierung, und zu aller Zerrissenheit im Innem treten nun auch noch Versorgungsschwierigkeiten hinzu. Große Fleischnot und Nahrungsmittelteuerungen führen sogar am 17. September 1911 in Wien zu einer Revolte, welche die Regiemng durch Militär blutig unterdrücken lassen muß. Seit dem 20. Febm ar 1912 war der Pole Biliński wieder Finanzminister. Gautsch ist der letzte Ministerpräsident Österreichs, der sein schweres Amt noch in friedlichen Zeiten abgeben kann. Bald ist die Uhr des alten ehrwürdigen und so geliebten Kaiserstaates an der Donau abgelaufen. Am 3. November 1912 wird Karl Graf Stürgkh Ministerpräsident. Er, der gebürtige Grazer, gehörte als Abgeordneter dem verfassungstreuen Großgrundbesitz an. In seine Zeit fällt der Beginn des Ersten Weltkrieges mit seinen schweren Belastungen. Ab 1912 übernahm die Leitung der Geschicke in der Außenpolitik Leopold Anton Graf Berchtold, der ein recht trauriges Erbe antrat, welches ihm von Ährenthal hinterließ. Auch er betonte das habsburgische Groß machtstreben, und seine Balkanpolitik war eine Reihe von Fehlentschei dungen: Verweigerung des serbischen Dranges zum Meer, Errichtung eines albanischen lebensunfähigen Staates und die einseitige Begünstigung Bulgariens gegenüber dem befreundeten Rumänien. Es war eine einzige unglückliche Entwicklung, besonders vom Attentat in Sarajewo bis zur Kriegserklärung von 1914. Sein ultimatives Vorgehen gegen Serbien aus antiserbischen Motiven, auch seiner Umgebung, verbietet es aber, ihn allein als den Schuldigen an der Auslösung des Ersten Weltkrieges darzu stellen. A uf seinem Schloß Buchlau fand am 15. September 1908 die Begegnung des mssischen Außenministers mit Ährenthal statt und am 7. September 1912 die wichtige Besprechung des deutschen Reichskanz lers Bethmann mit Berchtold wegen schwebender Orientfragen. Der Au ßenminister spielt bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine bedeutende Rolle. Den Krieg wollen die meisten Staatsmänner Europas nicht. Am wenigsten Österreich und Deutschland. Doch rechnete man überall mit 207
dem zwangsläufig drohenden großen Krieg, in welchen man auch tatsäch lich, wie Lloyd George sagte, Anfang August 1914 »hineinschlitterte«. Bewußt und unbewußt kriegstreibend wirkte unter anderem die natio nalistische Propaganda meist kleiner Kreise, die in allen Staaten zuneh mend größere Volksmassen ergreift. Dazu gehören vor allem die natio nalen Bewegungen der kleinen Völker in Ostmitteleuropa. Der Panslawis mus und der Neoslawismus wirkten geradezu sprengend gegenüber den bestehenden monarchischen übernationalen Reichen. Und dazu gehörte vor allem unsere Donaumonarchie. Diese Bestrebungen werden gesteigert durch das nur durch einen Krieg zu erreichende Ziel der Zertrümmerung Österreich-Ungams. Die am 28. Juni 1914 erfolgte Ermordung des österreichischen Thron folgerpaares in Sarajewo ist nur der Anlaß für die Auseinandersetzung, die jetzt ihren Lauf nimmt. Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich Serbien den Krieg. Wenige Wochen später stehen die Russen vor den Toren unserer Hei mat. Es sind gute 70 Kilometer, die uns nur von den Spitzen der mssischen Vorausabteilungen trennen. Im Dezember aber gelingt es bei Limanowa, sie zum Stehen zu bringen. In der Schlacht von Gorlice vom 1. bis 3. Mai 1915 wurde die mssische Gefahr für unsere Heimat noch einmal gebannt. Ministerpräsident Stürgkh wird am 21. Oktober 1916 in seiner Ge burtsstadt Graz durch Friedrich Adler, einen Sohn des sozialdemokrati schen Abgeordneten Viktor Adler, erschossen. Schnell springt Em st Kor ber in die Bresche und wird für kurze zwei Monate Präsident des M ini sterrates (22. Oktober bis 20. Dezember 1916). Der Deutsche aus Trient gibt dann die Leitung für sechs Monate an Heinrich Clam-Martinitz ab (21. Dezember 1916 bis 21. Juni 1917), und ihm folgt nun Em st Seidler Ritter von Feuchtenegg, ein geborener Schwechater und Dozent der Volks wirtschaft an der Montanistischen Hochschule Leoben (24. Juni 1917 bis Juli 1918). 1916, am 23. Dezember, berief Kaiser Karl an Stelle von Graf Burian den aus Böhmen stammenden Ottokar Graf Czernin von und zu Chudenitz zum Außenminister. Bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk kam es zum offenen Konflikt mit Ludendorff und wegen der den Ukrainern gewährten Konzessionen zu einer scharfen Kritik der Polen an Österreich, so daß seine Stellung schon erschüttert wurde. Nach Bekanntwerden der Sixtusbriefe vom April 1918, dieser ohne Kenntnis des deutschen Verbün 208
deten unternommenen Friedensfühler, war sein Sturz unvermeidlich. Am 14. April 1918 trat er zurück. Im neuen Österreich gehörte er noch dem Nationalrat an und schied erst im März 1924 aus dem politischen Leben. Dann ist Max Ritter Hussarek von Heinlein an der Reihe (25. Juli bis 27. Oktober 1918). Aber auch er kann das Geschehen in unserem Staats wesen weder in andere Richtungen leiten noch den Zusammenbruch ver hindern. Die nichtdeutschen Truppenteile der Österreicher sind nicht mehr ganz verläßlich, Österreich-Ungarn drängt auf baldige Friedensinitiative und geht immer mehr eigene Wege. Am 14. September 1918 lehnt Wilson den österreichischen Vorschlag einer allgemeinen Friedenskonferenz ab, und am 4. Oktober tritt Österreich-Ungarn dem deutschen Waffenstillstands angebot bei. Am 17. Oktober wandelt der Kaiser mit einem letzten Mani fest seinen Staat in einen Bundesstaat um, was er tags zuvor noch seinem Regierungschef zu tun ablehnte. Nun war es aber zu spät! Der Kaiser ruft noch Heinrich Lammasch, einen geborenen Nieder österreicher und Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Inns bruck, an die Spitze seiner Regierung (bis 11. November 1918), dann ist das Ende der Habsburgermonarchie aber da. Ungarn erklärt sich selbständig, am 21. Oktober tritt auch die deutsch österreichische Nationalversammlung in Wien zusammen, am 28. Oktober proklamiert die Tschechoslowakei ihre Unabhängigkeit, am 29. die Jugo slawen, und am 3. November muß Österreich mit den Alliierten einen Waffenstillstand schließen. Am 11. November verzichtet Kaiser Karl I. auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften. Österreich-Ungarn ist zer fallen. Der Staat, dem Bielitz praktisch seit 1327 zugehörte, schützt unsere Heimat nicht mehr. Ein fast 600 Jahre altes Recht, als freie Deutsche zu leben, ist von nun an verwirkt. Österreich war, wie schon M etternich einmal sagte, ein »System von zehntausend Krankheiten«. Aber bei allen seinen Schwächen hatte es eine geschichtliche Tradition, die vor allem in seiner Armee zum Ausdruck kam. Österreich war nicht nur für die wirtschaftliche Einheit der Donauge biete eine Notwendigkeit, sondern auch international zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts gegenüber einem übermächtigen Rußland 209
wichtig. Der Begründer des tschechischen Nationalismus, Palacky, hatte ja in seinem Brief auf die Einladung zur Frankfurter Nationalversammlung geschrieben: »Wenn Österreich nicht wäre, so müßte man es erfinden«, und der Italiener Crispi hat dieses W ort wiederholt. In den letzten 39 Jahren bis zur Auflösung Österreichs waren 21 Re gierungen bemüht - aber gescheitert - zu retten, was noch zu retten war. Das »Vereinigte Europa«, in den letzten 600 Jahren geschaffen, war durch seine Völkerschaften unterhöhlt und schließlich zerschlagen worden.
210
DAS 20. JAHRHUNDERT, DIE LETZTEN FRIEDENS JAHRE Der Streit der Nationalitäten - Das Ende der österreichischen Periode - Österreichisch-Schlesien in Zahlen - Straßenwesen, Gewerbewesen, Zeitungen - Das neue Wahlrecht - Nationale Not in unserem Land - In Bielitz ab 1879 geschehen Nationale Regsamkeit rundum - Blick nach Galizien —Der Sprachengebrauch in unserem Land - Bielitz zwischen 1890 und 1899 - Schule und Kirche von 1890 bis 1899-B lick ins Kronland, einige Zahlen - Unruhiges, aber aufstrebendes BielitzBiala - Blick nach Osten - Die Polen und die Mission des Polenklubs im öster reichischen Reichsrat - Österreichs Innenleben - Österreich in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts - Österreichisch-Schlesien und unsere Heimat - Die Textilindustrie des Landes - Die Jahre 1900 bis 1909 in Bielitz - Die humanitären Stiftungen in der Stadt Bielitz - Der Wandervogel - Blick nach Osten (1900-1910) - Das österreichische Schlesien 1910 - Bielitz-Biala und Umgebung (1910) Schlußbemerkungen zum zweiten Band
Der Streit der Nationalitäten In Österreich benützten die verschiedenen Nationen die Schwierigkeiten der Regierung zur Erhöhung ihrer völkischen Forderungen. Immer erreg ter wurde der Ton im Parlament und immer schärfer der Widerstand der politischen Parteien. Unser Staat, durch die Gründerzeit wirtschaftlich untergraben und von Bankzusammenbrüchen geschwächt, konnte nur schwer gegen dieses Verhalten Vorgehen. 1871 kam ein Nationalitäten gesetz heraus, welches vor allem den Tschechen in der Wahrung von Nationalität und Sprache gleiches Recht verbürgte. Immer mehr konnten sich die Tschechen in den Vordergrund schieben. In gleichem Maße ging der Einfluß der Deutschen zurück. Sie fanden weder an dem fast reindeut schen Ministerium noch an der mächtigsten der Parteien, der Deutsch liberalen, einen Rückhalt. Nicht einmal das Deutsche als Staatssprache wurde gesetzlich festgelegt. 1879 bildete sich das Ministerium des Grafen Taafe, das 1880 eine Sprachenverordnung herausgab, welche den Tsche chen wiederum Vorteile brachte, da sie ja meist durch deutsche Schulen gingen, also deutsch sprachen, während die Deutschen des Tschechischen nicht mächtig waren. Anträge, gebiets- beziehungsweise siedlungsmäßig bedingt, die Staatssprachen festzulegen und somit Sprachgebiete festzule 211
gen, wurden abgelehnt. Kein Wunder, daß sich nun die völkischen Parteien um Georg von Schönerer sammelten, der sich auch für die neuen Arbei termassen einsetzte. 1882 gründete er den »Deutschnationalen Verein«, der den Deutschen wieder die Führung zu sichern versuchte. Ein anderer Flügel gründete 1887 den »Christlichsozialen Verein«. Der Sprachenkampf wurde immer heftiger und zwang dazu, sich zu sammenzuschließen und gemeinsam die völkischen Schutzverbände zu gründen. Den Anfang machte der Deutsche Schulverein (1880), dann folgten der Deutsche Böhmerwaldbund (Budweis 1884), der Bund der Deutschen Südmährens (Olmütz 1886), die »Südmark« (Graz 1889), der Bund der Deutschen in Böhmen (Prag 1894) und die »Nordmark« für unser Schlesien (Troppau 1894). Jeder von uns kennt noch das Schülerheim dieses Verbandes in der Schneidergasse in Bielitz, für viele junge Deutsche ein Hort der Zuflucht während der Schulzeit. Die gleiche Aufgabe erfüllte der Bund der Deutschen Südmährens (Znaim 1897), dann der Verein der christlichen Deutschen des Buchenlandes (1897), der Tiroler Volksbund (1905) für die deutschen Randgemeinden Südtirols und für unser Nachbarkronland der Bund der christlichen Deutschen Galiziens (1907). Ein eigener Verein entstand für die Iglauer Sprachinsel, und auch die Deut schen Ungarns erhielten 1907 ihren Schutz verband. All diese Verbände sahen ihre Hauptaufgabe darin, die Belange der Deutschen zu verteidigen, denn die slawisch sprechenden Völkerschaften waren mehr als tätig. Von den Tschechen war 1863 der Sokol-Verband gegründet worden, eine Kampftruppe, der die Deutschen nichts entgegenzusetzen hatten. Ihre Sokoltagungen fanden alle sechs Jahre in Prag statt. 1898 entstand eine tschechische nationalsozialistische Partei, andere, eine Agrar- und eine Realistenpartei, folgten. Das Ministerium Taafe regierte praktisch mit den Slawen gegen die Deutschen. Ein unguter Zustand für die alte Monarchie. Auf der einen Seite ging nun die Saat Herders auf, auf der anderen zeigte sich nun immer mehr, daß das Kurfürstentum Böhmen, einst ein mächtiger Faktor im Reichsge schehen, seit 1866 immer mehr Ausland wurde und auch von Wien, der Kaiserstadt an der Donau, keine Hilfe mehr zu erhalten war. Der Einfluß auch der Polen innerhalb der österreichischen Grenzen auf den Gesamt staat war bedeutend. Der Adel war in der Monarchie völlig eingegliedert 212
und anerkannt, die Bauernpartei sehr stark. 1893 kam die sozialistische Partei der Polen hinzu, die österreichisch orientiert war, da die Polen hier freier als in Preußen waren. Im Jahr 1900 trennte sich eine kleine Gruppe von dieser Partei, sie war kommunistisch und sympathisierte mit Rußland. An ihrer Spitze stand die in Zamosc geborene Rosa Luxemburg. 1897 wurde der »Allgemeine jüdische Arbeiterverband Bunt« ins Le ben gerufen. In Galizien war der Anteil der jüdischen Bevölkerung um 1911 etwa 12,5 %. Zu Ende des Jahrhunderts trat die ungarische Frage in ein neues Sta dium. Der Ausgleich von 1867 war auf ungarischer Seite im wesentlichen durch die Konservativen ausgehandelt und verwirklicht worden, die aus den furchtbaren Erfahrungen des Revolutionskrieges von 1848-1849 ihre Lehre gezogen hatten. Nun aber wuchs eine junge nationalmadj arische Generation heran, die nichts mehr von jenen leidvollen Erfahrungen wußte, der das im Ausgleich Erreichte nicht genug war und die daher den Aus gleich auszuhöhlen versuchte. Als Ungarn 1896 seine Jahrtausendfeier beging, wurde bereits in vielen Stimmen spürbar, wie die radikalen Vertre ter eines madjarischen Nationalismus daran waren, das Übergewicht über die konservativen und maßvollen Bewahrer des Ausgleichs zu erlangen. Die Radikalen begannen, eine eigene außenpolitische Vertretung Ungarns zu fordern und auch die Grundlagen der gemeinsamen Reichsverteidigung anzugreifen. Die Steigerung des ungarischen Selbstbewußtseins, die ihren Ausdruck in dem glanzvollen Ausbau der Hauptstadt Budapest fand - ein monumentaler Versuch, die Reichshauptstadt Wien in den Schatten zu stellen - , war der allgemeine Hintergrund für diese Ideenströmung. Angesichts solcher Forderungen sah sich Kaiser Franz-Josef im Jahre 1903 herausgefordert zu einer warnenden grundsätzlichen Erklärung. Da mals trat er aus der für ihn sonst so charakteristischen Zurückhaltung heraus und gab den madjarischen Nationalisten zu erkennen, daß er an seiner gemeinsamen Reichsarmee nicht rütteln lasse. In dem berühmten Armeebefehl, den er am 16. September 1903 in Chłopy (Mähren) erließ, erklärte der Kaiser: »Mein Heer möge wissen, daß ich nie der Rechte und Befugnisse mich begebe, welche seinem obersten Kriegsherrn verbürgt sind. Gemeinsam und einheitlich, wie es ist, soll mein Heer bleiben: die starke Macht zur Verteidigung der österreichisch-ungarischen Monarchie gegen jeden 213
Feind.« Das war also die Lage in kurzen Strichen skizziert: In Böhmen und in Galizien schwere Unruhen, und die anderen nichtdeutschen Völker um uns herum waren auch nicht freundlich gesonnen. Wien war schwach und Berlin nicht zuständig, dort hatte man auch das W issen und das Verständ nis für die Deutschen unserer Breiten verloren. Es war ja Ausland. Die Folgen von 1866 zeichneten sich für die Gesamtheit des Volkes erschrekkend deutlich ab. In unserem Lande hatte der rasche Zuwachs der nicht bodenständigen Menschen deutscher, tschechischer und polnischer Zunge, der schulpoliti sche Kampf, also das Aufeinanderprallen der Nationalitäten, schließlich seine Folgen. Wie überall mußte sich dies auch in unserem Landstrich als Teil der Donaumonarchie zu einem kulturellen Ringen aus wachsen. Bis 1907 herrschte in Österreich das hart umkämpfte Zensus Wahlrecht, wel ches den vermögensstarken Gruppen in den Parlamenten die Mehrheit sicherte, ein Privileg, das die überragende soziale Stellung des Deutsch tums in unserem Raum besonders augenfällig heraus stellte. Bis zur Durchsetzung des allgemeinen, gleichen und geheimen W ahl rechts waren sich Polen und Tschechen einig. Nun aber entwickelten sich zwischen den beiden die Interessengegensätze. Lediglich in eine Richtung marschierten sie gemeinsam: in der Brechung der deutschen Vorherrschaft. Seit den siebziger Jahren brachte auch jeder Wahlkampf, ob es der Schlesi sche Landtag in Troppau oder der Wiener Reichsrat war, starke nationale Erregung mit sich, und bis in die neunziger Jahre behauptete sich das Deutschtum unangefochten in seiner Führungsrolle in der Verwaltung, Wirtschaft, im Rechtsleben und in der Politik. Die breite Masse des deutschgesinnten Schlesiertums folgte ihm willig. Das Jahr 1879 brachte dem Polentum erstmals im W iener Reichsrat eine ausschlaggebende Schlußstellung, die es auch bei jeder Gelegenheit klug zu nutzen wußte. Ein überragender Führer des Deutschtums in dieser Zeit war Superintendent Dr. Haase, der Jahrzehnte hindurch den Bielitzer Wahlkreis im Wiener Parlament vertrat und sich bemühte, das Deutschtum zusammenzuführen. Allmählich gingen die Reichsratsmandate für den Bielitzer und den Teschen-Freistädter Wahlkreis an die Polen verloren. Seit 1848 ließ das österreichische Sprachengesetz das Polnische als Unterrichtssprache in unserem Schlesien zu. Seit 1882 gab Michejda ein polnisches Blatt im Teschener Raum her aus, 1905 folgten weitere, 1909 folgte ein Blatt in polnischer Sprache, das 214
sich aber bewußt zur deutschen Kulturgemeinschaft bekannte. Es war der »Slonsak«. Im Schulwesen verlief die Entwicklung ähnlich. 1891 wurde der pol nische Schulverein in Krakau ins Leben gerufen. 1898 wurde eine polni sche Schule in Biala errichtet, 1902 folgten eine in Mährisch-Ostrau, ein Lehrerseminar und ein Realgymnasium in Biala und Orlau und eine Schule in Tschechowitz. 1918 verfügten die Tschechen über 91 Volksschulen im Land um Teschen. Noch kurz vor dem Krieg bewilligte der Galizische Landtag 10.000 Kronen für den Ausbau der schlesischen Sokol-Werbung. In den Sommermonaten der Jahre 1908 bis 1910 und im Jahr der Reichsratswahl 1911 kam es irgendwo im Teschener Land zu Ausschrei tungen. Die österreichische Regierung wich jeder Machtprobe aus, weil sie die 70 bis 100 Polenmandate benötigte, um aktionsfähig zu bleiben. Der Landtag in Troppau war kaum scharfe Worte gewöhnt, so daß es Aufsehen erregte, als der Führer der neuen Schlesischen Volkspartei das Wort zu einer großangelegten Rede gegen das Tun und die Arbeit der Polen ergriff. Im Schlesischen Landtag gab es noch eine deutsche Mehrheit. In den sogenannten »zweiten Wahlkörper« entsandte unser Ostschlesien neben dem Landeshauptmann Heinrich Graf Larisch (Mönnich-Karwin), Dr. Hans Graf Larisch (Mönnich), Fürst Thun Hohenstein (Kuntschitz) und Gutsbesitzer Leo Zipser (Tschechowitz) als Vertreter des Großgrund besitzes. Die »Städtekurie« war durch Bürgermeister Dr. Bukowski (Te schen), Fabrikant Gustav Josephy (Bielitz), Bürgermeister Dr. Karl Ott (Oderberg) und Bürgermeister Oberpostmeister Hanns Zwilling (Jablunkau) vertreten. 1909 hatte der Landkreis Bielitz noch den Skotschauer Oberlehrer Kożdon in den Landtag bringen können.
Das Ende der österreichischen Periode In den ersten Kriegsjahren war für nationale Auseinandersetzungen kaum Platz. Die Russen hatten den größten Teil Galiziens besetzt, und monate lang trug der W ind das dumpfe Rollen des Kanonendonners über unser Land. Unsere Bahnen waren die Hauptachsen für den Transport von Gü tern für die deutschen und österreichischen Ost- und Südostoperationen. In Teschen war bis 1917 auch das k. u. k. Oberkommando untergebracht, und 215
hier wurde auch Pilsudskis Polnische Legion für ihren Einsatz an der Ost front vorbereitet. Allmählich rückt die Front wieder nach Osten. Am 5. November 1916 rufen die Mittelmächte einen polnischen Staat aus. Die polnische und tschechische Emigration ist überrascht. Am 21. Oktober erfolgt das Attentat auf den österreichischen Ministerpräsi denten Stürgkh, sein Nachfolger Dr. Körber ist der erste Vertreter »Öster reichs, nicht mehr der« im Reichsrat vertretenen »Königreiche und Län der«. Am 5. November 1916 unterzeichnet er die Anerkennung des »neuen Polen«. Am 14. November 1916 erfolgt eine russische Deklaration, in welcher Polen von Rußland her erneuert werden soll. Vor allem sichert sie den Polen alle Gebiete, die von ihnen auch in Deutschland und Österreich bewohnt werden, zu. Am 28. Mai 1917 nimmt der Galizische Landtag eine Entschließung an, welche die Vereinigung aller polnischen Gebiete for dert. In den folgenden Monaten ist die polnische und tschechische Agitation im Ausland sehr rege. Dabei zeigen sich erste Konflikte zwischen Polen und Tschechen - der beiderseitigen Forderungen wegen. Am 9. Januar 1917 sieht sich die deutsche Mehrheit des Troppauer Landtages gezwungen, in Wien gegen die Versuche der Polen, die »galizi sche Sonderstellung« auf den größten Teil unseres Ostschlesiens auszu dehnen, zu protestieren. Es sollte an Galizien angegliedert werden. In Prag kommt es zu Protesten dagegen. Bis in die Mitte des Jahres 1918 währte der schwere Kampf der M onar chie, sich der Übermacht entgegenzustemmen. Dann kommt die deutsche W estfront ins Wanken, und Mitte Oktober durchstoßen die Ententetruppen die bulgarische Front, die am 26. September kapituliert. In den ersten Oktobertagen legen die Türken die Waffen nieder. Am 24. Oktober setzt in Venetien eine große Offensive ein, welche die österreichische Front am 27. Oktober durchbricht. Am 27. und 28. Oktober streckt Österreich-Un garn die Waffen. Die Auflösung unseres Staatswesens nimmt ihren Gang. Das vereinsamte Ostschlesien - unsere Heimat - lag weit weg, kein Habsburger und kein Hohenzoller kümmerte sich darum, nur der Polnische Nationalrat. In der Nacht vom 29. zum 30. Oktober 1918 errichtete er in den Dörfern eine Bürgermiliz. Der ehemals österreichische Oberst Latinik übernahm unter polnischer Fahne den Oberbefehl. 216
Die Lage der Deutschen in unserem Ländchen war in diesen Tagen wenig hoffnungsvoll. Beratungen wurden in Teschen einberufen, an denen die Landtagsabgeordneten Dr. Kukowski (Teschen), Josephy (Bielitz), Zwilling (Jablunkau), die Führer des Bielitzer Deutschtums, Rechtsanwalt Dr. Förster und Seminardirektor Piesch (der spätere W arschauer SejmAbgeordnete für Bielitz), Dr. Ott (Oderberg) und andere teilnahmen. Von den drei Reichsratsabgeordneten des Teschener Landes war Dr. Demel im Jahr 1916 gestorben, der hochbetagte Wiener Oberbaurat Günther fiel in diesen Tagen völlig aus, so blieb nur der Ostrauer Abge ordnete Dr. von Licht. Man entschloß sich zur Schaffung einer deutsch österreichischen »Provinz Sudetenland«, und in Troppau schritt man sofort (2. November) zur Bildung einer »Provisorischen Landesversammlung« und vereidigte die deutschsprachigen Truppen auf Österreich. An unser Ostschlesien dachte man in diesem Augenblick nicht mehr. In W ien inter essierte nur unser für diese Stadt wichtiges Kohlenbecken, welches bis vor die Tore von Bielitz reichte. Das österreichische Schlesien blieb in diesen kritischen Tagen ohne staatsrechtlich akkreditierte Volksvertretung. Kożdon war der einzige Verreter Ostschlesiens in Troppau. Wenige Tage später war die Verbindung zwischen West und Ost im Lande abgerissen. Am 5. November 1918 Unterzeichneten Polen und Tschechen ein erstes Provisorium. Teschen und Bielitz mit ihrem Land wurde den Polen über lassen. Die Tschechen behaupteten einige Orte um Orlau, die Polen Frei stadt, Karwin und, durch einen schmalen Korridor getrennt, Oderberg und seine Umgebung. Diese provisorische Grenzziehung lehnte sich im we sentlichen an die Sprachgrenze zwischen Polen und Tschechen an. In W ien stand die Teschener Frage auf der Tagung des Provisorischen Nationalrates am 12. November 1918 auf der Tagesordnung, auf welcher Dr. von Licht ein Referat über das ostmährisch-schlesische Gebiet hielt. Es wurde als wichtigster Handels- und Verkehrsknotenpunkt bezeichnet, wel chen Österreich niemals entbehren könne, und daß die Städte Ostschle siens, die deutschen Sprach- und Kulturgebiete, von mächtiger Bedeutung und alter Wirtschaftsbesitz Österreichs seien. Man könne sie nicht aufge ben, aber man sei bereit, sich mit Polen und Tschechen über eine Neutra lisierung zu einigen. Eine ähnliche Meinung vertrat auch wenige Tage später der provisorische Staatskanzler Dr. Renner. In einer Staatserklärung stellte man als Ergebnis der Beratungen fest, daß »das Industriegebiet im 217
äußersten Norden, Ostmähren und Ostschlesien einschließlich der Sprachinsel Bielitz-Biala, ein einheitliches Gebiet bildet, auf welches alle drei genannten Staaten Anspruch hätten.« An einer anderen Stelle, welche den Umfang des Gebietes beschreibt, heißt es: »... und schließlich der nach Galizien übergreifenden Teile der Bielitzer Sprachinsel, bestehend aus den Gemeinden Alzen, Biala und Kunzendorf/Lipnik und Wilmesau«. Zu Beginn des Jahres 1919 wurde die Haltung der Bielitzer schnell uneinheitlich. Im Dezember war der deutsche Fabrikant Gustav Josephy plötzlich gestorben. Dessen starke Persönlichkeit und fester und zielbe wußter Wille, der in diesem Augenblick unersetzlich war, ging den Bielitzern nun verloren. Sonderinteressen konnten jetzt um so mehr Boden gewinnen. Und als die Polen gar begannen, umfangreiche Staatsaufträge in Textilien zu verge ben, und es klar wurde, daß Brünn, Jägemdorf, Reichenberg und Friedek als Konkurrenten ausfielen und Bielitz das Monopol besaß, schwenkte man schnell um. Bis in den März 1920 hielt man sich aber zurück, um der Volksstimmung nicht in den Rücken zu fallen. Inzwischen hatten sich die politischen Führer des Deutschtums zu einer »Delegation der Deutschen Parteien des ostmährisch-schlesischen Indu striegebietes« zusammengeschlossen. Aus Bielitz gehörten ihr Rechtsan walt Dr. Viktor Förster, Seminardirektor Piesch und von den Sozialdemo kraten Gemeinderat Barthelt und Schriftleiter Tietze an. Aus den Resten der zurückströmenden deutschsprachigen Truppen stellte man auf Weisung Wiens Volkswehren zusammen; so in Bielitz, Skotschau und Teschen. Sie übernahmen Polizeifunktionen. Gegen Ende des Januar 1919 überschritten annähernd 10.000 tschechi sche Soldaten aller Waffengattungen die Demarkationslinie in Richtung Oderberg. Der französische General Nissel überbrachte der tschechischen Armee den Befehl zur Einstellung des Vormarsches, als sie fast Ustroń erreicht hatte. Am 29. Januar kamen die Teschener Frage und die polnisch-tschechi schen Gegensätze zum ersten Mal vor dem Obersten Rat zur Verhandlung, und am 3. Februar 1909 wurde ein zweites Provisorium geschaffen. Jetzt blieb die K aschau-O derberger Bahn in ihrer ganzen Länge den Tschechen, den Polen die südliche Hälfte Teschens bis Jablunkau. Nach Teschen wurde eine Interalliierte Kommission verlegt, welche dem Obersten Rat 218
Material vorbereiten sollte, um schlichten zu können (Vorsitz: Grenard, Frankreich). Im März 1919 bildete man noch eine besondere »Unterkommission für die Grenzen Polens«, die dem französischen General Le Rond unterstand. Mitte 1919 wurde auch in Wien eine Denkschrift in Um lauf gebracht, welche gleichlautend mit den Deutschen unseres Landstriches die Um schreibung der erstrebten autonomen Republik abfaßte. Für unsere Bielitzer Gegend lautete der Text: »... Ostschlesien vollständig. Galizien: die Stadt Biala und die Gemeinden Alzen, Lipnik/Kunzendorf und Wilmesau/ Wilamowitz.« (Aus: »Das ostmährisch-schlesische Industriegebiet [Mähr. Ostrau - Teschen - Bielitz] eine selbständige Republik«, W ien 1919, mit einer Karte. Flugblätter für deutsch-österreichisches Recht). Am 23. Juli wußte der Wiener »Abend« aus Paris zu berichten, daß der Plan seitens der Alliierten endgültig fallengelassen wurde. Noch einmal prellten die Tschechen vor: Eine Postverordnung erklärte Teschen und Bielitz als Inland und erkannte ihnen Inlandstarife zu. Pressegerüchte tauchten auf, wonach »die Troppauer Handelskammer bereits in den nächsten Wochen eine eigene Handelskammer in Bielitz abzweigen würde«. Am 21. Juli trat eine gemischte Konferenz in Krakau zusammen, man einigte sich aber nicht. Die Polen hatten den Deutschen inzwischen die feierliche Erklärung gegeben, zumindest den deutschen Charakter des Bielitzer Gebietes zu achten und in Zukunft alles zu vermeiden, was das deutsche Empfinden verletze. Die unruhigen Elemente hielten sie den Bielitzem vom Leibe. Im März 1920 sollen Verhandlungen zwischen den Bielitzer Deutschen und den Polen zu folgenden polnischen Zusicherungen geführt haben: volle Autonomie Ostschlesiens, eine deutsche Universität und eine deut sche Bergschule in Teschen sowie die Verpflichtung, ostschlesische Solda ten nicht nach Polen zu senden. Für rund 77.000 Deutsche eine Universität zu errichten, erschien un wahrscheinlich. Die Unklarheit blieb im Ganzen weiter bestehen.
219
Österreichisch-Schlesien in Zahlen Ich habe an anderer Stelle geschrieben, daß sich in der Berichtsperiode ein weitläufiger Volkstumskampf breitmachte. W ir lebten damals in einer Zeit, in welcher das Deutschtum zum Bei spiel in der ungarischen Hauptstadt, das war zu Anfang des 19. Jahrhun derts, noch stark war. Buda und auch Pest waren überwiegend deutsche Orte, auch Stuhlweißenburg, Fünfkirchen, W eißbmnn (Yeszprem) oder Raab (Gjör). 1880 hatte Budapest noch 123.000 Deutsche, was 34,2% gleichkommt. 1941 waren es noch 22.500 oder 2% Deutsche. Diese nüchternen Zahlen sagen mehr über den Volkstumskampf als viele Worte. Ähnlich sah es in allen jenen Teilen der Monarchie aus, die nicht rein deutsch waren. Unser Österreichisch-Schlesien hatte 1880 550.610 Einwohner. Davon waren 269.338 = 48,9% Deutsche, 126.385 = 12,9% Tschechen und 154.887 = 28,1 % Polen. Im Jahr 1900 waren es nur noch 44,7 % Deutsche, 22,0% Tschechen, aber 33,2% Polen. Im Schlesischen Landtag saßen 1884 nachstehende Abgeordnete: Deutsche Fortschrittspartei: 22 Mandate Deutsche Nationale Volkspartei: 3 Mandate Alldeutsche: 0 Mandate Agrarier: 0 Mandate Tschechische und Polnische Solidarität: 4 Mandate Großgrund- und Mittelstands-Partei: 1 Mandat Virilstimme: (Erzb. v. Breslau)) 1 Mandat Zusammen: 31 Mandate 1890 waren es: Deutsche Fortschrittspartei: 19 Mandate Deutsche Nationale Volkspartei: 5 Mandate Alldeutsche: 0 Mandate Tschechische und Polnische Solidarität: 6 Mandate Virilstimme: 1 Mandat Zusammen: 31 Mandate
220
Waren es 1884 noch von insgesamt 31 Sitzen 27 Deutsche, änderte sich das bereits 6 Jahre später in nur 25 Deutsche von 31 Sitzen. Unser kleines österreichisches Kronland wurde 1890 in nachstehenden Daten und Zahlen erfaßt: A uf einer Fläche von 5.147 qkm wohnten 605.649 Einwohner. Das ergibt auf einen Quadratkilometer 118 Menschen. Davon waren 297.560 Deutsche (= 48,3% ), 178.089 Polen (= 29,5 %) und 130.000 Tschechen (= 22,2 %). Von der Gesamtbevölkerung waren 510.883 = 85 % katho lisch, 84.724 = 14,4 % evangelisch und 10.042 = 1,6 % jüdisch. Im ostschlesischen (niederschlesischen) Teil lebten in dieser Zeit (1890) 39.075 = 13,3 % Deutsche, 178.099 = 61 % Polen und 75.000 = 27% Tschechen. Zusammen waren das für Ostschlesien 292.174 Ein wohner. Unter den Polen sind unsere »Schlonsaken« (= Schlesier) und unter den Tschechen auch die ihnen ähnlichen Walachen sowie »Mährer« zu verstehen. Von den 39.075 Deutschen entfielen allein auf den Bezirk Bielitz sowie die Stadt Bielitz mit den sie umgebenden deutschen Gemeinden 22.806 deutsche Einwohner (= 59% ), auf den Bezirk Freistadt 5.792 Deutsche (= 15% und auf den Bezirk Teschen 10.477 Deutsche (= 26% ). (Die Zahlen stammen aus »Der Kam pf um das Deutschtum« Heft 6: »Böhmen, Mähren, Schlesien« von Karl Kürk, Verlag Lehmann, München 1898.) Aus dem Jahr 1900 liegt mir auch noch eine Reihe von Daten vor, die die Anzahl der Deutschen in den einzelnen Ortschaften unseres Ländchens wiedergeben: Zunächst die Stadt Bielitz: Die Bevölkerungsbewegung geht für die Zeit von 1880-1910 aus fol genden Zahlen hervor: 1880: 13.060, 1890: 14.573, 1900: 16.597 und 1910 schließlich 18.560 Einwohner. Für Biala liegen die Zahlen für den gleichen Zeitraum zwi schen 8.000 und 9.000 Einwohnern. Und nun eine anteilige Aufgliederung nach deutschen und nichtdeutschen Einwohnern (Stand: 1900):
221
Ortsname Stadt Bielitz Stadt Biala Kunzendorf Alzen Wilmesau Batzdorf* Komrowitz Nickelsdorf Mikuszowitz Bistrai** Karnitz Alexanderfeld Altbielitz Lobnitz Matzdorf Ob. Kurzwald Nd. Kurzwald Em sdorf Tschechowitz Skotschau Schwarzwasser Freistadt Teschen Jablunkau
Deutsche 13.540 6.345 5.552 1.980 1.152 257 110 1.042 84 312 2.251 1.905 2.435 549 93 974 13 133 93 1.432 497 1.103 10.510 488
%
Polen
85 79 67 74 67 50 4 83 7 63 87 86 94 74 5 58 1,3 5,6 5,7 45 35 33 66 15
2.500 1.690 2.751 635 567 262 2.737 214 1.060 175 601 286 297 188 1.621 587 938 2.237 1.621 1.730 905 2.259 5.950 2.800
* Der Anteil der Deutschen verringerte sich in Batzdorf von 72 % im Jahr 1880 auf jetzt 50 %! ** Der Anteil der Deutschen in Bistrai war 1890 noch 74 %!
Die Stadt Bielitz hatte eine Fläche von 5 Quadratkilometern mit einer Bevölkerung von 16.040 Menschen (1910). Der Bezirk Bielitz (Bezirks hauptmannschaft) hatte eine Fläche von 758 Quadratkilometern (1900) mit 75.593 Einwohnern. Die Grundfläche der Teichwirtschaft von Stadt und Land Bielitz betrug 74.820 ha (1919). 222
Die Summe dieser steuerpflichtigen und steuerfreien Grundstücke in Stadt und Land Bielitz war 76.312,4 ha. Die Stadt Biala hatte mit ihrer nächsten Umgebung, Kunzendorf und Alzen im Jahr 1910 etwa 14.253 deutsche Einwohner. Der Bezirk Biala mit 635 qkm hatte 101.492 Einwohner, die Stadt Saybusch war von 5.892 und der Bezirk Saybusch mit 1.153 qkm von 108.629 Menschen bewohnt (1910). In den Jahren 1880 bis 1900 war eine starke Zunahme der Polen im Teschener Gebiet zu verzeichnen, da viele wasserpolnische »Slonsaken« sich als Polen bezeichneten, und ab 1910 konnte ein starker Übergang des Polentums zur tschechischen Umgangssprache festgestellt werden. Im Süden unseres Ländchens war im Komitat Arva 1910 die Zahl der später umstrittenen Teile im oberen Arvatal etwa bei 16.000 Menschen ( - 20 %) angegeben worden. Dieses umstrittene Gebiet wechselte dann ja auch 1938 und 1945 seinen Besitzer. Österreichisch-Schlesien umfaßte im Jahr 1910 5.157 qkm mit 680.422 Einwohnern, das waren 132 je qkm. Die Bevölkerung hatte seit 1890, also in den letzten zwanzig Jahren, um 74.773 Menschen zugenommen. 84,7 % waren katholisch, 13,5% evangelisch, 1,8% waren Juden. 44,7% waren Deutsche, 22% waren Tschechen und 33,1 % Polen. 41,3 % waren in der Land- und Forstwirtschaft, 39,4 % in der Industrie, 6,2 % im Handel und Verkehr sowie 13,1 % im öffentlichen Dienst und in freien Berufen tätig. In den Reichsrat zu Wien entsandte das österreichische Schlesien 15 Abgeordnete. Der österreichisch-schlesische Bergbau förderte 1905 5,2 Mill. t Stein kohle, 1917 waren es schon 11,2 Mill. t (die gesamte österreichisch-unga rische Monarchie förderte damals 20,7 Mill. t Steinkohle). Die Eisenbah nen beförderten über Oderberg und Bielitz (1909) 4,4 Mill. Tonnen Güter und Frachten nach Westen und 7,7 Mill. Tonnen nach Osten. Interessant zu lesen waren auch die Angaben über die Ordnungshüter im damaligen Staat. Dazu gehörten die Gendarmerie und das Militär. Gendarmerie gab es mit dem Stand vom 1. Januar 1909 in folgender Aufteilung in Ostschlesien:
223
Gerichtsbezirk Bielitz (einschl. Stadt) Schwarzwasser Skotschau Jablunkau Teschen Friedek
Postenanzahl 4 4 5 4 8 8
Mann 19 13 16 14 27 28
Dazu gehörten für das ganze österreichische Schlesien: 1 Stabsoffizier, 7 Oberoffiziere und 397 Mann. Für unsere 5.147 qkm und 680.422 Ein wohner entfielen auf einen Mann 136 qkm mit 1.809 Einwohnern. Das sogenannte »Schubwesen« war auch eine der Aufgaben der Gendarmerie und bestand darin, daß Sträflingstransporte sicher ans Ziel kamen. »Schub stationen« gab es im politischen Bezirk Bielitz, in Bielitz, Ustroń, Schwarzwasser und Skotschau. Das Bürgermeisteramt in Bielitz war be auftragt, ab 1. Juli 1899 ein Sicherheitsorgan an jene Züge zu entsenden, die die »Schüblinge« transportierten, die nach Bielitz und den Gemeinden seines Bezirks zuständig waren, um sie dort in Empfang zu nehmen. Die Sorge um die Unterbringung des Militärs beschränkte sich auf die Landwehr- und die Erzherzog-Friedrich-Kaseme in Teschen und auf Bie litz (Infanteriekaseme mit »Marodenhaus« und Munitionsmagazin in Ka rnitz sowie eine Normalkaseme für drei Eskadronen, einen Divisionsstab sowie eine Unteroffiziersschule eines Kavallerieregimentes). Der Druck, der unmittelbar nach Beendigung des ungarischen Krieges in der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Verlegung eines Husarenregi mentes nach Schlesien und durch häufige Durchmärsche auf unseren hei matlichen Quartierträgem lastete, zwang zum Bau dieser vorhin genannten Kavalleriekaseme. Aus dem Jahr 1910 liegt auch noch eine nach Nationalitäten zahlen mäßig aufgegliederte Datensammlung vor. Es handelt sich um eine nicht vollständige Aufstellung über Deutsche, Polen und Tschechen.
224
Bielitz-Stadt Bielitz-Land Skotschau Schwarzwasser
Deutsche
Polen
Tschechen
zusammen
15.144 13.495 2.706 1.430
2.568 20.286 30.114 13.180
136 403 159 101
18.568 34.654 33.127 15.054
Die politischen Bezirke zeigten folgende Zahlen: Bielitz Friedek Freistadt Teschen Das gesamte Ostschlesien:
32.775 11.944 15.159 17.045
66.148 15.093 75.462 77.147
799 84.091 28.103 6.204
99.722 111.128 118.924 100.396
76.923
233.850
119.197
429.970
Militär in unserer Gegend, Stand von 1907 Ständig in Garnison lag in unserer Gegend eigentlich nur wenig Militär, obwohl der langgestreckte Teil des österreichischen Landes zwischen Un garn im Süden und Preußen im Norden eine wichtige strategische Rolle spielte. Es lagen in: Bielitz: 1 Bataillon Infanterie und 3 Eskadronen Kavallerie Teschen: 6 Bataillone Infanterie Wadowitz/Frauenstadt: 1 Bataillon Infanterie Pleß: die 2. Eskadron des preußischen Ulanenregiments Nr. 2 Krakau, als Festung besonders stark belegt: Sitz des 1. Armeekorps. 15 Bataillone Infanterie, 1 Bataillon Pioniere, 16 Bataillone Artillerie, 9 Es kadronen Kavallerie, 9 Bataillone Festungsartillerie, 1 Division Train.
225
Was das Land alles tat Es war nicht leicht, es allen recht zu machen. Man muß staunen, was trotzdem alles geschah. Gerade diese gesamte Tätigkeit der Landesstellen war ausschließlich eine Leistung der deutschen Führungsschicht, eine Tat sache, die nicht nur heute vergessen wird. Trotz aller Gegenwirkungen und Gegenläufigkeiten wurden beachtliche Leistungen vollbracht. W ir wollen einiges festhalten.
Das Straßenwesen in unserem Gebiet Für die Straßen waren in der österreichischen Monarchie jeweils die k. k. Bezirksämter zuständig, denen sogenannte Straßenkomitees zur Seite stan den. Solche Komitees gab es in Bielitz, Friedek, Jablunkau, Oderberg, Schwarzwasser, Skotschau und Teschen für das Gebiet Ostschlesiens. Hinzu kamen noch Straßenausschüsse, die das eigentliche Verwaltungsor gan 1. Instanz waren. Sie saßen in den ebengenannten Orten. Pläne für Bauvorhaben oblagen den Landesbauämtem. Für unser Schle sien war ein solches in Troppau ansässig. Wie die Unterlagen zeigen, gab es im Straßenbezirk Bielitz im Jahr 1907 86 Bezirksstraßenbrücken mit einer Gesamtlänge von 413,5 Metern, und zwar 37 gewölbte Brücken mit 73 Metern Länge, 33 Brücken aus gemischtem Material (205,2 Meter) und 16 gemauerte Brücken mit W alz eisenträgem und Wellblechbelag (134 Meter). Besonders zu nennen war damals die Illownitzbrücke bei Dzieditz mit 41 Metern auf gemauerten Widerlagern mit W alzeisenträgem und Holzbelag. Noch zwei solcher Brücken gab es in Kurzwald (26 bzw. 22 Meter) und eine ähnlich gebaute in Ellgoth (14 Meter).
Unterstützungen durch das Land Die Landesregiemng hilft in vielen Fällen finanziell bei Bauvorhaben und schulischen Dingen, welche die Gemeinden nur schwer aus eigenen M it teln erbringen könnten. Am 27. und 28. August 1870 beschließt der Land tag, der evangelischen Gemeinde Unterstützung zuteil werden zu lassen 226
zugunsten ihrer Unterrealschule in Bielitz. Er gibt eine jährliche Hilfe von 5.400 Gulden mit der Auflage, auch Schüler jeder anderen Konfes sion aufzunehmen. Ein Landesbeschluß vom 28. November 1872 besagt, daß der Zuschuß auch bleibt, wenn die Anstalt vom Staat übernommen und zu einer Oberrealschule erweitert werden sollte. Der Landtag sprach den W unsch aus, mit Rücksicht auf die Bedeutung, welche eine Bielitzer Oberrealschule der geographischen Lage von Bielitz wegen für das Reich besitze, dem Reichsrat baldigst vorzuschlagen, daß diese Zuschüsse aus dem Reichsratsbudget gezahlt würden. Am 16. April 1875 bewilligt der Landtag der Bielitzer Oberrealschule unter der Voraussetzung, daß auch diese Anstalt alle Konfessionen aufnimmt und sie niemals einem geistli chen Orden in Obsorge geben werde und vom Staat übernommen wird, erneut eine Zuwendung von jährlich 5.400 Gulden. Die Übernahme der Anstalt vom Staat erfolgte in den siebziger Jahren. 1875 werden auch die ersten gewerblichen Fortbildungsschulen in Schlesien eingerichtet. 1894 bewilligt das Land Lehrerzulagen für die Lehrer der evangeli schen Lehrerbildungsanstalt mit Öffentlichkeitsrecht zu Bielitz. 1908 erhält auch die allgemeine gewerbliche und fachliche Fortbil dungsschule für Metallarbeiter in Bielitz eine Unterstützung aus Landes mitteln. Im gleichen Jahr erhalten laufende Unterstützungen: die katholi sche private Volks- und Bürgerschule in Bielitz (4.000 Kronen) und die deutsche Privat-Volksschule in Dzieditz (6.000 Kronen/Jahr). Es erhält aber auch eine polnische private Schule in Teschen staatliche Zuschüsse. Die Lehrer der Bielitzer ehemaligen evangelischen Volks- und Bürger schule und der ehemals israelitischen Privatvolksschule, die seit 1902 verstaatlicht wurden, erhalten ab 1. Januar 1905 Landeszulagen von 160 bzw. 180 Kronen. Im Jahr 1909 erhalten folgende Anstalten Unterstützung: die k.k. Oberrealschule in Bielitz, die evangelische Lehrerbildungsanstalt zu Bie litz und eine Vorbereitungsklasse für polnische Knaben am deutschen Gymnasium in Bielitz. Ab 1909 wird auch die Webschule in Bielitz unter stützt. Des weiteren werden Stipendien für den Besuch von besonderen Fachschulen genehmigt, darunter auch für die chemisch-technische Abtei lung der k.k. Staatsgewerbeschule in Bielitz und für die evangelische Lehrerbildungsanstalt in Bielitz. Subventionen erhält auch Dzieditz für den Bau eines Choleraspitals. Bis 1906 gibt das Land verschiedene Unter227
Stützungen. So zum Beispiel für die Errichtung von Suppenküchen in den Schulen armer Gebirgsgemeinden während des Winters in Höhe von 1.675 Kronen, für die k.k. Webschule in Bielitz 1.000 Kronen, für die deutsche private Volksschule in Dzieditz 5.500 Kronen, für die private Volks- und Bürgerschule der armen Schulschwestem de Notre Dame in Bielitz 4.000 Kronen, für die evangelische Lehrerbildungsanstalt in Bielitz 1.200 Kro nen, für den Unterstützungsverein der chemisch-technischen Abteilung der Staatsgewerbeschule in Bielitz 80 Kronen, für das Kaiser-Franz-JosefsKrankenhaus in Bielitz 10.000 Kronen. Es wird am 1. August 1893 eröff net. »Zur Deckung des Betriebsabganges« gibt das Land dem Gemeinde krankenhaus Ustroń 200 Kronen und für das Elisabethinerinnenspital in Jablunkau 2.000 Kronen; für die evangelische Waisen- und Rettungsanstalt Ustroń 300 Kronen, für die gleiche Institution in Skotschau 400 Kronen und dem österreichisch-ungarischen Hilfsverein zu Dresden sogar 50 Kronen. Es erhält aber auch Prof. S. Sorge in Bielitz zur Neuauflage der Schrift »Übersicht der Geschichte Österreich-Schlesiens« 70 Kronen, der Steno grafenverein Bielitz 60 Kronen und der Bildungsverein »Volkswohl« in Bielitz den Betrag von 80 Kronen. Der Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften bekommt 9.000 Kronen. Auch an den Gesamtkosten der Wasserleitungen für Skotschau (187.542 Kronen) und Bistrai (1.500 Kronen) beteiligt sich das Land. Österreich-Schlesien erhält 1910 allein an staatlichen Zuschüssen einen Betrag von 3.361.500 Kronen (von insgesamt 105 Millionen Kronen). Eine dauernde Sanierung der Finanzen unseres Landes konnte damit freilich nicht erreicht werden, wie der Vertreter Schlesiens, Exzellenz Graf Sedlnitzki, bei der am 24. April 1909 abgehaltenen Besprechung im Wiener Finanzministerium voraussagte. Lediglich eine zeitlich begrenzte Besse rung sei zu erwarten.
