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KAMPF UM PERU DIE GESCHICHTE DES LEUCHTENDEN PFADES
VOR
80 JAHREN N
ANGRIFF AUF
GUERNICA
DAS BASKENLAND ALS A EXPERIMENTIERFELD DER WEHRMACHT
PLUS Simón Bolívar Sherman Firefly Israelische Armee -
EINSATZ IN EUROPA AMERIKAS EINTRITT IN DEN ERSTEN WELTKRIEG 04 4 190141
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FE SPORENSCHLACHT PANZERSCHIFFE
MASCHINENPISTOLEN
ÜBERRASCHUNGSSIEG EVOLUTION IN DER IN FLANDERN MARINE
VOM ERSTEN WELTKRIEG BIS ZUR GEGENWART
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RACHE R RAC CHE CH E AN A ROM R M
Karthago hatte im Kampf gegen egen gen n das da mächtigee Rom eine e te Feldherr Feldh wurde von wirksame Waffe: Hannibal. Der brillante ganz persönlichen Motiven n angetrieben angetr ngetrieben ...
AMERIKANISCHE PIONIERE
Weite, unerforschte Wildnis, Indianer und gefährliche Tiere – all das erwartete die Forscher Lewis und Clark, als sie von der amerikanischen Ost- zur Westküste zogen. Ein Reisebericht.
UNGLEICHE LANDSMÄNNER
Einst kämpften sie Seite an Seite, später wurden sie zu Gegnern: Philippe Pétain und Charles de Gaulle. Wir stellen die Lebenswege der beiden Staatsmänner einander gegenüber.
WUNDERHEILER ODER SCHARLATAN?
Von einem bäuerlichen Tunichtgut zum Vertrauten der Zarenfamilie: Rasputin legte einen bemerkenswerten Aufstieg hin. Doch warum ranken sich so viele Mythen um ihn?
VORWORT
Vorwort
HIGHLIGHTS
Simón Bolívar S. 42
LIEBE LESER, wenn man an die Todesopfer denkt, die die Wehrmacht gefordert hat, dann kommt einem logischerweise zunächst der Zweite Weltkrieg in den Sinn. Aber bereits vor 1939 zogen Hitlers Truppen in den Kampf, in einem anderen grausamen Krieg: dem Spanischen Bürgerkrieg. Auf Seiten Francisco Francos schickte Deutschland Truppen auf die Iberische Halbinsel. Deren bekanntester Einsatz ist die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch die Legion Condor – ein Kriegsverbrechen, das zum einen vielen unschuldigen Zivilisten das Leben kostete, zum anderen auch als eine Art „Training“ für die späteren Feldzüge der Wehr-
macht diente. Ein spannedes Thema also, auf den sich ein genauerer Blick zu werfen lohnt, was wir in dieser Ausgabe tun werden. Von der Iberischen Halbinsel aus geht es dann nach Südamerika, von dort in das Flandern des Mittelalters und wieder in das 20. Jahrhundert, genauer: in die Schützengräben der Westfront des Ersten Weltkrieges. Sie merken schon, wir haben wieder zahlreiche Themen für Sie aufbereitet.
Purple S. 50
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihre
Sherman Firefly S. 92
Schlacht der Goldenen Sporen S. 56
History Of WarRedaktion
Guernica von Pablo Picasso gilt als eines der beeindruckendsten Antikriegsbilder aller Zeiten. Die Geschichte hinter dem Gemälde erfahren Sie ab S. 28.
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28 Wie spanische Zivilisten der deutschen Luftwaffe zum Opfer fielen
An der Front
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Maschinenpistolen
Die Entwicklung der handlichen Waffen nachgezeichnet
16 MPs weltweit Rund um den Globus wurden verschiedene Modelle der Maschinenpistole entwickelt
18 John T. Thompson Die Karriere des genialen Waffenerfinders
20 MPs in der Gegenwart Moderne Waffen oder Relikte vergangener Zeiten?
22 Experimentelle MPs Modelle, die nie zum Einsatz kamen
24 Innenleben einer Sten Gun Der Aufbau einer der populärsten Maschinenpistolen
26 Kopf an Kopf Wehrmacht oder Rote Armee: Wer verfügte über die bessere Maschinenpistole?
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SCHLACHT DER GOLDENEN SPOREN 56 Der Freiheitskampf der Flamen
INHALT
64 Wie die US Army in die europäischen Schützengräben kam
06 KRIEG IM FOKUS Zeugen vergangener Kämpfe
28 Angriff auf Guernica Der berühmt-berüchtigte Einsatz der Legion Condor
36 Die Ursprünge der IDF Wie Israel zu seiner Armee kam
42 Simón Bolívar Der Mann, der einen Kontinent anführte
50 Purple Die Verschlüsselungsmaschine der Japaner
56 GROSSE SCHLACHTEN Schlacht der Goldenen Sporen Flandern kämpft um seine Unabhängigkeit – doch ein Ritterheer steht dem im Wege
64 Amerika zieht in den Krieg Der lange Weg zur amerikanischen Beteiligung am Ersten Weltkrieg
1917: AMERIKA ZIEHT IN DEN KRIEG
76 LAGEBESPRECHUNG Der Leuchtende Pfad Wie eine maoistische Gruppe Peru tyrannisierte
82 Krieg der Panzerschiffe Eine Entwicklung, die die Marine aller Länder für immer verändern sollte
92 HANDBUCH Sherman Firefly Ein Blick auf einen der bekanntesten britischen Panzer
98 ARTEFAKT DES KRIEGES Wehrmachtstoilettenpapier Ein Luxusartikel für die Soldaten an der Front
URSPRÜNGE DER
IDF Simón Bolívar
36 Die Geburt einer der professionellsten Armeen der Welt
Befreier 42 Ein visionärer Revolutionär, der das heutige Südamerika formte 5
KRIEG IM FOKUS
6
KRIEG
im
FOKUS
HUBSCHRAUBEREINSATZ 1987
© Getty
Soldaten des Sandinistischen Volksheeres (Ejército Popular Sandinista, kurz EPS) bereiten sich darauf vor, einen sowjetischen Mi-17 zu besteigen, um gegen die rechtsgerichteten Contra-Rebellen vorzugehen. Diese wurden im Contra-Krieg von 1981–1990 von den USA unterstützt und kämpften gegen die Streitkräfte der linken Regierungspartei Frente Sandinista de Liberación Nacional.
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KRIEG IM FOKUS
8
KRIEG
im
FOKUS
GEFAHR AUS DER LUFT ca. 1939-45
© Getty
Soldaten bemannen eine Flak auf der Westminster Bridge, im Hintergrund ist der Elizabeth Tower zu sehen. Der Palace of Westminster selbst wurde zwischen 1940 und ’41 ganze 14-mal bombardiert, was erheblichen Schaden verursachte. Die Commons Chamber etwa wurde bei Nachtangriffen im Mai 1941 durch Brandbomben komplett zerstört.
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KRIEG IM FOKUS
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KRIEG
im
FOKUS AUF TAUCHGANG 27. August 2016
© Getty
Diese Überreste eines M4 Sherman im kristallklaren Wasser vor Saipan, der größten Insel der Nördlichen Marianen, befinden sich dort seit 75 Jahren. Die Insel stand seit 1918 unter japanischer Herrschaft und wurde im Zweiten Weltkrieg stark befestigt. Im Juni 1944 wurde sie von US-Soldaten eingenommen.
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KRIEG
im
FOKUS
DAS LETZTE AUFGEBOT
September 1944 Mitglieder der Hitlerjugend trainieren am Schießstand ihre Treffsicherheit. Im September 1944 wurde auf einen Führererlass hin der Volkssturm ins Leben gerufen. In dieser Miliz sollten alle „waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren“ dienen. In der Schlacht um Berlin fielen Hunderte der ungenügend bewaffneten und schlecht ausgebildeten Volkssturm-Mitglieder.
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© Alamy
KRIEG IM FOKUS
13
An der Front
ZEITLEISTE DER …
MASCHINENPISTOLE Die MP hat eine lange, geschichtsträchtige Historie, die mehr als 100 Jahre zu ihrer Geburt im Ersten Weltkrieg zurückreicht.
STEN GUN
Die Briten finden sich während des Zweiten Weltkrieges in einer verzweifelten Situation wieder. Durch ihre schnelle und günstige Produktion ist die Sten Gun perfekt für sie geeignet und es werden bis Kriegsende mehr als vier Millionen gefertigt.
1941 1915
VILLAR-PEROSA
Die Villar-Perosa wird von Abiel Revelli als Bordwaffe für die italienische Luftwaffe entwickelt. Durch ihr geringes Gewicht und ihre Feuerkraft stattet man jedoch schon bald Elite-Infanterietruppen damit aus. Links: Die Villar-Perosa mit zwei Läufen war eine der ersten Maschinenpistolen, die im Gefecht eingesetzt wurde.
14
1918
MP18
ie erste Die MP18 ist die oduzierte und serienmäßig produzierte ahl in großer Stückzahl ausgehändigte MP. n Ihre Konstruktion age fungiert als Vorlage uf für zahlreiche auf nde die MP18 folgende MPs. Sie wird während des Ersten Weltkrieges von deutschen n Sturmbataillonen eingesetzt. go Rechts: Die von Hugo kelte Schmeisser entwickelte MP18 nutzte ein in. horizontales Magazin.
1938
THOMPSON-MASCHINENPISTOLE THOMP
Wenngleich sie ursprünglich als „Grabenbesen“ entwickelt wird, w kommt ihre Fertigstellung zu spät für einen Einsat Einsatz im Ersten Weltkrieg. Ihren ikonischen Status erhäl erhält sie durch US-amerikanische Gangster und die Alliierten im Zweiten Weltkrieg.
Die Thompson konnte 700 Schuss pro Minute abfeuern.
AN DER FRONT: ZEITLEISTE
UZI
Kanadische Arbeiterinnen posieren 1943 mit Sten Guns, die sie in einer kleinen Waffenfabrik nahe Toronto zusammengesetzt haben.
Die Uzi kommt auf den Markt. Sie wird später für ihren Einsatz im Sechstagekrieg und Folgekonflikten bekannt werden. Ihre kompakte Bauweise liegt in dem Teleskopverschluss begründet, der teilweise den Lauf umschließt. Links: Die Uzi war eine der ersten Waffen, bei der das Magazin in einem Pistolengriff untergebracht war. Unten: Die MP5 ist ein aufschießender Rückstoßlader, was sie zielgenauer als die meisten MPs macht.
HECKLER & KOCH MP5
Die Produktion der MP5 beginnt. Sie wird durch ihre erstklassige Bauweise, herausragende Handhabung und gute Anpassungsfähigkeit jahrzehntelang Vorbild für alle anderen Maschinenpistolen sein. Auch heute noch ist sie weltweit die Waffe der Wahl für viele Polizeibehörden, Anti-Terror-Kommandos und Eliteeinheiten.