Das Gewerbewesen In Bielitz wurde auf dem Gebiet der beruflichen Bildung und W eiterbil dung vieles getan. So gab es Kurse für Bautischler, Buchhaltungskurse für Schuhmacher sowie allgemeine Buchhaltungskurse. Ein Lehrlingsheim entstand. In den Beskiden entstanden mit Unterstützung des Landes 228
Werksgenossenschaften der Weber. Auf dem Gebiet der Arbeitsvermitt lung wurden nach dem Muster vieler Städte Badens, W ürttembergs, der Rheinlande, Preußens und Sachsens gemeinnützige Körperschaften ge gründet. 1905 bildete sich ein »Verein zur Förderung und Organisation der Arbeitsvermittlung in Österreich-Schlesien«, der am 17. April 1906 auch eine Nachweisstelle in Bielitz eröffnete.
Unsere deutschen und polnischen Zeitungen im Land Die polnische Bevölkerung war aber durchaus habsburgtreu, so daß der Bahnbrecher der schlonsakischen Bewegung in unserem österreichischen Ostschlesien, der Geistliche Prof. Swiezy, im schlesischen Landtag die Zustimmung seiner Landsleute Ciecala und Michejda erhielt, als er sich als »österreichisch und dynastisch« bezeichnete, und das war das Be zeichnende und Kennzeichnende für unsere Schlonsaken, unsere »Schle sier«, daß sie alle von der sogenannten »Galizischen Lösung« abrückten, und sie waren es auch, auf welche die Wiener Hofburg baute und auch bauen konnte. Aber schon 1905 wurde das radikal-polnische Kampfblatt »Dziennik cieszyński« durch Johann Michejda herausgegeben, welches eben diese habsburg-, also deutschfreundlichen »Schlonsaken« als räudige Schafe bezeichnete. Es waren jene Kräfte am Werk, die 1905 auch schon die Loslösung unseres kleinen Ostschlesiens vom deutschen Kronland Schlesien zum Programmpunkt der polnischen Bewegung erhoben. Aber wie gesagt: auch das im Rahmen der Donaumonarchie! Bis zum Beginn des Krieges 1914 war dieser Plan schon zum Tagesgespräch geworden und das Deutschtum im Lande in die Defensive - und das besonders in Teschen - geraten. Die Polen haben ihr Aktionszentrum für unser Land schon früh nach Teschen gelegt, und so kam es auch, daß dort die einzigen polnischspra chigen Zeitungen unseres Kronlandes erschienen. Zurückblickend kann vermerkt werden, daß 1848 das polnische Blatt »Gwiazdka cieszyńska« ins Leben gerufen wurde. 1913 hatte das Blatt eine Auflage von 3.200 Exemplaren, Redakteur war J. Polak, Herausgeber und Verleger: Fr. To miczek; es erschien zweimal wöchentlich, Preis: 7 Kronen. 1875 wurde in Biala das Blatt »Wieniec-Pszczolka« (Kranz-Biene) gegründet. 1913 war Herausgeber und Redakteur Stanislaus Stojalowski; 229
Preis: 5 Kronen. 1884 kam der »Przyjaciel ludu« in Teschen heraus, er hatte 1913 eine Auflage von 1.000 Stück. Redakteur und Herausgeber: Fr. Michejda. Erschien zweimal wöchentlich zum Preis von 2,60 Kronen. 1886 wurde der »Rolnik slaski« in Teschen gegründet. Auflage 1913: 3.300 Exemplare. Herausgeber: Landwirtschaftlicher Verein für das Her zogtum Teschen, Redakteur: Alois Machalica; er erschien zweimal monat lich. Preis: 2,60 Kronen. Im österreichischen Zeitungs-Adreßbuch von 1913 ist er als »die einzige polnische Fachzeitung der schlesischen Land wirte« bezeichnet. 1891 erschien der »Miesiencznik pedagogiczny« in Teschen, Auflage: 7.000, Redakteur: P. Bolek, Verleger: Polnischer Pädagogischer Verein. Preis: 4 Kronen. 1904 kommt der »Robotnik slaski« in Teschen heraus. Auflage: 4.000, Redakteur: Thaddäus Reger. Herausgeber: Reichsratsabgeordneter Peter Cingr, Verleger: Druckerei Fr. Kaliwoda; erscheint dreimal monatlich. M it unbekanntem Ersterscheinungsjahr ist in dem genannten österrei chischen Adreßbuch noch in Teschen das Blatt »Nowy czas«, eine poli tisch- und evangelisch-kirchliche Zeitung, erwähnt, die wöchentlich er scheint. Preis: 4 Kronen. Ab 1905 erscheint dann der »Dziennik cieszyński«, eine radikal-pol nische Zeitung, die ihre Väter aber nicht in unserem Ländchen hat. Ihr Sitz ist Teschen, ihre Urheber sitzen ganz woanders. In unserem Kronland zählte man 1913 an deutschen Zeitungen: 3 in Bielitz, 3 in Freiwaldau, 4 in Jägemdorf, 2 in Neutitschein, 2 in Teschen und 10 in Troppau, zusammen 24 Titel. An polnischen Zeitungen gab es im ganzen Kronland Schlesien 7, die alle in Teschen erschienen. Tschechische Zeitungen erschienen: eine in Friedek und eine in Troppau. Das Schwergewicht des Zeitungswesens lag bis zum Zusammenbruch der Monarchie ohne Frage beim deutschen Element. Was an fremdsprachi gen Blättern mit der Zeit aufkam, war von außen her finanziert und redi giert. Auch östlich von uns, im Kronland Galizien, gab es noch deutsche Zeitungen: 2 in Krakau, 2 in Lemberg und 1 in Drohobycz. Was heute kaum noch jemand weiß, ist die Tatsache, daß im Kronland Bukowina (Buchenland) mit Schwerpunkt in der deutschen Universitätsstadt Tschernowitz im Jahr 1913 13 deutsche Zeitungen existierten. In Bielitz sind in diesem Jahr drei deutsche Blätter erwähnt: die 1884 gegründete »Evangelische Kirchenzeitung für Österreich«, die zweimal 230
monatlich erscheint und verlegt und redigiert wird von Dr. Arthur Schmidt und W. Fröhlich. Ihr Preis: 6 Kronen; der 1895 erstmals erschienene »Bielitz-Bialaer Anzeiger«; Redakteur: Josef Berger, Eigentümer und Herausgeber: S. E. Tobias; erscheint dreimal wöchentlich. Auflage: 1.800 Exemplare, Preis: 13,20 Kronen, und schließlich die 1906 erschienene »Ostschlesische Deutsche Zeitung« mit einer Auflage von 2.000 Stück. Herausgeber und Redakteur: A. Schwalbe, erscheint dreimal wöchentlich, Preis: 12 Kronen. Seit 1907 gibt es den »Arbeitsnachweis«, der seit diesem Jahr auch ein Büro in Bielitz hat. Auflage: 1.000 Exemplare, Redakteur: Dr. E. Mischler, Verleger: Otto Gollmann, beide Troppau. Erscheint sechsmal jährlich, Preis: 6 Kronen.
Das neue Wahlrecht, seine Auswirkungen bei uns Ab 1907 war das neue Wahlrecht in Kraft getreten und löste das bisherige »Zensus-Wahlrecht« ab, welches den vermögensstärkeren Gruppen die Majorität in den Parlamenten einräumte, was bedeutete, daß ihnen im Teschener Land eine überragende Bedeutung zugekommen war. Im Febru ar 1909 hatte Oberlehrer Kożdon 150 bekannte M änner des öffentlichen Lebens aus dem Teschener, Bielitzer und Freistädter Bezirk anläßlich der schlesischen Landtags wählen eingeladen, um mit ihnen das Vordringen der Polen und Tschechen zu besprechen. Hierbei kam es zur Gründung der »Schlesischen Volkspartei« auf antipolnischer Basis. Im gleichen Jahr kam auch der »Schlonsak« heraus, die Zeitung der Schlesischen Volkspartei, die sich zur deutschen Kulturgemeinschaft be kannte. Am 8. November 1910 trat ein Redner der Schlesischen Volkspartei in der schlesischen Landstube gegen die Polenpropaganda auf, doch der Landtag unter Graf Larisch und Kardinal Kopp übte Zurückhaltung. Die W ogen schlugen hoch, wurde es doch bekannt, daß Grenzrevisionen in verschiedenen Polenkongressen in Krakau, Zakopane und Lemberg gefor dert wurden. - Teschen sollte auch kirchlich zum Krakauer Bistum ge schlagen werden, was aber sowohl vom Breslauer als auch vom Wiener Erzbischof abgelehnt wurde. In den Sommern 1908 bis 1910 und vor allem bei den Reichsratswahlen 1911 waren zum Beispiel in Teschen stets Aus 231
schreitungen der Polen an der Tagesordnung. Das Wahljahr brachte zwar einen erneuten Aufschwung der Schlesischen Volkspartei, der Nationali tätenkampf wurde jedoch immer erbitterter. 1913 hatte das schlesische Parlament noch eine deutsche Mehrheit, da im schlesischen Landtag das kuriale Wahlrecht geübt wurde. Am Rande sei hier noch erwähnt, daß das Stadtmandat des benachbarten Mährisch-Ostrau ebenso deutsch war (Dr. Karl Fajrlik) wie die zwei Mandate des Landkreises Mährisch-Ostrau (Red. Johann Prokes und Landwirt Josef Klega aus Hrabowka).
Nationale Not in unserem Land Aus mehreren Feststellungen ging ja hervor, daß unser Zeitabschnitt (1879-1920) gekennzeichnet ist durch immer mehr aufflammenden Streit der Nationalitäten in unserer Monarchie. Nicht nur die Tschechen waren es, die an dem Staatsgebäude kräftig rüttelten, und nicht nur jene Deut schen waren betroffen, die ihre Anrainer waren oder mit ihnen Zusammen leben mußten. Aber ihr Beispiel machte Schule. Nun war es ja so, daß die Tschechen gar nicht daran dachten, aus der Monarchie auszuscheren. Ihnen war nur das »deutsche Joch« - so glaubten sie - unerträglich. W ir in unserer Sprachinsel erlebten diesen Kampf aus eigenstem Erleben über weite Strecken mit den Polen, die auch glaubten, unzufrieden sein zu müssen, und sie rührten sich mit aller nationalen Leidenschaft und Aggres sivität. Die Bielitzer Sprachinsel lag ja zu einer Hälfte auf schlesischem, zur anderen auf galizischem Gebiet. Hatte Schlesien noch eine deutsche Lan desverwaltung und Regierung, so war es für alle, die im östlichen Teil östlich der Białka - wohnten, leider nicht so. Diese Deutschen waren den Angriffen der Polen ohne Stütze und Schutz ausgeliefert, und Wien war weit. Und zu allem Überfluß geschah zu dieser Zeit in Wien ja nur mehr das, was das Wiener Parlament mit einer slawischen Mehrheit erreichen konnte. Die Deutschen hatten sie nicht mehr, und so war die Regierung gezwungen zu koalieren, zu paktieren, Kompromisse zu schließen. Diese Mehrheitsbeschlüsse ergaben aber nur Resultate, die schließlich für die Slawen, nie aber - oder nur in unwichtigen Dingen - für die Deutschen nützlich waren. Dafür sorgten schon die nichtdeutschen Abgeordneten oder Minister, deren sich der Kaiser bedienen mußte, um den Staat führen 232
zu können. Im kleinen zeigte sich das schon zum Beispiel daran, daß es auf den Amtsgebäuden der deutschen Stadt Biala nur polnische Aufschrif ten gab. Das gleiche galt für Batzdorf, Alzen, Kunzendorf und auch Wilmesau. In diesen deutschen Dörfern durften an den deutschen Schulen nur Lehrer eingestellt werden, die auch über polnische Sprachkenntnisse verfügten. Außerdem errichtete der Polnische Schulverein in so manchem deutschen Dorf eine polnische Schule, obwohl er in gleichgelagerten pol nischen Dörfern nicht so verfuhr. So tolerant war der österreichische Kaiserstaat! Der Deutsche Schulverein seinerseits - und das war bezeichnend - hatte in seinem ersten Aufruf von 1880 die Kronländer Böhmen, Mähren, Tirol und Krain als sein Arbeitsgebiet genannt, nicht aber das Land Galizien, wo es zahlreiche deutsche Siedlungen gab, die den Ansturm der Slawen gegen Schlesien und das Sudetenland zumindest abbremsten. Zog sich dieses Deutschtum zurück oder ging es verloren, so erfolgte dann direkt der Ansturm der Slawen. Und diese Gefahr bestand ja nicht nur, sie war vielmehr noch im Wachsen. Aus dem »Gefühl des nationalen Gemein sinns« erfolgte dann auch 1883 der Bau einer deutschen Schule in Kunzen dorf durch den »Deutschen Schulverein«. Das Bialaer Grundbuch enthält seit 1895 nur noch Eintragungen in polnischer Sprache, obwohl das Deutsche Gebrauchs spräche bei den Be hörden war. In Biala wurde sogar unter Duldung der österreichischen Behörden ein polnisches Legionskommando errichtet, und in Krakau war die Zentrale der Ausbildung dieser polnischen Einheiten. Von Unterdrükkung war also keine Rede. Die Sprachenverordnung Badenis von 1897 löste bei allen Deutschen eine revolutionsartige Reaktion aus, bis der Kaiser dann schließlich Badeni entließ und die Verordnung nicht zur Durchführung kam. Nun wachten die Deutschen erst auf und sammelten sich, wenn auch zaghaft. Bezeichnend ist auch, daß es die Polen selbst in rein deutschen Orten des östereichischen Schlesien erreicht haben, zu den deutschen auch noch polnische Aufschrif ten hinzuzufügen. Hingegen mußte in den deutschen Gemeinden auf galizischer Seite eine zusätzliche deutsche Bezeichnung unterbleiben. Zur Volkszählung 1898 gab der Bielitzer Bezirkshauptmann Derlik bereits jeder schlesischen deutschen Gemeinde einen polnischen Namen, der in der Folge auch auf den Ortstafeln anzubringen war. 233
Ich erwähnte schon den Deutschen Schulverein. Seine Gründung er folgte im Jahr 1880 für ganz Österreich, und nun entstanden Zug um Zug in allen deutschen Gemeinden des Bielitzer Kreises seine Ortsgruppen und errichteten Schulen in Kunzendorf, Tschechowitz, Dzieditz, Em sdorf und auch Matzdorf. Für die besonderen Verhältnisse in Schlesien wurde 1894 der deutsche Schutzverein »Nordmark« ins Leben gemfen. Im glei chen Jahr gab es in Bielitz eine Ortsgruppe, 1899 in Kurzwald, 1901 in Nickelsdorf, 1903 in Lobnitz, 1905 in Karnitz, 1906 in TschechowitzDzieditz. Die »Nordmark« befaßte sich mit Siedlungsfragen, baute Schü ler- und Lehrlingsheime, führte dem Handwerk deutsche Lehrlinge zu, beschaffte Darlehen und tat alles, um das Gefühl für das eigene Volk zu wecken. Letzteres war auch Sinn und Wirken unserer deutschen Vereine, wie des Bielitz-Bialaer Turnvereins, der deutschen Gesangvereine in Bielitz, Biala, Altbielitz, Kunzendorf, Nickelsdorf oder Karnitz, der deutschen Bemfsvereine und Tischgesellschaften und nicht zuletzt der deutschen studentischen Verbindungen. Als Dachorganisation entstand ein »Deutscher Volksrat«. Ihm ist zu verdanken, daß die deutschen Landgemeinden westlich der Białka für die Reichsratswahl 1907 einem deutschen Wahlkreis zugeteilt, waren und so ihre Stimmen den deutschen Listen nicht verlorengingen. Die Aktivität der Polen wurde seit Badenis Tagen immer stärker. Das Polnische galt als zweite Landessprache, und deutsche Ämter mußten polnische Eingaben bearbeiten. Der schlesische Landesausschuß tat alles, um sie zu übersetzen. Bielitz war zum Beispiel der Brünner Postdirektion sowie dem dortigen Oberlandesgericht zugehörig. So kam es, daß tschechische Beamte dieser Behörden nach Bielitz versetzt wurden. Vordmcke der Post waren in Bielitz dreisprachig! Der Höhepunkt der polnischen nationalen Bestrebungen war ein Marsch nach Bielitz, der aber an der Bialka-Brücke aufgehalten wurde. Dieser Tag war zur Entfaltung nationaler Leidenschaften wie geschaffen: Es war der 28. Juni 1914, an welchem das österreichische Thronfolgerpaar in Sarajewo erschossen wurde. Polizei und junge deutsche Turner versperrten den Polen den Eintritt nach Bielitz. Auch ein Steinhagel änderte nichts daran. Die Kundgebung der Polen unterblieb. 234
Dr. W itt hat über die Ereignisse in unserem Land in sehr ausführlicher Weise in seinem Buch »Die Teschener Frage«, erschienen 1935 in Berlin, berichtet.
In Bielitz ab 1879 geschehen Die Zeit Josef-Maria-Ludwig von Sulkowskis war in Bielitz und seiner engsten Umgebung von einer bemerkenswerten Lebendigkeit. Nur einige wenige technisch-bauliche Vorhaben seien erwähnt: Im Jahr 1879 waren durch die Trassenlegung der Eisenbahn die Wasserbrunnen der Niedervorstadt von ihren höher gelegenen Quellen abgeschnitten, und so mußte das Problem der Wasserversorgung unserer Stadt einer endgültigen Lösung zugeführt werden. Von entscheidender W ichtigkeit war dafür das Quellgebiet des Lobnitzbaches im obersten Luisental mit einem Einzugs gebiet von 12 Quadratkilometern und einem möglichen Aufbringen täglich von etwa 3.000 Kubikmetern besten Trinkwassers. Im gleichen Jahr wurde nach Plänen des Baumeisters Korn der jüdische Tempel auf der Kaiser-Franz-Josef-Straße errichtet. Ab 1880 stellte sich unsere Textilindustrie auf Kammgarn um, und zu dem Exportgebiet des Nahen Ostens gesellten sich Nord- und Südamerika hinzu. Im gleichen Jahr erwarb die Stadtgemeinde Bielitz das an die Schloß mauer angrenzende Grundstück des Schloßgartens für 13.120 Gulden von Fürst Josef-Maria-Ludwig. Am 20. und 21. Oktober 1880 weilte Kaiser Franz-Josef I. zwei Tage in Bielitz, was für die Stadt immerhin ein gewaltiges Ereignis in der dama ligen Zeit bedeutete. Die im Jahr 1862 gegründete private Weberschule wurde 1864 mit der neuen staatlichen Berufsschule vereinigt und 1881 der ganze Komplex der Färbereiabteilung in Betrieb genommen. 1913 zog man in das neue Ge bäude der Staatsgewerbeschule ein. Im Juni 1880 beschließt der Gemeinderat Bielitz den Bau eines Alten heimes für 50 bis 60 Personen und kauft dafür den Besitz des Bürgers J. Sabel auf der Bleichstraße. Bielitz hatte in diesem Jahr (1880) 634 W ohnhäuser mit 2.346 Mietern und 13.060 Einwohnern. Im Jahr 1881 wird auch die alte Brennerei des Schlosses abgetragen und durch ein neues Wohn- und Geschäftshaus ersetzt, welches das südliche 235
Straßeneck an der Einmündung des Stadtberges ausfüllt und in welchem sich unter anderem auch die Apotheke Wladarz befand. In diesem Haus wurde auch der seit 1732 im Schloßkeller befindliche W einausschank das älteste Gasthaus der Stadt - untergebracht. Am 22. November dieses Jahres konnte auch die erste Gemeinderatssit zung im neu erstellten Sitzungssaal auf der Kaiserstraße abgehalten wer den. Der Rat spricht sich gegen die Beschränkung der Jahrmärkte in der Stadt aus. Im Jahr 1882 kauft das katholische Pfarrkomitee Grundstücke am Strößel und legt dort einen neuen Friedhof an, obgleich jener an der Dreifaltigkeitskirche noch bis 1896 mitbenutzt wird. Im Dezember dieses Jahres behandelt schließlich der Gemeinderat das erste nun vorliegende Wasserleitungsprojekt, dessen Ausführung aber noch lange auf sich warten läßt (1893). Das Jahr 1883 läßt in Bielitz durch die Firma Wessely die erste Telefon anlage entstehen. Englisches Kapital wird dafür zur Hilfeleistung herange zogen. Bei unserem Mittelschulgebäude wird nun auch der Südflügel fertig, 1872/73 der nördliche Trakt für 100.000 Gulden, 1874 der Mittelbau mit dem Treppenhaus. Gesamtkosten: 300.000 Gulden. In Kunzendorf wird die erste Schule des Deutschen Schulvereins in Galizien fertig, und ab 1883 baut man auch das neue Feuerwehrdepot auf der Josefstraße. In unseren Städten gab es 1883: in Bielitz 1.000 mechanische und 350 Handwebstühle, in Biala 400 mechanische und 5.555 Handwebstühle, zusammen die beachtliche Zahl von 7.305 Stühlen! 1883 wurde der neuerstellte Bau der Mittelschule auf der Schießhaus straße ganz fertig und der Verschönerungsverein durch den Bielitzer Real schuldirektor Ambrosi gegründet, der vor allem den Zigeunerwald für die Wanderlustigen erschloß. Das nächste Jahr bringt die Fertigstellung des ersten festen Feuerwehr depots auf der Josefstraße und die Eröffnung des Telegrafenamtes in Biala. Der Gemeinderat von Bielitz beruft eine Kommission, die den Bau neuer Kasernen vorbereiten soll (1884). Am 2. Dezember 1884 ergeht das neue österreichische Gesetz zur Wildbachverbauung. Das war notwendig, da Unwetterkatastrophen im Jahr 1882 ungeheure Schäden anrichteten. Zwei forsttechnische Abteilun gen werden für Österreich eingerichtet: eine in Villach und eine in Te236
sehen, die auch für Bielitz zuständig ist. 1885 wird die katholische Fried hofskapelle in Kunzendorf eingeweiht (22. August). 1886 legt die KaiserFerdinands-Nordbahn den Plan für den Bau der Städtebahn von Bielitz nach Teschen und Friedek vor, und für den Plan eines neuen Bahnhofes und den Ausbau der Zufahrtsstraße wird 1887 das Fabrikgelände Scholz am Stadtberg, wo heute das Sparkassengebäude steht, angekauft. Die Stadt verpflichtet sich zum Bau der Kaiser-Franz-Josef-Straße - vom Stadtberg bis zum Bahnhof. Die Baukosten belaufen sich auf 15.832 Gulden. In diesem Jahr wird auch ein Komitee gegründet, das am 31. Dezember 1887 eine Sammelaktion für ein neues Theater beginnt. Unter Dr. Winkler und später unter Pfarrer Schur, dem Nachfolger von Dr. Haase, bringt dieses Komitee in kurzer Zeit einen Betrag von 90.000 Gulden auf und kann ihn dem Gemeinderat zur Verfügung stellen. Auch beginnt man in diesem Jahr mit dem Bau des Sparkassengebäudes, in welchem nach Fertigstellung das Cafe Bauer untergebracht war. In seine Regierungszeit fällt auch der Anfang unseres stabilen Theater lebens: Am 31. Dezember 1887 begann die Sammelaktion für den Bau des eigenen Theaters, am 24. Juni 1889 begann man zu bauen, und am 30. September 1890 eröffnete man das Haus mit »Das neue Musenheim« von St. W olf und Anton Freitag sowie dem »Sommemachtstraum« von Shake speare. Am 7. April 1888 beschließt der Gemeinderat, Straßen nach ver dienten Männern zu benennen - so: Sunnegk, Scholz, Bauer, Johanny, Hoffmann oder Hasse - , und beschließt auch den Bau der Zennerbergschule, den Baumeister Thien dann auch ausführt. Parallel dazu wird der Bau des Schloßbazars begonnen. Im Dezember 1888 hatte man für 12.000 Gulden das Grundstück für das Theater durch die Gemeinde von Fürst Josef-Maria-Ludwig von Sul kowski gekauft. Die Pläne stammen von Architekt Baron Emil Förster, der auch den Bau des rechten Seitenflügels der Wiener Hofburg zeitweise verantwortlich geleitet hat (1891-1913). Die Bauausführung liegt in Hän den des Bielitzer Baumeisters Walczok. Dieses Jahr ist für unsere Heimat aber auch wieder ein Eisenbahnjahr: Am 1. Juni wird der Bahnhof Biala eröffnet. 1888 wird auch die Eisen bahnstrecke B ielitz-Frauenstadt/W adow itz-Kalwaria-K rakau und am 18. Dezember 1888 die Bahnlinie Golleschau-U stroń dem Verkehr über geben (5,4 Kilometer). Nicht minder ereignisreich ist auch das Jahr 1889: Am 24. April beschließt der Gemeinderat auf Antrag des Gemeinderats 237
mitgliedes von Luschka, den Ingenieur Holzel mit der Erstellung eines Stadtbebauungsplanes zu beauftragen, der dann später vom Professor der Wiener Technischen Hochschule, Fabiani, weiter fortgeführt wird. Das Sparkassengebäude in Bielitz wird fertig und ebenso in Biala die Synagoge. Die katholische Kirche wird das zweite Mal eingeweiht (erstes Mal 1792). In das Sparkassengebäude hält das bei uns so beliebte Cafe Bauer seinen Einzug. In Bistrai wird der Bau der Kapelle vollendet. Am 24. April 1889 verpflichtet sich die Stadt, mit dem Ausbau der Kaiser-Franz-Josef-Straße großzügig zu beginnen. Am 28. Februar 1890 wurde das neue Bielitzer Bahnhofsgebäude, so wie wir es noch alle kennen, eröffnet. Im gleichen Jahr war auch die große Stützmauer beim Schloß gegen den Mühlbach mit den vielen Geschäften fertig. Damit wurden Schäden, die größere Regenfälle hier anrichteten, vermieden. 1896 war der Kirchturm der evangelischen Kirche stilgerecht gotisch neu gestaltet worden. Baumeister und Planer ist der am 7. Juli 1828 in Wien geborene Architekt Heinrich Freiherr von Ferstel. Dieser Schüler der Wiener Akademie (v. d. Nüll und v. Siccardsburg) wurde 1866 Profes sor an der Technischen Hochschule Wien, bereiste Italien, Frankreich, England und die Niederlande, baute die Votivkirche (1856-1875) die Österreichisch-Ungarische Bank in Wien, die Kirche in Schönau bei Teplitz, die protestantische Kirche in Brünn, den Palast des Erzherzogs Ludwig-Victor, das Österreichische Museum für Kunst und Industrie, den Liechtensteinschen Palast, die Universität in Wien (italienische Renais sance), das Rathaus in Tiflis und schließlich unsere evangelische Kirche in Bielitz im gotischen Stil. Im Jahr 1890 waren etwa 30.000 Arbeiter in 150 unserer Fabriken und Groß Werkstätten tätig. Nun kam es erstmals zu einem Generalstreik, bei welchem Militär eingesetzt wurde. Dieses Ereignis war der Anlaß, Bielitz zu einer Gamisonsstadt zu machen. Am 26. April 1893 wurde Dr. Josef Bulowski zum Pfarrer von Bielitz eingesetzt, an welchen wir uns alle noch erinnern können. Ab 1894 erscheint die Bielitzer Gemeindezeitung, »Das Stadtblatt«. Im gleichen Jahr zählt das 5 Quadratkilometer große Stadtgebiet von Bielitz 14.573 Einwohner. Ein Jahr später wird die Lobnitzer Wasserleitung fer tig und das städtische Gaswerk Bielitz gegründet. Die Wasserleitung wird 238
am 19. November dieses Jahres in Betrieb genommen und auch die Infanteriekaseme fertiggestellt. Am 11. Dezember 1895 fährt unsere Straßenbahn, die »Elektrische«, das erste Mal in den Zigeunerwald. 1896 arbeitet das neue Postamt. Im gleichen Jahr vernichtet ein Brand die alten schönen Giebelhäuser in der Zollamtsgasse und am Ring. Vom Jahr 1899 an erscheint die »Ostschlesische Deutsche Zeitung« in Bielitz. 1905 werden das Bielitzer Museum und die erste Konsumgenos senschaft geschaffen. Es waren Deutsche, die dieses damals fortschrittliche Kaufuntemehmen gründeten. 1906 konnte nur noch der letzte Handweber in den Dreizehnhütten besichtigt werden. Bald war die Romantik der Heimarbeit mit all ihren schweren Bedingungen zu Ende. 1908 wurde die Bielitzer katholische Lehrerbildungsanstalt auf Be treiben des Breslauer Fürstbischofs Kardinal Kopp eröffnet. Im selben Jahr wurde im November die »Ferialverbindung der deut schen Hochschüler von Bielitz-Biala-Franken« ins Leben gerufen. Sie war ein Sammelbecken aller deutschen Akademiker. Meist waren sie an ihren Hochschulen Angehörige schlagender Verbindungen. Ihre Gemeinschaft hat sich bis zum heutigen Tage lebendig erhalten. Ihre Feste sind nach wie vor M ittelpunkt des Bielitzer Lebens auch in der jetzigen Zerstreuung. 1910 ist die Erweiterung und der Turmbau der katholischen Kirche beendet. Gelegentlich eines Besuches von Kaiser Karl I. 1916 in Bielitz wird Pfarrer Bulowski zum Ritter des Kaiser-Franz-Josef-Ordens ernannt. Was dann in den folgenden Jahren geschieht, ist der Anfang einer unglück lichen Zeit für unsere Heimat. Die Jahrhunderte währende Zugehörigkeit zur Donaumonarchie muß auf Befehl der Sieger gelöst werden. Darüber wird an anderer Stelle ausführlich berichtet. Unser Fürst Josef-Maria-Ludwig von Sulkowski war am 2. Februar 1848 in W ien geboren und trat nach dem Tod seines Vaters Ludwig-JohannNepomuk am 18. Februar 1879, also im Alter von 31 Jahren, das Amt des Regierenden an. Am 29. Juli 1881 heiratete er in Zürich in zweiter Ehe Olga Jäger. 1880 stirbt Bürgermeister M. Scholz, seit 1867 in Bielitz im Amt, und nun folgt ihm für zwei Jahre Dr. W inkler (1880-1882). Der Amtssitz des Bürgermeisters und auch des Stadtbauamtes befindet sich schon auf der 239
Kaiserstraße. Dr. Winkler gründet eine ständige Sanitätskommission. In diesem Jahr zählt Bielitz etwa 14.600 Einwohner, und die Zahl der Polen und vor allem der Juden stieg von nun an. In Biala gab es 1880 7.251 Einwohner (über 70% Deutsche), 1.690 Polen (etwa 23 %), der Rest andere Nationalitäten. Das Hauptereignis des Jahres aber war der Besuch Kaiser Franz-Jo sefs I. am 20. und 21. Oktober 1880. In den »BBBB« vom 12. Juni 1958 schrieb Oskar Fender, Lippstadt, darüber: »In den letzten 100 Jahren erlebte die Stadt Bielitz zwei große Tage. Es waren der 20. und 21. Oktober 1880. Die ganze Stadt prangte im Flaggen schmuck. An diesen zwei Tagen weilte der damalige Kaiser Fanz Josef I., der 68 Jahre das Habsburgerreich regierte, als Gast in dieser Stadt. Der Kaiser kam per Wagen von Teschen, denn zu dieser Zeit war die Bahnstrecke B ielitz-Teschen noch nicht gebaut. A uf der Fahrt wurde er überall stürmisch begrüßt. In Grodzietz wurde er durch den damaligen dortigen Gutsherrn Graf Zamoyski willkommen geheißen. Auf der W eiter fahrt hielt der Wagen auf der Emsdorfer Kreuzung, wo der Kaiser von dem Besitzer der Herrschaft Emsdorf, dem Grafen Saint-Genois, der auch den Titel eines k. u. k. Hofkämmerers tmg, begrüßt wurde. Die nächste Halte stelle bildete die Lobnitzer Schule, wo die Schulkinder der Lobnitzer und Kurzwälder Schule Spalier bildeten. Hier hielt auch der damalige evange lische Pfarrer von Kurzwald, Andreas Krzywon, eine Ansprache an den Kaiser. Anschließend sprach der Bürgermeister von Lobnitz, Prokisch. Weiter ging es nach Alexanderfeld, wo ein Gedenkstein die späteren Generationen an den Aufenthalt des Kaisers erinnern sollte. Beim Eintreffen am Bielitzer Ringplatz hieß der Bürgermeister, Dr. Winkler, den Kaiser herzlich willkommen. Während des Aufenthaltes in Bielitz wohnte der Kaiser im Hause der Bezirkshauptmannschaft am Ring platz. Am Abend brachte der B. B. Männergesangverein ein Ständchen, das dem Kaiser so gut gefiel, daß er sich den Chormeister vorstellen ließ, sich bedankte und sich nach der Mitgliederzahl und dem Gründungsjahr des Vereins erkundigte. An Besichtigungen wäre hervorzuheben der Be such der Lehrerbildungsanstalt. Ein Zögling des vierten Jahrgangs, Phillipp Geib, hielt eine Ansprache an den Kaiser. Herr Geib war später selbst Lehrer an dieser Anstalt. An Industrieunternehmen wurden besichtigt die Tuchfabrik Riesenfeld (der damalige Besitzer hieß Popper). Später wurde im Hofraum dieser Fabrik eine Gedenktafel an den Kaiserbesuch ange 240
bracht. Auch der Stadt Biala wurde ein Besuch abgestattet.« Wie üblich gab es dann nach so einem Besuch einen Ordenregen. Der Bielitz-Bialaer Männergesangverein sang vor dem Kaiser, und an der Brücke auf dem Weg nach Biala begrüßte ihn der Statthalter von Galizien, Graf Potocki. W eiter ging’s dann nach Krakau. A uf der Rück fahrt führte den Kaiser nochmals der Weg durch unser Land. Er fuhr mit der Bahn über Dzieditz nach Troppau, wo er sich mit dem deutschen Kronprinzen und späteren Kaiser Friedrich III. traf. Der Kaiser war damals 68 Jahre alt. In der Elisabethstraße 7 wurde noch in diesem Jahr, 1880, die Buch druckerei Richard Schmeer gegründet. 1888 kauft ein Moritz Schneeweiß die Druckerei Klimek, die dieser dort seit 1868 betrieb. Im Jahr 1881 erfolgte, nachdem die Färberei und die chemische Abtei lung in Betrieb genommen waren, die Umbenennung unserer »Webschule« in »K. K. Staatsgewerbeschule Bielitz«. Am 27. Juli 1882 starb ein verdienter Mann unserer Stadt: C. S. Schnei der, der Superintendent von Mähren-Schlesien, schloß für immer seine Augen. 1828 bis 1832 war er Rektor der evangelischen Schule in Bielitz, ab 1848 war er Abgeordneter im ersten österreichischen Reichsrat in Kremsier und ab 1861 Abgeordneter im Wiener Parlament. Seinen Le benslauf beschrieb ich schon an anderer Stelle. Nach seinem Tod wird H. Fritsch Pfarrer in Bielitz. Am 16. November 1882 folgt auf den zurückgetretenen Bürgermeister Dr. W inkler nun Heinrich Hoffmann (Eisenhandlung auf unserem Ring platz) im Amt, und in diesem Jahr übernimmt auch Marquis Olivier von Bacquehem seinen Platz als neuer Landespräsident in unserem Kronland Schlesien. Aus dem Jahr 1883 weiß man zu berichten, daß die Städtische Spar kasse in Biala gegründet wurde und daß am 25. Februar im MährischOstrauer Blatt »Der Grenzbote« ein Aufruf zur Gründung eines Touri stenvereines erschien, der aber noch ohne Echo blieb. Dafür kann die Gründung des Bielitz-Bialaer Verschönerungs Vereines gemeldet werden. Gründer war der Direktor unserer Oberrealschule, Ambroży. Ihm ist die Erschließung des Zigeunerwaldes für die Spaziergänger zu danken. Am 9. Dezember 1883 wurde der Altbielitzer Gesangverein ins Leben gerufen. Dieser einmalige Verein gab zu seinem zehnten Bestandsfest eine Festschrift heraus, die Prof. W. Kuhn dem »Bielitz-Bialaer Heimatboten« 241
zur Verfügung stellte. Dieser schrieb am 1. September 1971 daraus wie folgt: »Der 9. Dezember 1883 ist der Gründungstag unseres Vereins. Welche Schwierigkeiten stellten sich da dem Vorhaben entgegen. Ist ja doch unser Verein der erste ländliche Gesangverein in Schlesien gewesen. Schritt für Schritt, vom dreistimmigen zum vierstimmigen, gemischten Chor und später erst zum Männerchor entwickelte sich unser Verein, und erst am 15. Februar 1885 konnten wir es wagen, vor einem größeren Publikum aufzutreten. Der Erfolg war in jeder Hinsicht ein voller, und allerseits wurde dem Gründer und unermüdlichen Chormeister, Herrn Oberlehrer Paul Schlauer, Dank und Anerkennung ausgesprochen. Der Verein zählte dreißig ausübende Mitglieder und war jetzt schon ein wich tiger Faktor im öffentlichen Leben unserer Dorfgemeinde. Nicht nur durch den Vortrag geeigneter Motetten bei Festgottesdiensten, sondern auch durch seine Mitwirkung bei mehreren Festen bekundete er seine erfolgrei che Tätigkeit. Ein wesentliches Mittel zur Erreichung dieses Zieles ist der bis in die jüngste Zeit anhaltende gute Besuch der Übungsstunden. Möge diese Sangesfreudigkeit uns auch im zweiten Dezennium erhalten bleiben. Auch das Jahr 1886 ist durch rege Vereinstätigkeit ausgezeichnet. Von besonderer Bedeutung ist für uns der 22. August dieses Jahres, an welchem Tag unser Verein in Lipnik sang und dadurch die unmittelbare Anregung zur Gründung des dortigen Brudervereines gab. Am 27. August hatte der Verein die Ehre, den damaligen Landespräsidenten, Graf Merveldt, auf Altbielitzer Boden begrüßen zu können. Mit aufrichtiger Trauer müssen wir auch des Verlustes unseres ersten Schriftführers und Sängers, des Herrn Paul Kozusnik, gedenken, der am 28. Juni starb. Das Jahr 1887 wird für alle Zeit ein Glanzpunkt in der Geschichte unseres Vereines sein. Die äußerst gelungene Liedertafel des 13. Februar veranlaßte unser unterstüt zendes Mitglied, Herrn Carl Bartelmuß, dem Verein ein prächtiges Klavier zum Geschenk zu machen. Der Verein ernannte den hochherzigen Gönner zu seinem Ehrenmitglied. In diesem Jahr wurde unser Verein Mitglied des Deutschen Sängerbundes. Im fünften Vereinsjahr 1888 sind als wichtige Vorkommnisse anzuführen: der erste gemeinsame Sängerabend im Zunft haussaale, die Beteiligung an der Sonnen wendfeier des B. B. Turnvereins und an dem 2. Bundesfest des Sängerbundes in Troppau. Den Höhepunkt erreichte die Vereinstätigkeit dieses Jahres in der am 2. September veran stalteten Kudlichfeier, deren glänzender Verlauf uns viele Freunde zu führte. 242
Das Jahr 1889 war für den Verein ein Trauerjahr. Verloren wir doch unseren Gründer, Obmann und Chormeister, Herrn Oberlehrer Paul Schlauer, der am 30. Juli einem schweren Leiden erlag. Sein Andenken wird in unserem Verein nie schwinden. - Hervorzuheben ist aus dem Vereinsleben dieses Jahres die Teilnahme an der gemeinschaftlichen Silcherfeier. Die Liedertafeln zeigten von Jahr zu Jahr unleugbare Fort schritte, so auch in den Jahren 1890 und 1891. Mit warmem Dank sei hier der tatkräftigen Unterstützung gedacht, die unser geschätzter Freund, Herr Prof. Julius Zipser, bis heute unserem Verein gewährt. Das Vereinsjahr 1891 ist noch besonders ausgezeichnet durch die Anschaffung eines vor züglichen Harmoniums. Der Ankauf dieses Instruments ist uns durch die gütige Hilfe unseres unterstützenden Mitgliedes, Herrn Johann Bartelmuß, möglich geworden, der dem Verein für diesen Zweck 150 fl. spendete. Der Verein versäumte nicht, seinen Dank durch Ernennung des Herrn Johann Bartelmuß zum Ehrenmitglied abzustatten. Am 26. September 1891 wurde eine Kömerfeier veranstaltet. Die beiden letzten Vereinsjahre sind durch den anerkannt vollständigen Erfolg der veranstalteten Liedertafeln, durch Teilnahme an der gemeinsa men Grillparzerfeier und an dem Volksliederabend ausgezeichnet. So steht der Altbielitzer Männergesangverein nun am Schluß des zehn ten Vereinsjahres. Mit gutem Gewissen können wir sagen, daß es uns in diesem Zeitraum stets um die Pflege deutschen Liedes, deutscher Art und Sitte, ernst war und daß wir mit dem Aufgebot aller Kräfte vorwärts strebten. Und so möge es auch im zweiten Dezennium sein. Wir geloben, auf dem eingeschlagenen Wege auszuharren, das deutsche Lied, deutsche Art und Treue als köstliches Besitztum unseres Volkes zu hegen und zu pflegen. Möge unser Verein in aller Zukunft wachsen, blühen und gedei hen. Das walte Gott!« Aus dem weiteren Vereinsleben wäre noch zu berichten, daß 1883 auch der deutsche Männergesangverein in Jablunkau und der »Jagd- und Fischereiverein in Ostschlesien zu Teschen« gegründet wurden. Am 26., 27. und 28. Juli des Jahres 1884 begeht unser Bielitz-Bialaer Männer gesangverein sein goldenes Jubiläumsfest. Nicht vergessen sei auch, daß 1882 die Kaltwasseranstalt in Emsdorf gegründet wurde. Am 13. Februar 1885 erhielt der Bielitz-Bialaer Män nergesangverein vom Kaiser die »Goldene Medaille für Kunst und Wissen schaft« verliehen. 243
Die Gründung der Altbielitzer Feuerwehr fällt auf den 6. Januar 1886, und seit diesem Jahr besteht auch der »Deutsche Gesangverein Ustron«. Am 22. August 1886 war der Deutsche Gesangverein in Kunzendorf ins Leben gerufen worden. Vom 23. Juni 1888 wissen wir, daß auf der Altbie litzer Anhöhe die erste Sonnen wendfeier abgehalten wurde. Eine Einrich tung, die sich bis in die letzten Tage des Bielitzer Deutschtums erhalten hat. Aus dem Schulwesen dieser Zeit kann gesagt werden, daß 1884 in unserem österreichischen Schlesien schon 37 Ortsgruppen des Deutschen Schulvereins existierten, und in Ostschlesien richtet eben dieser Verein eine neue deutsche Volksschule ein (1884). Im gleichen Jahr gründet man den katholischen Gesellenverein Bielitz. Am 13. Oktober 1881 war die evangelische Kirche in Bielitz und 1885 die katholische in Biala neu errichtet worden, welche zu dem weit größeren Kunzendorf gehörte, das seit dem 15. Jahrhundert eine eigene Gemeinde gebildet hatte. 1889 entsteht die Kapelle in Bistrai. In Biala war 1885 im Kloster St. Hildegard von den Schwestern des Ordens »Töchter der Göttlichen Liebe« eine zweisprachige Volks- und Bürgerschule eröffnet worden. Zu dieser Zeit hatten die Polen noch keine eigene Schule in Biala. Nach Biala kommt auch der bisherige Pfarrer Fritsch aus Bielitz. Die Bielitzer Position bekleidet von nun an Pfarrer Model neben Pfarrer Schur, der nach Wien zum Kirchenrat berufen wird (1886). Aus dem Zeitungswesen unserer Gegend kann berichtet werden: Seit 1884 erscheint als einzige in Österreich in Bielitz die »Evangelische Kir chenzeitung Österreichs«; sie ist auch die einzige dieser Art im österrei chischen Teilgebiet des späteren Polen. Sie wird ins Leben gerufen von D. Ferdinand Schur und D. Hermann Fritsch, späterer Herausgeber ist dann auch Pastor Dr. Arthur Schmidt (gest. 1923). Sie richtet sich an alle deutschen Gemeinden einstmals in Österreich, ab 1918 auch des neuerstan denen polnischen Staates.
Nationale Regsamkeit rundum In den Jahren ab 1840 begannen sich im Saybuscher Land zahlreiche Deutsche, es waren hauptsächlich schlesische und sudetendeutsche W ald arbeiter, in Żabnica, Zlatna, Rycerka, Sopotnia und auch unterhalb der 244
Babia Gura in Hundstal anzusiedeln. Diese Bewegung kam jetzt, 1881, zum Stillstand. In Wien gründeten unsere studierenden Landsleute die deutsche akademische Verbindung »Ostschlesier«. Nach dem Weltkrieg nannte sie sich ab 1918 »Akademische Landsmannschaft Ostschlesier« (1879, im November). Ebenfalls in dieser Zeit, es war genau am 13. Mai 1880, wurde der bekannte »Deutsche Schulverein« in Wien gegründet. Die konstituierende Versammlung wurde am 2. Juli abgehalten. Er durfte im Ausland keine Orts- und Zweigniederlassungen haben, wurde daher später getrennt, und am 23. Juni 1881 entstand dann auch im Deutschen Reich die erste Zweig gruppe in Berlin, dort hieß sie: »Allgemeiner Deutscher Schulverein«. In Frankfurt entstand am 28. November 1881 der »Frankfurter Verein für die Unterstützung deutscher Schulen im Ausland«. Diese Vereine hatten sich zur Aufgabe gestellt, den deutschen Grenzgebieten, also national gefähr deten Landstrichen, zu helfen. Ihre Tätigkeit kam allen, die sich in unserer Lage befanden, zugute. Von Südtirol bis hinauf ins Baltenland. Fast gleichzeitig bildeten andere Nationen ähnliche Zirkel: so die Tschechen einen Gegenverein, der sich »ustredni skolska« nannte (1880), sowie auch die Italiener ihren »Pro patria«-Verein, welcher anfangs von der österreichischen Regierung aufgehoben, dann aber als »Lega näzionale« wieder geschaffen wurde und im Süden Tirols 1886/87 bereits über 50 Sektionen hatte. Mitgründer des Deutschen Schulvereins Wien war auch der verdiente Kurat des Südtiroler Bergdorfs am Deutsch-Nonsberg, Franz Xaver Mitte rer aus Proveis, heute Provinz Bozen. Am dortigen Friedhof errichtete man ihm zu Ehren ein schönes Grabmal, das heute noch gehegt und gepflegt wird. Es war wirklich »Not am Mann« für unseren deutschen Volksteil in der Monarchie, vor allem in den Randgebieten des deutschen Sprachraumes. Sehen wir uns einige unserer deutschen Dörfer nur an: In Batzdorf ging zwischen 1880 und 1900 der deutsche Volksteil von 72% auf 50% , in Bistrai von 74 % auf 63 %, in Karnitz von 92 % auf 86,6 % und in Lobnitz von 90 % auf 85 % zurück. Ein anderes Beispiel gibt Wilmesau, nordöstlich unserer zusammen hängenden Sprachinsel: 1890 hatte dieser deutsche Ort unter 1.744 Ein wohnern 1.271 Deutsche (72%). Im Jahr 1900 waren unter 1.719 Ein wohnern 1.152 Deutsche, was 67 % ergibt, und 1921 bekannten sich in der 245
polnischen Zeit nur noch unter 1.774 Einwohnern 25 % zum Deutschtum. 1885 war Polnisch auch die Verhandlungs- und Protokollsprache der Gemeindeverwaltung geworden, am 25. Oktober 1885 wurde eine W eb schule in Wilmesau errichtet, die schon von Anfang an in der polnischen Sprache lehrte. In den Jahren 1886/87 wurde von Krakau aus hier eine polnische Lesehalle eingerichtet, dazu kam noch ein wirtschaftlicher Rück gang, der in folgenden Zahlen zum Ausdruck kommt: 1886 waren dort noch 300 Weber tätig, 1910 waren es nur mehr 150.
Blick ins Kronland Galizien Dieses Land ist für uns insofern interessant, da es als Barometer dafür anzusehen ist, wie sich die Kräfte innerhalb der Monarchie verschieben, mit anderen Worten, wie schnell oder langsam der deutsche Einfluß im Kaiserstaat zurückgedrängt wurde. Man konnte das ohne Präge am starken Auftreten der Polen oder an der Benachteiligung des deutschen Volksteiles eben dort beurteilen und ablesen. Von 1386 bis 1772 gehörte Galizien zum polnischen Staat, von da ab zu Österreich, wurde Kronland und erhielt in Wien 1774 eine eigene galizische Hofkanzlei errichtet. 1802 wurde diese Hofkanzlei mit anderen dieser Art zusammengelegt, 1866 erfolgte dann wieder ihre Neueinrichtung. Auch daran sieht man schon, wie sich die Notwendigkeiten wandelten. Am 1. Dezember 1785 wurde über allerhöchsten Entschluß im ganzen Kronland Galizien die deutsche Sprache als Amtssprache eingeführt. Von 1787 bis 1867 erschien das amtliche Blatt, die »Lemberger Zeitung«, also ganze 80 Jahre in deutscher Sprache. Fast völlig unbeachtet wurde 1815 in Truskawietz südlich von Drohobytsch die erste Ölraffinerie des Landes errichtet. Im gleichen Jahr kam es auch zur Bildung der »Republik Krakau« durch den Wiener Kongreß. Sie hatte eine Größe von 165 Quadratkilometern und eine Bevölkerungszahl von 121.000 Einwohnern. 1817 setzte man im Land eine ständige Vertretung ein, die sogenannten »Landstände«, die aus den Magnaten, dem Klerus, dem Ritterstand und den königlichen Städten bestand. Ab 1817 gab es im Zuge einer Umbil dung in Wien für die Verwaltung der Länder der Krone drei Hofkanzleien - eine böhmisch-galizische, eine österreichisch-illyrische und eine lombar 246
disch-venetische. Am 29. März 1818 faßte der Bundestag den Beschluß, die alten schlesischen Herzogtümer Auschwitz und Neustadt/Zator in das Gebiet des Deutschen Bundes einzubeziehen. Die rechtliche Grundlage bot die 1773 erfolgte Zurückgabe dieser Landstriche an die böhmische Krone, deren Länder automatisch Teile des Deutschen Bundes waren. Das Jahr 1848 war ein Krisenjahr und ein Jahr der Aufstände. Die Polen bildeten in Galizien nationale Komitees (in Krakau und Lemberg), die auf dieses Jahr und auf die Freiheit große Hoffnungen gesetzt hatten. Graf Stadion war damals dort Statthalter. Er löste den »polnischen Nationalrat« auf und gründete den sogenannten »Beirat«, zu welchem auch Agenor Graf Goluchowski gehörte. Ein anderer führender Pole (Smolka) lehnte das ab. Er bildete auch einen »ruthenischen Nationalrat« (St.-Georg-Partei). Er war der Erfinder der »Ruthenen«. Am 30. Juli 1848 wurde Wenzel Zalewski Statthalter für allerdings nur drei Monate in Galizien, denn am 22. November 1848 kam Goluchowski an diese Stelle. An diesem raschen Wechsel kann man das Krisenhafte dieser Zeit erkennen. Ab 8. August 1859 begann auf Grund eines Sprachenerlasses die Slawisierung der Schulen in diesem Kronland. Deutsch hörte auch auf, in Gymnasien und anderen Mittelschulen aus schließliche Unterrichtssprache zu sein, und das österreichische Staats grundgesetz vom 21. Dezember 1867 brachte dann die entscheidende Wende im deutschen Schulwesen in Galizien. Bis dahin waren alle deut schen Schulen selbstverständlich staatlich; das hörte nun auf, für sie gab es keinen staatlichen Schutz mehr. Seit 1879 ist Polnisch auch die Lehr sprache an der Universität von Lemberg. Die Polen selbst betreiben seit 1880 eine Politik der Loyalität, und das allen drei Teilmächten gegenüber. Durch die Bindung Österreichs an den Balkan trat so der Ausgleich mit Rußland notwendigerweise ein. Im österreichischen Teil des polnischen Sprachgebietes kamen die Po len gut voran. Julian Dunajewski, ein geborener Stanislauer, wurde im Kabinett Taafe Finanzminister (1880-1891), war ein Kämpfer für das Ausscheiden der galizischen Deutschen aus allen Staatsstellungen, also als ihr Gegner anzusehen, schaffte es aber in seiner Ministereigenschaft das erstemal, den Staatshaushalt ohne Defizit zu gestalten. Der Mährer Alois Freiherr von Prazak, aus Ungarisch-Hradisch gebür tig, sorgte als Justizminister dafür, daß durch seine Sprachenverordnung vom 23. September 1886 die deutsche Sprache im Staat noch mehr an 247
Gewicht verlieren sollte. Aus dem Jahre 1880 gibt es auch eine statistische Angabe über die Zahl der Deutschen in Galizien, und zwar 323.612. Diese Zahl ist nur so zu erklären, daß, wie es damals üblich war, die Juden des Kronlandes sich aus taktischen Gründen als Deutsche erklärten. Nach dieser Zahl wären also unter 5,9 Mill. Einwohnern etwa 5,4% Deutsche gewesen. Aus dem gleichen Jahr stammt auch eine Zahl über die inzwischen beachtlich gewachsene Ölproduktion Galiziens: 1880 wurden schon 32.0001 Öl gefördert! Österreich schickte sich an, eine Ölmacht zu werden. Unser auch zu Galizien gehörender südlicher Nachbarkreis Saybusch wies im Jahr der ersten Volkszählung (1869) 80.753 Einwohner aus. 1881 wurde die Eisenbahnlinie Saybusch-N eusandetz eröffnet, wo auch eine lebhafte deutsche Gemeinde existierte. Bis 1883 waren alle Saybuscher Besitzungen vom Haus Habsburg aufgekauft (ab 1781, 1808, 1810 und 1822).
Der Sprachengebrauch in unserem Land Am 1. Mai 1781 trat das erstemal das Wort »landesüblich« in bezug auf die Sprache in einem österreichischen Gesetz auf. Am 12. Dezember 1796 wurde das W ort »landesüblich« durch »die im Lande übliche Sprache« ersetzt. Man unterschied auch schon zwischen den Begriffen »Landesspra che« und »landesübliche Sprache« (Hugelmann, S. 314). 1851 wurde von der österreichischen Regierung zum erstenmal das Bestehen slawischer »Dialekte« (nicht Sprachen) in unserem österrei chischen Schlesien anerkannt. Am 3. November 1851 unterstrich ein Erlaß des Justizministeriums die Vormacht der deutschen Sprache, indem er feststellte, daß in Schlesien weder die polnische noch die tschechische Sprache als »Landessprache« bestünde. Anerkannt wurde nur das Bestehen des »Wasserpolakischen« als ein der polnischen Sprache ähnlicher Dia lekt. Vom Bestehen eines tschechischen Dialektes in unserem Land ist nicht die Rede. Die Behördensprache war nur Deutsch. Die slawischen Dialekte wurden nur von den des Lesens und Schreibens Unkundigen verwendet (Hugelmann, S. 407). Der in unserem Schlesien übliche Sprachengebrauch wurde in einem Erlaß des Justizministeriums vom 22. Juli 1861 an das Oberlandesgericht 248
in Brünn erläutert, demzufolge es beim bisher üblichen Sprachgebrauch der verschiedenen Dialekte zu verbleiben hätte (bis 12. Oktober 1882). Besonders in Böhmen geht es in dieser sprachlichen Beziehung hoch her. Am 11. November 1881 beschließt der Prager Gemeinderat mit der tschechischen Stimmenmehrheit, alle deutschen Firmen- und Straßenbe zeichnungen zu entfernen. »Nur so ist der tschechische Charakter der Stadt und des Landes Böhmen zu demonstrieren.« Ein Jahr später wird dann auch die älteste deutsche Universität unseres Sprachraumes in eine deut sche und eine tschechische geteilt. 1884 geht die deutsche Mehrheit im böhmischen Landtag für immer verloren, die Deutschen fordern daraufhin die Abtrennung der deutschen Gebiete von der tschechischen Verwaltung, und als das abgelehnt wird, verlassen die Deutschen den Prager Landtag. Vom 12. Oktober 1882 stammt ein Erlaß Justizminister Prazaks, dem zufolge beim Kreisgericht Teschen und den dazugehörigen Bezirksgerich ten dieses Sprengels, wo es üblich ist, neben der deutschen auch Eingaben in polnischer und tschechischer Sprache angenommen werden sollten. Im mündlichen Verkehr müßte sich das Gericht nach den Parteien richten, ebenso mit Vorladungen (Hugelmann, S. 408). Vom 19. Dezember 1882 stammt ein Plenarbeschluß des Oberlandesgerichtes Brünn als Antwort an das Justizministerium: Alle Erledigungen erfolgen in deutscher Sprache, ebenso die Führung der öffentlichen Bücher. Immediateingaben (unmittelbare) an das Oberlandesgericht in polni scher Sprache sind unstatthaft, da sie keine obergerichtliche Sprache ist. Polnische Akten müßten für das Oberlandesgericht in Übersetzungen vor liegen (Hugelmann, S. 409). Vom 30. Januar 1899 stammt schließlich ein Geheimerlaß des Finanz ministeriums, der dem äußeren Dienst vorschrieb, daß die Finanzbehörden und Steuerämter in den Städten Troppau und Friedek sowie den Bezirks hauptmannschaften Troppau, Wagstadt, Freistadt, Teschen und Bielitz die polnische bzw. tschechische Sprache zu berücksichtigen hätten. Die Erle digung erfolgte deutsch, gelegentlich in den ostschlesischen Bezirken auch polnisch (Hugelmann, S. 410). Bis 1908 bestanden für Österreichisch-Schlesien keine Sprachregelun gen. Erst am 7. Januar 1908 erfolgte eine Kundmachung zur Regelung der Sprachenfrage bei den autonomen Behörden, wie Bielitz auch eine war. Das waren Probleme, die mit besonderem Feingefühl gelöst werden mußten, und trotzdem verschlang dieser nationale Kam pf einen wesentli 249
chen Teil der Kraft der staatlichen Gewalt. All diese Maßnahmen der Regierung waren natürlich eine Widerspiegelung der nationalen Vorgänge in unseren Kronländem. Nicht nur die Zahl, sondern auch der Einfluß der Deutschen ging von Jahr zu Jahr zurück. Der Stern der Deutschen in der Donaumonarchie begann eben zu sinken. Waren es 1884 noch 87 % Deutsche, so waren es sechs Jahre später nur mehr 80 %, die uns im Landtag vertraten. Im böhmischen Landtag standen sich nach Manipulationen in der Wahlordnung und nach Neuwahlen nur mehr 75 deutsche und 167 tsche chische Stimmen gegenüber. Diese kurzen Angaben sind stellvertretend für andere Gebiete und richtungweisend für die Aktivitäten. In Galizien hatte Goluchowski inzwischen 4.000 bis 5.000 deutsche Beamte entlassen. Auch hier also niederschmetternde Ereignisse für die Deutschen. Nach innen begann ein Zerfall der deutsch-liberalen Verfas sungspartei, und damit wurde das Ende der deutschen Vormachtstellung in Österreich eingeleitet. Im Innem des Staates war also nicht das beste Klima zu verzeichnen. Nach außen gab wenigstens ein festes Bündnis mit Deutschland Stütze in politischen Dingen. Es war der Gasteiner Vertrag vom 7. Oktober 1879, der durch Bismarck und den österreichischen Außenminister Andrassy geschlossen wurde. Im wesentlichen richtete er sich gegen Rußland. Kraft voll schließen Deutschland und Österreich einen »Dreibund« mit Italien (20. Mai 1882) und im nächsten Jahr (am 30. Oktober 1883) ein Bündnis mit Rumänien. In den folgenden Jahren verschlechtert sich das Verhältnis Österreich-Ungams zu Rußland, der Panslawismus verlangt die Befreiung der slawischen Völker der österreichisch-ungarischen Monarchie, man spricht öffentlich schon vom kommenden Zerfall. Am 29. März 1889 tritt dann zu allem Unglück auch noch Bismarck zurück. Am 30. Januar dieses Jahres schied der deutschgesinnte Kronprinz Rudolf von Habsburg aus dem Leben. Mit ihm war schon eine wertvolle innerösterreichische Stütze des Deutschtums verlorengegangen. Es schien, daß sich alles gegen die Deutschen wandte. Auch in Wien verlieren die Deutsch-Liberalen die Mehrheit im Parla ment, und 1880 schied der letzte deutsch-liberale Minister aus dem Kabi nett. Eduard Graf Taafe folgt als Ministerpräsident, und damit wird, um es klar zu sagen, praktisch die Slawisiemng des Staatswesens eingeleitet. Man stützt sich ab 1880 auf Klerikale und Nichtdeutsche. 250
In dem schönen von Theophilius von Hansen gebauten Reichsrats gebäude in Wien sind die Deutschen von nun an in der Minderheit. Der Bau wurde 1883 fertig (Kosten: 14,5 Millionen Kronen). Schlesien entsandte 15 Abgeordnete dorthin. 1882 hat Georg von Schönerer mit seiner alldeutsch und antihabsbur gisch eingestellten Bewegung versucht, eine Wendung für die Deutschen zu erreichen. Er wurde Reichsratsabgeordneter, verlor aber sein Mandat, wurde aufs neue gewählt, förderte die Los-von-Rom-Bewegung, scheiterte aber schließlich, da es bei allem Bemühen an der notwendigen sozialen Aufgeschlossenheit mangelte, die aber in einem Nationalitätenstaat ein primäres Erfordernis gewesen wäre. Um dem beschriebenen Zeitabschnitt unserer Heimat den richtigen Rahmen zu geben, sei auch hier wieder ein kurzer Überblick über das gegeben, was in der W elt draußen alles gefunden und erfunden wurde. Da ist das Jahr 1890 mit der Entdeckung des Diphtherie-Serums durch Emil von Behring, einen Ostdeutschen, in Deutsch-Eylau geboren. 1891 folgt die Erfindung des Gasglühlichtes durch Karl Freiherr Auer von Welsbach, einen geborenen Wiener. Das Jahr 1895 ist besonders er folgsträchtig: Popow erfindet die Antenne, A. und L. Lumiere den Film, ein Oberfranke aus Bem dorf erfindet die Verflüssigung der Luft, es ist Karl-Paul-Gottfried von Linde, der spätere Professor in München. W. Ramsay findet das Helium, und schließlich entdeckt in diesem Jahr noch Wilhelm Konrad von Röntgen, der Rheinländer aus Lennep, die nach ihm benannten Strahlen, die in der nachfolgenden Zeit so große Dienste in der Medizin leisten. 1896 erfindet Diesel den nach ihm benannten Motor, Marconi die drahtlose Telegrafie, und Becquerel entdeckt die Radioakti vität, indem er fand, daß Uran unsichtbare Strahlen aussendet. 1898 ent deckt Curie das Radium, und 1899 erkennt H. Dreser die Wirkung des Aspirins. Die Erschmelzung des Stahls durch Elektrizität nimmt ihren Anfang, und 1899 vermag Adolf Frank Kalkstickstoff aus der Luft zu erzeugen. Er ist in Klötze in der preußischen Provinz Sachsen geboren.
251
Bielitz zwischen 1890 und 1899 Die Stadt zählte 1890 14.573 Einwohner, hatte 699 Wohnhäuser mit 2.738 Mietern, und Biala zählte 7.699 Einwohner, wovon 5.493, das heißt 71,5 %, Deutsche und 1.853, das heißt 24 %, Polen waren. Der Rest entfiel auf andere Nationalitäten. Im Januar 1890 ist der W asserbedarf der Bielitzer Industrie bei etwa 6.000 Kubikmetern angelangt, für den Bau der Wasserleitung wird eine Leistung von 9.000 Kubikmetern empfohlen. Nach achtmonatiger Bauzeit wird am 28. Februar 1890 der neue Bielit zer Bahnhof eröffnet. Die Station heißt nun »Bielitz«, und an der KaiserFranz-Josef-Straße wird eifrig gebaut. Im März dieses Jahres wird zu den schon bestehenden evangelischen und jüdischen nun auch ein katholisches Waisenhaus geschaffen. Im Juli des Jahres kauft die Stadt Gelände an der Schießhausstraße, um dort ein neues Rathaus zu bauen. Der Bau wurde vertagt, und schließlich baute man an dieser Stelle später die Turnhalle. Im August 1890 findet eine Gewerbeausstellung in Bielitz statt, und Meister Schnack läßt das Bielitzer Wappen künstlerisch gestalten. Längs der Rotenturmstraße entsteht ein neues Stadtviertel, und die Stadt kauft auch ein Bartheltsches Grundstück an der Ecke Schloßgraben-Pastom ak für den Bau eines schon dringend notwendigen Postgebäudes. Im gleichen Jahr stürzt durch schwere Regenfälle ein Teil der Stütz mauer am Schloßgraben ein. Fürst Sulkowski (Josef-Maria) ließ nun das Übel ein für allemal beseitigen und eine neue Abstützung bauen, die zugleich zahlreiche Geschäfte aufzunehmen vermag. So entsteht unser bekannter »Schloßbazar«. Bis dahin floß der Mühlbach (Schloßgraben) an einigen Stellen noch offen am Fuß des Berghanges, nun war alles sauber gefaßt und überdeckt. Über dem Bach spazierte man nun an den Schaufenstern der neuen Ge schäfte entlang. Nach dem Eisenbahnanschluß der Städte stiegen auch die Anforderungen, die an die Post gestellt wurden. Das Bielitzer Postamt beschäftigte 20 Personen, jenes von Biala 10; man mußte sich mit Baugedanken tragen. Das Grundstück war gekauft, der Baubeginn verzö gerte sich aber noch bis 1895, da das zum Abbruch bestimmte Haus als Notkaseme für einen Teil der Bielitzer Garnison diente und man bis zur Fertigstellung der Infanteriekaseme auf der Josefstraße warten mußte. 252
Am 30. September 1890 war für Bielitz ein großer Tag: Unser Theater bau wurde fertig und an diesem Tag feierlich eröffnet. Die Festrede hielt der Obmann des Theaterkomitees, der damalige evangelische Pfarrer Fer dinand Schur. Die in den Schlußstein eingelegte Urkunde hat folgenden Wortlaut: »Am heutigen Tage, am dreißigsten September des Jahres eintausend achthundertneunzig wurde der Schlußstein zum deutschen Theater in Bie litz gelegt. Die Schlußsteinlegung geschah im 42. Regierungsjahr Sr. Majestät des Kaisers Franz Joseph I. Es waren in diesem Jahr Landespräsident von Schlesien Dr. Karl Ritter von Jäger, Landeshauptmann von Schlesien Graf Heinrich Larisch-Mönnich, Abgeordneter der Stadt Bielitz im Schlesi schen Landtag der Reichsrats-Abgeordnete Superintendent Dr. Theodor Haase, Bürgermeister der Stadt Bielitz Heinrich Hoffmann, Bürgermeister der Stadt Biala Karl Strzygowski, Bürgermeister von Lipnik Alexander Gildanowski. Dieser Bau ist durch den opferwilligen Gemeinsinn der Bürger von Bielitz, Biala und Lipnik und einzelner hochherziger Förderer außerhalb unserer Schwesterstädte zustande gebracht worden, indem der größte Teil des Baukapitals durch eine unter den Bürgern eingeleitete Sammlung freiwilliger Spenden hereingebracht und die fehlende Summe bisher aus den Einnahmen der Stadt Bielitz, also abermals durch die Leistung der Bürgerschaft, beschafft worden ist. Möge das neue Theater Heimstätte deutscher Kunst, ein Förderungs mittel geistiger Bildung und Gesittung, eine reine Quelle edlen Vergnü gens sein und bleiben. Mit diesen W ünschen senken wir im Beisein hochgeehrter Festgäste, der Vertreter der Staats-, Landes- und städtischen Behörden, in Gegenwart von Mitgliedern aller Kreise und Schichten unse rer Bevölkerung den Schlußstein in das vollendete Gebäude ein. Das Haus stehe unter Gottes Schutz.« 55 Jahre konnte dieses deutsche Theater seinen Besuchern so manchen Genuß darbieten, dann verstummte das deutsche W ort auf seiner Bühne wohl für immer. Das Werk des Architekten Emil Ritter von Förster aber kündet heute noch von seiner und der deutschen Bürger Leistung. Alle hatten mitgeholfen, und am 21. September hatte sogar noch ein Wohltätigkeitsfest im Schloßgarten, eben zum Zweck der Finanzierung des Baues, stattgefunden, bei welchem auch Erzherzog Eugen von Habsburg anwesend gewesen sein soll. Es brachte einen Erlös von rund 6.000 Gul 253
den. Dieses Bielitzer Theater erwarb sich bald den Ruf, das beste Provinz theater Österreichs zu sein. Ab November dieses Jahres brannten in den Straßen unserer Stadt bereits 300 Gaslatemen, und in Biala erhielten auf Gemeinderatsbeschluß 1890 alle Straßen deutsche Namen. 1891 investierte man in Biala eine Million Kronen zur Erstellung einer Desinfektionsanstalt in der Nähe des Bahnhofs, begann mit der systematischen Pflasterung von Straßen und Plätzen mit Porphyrsteinen, und man baute auch ein Feuerwehrdepot. In Bielitz wird im Januar 1891 der Bau des Spitals am Strößl vergeben. Den Zuschlag erhielt die heimische Firma Karl Korn. Am 28. Januar genehmigt die schlesische Landesregierung die vom Bürgerverein beantragten acht Jahrmärkte für Bielitz, im Juli des Jahres tritt Bürgermeister Heinrich Hoffmann zurück, und an seine Stelle kommt Karl Steffan. Man beginnt auch mit dem Bau des »Hotels Kaiserhof« im Januar des Jahres 1892. Die Fundamente des Baues müssen zwölf Meter tief gegründet werden, da es der Einschnitt der Saybuscher Bahnlinie so erfordert. Vom Sockel bis zum Dach verfügt der Bau dann über eine Höhe von 20 Metern. Das Hotel entsteht im Renaissance-Stil, sein Saal mißt 24 mal 12,3 Meter und besitzt eine Höhe von 6,20 Meter. Es gibt 58 Gastzimmer. Das Jahr 1893 ist nicht weniger reich an baulichen Ereignissen: A uf der Bleichstraße wird unser Elektrizitätswerk gebaut. Die Ausführung liegt in Händen der Baufirma Gebr. Schulz, seine Verwaltung ist durch langjährige Verträge an die Internationale Elektrizitäts-Gesellschaft in Wien gebun den. Kurz danach wird eine Aktiengesellschaft für den Bau einer Straßen bahn ins Leben gerufen. Initiator ist der Fabrikdirektor und Gemeinderat Alois Bematzik. Und noch ein wichtiges Ereignis fällt in dieses Jahr: Aus acht Projekten wird jenes von Baron Schwarz ausgewählt, das vorsieht, das W asser für unsere Stadt aus dem Luisental in der Katastergemeinde Lobnitz zu fassen und in die Stadt zu leiten. Nun verlegt man die Rohrleitung. Es waren ganze elf Jahre notwendig, um diesen Plan zu verwirklichen. Die ersten Besprechungen darüber wurden 1882 geführt. Am 15. August wurde unser neuerbautes Spital in Bielitz eröffnet (1893). Es erhält den Namen »Kaiser-Franz-Josef-Spital«. Hier war Dr. Preisler die treibende Kraft, der den Antrag auf den Bau eines neuen Krankenhauses im Gemeinderat einbrachte. 254
Den Naturfreund wird es interessieren, daß in diesem Jahr auch die Quelle der Białka gefaßt und das Gebiet von Klimtschok-Magura und Blatnia jetzt für die Bergwanderer markiert wurde. Das Jahr 1894 bringt die Einführung des elektrischen Lichtes in der katholischen Kirche in Bielitz, den Bau der Wehranlage in der Białka in Betonbauweise und auch der neuen Betonbrücke mit einem Kosten aufwand von 52.000 Kronen. Wie lebhaft Bielitz als Verkehrszentrum war, geht aus einer Zahl aus dem Jahr 1894 hervor, die aussagt, daß vom Bahnhof Bielitz mehr als 700.000 Menschen abgefertigt wurden. Unser stilles Karnitz erhielt eine neue Schule, im Gebiet des Josefsber ges und der Babia Gura wurden vom Beskidenverein die Wege angelegt und markiert, und Wilmesau erhielt ein neues Telegrafenamt. Im Zuge und als Auflage des Gesetzes vom 23. März 1895 wurden unsere Hausbesitzer verpflichtet, sogenannte Hauskanäle anzulegen. Im Juli dieses Jahres wurde die Infanteriekaseme auf der Josefstraße fertiggestellt und vom k. u. k. Infanterieregiment Nr. 54 bezogen. Wegen der schon an anderer Stelle erwähnten Unruhen hatte die Bielitzer Bevölkerung bei Kaiser Franz-Josef I. um eine ständige Garnison nachgesucht. Im gleichen Jahr wurde auch der Eislaufplatz auf der Bleich straße fertig und seiner Bestimmung übergeben. Am 19. November wurde die Lobnitzer Wasserleitung eröffnet (1895). Auch das Gaswerk konnte in Betrieb genommen werden. Unsere W asserleitung war auf Grund einer Auswahl aus acht Vorschlä gen ausgewählt worden. Ihre Leistung lag ursprünglich bei 3.000 Kubik metern Wasser je Tag, es gab 4 Brunnen und 800 Sickerrohre zur Fassung des Wassers. Es wird ohne Behandlung verwendet und in einer Hauptlei tung von 8.000 Metern Länge zugeführt. Ein Hochbehälter mit 1.500 Kubikmetern Inhalt und 23.100 Metern Verteilungsrohre sorgten für klag losen Betrieb. 217 Hydranten und 10 öffentliche Auslaufbrunnen wurden angelegt. Den Platz vor dem Theater zierte, wie wir alle noch wissen, ein netter Springbrunnen. Die Baukosten betrugen 801.828 Kronen, eine Erweiterung im Jahr 1910 weitere 87.067 Kronen, zusammen 888.885 Kronen, wovon 885.004 Kronen die Gemeinde Bielitz trug, den Rest andere Personen, 1910 erzielte man einen Überschuß von 12.312 Kronen. Die Abgabe erfolgte über 911 Wassermesser in den Häusern, wovon rund 749 angeschlossen waren. Der 255
Preis des Wassers betrug 16 Heller je Kubikmeter, und den ganzen Betrieb meisterten 1 Beamter und 7 Arbeiter (1910). Angeschlossen waren auch unsere 260 Tuchbetriebe, wovon schon 30 beachtliche Großbetriebe wa ren. Dreißig Jahre nachdem die erste Straßenbahn in W ien in Betrieb kam (1865), wurde in Bielitz der Pferdeomnibusverkehr nach dem Zigeuner wald eingestellt und der elektrische Verkehr aufgenommen. Die Strecke, die man ins Auge faßte, war 4,8 Kilometer lang. Im Mai 1895 ging es mit den ersten Bauarbeiten los. Am 3. Oktober dieses Jahres wurde der Fahrpreistarif vom Gemeinderat genehmigt. 20 Kreuzer kostete es vom Bahnhof bis in den Zigeunerwald. Am 12. Oktober wurden die Warnungstafeln aufgestellt, am 23. Oktober erfolgte die erste Probefahrt, die Fahrzeit betrug 22 Minuten für die ganze Entfernung von etwa 5 Kilometern, und am 11. Dezember 1895 erfolgte schließlich die offizielle Eröffnungsfahrt mit elektrischem Betrieb. Es war die zweite »Elektrische« in der österreichisch-ungarischen Monarchie. (In Deutschland fuhr die erste elektrische Straßenbahn am 10. April 1899.) Bei der Eröffnungsfeierlichkeit regte der Bürgermeister von Biala den Bau eines Abzweiges nach Biala an, und am 17. Dezember 1895 wurden auch schon die ersten Trassierungsarbeiten für diese Strecke durchgeführt. Die Lokalbahnkommission erklärte sich im Februar 1896 für die Führung der Strecke über die Hauptstraße. Wie wir alle wissen, kam es aber nie zur Durchführung dieses Projektes. Dort in Biala wurde rechts der Au das Stadtgebiet kanalisiert. Noch ein Ereignis fällt in das Jahr 1895: Man beginnt, ein neues Postamt in Bielitz zu bauen. Die Kaserne war ja fertig, und das provisori sche Quartier der Garnison auf dem Platz, wo das Postamt hinkommen sollte, konnte abgerissen werden. Der Gründer des internationalen Postverkehrs war Franz von Taxis. Mit 31 Jahren wurde er 1491 oberster Postmeister Kaiser Maximilians I. und ab 1. März 1504 alleiniger Hauptpostmeister Philipps I. von Burgund. Am 12. November des Jahres 1516 schloß man mit Johann Baptist von Taxis einen Vertrag über die Verbindung der habsburgischen Besitzungen mit Postkursen in Italien - nach Rom und Neapel ebenso wie nach Brüssel. 1520 wurde er Generalpostmeister durch Kaiser Karl V., 1615 Reichsge neralpostmeister als Regal mit erblicher Folge. Das blieb so bis 1867 auch für Preußen. 1772 entstand in W ien eine Privatpost, die ab 1773 gestem 256
pelte Bogen zu einem Groschen und sogenannte »Coperte« (kleine ge stempelte Bögen) zu je 5 Kreuzer Gebühr beförderte. Im Jahr 1869 verzeichnet man das erstemal die Existenz der »Post karte«, nachdem Stephan 1865 und Hermann in W iener Neustadt 1869 ihre Einführung empfohlen hatten. Seit 1875 gibt es auch Ansichtskarten. Die Größe der Postkarten war 14,8 mal 10,5 Zentimeter. 1877 erhält Europa seine erste Femsprechlinie, und zwar von Berlin nach Friedrichsberg, und in Wien wird der Fernsprechverkehr 1881 aufge nommen. Ab 1896 kann man schon mit Tschemowitz, der Hauptstadt der Bukowina, des Buchenlandes, telefonieren. Und noch eines fällt in diese Zeit: Den Postscheckverfahrensverkehr gibt es auch schon. Seit 1883 bestand bei uns in Österreich der Clearing dienst, seit 1884 hat er schon einen erheblichen Umfang. Seit 1883 gibt es auch Postsparkassen in Österreich, sogar auf Schiffen. Die Verletzung des Briefgeheimnisses (unbefugtes Öffnen von Briefen) hat in Österreich 3.000 Kronen Strafe oder bis zu drei M onaten Arrest zur Folge. Im Jahr 1891 tagt der Postweltkongreß in der Hauptstadt der Donau monarchie, in Wien. Und nun, 1895, bekommt Bielitz ein nagelneues Postamt. Im gleichen Jahr eröffnet der Gasthof am »Baumgärtel«, und die Stadtgemeinde übernimmt das Schießhaus und den Park in ihren Besitz. Beide waren bisher Eigentum der privaten »Schießhaus-AG«. Die Bialkabrücke auf der Hauptstraße wird 1896 dem Verkehr übergeben. Ein Brand vernichtet in diesem Jahr die alten Giebelhäuser in der Zollamts gasse und auf dem Ring. In den Jahren 1895 und 1896 wurde der Turm der evangelischen Kirche in Bielitz von bisher 58 Meter auf 68 M eter erhöht, die Kirche stilgerecht umgebaut, die Ausführung lag bei der Firma F. und C. Schulz. Auch kauft die Stadt die Schießstätte, legt den Park an und erneuert die Bauten mit ihren zwei Sälen. Der »Große Saal« war früher der größte im ganzen Teschener Land. Der neue katholische Friedhof auf dem Strößl ist nun fertig, und die Bestattungen auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof werden von jetzt ab einge stellt. Zwar nicht direkt, aber doch in etwa hängt die Intensivierung der Schurftätigkeit nach Kohle in unserem Lande mit der Bautätigkeit zusam men. Östlich der Białka wird vornehmlich danach geschürft. Diese Arbei257
ten dauern von 1896 bis 1906. Durch eine Reihe von Bohrlöchern, von denen das tiefste bis 668 Meter Tiefe niedergebracht wurde, wurde das Vorhandensein des flözführenden Steinkohlengebirges im nördlichen Teil des Bielitzer Kreises und östlich davon auf einer Fläche von ungefähr 220 qkm nachgewiesen. Die Bohrungen in den Gemeinden Kaniów, Dankowitz, Jawischowitz, Brzeszcze und Czechowitz trafen auf Kohlenflöze , die, nach der Beschaffenheit zu schließen, den oberschlesischen Kohlen vorkommen angehörten. Die Untersuchungsergebnisse zahlreicher Koh lenproben ergaben einen recht guten Heizwert. Rein wärmemäßig, weiter über Komreinheit und Güte gesehen, hielt die Kohle mit der des west- und ostoberschlesischen Reviers Schritt. Im Jahr 1897 erwirbt die Stadt die »Sixt-Villa« auf der Kaiser-FranzJosef-Straße, in deren Erdgeschoß später unsere »Bielitz-Bialaer Industrieund Handelskammer« untergebracht wurde. Es kommt auch zur Gründung des Bauvereins für die Erweiterung der katholischen Kirche in Bielitz, das Tor der Kirche wurde vom Akademi schen Bildhauer Othmar Schimkowitz gestaltet. In Biala wird das Gebäude der Städtischen Sparkasse erbaut. Die Ko sten belaufen sich auf 612.000 Kronen. Die Sparkasse selbst war schon 1883 gegründet worden. In diesem Bau finden auch die Amtsräume des Bialaer Magistrats Aufnahme. Unsere Bergfreunde wird es interessieren, daß am 18. Juli 1897 das Schutzhaus auf der Kamitzer Platte eröffnet wurde. Es ist das erste SteinSchutzhaus in den Beskiden. Auch die »Steffansruh« entsteht in diesem Jahr. Am 17. Oktober desselben Jahres wird die Schule in Salmopol durch Pfarrer Fritsch eingeweiht. Lehrer dieser deutschen Beskidenschule wird Paul Janik. Die Baukosten beliefen sich auf 8.400 Gulden, die größtenteils Stiftungen der Bielitzer Fabrikanten und des Gustav-Adolf-Vereins sind; so weiß es Pfarrer Porwał, der letzte Bialaer deutsche Pfarrer, zu berichten. Salmopol liegt oberhalb Schirk im Silza-Tal auf einst galizischem Boden. Die Siedlung entstand für deutsche evangelische Waldarbeiter aus W eich sel und Brenna mit 30 Häusern und 170 Seelen. Der Bau liegt 970 Meter hoch, der große Schulsaal mißt 60 Quadratmeter. Ohne Frage eine kulturel le Leistung unserer Sprachinsel. Auch das Jahr 1898 bringt eine Reihe von Planungen der Wirklichkeit näher: Vom 31. März stammt ein Gesetz, das zwangsweise die Einleitung von Trinkwasser in alle W ohnhäuser unserer Stadt vorschreibt, und für die 258
Durchführung, die dringend notwendig ist, für die Beseitigung sanitärer Mißstände und auch so mancher Verkehrshindernisse wurden den Haus besitzern durch Reichsgesetz finanzielle Vorteile gewährt in der Form, daß für besonders bezeichnete Gebäude eine Befreiung von der Hauszinssteuer auf achtzehn Jahre ausgesprochen wird, allerdings mit der Auflage, binnen zehn Jahren diese notwendigen Arbeiten zu vollenden. Für Bielitz war diese Vergünstigung am 21. April 1903 ausgesprochen worden. Es kommt 1898 auch zum Bau der Amtsgebäude (Bezirkshauptmann schaft und Gericht) sowie zur Grundsteinlegung für die Turnhalle in Bielitz auf der Schießhausstraße. Am 10., 11. und 12. September 1898 erfolgt dann die Einweihung der Turnhalle. In Bielitz wird die bisherige »Kühgasse« in »Parkstraße« umbenannt. Im gleichen Jahr wird auch durch Wlad. Demtrykiewitsch über den Fund von prähistorischen Pfahlbauten bei Kobiemice (15 Kilometer öst lich Biala) berichtet. In Biala selbst entsteht eine Seifenfabrik, in Saybusch eine Schwefelsäure-Erzeugungsstätte. Das letzte Jahr dieses Jahrzehnts bringt dann in Bielitz die Fertigstellung des »Schloß-Bazars« mit seinen sechzehn Ladengeschäften und einer Grundfläche von 1.097 Quadratme tern. 75 Jahre später, 1974, sollten diese dann wieder abgerissen werden. Das ahnten die Schöpfer dieser Anlage sicherlich nicht. Die Grundfläche wurde für die Verbreiterung des Schloßgrabens nutzbar gemacht. In Karnitz wird die neue katholische St.-Margarethen-Kirche vollendet, die alte von 1547 stammende Holzkirche war inzwischen abgetragen wor den. Der Beskidenverein beschließt den Bau des Josefsberg-Schutzhauses. Auch die Gründung der »Golleschauer Zementfabrik« fällt in das Jahr 1899. Ein Oppelner Konsortium ruft sie ins Leben, und die »Österreichi sche Kreditanstalt« (Rothschild) in W ien finanziert das Vorhaben. 1911 erzeugt sie pro Tag 400 Tonnen, 1929 sind es 780 Tonnen Zement.
Schule und Kirche von 1890 bis 1899 In unserer Heimatstadt hat sich inzwischen ein tragkräftiges deutsches Schulwesen entwickelt, die Neugründungen nehmen noch kein Ende. So wird 1892 der erste Jahrgang der Bielitzer Lehrerbildungsanstalt abgehal ten, und im Jahr 1897 kommt es zu einer besonders interessanten Schul 259
gründung, die ich schon kurz erwähnte, als es um das Bauen ging. Sie liegt im Kraftfeld unserer Sprachinsel und hat eine besondere Lagerung. Am südlichsten Ende des Schirk-Tales liegt die kleine Kolonie evangeli scher Waldarbeiter namens Walmopol, welche die Ludwigsdorfer Herr schaft im 18. Jahrhundert ins Land rief. In einem Holzhaus wurde sie untergebracht und liegt hoch über der Ansiedlung. Am 17. Oktober 1897 wird sie eingeweiht. Erste urkundliche Eintragungen ihrer Bewohner in das evangelische Taufregister der Bialaer evangelischen Pfarrer sind seit dem 20. Juni 1805 belegt (Schnür, 1966). Drei Jahre vorher, 1894, war schon die deutsche Schule in Karnitz erbaut worden, 1909 folgt dann die vom Deutschen Schulverein gestiftete »Rosegger-Schule« in Batzdorf, und ab 1910 gibt es eine deutsche Handelsschule in Biala. Wie unsinnig die Feststellung vom deutschen Joch in unserer Heimat war, geht aus den nun folgenden kurzen Berichten hervor: Es geht um das Schulwesen der Polen in unserer Gegend. 1891 konnte in Krakau ein polnischer Schulverein ins Leben gerufen werden. Sein Hauptziel war, möglichst viele polnische Schulen in unserem deutschbesiedelten Heimatland, und zwar vor allem in den deutschen Orten, zu schaffen. Die erste Schulgründung war die Tadäus-Kosciuschko-Schule in Biala im Jahr 1898. 1902 entsteht die am meisten nach Westen vorgeschobene polnische Schule in Mährisch-Ostrau und danach in rascher Folge eine polnische Lehrerbildungsanstalt in Biala sowie eine polnische Schule in Tschechowitz. 1910 wird den Polen eine Feier zur 500. W iederkehr der Schlacht bei Tannenberg in Krakau genehmigt, welche mit dem Lied »Jeszcze Polska ...« - »Noch ist Polen nicht verloren« - an Stelle der überall üblichen Kaiserhymne abgeschlossen wird. Eine umgekehrt ge richtete Feier wäre im Polen zum Beispiel des Herm Grażyński für uns gar nicht denkbar gewesen. 1918 gibt es im Teschener Schlesien bereits 91 polnische Volksschulen. Und nun zu den kirchlichen Begebenheiten. Am 13. Oktober 1881 wird die neugestaltete evangelische Kirche in Bielitz und 1885 die katholische Kirche in Biala eingeweiht. Die Gemeinde Biala gehörte bislang zu der viel größeren Gemeinde Kunzendorf, die seit dem 15. Jahrhundert eine eigene Gemeinde bildete. 1892 erhält die evangelische Gemeinde Bielitz ihre Diakonissenanstalt, 1893 schenkt der Habsburger Erzherzog Albrecht das Bialaer Schloß, 260
umgeben von einem Park, einst Sitz der Bialaer Starosten, dem Frauen orden »Töchter der Göttlichen Liebe«. Es entsteht das Kloster St. Hilde gard mit angeschlossenem Schulbetrieb. In der Kapelle dieses Klosters werden heute noch deutsche Gottesdienste abgehalten (Schmeja, MB Nr. 7, 1973). Am 26. April 1893 wurde unser uns allen noch bekannter Pfarrer Dr. Josef Bulowski in sein Bielitzer Amt eingesetzt. Ein Jahr später brennt in seiner Kirche bereits elektrisches Licht. Die evangelische Gemeinde Bielitz kann sich über das am 8. November 1896 fertiggestellte Kirchenbauwerk freuen, der Turm ist auf 68 Meter erhöht, der Bau stilechte Gotik. Am 15. September 1897 kann die gleiche Gemeinde ihr Knabenwaisenhaus einweihen. Am 11. Juni 1899 weiht Georg Kardinal Kopp, Breslau, die neue Kamitzer Kirche ein. 1907 wird in Bielitz ein evangelisches Waisenhaus erbaut, und 1908 öffnet die auf W unsch von Kardinal Kopp ins Leben gerufene katholische Lehrerbildungsanstalt Bielitz ihre Tore. Ein Jahr später sind die Arbeiten für die Erweiterung und den Turm der katholischen Pfarrkirche in Bielitz abgeschlossen. Im Jahr 1916, als der letzte österreichische Kaiser Karl I. in Bielitz weilt, wird Pfarrer Bulowski »Ritter des Kaiser-Franz-Josef-Ordens«. In der Kriegszeit werden viele Kirchenglocken beschlagnahmt, und nach 1918 gießt die Firma Schwabe in Biala neue Klangkörper für zahlreiche Gemeinden. Aus dem Teschener Land interessiert noch eine Nachricht von 1898, derzufolge es in den schlonsakischen evangelischen Gemeinden des Te schener Gebietes lediglich Gesangbücher in tschechischer Sprache gab. In der Verbotszeit von 1632 bis 1781 kamen nämlich slowakische Prediger über die Grenze im Süden und betreuten ihre Glaubensgenossen. Auf diese Prediger gehen nun die tschechischen Gesangbücher zurück. Im Jahr 1920 wurden sie durch polnische ersetzt. 1890 spricht der Visitationsbericht des Krakauer Bischofsamtes davon, daß in W ilmesau ein dem Deutschen »ähnlicher Dialekt« gesprochen wird.
261
Blick ins Kronland, einige Zahlen Österreich-Schlesien hatte 1890 eine Einwohnerzahl von 605.649 Men schen (1880: 565.475) und wurde von einem Landtag regiert, der sich 1890 wie folgt zusammensetzte: Deutsch-fortschrittliche Partei: 19 (1880: 22), Deutschnationale Volks partei: 5 (1880: 3), 6 von der Tschechisch-polnischen Solidarität (1880: 4), die Großgrundbesitzer und der Mittelstand hatten kein Mandat (1880: 1), eine Virilstimme kam vom Fürstbischof von Breslau. Zusammen 31 Sitze. 1897 hatte sich das Verhältnis wie folgt verändert: Deutsch-fortschritt liche Partei: 14 (19) , Deutschnationale Volkspartei 8 (5), Tschechisch polnische Solidarität 6 (6), Großgrundbesitzer und Mittelstand 2 (0) und eine Virilstimme. Zusammen 31 (wie bisher). Im Juli 1890 war auch erstmals ein Pole für den Bielitzer Kreis in den Landtag gewählt worden; es war Dr. Johann M ichejda aus Teschen. An Gesetzen, die für unser Ländchen von Wichtigkeit waren, kamen neu hinzu: am 9. August 1895 das Gesetz über die Ausübung der Ge richtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerli chen Rechtssachen (Jurisdiktions-Norm), am 27. Mai 1896 das Gesetz über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung), am 19. Januar 1897 ein neues Patentgesetz für ganz Österreich, und am 20. September 1899 kam ein Aktienregulativ über die Errichtung und Umbildung von Aktiengesellschaften auf dem Gebiet der Industrie und des Handels. Diese Anpassungen wurden notwendig durch die vielfältigen Veränderungen, die sich durch die politische und auch wirtschaftliche Lage des Staates ergaben.
Aus dem Zeitungswesen ab 1890 Das Zeitungswesen und auch die Schriftstellerei waren in unserem Länd chen eigentlich immer recht rege. Ohne Rücksicht auf Richtung und Ten denz soll hier wiedergegeben werden, was bei uns auf diesen Gebieten geschah. 1890 erschien ein »Führer durch die Beskiden und die angrenzenden Gebirge«. Der Verfasser war der Schulrat und geborene Bielitzer Josef Matzura. 262
1894 schreibt Anton Bierman seine »Geschichte des Herzogtums Teschen«, bis heute ein Standardwerk im Geschehen unserer Heimat und bis heute von jedem Chronisten, der sich mit unserem Land befaßte, gern zur Hand genommen. 1894 mußte die Druckerei Schneeweiß wegen eines angesagten Konkurses vorübergehend ihren Betrieb einstellen. Die Pause dauerte bis 1897 (L. K. Reischer). Unsere Stadt verfügte über eine Gemeindezeitung, die sich »Das Stadt blatt« nannte. 1895 bis 1899 erschien das »Bielitz-Bialaer Wochenblatt«, das bisher »Wochenblatt für die Bezirke Bielitz-Biala, Skotschau, Schwarzwasser und Saybusch« hieß. 1896 kam das dreimal wöchentlich erscheinende deutsche Blatt »Teschener Zeitung« in Teschen (n. Kowalak) heraus, und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges gab es ab nun auch ein zweites deutsches Blatt, nämlich den »Bielitz-Bialaer Anzeiger«, ein parteiunabhängiges liberales Lokal blatt. Beide hatten etwa je 1.000 Stück Auflagenhöhe. Im Druckereiwesen kam es im gleichen Jahr zur Gründung der Buchdruckerei Heinrich Prochatschek in der Schießhausstraße 3, und im Februar des Jahres 1897 wurde zum ersten Mal die Buch- und Steindruckerei Johann und Karl Handel erwähnt (Reischer). Von 1899 bis 1918 erschien die »Ostschlesische Deutsche Zeitung«. Es handelte sich um ein deutsch-fortschrittliches bis teilweise national einge stelltes, aber parteiungebundenes Blatt. Von 1900 bis 1904 war die Redaktion der »Mitteilungen des Beskiden vereines« in Bielitz. Ab 1902 erschienen das Organ der deutschen Sozia listen, die »Volksstimme«, sowie das christlich-soziale »Bielitz-Bialaer Volksblatt« in Bielitz. 1904 kommt es in Biala zur Gründung der ersten polnisch geschriebe nen Arbeiterzeitung durch den katholischen Pater Stojalowski, »Pszczół ka« (das Bienchen), worauf dann noch »Wieniec« (der Kranz), »Robota chrzescianska« (die christliche Arbeit) und »Kobieta« (die Frau) folgten. Für die polnische Bevölkerung der Stadt entstehen der »Dziennik urzę dowe dla starostwa Biala« (Tageblatt für die Bezirkshauptmannschaft Biala) und der »Rolnik dla włościan« (nach Dr. Kałuża). An der Jahreswende 1899/1900 erscheint im Schrifttum auch erstmals der Ausdruck »Sudetendeutscher«. Er wurde von dem Politiker und Volks tumsforscher Dr. Franz Jesser aus dem Schönhengstgau ausgesprochen. 263
1929 erläutert er den Begriff dann genau in Aussig (nach Pozorny, in »Mein Beskidenland« v. 1. Februar 1970). Der Ausdruck »Sudetendeut scher« hat jedenfalls gar nichts mit einer Erfindung zu tun, die etwa nach dem Ersten Weltkrieg gesucht wird.
Über Vereine und Verbände Eine besondere Aktivität entwickeln in dieser Zeit die deutschen Feuer wehren in unserem Staat: 1890 wird ein »Ständiger österreichischer Feuer wehrausschuß« ins Leben gerufen, der sich im Jahr 1900 in »Österreichi scher Feuerwehrverband« umbenennt. 1894 gründen die schlesischen Feuerwehren den »Österreichisch-Schlesischen Feuerwehrverband«, und schließlich wird im Jahr 1917 der »Österreichische Reichsverband für Feuerwehr- und Rettungswesen« geschaffen, dem alle deutschsprachigen Landesverbände von Böhmen, der Bukowina, Schlesiens und der übrigen Kronländer angehören. Sein Präsident wird Schuldirektor Karl Staudt aus Prag. Im Jahr 1892 entsteht die Feuerwehr in Oberkurzwald, 1893 folgen dann die Wehren in Dzieditz, Punzau, Zabrzeg und Istebna. 1894 erhält die Bielitz-Bialaer Feuerwehr zwei neuartige Dampfspritzen. Am 2. Februar 1893 treffen sich in der Schießstätte zu Friedek Natur freunde aus Bielitz-Biala, Teschen, Friedek-Friedberg, Mährisch-Ostrau, aus Witkowitz und vielen anderen Orten und gründen den »Beskidenver ein«. Drei Monate später, am 11. Mai 1893, wird die Sektion Bielitz-Biala dieses Beskidenvereins ins Leben gerufen. Obmann wird Realschuldirek tor Reissenberger. Von nun an gibt der Beskidenverein auch Mitteilungen und Jahrbücher heraus. Bis 1904 geschieht das in Bielitz, dann von Te schen aus. 1895 erhielt der Bielitz-Bialaer Beskidenverein von der Stadtgemeinde Baugrund auf der Kamitzer Platte für die Erstellung eines Touristenhauses, das am 18. Juli 1897 fertig wird. Alsbald entstehen auch die »Rodelhütte« in einer Höhe von 680 m und die Klementinenhütte, 1.095 m hoch. 1894 legt Meister Schnack den Alpengarten auf der Kamitzer Platte an. Das schmucke steinerne Schutzhaus wird am 7. Oktober 1897 eröffnet. G. Konecny hat im Jahr 1970 im »Heimatboten« anläßlich der 70. W iederkehr dieses Tages einen ausführlichen Aufsatz darüber geschrieben. Vorbild für 264
die gesamte Tätigkeit unseres Beskidenvereins ist der »Alpenverein«. Der Turnverein Bielitz-Biala legt am 25. März 1898 den Grundstein zu seiner Turnhalle und kann diese am 11. September des gleichen Jahres auch einweihen. Die Buchdrucker Österreichs gründen 1894 ihren Buchdruckerverband, dem auch unsere im schlesischen Kronlandesverband zusammengeschlos senen Berufskollegen angehören. Im gleichen Jahr wird in Troppau der deutsche Schutzverein »Nord mark« ins Leben gerufen, und es entsteht auch in Bielitz eine seiner Ortsgruppen. 1899 ist Kurzwald an der Reihe. In Bielitz erbaut dieser wertvolle Hilfsverband ein Schülerheim in der Schneidergasse, das vielen deutschen Schülern für einige Jahre zu einer zweiten Heimat werden sollte. Im Jahr 1896 werden die Zünfte in Österreich aufgelöst, auch unsere Berufsvereine sind dabei. Ihr Vermögen und das Inventar werden von der Stadt übernommen. Seit 1897 besteht der Arbeitergesangverein: In Bielitz heißt er »Froh sinn«, in Altbielitz entsteht er unter dem Namen »Gleichheit«, »Einigkeit« nennt man ihn in Alexanderfeld, »Eintracht« in Nickelsdorf. In Bielitz entsteht auch der Touristenverein »Naturfreunde«. Die »Kinderfreunde« hatten ein Ferienheim im Luisental. Im nächsten Jahr entsteht der »Bielitz-Bialaer Eislaufverein« (1899). Ebenfalls 1899 bildet sich die Ortsgruppe Alexanderfeld des »Deutschen Schulvereins«. Er kann hier ein zweites Schulgebäude errichten, das 1900 einen Zweiklassenbetrieb aufnehmen kann. Die »Bräuhausgasse« mußte eine Änderung hinnehmen: Im Jahr 1896 wurde ihr Name in »Hoffmanngasse« umgeändert. Übrigens wurde in Bielitz seit 1521 gebraut, und die Brauerei befand sich zwischen der Zollamts- und der Schulgasse an der Einmündung der »Kurzen Gasse« (Perzanowski, S. 22). 1894 wurde ein neunköpfiges Komitee ins Leben gerufen, um die Frage der Eingemeindung von Kunzendorf zu klären, das aber zu keinem Ergeb nis kam (Perz., S. 64). Wiederum eine charakteristische Tatsache ist es, daß schon 1895 in einer deutschen Stadt wie Biala alle Eintragungen in das Grundbuch bereits polnisch getätigt wurden.