„BIS KRIEGSENDE WERDEN MEHR ALS VIER MILLIONEN STEN GUNS GEFERTIGT.“ 1954
1966 1991
1950
FN P90
Die für das dänische Militär entwickelte M50 ist Teil einer neuartigen und billigen, aber effektiven MP-Generation der Nachkriegszeit. Sie wird vielerorts eingesetzt und sogar im Vietnamkrieg genutzt.
„DIE M50 IST TEIL EINER NEUARTIGEN UND BILLIGEN, ABER EFFEKTIVEN MPGENERATION DER NACHKRIEGSZEIT.“
Die FN P90 hat ein innovatives sowie großes Horizontalmagazin, in dem die Patrone in Mündungsrichtung gedreht wird.
Bilder: Getty
MADSEN M50
Oben: Durch das klappbare Verschlussgehäuse konnte man die M50 wie ein Buch öffnen.
Herausstellungsmerkmal der belgischen FN P90 ist ihr revolutionäres Design, welches Feuerkraft und Kompaktheit vereint. Die P90 nutzt das Kaliber 5,7 × 28 mm, welches klein, aber wirksam ist.
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An der Front
DIE MP WELTWEIT
Dutzende von Nationen auf der ganzen Welt haben ihre eigenen Varianten der Maschinenpistole entwickelt. MP5
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1964–HEUTE DEUTSCHLAND
ERMA EMP
CARL GUSTAF M/45
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1932–1945 DEUTSCHLAND
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1945–HEUTE SCHWEDEN
MADSEN M50
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1950–1980 DÄNEMARK
Links: Die Produktion der Thompson-MP war teuer, weshalb die USA die schlecht verarbeitete, aber effektive M3 entwickelt haben.
LANCHESTER-MASCHINENPISTOLE
7
1
3
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1941–1960 GROSSBRITANNIEN
8
STERLING L2A3
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1953–1993 GROSSBRITANNIEN
M3-MASCHINENPISTOLE KALIBER: .45 ACP EINSATZ: 1943–1995 USA
HOTCHKISS UNIVERSAL
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1949–1970 FRANKREICH
MAS-38
KALIBER: 7,65 X 20 MM EINSATZ: 1938–1955 FRANKREICH
FAMAE SAF
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1993–HEUTE CHILE
BERETTA M12
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1959–HEUTE ITALIEN
Unten: Ein mit Thompson-MPs ausgerüstetes Kommando späht während der Operation „Archery“ um eine Ecke, Norwegen 1941.
BXP
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1988–HEUTE SÜDAFRIKA Truppen landen im Juni 1944 am Omaha Beach.
1
ÜBERFÄLLE Ü Ä BRITISCHER KOMMANDOS
1940–1945 EUROPA
Während ihrer gewagten Überfälle im nazibesetzten Europa greifen britische Kommandos aufgrund ihrer Feuerkraft aus nächster Nähe auf die US-amerikanische Thompson-Maschinenpistole zurück.
D-DAY
6. JUNI 1944 NORMANDIE, FRANKREICH Für die D-Day-Landungen werden drei der wichtigsten MPs des Zweiten Weltkrieges ausgehändigt: die Thompson M1, die Sten Gun und die MP40.
SUESKRISE
DIE SCHLACHT VON STALINGRAD 1942–1943 STALINGRAD, RUSSLAND
6. NOVEMBER 1956 PORT SAID, ÄGYPTEN
Jede vierte sowjetische Einheit nutzt während der Schlacht eine Maschinenpistole. Die sowjetische Taktik der überwältigenden Feuerkraft ist verheerend und die Maschinenpistole ideal für die Straßenschlachten von Stalingrad.
650 Männer des Kommando 45 starten einen Helikopterangriff auf Port Said, das erste derartige Manöver der Kriegsgeschichte. Viele der Kommandos sind mit dem ehrwürdigen Mk V Sten und der brandneuen Sterling-Maschinenpistole bewaffnet.
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16
3
4
AN DER FRONT: DIE MP WELTWEIT
5
SECHSTAGEKRIEG
6. JUNI 1967 JERUSALEM, ISRAEL Israelische Fallschirmjäger wissen ihre Uzis bei den Straßenkämpfen gegen arabische Streitkräfte während des Sechstagekrieges zu schätzen.
PPS-43
KALIBER: 7,62 X 25 MM EINSATZ: 1942–1960 SOWJETUNION Oben: Der Offizier Lauri Törni kämpfte unter drei verschiedenen Flaggen: Finnland, Deutschland und USA.
2
Ein mit einer Uzi bewaffneter israelischer Soldat stürmt während des Sechstagekrieges in Jerusalem an einem brennenden Bus vorbei.
TYPE 05
KALIBER: 5,8 X 21 MM EINSATZ: 2005–HEUTE CHINA
MSMC
AUFKLÄRUNGSPATROUILLEN 1967–1970 VIETNAM
Während des Vietnamkrieges dringen US-amerikanische Aufklärungspatrouillen tief in das nordvietnamesische Territorium ein. Bei ihren auf kurze Distanz ausgeführten Hinterhalten und der Befreiung von Geiseln setzen sie schallgedämpfte Maschinenpistolen ein.
GEISELNAHME IN DER IRANISCHEN BOTSCHAFT 5. MAI 1980 LONDON, GROSSBRITANNIEN 7
4
6
UZI
KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1949–HEUTE ISRAEL
Das britische SAS startet eine gewagte Tagesoperation, um Geiseln zu retten, die von Mitgliedern einer iranischen Separatistengruppe festgehalten werden. Der dramatische SAS-Einsatz hilft dabei, die MP5 als die führende Maschinenpistole bei Spezialeinheiten zu zementieren. Mit MP5s bewaffnete Mitglieder des britischen SAS bereiten sich während der Geiselnahme in der iranischen Botschaft 1980 auf den Einstieg durch ein Fenster vor.
OWEN-MASCHINENPISTOLE KALIBER: 9 X 19 MM EINSATZ: 1942–1970 AUSTRALIEN
Links: Die französische Polizei riegelt das Bataclan nach einem Terroranschlag mit 90 Toten ab.
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TERRORANSCHLÄGE IN PARIS 2015
13. NOVEMBER 2015 PARIS, FRANKREICH
Die französische Polizei reagiert gemeinsam mit der französischen Armee auf den verheerenden Angriff auf die Zivilbevölkerung. Die Polizei- und Anti-Terror-Einheiten sind dabei zu Großteilen mit Beretta-M12-Maschinenpistolen ausgerüstet.
Bilder: Al Bild Alamy
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KALIBER: 5,6 X 30 MM EINSATZ: 2006–HEUTE INDIEN
17 7
JOHN T. THOMPSON An der Front
Der Erfinder der berühmtesten Maschinenpistole nenpistole e
ZEIT: 3. DEZEMBER 1860 – 21. JUNI 1940 LAND: USA SA
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rigadier General John Taliaferro Thompson, der Kopf hinter den Thompson-Maschinenpistolen, machte 1882 seinen Abschluss an der Militärakademie in West Point. Er hatte sich auf die Ingenieurswissenschaft spezialisiert und trat später dem Ordnance Department der US Army bei. Bei Ausbruch des Spanisch-Amerikanischen Krieges 1898 wurde Thompson zum Lieutenant Colonel befördert und nahm als Leitender Offizier an der Kuba-Kampagne teil. Nach dem Krieg wurde er Chef des Amtes für leichte Waffen, wo er an der Auswahl des Munitionstyps .45 ACP mitarbeitete – jene Patrone, die seine Maschinenpistole später nutzen sollte. Als sich die Mannstoppwirkung der aktuell von der Armee verwendeten Munition als zu gering herausstellte, führte Thompson gemeinsam mit dem Sanitätsoffizier Major Louis Anatole LaGarde eine Reihe von Tests durch, um eine Alternative zu finden. Zu ihren Versuchen gehörte es auch, auf Viehkadaver und sogar menschliche Leichen zu schießen. Am Ende entschieden sie sich für die .45 ACP. Thompson war zudem an der Entwicklung des neuen Springfield M1903 ebenso beteiligt wie an der Einführung des Colt M1911. Im November 1914 trat er aus der Armee aus und begann bei Remington als Chefdesigner. Zur gleichen Zeit befasste er sich mit dem Stellungskrieg an der Westfront und kam zu dem Schluss, dass dieser nur mit mobiler Feuerkraft beendet werden konnte. 1916 begann er, an automatischen Waffen zu arbeiten, doch erst 1918 konnte sein Arbeitgeber, die Auto-Ordnance Corporation, die ersten Prototypen präsentieren. Mit Unterstützung von Theodore Eickhoff und Oscar Payne entwickelte Auto-Ordnance Thompsons Idee eines kleinen Maschinengewehrs weiter, das 50 bis 100 Patronen fassen und von einem Mann getragen werden können sollte. Thompson nannte es „trench broom“ (Grabenfeger).