265
Unruhiges, aber aufstrebendes Bielitz-Biala Ich habe schon mehrfach über die Arbeitsverhältnisse der damaligen Indu strie in unserem Land berichtet. Sie waren, wie überall in der Welt, nicht die besten. Lange Arbeitszeiten, lange An- und Abmarschwege zu Fuß und mit der Bahn zur Arbeit, niedrige Löhne, die sozialen Verhältnisse eher schlecht als recht und keine Unterstützung im Falle der Arbeitslosigkeit. Wie gesagt, das war nicht nur bei uns so. Die Arbeiterschaft wurde unruhig und begehrte im Jahr 1890 erneut auf. Am 7. April dieses Jahres versammelten sich die Arbeiter zum ersten Mal in Bielitz und gründeten als Folge dieser Versammlung am 29. Juni 1890 einen Fachverein für Manufakturarbeiter, aus welchem sich später die Arbeiterbewegung des Raumes Bielitz-Biala entwickelte. Am 23. April 1890 kommt es bei einer Kundgebung zu einem Zusam menstoß zwischen Arbeitern und Militär. Es gibt Tote, die Zahl schwankt zwischen 13 und 18 (Zahradnik bzw. Perzanowski), und es gibt 18 Verhaf tungen. Als Folge dieser Ereignisse entschließt sich die Oberste Verwaltungs behörde, eine ständige Garnison nach Bielitz zu legen. Sie trifft im Septem ber 1890 auch in Bielitz ein und wird vorerst in den Gebäuden der Schieß stätte untergebracht, später in einem Haus an jener Stelle, an welcher heute das Postamt steht, bis der Bau auf der Josefstraße für die Infanteriekaseme fertig ist. Es ist das 5. Bataillon österreichischer Feldjäger, das in Bielitz Einzug hält und erst 1895 auf dem späteren Hindenburgplatz in der Ober vorstadt seine Quartiere beziehen kann. Ein ausführlicher Bericht darüber ist in den Folgen Nr. 87/1977, 88/1977 und 89/1977 des »Mitteilungsblat tes des österr. Heimatbundes Beskidenland« Wien, enthalten. Von nicht unbedeutender Wichtigkeit für unsere Techniker und ihre Produkte ist der Erlaß eines Markenschutzgesetzes in Österreich, und im August eben dieses Jahres 1890 veranstaltet unsere Industrie eine Gewer beausstellung. Neben zahlreichen Sparten, die in Bielitz heimisch gewor den sind, kann unsere Tuchindustrie im österreichisch-schlesischen Raum 60 % des Umfanges für Bielitz-Biala buchen. In unserem Kronland werden zu dieser Zeit registriert: 279 Betriebe, die sich mit SchafwollWarenherstellung befassen, und zwar 63 Tuch- und Schafwollwarenfabriken, in denen größtenteils Spinnerei und Weberei gemeinsam vorhanden sind, 13 Strickwarenfabriken, 1 Futterstoffabrik, 266
6 selbständige Streichgamspinnereien, 1 Kammgarnspinnerei und -Webe rei, 28 Färberei- und Appreturanstalten, 87 kleine Tucherzeuger und 90 Strumpfwirkereien. Aus dem Jahre 1895 liegen etwa angenäherte Angaben für Österr.Schlesien wie folgt vor: Es werden 260- bis 270.000 Stück Tuch von etwa 20 bis 30 Meter Länge erzeugt, was im Mittel etwa 6,65 Mill. M eter Tuch ergibt. Von dieser Menge sollen 60% auf Bielitz entfallen, was rund 3,99 Mill. Meter für Bielitz-Biala ergeben würde. Die Produktion von Bielitz-Biala zu Ende des Jahrhunderts betrug etwa 7 Mill. M eter Tuch. Die gute Konjunktur hatte 1890 ihr Ende gefunden und setzte erst wieder ab 1900 ein. Dr. Kaluza zählt in seiner Arbeit aus dem Jahr 1956 für die eben beschriebene Zeit 85 Tuchfabriken in unserem Gebiet auf, es sind dies: Axelrad, J. G. Bathelt’s Söhne, Breitbart, Bachrach, Büttner & Sohn, Kurt Bartelmuß, Heinrich Braun, Karl Better, Fa. Citrin, Karl Drucker, Rudolf Deutsch, Eichler & Inochowski, Clemens Funke, Fa. Frankel, Karl Geyer, Hess-Piesch-Strzygowski, Simon Hoffmann, Viktor Hoinkes, Hup pert, Homisch, Fa. Gebr. Heilpem, Carl Jankowski & Sohn, Fa. Kramer, Josef Kliesch, Brüder Kunz, Krischke & Wolf, Landesmann-Komhaber, Laskowski, Gustav Molenda & Sohn, Karl Mifka, Josef Mach, Fa. Mor genstern, Fa. Middelburg, Morgenbesser-Fellner, Heinrich Mehlo, Max Polatschek, Plutzar & Brüll, Emil Piesch, Josef Pokorny, Alois Rubitzki, Br. Rabinowitz, Fa. Riesenfeld, Abel Rappaport,Br. Rappaport, Fa. Rubin, Josef Rappaport, Schanzer & Sohn, Josef Semmler, Stemickel & Gülcher, Rud. Strzygowski, Fa. Stosius, Willi Tugendhadt, Emanuel Tisch, Ignaz Tisch, Josef Tisch, Fa. Tislowitz, Georg Vogt, Leopold Vogt, Br. Wolf, Marcus Wolf, Joachim Wolf, A. Wenzelis, I. Wenzelis, Eduard Zipser & Sohn, Otto Zipser, Barth. Zipser, Vöslauer Kammgarnspinnerei, Brüder Münch • Kammgarnspinnerei, Sonderling & Deutsch • Kunstwoll- und Wattefabrik, Polfa-Wattefabrik, Jute Union A. G. • Jutespinnerei und Sack fabrik, Lenko A. G. • Jutespinnerei • Bindfaden • Säcke • Balatariemen • Schlauchweberei • Plachen und Zeltleinen • Leinenspinnerei und Weberei • Leinendruckerei ■Wachstuch und Kunstlinoleum, Krzyżanowski • Leinen weberei, Jaro W inter • Baum Wollweberei, Hemdenfabrik, C. J. Schwarz • Bandweberei, Triumph • Gummibandweberei, Lanko • Herrenkonfektion, Tu-Wu- • Wäschefabrik, Schaudema • Seilerei • Hanf- und Drahtseile, Trójkąt w Kole • Strickgarne, Büttner & Sohn • Knüpfteppiche, Rochowicz 267
& Co. • Knüpfteppiche, Tramer • Knüpfteppiche, Schorsch ■ Knüpftep piche, Loria ■Knüpfteppiche, Schmidt • Knüpfteppiche, Biesmer Knüpf teppiche, Hol-Pol • Haarhutstoffabrik, Biester & Sohn • Hutfabrik, Swo boda • Hutfabrik, H. Danielczyk • Hutfabrik, Pippersberg • Fell Veredlung, Hobot ■ Fellveredlung, Otto Vogt • Färberei, Fromowicz • Färberei, R. Suchy • Karbonisieranstalt, Gebr. Sennewaldt • Bürsten- und Pinselfabrik, Br. Goldberg • Bürsten- und Pinselfabrik, Rosenberg • Fabrik für gestickte Kopftücher Als Unternehmen aus der Metallwarenindustrie zählte er auf: G. Josephys Erben, Textilmaschinen, Zementmaschinen Georg Schwabe, Webstühle, Motoren, Nähmaschinen Bartelmuß Suchy, Schraubenfabrik, Baubeschläge und Schlösser Th. Pollak u. Sohn, Eisen- und Holzschraubenfabrik, Schienen, Oberbau Benn A. G., Transmissionen, Lager Karl Ochsner & Sohn, Pumpen und Dieselmotoren Adolf Menzel, Webstühle und landwirtschaftliche Maschinen Emil Twerdy, Drehbänke, Maschinenfabrik Rudolf Bayer, Apparatebau, Färbereimaschinen Geppert Quissek, Kesselschmiede, Apparate für Brennereien Johann Ochsner, Kesselschmiede und Maschinenfabrik Edmund Schmeja, Schrottmühlen, Gießerei, Maschinenfabrik Rudolf Schmidt, Armaturenfabrik, Grau- und Tempergießerei Münstermann, Armaturenfabrik Antonik, Gelbgießerei und Armaturen Alscher & Gross, Eisenkonstruktionen, Grubenbedarf Franz Gürtler, Möbelbeschläge Bronclik & Długosz, Möbelbeschläge Apollowerke, Fahrradfabrik Montanindustrie A. G., Tiefbohrbedarf Czechowitzer Elektroindustrie, Elektrischer Kleinbedarf, Schalter usw. Zahn A. G., Kabelfabrik Akkumulatorenfabrik A.G., Akkumulatoren Metallwalzwerk A. G., Blechwalzwerk Emailfabrik Rosenbluth, Emailgeschirr Schwabe, Glockengießerei Lobnitzer Sichel- und Sensenfabrik, Sicheln und Sensen 268
Lobnitzer Sägenfabrik, Sägen aller Art, Kreissägen Nerlich, Schroterzeugung Mewa, Tuben- und Kapselfabrik, Kartonagen Adolf Männhardt, Kratzenfabrik Lenko, Kratzenfabrik Wilhelm Jenkner, Pumpen Verschiedene Erzeugungen: Silesia Bergbau A. G., Kohlengrube, Kraftzentrale Brikettfabrik A. G. Vacum Oil A. G., Erdöl.Raffinerie Straßenbahngesellschaft A. G., Kleinbahn Zigeunerwald - Bielitz Zündholzfabrik A. G., Zündhölzer Imprägnierungsanstalt, Schnellimprägnierung Karl Rusin, Textilöle, Kalypsöle, techn. Fette Otto Zipser, Kunstdarmfabrik Fr. Zezemski, Kerzenfabrik Rogolith, Knopffabrik Klausner, Kunstharzpresserei Jenkner, Christbaumschmuck Reisfeld & Co., Eau de Cologne-Lizenzerzeugung Henschel, Aromen und Fruchtäther Promonta, Pharm. Nährpräparate Drancz & Co., Schwarzkopf-Shampoon, Pharmazeutica 3 Seifensiedereien, Toilette-, Kern- und Schmierseife, Seifenpulver Gerberei Lodygowitz, Sohlenleder M. Kraus, Lackfabrik Niemojowski, Papier- und Pappefabrik Niemojowski, Zelluloseschleiferei Ing. Eichler, Wellpappefabrik Wesko-Mill, Kuvertfabrik Fapa, Fahrkartenerzeugung Mewa, Kartonagen Vogt und Co., Schmirgelscheibenerzeugung, keramisch Farusel, Schmirgelscheibenerzeugung, keramisch Mühlig, Schmirgelscheibenerzeugung, keramisch Matern, Schmirgelscheibenerzeugung, keramisch 269
Thonet Mundus Emsdorf, Bugholzmöbel Thonet Mundus Buczkowitz, Bugholzmöbel Wech Buczkowitz, Bugholzmöbel Weich Buczkowitz, Buchholzmöbel Graf Larisch-Mönnich, Holzindustrie, Gebrauchsmassenartikel Karl Kom A. G., Sägewerk und Holzindustrie Sägewerke, 10 verschiedene Besitzer Krywult, Ofenkacheln Brüder Schott, Ofenkacheln Gröger, Natur- u. Kunststeinindustrie Kom A. G., Baufirma Wilh. Riedel, Baufirma Josef Kozieł, Baufirma 8 kleinere Baufirmen Alfred Franz Geyer, Volltuchfabrik Egon und Bodo Oelwein, Kerzen- und Wachs Warenfabrik (vorm. Sezemski), 30.000 kg Monatsproduktion Fa. Rauchdobler, Kerzenerzeugung Aus der Lebensmittelbranche nennt Dr. Kaluza: Hoffmann, Margarinefabrik und Ölpresserei Arzt, Ölextraktion Bielitzer Aktienbrauerei, Bier, Schnäpse und Liqueure, Sodawasser Camis & Stock A.G., Cognac und andere Destillate, Liqueure Jenker & Co., Obstweine, Liqueure, Cognac 3 Spirituosenfabriken, Rum, Liqueure 2 Zuckerfabriken, Hartkonditen Großdampfmühle Kühn & Co. 150 Tonnen Leistung, Weizen und Roggen Dampfmühle Dobija, 40 Tonnen Leistung Arpol, Marmelade- und Konservenfabrik Nordia Have, Fischkonservenfabrik Franz Schubert, Wurstfabrik, Salamierzeugung Mecke, Dampf-Mühle
270
Blick nach Osten W enden wir uns noch einmal nach Osten, nach Polen. Dort herrschen, wie wir aus den bisherigen Ausführungen wissen, Unruhe, nationale Aufrü stung, die sich bis zur Unduldsamkeit steigert, kurz, die Polen wollen wieder ihren eigenen Staat. Es fing schon 1879 an, als dieses Jahr für Österreich einen weiteren Höhepunkt an Schwierigkeiten im Parlament brachte. Der Polenklub und die polnische Reichsratsfraktion hatten bereits die ausschlaggebende Schlüsselstellung, und die Regierung konnte nur Erfolge erzielen, indem sie wirtschaftliche Konzessionen in Galizien machte oder den Polen im Teschener Schlesien - in unserer Heimat also - entgegenkam. Vom 2. Oktober 1895 bis zum 28. November 1897 leitete der galizische Graf Badeni das österreichische Kabinett, der schon seit 1888 Statthalter in Galizien war und sich dort die entsprechende Qualifikation erworben hatte. Seine tschechenfreundliche Politik und vor allem die gegen die Deutschen gerichteten Verordnungen über die Amtssprache in Böhmen und Mähren (5. April 1897) führten zu heftigstem W iderstand der Deut schen im Abgeordnetenhaus (2 5 .-2 7 . November 1897) und schließlich zu seiner Entlassung. Um Öl auf die Wogen zu gießen, weilte am 21. und 22. Oktober 1880 Kaiser Franz-Josef I. in Krakau. In den Tuchhallen wurde ein Festabend abgehalten. Es war das letztemal, daß man die Hallen in einen Tanzsaal umgestaltete. Der Kaiser kam von Bielitz, wo er am 20. und 21. Oktober zu Besuch war. Die Ereignisse halfen aber nicht, die Gemüter zu beruhigen. 1885 wurden 30.000 Polen österreichischer und russischer Staatsangehörigkeit aus Preußen ausgewiesen. 1905 gab es Unruhen mit sozialem Gepräge in Polen, 1908 wurde der Statthalter in Galizien, Graf Potocki, von Ruthenen aus Haß ermordet. 1910 konnten 5.000 oberschlesische Polen an einer riesigen »Grünwald feier« teilnehmen. (Die Polen nennen die Schlacht bei Tannenberg so.) 1912 brachten die Polen im Deutschen Reich 441.700 Stimmen für den Reichstag auf und errangen 18 Mandate. Und trotzdem ziehen 1914 polni sche Legionen mit den Mittelmächten gegen Rußland. Die aus freiwilligen Polen gebildete »österr.-ungarische Polenlegion« (zwei Brigaden) war es, die gegen Kielce und bei Gorlice mitmachte. Seit 1915 kämpften aber schon Überläufer auf der Seite Frankreichs unter General Haller. Auf 271
russischer Seite kämpften Tschechen, die später auch im russischen Bür gerkrieg mitmachten. Seit 1912 haben Salesianermönche eine Niederlassung in Auschwitz. Dort wurden 120 bis 130 junge Leute, darunter viele Oberschlesier, im nationalpolnischen Geist erzogen. Die Geistlichkeit war damals schon führend im großpolnischen Gedanken. (Im deutschen Sprachraum war das nie der Fall.) Polen waren in Wien in höchsten Staatsstellungen. Agenor Goluchowski sen. aus Skala in Podolien war 1848 kaiserlicher Statthalter in Galizien, 1859 österr. Innenminister. Er repräsentiert die polnische Staatsraison zusammen mit der Loyalität für Österreich und ist der erste polnische Minister in Wien. Er ist für Verständigung und die Länderautonomie und beseitigt die deutsche Sprache aus der Krakauer Universität. Auf höhere Posten kommen Polen. Er ist Führer im Polenklub des W iener Parlaments. Graf Potocki wird 1866 österr. Landwirtschaftsminister. Florian Ziemialkowski, zum Tode verurteilt und später begnadigt, seit 1848 Abgeordneter in Wien, Teilnehmer am Slawenkongreß in Prag, wird 1867 Führer des Polenklubs im W iener Parlament, 1873 Galizien-Minister. Er führt die polnische Sprache 1869 bei Gericht, im Unterricht sowie in der Verwaltung ein. Graf Ludwig Wodzicki aus Krakau wird 1867 Staatsratsabgeordneter in Wien, ebenso Stanislaus Kozmian im Jahre 1870, im Ersten Weltkrieg Mitglied im Herrenhaus in Wien. Graf Alfred Potocki wird 1870 Ministerpräsident in Wien, 1875 Statthalter in Galizien. Er versucht im polnisch-tschechischen Streit zu vermitteln, Tschechen boykottieren aber dieses Bemühen. Otto Hauser, ab 1878 Staatsratsmitglied in Wien, tritt am 5. November 1878 aus Protest aus, hält eine Rede gegen die Okkupationskredite für Bosnien-Herzegowina im Namen der Gerechtigkeit, Moral und Vernunft (Feldmann, S. 264). In Galizien sehr populär, kehrt er 1879 wieder in den Polenklub zurück und wird sein Präsident in Wien. Julian Anton Dunajewski aus Stanislau, 1861 Professor in Krakau, 1873 Abgeordneter in Wien, 1880 österr. Finanzminister. Er stellt den Budget 272
ausgleich her, führt Steuern für Spiritus, Kaffee und Zucker ein, erhöht den Zoll für Kaffee und die Tabakwarenpreise. Stanislaus Szczepanowski, 1885 Bahnbrecher der großen Petroleumindu strie, glänzender Budgetreferent im Wiener Parlament. Von ihm stammt der Ausdruck: »Der Pole folgt am willigsten im Namen eines nationalen Ideals«; er warnt die Polen vor Rußland als der Verkörperung der Barbarei (Feldmann, S. 307/308), seit 1886 im Wiener Parlament, gründet die »Erste galizische AG für Erdölindustrie«, die 1898 in fremdes Kapital überging. Agenor Goluchowski jun. wird 1893 österr. Außenminister im Kabinett Badenis und Graf Thuns, er ist für Verständigung mit Rußland und Unab hängigkeit von Deutschland. Leo Biliński aus Hinterwalden/Zaleszczyki wird 1895 österr. Finanzmi nister und 1919 polnischer Finanzminister im neuerstandenen Polen. Die Grafen Lanckoronski und Chołoniewski sind Oberstkämmerer des öster reichischen Kaisers in Wien. Leonard Piętak wird 1900 Galizienminister, 1893 Reichsratsmitglied. Stanislaus Glabinski ist 1902 österr. Staatsrat, 1911 Eisenbahnminister in W ien und ab 1918 polnischer Außenminister. Ritter David Abrahamowicz, ein Pole armenischer Abstammung, wird 1897 zur Zeit Badenis und der deutschen Obstruktion Präsident des Österr. Abgeordnetenhauses in Wien. Der polnische Sozialist Hermann Diamand wird 1907 Abgeordneter des W iener Parlaments, ist 1914 im polnischen Nationalkomitee und 1919 polnischer Sejmabgeordneter. W itold Korytowski, ein Posener Pole, wird 1906 österr. Finanzminister, 1913 Statthalter in Galizien, 1917 Galizienminister in Wien. Er zieht sich 1918 aus der Politik zurück. Albert Dzieduszycki, ein Stanislauer Schriftsteller, wird 1879 Staatsrats mitglied, 1906 Galizienminister. Er sprach sich gegen das allgemeine Stimmrecht und Konzessionen für die Ukrainer in Galizien, dagegen für Dezentralisation und Autonomien aus. Michael Bobrzynski aus Krakau, Professor, 1885 Abgeordneter in Wien, 1908 Statthalter in Galizien, 1917 Galizienminister in Wien. Er suchte die Beruhigung im Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern. 273
Ludwig Ćwikliński aus Gnesen, Philosoph, Professor in Lemberg, Schüler von Mommsen, wird 1917 österr. Unterrichtsminister. Er hat Verdienste um das polnische Schulwesen in Galizien und im Teschener Schlesien. Poray-Madeyski und Gałecki sind bis 1918 Unterrichts- bzw. Galizienmi nister in Wien. Eine andere Einstellung nehmen die Sozialisten unter den Polen ein. Ihre Parteigruppe gehört zwar zur österreichischen Sozialdemokratie, aber nicht mit dem Herzen. Auf dem österreichischen Parteitag der Sozialdemokraten 1892 erklärt der polnische Sozialist Daszyński, »daß sich der polnische Sozialismus nicht so eng an den österreichischen anschließen könne, da die politischen Grenzen den sprachlichen nicht entsprechen aus Rücksicht auf die außer halb lebenden Stammesbrüder. Andere Nationalitäten könnten das besser«. Im polnisch-sozialistischen Lager herrschte Abneigung gegen Österreich (Feldmann, S. 323). Diese politische Gruppe ist mit dem internationalen Sozialismus weit enger verbunden, als sie sich zum österreichischen Sozialismus hingezo gen fühlt, obwohl die Polen ja seit weit über 120 Jahren in Österreich ein gerade nicht schlechtes Los gezogen hatten. Nun, sie hatten ihre Besonder heiten und ihre eigenen Wege. Die Polen sammeln sich immer mehr, und ein Mann spielt bei ihren gelenkten Aktionen eine besondere Rolle. Dieser Mann heißt Józef Pił sudski. Er wird am 5. Dezember 1867 bei Wilna geboren, im Alter von 19 Jahren, im April 1887, schon von den Russen verhaftet und in Petersburg, Sibirien und in Warschau festgesetzt. 1892 wird unter seiner Mitwirkung die polnische sozialistische Partei gegründet. Im Mai 1901 entweicht er aus Petersburg und gelangt nach Galizien. 1905 gründet er im österreichischen Krakau eine Schule zur Ausbildung künftiger Offiziere. Kasimir Sosnkowski unterstützt ihn hierbei. Im galizischen Land bilden sich Schützen gruppen, Österreich behandelt die Polen tolerant und schonend. Als der Krieg ausbricht, ist für die meisten Polen Rußland der Feind Nr. 1. Und so überschreiten auch am 6. August 1914 polnische Legionen mit Zustim mung des österreichischen Generalstabes die Grenze bei Kielce mit ihrer ersten Abteilung und eröffnen dann mit den ersten Operationen des Ersten Weltkrieges die Kampfhandlungen. Am 12. August 1914 wird von den Polen Kielce besetzt, sie wurden zurückgedrängt und kamen wieder nach 274
Galizien. Zum erstenmal seit 1863 hatten polnische Truppen wieder als eigene Formation gekämpft. Den Befehl über die »Erste Brigade« der polnischen Legion übernimmt Piłsudski selbst. Sie kämpfen gemeinsam mit österreichischen und deutschen Truppen und sind bei der Besetzung von Warschau am 5. August 1915 auch mit dabei. Im Mai dieses Jahres waren sie auch bei Gorlice mit eingesetzt. Aber mit der zunehmenden Verschlechterung der Lage der Mittelmächte ändert sich auch die Haltung der Polen zu ihren bisherigen Verbündeten, und am 16. August 1917 wendet sich Piłsudski gegen seine einstigen Verbündeten, die Deutschen im Reich und in Österreich, und legt im Oktober den Oberbefehl nieder. Am 5. November 1916 rufen die Kaiser des Deutschen Reiches und Österreichs die Unabhängigkeit eines »Königreichs Polen« aus, das die besetzten russischen Provinzen umfassen sollte. Im Juli 1917 verweigert die polnische Legion auf Befehl Piłsudskis den Treue-Eid auf die Zentralmächte. Piłsudski wird in M agdeburg interniert, sein Nachfolger wird Oberst Rydz-Smigly. In nüchterner Erkenntnis haben sich die Polen im entscheidenden Augenblick von den Deutschen abge wandt, weil sie sahen, daß sich das Kriegsglück abwendete. Die Ereignisse überstürzen sich in der Folge auch, so daß Piłsudski am 10. November 1918 freigelassen wird, nach Warschau kommt und dort bis zum Inkraft treten der Verfassung am 17. März 1921 die Geschäfte eines Staatschefs übernimmt.
Die Polen und die Mission des Polenklubs im österreichischen Reichsrat Im Jahr 1900 schrieb Bresnitz von Sydacoff eine Abhandlung, die im Verlag von Friedrich Luckhard, Berlin und Leipzig, im gleichen Jahr erschien. Der Verfasser, der »mit allen Fasern seines Herzens an Österreich hängt«, schildert hier seine Ansicht über die Stellung um die Jahrhundert wende im österreichischen Kaiserstaat, und man muß sich fragen, ob er nicht doch recht hatte. Die Slawen der Donaumonarchie waren gegen Ende des vorigen Jahr hunderts einem deutsch-feindlichen Kurs erlegen mit dem Ziel, sich mit allen Mitteln vom deutschen Joch - sei es das der Habsburger oder jenes der Hohenzollern - zu befreien. Was die Slawen aber nicht wußten, war, 275
daß die Russen - zunächst der Zar und später der bolschewistische Staat es in keinem Fall zulassen würden, gerade sie, die Slawen mit ihrer Sehnsucht nach einem Allslawischen Reich, aus ihrem Machtbereich zu entlassen, in welchen sie sich mit fliegenden Fahnen begeben hatten. Und so kam es, daß die slawischen Völker, die so unendlich »unter dem deut schen Joch schmachteten«, unter ein noch viel schwereres gerieten. Auf die österreichischen Verhältnisse eingehend, schreibt Bresnitz nun wörtlich: »Der nationale Kampf in Österreich hat in den letzten Jahren sehr trübe Blüten gezeitigt. Die traurigste Folgeerscheinung jedoch ist die, daß er die österreichischen Völker in zwei feindliche Lager gespalten und eine Situation geschaffen hat, die anscheinend das österreichische Staatsgebiet zur Wahlstatt machen will, auf welcher das Germanen- und Slawentum sich eine Schlacht um Sein und Nichtsein liefern sollen. Es wäre ein Verhängnis für den österreichischen Kaiserstaat, wenn diese Schlacht wirklich geschlagen werden sollte, sie müßte in jedem Fall zur Zertrüm merung des Staatswesens führen, das weder deutsch noch slawisch, son dern nur österreichisch sein kann.« »Es ist ein natürlicher Prozeß, daß ein in Opposition gedrängtes Volk die Parteiunterschiede zurückstellt und sich nur um die eine, die nationale Fahne schart.« »Eine ebenso unnatürliche Koalition ist dagegen eine >slawische Gemeinschaftc, welche man der deutschen Gemeinschaft entgegenstellte. Diese Koalition ist die Vereinigung zahlreicher slawischer Völker, die weder politisch noch wirtschaftlich die gleichen Interessen haben und die man künstlich, um die Deutschen in Schach zu halten, unter ein >autonomistisches< Programm zusammengepreßt hat. W er ist in Österreich autonomistisch? Die Tschechen, welche die autonomistische Führung der Parlamentsmajorität haben und die einflußrei chen Stützen der gegenwärtigen österreichischen Regierung sind, sind es nicht. In bezug auf Böhmen, Mähren und Schlesien wollen sie weit mehr als Autonomie - sie begehren ihr selbständiges Wenzelreich. Ebensowenig sind es die Südslawen, die eine starke Zentralregierung wünschen und so Gegner der Tschechen sind.« »Die Tschechen werden nicht leugnen können, daß sie es waren, die den Panslawismus erfanden, und der panslawistische Gedanke war, von den Zeiten Palackys angefangen bis auf den heutigen Tag, in einem weit höheren Grad anti-österreichisch als anti-deutsch.« 276
Bresnitz meint, daß es das Ziel panslawistischer Tschechen sei, den Balkan, der ausschließlich österreichisches Interessengebiet sei, für Ruß land zu gewinnen, jener Tschechen, die in der inneren österreichischen Politik an der Regierung stehen. »Hier allein gähnt ein tiefer Abgrund zwischen dem tschechischen und dem polnischen Volk. Die Polen, die wie kein slawisches Volk frei von panslawistischen Schwärmereien sind und in Rußland nicht den Freund, sondern den Feind sehen, bilden an der Nordgrenze Österreichs den unübersteigbaren Wall für die von Rußland aus betriebene panslawistische Agitation. Der österreichischen Staatsidee, auf deren Konto in Österreich so viel gesündigt wird, stehen die Tschechen fremd, die Südslawen zum Teil direkt feindlich gegenüber.« »Dem polnischen Volk in Österreich ist naturgemäß sein Platz an der Seite der Deutschen angewiesen.« »Polen und Deutsche haben ein gleiches Interesse daran, die Macht des russischen Reiches einzuschränken, daß sein Einfluß vermindert werde, und stehen somit mit den übrigen slawischen Völkern Österreichs, welche in Rußland das Mutterland aller slawischen Nationen sehen, in direktem Widerspruch.« »Deutsche und Polen sind in der österreichischen Reichshälfte daher auch die einzigen Völker, welche, von den großpolnischen und pangermanistischen Schwärmern abgesehen, die österreichische Staatsidee voll und ganz begreifen und imstande sind, dieselbe zu kräftigen und ihr ehrlich zu dienen.« »Die Polen müssen an die Seite der Deutschen zurückkehren, und den letzteren muß nicht nur ihr nationales Recht zurückgegeben werden, son dern vor allem muß ihnen jene erste Stelle im Staate eingeräumt werden, auf welche sie Anspruch haben. Dann erst werden sich die W ogen des wirren Kampfes, der ganz Österreich durchtobt, glätten, und der gordische Knoten, den das tschechische Schwert so gern mit einem Hieb durchhauen möchte, wird sich von selbst lösen. Solange die Brücke zwischen Polen und Deutschen in Österreich nicht geschlagen ist, wird alle Staatskunst, um den nationalen und politischen Frieden in Österreich zu erreichen, vergeb lich auf Erfolg warten. Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen ist sowohl in Österreich als auch im Deutschen Reich in Mißkredit geraten.« »Man muß die Geschichte des polnischen Volkes kennen und wissen, wie sehr Rußland die Polen gezüchtigt, wie oft Frankreich Polen verraten hat, wenn man den tschechischen Wahnwitz begreifen will. Jedes Blatt der 277
polnischen Geschichte spricht von russischen Gewalttaten und französi schem Undank, und es wäre das polnische Volk besser dran, unter den Deutschen seine wirklichen Freunde zu suchen.« (S. 7) »Es ist demnach nicht nur österreichisches Interesse, welches den Polen den Weg zum Anschluß an die Deutschen der Habsburgermonarchie weist, sondern hauptsächlich polnisch-nationales. Denn in dem Augenblick, in welchem die Polen auf die Tschechen und Südslawen einschwenken, sind ihre Volksgenossen in Russisch-Polen der Russifizierung vollständig preisgegeben.« Im zweiten Teil seines Aufsatzes schreibt Bresnitz unter anderem: »Die österreichische Staatsidee hat mit dem Austritt Österreichs aus dem Deutschen Bund und der Gründung des neuen Deutschen Reiches ebensowenig eine Änderung erfahren wie die Mission des Hauses Habs burg. Beide bestehen darin, den Osten Europas der deutschen Kultur und Zivilisation zuzuführen und ihr den W eg in den europäischen Orient offen zuhalten.« Bresnitz kommt dann auf den Einfluß der Kirchen zu sprechen auf die Unterschiede in Polen und Rußland. »Die russische Kirche ist auch die Kirche der Panslawisten. Die Deutschen haben keine Nationalkirche und lassen sich eine solche auch nicht aufdrängen, sie sind eben deutsch ohne Unterschied der Religion.« Den österreichischen Staatsmännern fällt die schwere Aufgabe zu, na tionale und religiöse Gegensätze auszugleichen und auch zu verhindern, daß Deutsche und Slawen nicht in einen vernichtenden Kam pf miteinander geraten. Die österreichische Staatsidee sollte sie verbinden, und auf der anderen Seite sollte nationale Politik getrieben werden. Zwei Dinge, die miteinander nicht vereinbar sind und die für die Staatsmänner eine unna türliche Zumutung darstellen. »So also war auch nur die Entwicklung zu erklären, die der Staat nahm: aus den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern entwickelte sich alsbald ein dem Nationalismus dieser Königreiche und Länder ent sprechendes politisches und gesellschaftliches Leben, das das Bestreben zeigte, sich seiner österreichischen Hülle zu entledigen und im absoluten Nationalismus aufzugehen.« An Stelle des alten Österreichs waren die »im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder« getreten, und an Stelle der »Österreicher« er scheinen mit einem Male Deutsche, Tschechen, Polen und Ruthenen, Rumänen und Italiener, Slowenen und Serbokroaten. Die Folge davon war, 278
daß sich aus den ehemaligen österreichischen Völkern und österreichi schen Parteien Gruppen herausbildeten, die eine nationale und keine öster reichische Politik auf ihre Fahnen geschrieben hatten. »Der nationale Kampf wuchs unter der Patronanz unfähiger Minister immer stärker an, und in der Hitze des Gefechtes geriet der österreichische Staatsgedanke in Vergessenheit, anstatt im Volke lebendig gehalten zu werden.« »Hand in Hand mit dieser Umwandlung ging auch die Presse in natio nale Hände über, und so geschah es, daß auch die letzten Rufer nach der österreichischen Staatsidee verstummten und daß seit einer Reihe von Jahren nur von nationalen Forderungen und Rechten, von Österreich und dessen Forderungen und Rechten niemals die Rede ist. Das alte Österreich mit seinen völkerverbindenden Thesen ist ge schwunden, und ein unfruchtbarer Nationalismus droht heute die Existenz der Monarchie in Frage zu stellen.« Bresnitz meint, es müsse das alte Österreich wieder her, der nationale Chauvinismus müsse getilgt und im Parlament müsse wieder eine Parteien gruppierung Platz greifen, die auf österreichischer Basis steht. Die Einflüs se von außen waren offenbar stärker. In einem weiteren Abschnitt seiner Abhandlung schreibt Bresnitz von der Stellung und der Aufgabe des parlamentarischen Polenklubs in Wien, der ins Leben gerufen wurde aufgrund der »Idee, die den damaligen polnischen Stamm Österreichs beherrschte, der Idee nämlich, die polni schen Interessen mit den Interessen Österreichs und der gesamten Monar chie in Einklang zu bringen und gleichmäßig für das nationale und staatli che Wohl zu arbeiten. Damit befand sich der Polenklub im vollständigen Einklang mit der österreichischen Staatsidee. Er erwirkte den Polen ein freies nationales und kulturelles Leben, während in der gleichen Zeit die politische Tätigkeit durch den deutsch-tschechischen Sprachenstreit lahm gelegt war. Die Polen erkannten auch, daß ihre Belange unter österreichi scher Herrschaft am besten bestellt sind und sorgten ihrerseits dafür, daß Österreich erstarkt und erhalten blieb. Polen war sicher, daß, solange Österreich besteht, seine Belange auch gesichert waren. Andererseits würde die Zertrümmerung Österreichs auch zu einer Kata strophe für das polnische Volk werden. Würde der nationale Hader in der Donaumonarchie über die österreichische Staatsidee gestellt werden, wür de aber auch der Polenklub einer polnisch-radikal-nationalen Partei Platz machen müssen. Der Gedanke eines wiedererrichteten Polen würde in der 279
Lage sein, alle Polen, ohne Rücksicht, ob sie in drei verschiedenen Teilge bieten leben, zu elektrisieren.« Der Polenklub sei der Ansicht, daß dem unsinnigen System, welches Österreich in zwei feindliche Lager teilen will, nämlich ein deutsches und ein slawisches, schon um der Polen willen ein Ende gemacht werden müsse. Der nationale Radikalismus entzweie Deutsche und Slawen, und darüber hinaus sei auch das deutsche Programm mangelhaft, zumal es nicht von allen deutschen Parteien getragen sei und es auch nicht die einigenden Momente mit den anderen Völkern Öster reichs suche. Die Tschechen lehnten es schroff ab, die Polen und Südsla wen nähmen es weniger gehässig auf. Wie solle da Frieden werden? Dazu beginne man auch, die Südslawen gegen Österreich aufzuwiegeln und für Rußland zu bestimmen. Rußland wolle die Deutschen Österreichs an Deutschland überliefern, die nationalen Deutschen Österreichs wollten Galizien loswerden, und Rußland würde dann seine Positionen bis an die Karpaten vorschieben und den Tschechen ihr böhmisches Staatsrecht in ausgedehntester Weise anerkennen können, da es Grenznachbar sein würde. Böhmen und Mähren-Schlesien wären selbständig und nur den Russen verpflichtet, die Polen Schlesiens würden der Tschechisierung und die Polen Galiziens der Russifizierung zum Opfer fallen. Das Ende Polens in nationaler Bedeutung wäre da. Und dafür solle der Polenklub nun kämpfen. Abschließend stellt Bresnitz fest, daß die unnatürliche Parteigruppie rung im österreichischen Parlament die Quelle allen Übels sei, das Öster reich und seine Völker heimsuche und diese Wirren zu einer ernsten und akuten Gefahr für die gesamte Monarchie geworden seien. Es strebten sowohl die einzelnen Völker als auch die beiden Reichshälften ausein ander, obwohl eine gemeinsame Armee, ein gemeinsamer Herrscher und die gemeinsamen Notwendigkeiten alle diese Völker und die beiden Reichshälften verbinde. »Das Parlament ist gelähmt und vermag nicht, der Regierung jenen Rückhalt zu geben, den einer konventionellen Regierung nur das Parlament zu geben imstande ist.« So schreibt also ein Pole im Jahr 1900 (!) und meint weiter: »Die Polen müssen den Deutschen die Hand zu einer ehrlichen und offenherzigen Verständigung bieten und im Parlament eine auf österreichischen Grund sätzen basierende Parteigruppierung herbeiführen. Unter dem Druck dieser Allianz werden dann auch die Tschechen ihre Forderungen auf ein Maß reduzieren, das mit den österreichischen Staatsinteressen vereinbar ist.« 280
Österreichs Innenleben Es war nicht einfach, dieses vielgestaltige Staats- und Völkerschiff über die Zeit zu bringen. 1879 gab es erste Streiks in Nord- und Westböhmen, an welchen sich 20.000 Bergarbeiter beteiligten (Bosi, S. 214); 1880 erging die Taafesche Sprachenverordnung, die die Doppelsprachigkeit der Behörden in Böhmen und Mähren verordnete; 1884 streikten wieder Textilarbeiter, im Tetschener Bezirk (Bosi, S. 214), und 1889 kam es zur großen W ahlniederlage der »Alttschechen«. Vom 4. bis zum 19. Januar des Jahres 1890 verhandelte man über einen Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen, es ging um elf Punkte im gegenseitigen Verhältnis unter Ministerpräsident Taafe. Die Verhandlungen scheiterten an den »Jungtschechen«. Die Alttschechen unter Palacky und Rieger waren für eine Lösung im Rahmen der Donau monarchie, die Jungtschechen waren es nicht. Es kam sogar zu antidynasti schen Ausschreitungen auf dem heißen Prager Boden, und es wurde der Ausnahmezustand verhängt. Soziale und nationale Radikalisierungen ohne Ende. Am 11. November 1891 faßte der Prager Gemeinderat den Entschluß, alle deutschen Firmen- und Straßennamenschilder aus dem Stadtbild zu entfernen. Zu allem Unglück war im März 1890 der große Kanzler des Deutschen Reiches, Fürst Bismarck, zurückgetreten. Auch außenpolitisch verdunkelte sich der Horizont. Im Jahr 1893 wird der Antrag auf das allgemeine Wahlrecht einge bracht, der vorschlug, allen 21jährigen das Wahlrecht zuzubilligen. Im gleichen Jahr scheitert der schwierige Ausgleichsversuch mit den Jungtschechen. Sie wollten eine Lösung ihres nationalen Problems eben außerhalb der österreichischen Monarchie. Ihr Hauptakteur war Kramarsch (1860-1937). Dieser fanatische Tscheche gab die Zeitung »Cas« heraus, war im österreichischen Reichsrat Führer der Realistenpartei und bis zum Sturz Badenis Vizepräsident in diesem Haus. Im Weltkrieg ist er dann 1916 zum Tod wegen Hochverrats verurteilt, dann aber von Kaiser Karl I. 1917 begnadigt worden. Nach W iedererstehen des tschechischen Staates wurde er Vorsitzender des Nationalausschusses. Daß so manche Regierung in diesen schweren Zeiten strauchelte, war nur zu gut zu verstehen. Die vorhin geschilderten staatszerstörenden Kräfte sind in Böhmen zu groß geworden. Der Kaiser betraut am 30. September 281
1895 den Polen Badeni mit dem Posten des Ministerpräsidenten. Auch er scheitert an der Sprachenschwierigkeit. Seine Sprachenverordnung ruft die Deutschen im Land auf den Plan. Sie können sich durchsetzen. Es ist aber der letzte Sieg, den sie in der Donaumonarchie erringen. Als der Kaiser Badeni entläßt, kommt es zu revolutionsartigen Reaktionen in den politi schen Zentren des Landes. Die Historiker vermerken diesen Zeitpunkt als den Anfang des Unter ganges der Österreich-Ungarischen Monarchie. Nach Badeni tritt für vier Monate Gautsch als M inisterpräsident auf (28. November 1897 bis 5. März 1898), und dann folgt Graf Anton v. Thun. Er ist Tschechisch-Feudaler, ein Gegner der Deutschen. Im Innern kommt es zu einem gewissen Stillstand, aber man sorgt sich um das Bündnis mit Deutschland. Die nächsten drei Monate lenkt Graf Clary-Aldringen das Staatsschiff. Heinrich Ritter von W ittek steht dann für einen Monat an der Spitze (Dezember 1899 bis Januar 1900). Es ist wieder ein Beamtenministerium. Die Ereignisse nehmen einen erregenden Verlauf: Im August 1893 ver langt die tschechische Minderheit in des Reiches Hauptstadt, in Wien, die Anbringung doppelsprachiger Straßentafeln. In das Jahr 1895 fällt die Gründung der sozialistischen Gewerkschaften. Wladimir Iljitsch Lenin, ein Rechtsanwalt aus Petersburg, tritt auf den Plan. Er veröffentlicht seine ersten größeren Arbeiten, wird 1894 Leiter der sozialistischen Organisa tion in St. Petersburg und erscheint 1895 auch im Ausland. Sein Kampf bund will die Befreiung der Arbeiterklasse. Aus ihm entsteht die spätere Sozialistische Partei Rußlands. Nach zweijähriger Dauer kann in Prag der Ausnahmezustand aufgeho ben werden (20. November 1895). 1896 fordert Theodor Herzl in seiner Schrift »Der Judenstaat« einen unabhängigen, durch internationale Bürgschaft gesicherten Staat in Palä stina. Dieser Gedanke geht nie wieder unter. Der Jurist aus Budapest wird zum Schöpfer der zionistischen Weltkongresse, sein Bild hängt heute in allen Schulen und staatlichen Räumen des Staates Israel. Er wächst deutschsprachig auf, spricht aber auch Ungarisch und Lateinisch und lernt noch Französisch, Englisch und Italienisch. Hebräisch, die Sprache seiner Väter, hat er aber zeitlebens nicht beherrschen gelernt. Er kommt nach Wien und studiert dort Jura. Und in Wien lodern die Flammen des Natio nalitätenstreits unter den Völkern Österreich-Ungams, sie lodem wie noch 282
nie. Diese innenpolitische Lage führt zur Bildung klarer Fronten, je nach Rangordnung der Werte: hier Volksbewußtsein - hier Staatsgesinnung. Herzl wird Journalist, die Judenfrage läßt ihn nicht mehr los. 1897 gründet er den »Zionistischen Weltkongreß«, der das Baseler Programm erstellt. Unser Bielitzer israelitischer Religionslehrer am deut schen Gymnasium war zeitweise sein Sekretär (Prof. Dr. Berkowicz). Nach 2000 Jahren der Zerstreuung ist Herzls Idee eine neue Sammlung und Verwirklichung für die Juden geworden, ein Zeichen, daß der Glaube doch Berge versetzen kann. Ebenfalls im Jahr 1897 wird der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund gegründet. Er ist eine revolutionäre Organisation, ein Gegenstück zu kon servativ-religiösen Kreisen. In diesem Jahr ziehen auch die ersten sozialistischen Abgeordneten ins W iener Parlament ein. Am 5. April 1897 ergeht Badenis Sprachenverordnung, die besagt, daß alle Eingaben in jener Sprache zu erledigen sind, in welcher sie eingereicht wurden. Sie erregt die Gemüter unermeßlich. Mit den Ungarn gelingt am 21. Oktober dieses Jahres nochmals ein letzter Ausgleich. Im nächsten Jahr gründen die Tschechen eine nationalsozialistische Partei, und am 26. und 27. November 1897 finden Kundgebungen in Wien statt, die zu Badenis Rücktritt führen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gelingt es aber keiner Regierung mehr, die böhmisch-slawische Frage zu lösen. Im gleichen Jahr findet in Lemberg ein ukrainischer Kongreß statt, der unter der Parole »Die Lechen hinter den San« steht. Unter Ministerpräsident Graf Franz Thun entsteht das »Pfingstprogramm der Deutschen«. Es verlangt die Einheit Österreichs und eine enge Bindung zu Deutschland. Die deutsche Sprache soll Staatssprache werden. Andere Punkte des Programms sind der Schutz der Deutschen in Galizien und die Teilung Böhmens und Mährens nach deutschen und tschechischen Verwaltungs- und Siedlungsgebieten. Es ist Clary-Aldringen, der am 14. Oktober 1899 die Badenische Spra chenverordnung wieder aufhebt. Seit diesem Jahr bemühen sich die deutschen Sozialdemokraten Öster reichs unter Dr. Renner um die Überwindung des Nationalitätenkampfes durch die Schaffung einer nationalen Autonomie für alle. Aber alles Bemü hen bleibt ohne Früchte. Nur im Jahr 1905 kam es in unserem benachbarten Kronland Mähren zu einer Einigung, zu einem Ausgleich. Die Grundlage 283
hierfür wurde eine nationale Autonomie. Es wurde erreicht, daß durch eine weitgehende Trennung der staatlichen Verwaltung in eine tschechische und eine deutsche Sektion ein einigermaßen wirksamer Ausgleich geschaf fen wurde. Die deutschen Abgeordneten konnten durch den Einbau beson derer Sicherungen von der tschechischen Mehrheit nicht überstimmt wer den, wenn es um nationale Dinge ging. 1910 einigte man sich auch nach dem mährischen Vorbild im Buchen land, wo sogar fünf Nationen nebeneinander lebten: Deutsche, Rumänen, Ukrainer, Polen und Juden. Im Osten des Kronlandes Galizien waren zu dieser Zeit schwerste Kämpfe zwischen Polen und Ukrainern im Gange: Während die Polen im öffentlichen Leben, im Bildungswesen, in den Ämtern und überhaupt in den großen Städten ihren geschichtlich überkommenen Vorrang noch be haupten konnten, kämpften die Ukrainer, auch Ruthenen genannt, die auf dem bäuerlichen Land und in den kleineren Städten ein erdrückendes zahlenmäßiges Übergewicht besaßen, um ihre sprachliche Gleichberechti gung und um die volle Entfaltung ihres höheren Bildungswesens. Für die Wahl zum galizischen Landtag forderten sie die nationale Abgrenzung der Wahlbezirke.
Aus dem nahen Saybusch Unser benachbarter galizischer Kreis Saybusch hatte nach der ersten öster reichischen Volkszählung im Jahr 1869 80.753 Menschen. Im Jahr 1881 wurde die Bahnlinie Saybusch-N eusandetz in Betrieb genommen, und das Haus Habsburg kaufte seit 1781 alles auf, was zur Vergrößerung seines Besitztums beitrug. Ich hatte schon an anderer Stelle erwähnt, daß 1895 diese Herrschaft Saybusch nach dem Tod von Erzherzog Albrecht von Habsburg, dem Sieger von Custozza, dessen Besitzungen nach damaligen Angaben 2.070 Quadratkilometer betrugen, auf seinen Neffen, Erzherzog Karl-Stephan, überging. Die Herrschaft Saybusch hatte damals mit 52.674 ha die größte Ausdehnung erhalten. 1916 kam es zur Gründung der Papierfabrik »Solali« in Saybusch. Dieses Kronland wurde zunehmend interessant durch die steigenden Öl produktionen. Waren es 1880 noch 32.000 Tonnen, so steigerte sich dieses Ergebnis 1890 auf 91.650, 1900 auf 347.200 und 1910 gar auf 1,76 Mill. 284
Tonnen im Jahr. Andere Zahlen liegen für die Förderung von Eisenerzen aus dem Jahr 1893 vor, es waren 85.641 Meterzentner (= 8.500 Jahres tonnen). In Wengierska Gurka besaß der Erzherzog ein Eisenwerk mit zwei Hochöfen, Graf Andreas Potocki eine Zinkhütte in Siersza und die Firma E. Löbbecke aus Breslau eine Zinkhütte in Szczakowa. 1895 wurden 2.526 Jahrestonnen Rohzink produziert, und in den Salzstädten Großsalze (Wieliczka) und Bochnia (Salzberg) waren 1.200 Arbeiter beschäftigt. 1895 wurden 89.494 Tonnen Speisesalz erzeugt. Das stellte einen Wert von 8,45 Mill. Gulden dar. Gelegentlich eines Treffens in Lemberg wurde als politische Maßnah me am 31. Januar 1892 die »Polnische Sozialdemokratische Partei Gali ziens und des Teschener Schlesiens« gegründet, die dann ab 1897 in »Galizische Sozialdemokratische Partei« umbenannt wurde, so als ob es festgestanden hätte, daß das österreichische Schlesien schon zu Galizien gehören würde. Diese Partei war bis 1919 im österreichischen Teilgebiet des einstigen Polens tätig. Formal war sie ein Teil der in Hainfeld (Dezember 1888 - Januar 1889) gegründeten »Sozialdemokratischen Partei Österreichs«, faktisch jedoch nur in lockerer Bindung mit ihr. 1907 waren zwei Abgeordnete des Teschener Schlesiens im galizischen Parlament und 1911 ein Abgeordneter des Teschener Schlesiens im Wiener Reichsrat. Nicht vergessen werden sollten auch die Dr. Zöcklerschen Anstalten in Stanislau, die 1896 dort gegründet wurden und überaus segensreich für das Deutschtum wirkten. Während der Reichsrats wählen im Jahr 1897 kam es zu blutigen Aus einandersetzungen im Kronland Galizien. Das Ergebnis war eine starke Verschiebung vom Sozialismus weg zu den nationalen Gruppen hin (Bosl, S. 174).
Einiges aus unserem Ostschlesien Vom 31. Dezember 1890 stammen nachstehende Zahlen: Die Bezirkshauptmannschaft Bielitz zählte einschließlich der Stadt 85.912, jene von Freistadt 86.675 und die von Teschen mit der Stadt Friedek 127.563 Einwohner. 285
In der Zeit von 1879 bis 1920 beginnt man in unserem Land, also südlich der Weichsel sowie östlich und nördlich von Bielitz, nach Stein kohle zu suchen. Die tiefste Bohrung wird auf 668 M eter abgesenkt. Bohrungen werden in den Gemeinden Kaniów, Denkendorf, Jawischowitz, Brzeszcze und Tschechowitz durchgeführt. 1904 besitzt der Wiener Bankier Rappaport den größten Teil aller gegründeten Steinkohlengesell schaften. Der Schacht Andreas I wird 1904 und der Schacht Andreas II 1905, beide in Brzeszcze, abgetäuft. Die Förderung beginnt 1908. Unser ganzes Gebiet fördert 1908 41.226 Tonnen, 1913, im Jahr der Verstaatlichung aller Kohlengesellschaften, 171.797, und 1917 sind es schon 329.737 Jahrestonnen. Teschen hatte 15.220, Bielitz 14.573, Friedek 7.374, Jablunkau 3.478, Skotschau 3.223, Freistadt 3.510 und Schwarzwasser 1.655 Einwohner. Deutsch sprachen in Ostschlesien 41.714 Personen, davon in Bielitz und Umgebung 22.806, in der Bezirkshauptmannschaft 10.797 Einwohner. Polnisch sprachen 177.417 und Tschechisch 73.897. An Schulen gab es 1890: 210 oder 43,8 Prozent mit deutscher, 131 oder 27,3 Prozent mit polnischer, 113 oder 23,5 Prozent mit tschechischer und mit mehrsprachigem Betrieb gab es 25 oder 5,7 Prozent Schulen im ge samten österreichischen Schlesien. An Mittelschulen gab es im ganzen Kronland (1890) 8 oder 88,8 Prozent mit deutscher bzw. 1 oder 11,2 Prozent mit tschechischer Unterrichtssprache. Polnisch wurde an den M it telschulen noch nicht gesprochen. Das Herzogtum Teschen ging 1895 in den Besitz von Erzherzog Fried rich von Habsburg über. Erzherzog Albrecht, der bisherige Besitzer, Reichsmarschall und Sieger von Custozza, war ohne Erben gestorben. Seine Besitzungen im Saybuscher Gebiet gehen an Erzherzog Karl-Ste phan über. Friedrich war am 4. Juni 1856 in Seelowitz bei Brünn geboren und seit 1871 in der Armee. Er wurde 1889, also mit 33 Jahren, Komman dierender General des 5. Armeekorps in Preßburg, 1914 Feldmarschall und stellvertretender Armeeoberkommandant (bis Februar 1917). Er erbte die Teschener Güter und auch die Kupferstichsammlung »Albertina« in Wien. Nach 1919 lebte er in der Schweiz. Erzherzog Karl-Stephan war 1860 geboren, wurde österreichischer Ad miral, hatte zwei Söhne: Karl-Albrecht und Leo (f 1939). Seine Tochter heiratete einen Radziwiłł. Er ist der Gründer der Saybuscher Bierbrauerei 286
und war den Polen sehr zugetan. Nach dem Ersten Weltkrieg war er auch Kandidat für die polnische Krone, wollte aber nicht Marionette der großen Mächte sein, und so zerschlug sich dieser Plan, der Erzherzog lehnte ab. Ein Enkel von ihm kämpfte im Zweiten Weltkrieg in Afrika gegen Rommel. Seine beiden Enkelinnen traten der kommunistischen Studen tenorganisation bei. Später reisten sie nach Schweden aus und heirateten dort schwedische Aristokraten. Erzherzog Friedrich erhielt am 17. August 1917 das Großkreuz des Maria-Theresien-Ordens. Er wohnte nicht in Teschen, sondern auf Schloß W eilburg am Eingang ins Helenental bei Baden (Wien). In diesem Jahr bekannten sich die Bahnbrecher der »polnischen« Bewe gung in unserem Ostschlesien, an erster Stelle Monsignore Prof. Swierzy, Cieciala und Dr. Michejda, als »österreichisch und dynastisch« eingestellt und rückten noch deutlich von der sogenannten »galizischen Lösung« für unser Ländchen ab (Witt, S. 75). Die Tschechen forderten in ihrem bekannten nationalen Eifer im Sep tember 1897 die Ausdehnung der Sprachenverordnung auch auf unser deutsches Österreichisch-Schlesien, was natürlich ohne Erfolg blieb. Zum Schluß sei noch gesagt, daß in Ustroń seit 1883 die Eisenquelle genutzt wird, die sich aus Braunsteinerzlagem ergießt, und daß seit 1888 in Teschen das k. k. Militärstationskommando mit dem ersten Bataillon des I. R. 100 besteht. 1887 soll der letzte Bär und 1894 der letzte Luchs in den Beskiden erlegt worden sein (Revier Lomba bzw. Ostrawitzatal).
Österreich in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts Nach dem einmonatigen Zwischenspiel von W ittek bildet am 18. Januar 1900 Em st von Körber, ein geborener Trienter, ein Deutscher, der schon Handelsminister, Generaldirektor der Eisenbahnen und Innenminister war, eine neue Regiemng. Nun ist er Ministerpräsident und Innenminister. Seine Hauptaufgabe ist es, die Obstruktion der Tschechen zu bannen und das Abgeordnetenhaus arbeitsfähig zu halten, wenn möglich den Ausgleich mit den Tschechen zu erreichen. Es glückte ihm nicht. Nur mit den Ungarn kommt es am 31. Dezember 1902 zu einer derartigen Vereinbarung. Nach 287
einer stürmischen Reichsratssession im November 1904 muß er schließ lich am 31. Dezember 1904 zurücktreten. Er widmet sich dem Wasserstraßen- und Eisenbahnbau, ein geordnetes Budget zu gestalten, gelingt nicht. Wegen finanzieller und auch kirchlicher Fragen legt er sein Amt nieder. In dieser Zeit setzt sich die Bevölkerung Österreichs aus 35,8 Prozent Deutschen und 60,4 Prozent Slawen zusammen, von letzteren sind 23,2 Prozent Tschechen, 16,6 Prozent Polen, 13,2 Prozent Ruthenen, 4,6 Pro zent Slowenen, 2,8 Prozent Serbokroaten, 2,8 Prozent Italiener und La diner sowie 0,9 Prozent Rumänen. 24 Prozent der über Sechsjährigen waren Analphabeten (unter den Deutschen 5 Prozent, in Galizien 56,2 Prozent, in der Bukowina 64 Prozent, in Dalmatien 72 Prozent). 1904 gab es in Österreich 21.292 Volksschulen (davon 986 Bürger schulen), 99 Lehrerbildungsanstalten, 224 Gymnasien und 123 Realschu len. In Böhmen zahlen zum Beispiel 37 Prozent Deutsche 50 Prozent der Steuern und 63 Prozent Tschechen nur 43 Prozent der Steuern. Die Gesamteinnahmen Österreichs betrugen 1900 1,406 Milliarden Mark, 1904 1,528 Mrd. Mark, und die Ausgaben betragen 1,36 bzw. 1,53 Mrd. Mark. Die Staatsschulden machen im Jahr 1905 die beachtliche Summe von 5,3 Mrd. Kronen aus. Edelmetalle besitzt Österreich nur wenige. Eigenes Gold wird 1905 nur 318 kg gewonnen, an Silber 37.760 kg produziert. Also kann auch von dieser Seite her keine Stütze für den Staat erwachsen. In dieser Zeit gestaltet sich zu der schon seit 1892 bestehenden französisch-russischen 1904 eine englisch-französisch-russische Entente. Gegen wen sie sich richtet, ist unschwer zu erraten. Georg Janda schreibt in der »Deutschen Hochschulzeitung« über die internationale Lage (1903) unter anderem: »Stand Deutschlands Stahlindustrie bereits seit 1893 an erster Stelle in Europa, so erreichte die Roheisenerzeugung 1903 den ersten Platz. W äh rend Deutschlands Anteil am Welthandel laufend anstieg, ging Englands Anteil zurück. Deutschland führte vor allem aus: Farbstoffe und andere chemische Erzeugnisse, Glaswaren, Spielwaren, Maschinen, Hütten- und Bergbauerzeugnisse (Kali). Die außenpolitische Stellung Deutschlands war äußerst unsicher. Mit Österreich-Ungarn war es seit 1879 durch den Zweibund verbunden. Der Dreibund, der Deutschland mit Österreich-Ungarn und Italien verband, 288
war weitgehend bedeutungslos geworden. Bedroht wurden die Mittel mächte Deutschland und Österreich-Ungarn durch den russisch-französi schen Zweibund (seit 1887 vorbereitet, 1891 Entente cordiale, 1892 Mili tärkonvention, 1894 Anerkennung der Militärkonvention durch die Regie rungen = >Zweibund<, 1897 Veröffentlichung des Bündnisses). Die innenpolitische Lage war ebenfalls kritisch. A uf dem Dresdener Parteitag der SPD erklärte Parteivorstand August Bebel 1903: >Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und dieser Staatsordnung blei ben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben und sie, wenn ich kann, beseitigend Von dieser Seite aus konnte die Regierung nicht viel Verständnis für die Notwendigkeit von Verteidigungsmaßnahmen erwarten. Die äußerste Linke unter Rosa Luxemburg und Franz Mehring sah zwar den Weltkrieg herankommen, erwartete und erhoffte jedoch im Zusammenhang mit ihm die proletarische Revolution. Der Alldeutsche Verband seinerseits verlangte die Vermehrung des Kolonialbesitzes, etwa einen Anteil an der türkischen Erbschaft. Die Be strebungen des Alldeutschen Verbandes dürfen jedoch nicht der friedenssichemden Politik der Regierung unterstellt werden. Ungarn stellte einen Agrarstaat dar, Österreich vor allem mit Wien, Prag und Deutschböhmen eher einen Industriestaat. Österreich-Ungarn bildete also einen geschlossenen Wirtschaftsraum. Dies kam der Entwick lung der Wirtschaft zugute. Österreich-Ungarn hatte nur geringen Anteil am Welthandel. Agrari sche Produkte führte es vor allem nach Deutschland aus, industrielle Pro dukte in die Balkanländer und in die Türkei. Außenpolitische Gegensätze bestanden zu Italien wegen Triests und Welschtirols, zu Rußland wegen dessen panslawistischer Umtriebe auf dem Balkan und in Österreich-Ungarn selbst und zum Vatikan wegen dessen frankreich- und rußlandfreundlicher Politik sowie wegen seiner Einflußnahme auf die österreich-ungarische Innenpolitik. Leo XIII. unter stützte den Antisemiten Dr. Lueger. Lueger gewann 1895 die W ahlen zum Wiener Gemeinderat, >nicht gerade zur Freude des Kaisers< wurde er für vierzehn Jahre Bürgermeister von W ien (vgl. E. Schopen, Gesch. des Judentums im Abendland, München 1961). Sommer 1903 legte Öster reich-Ungarn gegen die W ahl des Kardinals Rampolla zum Papste das Veto ein. Rampolla, der unter Leo XIII. Kardinalstaatssekretär (= Außen minister) gewesen war, galt als dreibundfeindlich. 289
Innenpolitische Schwierigkeiten ergaben sich aus dem Vormachtstre ben bürgerlich-nationalistischer ungarischer Politiker, aus dem W iderstand bürgerlich-nationalistischer Tschechen, die einen Anschluß der böhm i schen Länder an die russische Macht befürworteten. Im großen und gan zen hielt die Bevölkerung Österreich-Ungams jedoch zum Kaiser Franz Joseph L, der sehr beliebt war. Diese Liebe war eine starke verborgene Kraft. Sie hielt das Reich zusammen. Italien begann in Tirol und Triest eine Untergrundtätigkeit. >Auch beginnt sich Italien ... mehr als bisher in die Dinge auf dem Balkan in einem der Donaumonarchie schädlichen Sinne einzuschalten< (Conte Corti, Der alte Kaiser. Graz 1955, 287). Am 25. Dezember 1903 schlossen Frankreich und Italien einen Schiedsvertrag miteinander ab. Der Vatikan förderte unter Leo XIII. den Zusammenschluß Frankreichs und Rußlands. Dies konnte nur die Loslösung Italiens von Deutschland und Österreich-Ungarn bewirken. Ein von den Mittelmächten isoliertes Italien war wohl eher bereit, einer Wiederherstellung des Kirchenstaates zuzu stimmen. Am 20. Juli 1903 starb Leo XIII. Die französische Partei im Kardinalskollegium wollte den bisherigen Außenminister des Vatikans, den Kardinalstaatssekretär Rampolla, zum Papst wählen. Zum letzten Male in der Geschichte legte eine weltliche Macht ein Veto ein: ÖsterreichUngarn. Gewählt wurde der unpolitische und heiligmäßige Kardinal Sarto. Er nannte sich Pius X. Auf dem 4. Zisterzienserkongreß sagte Theodor Herzl am 13. August 1900 in London: >Das mächtige England, das mit seinem Blick die W elt umspannt, wird ... unsere Aspirationen (auf Palästina) verstehen. M it Eng land als Ausgangspunkt können wir sicher sein, daß die zionistische Idee mächtiger und höher steigen wird als je zuvor< (vgl. Karl Heise, Entente Freimaurerei und Weltkrieg. Basel 1920,1924). Die Voraussetzung für die Gewinnung einer jüdischen Heimstätte in Palästina unter englischem Pa tronat war aber der Zerfall der Türkei, welcher das Gebiet gehörte. Als 1903 unter starker Beteiligung deutscher Finanzkreise mit dem Bau der Bagdadbahn begonnen wurde, mußte dies die Interessen der Zionisten verletzen wie auch die Interessen der Suezkanalbesitzer. Die Masse der deutschen Juden fühlte sich als Bestandteil des Deutsch tums. Kennzeichnend für das deutsche Empfinden der deutschen Juden war, daß im Ersten Weltkriege mehr als 12.000 kriegsfrei willige Juden für Deutschland fielen, daß zahlreiche Juden Tapferkeitsauszeichnungen er290
hielten. In Russisch-Polen vertrat nur noch die Polnische Sozialistische Partei unter Józef Piłsudski die Parole des bewaffneten Aufstandes gegen die russisch-zaristische Regierung. Im Oktober 1903 publizierte in Russisch-Polen die Nationaldemokra tische Partei ihr neues Programm. Es enthielt kein W ort mehr über eine Erhebung gegen Rußland und faßte nicht mehr ein unabhängiges Polen, sondern nur seine zukünftige Autonomie ins Auge. >Diese W andlung stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der An schauung ihres Führers Dmowski, daß Deutschland der Hauptfeind sei; denn nicht das bisher umstrittene Ostgebiet zwischen Bug und Dnjepr brauche der künftige polnische Staat, sondern die unter preußisch-deut scher Herrschaft stehenden Gebiete zwischen W eichsel und Oder, vor allem die Weichselmündung mit dem Zugang zum Meer, den schon >Glos< (Journal >Die Stimme<, um 1887) verlangt hattec.«
Und nun wieder zurück zu den Belangen Österreichs, die wir 1904 ver ließen. A uf Körber folgt vom 31. Dezember 1904 bis 30. April 1906 zum zweiten Mal Freiherr von Gautsch. In seiner Zeit gibt es erstmals dreitä gige sozialistische Warnstreiks in M ähren (23. April 1906), und am glei chen Tag stellt man den Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahl rechts. 1905 wird eine slowakische klerikale Volkspartei gegründet, die aber sofort von den ungarischen Behörden verboten wurde. In Mähren dagegen kommt es zu einem Ausgleich zwischen Deutschen und Tsche chen, und Kramarsch erklärt im gleichen Jahr, daß »Österreich eine euro päische Notwendigkeit sei«. In Mähren kommt es also auf der Grundlage der nationalen Autonomie zu einem Übereinkommen, durch das eine weitgehende Trennung der staatlichen Vewaltung erreicht wurde, indem tschechische und deutsche Sektionen geschaffen wurden. Und das in einer Zeit, in der sich bei den Polen die Anhänger von Dmowski und Piłsudski Schlägereien lieferten. Das war also das alte Österreich mit seinen nationalen Divergenzen, sei nen enormen Problemen, die das schöne Land zutiefst erschütterten. Seit 1905 breitet sich aber auch der russisch geführte Neoslawismus aus, der vor allem dem Bestand der österreichisch-ungarischen Monar chie am meisten zu schaffen machte. 1906 wird Generalfeldmarschall 291
Conrad von Hötzendorf zum Chef des Generalstabes der Monarchie er nannt. Vom 9. bis 29. Mai 1906 ist Prinz Konrad zu Hohenlohe-Schil lingsfürst Ministerpräsident, er scheitert nach zwanzig Tagen am ungari schen Problem. Für zwei Jahre und sechs Monate wird Freiherr Maximilian Wladimir Beck, ein Wiener, Ministerpräsident (30. Mai 1906 bis 15. November 1908). Unter ihm wurde die allgemeine Wahlrechtsreform verwirklicht, der alte Reichsrat wurde am 28. Januar 1907 geschlossen und der neue am 9. November 1907 eröffnet. Am 26. Januar 1907 waren 515 Abgeordnete in den Reichsrat gewählt worden, und zwar 233 Deutsche, 108 Tschechen, 80 Polen, 37 Südslawen, 34 Ruthenen (Ukrainer), 19 Italiener und 5 Rumänen. Die Vertretung des Volkes in der österreichisch-ungarischen M onar chie war so nach der Reichsratswahlordnung vom 26. Januar 1907 ge ordnet worden. Wahlberechtigt war jede männliche Person, die das 24. Lebensjahr erreicht hatte, österreichischer Staatsbürger und nach dem Gesetz nicht von der Wahl ausgeschlossen war. Der Wahlberechtigte mußte mindestens ein Jahr in jener Gemeinde des Reichsgebietes wohnen, in welcher er wählen wollte. Die beschlossenen Gesetze mußten von beiden Häusern angenommen und vom Kaiser sanktioniert worden sein. Die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder nannte man die Reichsratsländer. In seiner Zeit führt Außenminister Graf Alois Lexa Ährenthal 1908 die Angliederung Bosniens und der Herzegowina durch, und sein Vorgänger, der Pole Goluchowski, der zu Deutschland hielt, erhält vom deutschen Kaiser das Großkreuz des Roten Adlers. Seit 1906 trieb Tolomei im »Archio per l ’Alto Adige« seine Grund lagenforschung für die italienischen Forderungen auf die Brennergrenze (aus: »Südtirol unter dem Faschismus«, S. 19), während Feldmarschall Conrad von Hötzendorf einen Präventivkrieg gegen Serbien erwägt, da dieses die Abtretung der südslawischen Gebiete der Donaumonarchie fordert. Der Kaiser verhindert diesen Krieg bis zur Ermordung des Thron folgers in Sarajewo. 1906 wird in Österreich unter ihm auch die allgemeine Invalidenversi cherung eingeführt. Ab 1907 verknüpft der Sozialistenführer Otto Bauer die Nationalitäten frage mit der marxistischen Theorie der österr. Sozialisten, aber auch das 292
führt in der folgenden Zeit nicht zum Erfolg. Aus der W irtschaft wissen wir aus diesem Jahr 1907, daß es im österreichischen Städtebuch 53 Stataturgemeinden gab, die bis 1907 eine Schuldenlast von rund einer Milliarde Kronen hatten, zu deren Verzinsung allein 40-50 Millionen Kronen je Jahr benötigt wurden. Es hat sich also auch auf diesem Gebiet bis zum heutigen Tag nichts geändert (Schmid, S. 98). 1907 gab es in Österreich 9.012 Postanstalten mit 123 Mill. Mark Einnahmen und 106 Mill. Mark Ausgaben. Diese Postverwaltung unterstand der 3. Sektion des Handelsministe riums, Chef war immer ein Generaldirektor. Außenpolitisch wendet sich Rußland verstärkt der Balkanpolitik zu, so daß die Spannungen mit der Donaumonarchie wachsen. Dazu hat beson ders die Inbesitznahme Bosniens und der Herzegowina beigetragen. Dort unten im Südwesten lag ohne Frage der Wetterwinkel der Politik. Durch die Inbesitznahme vergrößerte sich die Staatsfläche der Monarchie um 51.200 Quadratkilometer. W ir wissen noch, daß Österreich-Ungarn auf dem Berliner Kongreß 1878 den Auftrag erhielt, diese Landschaften zu okkupieren, um dort der türkischen Mißwirtschaft ein Ende zu setzen. Als der Sultan aber 1908, also 30 Jahre später, gezwungen wurde, seinem Staat eine neue Verfassung zu geben, hätten Bosnien und die Herzegowina, obwohl sie völkerrechtlich unter österreichisch-ungarischer Herrschaft standen, Abgeordnete in das türkische Parlament zu entsenden gehabt, da sie ja wiederum ein Teil der Türkei waren. Um diesen untragbaren Zustand zu beenden, wurden sie annektiert und wurden österreichische Reichslande. Das war ein schwerer Schlag für Rußland und seine Aspirationen auf Serbien und Montenegro (Rendulics, S. 28). Der Tag der Annexion war der 6. Oktober 1908. Für zwei Jahre und acht Monate übernimmt nun Freiherr Richard von Bienerth die Führung der Regierung. Er war schon 1905 Unterrichtsmini ster, 1906 Innenminister und nun für 32 Monate Ministerpräsident. Er hat es schwer. W egen Bosnien gibt es größere Spannungen, man boykottiert österreichische Waren, und 1908 tagt wieder ein Slawenkongreß in Prag. Polen war auch vertreten, denn es ging hauptsächlich um das polnisch russische Verhältnis, dann um Bosnien. Die Polen treten aber langsam vom Neoslawismus zurück, und zwischen Nord- und Südslawen klafft eine Lücke in den Auffassungen. Benesch befürwortet in seiner Dijoner Disser tation die volle Autonomie der Deutschen und Tschechen in Böhmen 293
(1908) (Hoggan, S. 97). Im gleichen Jahr besucht der englische König Eduard VII. Kaiser Franz-Josef in Bad Ischl, um ihn für seine Pläne zu gewinnen. Der österreichische Kaiser erwidert ihm aber: »Ich bin ein deutscher Fürst« und weist ihn damit ab. Ab diesem Jahr konnten auch Frauen an deutschen Universitäten stu dieren. 1908/1909 waren es schon 1.900 und 1914 4.100 weibliche Stu dierende. 1908 gab es in Österreich acht Universitäten, davon fünf deut sche, und zwar in Wien, Graz, Prag, Innsbruck und Tschemowitz, zwei polnische in Femberg und Krakau, an Technischen Hochschulen gab es sieben, davon vier deutsche in Wien, Graz, Prag und Brünn, sowie 23 Staatsgewerbeschulen, die den »Höheren Technischen Fehranstalten« ent sprachen. Aus der W irtschaft des Jahres 1908 ist noch erwähnenswert, daß die Weinbrandsteuer in Österreich von bisher 90 auf 140 Kronen erhöht wurde (je Hektoliter). Den Trinkern bereitete das wenig Freude, aber im Ver gleich zu anderen Fändem waren wir noch gut dran, denn in Frankreich waren es 211 Kronen, in England 456, in Belgien 192, in den Niederlanden 128, in Norwegen 204 und in den Vereinigten Staaten 230 Kronen je Hektoliter, die der Trinkfreudige berappen mußte. Bienerth legt auch einen Antrag auf einen böhmisch-deutschen Ausgleich dem Parlament vor, der aber nur schleppend behandelt wird. Während sich die Deutschen der Donaumonarchie um einen Ausgleich mit den Tschechen bemühen, wirft ein Aufruf an alle Slawen ein beson deres Ficht auf die Absichten der Gegenseite: In diesem Aufruf, der vom 16. September 1910 stammt, wendet sich der Präsident der »Slawischen Gesellschaft« aus Moskau, Cerep, an alle Slawen der Welt, um für einen Kampffonds zu spenden. Er wendet sich an die »vierzig Millionen Sla wen außerhalb Rußlands, die den Vorteil Rußlands in der engen Annä herung desselben an sie und in der Vereinigung mit diesem in einem Sła wien, das bis an die Adria, das Ägäische und das Mittelländische Meer, mit einer Bevölkerung von 200 Millionen Slawen, reicht, sehen.« Nicht ver gessen sei hier auch die Tatsache, daß schon 1898 ein russischer General bei der Einweihung eines Palacky-Denkmals in Prag die Deutschen »als gemeinsamen Feind der Slawen« bezeichnete. Beides Dinge, die, wenn es die Deutschen getan hätten, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hätten. Im Jahr 1909 entstand auch aus dem »Allgemeinen Deutschen Schul verein« der uns noch allen bekannte »VDA«, der »Verein für das Deutsch294
tum im Ausland«. Während also die Deutschen diesen unpolitischen Schutzverein organisieren, operieren die Slawen schon längst auf höchst politischer Ebene.
Österreichisch-Schlesien und unsere Heimat Das Kronland »Österreichisch-Schlesien« hatte 1900 663.308 Einwohner, davon waren 296.571 = 44,7 Prozent Deutsche, 146.265 = 22 Prozent Tschechen und 220.472 = 33,2 Prozent Polen. An selbständigen Städten gab es: Troppau mit 11 qkm, 26.748 Einw., Bielitz mit 5 qkm, 16.697 Einw., Friedek mit 10 qkm, 9.037 Einw. An Bezirkshauptmannschaften gab es in: Ostschlesien: Bielitz Freistadt Friedek Teschen
758 358 420 733
qkm qkm qkm qkm
75.593 135.115 49.981 91.031
Einw. Einw. Einw. Einw.
Westschlesien: Freiwaldau Freudenstadt Jägemdorf Troppau Wagstadt
737 592 532 642 351
qkm qkm qkm qkm qkm
69.053 49.785 60.473 64.175 40.834
Einw. Einw. Einw. Einw. Einw.
Zusammen
5.147 qkm
680.422 Einw.
Die Landesfarben waren Gelb und Schwarz. Die Verwaltung: Autonomer Landtag mit einem Landeshauptmann an der Spitze. 30 gewählte Vertreter, 1 Virilstimme. Eine Volkszählung von 1900 ergab für die uns am meisten interessie renden Orte nachstehende Zahlen (im Vergleich zu 1890):
295
1890 G e m e in d e
P o l.
•/»
E in w .
Dt.
•/.
Pol.
•/.
Dt. Z uod. A bn. •/• •/.
124 60 10 155 51 2 094 490 53 863 22 1057 39 11128
75 85 49 74 — 4 6 1 7 3 89 66 4 80 3 65 3 80
437 391 232 116 696 2 979 957 1 585 2 114 1863 246 252 1 502 225 839 575 1261 2 665
25 15 51 26 100 96 94 99 93 97 11 34 96 20 97 35 97 20
2 191 2 732 526 487 698 3 964 1 618 1 734 2 289 2 048 2 619 737 1 621 1 256 938 1 561 1 381 16 597
1 905 2 435 257 312 5 253 192 10 133 105 2 251 549 93 1 042 13 974 30 13 540
87 90 49 64 1 6 12 1 8 5 86 75 6 82 2 62 2 85
278 290 266 174 692 3 527 1 358 1 703 2 149 1 934 324 182 1 527 205 925 587 1 341 2 514
13 10 51 36 99 94 88 99 94 95 14 25 94 18 98 38 98 15
12 5 --— 1 2 6 --— 2 — 9 2 2 — — — 5
— — --10 — — — --1 — 3 — — — 1 3 1 —
729 1758
5 6
13 640 29 043
95 94
14 775 32 418
963 2 255
7 7
13 473 29 898
93 93
2 1
— —
22 806
27
61 618
73
92 190
27 317
30
63 354
70
3
—
D t.
E in w .
A le x a n d e rf e ld 1946 A ltb ie litz 2 559 B a tz d o rf 448 B is tr a i 435 B ra u n a u 698 C z ech o w i tz 3 217 D z ied itz 1088 E llg o th 1606 E m sd o rf 2 278 H e in z e n d o rf 1933 K a rn itz 2 348 L o b n itz 749 M a tz d o rf 1556 N ik e lsd o rf 1091 N ie d e r k u rz w a ld 862 O b e rk u rz w a ld 1635 Z a b rz e g 1304 B ie litz , S t. 14 573 G e r.-B e z . S c h w a rz w a s se r 14 642 S k o ts c h a u 30 944 G e sa m ts u m m e
1900
1460 2 158 210 319 —
85 912
Ö stlic h d e r B ia łk a s in d no ch g e n a n n t: B ia la A lz en K u n zen d o rf W ilm e sa u G e sa m ts u m m e
7 622 2 592 7 172 1 725
5 876 2 293 4 030 1226
77 92 57 72
1 746 299 3 010 420
23 a 43 28
8 264 2 651 8 417 1 816
6 531 2 313 5 552 1 191
80 90 66 66
1 733 338 2 769 625
20 10 34 34
+3 —2 +9 —6
19111
13 425
71
5 475
29
21 148
15 587
74
5 465
26
+3
Daraus geht hervor, daß die östlich der Białka gelegenen Ortschaften im Jahre 1900 im Durchschnitt noch zu 74 Prozent deutsch waren, eine Tat sache, die sicher den meisten Landsleuten fremd ist. Insgesamt sind hier 1890 36.231 und 1900 42.904 deutsche Bewohner ausgewiesen. Nach Konfessionen geordnet, ergab sich für unsere engste Heimat fol gendes Bild (1890 bzw. 1900): 1690
1900
G e m e in d e
K a th .
V.
E v.
•/«
K a th .
•/»
A le x a n d e rf e ld A ltb ie litz B a tz d o r f B is tra i K a rn itz L o b n itz N ik e ls d o rf O b e rk u rz w a ld B ie litz G e sa m ts u m m e
864 760 225 315 1 182 218 577 423 7 754 12 318
44’/ , 29'/7 50 72Vs 50 V2 29'A 53 24% 53 —
1 057 1 778 215 96 1 127 526 468 1 179 4 824 11 270
54 V* 69Vs 48 22 48l/j 69Vt 43 73 V* 33 —
1 061 858 272 361 1 386 216 738 436 8 783 14 111
48 31 52 74'/2 53 29'/i 59 28 53 —
296
Ev. 1 076 1 076 249 85 1 187 504 467 1 095 4 662 11 171
•/. 49 49 47 17 V t 45 68 y2 37 70 28 —
K a th . + + + ■+* + __ + + + +i
197 98 47 46 204 2 161 13 764 793
Ev. + 19 + 68 + 34 — 11 — 60 — 22 — 1 — 84 — 162 — 99
Die Gesamteinwohnerzahl betrug in Bielitz 16.597 (1900). Die Zahl der Polen stieg von 1880 bis 1900 von 1.994 auf 2.500 und jene der Juden von 1.660 auf 2.460 in Bielitz. Die Bielitzer Bevölkerung wohnte in 803 Wohnhäusern, es gab darin 3.372 Mieter. In Biala waren es 1880 754 und 1900 1.088 Juden. Hier stieg die Gesamteinwohnerzahl von 7.699 (1890) auf 8.257 im Jahre 1900. Der Bezirk Biala war 1900 635 qkm groß und hatte 101.492 Einwohner. In der Stadt Saybusch lebten 4.892 Menschen, während der Bezirk bei einer Größe von 1.153 qkm 108.629 Einwohner hatte. In der Stadt Frauenstadt/Wadowitz lebten im Jahre 1900 6.328 Ein wohner, während Auschwitz 6.841 Einwohner hatte. In Teschen lebten 10.510 Deutsche und 5.950 Polen, in Schwarzwasser 497 Deutsche und 905 Polen, in Skotschau 1.432 Deutsche und 1.730 Polen, in Freistadt 1.103 Deutsche und 2.259 Polen und in Jablunkau 488 Deutsche und 2.800 Polen. Ustroń zählte 4.683 Einwohner. Stark verloren hatten besonders Bistrai, das 1880 noch zu 74 Prozent deutsch war und bis 1900 auf 63 Prozent herabfiel. Ebenso Batzdorf, das in dem gleichen Zeitabschnitt von 72 Prozent auf 50 Prozent deutschen Anteil fiel. Der schlesische Landtag, der ein Spiegelbild der Zusammensetzung der Bevölkerung war, setzte sich nach folgenden erreichten Mandaten zusam men: Partei
Mandate 1902
1909
Deutsch-Fortschrittlich Deutschnationale Volkspartei Alldeutsche Partei Agrarier Tschechisch-polnische Solidarität Großgrund- und Mittelstandspartei Virilstimmen (Erzbischof von Breslau)
13 8 1 6 2 1
20 1
Zusammen
31
31
-
3 6 6 1
297
Die Entwicklung der Mandatsverteilung sah wie folgt aus: 1884 entfie len von 31 Gesamtmandaten 27 auf deutsche, 1890,1902 und 1909 von 31 Gesamtmandaten 25 auf deutsche Vertreter. Die Lage im Teschener Land hatte sich seit 1900 verändert. M it der zunehmenden nationalen Unruhe wurde leider auch unser Ländchen - ohne Frage von außen her - langsam, aber sicher in den Strudel der nationalen Bestrebungen hineingerissen. Es waren aber nicht die Deutschen, die unser Land zu einem Kampfland zwischen Polen, Tschechen, den Deutschen, den Schlonsaken und den Goralen machten oder gar machen wollten. 1905 war das Deutschtum unseres Ländchens unterminiert und in die Defensive gedrängt. Zwar waren von den 13 Abgeordneten des Troppauer Landtags nur drei Polen, aber in den Ämtern waren Polen und Tschechen im Vormarsch; die Teschener und Bielitzer Bezirkshauptleute waren Po len, der Staatsanwalt und viele richterliche Beamte waren schon Tschechen (Witt, S. 79). Östlich von uns wurden polnische Legionen gebildet (1905), deren Hauptquartier nach dem deutschen Biala gelegt wurde und das von einem Verschwörer von 1905, Kapitän Ostrowski, geleitet wird. Zur 1907 vorgesehenen Reichsratswahl wurden die Bielitzer deutschen Gemeinden westlich der Białka einem deutschen Wahlkreis zugeteilt, wäh rend sie bisher in polnischen Kreisen verlorengingen. Die Stadt Bielitz selbst gehörte zum Städtewahlkreis Bielitz-Skotschau-Jablunkau und brachte immer einen deutschen Vertreter durch. 1909 stimmte bei den Wahlen zum Schlesischen Landtag der Bielitzer Wahlkreis für die Schlesi sche Volkspartei des Oberlehrers Kozdon. Im Februar 1909 traten auf Einladung von Kozdon 150 bekannte M än ner des öffentlichen Lebens aus den Teschener, Bielitzer und Freistädter Bezirken anläßlich der bevorstehenden Landtagswahlen zusammen und beschlossen, gegenüber den andrängenden Polen und Tschechen die Füh rung des Schlonsakentums in die Hand zu nehmen. Sie beschlossen die Gründung der »Schlesischen Volkspartei« auf hei matlicher, antipolnischer Basis. Zur Wahrung der kulturellen Interessen wurden der unpolitische »Bund der Schlesier« ins Leben gerufen, die Gründung eines politischen Wochenblattes durchgeführt sowie Aktionen aufgenommen, die das Ziel hatten, landwirtschaftliche, gewerbliche und kreditwirtschaftliche Genossenschaften zu errichten. Kozdon gelang es auch bei dieser Wahl, im Bielitzer Landkreis das Mandat zu erlangen. 298
Das Organ dieser eben besprochenen »Schlesischen Volkspartei« wur de der »Schlonsak« mit einer Auflage von 4.000 Exemplaren, der sich von Anfang an gegen die großpolnische Propaganda wandte. Alle Zeichen standen auf Sturm, und es blieb nicht mehr aus, daß ab etwa 1908 die »Schlesische Frage« in aller Öffentlichkeit auf dem Plan war. Im August 1908 gab es sogenannte »Volkstage« in »Sachen Schle sien«, auf dem die Tschechen »Schlesien ist unser« und die Polen auf den polnischen Volkstagen mit M ichejda predigten: »Hinter Schlesien steht ganz Polen, Schlesien ist außerdem das Interessengebiet des Polenklubs in W ien“ (Witt, S. 73). Im neuen Schlesischen Landtag war im sogenannten »Zweiten W ahl körper« als Vertreter des Großgrundbesitzes der Gutsbesitzer Leo Zipser aus Tschechowitz. In der »Städtekurie« waren von uns der Fabrikant Josephy aus Bielitz vertreten und für die Städte Jablunkau, Skotschau und Schwarzwasser der Bürgermeister von Jablunkau, Oberpostmeister Hanns Zwilling. *
Aus der Industrie unseres Landes ist zu berichten, daß im Jahr 1900 der elektrische Strom im Bergbau des Ostrauer Reviers eingeführt wurde, 1901 war die erste Besemer-Schmelze in Österreich (Witkowitz) abgegossen worden, und im Jahr 1904 erzeugte Österreichisch-Schlesien 64.110 Jah restonnen Roheisen (zum Vergleich: Mähren 294.924 und Galizien 4.041 Jahrestonnen). In Österreich gab es auch schon fünf Lokomotivfabriken, die jährlich 460 Lokomotiven bauen konnten, wovon aber nur ein Drittel (178) ausge nutzt war. 102 gingen in den Bestand der k. k. Staatsbahnen. Am 23. Fe bruar 1903 wurde im Ostrauer Revier das amerikanische SpülversatzVerfahren eingeführt (in O/S [im Myslowitzer Bergbau] 1901). Im ganzen Österreichisch-Schlesien wurden 1905: 5,2 Mill. Jahreston nen Steinkohle gefördert, 1906: 6,88, 1907: 7,05, 1908: 7,34, 1909: 7,63, 1910: 7,67 und 1911: 8,07 Mill. Jahrestonnen. Im Jahr 1908 wurde die erste elektrische Ilgner-Patent-Förder-Anlage im Salomons-Schacht in Betrieb genommen (das Patent wurde 1901 erteilt). In Ustroń verkaufte 1905 Erzherzog Friedrich von Habsburg, seit 1895 Besitzer, die gesamten Hüttenwerke und Kohlengruben im Beskidenland 299
für 50 Mili. Kronen an die Österreichische Berg- und Hüttengesellschaft mit dem Sitz in Wien. Der neue Generaldirektor Günther begann in den Werken zu modernisieren, umzubauen, zu zentralisieren und aufzulösen. Am 5. Januar 1907 wurde in Ustroń das letzte Guß-Stück angefertigt. Bis zu den letzten Demontagen Günthers hat Ustroń 1.000 Fachkräfte und Arbeiter an die Betriebe in Trzynietz, Karlshütte, Baschka, Witkowitz und die Karwin-Ostrauer Gruben verloren. So kam es, daß die Blütezeit der beskidenländischen Eisenindustrie in Ustroń nach 140 Jahren im Jahre 1912 unwiderruflich beendet war, als die Berg- und Hüttenwerksgesell schaft ihren Gesamtbesitz mit dem Restwerk und den Liegenschaften an die W iener Firma Brevillier & Urban und Söhne in Ustroń verkaufte. Im Jahre 1907 war auch in unserem Land nach Erdöl gebohrt wor den. Bei diesen Arbeiten zerbarst ein Erdölbohrturm in Baumgarten bei Skotschau. Im nächsten Jahr bohrte man am Radon- und am Bladnitz-Bach, von Zeislowitz über Kosakowitz in Richtung Skotschau.
Die Textilindustrie des Landes Es folgen einige Angaben aus der Textilindustrie Österreichisch-Schlesiens. Die Betriebszählungen, amtlich durchgeführt, ergaben, daß in den einzelnen Sparten nachstehend auf geführte Berufsgruppen vertreten waren (1902): Seidenweber 1.243 Personen Schafwollspinner 794 Personen Filz und Decken 288 Personen Woli weber 5.709 Personen B aumwollspinner 578 Personen 1.321 Personen Baumwollweber 1.596 Personen Flachsspinner 1.718 Personen Leinenweber 1.431 Personen Jute 2.707 Personen Wollfärber Für diese Textilarbeiter standen folgende Maschinen zur Verfügung:
300
Kämm-Maschinen Streichwollspindeln Kammwollspindeln Mungospindeln Flachsspindeln Hanfspindeln Jutespindeln B aum wollspindeln Vigognespindeln andere Spindeln Zwimspindeln Webstühle (Hand- und Fußbetrieb) Webstühle (Hand- und Fußbetrieb mit Jacquardmaschinen) Webstühle (Kraftstühle ohne Jacquardmaschinen) Webstühle (Kraftstühle mit Jacquardmaschinen) Bandstühle (Handbetrieb) Bandstühle (Kraftbetrieb)
Betriebe
Maschinen
12 61 4 3 5 2 3 4 1 3 33 3.387
56 89.872 2.263 1.561 20.665 1.260 7.200 42.270 1.800 1.100 12.450 4.544
380
961
74
3.731
80 15 3
3.021 263 269
Im österreichischen Schlesien waren also 1902 insgesamt schon7.021 Kraftstühle (55 Prozent) und noch 5.768 Handwebstühle (45 Prozent) in Betrieb. Zusammen waren es 12.789 Webstühle, die in unserem Kronland liefen. Auf ganz Österreich bezogen, waren das 48 Prozent aller Seidenweber, 12,9 Prozent aller Schafwollweber und 4,75 Prozent aller Baumwollweber, die in unserem Kronland beschäftigt waren. Und das gleiche für Bielitz durchgeführt, ergibt: Von 13.940 Schafwollspinnem in Österreich hat Bielitz 593 (4,25 Prozent), von 44.188 Schafwollwebem in Österreich hat Bielitz 2.474 (5,59 Prozent), von 34.923 Färbern in Österreich hat Bielitz 1.402 (4,01 Prozent), von 10.993 Jutebe schäftigten in Österreich hat Bielitz 523 (4,75 Prozent). Österreichisch-Schlesien produziert in den Jahren 1906 bis 1911 durch schnittlich 4 Millionen Doppelzentner, was 40.000 Tonnen entspricht. 301
Damit sei das Zahlenspiel beendet, es gibt einen einigermaßen guten Einblick in das Verhältnis Österreichisch-Schlesiens zu ganz Österreich und auch, was uns am meisten interessiert, in das Verhältnis von Bielitz als Textilplatz zu ganz Österreich. Das Buch »Das Nationalitätenrecht des alten Österreich« von K. G. Hugelmann, Wien 1934, gibt Aufschluß über die Zusammensetzung unse rer größten heimatlichen Städte. Es heißt dort wörtlich: »Zur Ersichtlichmachung der zahlenmäßigen Verhältnisse in Böhmen, Mähren und Schlesien seien hier nachfolgende statistische Daten (Jahr 1900) angegeben: a) Flächeninhalt: B Öhmen 51.948 km 2 Mähren 22.222 km2 Schlesien 5.147 km2 Das sind 26,45 Prozent der österreichischen Reichshälfte. b) Bevölkerung: Böhmen 5.843.094 Mähren 2.276.870 Schlesien 605.649 Das sind 36,50 Prozent von Österreich. c) Umgangssprache: Deutsch
Tschechisch
Polnisch
2.159.011 664.168 281.555
3.644.188 1.590.513 129.814
5.039 178.114
Das sind in Prozenten: Böhmen 37,2 Mähren 29,4 Schlesien 47,8
62,8 70,3 22,0
Böhmen Mähren Schlesien
—
—
0,2 30,2
Abgesehen von der Landkarte, ergibt sich die im Vergleich mit Böhmen um ein Vielfaches stärkere Untermischung der Nationalitäten in Mähren und Schlesien auch aus folgenden Verhältniszahlen der wichtigsten Städte 302
(über 13.000 Einwohner, wobei auch hier wieder als ungefährer mittlerer Zeitpunkt das Jahr 1899/1900 zugrunde gelegt wird; Quelle: Hickmann, Geogr. stat. Atlas für Österreich-Ungarn). Name der Stadt
Davon (in %)
Gesamteinwohnerzahl
tschechischer deutscher
polnischer
Zunge:
Troppau (Schl.) Mährisch-Ostrau (M.) Teschen (Schl.) Bielitz (Schl.)