„OBWOHL DIE MASCHINENPISTOLE AUCH VON GESETZESHÜTERN BENUTZT WURDE, WIRD SIE MIT DEN GANGSTERN ALTER SCHULE IN VERBINDUNG GEBRACHT.“ 18
Bei Kriegseintritt der USA SA 1917 kehrte der Waffenbauer als Brigadier General zum Militär zurück. Er übernahm den Posten des Direktors nd überwachte die des gesamten Arsenals und n. Für seine Verr Produktion leichter Waffen. tinguished Service dienste wurde ihm die Distinguished Medal verliehen, bevor er Ende 1918 der en kehrte. Die US Army erneut den Rücken ompsons Waffe ersten Prototypen von Thompsons n dem Krieg, kamen zu spät, um noch in den waren, für den sie entworfen worden Die „Tommy Gun“ wurde während es dieser frühen eingesetzt zu werden. Eines des Krieges Modelle war in der Lage, 1.500 Schuss pro vereinfacht, um 21 hatte AutoMinute abzugeben. Bis 1921 die Produktionspistol-Design Ordnance seine Maschinenpistol-Design rate zu erhöhen und Kosten zu en Markt. verfeinert und war bereit für den senken. Das Nach Ende des Ersten Weltkriegs iegs versuchErgebnis war die te Thompson, seine Waffe einem breiteren M1A1. Publikum schmackhaft zu machen. Er reiste g anzuunermüdlich umher, um seine Erfindung preisen und bekannt zu machen. 1921 unternahm der Mann aus Kentucky eine Verkaufstour Trotz anständiger Verkaufszahlen stand durch Europa und stellte die Maschinenpistole in Frankreich, Belgien, Großbritannien und Spanien Auto-Ordnance 1929 am Rande der Auflösung. Es fehlten lohnende Verträge mit dem Militär. vor. Die Briten waren beeindruckt von der Handlichkeit und Kompaktheit der Waffe, konnten sich Lediglich das US Marine Corps hatte eine kleine aufgrund der finanziellen Nöte der Nachkriegszeit Menge von Thompsons Waffen für den Einsatz in Übersee gekauft. Auf dem zivilen Markt war jedoch keine Exemplare anschaffen. 1927 startete Thompson einen neuen Versuch man lediglich 10.300 Stück losgeworden. Die und stellte der französischen Armee eine verbes- Schulden der Firma beliefen sich auf 2.200.000 Dollar. Dann aber brach der Zweite Weltkrieg aus serte Version vor. Die Franzosen waren weder – und die Kasse klingelte. von der Feuerrate sonderlich beeindruckt, noch Nach der Besetzung Frankreichs im Juni konnten sie von der Notwendigkeit von Maschi1940 benötigten die britischen Streitkräfte nenpistolen überzeugt werden. Der US Postal jede Waffe, die sie bekommen konnten, und Service hingegen kaufte 200 Exemplare, um orderten daher auch „Tommy Guns“ in großer seine Mitarbeiter vor Überfällen zu schützen. Zahl. Bis April 1942 hatten 100.000 Stück die Aufgrund der hohen Feuerrate und dem viele Britischen Inseln erreicht und erfreuten sich bei Kugeln fassenden Magazin erfreute sich die den Soldaten großer Beliebtheit. Das US-Militär Waffe in den 1920ern und 1930ern bei Gesethatte die Waffe offiziell bereits 1938 in Dienst zeshütern und Gangstern gleichermaßen hoher genommen, forderte aber erst im Sommer 1939 Beliebtheit. Sie hielt Einzug in die Popkultur Lieferungen an. und war schon bald unter dem Namen „Tommy Bis zum Februar 1942 waren über eine halbe Gun“ bekannt. Einen bekannten „Auftritt“ hatte Million Thompson-Maschinenpistolen produziert die Waffe, als zwei Exemplare von ihr bei dem berühmten Valentinstagsmassaker 1929 im Rah- worden, die an jedem Kriegsschauplatz, vom Pazifik über Nordafrika bis nach Europa, zum Einmen der Bandenkriegen in Chicago eingesetzt satz kamen. General Thompsons Traum war endwurden. gültig wahr geworden: amerikanische Soldaten Obwohl die Maschinenpistole auch von Mänmit leichten automatischen Waffen auszurüsten, nern des Gesetzes benutzt wurde, wird sie mit die über verheerende Feuerkraft verfügten. den Gangstern alter Schule wie John Dillinger, Der Erfinder erlebte jedoch nicht mehr, welch „Baby Face“ Nelson und „Pretty Boy“ Floyd in wichtige Rolle seine Waffe bei den Alliierten Verbindung gebracht. Zudem hat sie die zweifelspielte; er starb im Juni 1940. Die „Tommy Gun“ hafte Ehre, eine der ersten Waffen zu sein, die jedoch versah weiterhin ihren Dienst, mehr als vom National Firearms Act von 1934 betroffen zwei Millionen Exemplare wurden in Korea und waren, der den Besitz automatischer Waffen Vietnam eingesetzt. regelt.
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An der Front
SIND MPs NOCH ZEITGEMÄSS?
Maschinenpistolen wurden im Ersten Weltkrieg entwickelt und erreichten im Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt. Aber auch im 21. Jahrhundert gibt es noch genügend Einsatzfelder für sie.
Für mehr als 40 Jahre war die MP5 eine der besten Maschinenpistolen weltweit. Auch heute noch ist sie im Einsatz.
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AN DER FRONT: MASCHINENPISTOLEN HEUTE
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ls der Erste Weltkrieg tobte, suchten die Generäle nach einer Waffe, die ihren Truppen einen Vorteil in den grausamen Stellungskriegen verleihen würde. Die Maschinenpistole schien die perfekte Lösung zu sein: Sie war kürzer und handlicher als ein Gewehr, hatte eine größere Feuerkraft als eine Pistole und war damit wie geschaffen für Kämpfe auf engstem Raum in den Schützengräben. Die deutsche MP18 war die erste serienmäßig produzierte Maschinenpistole und erwies sich bei der letzten großen deutschen Offensive 1918 als äußerst wirkungsvoll. Das Grunddesign von Maschinenpistolen hatte sich nur wenig verändert, als der Zweite Weltkrieg ausbrach und mehrere Staaten ihre Armeen mit diesen Waffen ausrüsteten. Wieder leistete Deutschland mit der Entwicklung der MP38 und der MP40 Pionierarbeit. Während des Krieges entwickelten sich die Maschinenpistolen weiter, als günstig, einfach und schnell herzustellende Waffen wie die Sten Gun oder die PPSch-41 aufkamen und in den Streitkräften weite Verbreitung fanden. Im Zweiten Weltkrieg gab es aber nicht nur neue Maschinenpistolen, sondern zudem eine ganz neue Art von Feuerwaffe: das Sturmgewehr. Erneut ebneten die Deutschen mit dem StG 44 den Weg, aber auch die Sowjets erkannten schnell, dass die Kombination der Präzision eines Gewehrs mit der Feuerkraft einer Maschinenpistole der nächste Schritt war. Der Kalte Krieg war dann die Zeit der legendären AK 47 und des amerikanischen M16, sodass Maschinenpistolen eine eher untergeordnete Rolle spielten. Für eine Reihe westlicher Staaten galt dies jedoch nicht. Hier wurden Maschinenpistolen an die Besatzungen von Panzern und anderen Fahrzeugen ausgegeben, ebenso an Einheiten, die schlicht und einfach keine großen, schweren Waffen benötigten. Zunächst wurden die Streitkräfte vieler westlicher Länder bis in die 1990er hinein mit Maschinenpistolen ausgerüstet. Als jedoch die NATO-Streitkräfte immer mehr zu Sturmgewehren tendierten, wurden die MPs zurückgedrängt. Dennoch fanden in der Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter spezialisiertere Maschinenpistolen eine Nische, in der sie eine wichtige Rolle spielen: Durch mehrere Terroranschläge in den 1970ern und 1980ern wurde die Notwenidgkeit von Antiterroreinheiten deutlich. Diese Spezialeinheiten benötigten eine Waffe, die leicht, kompakt und zuverlässig war und zudem über genug Feuerkraft verfügte,
Der Versuch von Heckler & Koch, seine MP5 zu verbessern, führte zu einer kleinen, handlichen PDW.
um auf engem Raum schnell die Oberhand zu gewinnen. Die MP bot all das. Hinzu kamen noch die relativ kleinen Kaliber, die das Risiko verminderten, Wände oder Körper zu durchschlagen und so Unschuldige zu verletzen. Die MP5 und die Uzi wurden rasch zur Standardausrüstung für Antiterror- und andere Spezialeinheiten rund um den Globus. Vor allem die MP5 von Heckler & Koch gilt als eine der besten Maschinenpistolen, die je konstruiert wurden. Sie ist präziser als vorangegangene Modelle, was etwa bei Geiselbefreiungen essenziell ist. Sie war zudem eine der ersten modularen Maschinenpistolen, die mit Schalldämpfern, Lampen oder Laseraufsätzen bestückt werden können, um die Waffe an bestimmte Missionen anzupassen. In den letzten Jahren haben weiterentwickelte Designs auf der MP5 aufgebaut, sodass die Modularität durch Hinzufügen von Zubehörschienen und die Präzision durch neue Munitionsarten verbessert worden sind. Die bekanntesten Vertreter dieser neuen Generation sind die ausgeklügelte FN P90, Heckler & Kochs sehr kompakte MP7 und die chinesische QCW-05. Diese neuen Schusswaffen verwenden spezielle Munition, die auf die Durchdringung von Körperpanzerung ausgelegt ist. Die sehr schnellen, sehr kleinen Kugeln haben zudem weniger das Potenzial, Kollateralschäden zu verursachen, wenn sie ihr Ziel einmal getroffen haben. Obwohl diese MPs bei Spezialeinheiten überall auf der Welt zu finden sind, wurden sie ursprünglich für eine andere, sehr spezielle Rolle verwendet. In den 1980ern kam die Sorge auf, dass die NATO-Truppen anfällig für Angriffe schwer gepanzerter und bewaffneter sowjetischer Einheiten wären. Eine kompakte und durchschlagsstarke PDW (Personal Defence Weapon) wurde benötigt. Diese neuen Handfeuerwaffen basierten auf dem Konzept der Maschinenpistolen, nutzten aber neuartige Kugeln, die präziser und bei der Durchdringung von Körperpanzerung noch effektiver waren. Diese „Erben“ der Maschinenpistolen blieben auch dann noch im Militärdienst, als der Eiserne Vorhang gefallen war. MPs werden weiterhin in der Armee und bei der Strafverfolgung eingesetzt, da ihre Designs kontinuierlich weiterentwickelt werden und sie so neue Rollen einnehmen können. Auf dem Schlachtfeld sind sie zwar kaum noch zu finden, dafür aber in speziellen Nischen, etwa bei Antiterror- und anderen Spezialeinheiten. Ihre „Nachkommen“, die PDWs, gehören zur Aurüstung von rückwärtigen Truppen.
Bilder: Shutterstock
„DIE MP5 UND DIE UZI WURDEN RASCH ZUR STANDARDAUSRÜSTUNG FÜR ANTITERROR- UND ANDERE SPEZIALEINHEITEN RUND UM DEN GLOBUS. VOR ALLEM DIE MP5 VON HECKLER & KOCH GILT ALS EINE DER BESTEN MASCHINENPISTOLEN, DIE JE KONSTRUIERT WURDEN.“
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EXPERIMENTELLE MPs An der Front
Während ihrer hundertjährigen Geschichte haben sich MPs immer weiter entwickelt. Hier sind einige der interessantesten und bizarrsten Modelle, die es nicht in die Produktion geschafft haben.
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affen haben sich mit der Natur des Krieges entwickelt und Maschinenpistolen stellen keine Ausnahme dar. Zuerst entworfen, um das Patt der Westfront mit reiner Feuerkraft zu brechen, haben sie sich allmählich zur persönlichen Verteidigungswaffe von heute entwickelt. Ihre Nahbereichsfeuerkraft ist verheerend, aber die MP kann diese in einer verfeinerten, kompakteren, leichteren und zuverlässigeren Form zur Verfügung stellen.
EXPERIMENTELLER MASCHINENKARABINER VON BSA
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann die British Army mit der Suche nach einem Nachfolger der Sten Gun, die seit 1941 bei den MPs das Arbeitstier des britischen Militärs gewesen war. Mehrere Unternehmen reichten Konstruktionspläne ein, darunter auch die Waffenschmiede „Sterling, Madsen and the Birmingham Small Arms“ (BSA).
- KLAPPSCHAFT
Anders als die Sten Gun, die einen festen Schaft aus Metall beziehungsweise später Holz hatte, wies die BSA einen Klappschaft auf. Dieser konnte unter der Waffe eingeklappt werden, um sie noch kompakter zu machen.
- VORDERSCHAFT MIT LADEHEBELFUNKTION
Die BSA hatte keinen konventionellen Ladehebel. Um die Waffe zu verschlanken, entwickelte BSA ein geniales System, bei dem man die Waffe mittels einer Bewegung des Vorderschafts nach vorne und hinten laden konnte.
- KLAPPBARES MAGAZIN
Das Klappmagazin der Waffe konnte nach hinten geschwenkt werden, um sie kompakter zu machen. Ebenfalls konnten so Ladehemmungen behoben werden, ohne dass man das Magazin entfernen musste.