25.000 25.000 17.000 16.000
11 59 4 3
87 28 53 80
2 13 43 17
Die Jahre 1900 bis 1909 in Bielitz Die Bezirkshauptmannschaft Bielitz zählte 1903 758 qkm mit 74.627 Einwohnern, davon waren 416 Tschechen, 60.434 Polen und 13.777 Deut sche. In der Stadt Bielitz lebten im gleichen Jahr 16.054 Einwohner auf 4,97 qkm, wovon 94 Tschechen, 2.420 Polen und 13.540 Deutsche waren (nach »Statistisches Jahrbuch für die Selbstverwaltung in Schlesien« 1903). Die Stadt Bielitz war also zu dieser Zeit noch zu 84,3 Prozent deutsch. Im Jahre 1905 war Alexanderfeld bei 286 slawischen Bewohnern noch zu 86 Prozent deutsch, Bistrai zu 64 Prozent (312 Deutsche, 175 Polen), Karnitz zu 87 Prozent, Lobnitz zu 74 Prozent und Nickelsdorf zu 82,9 Prozent deutsch. Politische Wechsel traten insofern ein, als 1902 Gustav Josephy Land tagsabgeordneter in Troppau wurde, Pfarrer Dr. Haase ins Herrenhaus und Ing. Otto Günther als Reichsratsabgeordneter nach W ien berufen wurden (1905). Im März 1908 wird der Apotheker Stanislaus Gutwinski Bürgermeister von Bielitz, sein Vorgänger Stephan muß wegen des Abreißens des Zunft hauses zurücktreten. Im September 1909 stirbt er aber viel zu früh, und auf ihn folgt der Kaufmann Rudolf Hoffmann, ein Sohn des früheren Bürger meisters. Er bliebt in diesem Amt auch die Kriegsjahre 1914-1918 hin durch. M it dem Abreißen des Zunfthauses war das letzte Stück des alten Bielitz verschwunden. 303
Im Bauwesen war man recht rührig, man eröffnete die Wasserleitung in Biala aus den Quellen des Drösselbaches (Straconka)) mit einem Kosten aufwand von über 1 Mill. Kronen, in Bielitz schritt man an die Erweiterung des Spitals durch Schaffung eines Pavillons für die ansteckenden Krank heiten (1901). In den Jahren 1901 und 1902 kauften die Polen das frühere Schröttersche Haus, und es entstand auf diesem Grundstück ein »Dom polski«. Die Heeresverwaltung ging an die Planung und den Bau der Kavalleriekasemen. In Biala gab der Staat 50.000 Kronen für die Regulierung der Bialkaufer aus. Im Jahre 1904 gab es eine große W asserknappheit in unseren Städten Bielitz und Biala, da einer Trockenheit zufolge nur noch der Josefsbrunnen auf der Josefstraße W asser spendete. Man trug sich also schon damals zwangsläufig mit dem Gedanken, für bessere Wasserversorgung besonders in Notzeiten etwas tun zu müssen. Die Jahre 1907 und 1908 gehörten dem Bau des großen Gasometers für das Bielitzer Gaswerk. In Industrie und Gewerbe ging es auch flott weiter. A uf sozialer Ebene gelang es zum Beispiel Buchdruckern schon im Jahre 1902, einen Normal tarif auszuhandeln, der dann Befriedigung in diese Berufsgruppe brachte. Bei der Suche nach Steinkohle in unserem Raum wurde die Schurftätigkeit bis in das Jahr 1906 noch intensiviert, und nach Gründung einer Steinkohlengewerkschaft, deren größter Kuxenanteil dem Wiener Haus Rapaport gehörte, und nach Vorhandensein der notwendigen Geldmittel wurden am 16. Januar 1904 der Schacht »Andreas I« und am 2. Oktober 1905 der Schacht »Andreas II« niedergebracht. Mit der Förderung aus der 109-Meter-Sohle wurde im Jahre 1908 begonnen. Im Jahr 1905 entstand auch die Ölraffinerie der amerikanischen Ölgesellschaft »Vacuum Oil Company«, einer Tochter des »Standard-Oil-Trusts«. Im Jahre 1905 zahlte unsere fleißige Stadt schon 493.616 Kronen Steuern. Ab dem nächsten Jahr gibt es in unserem Staatswesen schon die »Invalidenversicherung«. Im nahen Karnitz entsteht im Jahr 1908 die Druckerei Suwald & Gru ber, die später in »Bendetz & Gruber« umgestaltet wurde. Aus dem heimatlichen Zeitungswesen ist zu sagen, daß ab 1902 das »Bielitz-Bialaer Volksblatt«, ein christlich-soziales Blatt, eingestellt und die »Volksstimme«, das Organ der sozialdemokratischen Organisation Ostschlesiens, ins Leben gerufen wird. Es erscheint zweimal wöchentlich. 304
Das deutsche Vereinsleben blüht weiter auf. Als 1901 die Jugendbewe gung des Wandervogels gegründet wird, die unter anderem auch die Liebe zur engeren und weiteren Heimat wiedererwecken will, das Erlebnis der Landschaft mit Wandern, Abkochen und Übernachten in der Natur, das Sammeln unserer Volkslieder betreibt, Volkstänze pflegt und den Alkohol meidet, fällt dieser Gedanke auch bei uns bald auf fruchtbaren Boden. Ihre Ziele sind politisch und konfessionell neutral. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auch auf Grenzlandfahrten. In Österreich wird die erste dieser Gruppen 1911 ins Leben gerufen, und in Bielitz und im Teschener Schlesien folgen bald erste Gründungen. Nachdem der deutsche Schutzverein »Nordmark« im Jahr 1894 in Troppau gegründet war, folgten weitere Ortsgruppen: 1899 in Kurzwald, 1901 in Nickelsdorf, 1903 in Lobnitz, 1905 in Karnitz, 1906 in Tschechowitz-Dzieditz und schließlich 1908 in Altbielitz. Die wachsende Liebe zur Heimat führt auch zur Schaffung einer Inter essengruppe für die Gestaltung eines Museums in Bielitz. Die treibenden Kräfte sind Pfarrer Dr. Schmidt und der spätere erste Leiter des Museums, Eduard Schnack. Ihren Bemühungen ist es zu verdanken, daß das Museum am 14. Januar 1903 durch Bürgermeister Hoffmann eröffnet werden kann. Karnitz hat seit 1903 eine Feuerwehr. 1904 entsteht ein deutscher Gesangverein in Nickelsdorf, Vereinsleiter wird Oberlehrer und späterer Bürgermeister Josef Schimke. 1904 wird auch die »Arbeiterkonsumgesellschaft in Bielitz-Biala« ge gründet, in Biala wird im gleichen Jahr das Museum eröffnet. Bezüglich der eben erwähnten »Arbeitergenossenschaft« ist es wert, jene Zeilen von Robert Piesch wiederzugeben, die er nach einem Besuch der Hannover-Messe in den »BBBB« 1957 schrieb. Sie sollen im Wortlaut festgehalten sein: Von der ältesten Konsumgenossenschaft: SOjähriges B estehen der K onsum genossenschaft B ielitz-B iala
Bei der Deutschen Industriemesse vom 28. April bis 7. Mai 1957 in Hannover war auch ein polnischer Stand auf dem Freigelände vertreten. Nur die Metallindustrie zeigte hier ihre Fabrikate. Hier wurde auch die deutschsprachige Zeitschrift »Polnische Genossenschaftliche Rundschau«, herausgegeben vom Zentralen Genossenschaftsverband »Nowy Swiat«, Warschau, verteilt. 305
Beim Durchblättem fielen mir Bilder aus unserer Bielitzer Heimat auf. In einem längeren Artikel »Aus dem Leben der ältesten Konsumgenossen schaften - 50jähriges Bestehen der Konsumgenossenschaft Bielsko-Biala« war u. a. folgendes zu lesen: »Bielsko-Biala in Oberschlesien ist ein ausgesprochener Industrieort mit gut entwickelter Textil- und Metallindustrie. Die Stadt zählt gegenwär tig 84.500 Einwohner. Hier wurde im Jahre 1905 eine Konsumgenossen schaft gegründet. Diese Gründung war durchaus kein Zufall. Sie war eine Folgeerscheinung der starken Belebung der Arbeiterbewegung, die aus der äußerst schweren Lage der Arbeiter einen Ausweg suchte und ihnen den Weg des Zusammenschlusses wies. Die Erfolge der englischen Genossen schaftsbewegung weckten das Interesse der Arbeiter für das Genossen schaftswesen, was schließlich zur Gründung einer Genossenschaft führte. Ihre Gründer waren Arbeiter, polnische (!) und deutsche, W eber und Metallarbeiter, 54 an der Zahl. Da der Gesamtbetrag der aufgebrachten Geschäftsanteile zu gering war, eilten den Pionieren (!) der Genossen schaftsbewegung fast sämtliche Arbeiterorganisationen aus Bielsko-Biala und Umgebung zur Hilfe, indem sie der Genossenschaft ihre Finanzmittel in Gestalt von Spareinlagen einbrachten. Auf diese Weise konnte die Genossenschaft ihre Tätigkeit aufnehmen und im Jahre 1905 ihre erste Verkaufsstelle eröffnen. Die Vereinigung nahm einen ununterbrochenen Aufschwung, die M it gliederzahl stieg von Jahr zu Jahr, die Umsätze wurden ständig größer, die Genossenschaft arbeitete mit Reingewinn. Die Arbeiter unterstützten ihre Genossenschaft, die ihnen in für sie schweren Zeiten Beistand leistete. Die Hitlerokkupation unterdrückte auch das leiseste Anzeichen eines gesellschaftlichen Lebens auf »polnischer Erde«. Für die Genossenschaf ten traten schwere Zeiten ein. Ihre »Aktivisten« wurden in Gefängnisse oder in Konzentrationslager geworfen, die Mehrzahl der Mitglieder ist ausgesiedelt (die Stadt Bielsko-Biala wurde dem III. Reich einverleibt und das Genossenschaftseigentum geraubt). Von den ehemaligen Gründern und Aktivisten der Genossenschaft sind nicht mehr viele am Leben geblieben. Es lebt noch Pawel Tomke, ein Weber, der im Jahre 1904 fast das ganze Jahr hindurch von den Mitgliedern die ersten Geschäftsanteile einsammelte und darauf, seit dem Jahre 1905, vierzig Jahre lang Verkäufer in der ersten Verkaufsstelle der Genossen schaft war. Große Verdienste um die Genossenschaft hat sich auch der 306
andere Gründer (?), F. Folmer, erworben, der in den Jahren 1923 bis 1929 Vorstandsvorsitzender war. Die genannten »Aktivisten« waren Ehrengäste der Jubiläumsfeier, die am 31. Oktober 1955 stattgefunden hat.« Soweit auszugsweise der Bericht. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Die Gründer waren durchweg Deutsche. Die Bezeichnung der Genossen schaft lautete: »Arbeiter-Konsum- und Sparverein für Bielitz und Umge bung«, bis Mitte 1930 der deutsche Titel in einen polnischen umgewandelt werden mußte. Die Leitung desselben sowie die der Filialen lag weiterhin fast ausschließlich in deutscher Hand. Bei dem Gründer handelt es sich um Paul Thomke aus Alt-Bielitz. Der Artikelschreiber »vergaß« aber zu be richten, daß die meisten Mitglieder des Konsumvereins aus ihrer Heimat vertrieben wurden (weil sie Deutsche waren), oder sie sind in den polni schen »KZs« ums Leben gekommen. R obert Piesch Am 26. April 1906 entsteht unsere bewährte Gruppe der Rettungsgesell schaft vom »Roten Kreuz«. Eduard Schnack legt in diesem Jahr auch seinen Alpengarten auf der Kamitzer Platte an. Im Januar 1907 rufen Wintersportler des Beskiden vereins unseren »Wintersportklub« ins Leben, das Schutzhaus auf dem Josefsberg wird eröffnet (933 m hoch). Es brennt 1913 nieder und wird neu aufgebaut. In das Jahr 1907 fallen auch die ersten Bemühungen um den Fußballsport in Bielitz und Biala, es kommt zur Gründung des »Bielitzer Fußballklubs«. Er wird 1911 in den uns allen noch bekannten »BielitzBialaer Sportverein« umgewandelt. Der »Deutsche Volksrat«, der schon 1903 durch Dr. Franz Jesser in Böhmen und Mähren gegründet wurde und von dem auch der Begriff des »Sudetendeutschen« stammt, wird nun auch in Bielitz-Biala 1907 ins Leben gerufen. Seine Gründung ist überall die deutsche Antwort auf ähnli che Gründungen von tschechischer und polnischer Seite. Das Jahr 1908 bringt auch die Schaffung einer Gesellschaft für das »Arbeiterheim« mit einem Kapital von 20.000 Kronen, in Alexanderfeld gründet sich die deutsche Freiwillige Feuerwehr. Über unsere Schutzhäuser in den Bergen ist noch nachzutragen, daß 1904 das Babia-Gura-Schutzhaus des Beskidenvereins eröffnet wird. Es liegt in 1.616 m Höhe, auf slowakischem Boden, 150 Meter unter dem Gipfel (am 7. August 1904 als »Erzherzogin-Isabella-Haus« eröffnet, 1935 in »Wilhelm-Schlesinger-Haus« umbenannt). 307
Die humanitären Stiftungen in der Stadt Bielitz Das »Statistische Handbuch für die Selbstverwaltung in Schlesien« des Statistischen Landesamtes für Schlesien in Troppau aus dem Jahr 1919 gibt nachstehende Aufstellung von Stiftungen: Datum der Stiftung
Titel und Zweck
1. Januar 1719
St.-Anna-Hospitalstiftung des Julius-Gottlieb Graf v. Sunnegk und Friedrich-Wilh. Graf v. Haugwitz 2.965 Kr. Ertrag 1904: 677 Kr.
24. August 1792
Joh. Szczyrbasche Armeninstitutsstiftung 598 Kr. Ertrag 1904: 25 Kr.
6. Mai und 4. Juli 1800
Joh. Wallowysche Armeninstitutsstiftung 323 Kr. Ertrag 1904: 14 Kr.
21. Dezember 1870
Ignaz Baumsche Stiftung 20.000 Kr. Ertrag 1904: 800 Kr.
23. Februar 1874
Herminenstiftung für Arme in Bielitz 600 Kr. Ertrag 1904: 24 Kr.
2. Juli 1890
Eduard u. Marie Herlingersche Armenstiftung 400 Kr. Ertrag 1904: 17 Kr.
24. März 1891
Adolf Josephysche Armenstiftung 2.284 Kr. Ertrag 1904: 96 Kr.
308
26. April 1892
Jacob Kuffnersche Stiftung 2.000 Kr. Ertrag 1904: 80 Kr.
25. Februar 1892
Charlotte Jankowskische Stiftung 2.094 Kr. Ertrag 1904: 84 Kr.
15. Juli 1892
Julie Friedheimsche Stiftung 4.000 Kr. Ertrag 1904: 168 Kr.
27. Dezember 1893
Robert Halenta’sche Stiftung 2.400 Kr. Ertrag 1904: 101 Kr.
6. April 1894
Wilhelm Schäffersche Stiftung 1.000 Kr. Ertrag 1904: 40 Kr.
27. August 1894
Adolf Pollaksche Stiftung 2.058 Kr. Ertrag 1904: 82 Kr.
3. Oktober 1894
Heinrich Hoffmannsche Stiftung 2.000 Kr. Ertrag 1904: 80 Kr.
20. März 1894
M. J. Wenzelsche Armenstiftung 2.452 Kr. Ertrag 1904: 98 Kr.
20. Dezember 1894
Karl Traugott Förstersche Armenstiftung 1.020 Kr. Ertrag 1904: 41 Kr. 309
20. Juni 1895
Joachim Wiedmannsche Stiftung 9.703 Kr. Ertrag 1904: 388 Kr.
21. Juni 1895
Friederike Lichnowskysche Stiftung 500 Kr. Ertrag 1904: 12 Kr.
26. Juni 1899
Joh. Anton Heczkosche Stiftung 598 Kr. Ertrag 1904: 25 Kr.
21. Juni 1895
Stiftung der Sennewaldschen Erben 2.020 Kr. Ertrag 1904: 85 Kr.
Lebendiges Bielitz Dem »Statistischen Handbuch für die Selbstverwaltung in Schlesien«, erschienen in Troppau, 1903, können wir die Zahl der Wohltätigkeits- und Fachvereine der Arbeitnehmer in Stadt und Land Bielitz entnehmen. Diese Zusammenstellung ergibt ein schönes Bild über die Regsamkeit in unserer Heimat auf diesen Gebieten. W ir finden dort verzeichnet:
WOHLTÄTIGKEITS- UND HUMANITÄTSVEREINE P olitischer B ezirk Bielitz-Land
G.-B. Bielitz Alexanderfeld. Schulpfennigverein, 1877. Alt-Bielitz. Schulkreuzerverein, 1883. Batzdorf. Verein zur Unterstützung armer Schulkinder in Batzdorf, 1898. Bistrai. Schulpfennigverein, 1898. Emsdorf. Schulkreuzerverein, 1899. Heinzendorf. Schulhellerverein, 1899. 310
Karnitz. Schulkreuzerverein, 1880. Frauen- und Mädchenortsgruppe der ev. Gustav-Adolf-Stiftung, 1900. Nikelsdorf. Schulpfennigverein der vereinten Gemeinden Nikelsdorf und Nieder-Olisch, 1881. G.-B. Schwarzwasser Chybi. Schulkreuzerverein, 1895. Drahomischl. Schulhellerverein, 1896. Pruchna. Schulhellerverein, 1893. Schwarzwasser. Schulkreuzerverein, 1888. G.-B. Skotschau Golleschau. Krajcarowe towarzystwo szkolne w Goleszowie, 1895. Pogorz. Schlesischer Schulkreuzerverein, 1896. Skotschau. Schulpfennigverein, 1875. Ustroń. Schulpfennigverein, 1875. Weichsel. Schulkreuzerverein, 1899. Zeislowitz. Krajcarowe towarzystwo szkolne, 1893. P olitischer B ezirk B ielitz-Stadt
Evangelischer Frauenverein, 1862. »Chewra Kadischa«, Verein der Bielitzer israelitischen Kultusgemeinde für Krankenpflege und Leichenbestattung, 1868. Franz-Josef-Unterstützungsverein am k. k. Staatsgymnasium zu Bielitz, 1873. Allgemeiner Schulkreuzerverein in Bielitz, 1877. Unterstützungsverein »Schülerlade« an der k. k. Oberrealschule in Bielitz, 1877. Zweigverein Bielitz für den Stadt- und Landbezirk Bielitz des Landeshilfs vereines vom »Roten Kreuze« für Schlesien, 1887. Israelitischer Humanitätsverein »Austria« (B’nai B ’rith), 1889. Katholischer Frauenverein, 1890. Gewerbehilfsverein, 1893. Israelitischer Hilfs- und Krankenverein, 1894. Bielitz-Bialaer israelitischer Freitischverein, 1898. Verein zur Unterstützung israelitischer Handelsgewerbetreibender in Bie litz, 1899. 311
Ortsgruppe Bielitz des Hilfsvereines für die notleidende jüdische Bevölke rung in Galizien, 1901.
FACHVEREINE DER ARBEITNEHMER Politischer B ezirk B ielitz-Land
G.-B. Bielitz Alexanderfeld. Ortsgruppe Alexanderfeld und Umgebung des Zentralver eines der Textilarbeiter beiderlei Geschlechtes für Schlesien und Galizien, 1898. Alt-Bielitz. Allgemeiner Gewerkschaftsverein in Alt-Bielitz, 1892. Emsdorf. Ortsgmppe Em sdorf des allgemeinen Gewerkschaftsvereines Altbielitz, 1898. Lobnitz. Ortsgmppe Lobnitz des Vereins der Textilarbeiter Schlesiens und Galiziens und deren Mitarbeiter, 1893.
G.-B. Skotschau Ustroń. Ortsgmppe Ustroń des Vereines der Eisen- und Metallarbeiter und deren Mitarbeiter Schlesiens und Galiziens, 1894. Ustroń. Ortsgmppe Ustroń des Verbandes der Eisen- und Metallarbeiter Österreichs in Wien, 1900. Verein für Werkmeister und Industriebeamte für Ustroń und Umgebung, 1901. Weichsel. Allgemeiner Gewerkschaftsverein, 1897. Politischer B ezirk B ielitz-Stadt
Verein für Fabrikangestellte von Bielitz-Biala und Umgebung, 1881. Sektion Bielitz des Vereines der Buchdrucker in Österreich-Schlesien, 1888. Verein der Textilarbeiter Schlesiens und Galiziens mit dem Sitze in Bielitz, 1892. Gewerkschaft der Holzverarbeiter in den politischen Bezirken Bielitz und Biala, 1893. Ortsgmppe Bielitz des Vereines der Angehörigen der graphischen Fächer für Schlesien in Troppau, 1895. 312
Bezirks verband der Arbeitervereine von Bielitz-Biala und Umgebung, 1897. Ortsgruppe Bielitz des Verbandes der Arbeiter beiderlei Geschlechtes der Lebensmittelindustrie, 1897. Ortsgruppe Bielitz und Umgebung des Zentralvereines der Textilarbeiter beiderlei Geschlechtes für Schlesien und Galizien, 1898. Ortsgruppe Bielitz des Verbandes der Eisen- und Metallarbeiter Öster reichs, 1899. Ortsgruppe Bielitz-Biala des Gewerkschaftsvereines der Maler, Anstrei cher, Lackierer und deren verwandten Berufsgenossen Österreichs in Wien, 1899. Ortsgruppe Bielitz des Vereines der Bauarbeiter, Maurer, Zimmerer, Stein metze, Brunnenbohrer und anderer im Baugewerbe beschäftigten Perso nen, 1899. Ortsgruppe Bielitz II des Verbandes der Eisen- und M etallarbeiter Öster reichs, 1899. Ortsgruppe Bielitz des Verbandes der Holzarbeiter Österreichs, 1901. Bezirksverein des ersten allgemeinen österreichischen Werkmeisterver bandes Wien, 1901. Sitz: der jeweilige W ohnort des Obmannes. W erkmeister- und Beamtenverein für Bielitz und Umgebung, 1897. Aus dem Jahr 1903 stammen auch die Angaben, die in dem »Schematismus für das kaiserliche und königliche Heer und für die kaiserliche und könig liche Kriegsmarine für 1903«, erschienen in Wien, enthalten sind, und über die Einheiten, die in unserem Land und in unseren Städten lagen, Auskunft geben: Da ist zunächst das »13. österreichische Infanterie-Regiment«, dessen 4. Bataillon in Bielitz lag:
13. Galizisches Infanterie-Regiment Regiments-Stab: Krakau 1. Bat.-Stab: Krakau, 2. Krakau, 3. Krakau, 4. Bielitz Ergänzungs-Bezirks-Commando: Krakau 1814 aus in kaiserliche Dienste übernommenen italienischen Regimentem formiert; 1815 Wimpffen, Maximilian Freih. v., FM.; 1855 HohenloheLangenburg, Gustav Heinrich Prinz, FML.; 1861 Bamberg, Joseph Freih. 313
v., FML.; 1871 Baltin, Carl Freih. v., FZM.; 1873 bis 1889 Huyn, Johann Gf., FZM. Das vormals unter dieser Nummer bestandene Infanterie-Regiment wurde 1642 errichtet. Traun. Adam Em st v., GFWM.; 1651 Baden-Baden, Leopold W ilhelm Markgraf, FM.; 1671 La Borde, Louis Freih. de, Oberst; 1681 Scherffenberg, Friedrich Gf., FML.; 1688 Starhemberg, Guido Gf., FM.; 1737 Moltke, Philipp Ludwig Freih. v.; FM.; 1780 Zedtwitz, Johann Franz Anton Freih. v., FZM.; 1786 Reisky v. Dubnitz, Franz Wenzel Freih., FML.; 1809 aufgelöst.
1888 Starhemberg Guidobald Gf. v. FM. (f zu Wien, den 7. März 1737) (Das Regiment hat diesen Namen auf immerwährende Zeiten zu führen.) Oberst Meixner, Otto, Reg.-Comdt. Oberst Pollak, Franz, Comdt. Mil.-Ober-Realschule Oberst Raffay, Alfred Ritt. v. Oberst Uchatius, Georg, Ritt. v. Egalisierung rosenrot, Knöpfe gelb Dann folgt das »100. österreichische Infanterie-Regiment«, dessen 3. Ba taillon in Teschen lag:
100. Schlesisch-mährisches Infanterie-Regiment Regiments-Stab: Krakau 1. Bat.-Stab: Krakau, 2. Krakau, 3. Teschen, 4. Krakau M it 1. Jänner 1883 formiert aus je einem Bataillon der Infanterie-Regimen ter Nr. 50, 51 und 64, dann aus dem Feld-Jäger-Bataillon Nr. 36.
1889 Krieghammer Edmund Freih. v. GdC. Oberst Grössl, Carl Oberst Stembach, Hermann Freih. v. In die Kavalleriekaseme zog am 1. September 1903 ein:
das 3. Niederösterreichische Dragoner-Regiment Regiments-Stab: Krakau 1. Div.-Stab: Krakau, 2. Krakau 314
Ersatz-Cadre: Wien Ergänzt sich aus dem Mil.-Territorial-Bezirke Wien (2. Corp.) 1768 als erstes Carabinier-Regiment errichtet, Herzog Albert zu SachsenTeschen, FM.; 1798 Kürassier-Regiment Nr. 3; 1822 Friedrich August Albert, königl. Prinz und Mitregent von Sachsen; 1836 Friedrich August, König von Sachsen; 1856 Johann, König von Sachsen; seit 1. Oktober 1867 Dragoner-Regiment Nr. 3; 1873 Albert, König zu Sachsen. (Zweite Inhaber waren: von 1822-1838 Kroyher v. Helmfels, Carl Freih., GdC.; von 1839-1858 Gorzkowski v. Gorzkow, Carl Ritt., GdC.; von 1858-1880 Nagy de Somlyo, Ludwig, FML.) (Als Dragoner-Regiment Nr. 3 waren vormals eingereiht: von 1798— 1802 das gegenwärtige Dragoner-Regiment Nr. 9; von 1802-1860 das Dragoner-Regiment Nr. 11.)
1902 Georg König von Sachsen Oberst Magdeburg, Emil Freih. v., Comdt. 12. Cav.-Brig. Nagyszeben (Hermannstadt) Oberst Burkhardt von der Klee, Franz Freih., Reg.-Comdt. Egalisierung dunkelrot, Knöpfe gelb Dieses ehrwürdige Regiment blieb bis März 1910. Es ging nach Wien zurück, und Einzug hielt:
das 3. Galizische Ulanen-Regiment Regiments-Stab: Gródek 1. Div.-Stab: Gródek, 2. Hruszów Ersatz-Cadre: Gródek Ergänzt sich aus dem Mil.-Territorial-Bezirke Przemyśl (10. Corps), 1801 errichtet.
1802 Carl Erzherzog, Generalissimus u. FM. (f in Wien, den 30. April 1847) (Das Regiment hat diesen Namen auf immerwährende Zeiten zu führen.) (Zweiter Inhaber war von 1806-1847 Grünne, Philipp Gf., GdC.) Inhaber: 1847-1854 Grünne, Philipp Gf., GdC.; 1854-1861 Liechtenstein, Friedrich Fürst zu, GdC.; 1861-1877 Minutillo, Vincenz Freih. v., FML. Oberst Böhm-Ermolli, Eduard v. Oberst Sachse v. Rothenberg, Friedrich, Reitlehrer-Inst. 315
Oberst Gay er v. Gayersfeld, Alois Krapprote Czapka, Knöpfe gelb Dieses Regiment blieb in unserer Stadt bis zum Zusammenbruch der Donaumonarchie im Jahr 1918. Und schließlich gab es noch ein österreichisches Remonten-Depot östlich unserer Schwesterstädte. Es lag 5 km östlich von Wladowitz in dem kleinen Dorf Nieder-Klecza an der Bahnstrecke nach Kawaria, von dessen Existenz bei uns kaum jem and etwas wußte:
Klecza dolna (bei Wadowice, Galizien) (Aufgestellt 1893) Commandant Schuster, Alfred Freih. v., Major Armeestand Hptm.-Rechnungsführer 2. CI. Hastreiter, Ant. Mil.-Ober-Tierarzt 1. CI. Ustmul, Thomas Ökonomie-Verwalter Metzner, Arthur Ökonomie-Adjunct Hojdzinski, Leon Ökonomie-Adjunct Gruber, Emst Ökonomie-Adjunct Schwarz, Carl
Aus dem Schulwesen in unserem Lande Für das Schuljahr 1904/1905 liegen Zahlen vor, welche die Stärke der deutschen Schülerschaft unserer Volksschulen widerspiegeln. Sie zeigen auch, wo in unserem Ländchen deutsche Schulen waren: Ort Alexanderfeld, deutsche 5klassige Altbielitz, deutsche 5klassige Bistrai, deutsche lklassige Bonkau, deutsch u. polnisch, lklassig Miedzyswiec, deutsch u. polnisch, 2klassig Nickelsdorf, deutsche 3klassige Schwarzwasser, deutsch u. polnisch, 4klassig 316
Schülerzahl 354 414 96 55
211 203 213
Skotschau, deutsche öklassige (Knaben) Skotschau, deutsche Bürgerschule Skotschau, deutsche 7klassige (Mädchen) Ustroń, deutsch u. polnisch, öklassig (2 Schulen) Batzdorf, priv. deutsche 1Massige Schwarzwasser, priv. deutsche 4klassige Volksschule
255 67 277 844 67 180
Die W ilmesauer Volksschule wird ab 1903 vierklassig, und 1906 wird der dreiklassigen katholischen M ädchenschule eine Bürgerschule ange schlossen. 1906 eröffnen die Schwestern »Töchter der göttlichen Liebe« in einem mehrstöckigen Gebäude neben dem alten Schloß eine zweisprachige Leh rerbildungsanstalt in Biala, in der nach 1918 nur noch in polnischer Sprache unterrichtet wurde. 1907, am 22. April, genehmigt das k. k. M inisterium für Kultur und Unterricht die Errichtung der städtischen Leh rerbildungsanstalt in Bielitz. Sie wird am 15. September 1907 eröffnet, ihr erster Direktor wird der Professor unseres Gymnasiums, Eduard Sykora. Sie erhält am 11. Februar 1911 Öffentlichkeitsrecht, die erste Reifeprüfung wird vom 6. bis 12. Juli 1911 abgelegt. Sie ist bis zum Jahr 1923 tätig und wird dann von den polnischen Behörden geschlossen. Im September 1908 geht die Genehmigung für eine katholische Lehrer bildungsanstalt durch das Kultusministerium in W ien für Bielitz bei den »Schulschwestem de Notre Dame« ein. Sie ist bis 1935 in Tätigkeit, auch sie ereilt dann die von den polnischen Behörden ausgesprochene Schlie ßung. Das erste Abitur wurde 1912 abgelegt. Bezeichnend ist, daß der Krakauer Erzbischof Bilczewski im Jahr 1908 der Gemeinde Wilmesau einen Kindergarten stiftete. Das Jahr 1909 bringt die Eröffnungen einer deutschen Schule in Matz dorf als Stiftung des Deutschen Schulvereins und eines polnischen Gymna siums in Biala. In unserer deutschen Oberrealschule ist von 1905 bis 1910 Viktor Terlitza ein tatkräftiger Direktor. A uf kirchlichem Gebiet ist man auch recht rührig. So kann am 8. Septem ber 1900 das Lutherdenkmal in Bielitz enthüllt werden. Es ist eine Arbeit 317
des W iener Bildhauers Franz Vogel, der auch zwei Jahre vorher das Denkmal des Dichters Ferdinand Raimund in W ien gegenüber der Rück seite des Justizpalastes geschaffen hatte. Es ist neben dem Denkmal in Asch (Nordböhmen) das einzige Lutherdenkmal in der österreichischen Monarchie. Im Jahr 1903 wurde Karnitz zur selbständigen katholischen Pfarre erklärt, die bis dahin zu Bielitz gehörte. 1905 wurde ein evangelisches Waisenhaus in Biala gegründet (Kaindl). Die Entwürfe für die Erweiterung der katholischen Kirche in Bielitz, die schon am 26. Januar 1900 beschlossen wurde, waren 1906 fertig. Prämiert und empfohlen wurden jene des W iener Architekten L. Bauer. 1907 wurde die Baubewilligung erteilt, 1907/1908 wurde das alte Schulhaus abgetra gen, um Platz für die Erweiterung zu erhalten. Im Mai 1909 erhielt Bau meister A. J. W alczok den Zuschlag, und am 3. November 1910 erfolgte die amtliche Freigabe des Baues. Die erste Messe konnte am 9. November 1910 abgehalten werden. Eines Mannes sei hier noch gedacht; er hat sich um das Schrifttum über die geschichtliche Entwicklung unserer Stadt und unserer Landschaft ver dient gemacht. Es ist Dr. Erwin Flanslik, ein geborener Seibersdorfer (Kozy). Im Jahr 1971 hat ihm unser Landsmann Prof. Dr. W alter Kuhn in einem Aufsatz ein Denkmal gesetzt. Mehrfach ist auch über eine der Jugendbewegungen in unserer Stadt berichtet worden. Es ist:
Der Wandervogel In Österreich gründete Fritz Kutschera im Jahr 1911 den »Österreichischen Wandervogel«, und dieser hatte auch bald u. a. in Teschen, Bielitz-Biala, Lemberg und Stanislau seine Stützpunkte. In Teschen waren es Fritz Müller und W alter Fulda, die den Anfang machten, spätere Führer waren Ilse Müller, Karl Fiala, Werner Klaus, Hubert Müller und Valentin Solarczyk. In Bielitz-Biala waren es die Studenten Mauthe und Paul Turek, später Karl Czernek, Alfred Karasek, Em st Hehs, Gustav Turek und Kurt Schwa be, die den Wandervogel anführten. Fritz Müller aus Teschen war auch von Mai 1917 bis Juni 1920 Kreisführer des österreichischen Wandervogel 318
kreises Ostschlesien, zu welchem auch Bielitz-Biala, Teschen, Freistadt, Friedek und Mährisch-Ostrau gehörten. Die Bielitzer Mädchengruppe führten Emmi Schmidt, Elfriede Lanz und Heima Simon an. Unter der deutschen Jugend im östlich von uns gelegenen Kronland Galizien bestanden auch schon seit 1908 bzw. 1910 nach Siebenbürger Vorbild einzelne Gruppen, aus welchen dort schließlich W andervogel gruppen hervorgingen, darunter auch einer der Führer, der spätere Mün chener Professor Hans Koch. Man fuhr zu den Gautagen ins Kuhländchen, zum Bundestreffen der österreichischen W andervögel nach Leoben oder ins Karwiner »Haus an der Sonne«. Seit 1924 erschien auch ihre Zeitung »Der Lichtträger«, die 1925 zum »Der Pflug«, Organ des Deutschen Jugendwerkes, wurde und 1928 in den »Domfelder Blättern« aufging. Ihr Ziel war, daß das Ostland Brücke werde zwischen den Völkern, indem sie sich gegenseitig befruchten. Unser Landsmann Prof. Dr. Kuhn war einer der namhaften Vertreter des schlesi schen Deutschtums, der den Reihen des Wandervogels entstammt. Die »Ostlandrundbriefe der Älteren im Wandervogel Bielitz-Biala«, die 1921 bis 1924 zum praktischen Volkstanz aufriefen, und die »OstlandWochen« unterstützten diese Strömung auch geistig. Die »Ostlandbriefe« wurden von Alfred Karasek redigiert unter Mitwirkung - als Hauptmit arbeiter - von Viktor Kauder, W alter Kuhn, Josef Lanz und Helmut Zipser. Hauptwanderziele waren die deutschen Kolonien in Galizien und die hei matlichen Berge, wo unsere Gruppen ein ganzes Netz von zum Teil ganz jährig gepachteten Unterkünften besaßen. Es sei auch noch das Organ der Forschung um Heimat und Volkstum, die in Kattowitz erscheinende Schrift »Schaffen und Schauen«, genannt, die von Viktor Kauder geführt wurde. Hauptmitarbeiter waren Walter Kuhn, Alfred Karasek, Josef Lanz und Helmut Zipser. Die gesamte Jugendbewegung schuf auch ein gewaltiges Schrifttum, an dessen Entstehung u. a. beteiligt waren: Viktor Kauder, Sepp Müller, Wal ter Kuhn, Karasek, Krysta Rudolf und Fritz Müller. An Schriften erschienen: »Die Heimat, Zeitschrift für das ostdeutsche Haus«, Bielitz (1926/27), die »Ostlandrundbriefe der Älteren im Wander vogel Bielitz-Biala Wandervogel«, Bielitz (1921—24) und das »Soldaten blatt des Bielitz-Bialaer Wandervogels«, Bielitz (1917/18). 319
Blick nach Osten (1900-1910) Millionen unseres Nachbarvolkes Polen kamen 1772 unter österreichische Oberhoheit, fanden hier beste Bedingungen, ihrem Zusammengehörig keitsgefühl freien Lauf zu lassen und bei den amtlichen österreichischen Stellen immer ein offenes Ohr für ihre nationalen Belange zu finden. Am 15. Januar 1772 geschah es, daß Polen zum ersten Mal geteilt wurde. Das Land jenseits der Białka kam zu Österreich und wurde nun endlich Inland, die Rolle von Bielitz als Grenzstadt zweier Staaten war zu Ende. Österreich erhält Auschwitz, Neustadt/Zator, Teile des Krakauer Lan des, insgesamt 68.000 Quadratkilometer mit 3 Mill. Einwohnern, als Kö nigreich Galizien. Am 3. Mai 1815 übergibt der W iener Kongreß weitere Landschaften an Österreich: Tarnopol, Zamosc und auch den Kreis Podgorze mit W ieliczka (Groß-Salza). Das Land in der nächsten Umgebung von Krakau wird bis 1846 Freistaat. Er umfaßt 1.100 qkm und steht unter dem Schutz von Rußland, Preußen und Österreich. 1817 ergeht ein kaiserliches Patent über die eigene ständische Vertre tung Galiziens, die Staatsämter werden mit Deutschen besetzt, polnische Schulen werden zum Großteil in deutsche umgewandelt. 1832 wurde Erz herzog Ferdinand d ’Este Statthalter in Galizien, derselbe Ferdinand, der 1809 mit 36.000 Mann ins Herzogtum Warschau einrückte, die Polen vergeblich zum Aufstand bewegen wollte und anschließend W arschau räumen und einen Teil Galiziens mit Krakau dem nachrückenden Ponia towski überlassen mußte. Nun - als Statthalter - ließ er sich vom polni schen Adel in Sorglosigkeit wiegen. Im gleichen Jahr 1832 wurde der »Bund des polnischen Volkes« mit Sitz in Krakau gegründet (1836 nach Lemberg verlegt). 1838 gab es riesige Prozesse gegen Polen dieses Bundes, die Verhafte ten wurden nach Kufstein und auf den Spielberg in Brünn gebracht, kamen aber 1846 wieder frei. In diesem Jahr war nämlich eine Revolution der Polen ausgebrochen, und Erzherzog Ferdinand verlor dadurch seine Statt halterposition. Am 6. November 1846 war inzwischen Krakau Österreich übergeben worden, um wieder Ruhe herzustellen, das dann 1849 als Großherzogtum Bestandteil Galiziens wurde. 320
Es war also allerhand los bei uns jenseits der Białka. Im Jahr 1900 verfügte das Kronland über eine Bevölkerung, die aus 54 Prozent Polen und 42,3 Prozent Ukrainern bestand. 93 Einwohner lebten auf einem Quadratkilometer. In den Jahren 1890 bis 1900 waren etwa 302.000 Menschen ausgewan dert und suchten in der weiten W elt eine neue Heimat, oder sie arbeiteten dort für die Befreiung ihrer Heimat weiter. Galizien war seit der Einglie derung in die Monarchie ein Glacis-Land der ungarischen Reichshälfte, und Galiziens Belange waren seither immer Ungarn stark interessierende Angelegenheiten. Man fand dort schon Öl in großen Mengen (1904: 820.0001 und 890.0001 Steinkohle). Die Unruhe in einigen Teilen des Landes zwang zu besonderen Sicher heitsmaßnahmen. Selbst Wilmesau erhielt 1902 einen Gendarmerie-Po sten. Im gleichen Jahr kommt Piłsudski - aus Petersburg befreit - über London nach Krakau. Er ist heißer Nationalist und plant die Befreiung ganz Polens, reist nach Japan, und es ist seine Idee, eine eigene polnische Armee zu schaffen, deren erste Einheiten 1908 Schützenverbände in Galizien bilden. In den Jahren 1905 bis 1907 hatte es in Galizien eine Revolution gegeben, Streiks der Landarbeiter in Lemberg, Kampf um ein allgemeines Wahlrecht. 1906 wurde dieses Wahlrecht gültig. Das Eigentum und seine Verteilung war bei dem sozialen Unterton, den all die Unruhen hatten, eine eigenartige: 37 Prozent der Fläche war Großgrundbesitz, 8,5 Prozent des ganzen Landes gehörte 21 Magnaten. 1,2 Mill. sind besitzloses bäuerliches Prole tariat, unter 1,008 Mill. selbständigen Landwirten besitzen 200.000 weni ger als 1 Hektar Boden, über 760.000 Landwirte besitzen kaum über 10 ha (Feldmann, S. 304). In den Städten Galiziens bilden 35 bis 60 Prozent Juden die Bevölke rung. Vom 1. bis 3. Juni 1906 findet der größte Judenpogrom Rußlands in Bialystoch statt, 70 werden getötet, 90 schwer verletzt. Öl und Kohle spielen wirtschaftlich neben der Landwirtschaft die größ te Rolle. 1906 hat das Kronland schon 2.940 km Eisenbahnlinien (ganz Österreich: 8.953 km) und erzielt daraus 90 Mill. Kronen an Einnahmen (ganz Österreich: 302 Mill. Kronen). 1905 waren »POWs« ins Leben gerufen worden, militärische Organi sationen, die während der Revolte gegen Rußland arbeiteten. Ihr Haupt 321
quartier wurde nach Biala, der Grenznahe wegen, gelegt (Witt, S. 152). Diese polnischen Schützenverbände lebten in der Illegalität, ihre legale Folgeorganisation war die »Armia Polska«. In Galizien gab es 1910 insgesamt etwa 8 Mili. Menschen, wovon 58,6 Prozent Polen, 40,2 Prozent Ruthenen (Ukrainer) und 1,1 Prozent Deut sche waren. Die Deutschen waren fast zur Hälfte katholisch, die Evangeli schen überwogen leicht (53 Prozent). Für diese rund 82.000 Deutschen betrieb der Staat lediglich 26 deutsche Volksschulen (1910). Alles andere mußte das Deutschtum aus eigenen Mitteln bestreiten. Dagegen gelang im östlich anschließenden Kronland Buchenland (Bukowina) 1910 ein sprach licher Ausgleich nach dem Muster Mährens, der alle Teile befriedigte. In Galizien tobten im gleichen Jahr schwere Kämpfe zwischen Polen und Ruthenen, stritten doch die letzteren erbittert um die sprachliche Gleichstellung und ein höheres Bildungswesen. Den Polen war es ohne weiteres möglich, im Jahr 1910 zur 500-JahrFeier der Schlacht bei Tannenberg in Krakau ein Jagiellonendenkmal einzuweihen, dagegen lehnten sie eine Teilnahme am slawischen Kongreß in Sofia ab, da seit 1909 die Repressalien der Russen gegen Polen Zunah men. Die ostschlesischen Vertreter, vor allem Michejda, bekennen sich 1910 immer noch als »dynastisch und österreichisch« im Schlesischen Landtag. Was man in Rußland aber vorhat, sei am besten wiedergegeben durch einen Aufruf des Präsidenten der »Slawischen Gesellschaft« in Moskau vom 16. September 1910. Alles was damals als Traum und Ziel erschien, ist heute schon längst Wirklichkeit geworden. Der Aufruf hatte nachstehenden Wortlaut: »Die Gesellschaft nimmt in ihren Reihen alle auf, die den Vorteil Rußlands in der engen Annäherung desselben an die 40 Mill. Slawen außerhalb Rußlands und der Vereinigung mit diesem in einem Sławien, das bis zur Adria, dem Ägäischen und Mittelländischen Meer mit einer Bevöl kerung von 200 Mill. reicht, sehen.« Ohne Frage eine Beeinflussung der Völker der Donaumonarchie von außen mit, wie man später sah, ungeheurer Sprengwirkung. Und es war auch im Jahr 1910, am 10. November, als der Abgeordnete Dobemig im österreichischen Reichsrat erstmals die Gefahr aufzeigte, welche dem Staat auch aus der Propaganda des Abgeordneten Dr. Kra marsch durch seine Tätigkeit für den Neoslawismus erwuchs. (Aus: »Die 322
Tschechen im Kriege«) Auch im Schlesischen Landtag war der Führer der neuen »Schlesischen Volkspartei« bei Etat-Beratungen gegen das Über handnehmen der Polenpropaganda und die Arbeit der Michejda-Gruppe aufgetreten.
Eine Reihe von Schwierigkeiten Unser Staat setzte sich ja, wie die Volkszählung des Jahres 1910 ergab, aus 9,95 Mill. Deutschen, 6,42 Mill. Tschechen und Slowaken, 4,96 Milk Polen, 3,51 Milk Ruthenen (Ukrainern) und 0,77 Milk Italienern zusam men, was eine Gesamtzahl von 25,61 Milk Menschen ergibt. A uf 61,2 Prozent dieser Gesamtbevölkerung der österreichischen Reichshälfte wirkte nun diese auseinanderstrebende Propaganda von innen als auch von außen her. Man kann sich leicht vorstellen, welcher enormen Abwehrauf gabe nun die den Staat zusammenhaltenden Kräfte gegenüberstanden, und das über Jahre hinweg. In Ungarn gab es zusätzlich noch 2 Milk Deutsche. Insgesamt lebten in der ganzen österreichisch-ungarischen Monarchie rund 12 Milk Deutsche, die die Hauptlast des schweren nationalen Abwehrkampfes zu tragen hat ten. Von Deutschland aus gesehen, waren diese 12 Milk Deutschen ja Aus länder, die nicht interessierten, und von innen wurden sie aus politischen Gründen immer mehr benachteiligt, und das vom deutschen Herrscherhaus Habsburg her. Die Ausgaben dieses Staates hatten sich auch seit Jahren zuungunsten der militärischen Ausgaben verschoben, die jetzt, 1910, nur 15,7 Prozent gegen 24,1 Prozent im Jahr 1870 ausmachten. Der technische Fortschritt verschlang 26,7 Prozent gegen einst 3,57 Prozent. Auch die Ausgaben für die Volksschulen waren gegenüber dem Aus land wesentlich geringer. Sie lagen bei 2,18 Milk Kronen in Österreich, einschließlich der Lehrer und Lehrerbildungsanstalten bei 8,12 Milk Kro nen, gegen 130 bzw. 165 Milk Mark in Preußen oder 150 Milk Francs in Frankreich.
323
Das österreichische Schlesien 1910 Das Kronland umfaßte 5.146 qkm, drei Städte hatten ein eigenes Statut, neun Bezirkshauptmannschaften, 25 Gerichts-, 12 Schul- und 25 Steuer amtsbezirke gab es im Lande. Dieser Apparat verwaltete die Belange von 325.530 Deutschen (43,9 Prozent), 180.341 Tschechen (24,3 Prozent) und 235.224 Polen (31,7 Pro zent). Zusammen waren das 741.095 Menschen. Von ihnen waren 84,5 Prozent katholisch, 13,5 Prozent evangelisch, 1,7 Prozent jüdisch und 0,3 Prozent anderer Religionszugehörigkeit. Die Volkszählung im Jahr 1910 ergab für die schlonsakischen Stimmen einschließlich Bielitz-Biala und Alzen-Wilmesau, aber ohne den tschechi schen Bezirk Friedek für Deutsche und Schlonsaken zusammen 174.097 (51,7 Prozent), für die Polen 132.849 (39,4 Prozent) und die Tschechen 30.000 (8,9 Prozent) (Witt, S. 76). Das gleiche Stimmenergebnis gibt auch Bosl (Bd. 3, S. 411) für die Landtagswahl 1909 an. Als Umgangssprache gibt W itt für das ganze Teschener Schlesien an: Polnisch 233.850, Tschechisch 115.597 und 76.923 Deutsch. Im später tschechischen Teil Österreichisch-Schlesiens lebten 1910 156.023 Polen. Und der Pole Kowalak gibt in seinem Buch »Die deutsche Presse in Polen« (Warschau 1971, S. 28) für das Jahr 1910 die Zahl von 42.000 Deutschen im Teschener Schlesien an. Das Teschener Schlesien mißt etwa 2.300 qkm mit 434.821 Einwoh nern und hat vier politische Bezirke: Teschen, Friedek, Freistadt und Bielitz (nach Witt, S. 15). In Südtirol lebten 1910 223.711 Deutsche und in Welschtirol (Fersen tal, Lusern usw.) weitere 10.867 - zusammen 234.568 Deutsche im süd lichsten Teil des einstigen Donaureiches. In der deutschen Sprachinsel Gottschee lebten 1910 14.300 Deutsche (zur Umsiedlung im Jahr 1939 meldeten sich 15.000, die dann auch 1941 umgesiedelt wurden). Im Mährisch-Ostrauer politischen und im Gerichtsbezirk gab es 1910 52.254 Tschechen und Slowaken, 43.240 Deutsche, 12.845 Polen und 2.777 Staatsfremde. Witkowitz war mit 27.000 zu zwei Dritteln deutsch. Gerichtsbezirk Friedberg/Mistek: Böhmisch-mährisch-slowakische Einwohner: 32.990, Deutsche: 3.457, Polen: 199, Staatsfremde: 270. 324
Im Teschen waren unter 21.000 Einwohnern 1.500 Tschechen, und in Bielitz waren unter 18.500 Einwohnern nur 186 Tschechen. Aus dem Jahr 1912 liegen ziemlich genaue Angaben über die Schulen des Bielitzer Landes vor. Die Stadt Bielitz verfügte über folgende deutsche Volksschulen: Zennerberg: 546 Kinder, lOklassig, Kirchplatz: 25klassig mit 243 und 298 Kindern, Giselastraße: zwei fünfklassige mit 191 und 199 Kindern. An Bürgerschulen besaß die Stadt Bielitz: Zennerberg: eine vierklassige mit 164 Kindern, Kirchplatz: eine vierklassige und eine siebenklassige mit 184 und 260 Kin dern. Deutsche private Volksschulen gab es eine (Notre Dames), sechsklassig mit 619 Kindern, sowie eine deutsche private Bürgerschule, ebenfalls Notre Dames, dreiklassig mit 115 Kindern. Die Stadt beschäftigte 33 Volks Schullehrer und 18 Bürgerschullehrer. Im Schulbezirk Bielitz-Land gab es je eine deutsche Volksschule in: Alexanderfeld, sechsklassig mit 373 Kindern, Altbielitz, achtklassig mit 385 Kindern, Bistrai, einklassig mit 78 Kindern, Karnitz, sechsklassig mit 405 Kindern, Oberkurzwald, vierklassig mit 289 Kindern, Lobnitz, dreiklassig mit 202 Kindern, Nickelsdorf, dreiklassig mit 204 Kindern, Schwarzwasser, vierklassig mit 259 Kindern und Skotschau, eine fünf- und eine siebenklassige mit 277 und 281 Kindern. Dazu bestanden noch nachstehende private deutsche Volksschulen: Batzdorf, einklassig mit 60 Kindern (Pflichtschule), Dzieditz, fünfklassig mit 442 Kindern (Deutscher Schulverein), Emsdorf, zweiklassig mit 106 Kindern (Deutscher Schulverein Wien), Matzdorf, zweiklassig mit 106 Kindern (auch Schulverein Wien), Schwarzwasser, fünfklassig mit 214 Kindern (Notre Dames). In Skotschau existierte eine deutsche Bürgerschule mit 104 Kindern; sie war dreiklassig, und eine private deutsche Bürgerschule, zweiklassig mit 42 Kindern, gab es noch in Schwarzwasser (Notre Dames). Der Schulbezirk Bielitz-Land beschäftigte 193 deutsche Volksschulund fünf Bürgerschullehrer. 325
Im Schuljahr 1913/14 gab es im österreichischen Schlesien an M ittel schulen: sieben deutsche Gymnasien, fünf deutsche Realschulen (mit 1.273 deutschen, 12 tschechischen und 121 polnischen Schülern), zwei tschechische und zwei polnische Gymnasien, zwei deutsche Mädchenly zeen und ein tschechisches. An Lehrerbildungsanstalten standen zur Verfügung: drei deutsche, eine deutsch-polnische, eine tschechische und vier deutsche Lehrerinnenbil dungsanstalten. Zum Gerichtsbezirk Bielitz gehörten folgende Ortsgemeinden: Alexan derfeld, Altbielitz, Batzdorf, Bistrai, Braunau, Tschechowitz, Dzieditz, Ellgoth, Emsdorf, Heinzendorf, Karnitz, Ober- und Niederkurzwald, Lob nitz, Matzdorf, Nickelsdorf und Zabrzeg. Fast jede Gemeinde des Bielitzer Schulbezirks hatte eine deutsche Lehrstätte für die Jugend. Aus dem Jahr 1910 liegen auch noch eindeutige Zahlenangaben über die deutsche Bevölkemng vor, die das Bild unseres Raumes im Hinblick auf die Stärke und die Ausbreitung der Bielitzer Sprachinsel abmnden sollen. Die Zahlen stammen aus den statistischen Angaben und Ergebnis sen der Volkszählung in diesem Jahr für das einstige österreichische Ost schlesien, das historische Herzogtum Teschen, und für die deutschen Ge meinden des Herzogtums Bielitz. Sie lassen klar erkennen, welche Stadtund Dorfgemeinden zur »Sprachinsel um Bielitz« gehörten:
Bielitz-Biala und Umgebung (1910) Die Volkszählung von 1910 ergab:
In s g e s a m t B ie litz -S ta d t B ie litz -L a n d D a v o n e n tfie le n a u f: A le x a n d e rf e ld A lt-B ie litz B a tz d o r f B is tra i K a rn itz L o b n itz N ik e lsd o rf O b e r- K u rz w a l d
326
E in w o h n e r
P o le n
T sch ech en
D e u tsc h e
A n d e re
93 222 18 568 34 654
22 854 (42,9 •/.) 2 568(13,8 ®/o) 20 286 (58,5 •/.)
539 136 403
28 639 (53,8 •/•) 15 144 (81,6 Vo) 13 495 (38,9 •/.)
1 190 720 470
3 5
2 082 (86,1 •/.) 2 630(91,0*/.) 494 (75,4 •/•) 283 (51,7 •/.) 3 128 (92,3 •/.) 635 (77,6*/.) 1 230 (82,9 •/.) 1 092 (66,5 •/.)