- DAUMENSICHERUNG
Die Waffe hatte eine in den Griff verbaute Daumensicherung, was eine deutliche Verbesserung zur Sten Gun war. Die Daumensicherung machte die Waffe sicherer und ergonomischer in der Handhabung.
„UM DIE WAFFE ZU VERSCHLANKEN, ENTWICKELTE BSA EIN GENIALES SYSTEM, BEI DEM MAN DIE WAFFE MITTELS EINER BEWEGUNG DES VORDERSCHAFTS NACH VORNE UND HINTEN LADEN KONNTE.“
STANDSCHÜTZE HELLRIEGEL
Die während des Ersten Weltkrieges entwickelte Hellriegel war ein innovativer Maschinenpistolenprototyp, der mobile Feuerkraft bieten sollte. Leider ist nur wenig über die Waffe bekannt und sie ging auch nicht in Produktion. Ungewöhnlich war der wassergekühlte Laufmantel. Laufmantel Außerdem konnten herkömmliche sowie Trommelmagazine genutzt werden.
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Oben: W Wenngleich enngl ngleic ngl gleic ei h die die ie ersten Hellriegel eine der erst ten n Maschinenpistolen war, kam sie nicht über den Status eines Prototyps hinaus.
AN DER FRONT: EXPERIMENTELLE MASCHINENPISTOLEN
Links: Die kompakte Hill war kleiner als eine Uzi und diente viele Jahre später als Inspiration für die FN P90.
HILL-MASCHINENPISTOLE HILL-MASCHINENPIS Unten: Sterlings Versuch, eine moderne Maschinenpistole zu entwickeln, scheiterte. Nur ein S11-Prototyp wurde jemals gefertigt.
PM MAC 47/1 /
Die französische Armee war auf der Suche nach einer sehr kompakten MP mit Klappschaft und Magazinschacht. Dabei heraus kam die von der staatlichen Waffenfabrik in Châtellerault entwickelte MAC 47/1, 47/1 die jedoch aufgrund ihrer schlechten Ergonomie unhandlich in der Anwendung war. Stattdessen entschied sich die Armee für die MAT 49.
Bei der von John L. Hill Ende der 1940er 1 entwickelten MP waren Magazin sowie Munitionszufuhr Munitio horizontal gelagert, wodurch die Waffe klein und leicht war und mit einer Hand abgefeuert werde werden konnte. Hill gelang es nicht, größere Waffenproduzenten von seinem Design zu überzeugen.
STERLING S11
Mit dem Aufstieg der Uzi und der MP5 benötigte der britische Waffenproduzent Sterling Armaments eine neue Maschinenpistole. Die S11 war von der Uzi inspiriert und hatte ein kastenförmiges Verschlussgehäuse aus Metall, welches gestanzt war. Plastikgriffe, eine Griffsicherung und ein neuartiger Faltschaft wurden eingeführt. Da der Marktanteil von Sterling zurückging, wurde beschlossen, d dass die S11 nicht kostengünstig genug war, u um in Produktion zu gehen.
Rechts Rec hts: Die ht D Diie ie MAC 47 47/1 /1 war einer einer ei iner er vo von n Rechts: vielen Prototypen zur Einführung eines Klappschaftes. Die Waffe wog nur 2,1 Kilogramm und war lediglich 40 Zentimeter lang.
FN P90 PROTOTYP
„FN VERWENDETE EIN BRANDNEUES POLYMER, UM DAS GEWICHT GERING ZU HALTEN. AUSSERDEM ENTWICKELTE MAN EIN HORIZONTALES MAGAZIN, WELCHES VON DER FRÜHEREN HILL-MP INSPIRIERT WAR.“
Das Aussehen der in d den frühen achtziger Jahren als persönliche Verteidigungswaffe Verteid für NATO-Truppen entworfenen P90 vveränderte sich während der Entwicklung massiv. FN vverwendete ein brandneues Polymer, um das Gewicht g gering zu halten. Außerdem entwickelte man ein hor horizontales Magazin, welches von der früheren Hi Hill-MP inspiriert worden war. Der erste Prototyp der P90 war eine Deutwaffe. Wenngleich sich das Design veränderte, so blieb die horizontale Position des Magazins erhalten.
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An der Front
ANATOMIE EINER STEN GUN Es war Großbritanniens dunkelste Stunde, die Nazis standen bereit zur Invasion. Doch die zu dieser Zeit entwickelte Waffe war perfekt für die Situation geeignet.
EINFACHE LOCHKIMME
- VERSCHLUSSGEHÄUSE
Die Konstruktion der Sten war extrem simpel. Das Verschlussgehäuse bestand aus einem einzelnen Stahlrohr mit Lauf, Magazinschacht und angeschweißtem Abzugmechanismus. Die Einfachheit der Waffe erlaubte eine millionenfache Produktion.
- ROHRSCHAFT
Während der Einsatzzeit der Sten experimentierten die britischen Waffenproduzenten sowie die des Commonwealth mit verschiedenen Schäften: hölzerne, klappbare und Skelettschäfte wurden allesamt ausprobiert, doch der am meisten verbreitete war der simple Rohrschaft der Mk II.
EINE SCHLIESSFEDER DRÜCKT DEN VERSCHLUSS NACH VORNE
LADEHEBEL
- PISTOLENGRIFF
Die Ergonomie der Mk II war sehr elementar. Zudem war der Griff einfach nur an den Schaft geschweißt, wodurch das Abfeuern unbequem war. Die Mk I hingegen hatte einen hölzernen Griff, die Mk V sogar einen wesentlich ergonomischeren Pistolengriff.
ABZUG
- VERSCHLUSS
Die Sten hatte einen einfachen Masseverschluss. Nach Betätigen des Abzugs bewegte sich der Verschluss nach vorne, sodass der Schlagbolzen die Treibladung der Patrone zünden konnte. Der Gasdruck innerhalb der Patrone sorgte dafür, dass der Verschluss sich nach hinten bewegte, wodurch der Kreislauf von vorne begann.
- SICHERHEITSNUT
Das Design der Sten war extrem einfach gehalten. Bis auf den am Bolzen befestigten Ladehebel, der in eine Sicherheitsnut geschoben werden konnte, um zu verhindern, dass er sich nach vorne bewegt, hatte die Sten keinen weiteren Sicherheitsmechanismus. Im Kampfeinsatz fanden die Soldaten schnell heraus, dass der Bolzen aus dem Sicherheitsschlitz herausspringen und die Waffe unbeabsichtigt abfeuern konnte, wenn sie die Sten fallen ließen oder diese erschüttert wurde.
STEN GUN G MK II LAND: GROSSBRITANNIEN IN GEBRAUCH: 1941–1956 KALIBER: 9 X 19 MM LÄNGE: 76,2 CM GEWICHT: 3 KG MAGAZINKAPAZITÄT: 32 PATRONEN KADENZ: 550 SCHUSS/MIN.
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„DAS MAGAZIN DER STEN WURDE VON DER SEITE IN DIE WAFFE GELADEN. DIES HATTE DEN VORTEIL, DASS SOLDATEN AUCH IN BODENNÄHE IMMER NOCH IN DER LAGE WAREN, DIE WAFFE ZU NUTZEN.“
- FEUERWAHLKNOPF
Die Sten konnte im Einzeloder Dauerfeuermodus betrieben werden, was der Schütze über den Feuerwahlknopf festlegte. Für Dauerfeuer wurde er durchgeschoben, sodass er links herausragte. Für Einzelfeuer entsprechend andersherum.
AN DER FRONT: ANATOMIE EINER STEN GUN
- KORN
Die Visierung der Mk II war sehr rudimentär: die Kimme nur eine simple Lochkimme, das Korn ein gefalztes und geschweißtes, dreieckiges Stück Metall. Bei der weiterentwickelten Mk V wurde eine bessere Visierung verbaut.
PER KNOPFDRUCK AUSWERFBARES MAGAZIN
- LAUF - MAGAZINSCHACHT
LEERE PATRONENHÜLSEN WERDEN DURCH DIE VERSCHLUSSÖFFNUNG AUSGEWORFEN
Anders als bei der deutschen MP 40 oder der US-amerikanischen Thompson wurde das Magazin der Sten von der Seite in die Waffe gesteckt. Dies hatte den Vorteil, dass Soldaten auch in Bodennähe immer noch in der Lage waren, die Waffe zu nutzen.
Die Sten Mk I hatte ursprünglich sechs Züge im Lauf, bei der einfacheren Mk II wurden diese auf zwei reduziert. Der Lauf der Sten war 19,6 Zentimeter lang, viel kürzer als der der PPSch-41, Thompson und MP 40.
- LAUFMANTEL
ERSCHWINGLICHE HE MP
als 50 Teile und konnte te in kleinen Fabriken und Betrieben mit recht einfachen Werkzeugen Die Sten war für die britischen Kriegsanstrengungen gefertigt werden. Wenngleich die Sten nicht die Di von entscheidender Bedeutung. Mit der raschen zuverlässigste oder die beste MP des Krieges Vergrößerung der Berufsarmee des Landes in war, wurden dennoch mehr als vier Millionen den Jahren 1939–1940 benötigte diese jede britische und Commonwealth-Soldaten sowie Waffe, die sie bekommen konnten. Die einfache, Widerstandskämpfer in ganz Europa mit ihr billige und robuste Sten konnte schnell produziert ausgerüstet. Die Sten spielte eine kleine, aber und extrem günstig hergestellt werden. Die wichtige Rolle beim Sieg der Allierten im Zweiten grundlegendste Version der Sten hatte weniger Weltkrieg. Ein britischer Fallschirmjäger mit einer neuen Sten Gun Mk II im Oktober 1942.
„MEHR ALS VIER MILLIONEN TRUPPEN SOWIE WIDERSTANDSKÄMPFER WURDEN MIT DER STEN AUSGERÜSTET.“
Illustration: Alex Pang
Der Sten hatte nur wenige Besonderheiten, die die Handhabe komfortabler machten. Der Laufmantel war indes notwendig, damit die Soldaten die Waffe halten konnten. Denn: Griff man sie zu fest am Magazin, war es mitunter möglich, dass die Patronenzufuhr nicht fehlerfrei vonstatten ging.
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KOPF KOPF An der Front
AN
Die MP 40 – ein Meisterstück de deutscher eutscher Ing Ingenieurskunst – traf an der Ostfront auf ihr Gege Gegenstück: genstück: die sowjetische PPSch-41.
„SIE WAR IDEAL FÜR GEFECHTE AUF ENGEM RAUM UND SOMIT DIE PERFEKTE WAFFE FÜR DIE HÄUSERKÄMPFE BEI DEN SCHLACHTEN IN STALINGRAD UND BERLIN.“
PPSCH-41
ZUGEHÖRIGKEIT: SOWJETUNION JAHRE IN GEBRAUCH: 1941–1955
KONSTRUKTION 2
Anders als die MP 40 hatte die Der Holzschaft war einfach herPPSch-41 einen simplen und zustellen und hielt den Metallgünstigen Holzschaft und einen verbrauch niedrig. Er machte die gestanzten sowie perforierten Waffe aber schwerer und länger; Laufmantel aus Metall, durch den die PPS-43 hatte daher eine klappder Lauf schnell abkühlen konnte. bare Schulterstütze aus Metall.
MAGAZIN 2
PRODUKTION
Die PPSch konnte mit einem Kurvenmagazin (35 Schuss) oder einem Trommelmagazin (71 Schuss) verwendet werden. Zwar war die Trommel schwer und neigte zum Klemmen, bot dafür aber herausragende Feuerkraft.
Das Verschlussgehäuse der PPSch-41 war ebenso wie viele weitere Teile gestanzt, wodurch sie in Fabriken in großer Stückzahl, bei Bedarf aber auch in kleinen Betrieben produziert werden konnte.
GESAMT
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EINFACH, ABER EFFEKTIV
Die PPSch-41 konnte mehr als 900 Schu Schuss uss pro Minute abfeuern. Die sowjetischen Truppen nutzten diese Feuerkraft, um deutsche Truppen zurückzuhalten und d sie zu überrennen. Sie war ideal für Gefechte Gefe echte auf engem Raum und somit die perf rfekte perfekte Waffe für die Häuserkämpfe bei de en den Schlachten in Stalingrad und Berli rlin. Die Berlin. PPSch-41 konnte in weniger alss sieben Stunden produziert werden; dank dan ank der gestanzten Teile und des Holz lzschaftes war Holzschaftes eine Produktion von 3.000 S Stück pro Tag möglich. Bis Kriegsende wurden w sechs Millionen PPSch-41 gefe fertigt. gefertigt. Rechts: Ein sowjetischer So Soldat mit einer PPSch-41 und Trommelm lmagazin bereitet sich in Trommelmagazin Stalingrad darauf vor,, w weiter vorzurücken.
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SCHAFT 2
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AN DER FRONT: KOPF AN KOPF
QUANTITÄT VOR QUALITÄT
Die MP 40 war im Vergleich mit der PPSch-41 zweifelsohne die wertigere Maschinenpistole. Ihr modernes Design ergab in Kombination mit den fein gearbeiteten Teilen eine robuste und verlässliche Waffe. Das war jedoch auch ihr größter Nachteil, da die komplexen Fertigungsprozesse die Produktion deutlich verlangsamten. Bis 1945 verließen in Deutschland eine Million Exemplare die Fabriken. Zum Vergleich: Die Sten wurde vier Millionen Mal und die PPSch-41 sechs Millionen Mal gefertigt. In Sachen Quantität konnte Deutschland nicht mit den Alliierten mithalten, was dazu führte, dass man auf dem Schlachtfeld oft von der feindlichen Feuerkraft überwältigt wurde. Rechts: Ein deutscher Sturmpionier mit einer MP 40.
MP 40
ZUGEHÖRIGKEIT: DEUTSCHLAND JAHREE IN GEBRAUCH: GEBRAUCH: 1940–1945
KONSTRUKTION
MAGAZIN
1938 entwickelten die Deutschen Schaft und Griffschalen aus Bakelit. Da die MP 40 keinen Laufmantel hatte, konnte die Waffe dort gegriffen werden. Zusätzlich sparte man so Gewicht ein.
Die e MP 4 40 0 hatte ein Stangenmagazin mit 32 S chuss, wobei die Patronen Schuss, reihig ge elagert und oben einreihig dem zweireihig gelagert chluss zugeführt zug geführt wurden. Ein Umstand, Verschluss der oft zu LLadehemmungen adehemmungen führte.
SCHAFT 2
PRODUKTION PRO ODUKTION 2
Die MP 40 war kompakt – mit eingeklappter Schulterstütze war sie nur 63 Zentimeter lang und damit ideal für Panzergrenadiere und Fallschirmjäger. Sie konnte sogar mit eingeklapptem Schaft abgefeuert werden.
Anders nders als die sow sowjetische owjetische PPSch-41 wurde die MP 40 größtenteils im panabhebenden Verfahren Ve spanabhebenden gefertigt. teur urer, sondern auch Dass war nicht nur teurer, aufwendiger als die S tanzproduktion zeitaufwendiger Stanzproduktion PPSch-41 41. der PPSch-41.
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GESAMTT
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„DIE MP 40 WAR KOMPAKT – MIT EINGEKLAPPTER SCHULTERR ER LANG. SIE KONNTE STÜTZE WAR SIE NUR 63 ZENTIMETER SOGAR MIT EINGEKLAPPTEM SCHAFTFT ABGEFEUERT WERDEN.“
Illustrationen:: Jean-Mich Jean-Michel chel Girard / The Art Agency Bilder:: Alamy
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Die deutschen Bomber brachten Tod und Zerstörung ins Baskenland.
TEXT: DAVID SMITH
Heute vor 80 Jahren lernte die Welt eine neue Form der Kriegsfüh grausames Vorgehen, das Zivilisten zum Ziel hatte
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hrung kennen – ein e.
ANGRIFF AUF GUERNICA
A
m Montag, den 26. April 1937, läutete um 16:30 Uhr in der baskischen Stadt Guernica eine Kirchenglocke. Es war Markttag, sodass sich in der Stadt rund 10.000 Personen befanden, denn die Bauern aus der Umgebung waren gekommen, um ihre Produkte feilzubieten. Ein einzelnes Flugzeug tauchte auf und die Menschen beobachteten mit dunkler Vorahnung, wie es über ihren Köpfen kreiste. Jedwede Zweifel über sein Vorhaben hatten sich erübrigt, als es begann, Bomben auf die Stadt abzuwerfen. Die Vernichtung Guernicas hatte begonnen.
„Man muss Angst verbreiten!“ Im vorangegangenen Jahr war der Spanische Bürgerkrieg ausgebrochen, als sich rechtsgerichtete Kräfte gegen die republikanische Regierung erhoben hatten. Doch die Gegenwehr von Republikanern und Linken war unerwartet heftig – was als rascher Putsch geplant gewesen war, wurde zu einem ausgewachsenen Krieg. Schon von Beginn an wurde deutlich, dass es ein äußerst brutaler Kampf werden würde. General Emilio Mola, einer der führenden Köpfe des Putsches, erklärte: „Man muss Angst und Schrecken verbreiten, man muss das Gefühl der Herrschaftsgewalt zurücklassen, die ohne Skrupel und Schwanken alle jene eliminiert, die nicht so denken wie wir.“ Die komplexe politische Landschaft in Spanien spielte den Aufständischen in die Karten. Die Marxisten, Sozialisten, Kommunisten und Anhänger der Arbeiterbewegung taten sich schwer damit, gemeinsam für die Republik an einem Strang zu ziehen. Mola und General Francisco Franco gelang es deutlich besser, nationalistische Elemente zu vereinen. Sie wurden zudem von Teilen des Militärs, der katholischen Kirche und der gesellschaftlichen Elite unterstützt. Trotz dieses beachtlichen Beistands suchten die Putschisten auch nach Hilfe aus dem Ausland. Der Nationalsozialismus in Deutschland und der Faschismus in Italien blickten wohlwollend auf ihren spanischen „Cousin“, sodass sie seit 1936 Militärhilfe gewährten. Die unter Druck geratene Linke hatte nicht so viel Glück. Frankreich und Großbritannien Gro oßb ßbri r tannien waren entschlossen, in dieser Sac ch he en eutr t al zu bleiben. Das Sache neutral Vereinigte Königre re eiicch sympathisierte syymp m at athi h si hi sier erte e mehr als Königreich Frankreich mit den en n Putschisten, Put u scchi hist sten st en,, sodass en so oda dass s die Sorr ge bestand, eine n E ne iin nmi m scchu ung ng iin n de d n Ko Konflikt Einmischung den
„EIN EINZELNES FLUGZEUG TAUCHTE AUF UND DIE MENSCHEN BEOBACHTETEN MIT DUNKLER VORAHNUNG, WIE ES ÜBER IHREN KÖPFEN KREISTE. JEDWEDE ZWEIFEL ÜBER SEIN VORHABEN HATTEN SICH ERÜBRIGT, ALS ES BEGANN, BOMBEN AUF DIE STADT ABZUWERFEN.“ 29 29
ANGRIFF AUF GUERNICA würde einen Keil zwischen die beiden Großmächte treiben, die sich als Bollwerk gegen die faschistischen Bewegungen in Europa sahen. Premierminister Winston Churchill fasste im August die Situation zusammen, als er kommentierte: „Der spanische Tumult ist nicht die Angelegenheit von einem von uns [Frankreich oder Großbritannien]. Keine dieser spanischen Fraktionen steht für unsere Vorstellung von Zivilisation.“ Lediglich die Sowjetunion war bereit, die Republikaner zu unterstützen, allerdings fielen Stalins Lieferungen deutlich kleiner aus und kamen unregelmäßiger als die Deutschlands und Italiens. Die ersten sowjetischen Güter trafen im Oktober ein.
Die Legion Condor Nachdem es ihnen nicht gelungen war, die Macht im Handstreich an sich zu reißen, fanden sich die Putschisten in einem zähen Ringen mit der republikanischen Regierung um die Kontrolle über das Land wieder. Der Fokus lag zunächst und verständlicherweise auf der Hauptstadt Madrid, aber der Widerstand erwies sich als stark und Fortschritte kamen langsamer als erwartet.
Die Niederlage der italienischen Verbündeten – trotz zahlenmäßiger Überlegenheit an Männern und Ausrüstung – in der Schlacht bei Guadalajara im März 1937 machte die Lage noch vertrackter. Der Ausgang der Schlacht stärkte die Moral der Republikaner, führte aber auch zu einem Umdenken der Nationalisten hinsichtlich ihrer Strategie. Statt seine Truppen weiterhin gegen Madrid anstürmen zu lassen, suchte Franco nach anderen Möglichkeiten – und nahm das Baskenland im Norden ins Visier. Ignoriert worden war diese Gegend bisher zwar nicht – Bilbao, die wichtigste Stadt der Region, hatte im September 1936 einen Bombenangriff erleben müssen –, aber nun wurde sie zum Experimentierfeld für neue Taktiken einer ausländischen Streitmacht: der Legion Condor. Kommandiert wurde sie von General Hugo Sperrle, obwohl die Einheit offiziell Franco unterstand. Aber wie Sperrle nach dem Krieg bemerkte: „Alle Vorschläge zur Kriegsführung, die von der Legion Condor gemacht wurden, wurden dankbar angenommen und befolgt.“ Gemeinsam mit seinem Adjutanten Wolfram von Richthofen (ein Cousin Manfred von Richthofens, der berühmte „Rote Baron“) hatte
DAS CONDOR-EXPERIMENT DIE SPANISCHEN NATIONALISTEN BEKAMEN UNTERSTÜTZUNG VON ITALIEN UND N. DEUTSCHLAND. DIE LEGION CONDOR IST DABEI AM MEISTEN IM GEDÄCHTNIS GEBLIEBEN. Der experimentelle Charakter der Legion Condor wird durch den Umstand deutlich, dass durch sie einige der bekanntesten deutschen Flugzeuge in den aktiven Dienst eingeführt wurden, darunter die Heinkel He 111 und die Messerschmitt Bf 109. Von der He 111 kamen bei Guernica zwar nur vier Exemplare zum Einsatz, doch dieser zweimotorige, mittlere Bomber sollte während des Zweiten Weltkriegs eines der berühmtesten Flugzeuge des Reiches werden. Im Gegensatz dazu war die He 51, ein Doppeldecker, bereits während des Spanischen Bürgerkriegs veraltet (obwohl sie noch für Bodenangriffe eingesetzt wurde) und wurde von der Bf 109 verdrängt. Der Name der Einheit wurde gewählt, um den Eindruck zu erwecken, sie würde aus deutschen Freiwilligen der spanischen Fremdenlegion bestehen.