2 417 2 888 655 547 3 389 818 1484 1 642
332 253 161 264 257 183 254 550
— —
4 — — —
Nach der religiösen Aufgliederung gab es in Bielitz-Stadt sowie BielitzLand in den Jahren 1880, 1890, 1900 und 1910 folgende Veränderungen: B ie litz -S ta d t: In s g e s a m t K a th o lik e n E v an g eU sch e Juden S o n s tig e B ie litz -L a n d : In s g e s a m t K a th o lik e n E v a n g e lisc h e Juden S o n s tig e B ie litz S ta d t u n d L a n d : In s g e s a m t D e u tsc h e P o le n T sc h ec h e n
1880 13 060 6 337 5 054 1 660 9
in */« 48,52 38,70 12,71 0,07
1880 23 436 13 838 9 199 394 5
in •/• 59,05 39,25 1,68 0,02
1880 35 720 19 448 16 038 234
in •/• 54,45 44,90 0,65
1890 14 573 7 754 4 824 1 977 18
in */• 53,21 33,10 13,57 0,12
1890 25 753 15 553 9 729 471 -- -
in “/• 60,39 37,78 1,83 '--
1890 38 254 19319 18 430 505
in •/• 50,50 48,18 1,32
1900 16.597 9 461 4 662 2 460 14
in*/» 57,00 28,09 14,82 0,09
1900 28 400 17 872 9 884 644 —
i n '/» 62,93 34,80 2,27 —
1900 44 084 24 099 19 745 240
in •/• 54,67 44,79 0,54
1910 in*/» 56,74 26,68 16,28 0,30
18 568 10 533 4 955 3 024 56
1910 34 654 23 268 10 584 781 21
in */• 67,14 30,54 2,25 0,07
1910 52 032 28 639 22 854 539
in •/• 55,04 43,92 1,04
Eine Zahl liegt noch aus dem Jahr 1910 für Bielitz einschließlich der es umgebenden 8 deutschen Dörfer vor. Sie besagt, daß von 32.408 Einwoh nern 26.718 Deutsche sind, was 82,5 % der Bevölkerung ausmacht. In Biala waren von 8.264 Einwohnern 6.531 = 79,3 % Deutsche. In Al zen waren von 2.651 Einwohnern 2.313 = 87,3 % deutsch. In Kunzendorf waren von 8.417 Einwohnern 5.552 = 65,9 % deutsch. In W ilmesau waren von 1.816 Einwohnern 1.191 = 65,5% deutsch. Biala und seine drei deutschen Dörfer zählten unter 21.141 Einwohnern 15.401 Deutsche, was 73 % entspricht. Zusammen sind also in unserer gesamten Sprachinsel 1910 unter 53.549 Einwohnern 42.119 Deutsche gewesen, was 78,8 % ihrer Bevölke rung ausmachte. In der weiteren Umgebung sind für 1910 noch nachstehende Ortsdaten bekannt: Tschechowitz: 6.820 Einwohner, 611 Deutsche = 9% , Matzdorf: 1.582 Einwohner, 144 Deutsche = 9% , Ellgoth: 1.772 Einwohner, 22 Deutsche = 1%, Niederkurzwald: 1.642 Einwohner, 1.092 Deutsche = 67% , Schwarzwasser: 1.513 Einwohner, 824 Deutsche = 55% , Bobrek: 2.790 Einwohner, 438 Deutsche = 16%, Golleschau: 2.398 Einwohner, 159 Deutsche = 7% , Ochab: 1.080 Einwohner, 72 Deutsche = 6% , Pogorsch: 861 Einwohner, 61 Deutsche = 7 %, Pruchna: 1.425 Einwohner, 43 Deut 327
sehe = 3% , Ustroń: 4.265 Einwohner, 333 Deutsche = 3 % , Skotschau: 3.705 Einwohner, 1.863 Deutsche = 50% , Teschen: 21.550 Einwohner, 13.254 Deutsche = 62% , Polnisch-Teschen: 13.368 Einwohner, 8.721 Deutsche = 65 %. Im Bezirk Bielitz waren unter 66.885 Einwohnern 29.984 = 45 % deutsch. Im Bezirk Teschen waren unter 70.639 Einwohnern 12.219 = 17 % deutsch. Der Gerichtsbezirk hatte 1910 folgende Einwohnerzahlen (Witt, S. 38): Skotschau: 33.127 Einwohner, davon 2.706 Deutsche, 30.114 Polen, 159 Tschechen und 148 andere. Schwarzwasser: 15.054 Einwohner, davon 1.430 Deutsche, 13.180 Po len, 101 Tschechen und 342 andere. Und nun noch einige Daten und Begebenheiten aus unserer engsten Heimat aus dem Jahr 1910: In diesem Jahr entschloß man sich zum Bau eines neuen Gebäudes für die Staatsgewerbeschule mit einem Kostenaufwand von voraussichtlich 1,6 Mill. Kronen, die aus städtischen Mitteln erbracht werden mußten. Die Bauzeit sollte etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen, man rechnete in der zweiten Hälfte des Jahres 1913 mit der Eröffnung. Am 1. August 1910 wurde begonnen. Es gab auch staatliche Zuschüsse für die Innenausstat tung im W erte von 1,7 Mill. Kronen. Die Eröffnung fand am 1. Oktober 1913 statt. Die chemische Abteilung wurde nach W ien verlegt. Direktor der Bielitzer Oberrealschule wurde 1910 Friedrich-Wilhelm Bock, der Viktor Terlitza ablöste und bis 1921 amtierte. Unser Theater florierte und hatte sich in der Donaumonarchie bereits einen guten Namen erworben. Das 1890 gegründete Unternehmen war Eigentum der Stadtgemeinde Bielitz, und der Bau bot 486 Besuchern Sitzplätze, 22 Logen und 200 Stehplätze. Die Jahresmiete an die Stadt betrug 1.050 Kronen, und in den sechs Monaten vom 1. Oktober 1909 bis 20. März 1910 erhielt das Theater eine städtische Subvention von 2.000 Kronen. Die Preise waren zu dieser Zeit von 0,60 bis 3 Kronen für die Sitz-, von 6 bis 11 Kronen für die Logen und 0,40 bis 0,80 Kronen für die Stehplätze festgelegt. Es gehört zu unseren schönsten Jugenderinnerungen, Zeuge gewesen zu sein, wenn schöne, festliche und frohe Vorstellungen unter rauschendem 328
Beifall abliefen. Bielitz und sein Theater waren zwei fest miteinander verbundene Begriffe. Bielitz ohne Theater wäre kaum denkbar gewesen. In der deutschen Theatergeschichte nimmt auch dieses »Provinztheater« ei nen festen und sehr gut beleumundeten Platz ein. Es bleibt für uns alle unvergessen. Der Bau selbst bleibt stummer Zeuge deutscher Kulturleistung in alle Zukunft. Unser 1906 gegründetes Museum gewährte zunächst freien Eintritt, im Jahr 1910 konnte es 692 Kronen als Einnahmen und ebensoviel Ausgaben vermerken. Auch die Bielitzer Kinogeschichte beginnt im Jahr 1910, als im Hotel »Kaiserhof« das erste Bielitzer Kino mit etwa 100 Plätzen seine Pforten öffnete. Später folgte das Kino »Wanda« in Biala nahe dem Rathaus, dann das »Rialto« im »Viribus unitis«-Haus auf dem Pasternak und schließlich das »Apollo«. Im gleichen Jahr wurde auch der Arbeiter-Athletenklub »Solidarität« ins Leben gerufen. In Biala verzeichneten die Protestanten der Stadt nur 1,2% Analpha beten (übrige: 5,5 %). In der späteren Krakauer Woiwodschaft, also dem Gebiet östlich der Białka, hatten die deutschen Protestanten 3,5 % dieser Benachteiligten (nach Kuhn, 1930, »Deutsche Blätter«, S. 243). Am 1. November 1910 verzeichnete die Alzener Spar- und Darlehns kasse 32 Mitglieder, ein Zeichen des lebhaft verfolgten Selbsthilfe-Gedan kens dieser exponierten Deutschen dort. 1910 konnte auch das Touristenschutzhaus auf der Romanka fertig werden, das in einer Höhe von 1.366 Metern errichtet wurde. Es erhielt den Namen »Funke-Hütte«. Leider setzte um diese Zeit aus polnischen Kreisen eine Gegenbewe gung gegen die touristische Tätigkeit unseres deutschen Beskidenvereins ein, wobei es auch zu verschiedenen Ausschreitungen gegen deutsche Touristen kam. Unsere Industrie erlebte in den beschriebenen 10 Jahren Teile zweier Konjunkturperioden. Die eine ging mit 1901 zu Ende, und die andere begann ab 1905, dazwischen lagen depressive Zeiten. Ebenso folgte dem Jahr 1908 eine solche Zeit. Insgesamt kann aber diese Dekade zur »Zwei ten Gründerzeit« zugehörig angesehen werden, in welcher sich rasch die 329
Entstehung von Großbetrieben herausbildete. Kleine Betriebe konzentrier ten sich zu größeren, der Kampf zwischen Handwerk und maschineller Erzeugung war aber bereits entschieden. Bei uns gab es nur noch unbedeu tende Reste einstiger blühender Handwerksbetriebe. Die Mechanisierung machte rasche Fortschritte, die Banken forcierten die Industriefinanzierun gen, und Bielitz erzeugte zu Anfang dieser Dekade rund 300.000 Stück Tuch pro Jahr. Von 1880 bis 1910 hatte sich die Produktion an W ollprodukten verdreieinhalbfacht. Der Bielitzer Platz zahlte allein schon 1904 493.916 Kronen an Gesamtsteuem. Der Anteil des Bielitzer Platzes an der Wollindustrie Öster reichs lag um 1904 bei etwa 22,5 % der Schafwollspinnereien, bei 17 % der Schafwollwebereien und bei 7,5 % der Färbereien und Appreturen. Das waren recht beachtliche Anteile für unsere kleine Sprachinsel. Der Bergbau im Bielitzer Gebiet, nur wenig erwähnt, zeigte ab 1913, bedingt durch die später eintretenden Kriegsereignisse, keine ansteigende Tendenz mehr; 1913: 1,84 Mill. Tonnen, 1914: 1,59, 1915: 1,50, 1916: 1,75, 1917: ebenso, 1918: 1,43 Mill. Tonnen Steinkohle. Die Zahlen der Beschäftigten in der Dzieditzer Montangesellschaft sahen ähnlich aus; 1913: 1.007 Tätige, 1914: 897, 1915: 627, 1916: 597, 1917: 794 Bergleute. Die Zahl von 1918 liegt nicht vor. Unser schlesisches Kronland stand unter der Bergdirektion W ien (eben so Mähren und das Buchenland. Mähren hatte zwei Berg-Revierämter, zum Mährisch-Ostrauer Amt gehörte auch unsere Heimat. Schlesien selbst besaß keines). Unsere Eisenbahnen unterstanden der k.k. Eisenbahndirektion in 01mütz.
330
Schlußbemerkungen zum zweiten Band Mit diesem Querschnitt durch unsere heimatlichen Belange stehen wir auch vor dem Ende einer ganzen Epoche: Unser Staat, die k. u. k. Monar chie, ist durch die Nationalitätenstreitigkeiten stark belastet worden, und selbst gute Kenner der Verhältnisse und begeisterte Anhänger dieses Mu sterbeispiels eines partiellen, »vereinigten Europas« fürchteten um seinen Bestand. W ir stehen aber auch vor dem Ende einer friedlichen Epoche unseres gesamten Kontinents. Die Heimat stand auch nur wenige Jahre vor dem Ende ihrer Zugehörigkeit zur Donaumonarchie und ihrer Hauptstadt Wien. 392 Jahre Frieden hatte unsere Landschaft nun hinter sich, aber sehr viel Ungewißheit hatte sie vor sich. Nach dem Ringen um die Mechanisierung unserer Industrie folgte nun eine unruhige Periode der Vorbereitung eines gewaltigen Wandels mit für uns damals noch ungeahnten Folgen; einem fürchterlichen Krieg und der Zerstörung der ausgewogenen Mitte Europas. Aber das war nur der An fang. Nach der Überwindung der größten Härten auf sozialem Gebiet folgte nun eine Reihe von Ideologien, alle mit dem Ziel, die W elt auf jeden Fall zu verbessern. Dieses Geschehen wird im dritten Band geschildert. Er befaßt sich mit den mehrfachen staatlichen Zugehörigkeitswechseln, mit den Veränderun gen, den neuen Herren und den zwangsläufigen Bedrückungen in unserer Lebensweise und vor allem dem Verlust des im alten Österreich gewohn ten und auch allseits geliebten Regierens »mit dem lockeren Zügel«. Neun zehn polnische Jahre lehren uns, das Verlorene noch mehr zu schätzen. Der dritte Band enthält dann auch die Ereignisse, die vor und während des Zweiten W eltkrieges wirksam waren, und das Ende des Krieges mit seinem für uns so bitteren Verlust unserer Heimat. Die 700jährige deutsche Sprachinsel hörte auf zu existieren, und das Europa, das bisher nur Euro päer gestalteten, war zu Grabe getragen. Die fleißigen Bewohner unserer Sprachinsel zogen in alle W elt und leben heute vornehmlich verstreut im gesamten deutschen Sprachraum. Der dritte Band schildert eben dann noch die letzten 35 Jahre unserer so glücklichen Zeit dort vor den Bergen, im südlichsten Zipfel Schlesiens.
331
A nhang
Der Weg der Juden nach Bielitz Unter diesem Titel erschien in mehreren Folgen die Schilderung der An fänge einer Ansiedlung erster Juden im Bielitz-Bialaer Raum. Damals 1975 und 1976 - auf Wunsch des Vorsitzenden der in Österreich lebenden geflüchteten Landsleute, Karl Schnür, im »Mitteilungsblatt des österreichi schen Heimatbundes Beskidenland« abgedruckt, wird dieser Aufsatz nun als Anhang diesem Band von »Ganz am Rande Schlesiens liegt Bielitz« auf Wunsch des Bundesvorsitzenden der »Heimatgruppe Bielitz-Biala«, Fritz Pokorny, angefügt. Ich habe für diesen Bericht ausschließlich Unterlagen aus jüdischer Feder verwendet, eine entsprechende Zusammenstellung des Schrifttums befindet sich am Schluß der Ausführungen. Dankenswerter weise hat auch die Nationalbibliothek Jerusalem mehrere Werke zur Ver fügung gestellt. Die ersten Juden kamen im 17. Jahrhundert und wurden 1677 erstmals urkundlich erwähnt (nach Brilling). Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren etwa 7.000 Juden im Raum Bielitz und Biala ansässig und hatten ein lebendiges Gemeindeleben ent wickeln können. 1907 existierten allein 16 jüdische Vereine aller Art in Bielitz. Ihre Mitglieder kamen aus allen Schichten der jüdischen Bevölke rung und hatten auch maßgebenden wirtschaftlichen Einfluß in den Schwe sterstädten und ihren Dörfern. Das Zusammenleben war, nach den Bedin gungen der österreichischen Reichshälfte, durchaus verträglich. Siegert/ Peer berichten in ihrem Buch »Das blieb vom alten Österreich« sogar wörtlich: »In den kleinen Städtchen (Ostgaliziens) blickten die Juden hin über nach Wien, dort wohnte, unerreichbar wie ein Gott in den Wolken, der uralte Kaiser Franz-Josef, und sie lobten und liebten in Ehrfurcht diesen fernen Kaiser wie eine Legende ...« (nach dem jüdischen Schriftsteller Joseph Roth [1894-1939] in seinem Buch »Radetzkymarsch«). Sie blieben auch bis zum Zerfall der Monarchie kaisertreu. In der Nachfolgezeit der 19 polnischen Jahre (1920-1939) konnten die Juden in unserer Heimat im großen und ganzen unbehindert leben und arbeiten, abgesehen von fallwei332
sen Übergriffen (z. B. auf das Geschäft des Herrn Eichner auf dem Bielitzer Ringplatz). Vor einigen Jahren veranstaltete der Matura-Jahrgang 1931 des Bielit zer deutschen Gymnasiums ein Wiedersehenstreffen auch mit den Mit schülern mosaischen Glaubens, das, im Ganzen gesehen, ein Erfolg war. Der oben erwähnte Aufsatz hatte nachstehenden Wortlaut:
Der Weg der Juden nach Bielitz (von Gerhard Wurbs) D ie Vorgeschichte
Zwischen der Offenbarung am Berge Sinai und dem ersten Auftreten von Juden in Bielitz liegen lange und bewegte Jahre. Damals führte der sagen hafte jüdische Religionsstifter Moses die Israeliten aus Ägypten zurück nach Palästina. Man nimmt hierfür die Zeit um 1230 vor Christus an. Aus dieser Zeit stammen die Tafeln mit den Zehn Geboten. Die ältesten ge schichtlichen Erinnerungen im Alten Testament reichen zwar noch weiter zurück, sind aber sehr unbestimmt. Um 1220 wird der Name Israel erstmals erwähnt, es beginnt die Landnahme in Palästina, und um das Jahr 1000 vor Christus schätzt man in Israel etwa 300.000, in Juda etwa 250.000 Einwoh ner. In dieser Zeit kommt auch die hebräische Schrift auf, und zwischen 960 und 925 wird der Höhepunkt des vereinigten Reiches angenommen. Dann greift der Verfall des Reiches um sich. Ägypter erobern Jerusalem. Im 9. Jahrhundert vor Christus ist Israel tributpflichtig. 722 vor Christus wird Israel assyrische Provinz, 30.000 Einwohner gehen in die Gefangen schaft. Ein selbständiger Staat Israel entsteht erst wieder 1948 nach Chri stus. 2.670 Jahre später! Dazwischen liegen Zerstreuung in alle Welt, Iso lierung, Sonderstellung, Verfolgung, Assimilierung, Wanderschaft, Eman zipation, aber auch Atheismus und Materialismus, Sozialismus, Absolutis mus und Demokratie. Über den Ursprung der Feindschaft gegen Juden und Christen schreibt Emil Frenzei, daß die Juden dem Kaiser des römischen Reiches die göttliche Verehrung versagten, die er forderte und die ihm auch von den anderen Religionen seines Reiches gezollt wurde. Sie werden zur isolierten Minderheit und leben schließlich in geschlossenen Gemeinden. In den Jahren 587 bis 539 vor Christus ist den Juden die babylonische Gefangenschaft auferlegt. Hier entsteht die eigentliche Ausprägung der 333
jüdischen Religon. Im 5. Jahrhundert vor Christus soll es eine halbe Milli on Juden auf der Erde gegeben haben. Im Jahre 161 vor Christus erbitten die Juden römische Intervention, die syrische Besatzung Jerusalems wird vertrieben. Das jüdische Gebiet wird unabhängig. 37 vor Christus besteigt Herodes den Thron Judäas. In seine Zeit fällt die Geburt Jesu. Nach einem Aufstand gegen Rom wird Judäa römische Provinz (67 nach Christus). 100 nach Christus soll es etwa 4,5 Millionen Juden auf der Erde gegeben haben. In den nächsten Jahrhunderten scheinen Juden in Ägypten und der Cyrenaika, in der Sahara, im 4. Jahrhundert in Spanien, 321 zuerst auf deut schem Boden in Köln, im 5. Jahrhundert auch in den Euphratländem unter persischer Herrschaft auf. Um 600 legt Papst Gregor der Große die Grundzüge für die Behandlung der Juden fest. Das Land der Juden, Palästi na, wird von 636 bis 1918 mohammedanischer Besitz, mit Ausnahme der Kreuzfahrerzeit. Im Reich Karls des Großen hatten die Juden die Stellung von Landfrem den, waren entweder rechtlos oder unterstanden dem Schutz des Königs direkt. Die sogenannte Kammerknechtschaft brachte ihnen große Vorteile, für sie bestand das Verbot des Zinsnehmens nicht, und sie besaßen zum Teil die Zoll- und Marktfreiheit, sie wendeten sich dem Handel und dem Geldausleihen auf Zins zu, namentlich der Pfandleihe. Sie standen außer halb der Zunftordnung. Im 9. Jahrhundert sind Juden in Mainz nachgewie sen. Unter den Karolingern erleben die Juden ihr »goldenes Zeitalter«, im fränkischen Reich litten sie. Im 10. Jahrhundert leben Juden in Worms, Merseburg und auch in Regensburg. In Wien werden ebenfalls erste Juden erwähnt, wo der Jude Schlom 1194 bereits Münzmeister ist, im 11. Jahr hundert beginnt die Einwanderung von ersten Juden nach Polen: Älteste Gemeinden sind Plock, Kalisch, Krakau, Lemberg und Sandomierz. Im gleichen Jahrhundert kommen sie auch nach England. Die Zeit des ersten Kreuzzuges bringt Verfolgungen in Süd- und Westdeutschland, vom 12. Jahrhundert an muß der behördlich vorgeschriebene spitze Hut, meist gelb mit weißem Rand, getragen werden, der Leibzoll wird üblich. Im 12. und 13. Jahrhundert gibt es Judenverfolgungen in Frankreich, England und in Bologna.
334
D ie Juden in Schlesien
Die Existenz von Juden in Schlesien geht bis ins 12. Jahrhundert zurück, der älteste Grabstein, in Breslau gefunden, trägt das Datum vom 4. August 1203, und seit 1267 gibt es harte Ausnahmebestimmungen mit dem Ziel, Juden und Christen zu trennen und den Juden Beschränkungen im Geld handel aufzuerlegen. Seit dem 13. Jahrhundert müssen die Juden in Italien Abzeichen tragen. M it den deutschen Kaufleuten zogen auch jüdische Händler und Geldmänner nach dem Osten bis tief nach Polen und Rußland und nehmen die deutsche abgewandelte Sprache, das Jiddische, mit auf ihre Reise, sie nehmen auch deutsche Familiennamen an. Schlesien ist ein zusätzliches Ziel. 1264 wird das erste Judenprivileg in Polen nach dem österreichischen Muster von 1254 erlassen. Es war auch Vorbild für Böh men, Litauen, Herzog Heinrich III. von Glogau und Mähren. Heinrich IV. gibt in Schlesien den Juden Autonomie, aus England werden sie 1272 bis 1304 durch Eduard I. vertrieben, 1285 bis 1314 erneut aus Frankreich. 1281 sind Juden in Troppau belegt, in Krakau ist 1304 schon eine Judengasse bekannt. 1356 ergeht ein Judenprivileg in Lemberg, 1386 sind Juden in Jägem dorf erwähnt, und von 1392 ist der älteste Grabstein von Teschen belegt. Im 15. Jahrhundert geht die geistige Führung des Weltjudentums auf das deutsche und polnische Judentum über, aus Rußland werden sie zu dieser Zeit ausgewiesen, in Italien leben sie zum Teil seit dem 15. Jahr hundert in Ghettos, später auch in Spanien und Portugal. Aus Brünn, Znaim, Ölmütz und Neustadt werden sie vertrieben. Ebenso aus Iglau und Neutitschein. Seit 1469 sind Juden in Neusandetz vorhanden, und bis 1508 war Mährisch-Ostrau den Juden verboten. Erst jetzt genehmigt der Lan desfürst einem Juden, sich anzusiedeln. Andere folgen. Aus dem Jahr 1526 meldet man Vertreibungen aus Ungarn, 1527 aus Warschau. Vor 1563 waren schon Juden in Auschwitz ansässig. 1573 werden sie aus Brandenburg vertrieben, und nach königlichem Edikt von 1582 müssen die Juden Oberschlesien verlassen. Nur in Glogau und Zülz dürfen sie bleiben. Im 17. und 18. Jahrhundert bessert sich die Lage der Juden, da die Fürsten vielfach auf ihre finanzielle Macht angewiesen waren und sie zum Teil großen Einfluß besitzen. Aus dem 17. Jahrhundert stammen die ersten Erwähnungen von Juden in Sosnowitz, Chrzanów, Zawiercie (Warthegau) 335
und Bendzin. 1640 wurde Jacob Singer, ein Jude, Zollpächter in Teschen. Es ist die Zeit der letzten Piastenregentin Lucretia. Die Einhebestelle wurde während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) auf den Jablunkapaß verlegt. Sie sollte zunächst nur als Aushilfszollstation gelten, blieb aber auch nach dem Krieg bestehen. Es war ja hier die Grenze zwischen Schlesien und Ungarn seit alters her. Zu dieser Zeit wurde oft versucht, diese Grenzstation zu umgehen, und zwar versuchte man, über B ielitz-Saybusch billiger wegzukommen. Am Jablunkapaß soll es sechsmal so hohen Zoll gegeben haben. Zwischen diesem Zolleinnehmer von Teschen und der ersten Ansied lung von Juden in Bielitz, die für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts angegeben wird, muß ein Zusammenhang bestanden haben. Aus unserer Kaiserstadt W ien werden die Juden 1670 vertrieben, sie wenden sich nach Mähren und weiter nach Berlin und Brandenburg.
D ie Juden in Bielitz
Über die Anfänge der Ansiedlung der Bielitzer Juden schrieb Dr. B. Brilling im Jahre 1964 einen Aufsatz, der in der »Zeitschrift für die Geschichte der Juden« (Tel Aviv) erschien. Dr. Brilling lebte in Münster. Nach seinen Forschungen werden Juden zum erstenmal im Jahre 1677 in Bielitz er wähnt. Es war gerade jene Zeit, in welcher ein Regierungswechsel in der Herrschaft Bielitz eintrat. Julius von Sunnegk - der Herr von Bielitz - war 1670 in den Grafenstand erhoben worden und starb 40jährig im Jahre 1676. Sein Nachfolger, Sohn Julius-Gottlieb, war damals erst 11 Jahre alt, so daß eine Vormundschaftsregierung eingesetzt wurde, die bis 1687 andauerte. Die zurückliegenden Jahre waren von brüderlichen Streitigkeiten erfüllt, die schließlich zur Erbteilung geführt hatten. Die Herrschaft ist verschul det, die Lasten drücken schwer. Aus den Breslauer staatlichen und städti schen Archiven stammen Aufzeichnungen, welche von einer Beschwerde der Breslauer Kaufmannschaft beim Breslauer königlichen Oberamt für Schlesien über den Zoll von Teschen berichten und dabei erwähnen, daß sich nun auch in Bielitz, wo man dem Zoll zu entgehen hoffte, »ein neuer Zolljude« niedergelassen habe. Es dürfte sich um einen Angestellten der jüdischen Zollpächterfamilie Singer, die seit 1640 in Teschen wohnte, 336
gehandelt haben. Ein Jakob Singer und dessen Familie bzw. dessen Nach kommen waren die Zollpächter im Herzogtum Teschen während des Drei ßigjährigen Krieges auf dem Jablunkapaß. Über ihn führte die alte Han delsstraße aus Ungarn nach Schlesien und Deutschland, und da, wie gesagt, der Zoll hier sechsmal so hoch war, versuchten die Breslauer Kaufleute, ihn auf dem Weg über Cadca - Zwardoń - S ay busch - B ielitz zu umgehen. So kam es zur Einrichtung einer Zollstation in Bielitz, deren »Zolljude« wohl der Begründer des Bielitzer Judentums wurde. »Hier sey« bis 1700 in Bielitz »nur ein eintziger (Jude) gewesen, habe die Mauth (den Zoll) und den Brandtwein in arrende (Pacht) schon durch 30 Jahre, gebe weiter kein Schutzgeld«, so wird über ihn berichtet. Wie aus diesem Bericht ersichtlich, hatte dieser Jude, dessen Name uns bisher nicht bekannt geworden ist, sowohl den Zoll als auch den Branntweinaus schank in der Herrschaft Bielitz gepachtet. Er zahlte damals kein Schutzgeld an die Behörden, wahrscheinlich, da er im Teschener Schutz brief mit eingeschlossen war. Dies änderte sich, als die österreichische Regierung begann, zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Schlesien das dortige Judenwesen sowohl durch die Beschränkung der Zahl der Juden als auch durch die Einengung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu regulieren. Es sollten ihnen nur der Hausiererhandel erlaubt, Pachtungen aber untersagt sein. Das Oberamt verbot 1716 die Verpachtung von Zöllen und 1724 die Verpachtung fast aller Nutzungen mit Ausnahme der Branntweinhäuser an Juden. So blieb den Juden in Schlesien neben ihrem Hausierhandel m it weni gen Ausnahmen (Petschierstecher, Goldschmiede etc.) nur die Pacht des Branntweinausschanks als erlaubter Beruf übrig. Für die Berufsausübung und zugleich für ihren Aufenthalt hatten die schlesischen Juden seit dem Toleranzedikt Kaiser Karls VI. vom 10. Jänner 1713 Toleranzgelder an die Regierung zu zahlen. Die Regierung verpachtete die Einnahmen des Tole ranzimposts an jüdische und christliche Pächter. Im Jahre 1733 waren Jacob W iebmer und Johann Michael Egner »constituierte administratores«, d. h. wohl Unterpächter des kaiserlichen Toleranzimposts für Schle sien, die die Aufgabe hatten, von den Juden die Gebühren einzuziehen. Unter den säumigen Toleranzsteuerzahlem war Isaac Glatte in Bielitz, der wohl aus Klattau in Böhmen stammte. Die beiden erwähnten Administratores wandten sich 1732 an den Besitzer der Herrschaft Bielitz, um die geschuldeten Toleranzgelder in Höhe von 22 fl. von Isaac Glatte zu erhal337
ten. 1732 war Graf Heinrich-Wilhelm von Solms (1724-1743) Herr auf Bielitz. Die Sunnegks waren 1724 mit Julius-Gottlieb ausgestorben. Der Verwalter der Herrschaft teilte daraufhin den Pächtern mit, daß Glatte versichert hätte, daß er bei seinem Aufenthalt in Breslau den Betrag bereits erlegt habe. Er schrieb unter anderem: »2-Beilage A. Brief des gräflichen Sekretärs aus Bielitz an die Unter verwalter des kaiserlichen Toleranzimposts in Bielitz, 2. August 1732 (a. a. O.) A uf dero unterm 17. passato an mich abgelassenes hoch wertes Schrei ben habe hiermit in schuldigster Antworth dienen wollen, dass ich den Juden Glatte, sobald er sich wiederum in hiesiger Herrschaft wird betreten lassen, zur Abgabe derer verglichenen 32 R nachdrucksam compellieren werde, welches auch auf des Herren Posteis unterm 23. M ai an mich erlassenes Schreiben bereits erfolgt wäre, wenn nicht dieser Jude mich teuer versichert, daß er in Breslauer Johannesmarkt Euer Hochedl. zu vergnügen alle Anstalten gemacht hätte. Ich bin übrigens mit aller Beflissenheit ergebenster p. p. M. D. Köpen Bielitz, den 2. August 1732.« Nun wandten sich die Toleranzsteuerpächter im Jänner 1733 an das Oberamt in Breslau mit einer Beschwerde darüber, daß Isaac Glatte in Bielitz den Vergleich betreffs der Nachzahlung von 22 fl. nicht eingehalten hatte. Da inzwischen noch die Abgaben für zwei weitere Steuertermine dazugekommen waren, baten sie darum, den schuldigen Betrag durch Exekution eintreiben zu lassen. Der Brief an das königliche Oberamt in Breslau hatte folgenden Wortlaut: »1. Brief der Unterpächter Urkundenanhang des Kaiserlichen Tole ranzimpostes in Bielitz an das Oberamt in Breslau, präs. 21. Januar 1733. Ehern. Preuß. Staatsarchiv Breslau, Rep. 13 AA I I 21 g. fol. 182-184. Hochwohlgeborener Reichsgraf Ewr. Hochreichsgräfl. Exc. und ein hochlöbl. k. u. k. Oberamt werden gnädigst und gnädig subsequent sinne (?) geruhen, wie auf unser u n te r tä nigstes Supplicieren schon einige Monitorialien wegen der Bielitzer Juden an Ihre Hochgräfl. Exc. H. Grafen Solm erlassen worden sind, werden aber 338
genöthiget, abermahl Beschwer führende vorzubringen, wie mit dem Isaac Glatte in Bielitz einen von seinem Freunde vorgeschlagenen Vergleich wegen derer alten Toleranztermine auf 32 R eingegangen; dieses wenige zu erlangen haben auch schon etliche Mahl an den Hochgräfl. H. Secretarium Sollicitationes abgesendet, auch wie Beylage sub A weist, eine vertröstliche Antwort erhalten, allein nicht erfolgen mögen, derowegen bey dieser prejudizierlichen Verzögerung nicht anders vermögen als Ewr. Hochreichsgräfl. Exc. und ein hochlöbl. k. u. k. Oberamt nochmalen quam instantissime zu implorieren, die hohe Gnade zu erweisen, und an Ihro Hochgräfl. Exc. zu Bielitz dero wiederholte Erinnerung stellen zu lassen, daß der Glatte wegen der verglichenen 32 R. alten Resten zu deren Erle gung executive solle angehalten werden; zugleich auch weilen schon de novo wieder zwex Termine verflossen, ratione diesen mit Excutin wieder ihnen verfahren solle. Hoffen diesem nach gnädigster und gnädiger Diferirung, als wir uns sehr zu beklagen haben, daß mit Recollection dieses Imposts auf alle ersinnliche Weise durchgängig in Oberschlesien gehemmt und verkürzt werden, in tiefster Submission beharrende. Euer Hochreichsgräfl. Exc. eines hochlöbl. k. u. k. Oberamts Jacob Wiebmer, Johann Michael Egner unterthänig gehorsamste Bürger und Handelsleute und zu dem kaiserlichen Toleranzimpost constituierte administratores. Präs, 21. Januar 1733« Der Ausgang dieser Angelegenheit ist uns nicht bekannt. 1737 hielt sich Isaac Glatte jedenfalls noch in der Herrschaft Bielitz auf. Um 1736 wurden wieder Zählungen der schlesischen Juden vorgenommen. Die Standesherr schaften hatten ein Verzeichnis aller jüdischen Heiraten einzureichen, die zwischen dem 21. Oktober 1726 und dem 1. November 1736 geschlossen worden sind. Von der Herrschaft Bielitz wurde darauf am 16. Oktober 1737 mitgeteilt, daß in der angegebenen Zeit keine jüdischen Heiraten dort stattgefunden hätten und daß die beiden dort vorhandenen Branntweinschankpächter Joseph Moses in Bielitz und David Joseph zu Emstdorf bereits vor 1726 geheiratet hätten bzw. dort ansässig gewesen wären. Im Toleranzsteuerverzeichnis vom Jahre 1737 (Staatsarchiv in Breslau), Rep. 13 AA II 21 f. Bl. 271 b, ist David Joseph unter Em stdorf (Fürstentum Teschen) aufgeführt. Im Jahre 1752 war Abraham Jacob Arrendator des 339
Branntweinausschanks in Emstdorf. Ein Toleranzsteuerverzeichnis der schlesischen Juden für das Jahr 1737 führt in der Herrschaft Bielitz vier Juden auf: Bielitz Kurzwald
Joseph Moses Abraham Löbel Isaac Glatte Moses Hertzka
4,30 1,-
(fl. Toleranzsteuer pro Termin) (fl. Toleranzsteuer pro Termin) (fehlt die Angabe) (fehlt die Angabe)
Der Brief der Herrschaftsverwaltung Bielitz an das königliche Oberamt in Breslau hatte nachstehenden Wortlaut: »3. Antwort des Verwalters des Schlosses Bielitz an das Oberamt in Breslau, betr. der Judenheirat. Bielitz, 16. Oktober 1737 (Staatsarchiv Breslau Rep. 13 AA 21c). Es haben Euer Excell. und Ein hochlöbl. Kgl. Oberambt auf Instanz des Kgl. Oberfiscals eine Consignation (Verzeichnis) derer ä 1. Nov. 1736 verheuratheten Juden von denen Instanzien berichten sollen, dass bey hiesiger Herrschaft Bielitz weder ä 1. Nov. des verflossenen 1736. Jahres, noch vom 21. Oct. 1726 einige jüdische Verheurathungen vollzogen wor den, sondern die in hiesiger Herrschaft sich actu auffhaltende Juden sind: 1. Joseph Moyses, herrschaftl. Brandtweinbrenner und dessen Weib Rebecca, welche bereits in Ao 1725 zu Seybusch (Saybusch) in Pohlen sich verheurathet haben. dann 2. David Joseph, Brandtweinarrendator bey Titl. Herm von Lossau zu Emsdorff, nebst seinem Weibe Magdalenę, welche ebenfalls vor langen Jahren sich ehelich zusammen halten. Welche bey de Juden auch während ihres Aufenthaltes in hiesiger Herr schaft ihre Toleranz-Gelder vermöge producirter Quittungen richtig abge geben haben. Womit in aller Devotion verharre Euer Excell. und eines hochlöbl. Kgl. Oberamts unthertäniggehorsamster Martin David Köpen Schloß Bielitz den 16ten October 1737«
340
Am 14. Juni 1738 erschien ein Erlaß betreffs der Ausweisung der unprivilegierten Juden aus Schlesien. Die Vertreibung konnte aber nicht vollständig durchgeführt werden, weil einerseits die Kommerzkammer und andererseits ein Teil der Stände für bestimmte Kategorien unter den privi legierten Juden eintrat. Auch der 1741 beginnende Krieg mit Preußen verhinderte die weitere Durchführung des Ausweisungsbefehls. Im Jahre 1743 kaufte Graf Friedrich Wilhelm von Haugwitz, der erste Minister Kaiserin M aria Theresias, die Herrschaft Bielitz und behielt sie bis 1752. Im Jahre 1751 wurde ein Verzeichnis der im österreichisch gebliebenen Teile Schlesiens (Fürstentum Teschen/Bielitz und Jägemdorf) vorhande nen Juden auf gestellt. Dieses Verzeichnis führt drei privilegierte (die in Teschen wohnten) und 83 unprivilegierte Judenfamilien auf, die über viele Orte verstreut waren und meist als Branntweinausschenker, z. T. auch als Krämer ihren Lebensunterhalt erwarben. In den einzelnen Orten wohnten gewöhnlich nur eine oder zwei Familien. In Bielitz gab es vier zusammen gehörige Familien, die folgendermaßen angeführt werden: 1. Joseph Moyses, Factor bei Herrn Grafen von Haugwitz (dem Besitzer der Herrschaft Bielitz). 2. Josef Moses, Sohn, ist bei seinem Vater. Es erscheint sehr sonderbar, daß nach dieser Liste Vater und Sohn denselben Namen geführt haben sollen. Vielleicht handelt es sich nur um den Stiefvater. Möglicherweise liegt eine Namens Verdrehung bei dem Vater vor, obwohl dieser schon in den Urkunden vom Jahre 1737 Joseph Moses genannt wird. Daß der Name des Sohnes richtig mit Josef Moses wiedergegeben ist, ergibt sich aus dem Buche von Philipp Paneth: »Rabbenu Jecheskel« (2./3. Auflage) London 1927, S. 10. 3. Dessen Schwiegersohn, Moses Salomon, Branntweinausschenker. Das Wort »dessen« bezieht sich m. E. auf Josef Moyses den Älteren. Da nach dürfte Josef Moyses d. Ä. auf Grund seines Privilegs zwei Töchter in Bielitz »angesetzt« haben, zu denen auch noch ein Sohn kam. Ob dieser damals (1751) schon verheiratet war, ist aus der Liste nicht zu ersehen. Sein zweiter Sohn (Jecheskel) wurde erst 1783 geboren. 4. Dessen Schwiegersohn Mandel ist bei seinem Vater, der ein halber Rabbiner ist. Es handelt sich hier um die Familie, die später den Familiennamen Paneth annahm. Es scheint, daß im Jahre 1751 Josef Moses nebst seinen 341
zwei Schwägern Moses Salomon und Mandel mit ihren Familienangehöri gen und dem jüdischen Dienstpersonal die jüdische Gemeinde in Bielitz bildeten, die aber nicht offiziell als solche anerkannt war. Von den Kindern des Josef Moses, der als Getreidehändler und Hoflieferant bezeichnet wird und ein Gelehrter war, erhielt der älteste Sohn, Moses, nach dem damaligen Familiantengesetz das Niederlassungsrecht in Bielitz, während sein zwei ter Sohn, der 1783 geborene Jecheskel, sich mit talmudischen W issen schaften befaßte und ein bekannter rabbinischer Gelehrter wurde. Er lernte auf den Jeschiwot von Leipnik und Prag, wo er um 1802 ein Gelehrten diplom und Empfehlungsschreiben der drei Prager Rabbiner Jehuda Löb Fischeies, Eleasar Fleckeles und Samuel Landau Halevi erhielt, und damit die Rabbinerqualifikation. Er schloß sich der chassischen Richtung an und amtierte als Rabbiner 1807 ff. in Ustrik, dann 1813 ff. in Terzall (Slowakei) und schließlich (seit 1823) in Karlsburg (Siebenbürgen). Dort starb er am 20. Nissan 1845. Unter seinen zahlreichen Nachkommen gab es bekannte Talmudgelehrte und Rabbiner in Ungarn und Siebenbürgen. Während seiner Amtstätigkeit in Terzall erhielt der Rabbiner Jecheskel Paneth im Jahre 1816 eine Berufung in seinen Geburtsort Bielitz als Rabbiner, die er aber nicht annahm. Diese Berufung ist von 18 Juden unterzeichnet, die wahrscheinlich damals die (inoffizielle) jüdische Ge meinde von Bielitz bildeten. 1. Mautmann aus Bielitz 10. Mose Samuel T. H. 2. Jehuda Löb Rosenfeld 11. Sender Schäfer 3. Samuel Pless 12. Abraham Aberfeld 4. Benjamin S ’ew Mälzer 13. Naftall Zwi Pless 5. Jecheskel Herberg 14. Abraham Lichtigstein 6. Abraham Chajim aus Bielitz 15. Selig Güdemann 7. Moses Riesenfeld 16. Weissberger 8. Simson Schäfer 17. Paneth 9. Aron Berg 18. unleserlich Im benachbarten Mähren wirkte sich das sogenannte Familiantengesetz vom 24. Oktober 1726 für die Juden nachteilig aus. Mit unserem österrei chischen Schlesien durften insgesamt 5.400 Familien nach diesem Gesetz verbleiben. Jene, die sich zur Auswanderung entschließen mußten, gingen unter anderem auch in die Slowakei. Die älteste Gemeinde scheint jene von Preßburg zu sein. Im Jahre 1733 gab es in Kattowitz die ersten jüdischen 342
Siedler, und in ganz Schlesien waren insgesamt etwa 800 Zahler der Judentaxe (1737), und in Berlin waren im gleichen Jahr 120 jüdische Familien vorhanden. 1752 verkaufte Graf von Haugwitz die Herrschaft Bielitz, die gerade 1751 zur »Freien Standesherrschaft« erhoben worden war, an den Fürsten Alexander von Sulkowski. Bielitz wurde 1752 »Fürstentum« und 1754 zum »Herzogtum« erhoben. Die Sulkowskis regierten als Herren von Bielitz bis zur Vertreibung im Jahre 1945. Biala war 1755 in den Besitz des sächsischen Premiers Heinrich Graf von Brühl übergegangen, das er bis 1763, dem Todesjahr seines Königs, behielt. Aus Biala weiß man aus dem Jahr 1765 die Vertreibung der Juden zu berichten, während im gleichen Jahr die Zahl der Juden in Auschwitz auf 133, in Neu-Sandetz auf 609, in Chrzanów auf 327 und in Bendzin auf 444 angestiegen war. In ganz Galizien gab es 1773 etwa 200.000 Juden. Drei Jahre später hatte Maria Theresia eine Generaljudendirektion für Galizien eingerichtet, welche die Eintreibung der Judensteuem durchzuführen hatte. Kaiser Joseph II. löste sie wieder auf. In Kattowitz wurden die Juden 1781 ausgewiesen, 1787 durften sie wieder zurück. So wechselhaft war ihr Schicksal. Durch Verfügung war 1782 der sogenannte Leibzoll für Juden in Öster reich abgeschafft worden, in Preußen 1787, in ganz Deutschland 1803 bis 1806, in Galizien erging 1789 ein Toleranzpatent, dagegen war es zum Beispiel 1797 in Böhmen verboten, neue jüdische Gemeinden zu gründen. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts hatte schon eine Gruppe von bei H of privilegierten Juden (Banken, Münze) große Bedeutung. Das bedeu tendste Haus war jenes der Familie Rothschild in Frankfurt und Wien, das auch starken Einfluß auf die politische, wirtschaftliche und soziale Ent wicklung nicht nur im deutschen Sprachraum besaß. Im ersten Teil dieses Aufsatzes ist der Gang der Juden durch die Welt in kurzen, knappen Worten geschildert, bis sie ihr Weg nach Bielitz führte. In den meisten Ländern, in welchen sie Eingang fanden, kam es zu Unzuträg lichkeiten in mehr oder minder scharfer Form. Der sogenannte Antisemitismus entstand, wie das Schrifttum beweist, und begann mit der Ausbreitung des Christentums und verliert an Schärfe mit dem Auftreten des Humanismus, der Renaissance und der Aufklärung. 343
Er war zunächst wohl religiösen Ursprungs und später, seit dem 11. Jahr hundert, wohl auch wirtschaftlicher Art. In späterer Zeit, um nur die uns interessierenden Plätze zu nennen, berichtet man dann auch aus Breslau (1226), aus Krems (1203), aus Korneuburg (1305), aus Prag (1389) von Ausschreitungen. 1450 bis 1459 arbeitet Capristano in Breslau. Östlich von uns berichtet man aus Krakau (1495), Sambor (1542), aus Biecz (1555) über feindliche Akte. Durch das am 2. Mai 1582 veröffentlichte Patent Kaiser Rudolfs vom 26. März 1582 wird die Austreibung der Juden aus Schlesien verfügt. 1598 ist Krosno, 1605 Bochnia, 1611 Koscieszow, 1624 Plaszow, 1664 und 1646 bis 1658 Lemberg Schauplatz solcher Ausschreitungen. 1670 werden die Juden aus Wien vertrieben, können aber schon im nächsten Jahr wiederkommen, und zu Anfang des 18. Jahrhunderts ist Samuel Oppenheimer kaiserlicher Oberfaktor. Ich erwähne das, um den Wandel anzudeuten. Seit dem 16. Jahrhundert nimmt der Großkaufmann seinen Aufstieg, und nur wenige entsprachen den Anforderungen der fürstlichen Friedens und Kriegswirtschaft in den vielen deutschen Territorien. In der Mehrzahl waren es die sogenannten »Hofjuden« oder »Hoffaktoren«. Sie spielten zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der Französischen Revolution eine wichtige Rolle, und Schnee meinte, daß es kaum einen deutschen Staat gab, der keinen solchen in seinen Diensten hatte. Für unser schlesisches Land waren das Judentoleranzpatent vom 17. April 1752 für das Herzogtum Ober- und Niederschlesien und auch das Hofdekret vom 1. Mai 1794 maßgebend. Den Juden war damals unter den üblichen Beschränkungen der Aufenthalt gestattet. Eine Reihe von Wollhändlem, die Bielitz und Biala mit Wolle versorg ten, waren Oderberger und Sohrauer Herkunft, andere kamen aus Galizien. Der Bielitzer Fürst forderte von ihnen sogenannte Schutzgelder, und so weiß man von einer Eingabe des Bielitzer Magistrates an den Landesälte sten in Sachen der Juden Jacob David und Feibisch Wolf, woraufhin diese Einhebungen untersagt wurden. Bürgermeister zu dieser Zeit war Ferdi nand Czerny. Ähnliches geschah am 21. März 1769 durch das königliche Amt, als von jüdischen W ollhändlem aus Polen Schutzgelder verlangt wurden. Diese Tatsachen werden von E. Miron in seiner Arbeit »BielitzBiala, Bruchschnitte aus vergangenen Zeiten« (Israel, 1973) ausführlich erwähnt. Die Begründung war in allen Fällen, daß die Bielitzer Juden der Textilindustrie helfen wollten und die Schutzgebühren in verschiedenen 344
Fällen zu hoch bemessen waren. Die Judenemanzipation machte Fort schritte: 1781 in Österreich, 1808 in den von Frankreich behaupteten Gebieten, in Hessen und Baden, 1811 in Frankfurt, 1812 in Preußen, 1828 in Württemberg und 1833 in Kurhessen. Auf der anderen Seite war seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine Taufbewegung der Juden festzustellen (Weltsch, Stuttgart, 1963). Bis 1800 war auch die Zuwanderung nach Bulgarien offen, und 1805 bis 1809 ermöglichte die russische Regierung den Juden gewerbliche Freiheiten. In Dänemark war die Aufnahme von Juden ins Heer möglich, nicht aber in Staatsämter, und für die deutschen Gebiete brachte der W iener Kongreß für sie Erleichterungen. In Polen war zu dieser Zeit die Assimilation eine Grundbedingung für die Existenz der Juden, und im preußischen Schlesien registrierte man 1816 insgesamt 16.094 jüdische Einwohner. 1812 gab es schon wieder zahlreiche jüdische W ollhändler sowohl in Biala als auch in Kunzendorf, 1825 wird Kunzendorf allgemein schon als Judenasyl bezeichnet, und sie betreiben dort den Kleintuchhandel. 1828 klagen die Tuchmacher über die Kniffe und Listen der Juden, wie über haupt der W irtschaftskampf in vollem Gange ist, der sich bis in die 1870er Jahre hinzieht. Aus dem Jahr 1842 ist wieder ein Judenverbot für Biala belegt. Nach 1851 kämpft die Bürgerschaft Bialas gegen sie, aber in den 1870er Jahren beginnt die Einwanderung von Juden nach Biala wieder, und zwar verstärkt in der Hauptstraße. Vom Ende des 19. Jahrhunderts liegen für Biala noch nachstehende Zahlen zur Bevölkerungsaufteilung vor: Jahr
Deutsche
Polen
Juden
Andere
1880 1890 1900
5.084 5.493 6.345
1.833 1.841 1.699
754 822 1.088
1.196 1.124 1.108
% Juden 8,5 8,4 10,6
Die gleiche Statistik für Kunzendorf besagt: 1880 1890 1900
4.738 4.030 5.552
1.167 3.010 2.751
433 573 508
785 885 1.052
4,33 5,73 5,08
345
Unsere beiden Städte, so berichtet Miron, hatten am 24. Juni 1817 etwa zusammen 8.000 Einwohner, und rund 1.000 Tuch- und Tuchscherergesel len arbeiteten mit insgesamt etwa 12.000 Menschen im Tuchgewerbe. Dazu etwa 100 fremde jüdische Handelsleute. In diesen Tagen richteten die Bielitzer Juden eine Eingabe an den Magistrat um Einführung des M itt wochmarktes als zweiten Markttag, die am 6. August 1817 befürwortet an die k. k. schlesische Landesbehörde weitergegeben wird. Unser benachbar tes Kronland Galizien zählte 1821 217.895 oder 5,5 % Juden als Bewoh ner. 1827 waren es schon 256.147. In sechs Jahren eine Zunahme von fast 40.000 Juden. Die Bukowina zählt 7.726 Juden. Den Bielitzer Juden wird mit allerhöchster Entschließung vom 2. Februar 1828 und dem Hofdekret (ZI. 2956) vom 6. Februar 1828 die Errichtung eines Bethauses gestattet. 1831 erwerben sie das Haus C-Nr. 98 (Niedervorstadt) meistbietend von Em st Gottlieb Kunz »samt Zubehör zum Behufe der Ausbauung des den selben von höchster Orten bewilligten Bethauses eigentümlich eingeant wortet«, 1839 wird der erste jüdische Tempel in Bielitz erbaut, der sich aber als zu klein erwies. Um uns herum wird uns bekannt, daß zum Beispiel in Kattowitz 1840 12 Juden gezählt werden (1855: 102), in Neutitschein sind 1847 14 Juden (1868: 155), und in Jägem dorf gibt es 1848 5 jüdische Familien (1860: 17). Zwischen 1848 und 1867 wurde eine jüdische Schule in Zablocie bei Saybusch gegründet. Bis 1848 hatten die Juden in Österreich noch nicht die volle Gleichheit, erst das Jahr 1848 brachte grundsätzlich volle Gleichheit vor dem Gesetz, die Grenzen wurden geöffnet. Das Verfassungspatent datiert vom 25. April 1848 und brachte auch den Bielitzer Juden Gleichheit. Es blieb nicht aus, daß nun zahlreiche Juden aus Rußland und Galizien nach Westen ziehen und nur schwer verkraftet werden können. Sie werden Schriftsteller, Ärzte, Anwälte, und auch als Führer der liberalen Bewegun gen kommen sie zu Ansehen und Einfluß auch in sozialistischen Strömun gen, als Theaterleiter und in Gemeindeverwaltungen. In der Presse erlan gen sie Einfluß. Metternich, so berichteten die Chronisten, hat 1848 an seine Berliner Botschafter geschrieben, daß 17 deutsche Blätter von Juden redigiert wer den. In Mähren gibt das Gesetz ihnen das Recht, Selbstverwaltung und Ortsgemeinden zu schaffen. Das kaiserliche Patent vom 4. März 1849 brachte der israelitischen Glaubensgemeinschaft das Recht der öffentli 346
chen Glaubensausübung und der selbständigen Ausübung der Verwaltung ihrer Angelegenheiten sowie den Besitz und Genuß ihrer Anstalten und Fonds. Und während die Juden 1843 aus Kiew vertrieben werden, richten die Bielitzer Juden eine Eingabe an den Kaiser und bitten darin um die Geneh migung, in ihrem Bethaus eine Orgel auf stellen zu dürfen. Im gleichen Jahr kann die Judenschaft deutscher Herkunft die Brüderschaft »BNEIBRISS« ins Leben rufen, die den Zweck haben soll, die Juden zur Förderung höchster Ziele der Menschheit zu vereinigen, Kunst und Wissenschaft zu unterstützen, Leid zu vermindern. Später kommt auch eine nach Bielitz. In Bielitz erhalten sie 1849 das Recht, einen Friedhof zu errichten. Bis 1852 zahlten sie ihre Beiträge zu Kultuszwecken an die Teschener Kultus gemeinde und unterstanden auch den Teschener Rabbinern bzw. dem dortigen Kultusvorstand. Im Jahre 1852 wird ihnen auch die Führung einer eigenen Geburts- und Heiratsmatrikel bewilligt, und in Österreich wird im gleichen Jahr das Verbot aufgehoben, das Juden untersagt, Güter zu erwerben. Jenseits der Berge, in Sillein, wird in diesem Jahr auch eine Judenge meinde gegründet, die 52 Mitglieder zählt. 1860 erhält sie eine Schule, ein Jahr später eine Synagoge. 1939 zählt sie 3.500 Juden. Für das schlesische Judentum ist erwähnenswert, daß im Jahre 1854 an der Universität Breslau ein jüdisch-theologisches Seminar für die Ausbil dung von Rabbinern errichtet wird. Die Stadt Bendzin, östlich von Kattowitz, die 1765 erst 46 Juden besaß, hat neunzig Jahre später schon 2.440 Juden, was 58,6 % der Bevölkerung ausmacht, und in Galizien sind aus den 256.147 Juden des Jahres 1827 dreißig Jahre später 448.937 geworden, was 9,6% der galizischen Bevölkerung ausmacht. Im Jahre 1859 fallen dort auch die bisher gültigen Heiratsbeschränkungen fort, das Handwerk und das Apothekergewerbe werden frei und das Verbot, sich auf dem fla chen Lande aufzuhalten, aufgehoben. Seit 1860 lebt ein Mann als Kaufmann in Bielitz, der aus eigenen Mitteln eine Privatbibliothek gründet. Es ist Salomon Halberstam (1832— 1900), im jüdischen Schrifttum als Gelehrter und Bibliophile bezeichnet. Er starb am 24. März 1900 in Bielitz. Seine Bibliothek befindet sich in London, New York und auch in der W iener jüdischen Gemeinde. Die galizischen Juden erhalten 1860 das aktive und das passive Wahl recht, völlige Gleichheit erhalten sie erst 1868, nach dem Ausgleich von 347
1867 für die ganze Monarchie. Ab 1879 gibt es jüdische Abgeordnete Galiziens im Polenklub. Im Jahre 1864 gründet der in Pleß geborene Jude Dr. Max Friedländer, ein Vetter Lassalles, der seit 1865 Hauptmitarbeiter der »Presse« in Wien ist, gemeinsam mit Michael Etienne und Adolf W either dort die »Neue Freie Presse«. (Er starb am 20. April 1873 in Nizza.) Er kämpfte nach dem italienischen Krieg in Wien publizistisch für die Einführung einer konstitu tionellen Verfassung und gegen den Schmerlingschen Liberalismus. Das Jahr 1865 ist auch für die Bielitzer Juden bemerkenswert. Sie erhalten nach mehrjährigen Verhandlungen endlich die Selbständigkeit ihrer Gemeinde, der »israelitischen Kultusgemeinde Bielitz«. Die Statuten werden von den Herren B. Holländer, Salomon Tugendhat und Dr. Jg. Rössler vorgelegt und am 25. Oktober 1865 vom k. u. k. Staatsministerium und am 27. Dezember des gleichen Jahres von der k. u. k. schlesischen Landesregierung genehmigt. Unsere einstige Landeshauptstadt im österreichischen Schlesien, Troppau, verzeichnet im Jahr 1867 134 Juden, 1921 sind es 1.127 und 1931 971 oder 2,6 % der Bevölkerung (wovon sich 502 zur jüdischen Nationalität bekennen). In Kattowitz ist die Zahl der Juden in den letzten 12 Jahren bis 1867 von 102 auf 624 gestiegen, 1899: 2.216, 1939: 8.587 Juden oder 6,3 % der Bevölkerung. Krakau, das 1867 praktisch keine Juden hat, zählt 1936 58.000 oder 26 % der Bevölkerung. Im gleichen Jahr werden alle früheren Zusagen an die Juden in das neue Verfassungsgesetz vom 21. Dezember 1867 eingebaut. Unsere damalige Reichshauptstadt der Donaumonarchie, Wien, zählte zu dieser Zeit 20.230 Juden oder 6,62 % der Bevölkerung.