en Offiziell waren die Mitglieder aus dem deutschen Militär entlassen worden und ihre Uniformen hatten die gleiche bräunliche Farbe wie die der spanischen Soldaten. war Die Lufteinheiten der Legion Condor sind zwar die bekanntesten, dennoch existierten auch mBodentruppen. Neben den Jagdflugzeugen, Bomen, bern, Luftaufklärungs- und Flugabwehreinheiten, die von der Wehrmacht zur Verfügung gestellt -/ wurden, gab es auch eine kombinierte Panzer-/ uppe Panzerabwehreinheit sowie eine Fernmeldetruppe der Armee. Obwohl die Truppenstärke der Legion Condorr teilweise mit bis zu 50.000 Mann angegeben 00 wurde, dienten vermutlich nicht mehr als 25.000 00 in ihr; zudem befanden sich nie mehr als 10.000 deutsche Soldaten zugleich in Spanien. ge Die bei Guernica unter dem wachsamen Auge en von Wolfram von Richthofen getesteten Taktiken flossen später in das Konzept des „Blitzkriegs“ ein, n Auch im Polenfeldzug 1939 war von Richthofen mit ähnlichen grausamen Aufgaben betraut.
Sperrle Ideen entwickelt, wie kombinierte Einheiten am besten mit Luftunterstützung operieren könnten. Die geplante Offensive gegen das Baskenland eröffnete ihnen nun die Möglichkeit, auf die sie gewartet hatten. Bizkaia war das erste Ziel, die Stadt Durango wurde zerbombt, rund 300 Menschen starben bei dem Luftangriff. Neben der Legion Condor war auch die italienische Aviazione Legionaria beteiligt. Der Angriff war ein Erfolg, die baskischen Streitkräfte zogen sich zurück. Der nächste Schlag sollte kurz danach folgen. Die Stadt Guernica lag auf dem Rückzugsweg der Feinde und war damit ein lohnendes Ziel; ein Angriff dort würde nicht nur den Rückzug behindern, sondern auch Angst und Schrecken in der Region verbreiten.
Das Ende naht Die militärischen Vorteile, die sich aus dem Vormarsch ergaben, waren jedoch der Intention, Terror zu verbreiten, deutlich untergeordnet. Am 25. April sendeten die Rebellen per Radio eine eindeutige Botschaft: „Franco ist im Begriff, einen gewaltigen Schlag auszuführen, gegen den jeder Widerstand zwecklos ist“, ertönte es
COCKPIT
Die erstmals 1938, also nach dem Bombenangriff auf Guernica, geflogene 111-P-Version der Heinkel besaß ein verändertes Cockpit: Das „stufenförmige“ Design war einem stromlinienförmigen gewichen.
Links: Wolfram von Richthofen organisierte den Luftangriff.
Left: A H Heinkel ein nke ell He He 111 11 1 11 and an nd d its it crew, p pa ar t off tthe he Co C Con on o ndor do do orr LLe eg giio gio ion part Condor Legion in Spain n dur d ur uriing iin ng th ng tthe he S pan pan pa anish ish is sh during Spanish Civil War ar ar
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„ES GAB KEINE FLUGABWEHR. KEINE VERTEIDIGUNG IRGENDEINER ART, WIR WAREN EINGEKREIST UND EINGESPERRT VON DIABOLISCHEN KRÄFTEN.“ drohend. „Basken! Ergebt euch jetzt und eure Leben werden verschont!“ Wenn dieses Angebot ernst gemeint gewesen war, so galt es nicht für lange. Der Bombenangriff auf Guernica begann am folgenden Tag. Wieder einmal waren es die Flugzeuge der Legion Condor und der Aviazione Legionaria, die am Himmel erschienen, obwohl die Rolle der Italiener oftmals in Vergessenheit gerät. Augenzeugen berichteten übereinstimmend über den Ablauf der Attacke. Die Aufzeichnungen des katholischen Priesters Alberto Onaindía erschüttern auch heute noch. „Es gab keine Flugabwehr“, schreibt er. „Keine Verteidigung irgendeiner Art, wir waren eingekreist und eingesperrt von diabolischen Kräften auf der Jagd nach wehrlosen Einwohnern.“ Fünf Minuten, nachdem das erste Flugzeug seine sechs Bomben abgeworfen hatte (einige Berichte behaupten zudem, es seien
auch Handgranaten aus der Maschine geschleudert worden, um die Panik zu vergrößern), kam ein zweiter deutscher Bomber an und tat das Gleiche. Als 15 e– Minuten später die nächste Angriffswelle S bestehend aus vier Junkers Ju 52 – die Stadt e in eits erreichte, hatten sich die Bewohner bereits Keller und Schutzräume zurückgezogen. Die sich stetig erhöhende Intensität der d Luftangriffe löste bei den Menschen in der n Stadt zudem Panik aus. Viele von ihnen n in wollten die Flucht ergreifen und rannten h hofen die umliegenden Felder, doch von Richthofen hatte das vorausgesehen: Zehn Heinkel HE 51 nahmen die Flüchtenden unter Beschuss und trieben viele von ihnen zurück ins Stadtzentrum. Obwohl die Legion Condor in Form von mehreren Junkers Ju 87 auch über Sturzkampfbomber verfügte, kamen diese an
Oben: General Hugo Sperrle, kommandierender Offizier der Legion Condor.
jenem Tage nicht zum Einsatz. Noch nicht. Das Fehlen jeglicher Verteidigungsanlagen bedeutete, dass Bomber wie die Ju 52 oder die neu entwickelte Heinkel He 111 ungestört ihre Präzision testen konnten.
TÖDLICHE FRACHT
Die Heinkel war in der Lage, bis zu 2.000 Kilogramm Bombenlast zu transportieren. Einige spätere Versionen konnten zudem zusätzliche Last außen transportieren.
VERTEIDIGUNG UNG
ANTRIEB
Die hier abgebildete Version des Bombers, die 1937 noch nicht eingesetzt wurde, verfügt über zwei flüssigkeitsgekühlte Daimler-Benz-DB601Motoren, was eine leichte Verbesserung der Leistung und Reichweite bedeutete.
Illustration: Alex Pa Pang ang ng
Illustration: Alex Pang
Obwohl Bombenangriffe nangriffe im Spanischen Widerstand nur selten auf Gegenwehr aus der en die Heinkel mit bemannten Luft trafen, waren et, die sich in der Nase, im MGs ausgestattet, chtung Rumpf befanden. Bauch und in Richtung
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DAWN OFAUF ANGRIFF THEGUERNICA BLITZKRIEG
„GUERNICA, DIE ÄLTESTE STADT DER BASKEN UND ZENTRUM IHRER KULTURELLEN TRADITION, WURDE GESTERN NACHMITTAG DURCH AUFSTÄNDISCHE LUFTANGRIFFE VOLLSTÄNDIG ZERSTÖRT.“
Zu den ersten Zielen der Angreifer gehörten die Feuerwache und Wasserspeicher. Es sollte schnell klar werden, warum: Unter den abgeworfenen Bomben befanden sich auch Stabbrandbomben, die heftige Feuer verursachten. Onaindía gehörte zu den Menschen, die versuchten, aus der Stadt hinauszukommen, als der Angriff anhielt: „Die Explosionen der Bomben, die ausbrechenden Feuer und die Bedrohung durch die mit Maschinengewehren schießenden Flugzeuge zwangen uns, in Deckung zu gehen“, berichtet er. „Inmitten dieser Feuersbrunst sahen wir Menschen, die schreiend, betend oder zu den Angreifern gestikulierend flohen.“ Und mehr als Gestikulieren konnten die Menschen in Guernica den deutschen und italienischen Maschinen nicht entgegensetzen, die drei Stunden lang ihren Auftrag ausführten. Als die Attacke um 19:46 Uhr nach drei Stunden vorüber war, brannte die Stadt die Nacht hindurch weiter. Zu den Augenzeugen gehörte auch eine Gruppe internationaler Reporter, die den ersten Berichten eine große und wichtige Glaubwürdig-
keit verlieh, da die nationalistischen Streitkräfte nach dem Bombardement jegliche Verantwortung von sich wiesen. Vor allem der Südafrikaner George Steer, der für die Times arbeitete, tat sich hervor, indem er eine detaillierte Beschreibung der Ereignisse ablieferte und sich dabei sowohl auf seine eigenen Erfahrungen als auch auf die anderer Augenzeugen berief. Steer und seine Kollegen waren von deutschen Flugzeugen angegriffen worden, als sie in einem Auto unterwegs waren, hatten die Stadt aber unbeschadet erreicht, nachdem die Bombardierung bereits beendet war. Steers Vorgesetzter Geoffrey Dawson zweifelte erst, diese Nachricht zu veröffentlichen, doch der sachliche Ton des Berichts überzeugte ihn schließlich, sodass die Welt am 28. April von dem Inferno erfuhr. „Guernica, die älteste Stadt der Basken und Zentrum ihrer kulturellen Tradition“, schrieb Steer, „wurde gestern Nachmittag durch aufständische Luftangriffe vollständig zerstört.“ Steer zählte anschließend die deutschen Flugzeugtypen und Fliegerbomben auf, die eingesetzt worden waren, und kritisierte vor
1939 ehrt Adolf Hitler die Legion Condor für ihren Einsatz in Spanien.
allem den Einsatz von Brandbomben. Er beschrieb, wie die Stadt auch um 2 Uhr morgens noch einer Hölle glich, als die Feuer weiterhin wüteten. „Während der Nacht stürzten Häuser ein“, berichtet er, „bis die Straßen lange Halden roter, unüberwindbarer Trümmer waren.“ Trotz aller Sachlichkeit enthielt Steers Berichterstattung einen unverkennbar zornigen Unterton, insbesondere dann, wenn er über die Taktiken der Deutschen und Italiener schrieb, über welche er anmerkte, dass die „für Studenten der neuen Militärwissenschaft von Interesse sein könnten.“
Die Suche nach der Wahrheit An der Wirkung dieser neuen Taktiken bestand kein Zweifel, aber sobald Guernica dem Erdboden gleichgemacht worden war, spielten die Nationalisten ihre Rolle bei dem Angriff herunter oder leugneten sie gleich ganz. Der Artikel von Steer war sehr detailliert gewesen, dennoch versuchte man, die Schuld auf die Basken selbst zu schieben. Luis Bolín, Pressechef von Franco, behauptete, die Basken hätten ihre eigene Stadt aus Propagandazwecken gesprengt. Unten: Die Feuer brannten die ganze Nacht hindurch. Viele Menschen, die in ihren Kellern Schutz gesucht hatten, fanden den Erstickungstod.
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DA D AWN NO F THE THE B TH BL LIT ITZ ZK KR RIIE EG G DAWN OF BLITZKRIEG
Auf diesem französischen antifaschistischen Plakat macht ein erzürnter Christus den Nationalisten deutlich, dass sie entgegen ihren Behauptungen das Christentum nicht verteidigen.
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ANGRIFF AUF GUERNICA
„DIE LEUGNUNG … ALLEN WISSENS ÜBER DIE ZERSTÖRUNG VON GUERNICA HAT MICH NICHT ÜBERRASCHT ... ICH HABE MIT HUNDERTEN OBDACHLOSEN UND VERZWEIFELTEN MENSCHEN GESPROCHEN, DIE ALLE GENAU DIE GLEICHE BESCHREIBUNG DER EREIGNISSE LIEFERN.“
DIE NACHWEHEN VON GUERNICA NOCH ALS DIE STADT IN FLAMMEN STAND, BEGANN DIE DISKUSSION ÜBER DIE HINTERGRÜNDE.
Der Zeitungsartikel in der Times von George Steer über die Bombardierung Guernicas löste Wut und Verzweiflung aus. Er wurde ebenfalls in der New York Times und der französischen L’Humanité (in der auch Picasso von dem Vorfall las) veröffentlicht. Die New York Times brachte am nächsten Tag einen recht kritischen Leitartikel. Da zu wenige Details bekannt waren, war nur von „Rebellen-Flugzeugen deutschen Typs“ die Rede. Kongressabgeordnete, Senatoren und religiöse Führer verurteilten den Angriff. In London wurde die Times von Sympathisanten der Franquisten unter Druck gesetzt, die forderten, die Schilderungen zu beweisen oder den Artikel zurückzuziehen. Steer wurde um eine Erklärung gebeten und
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er antwortete: „Die Leugnung ... allen Wissens über die Zerstörung von Guernica hat mich nicht überrascht ... Ich habe mit hunderten obdachlosen und verzweifelten Menschen gesprochen, die alle genau die gleiche Beschreibung der Ereignisse liefern.“ Auch in Deutschland wurde Steers Bericht angegriffen. Die Tatsache, dass „Times“ rückwärts gelesen „Semit“ ergibt, erlaubte es, die Zeitung als Werkzeug der „jüdischen Propaganda“ darzustellen. Wäre der Zweite Weltkrieg anders ausgegangen, wäre es für Steer ungemütlich geworden – die Gestapo hatte ihn auf ihre Schwarze Liste gesetzt. 1938 schrieb Steer ein Buch über den Angriff, The Tree of Guernica. Er starb durch einen Autounfall in Burma an Weihnachten 1944.
Die Ruinen Guernicas kurz nach dem Angriff.
DAWN ANGRIFF OF THE AUFBLITZKRIEG GUERNICA
Trotz der Lächerlichkeit dieser Aussage wurde sie von rechten Sympathisanten dankbar aufgegriffen. Eine zusätzliche Schmierenkampagne gegen Steer sorgte noch Jahre nach dem Vorfall für Ungewissheit. Neben diesen beabsichtigten Verwirrungen gab es auch tatsächlichen Klärungsbedarf. So wusste man etwa nicht, wie viele Personen ums Leben gekommen waren. Die baskischen Behörden veröffentlichten zunächst eine relativ niedrige Zahl (laut Steer, um keine Panik in der Bevölkerung aufkommen zu lassen), korrigierten diese aber auf 1.645 Tote und 889 Verletzte nach oben, die Franquisten hingegen sprachen von „nur“ 200 Opfern. Am 29. April erreichten Francos Truppen die Stadt. Es folgten Plünderungen, Misshandlungen und die Vernichtung von Beweisen. Die Tatsache, dass schon bei der kürzeren und deutlich weniger intensiven Bombardierung Durangos bereits 300 Menschen den Tod gefunden hatten, lassen 200 Tote bei Guernica mehr als fragwürdig erscheinen. Die Jagd auf und das Zusammentreiben der Zivilisten spricht eher für die von baskischer Seite behaupteten Zahlen. Genau wird man es wohl nie wissen. Was man jedoch kennt, sind die Intentionen der Angreifer. Von Richthofen war erzürnt, dass dem Bombenangriff kein direkter Vorstoß von Bodentruppen gefolgt war und er so nicht das Gefecht der verbundenen Waffen testen konnte, von dem er so fasziniert war. Die Anzahl der Einheiten, die an der Operation teilgenommen hatten, spricht dafür, dass von Richthofen einen vernichtenden Schlag ausführen wollte: Es wird geschätzt, dass 23 Junkers Ju 52, vier Heinkel He 111, zehn Heinkel He 51, drei italienische Savoia-Marchetti SM.81 Pipistrello, eine Dornier Do 17 und zwölf
Fiat CR.32 eingesetzt wurden, zudem eventuell noch sechs der neuen Messerschmitt Bf 109. Die franquistische Darstellung des Angriffs verlor durch die Arbeit weiterer Augenzeugen noch mehr an Boden. Einer von ihnen war die Journalistin Virginia Cowles. Als sie Guernica erreichte, fand sie „... ein einsames Chaos aus Holz und Ziegeln, wie eine antike Zivilisation, die gerade ausgegraben wird.“ Befragungen der Einheimischen bestärkten Steers Version und ein Offizier der Putschisten bestätigte Cowles später, dass die Stadt bombardiert worden war.
Der Fall Bilbaos Der Angriff auf Guernica war ein Schlag, der die baskische Moral tief erschütterte. Bilbao fiel nach verbissenem, aber letztendlich erfolglosem Widerstand am 19. Juni 1937. Die Stadt hatte zwar über Verteidigungsanlagen wie Gräben, Bunker und befestigte Stellungen verfügt, doch hatten die Nationalisten im März die Pläne dieser Vorkehrungen in die Finger bekommen. Ab Juni war die Legion Condor daher in der Lage, die Bomben mit großer Genauigkeit abzuwerfen, die Verteidigungsanlagen zu zerstören und die Basken zum Rückzug zu zwingen. Es folgten Straßenkämpfe in Bilbao und Sympathisanten der Aufständischen wurden in der Stadt aktiv, was half, die Verteidiger „von innen“ zu schwächen. Mola erlebte die Eroberung Bilbaos nicht mehr, er war am 3. Juni 1937 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, nur wenige Tage vor Einnahme der Stadt. Durch Molas Tod – und dem von General José Sanjurjo im vorangegangenen Jahr (ebenfalls bei einem Flugzeugunglück) – war Franco nun der unbestrittene Führer der Nationalisten. Inmitten der Kriegswirren tauchte ein unerwarteter Anwalt der Einwohner von Guernica auf. Pablo Picasso, der Steers Artikel über die
fürchterlichen Ereignisse gelesen hatte, sah sich dadurch dazu inspiriert, eines seiner berühmtesten Werke zu schaffen. Das schlicht Guernica genannte Bild verfügt dank seiner schieren Größe und der düsteren Farbpalette aus Schwarz, Grau und Weiß über eine faszinierende Wirkung, die zu seinem Ruf als eines der eindrucksvollsten Antikriegs-Bilder aller Zeiten geführt hat. Es wurde auf der Weltausstellung 1937 in Paris erstmals ausgestellt. 1939 endete der Bürgerkrieg mit einem Sieg Francos, der bis zu seinem Tod 1975 an der Macht blieb. Tausende seiner Feinde hatten im Krieg ihr Leben gelassen, nach seiner Machtergreifung sollten noch viele weitere Tausend folgen. Einige Schätzungen kommen auf 200.000 Todesopfer während des Krieges und dem ersten Jahrzehnt des Franco-Regimes; insbesondere linke Intellektuelle waren bedroht. Unter diesen Umständen verwundert es nicht, dass die meisten Menschen lieber nicht über die im Krieg erlebten Gräuel sprechen, sondern ein möglichst normales Leben führen wollten. Der Angriff auf Guernica wurde später durch die Luftangriffe auf London und Dresden sowie die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki in den Schatten gestellt. Angesichts dieser Katastrophen mag die Zerstörung einer kleinen Stadt im Baskenland nebensächlich erscheinen. Aber es war die kalkulierte Brutalität der Attacke, das kaltblütige Austesten, wie Zivilbevölkerung am besten terrorisiert und vernichtet werden kann, sowie die Wahrnehmung in der Weltöffentlichkeit als erster Angriff auf ein wehrloses Ziel, das Guernica in der Geschichte hervorstechen lässt. Auch 80 Jahre später steht Guernica für den Beginn eines neuen, schrecklichen Zeitalters des „totalen Krieges“.
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Die Guernicako Arbola (Baum von Guernica) ist ein Symbol des baskischen Volkes. Der Baum, der hier zur Zeit des Luftangriffs stand, überlebte das Bombardement auf wundersame Weise, ging jedoch 1886 an Pilzbefall ein und musste ersetzt werden.
„VON RICHTHOFEN WAR ERZÜRNT, DASS DEM BOMBENANGRIFF KEIN DIREKTER VORSTOSS VON BODENTRUPPEN GEFOLGT WAR.“
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DIE
URSPRÜNGE IDF DER
TEXT: RICHARD WILLIS
Aus dem Chaos des Zweiten Weltkrieges entstand nicht nur ein neuer Staat, sondern auch eine Militärmacht, die zu einer der professionellsten Armeen der Welt werden sollte.
I
m Anschluss an Israels Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 verkündete Premierminister David Ben-Gurion in seiner ersten formellen Anweisung die Gründung einer offiziellen Armee des neuen Staates – die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (Israel Defense Forces, IDF), die verschiedene militärische Gruppierungen und Milizen vereinigten. Die IDF umfassten nicht nur bewaffnetes Personal von im Zweiten Weltkrieg aktiven jüdischen Militärgruppen, sondern auch Europäer, die die Gräuel der Nazi-Herrschaft und den Holocaust überlebt hatten. 1948 ersetzten die IDF alle anderen jüdischen Streitkräfte. Allerdings erwies sich die Umwandlung einer ganzen Reihe von Untergrundmilizen in eine nationale Verteidigungstruppe als eine komplexe Angelegenheit. Dabei musste man etliche Aktivisten dazu bringen, der Vereinigung zuzustimmen, und verdeutlichen, wie wichtig die Schaffung einer einzigen staatlichen Einrichtung zur Verteidigung Israels war.
Die neu gebildete israelische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die bewaffneten Gruppen, die unter der von den Briten verhängten administrativen und politischen Kontrolle der Mandatsjahre operiert hatten, aufzunehmen und einzugliedern. Die Analyse der Ereignisse im Vorfeld von Ben-Gurions erstem Befehl zeigt, dass die Ursprünge der IDF noch vor dem Zweiten Weltkrieg liegen. Im Zentrum stand die Haganah – eine zionistische Militärorganisation, die sich in Palästina um die Abwehr arabischer Kräfte und die Verteidigung jüdischer Siedlungen bemühte. Indem die Haganah die „weichere“ Haltung ihrer frühen Tage untermauerte, betonte sie ein Festhalten an den Prinzipien der „Selbstkontrolle“.