D ie siebziger Jahre
In den siebziger und achtziger Jahren beginnt sich eine national-jüdische Bewegung zu entwickeln, und in Berlin wird an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums eine Möglichkeit geschaffen, eigene Reli gionslehrer auszubilden (1872). Im jüdischen Schrifttum wird in dieser Zeit auf die unbefriedigende Behandlung der Judenfrage Bulgariens und Rumäniens hingewiesen, wo 348
nicht die besten Lebensbedingungen herrschen. Es ist der Berliner Kon greß, wo sich ab 13. Juni 1878 Deutschland, Österreich-Ungarn, Frank reich, Großbritannien, Italien, Rußland und die Türkei unter Vorsitz von Bismarck treffen und offenbar das letzte Mal Europäer unter sich allein die Geschicke dieses Kontinents regeln wollen. Rumänien, Serbien und Mon tenegro werden selbständig und souverän, Rußland erhält Bessarabien und einen Teil Armeniens, Österreich-Ungarn wird mit der Besetzung Bos niens und der Herzegowina beauftragt, und der Einfluß Englands auf dem Balkan wird zugunsten Österreichs eingeschränkt. Robert W etsch schreibt in seinem Buch »Deutsches Judentum« (Seite 243) über den Bericht Andrassys vom Berliner Kongreß an Kaiser Franz Joseph I. am 29. Juni 1878 über diesen Brief wörtlich: »Er unterscheidet zwischen Israeliten und Juden.« Israeliten seien die gebildeten Israeliten Englands und Deutsch lands, mit ihnen fühle er sich völlig gleich. Juden seien vielfach Blutegel der Länder, die sie bewohnen. Offenbar trägt diese Auffassung zur oben erwähnten unbefriedigenden Behandlung der Judenfrage auf dem Balkan bei. Österreich-Ungarn schließt am 22. Juni 1875 einen Handelsvertrag mit Rumänien, man macht von seiten der Juden hier den Vorwurf, daß dadurch die dortigen Judengesetze eine Anerkennung fanden. A uf der anderen Seite wird aber Julius Glaser, ein getaufter Jude, unter Auersperg Justizminister (1872). Er ist der Schöpfer der österreichischen Strafprozeßordnung von 1873, die noch nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich galt. So wechselhaft waren die Bedingungen und Auffassungen. Die statistischen Zahlen sprechen aber eine deutliche Sprache, wohin der Trend der Judenwanderungen geht: In Wien sind am Ende der siebziger Jahre 73.271 (1869: 40.230) Juden. In Mährisch-Ostrau gibt es 1875 erst 58 Juden in der Gemeinde (1931: 4.969), in Neutitschein sind es 275 (1868: 155), in Breslau 13.916, und im ganzen preußischen Schlesien sind es seit 1816 (16.094 Juden) im Jahr 1871 46.619 geworden. Östlich von uns, zum Beispiel in Neusandetz, wurden aus 609 Juden (1765) im Jahr 1880 5.163 oder 46 % der Bevölkerung, und in ganz Galizien stieg die Zahl der Juden von 448.973 = 9,6% (1857) im Jahr 1881 nun auf 686.597 Juden oder 11,5 % der Bevölkerung. In der Bukowina (Buchenland) stieg die Zahl von 7.726 Juden (1830) auf 67.418 im Jahre 1880. Die Verhältnisse im alten Österreich gaben sicherlich dazu alle Möglichkeiten. In unserem Bielitz gab sich die Judengemeinde zum 1. Januar 1870 neue Statuten, und am 8. Dezember erfolgte die Konstituierung des Kul 349
tusvorstandes. Die abgegebenen 68 Stimmen wählten Herrn Benjamin Holländer zum Präses, zu Kulturräten die Herren Ferdinand Brück, Adolf Brüll, Albert Neumann, Salomon Pollak, Max Pollaschek, W ilhelm Schaf fer, Salomon Tugendhat, Sigmund Weißenberg und J. Zeisler. Ab jetzt werden formelle Sitzungsprotokolle geführt. Die Bielitzer Gemeinde wuchs, so daß der 1839 erbaute Tempel sich als zu klein erwies. Zu hohen Feiertagen wurde, abgesehen von der sogenann ten »polnischen Betstube«, in verschiedenen Sälen und auch im Prüfsaal der ehemaligen jüdischen Volksschule gebetet. 1871 beschloß man den Bau einer eigenen jüdischen Volksschule, die dann im Jahr 1877 als fünfklassige Mädchen- und Knabenschule das Öffentlichkeitsrecht erhielt. Baumeister war Karl Korn aus Bielitz. Sie wurde 1901 aufgelassen, da nach dem neuen schlesischen Landes Schulge setz die Erhaltung in die Hände der Stadt überging. E. Miron zitiert auch in seiner Schrift Dr. Theodor Haases 1873 erschie nenes Buch, das besagt, daß Bielitz zu dieser Zeit 520 Tuchmachermeister besitzt. Der Stadtkern hat 90 Hausnummern, mit den Vorstädten zusam men sind es 550, die 4.200 Einwohner beherbergen. Unter den Zünften scheinen auf: die Tuchmacherzunft mit 30, die Schuhmacherzunft mit 17, die Fleischhauer mit 12 und die der Bäcker mit 9 Mitgliedern. Am 7. Dezember 1873 starb der erste Rabbiner, Dr. Frankfurter, dem am 16. Februar 1875 Dr. W olf Lesser und am 31. August 1882 Dr. Adolf Kurein folgen. D ie achtziger Jahre
Nach dem März 1871 brachen in Rußland Judenverfolgungen aus, die auch ein Jahr später scharfe Ausnahmebestimmungen gegen sie nach sich zie hen. Im nächsten Jahr, 1873, werden Verfolgungen der Juden aus Ungarn, Frankreich (Dreyfusprozeß), Algerien und Rumänien gemeldet. Das alles bewirkt, daß aus den judenreichen österreichischen Staaten, vor allem Rumänien und Rußland, zwischen 1858 und 1935 etwa 4,25 Millionen Juden auswandem. 75 Prozent gehen in die Vereinigten Staaten, 7 Prozent nach Südamerika, je 5 Prozent nach Palästina und England, 2 Prozent nach Südafrika und 6 Prozent in übrige Länder. Bis 1914 dürften jährlich 125.000 Juden aus Europa nach Übersee gegangen sein. Aber die Industrie unserer Gebiete nimmt auch noch Juden auf: Warthenau (Zawiercie) hat 350
1887 1.134 Juden oder 27 Prozent der Bevölkerung, und Kattowitz, 1888 eine Stadt von 14.000 Nichtjuden, hat auch eine sich vergrößernde jüdische Gemeinde. Im österreichischen Bielitz war am 20. Oktober 1880 Kaiser Franz Joseph I. zu Besuch. Zwei M itglieder der jüdischen Gemeinde haben die Ehre, bei der Vorstellung dabeizusein: der seit dem 21. Januar 1879 amtie rende Präses Adolf Brüll und Rabbiner Dr. Lesser. E. Miron verzeichnet, daß die jüdische Gemeinde alle Anlässe der damaligen Zeit wahmimmt, um ihrer patriotischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen. Am 21. September 1881 wird der neue Tempel, der mit einem Kosten aufwand von 93.800 Gulden erstellt wurde, feierlich eingeweiht. Zum 19. Januar 1888 wird auf eigenen Wunsch Rabbiner Dr. Kurein entlassen, und es folgt ihm ab 21. März 1888 Dr. Saul Horowitz, nachdem er erst österreichischer Staatsbürger geworden war. Er bleibt bis 1895. Den günstigen Verhältnissen entsprechend kann die aktive Bielitzer Ju denschaft im Jahre 1889 eine der schon erwähnten BNEI-BRISS-Logen gründen. Es ist die erste in ganz Österreich, und sie erhält den Namen »Austria«. Im gleichen Jahr erbaut man außerhalb Bialas, in Kunzendorf (Lipnik), eine Synagoge auf galizischem Boden.
D ie neunziger Jahre
Den Juden in Österreich geht es gut. In W ien wird an der Universität eine jüdisch-theologische Fakultät zur Ausbildung von Rabbinern errichtet. W ien selbst beherbergt fast alle Juden des späteren Gebietes DeutschÖsterreichs, es sind 1890 118.495 (1880 waren es noch 73.271 Juden). Breslau hatte 1885 17.658 Juden, um 3.500 mehr als 14 Jahre vorher, Kattowitz hat 1899 624 Juden (1855: 102), und in Teschen zählt man 1890 1.313 Juden oder 8,5 % der Bevölkerung. Mährisch-Ostrau hat im gleichen Jahr rund 3.000 Juden (15 Jahre vorher waren es noch 58). Ganz Mähren zählt 45.524 zu dieser Zeit. Im früher russischen Teil des oberschlesischen Kohlengebietes ist auch eine Zuwanderung festzustellen: Warthenau (Za wiercie) hat 1897 3.158 Juden (1887 noch 1.134), es sind 18,5 Prozent der Bevölkerung, in Sosnowitz sind 1890 19,8 Prozent = 2.600 Menschen jü dischen Glaubens, und in Bendzin (Bendsburg) sind es 1897 10.839 oder 45,6 Prozent der Bevölkerung, die sich zur jüdischen Gemeinschaft rech 351
nen. Aus Galizien hingegen wandern sie größtenteils nach Bessarabien aus, dort zählt man 1897 228.528 Juden. In Berlin gründet man einen »Zentralverband deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« mit der Aufgabe, allen Angriffen gegen deutsche Juden, ihre Religion und ihre Abstammung entgegenzutreten (1893), und in Basel findet der erste Zionistenkongreß 1897 statt mit dem Leitgedan ken, in Palästina dem jüdischen Volk eine Heimstätte zu schaffen. In den Jahren 1897 bis 1922 entsteht die erste wortgetreue deutsche Übersetzung des babylonischen Talmuds durch Laz. Goldschmidt in 8 Bänden. In Bielitz zählt man 1890 1.977 Juden, und ihre Zahl stieg bis 1921 auf 3.955 an (1929 waren es rund 5.000), die zum großen Teil Deutsch spra chen und auch politisch deutsch orientiert waren. Bis zum Jahr 1895 war der spätere Breslauer Seminardozent Horowitz in Bielitz Rabbiner (von 1888). Am 21. März 1890 erfolgte die letzte Regelung der Rechtsverhältnisse der Bielitzer Kultusgemeinde durch das Reichsgesetzblatt Nr. 57, nach welchem bis zum Zusammenbruch gehan delt wurde. Die danach erstellten Statuten erhielten 1895 die behördliche Genehmigung. Sie waren das W erk des früheren Besitzers und Advokaten Wilhelm Münz. Im Jahr 1896 konstituierten sich die national gesinnten Studenten von Bielitz zur ersten jüdisch-akademischen Ferialverbindung Österreichs, »Emunah«, und am 12. März 1896 wurde Dr. Markus Steiner zum fünften Rabbiner von Bielitz berufen. Schließlich faßt die Gemeinde 1898 den Entschluß, ein jüdisches Ge meindehaus und ein Rabbinerkanzleigebäude zu erstellen.
D as erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts
Die Zahl der Juden auf der W elt wird um 1900 etwa mit 10.600.000 angegeben, sie wohnen in der größten Massierung in Rußland, ÖsterreichUngarn und in den Vereinigten Staaten. In W ien sind es 146.926 oder 8,77 Prozent der Bevölkerung (1890: 118.495). In Teschen sind es 1.666 oder 9 Prozent der Bevölkerung geworden, und im späteren tschechischen Teil von Österreich-Schlesien gibt es 7.012 Juden, in Mähren sind es 44.255, die sich zu 77 Prozent als Deutsche, 16 Prozent als Tschechen und 7 Prozent anders bekennen. 352
In Kattowitz hat sich die Zahl der Juden in den letzten 11 Jahren von 624 (1899) auf 2.979 vermehrt (1910) und in Breslau in 15 Jahren um 2.085 auf 19.743 gesteigert (1910). Im Jahr 1905 werden im preußischen Teil Schlesiens unter 4,688 Millionen Einwohnern 47.593 Juden verzeich net, 18.440 davon leben allein in Breslau, in Beuthen 3.260, 2.106 in Gleiwitz, 1.085 in Liegnitz, 1.050 in Myslowitz und 1.150 in Ratibor. In Auschwitz sind es 1910 rund 3.000 Juden (1765: 133), in Chrzanów schon 5.504 (1765: 327), die 54 Prozent der Bevölkerung stellen. Hier war der Hauptzuzug im 19. Jahrhundert zu verzeichnen. Neusandetz hat 1910 7.990 jüdische Einwohner, das sind 3.870 mehr als zwanzig Jahre vorher. Im gleichen Jahr zählt das ganze Kronland Galizien 871.895 mosaische Bürger, was in der gleichen Zeitspanne fast 100.000 mehr Israeliten bedeutet (= 11,9 Prozent der Bevölkerung). Sie verfügen in diesem Kronland allein über 689 jüdische Leihkassen oder Kreditvereine. In der Bukowina stieg die Zahl der Juden von 102.900 im Jahr 1890 auf 871.895 im Jahr 1910 und in Bendzin, am Ostrand des Kohlengebietes Oberschlesiens, von 10.839 im Jahr 1897 um 11.835 auf 22.674 (1909). Sie stellten hier 48,7 Prozent der Bevölkerung. Sie hatten hier die Möglichkeit, in nur 12 Jahren ihre Zahl mehr als zu verdoppeln. W eiter östlich, im Russischen Reich, kam es 1903 zu blutigen Verfolgungen (Kischinew und Gomel). In unserer Heimatstadt Bielitz selbst geht es ruhig zu. Gleich zu Anfang des Jahrhunderts wird das 1900 abgebrannte Friedhofsgebäude durch ein neues ersetzt und die Friedhofsmauer aufgeführt. Im Jahr 1903 kauft die Gemeinde das Eckgrundstück Schul- und Elisabethstraße (10. Juni) und beginnt ein Jahr später mit dem Bau eines Gemeindehauses, das 1905 eröffnet wird. 1904 wird ein neuer Vorstand gewählt, der neben dem Präsidenten Brüll aus den Herren Dr. Moritz Aronsohn, Moritz Braunberg, Abraham Groß, Heinrich Hilpem, Ludwig Langfelder, Josef Perl, Dr. Ludwig Reich und Dr. Julius Schmetterling besteht. Neben ihnen gehören noch die Herren Hermann Borger, Julius Deutsch, Prof. Ed. Feuerstein, Julius Goldschmidt, Leopold Goldstein, Josef Groß, Karl Korn, Josef Koch, Hermann Klein, Rudolf Kestel, Wilhelm Löwenberg, Ignatz Neu mann, Sigmund Pollatscheck, Theodor Pollak, Salo Rittmann, Louis Sachs, Hugo Schäfer, Oskar Schäfer, Viktor Schäfer und Osias Schmelz zum Ausschuß. Das Gemeindehaus ist nach Plänen des Wiener Architek 353
tenbüros Lindner & Schreier, der Bau von Carl Korn erstellt. 1906/07 wird der Turnverein »Makkabi-Bielitz-Biala« gegründet. Zu Beginn dieses letzten Abschnittes soll zunächst der einst österreichi sche Raum betrachtet werden. In der Reichshauptstadt bis 1918: In Wien lebten 1910 175.318 Juden oder 8,8 Prozent der Bevölkerung, das sind rund 30.000 mehr als 10 Jahre zuvor. 1923 waren es 201.513 Israeliten, was 11,0 Prozent der Bevölkerung ausmacht. 1934 waren es 176.000 Juden (= 9,4 Prozent der Bevölkerung). Prak tisch jeder zehnte Wiener war Jude. Ihrer Beschäftigung nach waren die Alteisen- und Metallhändler zu 100, die Automatenrestaurants, Bäcker und Brotfabriken zu 94, Rechtsanwälte zu 85,5, Banken zu 75, Ärzte zu 51,6, Fleischhauer zu 9 und Schlosser zu 5,5 Prozent Juden bzw. in jüdischem Besitz (lt. »Österreich-Kunde«, W ien 1938). Im benachbarten Polnisch-Teschen gab es 1921 1.591 Juden (10,4 Pro zent der Bevölkerung). 1930 waren es im tschechischen Teil 1.148 = 10,8 Prozent Juden. Im gesamten tschechischen Teil des einstigen österreichi schen Schlesiens gab es 1921 7.371 Israeliten. Mit Mähren zuammen zähl te man im gleichen Jahr etwa 33.000 Juden, wovon sich 16.650 zur jüdi schen, 13.531 zur deutschen und nur 622 zur tschechischen Nationalität rechneten. Mährisch-Ostrau nannte 1931 4.969 Juden als Bürger der Stadt, Frei stadt 322, Karwin 172, Orlau 394, Friedek 219 und Mistek/Friedberg 195. In Neutitschein lebten 1931 206 Juden = 1 ,4 Prozent der Bevölkerung, in Jägem dorf 400. In Sillein, einer Stadt, die siedlungsgeschichtlich viel mit unserem Raum zu tun hatte, lebten 1938 3.500 Juden, und in der ganzen Slowakei gab es nach dem Ersten Weltkrieg 135.918 Juden, wovon sich 8.738 zur deutschen, 21.584 zur ungarischen und 71.018 zur jüdischen Nationalität bekannten. Der Rest entschied sich anders. Von dem einst preußischen Schlesien liegt eine Zahl für Kattowitz aus dem Jahr 1921 vor, es waren damals dort 9.000 Juden und in Beuthen etwa 3.600 ansässig. Im Regierungsbezirk Oppeln waren es 1925 etwa 10.000, Breslau hatte 23.240, Preußisch-Schlesien 40.022. Von den zwi schen 1939 und 1945 zu Schlesien gehörenden Orten unserer Breite hatte Auschwitz 1921 4.950 oder 40,4 Prozent Juden, Krenau/Chrzanow etwa 6.300 = 56 Prozent der Bevölkerung der Stadt, Fraustadt/Wadowitz 6.862 = 20 Prozent und Neustadt/Zator 1.895 = 24,8 Prozent an mosaischen 354
Bürgern. Mit uns bekannt und wirtschaftlich verbunden waren auch Kal waria mit 1.962 = 25 Prozent, Neusandetz mit 9.009 = 34 Prozent und Altsandetz mit 563 = 11,7 Prozent Juden. Myślenice zählte 675 Juden (21,6 Prozent) und ganz Galizien etwa 740.000, was 10 Prozent der Bevöl kerung ausmachte. Zwischen 1920 und 1939 lebten wir in einem Staate, dessen jüdischer Bevölkerungsanteil 3,3 Millionen Menschen (9,7 Pro zent) betrug. In diesem Staat existierten 1937 250 jüdische Zeitungen und Schriften, 1925 war schon ein Jüdisch-wissenschaftliches Institut in Wilna gegründet worden (Ringelblum: »Ghetto Warschau«, Stuttgart 1967), ob schon wenige Jahre vorher (22./23. November 1918) blutige Krawalle in vielen galizischen Städten, vor allem in Lemberg, stattfanden und zahlrei che Juden nach Bessarabien flüchteten, wo 1920 267.000 gezählt wurden. (23 Jahre vorher waren es noch 228.528.) Auch am Ostrand des Kohlen beckens stieg die Zahl der Juden in diesen Jahren: Bendzin (1931) mit 21.625 (45,4 Prozent), Sosnowitz 28.005 (22 Prozent), W arthenau (Za wiercie) 1931 5.677 (= 21 Prozent der Bevölkerung). Die Zahl der Juden auf der gesamten Erde wurde 1930 mit etwa 16 Millionen angegeben. Und nun kehren wir zum Schluß wieder nach Bielitz zurück. Im Jahr 1911 kam Michael Berkowicz nach Bielitz. Das »Jüdische Lexikon«, Berlin 1927, schreibt über den einstigen israelitischen Reli gionslehrer an unserem deutschen Gymnasium wie folgt: »Berkowicz, 2. Michael, Dr. phil., Religionslehrer und Schriftsteller in Bielitz, geb. 1865 in Drohobycz (Ostgalizien), studierte in Wien semit. Sprachen, war seit 1893 Mitarbeiter der hebr. Blätter >Hazefira< und >Hamaggid< sowie der >Monumenta Talmudica< und >Monumenta Judaicac, redigierte 1899— 1902 die Zeitschrift >Judaea< in Krakau und übersetzte Herzls >Judenstaat< (Warschau, 1896) und »Zionistische Schriften< (5 Bände, Warschau 192023) ins Hebräische. B. ist auch Vf. bibelwissenschaftl. Arbeiten (z.B. »Strophenbau in den Psalmem). In den 90er Jahren war er Mitarbeiter Herzls.« Im gesamten konnte die jüdische Gemeinde in Bielitz und Biala gut gedeihen: In Bielitz hatte die Zahl der Juden 1890 1.977 betragen, 1921 betrug ihre Zahl 3.955, das sind in 31 Jahren rund 100 Prozent mehr. Davon bekannten sich 2.727 zur jüdischen Nationalität, wovon 513 Jiddisch als Umgangssprache angaben. Biala zählte 1929 2.600 Juden. Der Zuzug war hier beachtlich, da ja zur Zeit ihrer Vertreibung aus Biala im Jahr 1765 nur Kunzendorf und Batz 355
dorf Juden besaßen, die bis etwa 1850 der jüdischen Gemeinde in Ausch witz unterstanden und 1872 sich zu einer eigenen Gemeinde zusammen schlossen, welche fast alle karitativen und kulturellen Institutionen mit jenen von Bielitz gemeinsam betrieben. Als nach dem Ersten Weltkrieg die neugeschaffene Woiwodschaft Schlesien organisiert wurde, wurde 1921 die Zahl der Juden in diesem Verwaltungsbereich mit 16.650 (1,5 Prozent der Bevölkerung) angegeben. Es war der geringste Satz aller W oiwod schaften des neuen polnischen Staates. (Warschau [16,8 Prozent], Lodsch [14,5 Prozent], Lublin [13,8 Prozent], Lemberg [11,5 Prozent] hatten die höchsten Sätze.) In Bielitz wurde 1922/23 ein Verband selbständiger jüdischer Hand werker unter Moritz Popiol gegründet. E. Miron schreibt 1973, daß Bielitz zu jener Zeit eine liberale deutsche Stadt gewesen sei, beinahe ganz Europa aber unter einem um sich greifen den Antisemitismus litt. Die jüdischen Studenten an der Gewerbeschule gründeten die »Chewrussa«, die zunächst - behördlich unerlaubt - eine reine Freundschaftsgemeinde, später eine jüdische und schließlich eine zionistische Verbindung wurde. Es kam zu einem »Kartell der zionistisch technischen Verbindungen« der Gewerbeschulen Brünn und Bielitz, und 1929 beschlossen die AH-Verbände der zionistisch-technischen Verbin dungen Chewrussa-Bielitz, Jordania-Wien und Hasmonäa-Brünn, sich in einem einzigen Verband zusammenzuschließen, dem sie den Namen »Haboneh« gaben mit dem Sitz in Bielitz. Die seit 1901 aufgelassene jüdische private Schule wird 1927 wieder von der jüdischen Gemeinde als Privatschule übernommen. Der überwie gende Teil der Bielitzer Judenschaft war deutschsprechend und kulturell deutsch orientiert, was sich nach 1919 sicherlich teilweise änderte, den staatlichen Notwendigkeiten entsprechend. Das jüdische Schrifttum, das verarbeitet wurde, ist hauptsächlich deutsch sprachig, Mirons Schrift ist zweisprachig abgefaßt (Hebräisch und deutsch).
356
Literaturnachweis zum Anhang
»Encyclopedia Judaica« (engl.), Jerusalem 1971. »Encyclopedia Judaica« (deutsch), Berlin 1929. W. Stein: »Kulturfahrplan«, Berlin 1946. O. Jauker: »Deutsche Geschichte«, Graz 1924. »Meyers Lexikon«, Leipzig 1927 und 1909. E. F ren zei: »Antisemitisch und antichrist lich«, in »Das Reich der braunen Jakobiner«, München 1964. D r. D . B rillin g: »Zur Frühgeschichte der Ju den in Bielitz, 1677-1816« in: »Zeitschrift für die Geschichte der Juden«, Tel Aviv 1964. G. W .: »Und ganz am Rande Deutschlands liegt Bielitz«, in: »Bielitz-Bialaer Beskiden briefe«, Wiesbaden 1968. E. M iron : »Bielitz-Biala (Bielsko-Biala), Bruchschnitte aus vergangenen Zeiten«, Israel 1973.
M. A ronsohn: »Die israelitische Kultusge
meinde in Bielitz 1865-1905«, Bielitz 1905, Druck: Richard Schmeer in Bielitz. »Jüdisches Lexikon«, Berlin 1927. »Österreich-Kunde« von W. H ebert, Stuttgart 1938. E. R in gelblu m : »Ghetto Warschau«, Stuttgart 1967. »Bielitz-Bialaer Beskidenbriefe«, Wiesbaden 1952-1975. »Bielitz-Bialaer Heimatbote«, München. »Mitteilungsblatt des österreichischen Hei matbundes Beskidenland«, Wien. W. D u ran t: »Kultur- und Zivilisation der Ju den« in: »Kulturgeschichte der Menschheit«, Band 11, Lausanne (deutsche Ausgabe).
357
Das oberschlesisch-mährische Land zwischen Krakau und Wien Von der Donau her führt eine uralte Völkerstraße in den südschlesischen Raum zur Weichsel. Aber auch eine Nord-Süd-Verbindung kreuzt hier das Land. Man nennt es das Herzogtum Teschen, das für die Habsburgermonarchie von besonderer politischer wie auch strategischer Bedeutung war. Wer dieses Ländchen zwischen Ostrau und Bielitz besaß, hatte einen freien Weg von Preußen nach Ungarn, wie auch von Mähren nach der oberen Weichsel und zur Oder. Hier entstanden die Städte: Ostrau, Teschen und Bielitz. Bielitz wurde 1754 ein eigenes Herzogtum.
Z)a^ Bielitzer Land im südschlesischen Raum
Das früher österreichische Ostschlesien
Stadtseite des Schlosses Bielitz aus dem 15. Jahrhundert der Fürsten von Sulkowski, Herzoge von Bielitz. Die Herrschaft Bielitz gehörte ihnen von 1572 bis 1945. Der letzte Sulkowski lebt jetzt in Wien.
Über den Eckturm des Schlosses von Bielitz geht der Blick nach Nordosten. Im Hintergrund links die Türme des jüdischen Tempels, in der Mitte das Hotel »Kaiserhof«. Unten vom Töpferplatz aus gingen die Kaiser-Franz-Josef-, die Gisela- und die Elisabethstraße nach Norden und die Nippergasse nach Westen. Hier war der Mittelpunkt des innerstädtischen Verkehrs. Der Stadt berg stieg die Schloßfront entlang hinauf zum Ringplatz.
Bielitz, Der Stadtberg, das steile Verbindungsstück der Ost-West-Achse. Das alte gemütliche Bielitz zeigt hier das Schloß, die deutsche »Lesehalle« und das Terrassenrestaurant Schöja. Das Bild hat sich bis heute nicht verändert.
SUNE GH.(JESSENSKY).
Das Wappen der Herren von Bielitz der Jahre 1592 bis 1724: der Grafen von Sunnegh. Sie stammen aus der Grundherrschaff Budiatin (oder Bude tin) nörd lich von Sillein im Gebiet südlich von Teschen und blieben 132 Jahre in Bielitz. Die Bielitzer Linie starb 1724 mit Julius-Gottlieb, der mit Juliane Elisabeth von Hochberg kinderlos verheiratet war, aus.
Das Wappen der »Herzoge von Bielitz« in der Zeit von 1752 bis 1945. Das Geschlecht der Sulkowskis ist jene Familie, die die Herrschaft Bielitz am längsten ihr eigen nennen konnte: 193 Jahre! Der letzte Sproß lebt heute in Wien. Das Geschlecht wurde 1733 in den Reichsgrafenstand, 1752 in den Reichsfürstenstand erhoben, und 1752 wurde ihm der Titel eines »Herzogs von Bielitz« verliehen. Die bisherige Standesherrschaft wurde zum Herzogtum erhoben. 1945 mußten die Sulkowskis zusammen mit der deutschen Bevölke rung ihren Besitz und die Heimat verlassen. Das gezeigte Bild stellt das Stammwappen der Familie dar.
Bielitz, Kaiser-Franz-Josef-Straße, die großzügig geplante Einfallstraße von Norden her. An ihr liegen der Bahnhof (1855 bzw. 1890), der jüdische Tempel (1881), das größte Hotel, der »Kaiserhof« (1892), und stattliche Villen. In ihr verläuft die Straßenbahnlinie, die seit 1895 den Bahnhof mit dem Zigeuner wald verbindet. Seit 1879fuhren hier schon Pferdeomnibusse.
Bielitz, Kaiser-Franz-Josef-Straße, Blick nach Süden auf eindrucksvolle Bau ten. Unter der Straße verlief der Eisenhahntunnel in Richtung Saybusch, auf der Straße fuhr eine der ersten elektrischen Straßenbahnen der Donau monarchie (1895). Auf den breiten Bürgersteigen bummelte man am Abend. »Klein-Wien« wurde Bielitz nur allzu oft genannt.
Bielitz, die Niedervorstadt. Vom hoch gelegenen Sportplatz des »BielitzBialaer Sportvereins« ging der Blick über die dicht bebaute Talniederung des Biala-Flusses nach den Bergen der Westbeskiden. Der »Josefsberg« war einer der Hausberge der Doppelstadt, das Bialaer »Jägerhaus« einer der beliebten Wander-Zielpunkte. Die Schornsteine der Tuchfabriken waren das Wahrzei chen unseres Stadtbildes.
Bielitz, die evangelische Stadtpfarrkirche, nach Plänen des Wiener Architek ten Heinrich Freiherr von Ferstel gestaltet (1881). Die Gemeinde besteht seit dem Jahr 1553. Es war die größte der gesamten Donaumonarchie. Vor der Kirche steht das Lutherdenkmal, neben jenem in Asch (Nordböhmen) das einzige in Österreich. Sein Schöpfer war der Wiener Bildhauer Franz Vogel.
Bielitz, die katholische St.-Nikolaus-Stadtpfarrkirche. Das Äußere der Kirche wurde 1911 gestaltet und gleichzeitig vergrößert, der gesamte Platz umge staltet. Im gemischten Stil sind Jugendstil- und »Campanile«-Elemente ver arbeitet worden. Ihr Standort läßt die Kirche einen beherrschenden Platz im Stadtbild einnehmen. In unmittelbarer Nähe sind mehrere katholische Schulen angesiedelt. Architekt: Leop. Bauer (Wien); Skulpturen: O. Schimkowitz (Wien); Glasfenster: R. Harlfinger (Wien).
Bielitz, Wohnhaus der Tuchfabrikanten Geyer, Pastornak 12. Die 1878 ge gründete Firma stand wie die Mehrzahl der Bielitzer und Bialaer Betriebe auf solider Grundlage. Ihre Erzeugnisse waren beste AnzugStoffe, welche den englischen Qualitäten durchaus entsprachen.
Bielitz, drittgrößte Textilstadt der Donaumonarchie. Hochragende, nüchterne Stahlbetonbauten kennzeichnen die Fabrikviertel der Stadt. Eine der 86 Tuch fabriken ist die Firma Karl Wolf & Söhne mit ihrem stattlichen Bau.
Bielitz, »Unter den Lauben«. Der schöne Laubengang stammt aus dem 17. Jahrhundert und barg zur deutschen Zeit eine Reihe von vielbesuchten Geschäften. Hinter der »Medizinal-Drogerie« zweigte ein kleines Gäßchen ab, die »Rosengasse«.
Graf Friedrich Wilhelm von Haugwitz, 1746 bis 1752 Herr von Bielitz. 1702 in Sachsen geboren, aus altem schlesischem Geschlecht, seit 1725 in österreichischen Diensten, 1742 Landespräsident von Osterreichisch-Schlesien, 1749 Direktor des »Directorium in politicis et cameralibus«, mit der Reform der Staatsfinanzen der deutsch-slawischen Erbländer des Hauses Habsburg beauftragt, 1760 Oberster Kanzler Kaiserin Maria Theresias.
Heinrich Reichsgraf von Brühl. War 1755 bis 1763 Herr der Herrschaft Kunzendorf-Biala, unserem Nachbargebiet östlich des schlesischen Grenz flusses Biala. Seit 1737 Reichsgraf, seit 1746 Premierminister. 1738 hatte ihm schon der König und Kurfürst das Regieren in Sachsen und Polen überlas sen. 1755 kaufte Brühl die Herrschaft Kunzendorf-Biala. Sein König starb am 5. Oktober 1763, wenige Tage später, am 28. Oktober 1763, starb Reichsgraf von Brühl. Damit war die sächsische Herrschaft in der östlichen Hälfte unserer Sprachinsel beendet.
Biała, die deutsche Stadt am galizischen Ufer des Biala-Flusses. Die »Haupt straße« verläuft im Zuge der »Kaiserstraße«, die Wien mit den Kronländern Mähren, Österreichisch-Schlesien, Galizien und dem Buchenland verband. Gleichzeitig wurde ab 1. April 1775 ein regelmäßiger Postwagenverkehr Wien-Lemberg eingerichtet, der später bis Tschernowitz verlängert wurde. Er überwand eine Strecke von rund 800 Kilometern.
Biała, das letzte erhalten gebliebene Holz-Giebelhaus auf dem Ringplatz wurde erst um die Jahrhundertwende abgebrochen. Es stellte ein Relikt aus der »guten alten Zeit« dar, die aber keineswegs ein leichtes Brotverdienen gestattete. Reichtümer konnten die 1.500 Weber aus Bielitz undBiala niemals erwerben. Im Gegenteil, die Mechanisierung der Betriebe entzog ihnen schließlich jegliche Lebensgrundlage. In seiner besten Zeit verfügte der Bielitz-Bialaer Platz über 86 Tucherzeugungsstätten, die bis zu 20.000 Arbei tern den Broterwerb garantierten.
Diese Männer schufen die Grundlage, auf welcher die handwerksmäßige und später maschinelle Tucherzeugung sprießen konnte. In Tag- und Nachtarbeit verdienten sie sich ihr tägliches Brot. Sie arbeiteten und schliefen an den Webstühlen und wohnten zunächst in ärmlichen hölzernen Hütten. Den späte ren Reichtum der Städte Bielitz undBiala ermöglichte erst die Maschine. 1945 ging alles verloren.
Hundertfünfzig deutsche Vereine gab es in Bielitz und Biala. Darunter zahl reiche Gesangvereine. Der Zweitälteste Gesangverein der gesamten Donau monarchie war der »Bielitz-Bialaer Männergesangsverein«, der im Jahr 1834 gegründet wurde (der erste 1833 in Roßbach bei Asch in Nordböhmen). Der Besitz dieses Abzeichens stellt eine große Seltenheit dar.
Fürst Josef-Maria von Sulkowski (geb. 2. Februar 1848), mit 12 Jahren schon Zögling des »Theresianums« in Wien (Bild: Nationalbibliothek Wien), hatte einen bewegten Lebenslauf. Er erbte die Herrschaften Pankola in Ungarn sowie Schloß Feistritz am Wechsel und das Sulkowski-Theater in Wien-Matzleinsdorf, lebte meist in Wien, wo er auch am 17. Februar 1920 starb. Er war der achte in der Reihe der Herzoge von Bielitz.
Alfred Ritter von Kropatschek, geb. 1838 in Bielitz, österreichischer General der Artillerie, Konstrukteur eines Repetiergewehrs, welches mehrere Länder übernahmen. Gestorben am 2. Mai 1911 in Lovrana bei Abbazia.
Das Lutherdenkmal in Bielitz. Im Kaisertum Österreich gab es nur zwei Plätze, die ein solches Denkmal hatten - Asch in Böhmen und Bielitz. Geschaffen von Bildhauer Franz Vogel, Wien (Schöpfer des Wiener Raimunddenkmals hinter dem Justizpalast). Eingeweiht am 8. September 1900.
L itera tu r ü b er sic h t fü r d en 2. B an d
(Fortsetzung von Band 1, nach Verfassern alphabetisch geordnet) Aubin, H : »Geschichte Schlesiens«. B aier, D .: »Sprache und Recht im alten Öster
P aul, E .: »Was nicht in den Geschichtsbü
reich«, München, Wien 1983. B eer: »Geschichte Böhmens«, Reichenberg 1922. B ilecki, A lo is: »Das Herzogtum Schlesien«, 1907. Bontschek, Frank: »Polen und die Tschecho slowakei«, Köln 4/1976. Eissner, A lbin: »Bevölkerungsprobleme im europäischen Osten«, Bonn 1965. F ejto, F ranz: »Josef II.«, Stuttgart 1956. G lassl, H orst: »Das österreichische Einrich tungswerk in Galizien 1772-1790«, Wiesba den 1975. H alecki: »Grenzraum des Abendlandes«, Salzburg 1956. H antsch: »Bildband zur Geschichte Öster reichs«, Innsbruck 1967. H ilf, R .: »Deutsche und Tschechen«, Opladen 1973. H olzapfel, H.: »Tausend Jahre Kirche Po lens«, Würzburg 1966. K ova levsk y: »Bildatlas der Kultur und Ge schichte der slawischen Welt«, München, Ba sel, Wien 1964. K ruska, H . (Hg.): »Gestalten und Wege«, Ulm 1958. K utsche, E.: »Postgeschichte Schlesiens«, Breslau 1936. Landwehr!Kuhn: »Geschichte der Stadt Teschen«, Würzburg 1976. L oesch , H . v.: »Beiträge zur schlesischen Rechts- und Verfassungsgeschichte«, Kon stanz 1964. M ackiew icz, St.: »Geschichte Polens«. M anthey, F.: »Polnische Kirchengeschichte«, Hildesheim 1965. M enzel, K . A .: »Geschichte Schlesiens«, Breslau, um 1800. M üller, Sepp: »Deutsches Genossenschafts wesen in Galizien«, Karlsruhe 1954.
B elzel, F. M .: »Geschichte Böhmens«, Prag
382
chern steht«, München 1972. 1817. R hode, G otthold: »Die Ostgrenze Polens«,
Köln-Graz 1955. »Saybusch«, Heimatkalender 1941. Schieche, E.: »Die Kulturen der Westslawen und Südslawen«. Landsmannschaft Schlesien: »Der friedliche deutsche Beitrag zur Entwicklung des polni schen Staates im Wandel der Jahrhunderte« (aufgrund Prof. R. F. Kaindls »Geschichte der Karpathendeutschen«, Gotha 1907). Som m er, F .: »Geschichte Schlesiens«, Bres lau 1908. S toob, H .: »Die mittelalterliche Städtebildung in Kleinpolen«, Köln 1977. Studnicki, W .: »Das östliche Polen«, Kitzingen/Main 1953. Stum pe, F.: »Schlesien«. Suter, E.: »Die handelspolitische Kooperation des Deutschen Reiches und der Donaumonar chie 1890-1894«, Marburg 1930. T azbir, J.: »Geschichte der polnischen Tole ranz«, Warschau 1977. »Lexikon für Theologie und Kirche«, Bd. 10, 2. Auflage, »Tyniec«. Tukay, H .: »Oberschlesien im Spannungsfeld zwischen Deutschland, Polen und BöhmenMähren«, Köln-Wien 1976.
In h a ltsv e rze ic h n is zu m 2. B a n d
A n d er W ende zum 19. Jahrhundert
Österreichs Politik und Aktivität ............. 7 Das Geschehen östlich von uns ............... 9 Europa wird unruhig.................................... 10 Das neue Nationalgefühl ............................10 Die Jahre 1792-1807, Alexander-Josef von Sulkowskis Zeit bis zum Auftreten seines Nachfolgers ................................................. 12 Der Kampf geht zu Ende ............................14 Aus der Landschaft rund um Bielitz . . . . 19 Die Lasten Österreichs ................................21 Haydns Kaiserhymne ..................................25 Die Jahre 1807 bis 1835, die Zeit Johann-Ne pomuks von Sulkowski ............................. 27 Ein namhafter Verwandter ......................... 29 D a s 19. Jahrhundert
Der größte Zeitgenosse: N apoleon.............31 Das Geschehen im deutschen Sprachraum...................................................32 Das Ende des Reiches ................................34 Dem Wiener Kongreß entgegen.................38 Auschwitz und Neustadt/Zator kommen zum Deutschen Bund ..................................40 Die Aufrechterhaltung des S ystem s.........41 Der große Mann in Wien ........................... 41 Das Hambacher F e s t....................................42 Der Deutsche Zollverein ........................... 43 Der Widerspruch ........................................ 45 Blick nach Osten ........................................ 46 Der Aufstand .............................................. 46 Die deutsche Polenbegeisterung.................48 Der sächsische Herzog in Saybusch.......... 48 Die Habsburger in Saybusch ..................... 50 Eine Bielitzer Gründung in Saybusch . . . 52 Das technische Jahrhundert beginnt.... 52 Die neue Technik in Bielitz ....................... 53 Was in den kirchlichen Gemeinden g esch ah ...................................................58
Blick über die Białka: Biała und östlich davon ........................................................ 61 Das Auf und Ab dieser Epoche ............. 61 Die Einheitsbewegung und der Deutsche Bund ........................................ 62 Der Verlauf der Revolution in Österreich 73 Blick auf das Land an der B ia łk a ........... 83 Der Strukturwandel dieser Zeit ............. 90 Unsere Textilindustrie ............................ 96 Einige Bielitzer Gründungen ................... 101 Über Schulen und kirchliche Belange . . 105 Kurzer Blick nach B ia la ............................111 Über die Juden ...........................................112 Das W appen............................................... 112 Wilmesau ................................................... 113 1866: Der Bruderkrieg in Bielitz-Biala . 116 Die Nachbarn nördlich der Weichsel . . . 119 Durch Ostschlesien (1 8 6 8 )..................... 120 Ein Blick in die Verwaltung unseres Kronlandes ................................................. 122 Die Land- und Forstwirtschaft in unserem L a n d .............................................130 Die Fischzucht ...........................................131 Die Schafzucht ...........................................132 Die Pferdezucht ........................................ 132 Die Flußregulierungen ..............................134 Eisenbahnen in unserem Ländchen . . . . 136 Industrie und Bergbau seit 1742 ............. 137 Der »letzte Monarch« alter S ch u le........ 140 Unser Land um 1840 .............................. 141 Europas Einigung wird angestrebt........ 145 Armes Österreich ...................................... 147 Der Sozialismus .........................................149 Staatslenker im Sturm ..............................151 Die Beschwerde der schlesischen Stände 155 Der Wechsel in der schlesischen Verwaltung................................................. 163 Unser Kronland Österreichisch-Schlesien in Z ahlen..................................................... 169 Das Schulwesen ........................................ 172 Die Judikatur der obersten Gerichte . . . . 174
383
Bielitzer Nachrichten ................................ 176 Die Umstellung auf das metrische System ....................................................... 182 Unsere Wirtschaft.......................................183 Zusammenfassung 1835 bis 1879 ......... 187 Erfindungen und Entdeckungen der Jahre 1880 bis 1889 ................................ 190 Die Eisenindustrie in unserem Staat . . . . 197 Das Bankwesen .........................................198 Die Lenker unseres Staatswesens...........201 D a s 20. Jahrhundert, d ie letzten F riedensjahre
Der Streit der Nationalitäten..................... 211 Das Ende der österreichischen Periode . 215 Österreichisch-Schlesien in Zahlen . . . . 220 Straßenwesen, Gewerbewesen, Zeitungen ...................................................226 Das neue Wahlrecht ..................................231 Nationale Not in unserem Land . .............232 In Bielitz ab 1879 geschehen ................... 235 Nationale Regsamkeit rundum.................244 Blick nach Galizien ..................................246 Der Sprachengebrauch in unserem Land 248 Bielitz zwischen 1890 und 1899 ........... 252 Schule und Kirche von 1890 bis 1899 . . 259 Blick ins Kronland, einige Zahlen .......... 262
Unruhiges, aber aufstrebendes Bielitz-Biala ...............................................266 Blick nach Osten ...................................... 271 Die Polen und die Mission des Polenklubs im österreichischen Reichsrat ....................... 275 Österreichs Innenleben..............................281 Österreich in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts.................................... 287 Österreichisch-Schlesien und unsere Heimat ....................................................... 295 Die Textilindustrie des L andes.................300 Die Jahre 1900 bis 1909 in B ie litz .........303 Die humanitären Stiftungen in der Stadt Bielitz ......................................................... 308 Der Wandervogel ...................................... 318 Blick nach Osten (1900-1910)............... 320 Das österreichische Schlesien 1910 . . . . 324 Bielitz-Biala und Umgebung (1910) . . . 326 Schlußbemerkungen zum zweiten Band 331 Anhang:
Der Weg der Juden nach B ie litz .............332 Karten und B ild er.................................... 358 Literaturübersicht für den zweiten Band 382