Eine buntgemischte Truppe Während die Haganah vor dem Kriegsausbruch im Jahre 1939 operierte, lassen sich die Ursprünge der IDF mehr als 100 Jahre zurückverfolgen. Es gab in Palästina schon in den 1870er Jahren moderne jüdische Siedlungen, die vor Banditen und Dieben geschützt werden mussten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stützten sich die Bewohner zunehmend auf die Dienste von Bürgerwehren und
gründeten Selbstverteidigungsgruppen. Diese waren oftmals im Norden Israels anzutreffen und bestanden aus einer bunten Mischung unerfahrener und wenig professioneller Männer und Frauen. Im Ersten Weltkrieg brachte die zionistische Bewegung die britische Regierung dazu, drei Bataillone jüdischer Soldaten zu mobilisieren. Diese wurden bald als Jüdische Legion bekannt, der weitere Splittergruppen wie das Erste Judäische Bataillon folgten. Der Wunsch nach Autonomie zur Abschreckung externer Bedrohungen gipfelte schließlich in der Gründung der Haganah. Dabei führten die Aktivisten vor deren Gründung eine ideologische Selbstverpflichtung ein, um dem seit den 1920er Jahren zunehmenden Antisemitismus entgegenzutreten. Die neuen Mitglieder der Haganah wurden ausgebildet und unterstützten die zionistischen Grundsätze. Man konnte ihre Militäreinheiten anhand ihrer Kenntnis von moderner Kriegsführung und einiger in Kursen erlernter Theorien erkennen, obgleich sich systematische und organisierte Ausbildungsprogramme als nur schwer umsetzbar erwiesen. Auch war eine effektive Unterrichtung eingeschränkt, da die Aktivisten Paläs stina präsent sein mussten. überall in Palästina
„IM ERSTEN WELTKRIEG BRACHTE DIE ZIONISTISCHE BEWEGUNG DIE BRITISCHE REGIERUNG DAZU, DREI BATAILLONE ZU MOBILISIEREN. DIESE WURDEN BALD ALS JÜDISCHE LEGION BEKANNT.“ Links: Ein HaganahKommandotrupp in einem Jeep, ca. 1940er Jahre. Ein Großteil der Ausrüstung kam aus britischen Beständen.
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Trotzdem lassen sich Hinweise auf ein solches Training, wenn auch in geringem Umfang, bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen, als beispielsweise 20 Haganah-Mitglieder ein Ausbildungslager in den Wäldern des Karmel-Gebirges nahe Haifa besuchten. Auch 1941 wurden noch ähnliche Programme abgehalten, so etwa bei Juara, einem abgelegenen Distrikt nahe Esdraelon, wo etliche zukünftige IDF-Stabschefs zugegen waren. Sonstiges Training war sporadisch, umfasste aber oftmals intensive Anleitungen zum Schießen aus dem Hinterhalt, Aufklärung und den Umgang mit Sprengstoffen. Solcherlei Militärerziehung wurde von den Briten eigentlich nicht toleriert, aber die palästinensischen Juden ignorierten jede Kritik. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges veranlasste die zersplitterten jüdischen Verteidigungsgruppen dann, sich enger zu vernetzen. Die Haganah reorganisierte sich während des Krieges und Einheiten zur Selbstverteidigung entstanden. Die Briten forderten anfangs, dass die palästinensischen Juden den Kampf an ihrer Seite innerhalb ihrer vorhandenen Streitkräfte aufnehmen sollten. Diese Juden schlossen sich der Royal Air Force, der Royal Navy und anderen britischen Waffengattungen an. Es gab sogar ausschließlich aus palästinensischen Juden rekrutierte Verbände, und solche, die wie das 1940 umgehend nach Frankreich entsandte militärische Hilfspionierkorps aus Arabern und Juden bestanden. Im Sommer 1940 nahm die Haganah ihre Organisation zu einer wirksamen Kampftruppe in Angriff, um gegen eine mögliche Bedrohung durch die Achsenmächte gerüstet zu sein. Allerdings machte das Fehlen eines nationalen Steuersystems die Finanzierung einer Verteidigungstruppe problematisch. Freiwillige Spenden reichten nicht aus. Teilweise erklärte sich die autonome jüdische Gemeinschaft der Kibbutz-Bewegung zur Hilfe bereit und führte zur Unterstützung der Truppen ein Arbeitsprogramm ein.
Die Jüdische Brigade zieht in den Krieg Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges traten 15 Gruppen palästinensischer Juden der British Army bei und wurden als Palästinensische Brigade bekannt. Dies wiederum führte zur Aufstellung der Jüdischen Brigade. Ben-Gurion wollte die Wehrhaftigkeit der Freiwilligen maximieren, und die Briten versprachen ihm eine Einheit, die auf dem Muster der Bataillone des Ersten Weltkrieges basierte. Die Briten ließen sich Zeit, aber stimmten schließlich der Aufstellung der Brigade zu, die am 3. Juli 1944 erfolgte. Ben-Gurions Wunsch nach Aufbau der Brigade war zudem eine Reaktion auf ein im Jahre 1939 von der britischen Regierung herausgegebenes Weißbuch, das den jüdischen Hoffnungen auf ihren eigenen Staat in Palästina fast ein Ende bereitete. Damit wollten die Briten die Spannungen beseitigen und das Augenmerk vom Nahen Osten lösen, um es so weit wie möglich auf die drohende europäische Krise richten zu können. Dies beinhaltete neben der Pazifizierung der arabischen Mehrheit in Palästina die Reduzierung der dortigen Militärintervention, da Truppen und Ausrüstung in Europa weit dringender gebraucht wurden. Trotzdem unterstützte die Brigade die Briten in Irak, Syrien, Italien und Nordafrika, und aus dieser vielfältigen Vorgeschichte entstanden die Elitekompanien der Haganah. Die Jüdische Brigade diente bis 1946 in Europa, sicherte nach Rechts: Der Haganah-Soldat Aaron Stern im Manshiem-Viertel von Jaffa. Seine Tätowierung, Nummer 80620, weist ihn als Überlebenden von Auschwitz aus.
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DIE URSPRÜNGE DER IDF dem Krieg die gefahrlose Überfahrt europäischer Flüchtlinge und wirkte an der jüdischen Bewegung zur Selbstverteidigung mit. Außerdem wandte sie ihre besondere Aufmerksamkeit und Hilfe den Überlebenden der Konzentrationslager und Ghettos zu, sodass ihre Rolle über die einer reinen Militärtruppe hinausging. Dennoch, und hauptsächlich wegen des anhaltenden Konflikts mit den Briten wurde die Brigade aufgelöst. Sie sollte später zu dem werden, was heute als das „Fundament“ der IDF betrachtet wird.
Ein gewalttätiger Frieden Die Haganah zählte im Gefolge des alliierten Sieges im Zweiten Weltkrieg 30.000 aktive Mitglieder. Ihr Rückgrat bildete der Palmach, der aus 2.000 Mitgliedern bestand. Dieser war anfangs formiert worden, um sich einer deutschen Invasion entgegenzustellen, sollten sich die Briten aus Palästina zurückziehen. Auch traf man Vorbereitungen für die Lagerung von Waffen und Militärausrüstung, um sie später im Konflikt einsetzen zu können. Die Selbstverteidigungsbewegung kümmerte sich außerdem um die Anschaffung ausländischer Waffen, wobei diese mehr oder minder riskant und unsicher nach Palästina geschmuggelt wurden – in einigen Fällen als illegale Einkäufe oder Diebesgut von den Briten. Dabei konnten die Juden wichtige Kriegsausrüstung wie Handgranaten, Gewehre und Granatwerfer in Besitz nehmen. Gelegentlich stießen britische Soldaten auf Haganah-Lager, die sie dann demontierten
und zerstörten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Haganah ihre Hauptbedrohung nach dem zweiten Weltkrieg nicht allein in arabischen Kräften, sondern vielmehr in der British Army sah. Diese stand den Hauptzielen der Haganah ablehnend gegenüber, woraus sich ein aggressiver und gewalttätiger Konflikt zwischen beiden Seiten entwickelte. Als Reaktion definierten die Briten das Vorgehen der Haganah zeitweilig als gefährlich und „illegal“. Wenn man deren Mitglieder mit nicht lizensierten Waffen aufgriff, wurden sie festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. Dabei gab es unzweifelhaft eine gewisse britische Toleranz gegenüber der Haganah, die aber viel mehr in personellen Engpässen der Briten bei der Überwachung ganz Palästinas begründet lag. So drückte man in einigen Fällen gegenüber manchen Aktivitäten der Gruppe ein Auge zu. Tatsächlich war die britische Position in Palästina mittlerweile unsicher geworden, und die Haganah konnte mancherorts tun und lassen was sie wollte. Der Konflikt mit der Haganah war von den Briten geplant worden, um massive Einwanderungsbeschränkungen zu verhängen und Restriktionen gegen die Juden zu vermeiden, auch wenn sehr bald Belege für das seelische Trauma Tausender potenzieller Immigranten auftauchten, die den deutschen Konzentrationslagern entkommen waren. Dokumente zeigen, wie 100 Palmach-Mitglieder einen Militärstützpunkt bei Atlit, südlich von Haifa, eroberten, um 200 illegale Einwanderer
„DIE BRITEN STANDEN DEN HAUPTZIELEN DER HAGANAH ABLEHNEND GEGENÜBER, WORAUS SICH EIN AGGRESSIVER UND GEWALTTÄTIGER KONFLIKT ZWISCHEN BEIDEN SEITEN ENTWICKELTE.“
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zu befreien. Die Haganah hatte zunächst einen unblutigen Kampf gewollt und war entschlossen gewesen, die Zahl der Toten unter britischen und arabischen Truppen gering zu halten. Deshalb beschränkte sie sich bald auf die Beschädigung und Sabotage von Palästinas Eisenbahnnetz. Dieser weniger aggressive Angriffsstil gegenüber Arabern und Briten könnte zumindest teilweise erklären, warum die Widerstandsaktionen der Haganah als „halblegal“ bezeichnet wurden. Die Ursprünge der IDF basierten auf der Einbeziehung von Männern und Frauen, die in der Haganah und der Palmach gedient hatten, und diese formten gemeinsam mit weiteren Untergrundkämpfern und Überlebenden des zweiten Weltkrieges die alleinige legale Streitmacht in Israel. Die Thematik der Vermengung arabischer und jüdischer Gruppen wurde später, als ihr christliche und muslimische Araber beitraten, auf die IDF ausgeweitet. Man integrierte diese Teileinheiten ohne dem zionistischen Standpunkt der Armee in irgendeiner signifikanten Weise zu schaden. Neben der Haganah und dem Palmach wurde auch eine militärische Gruppe namens Irgun und eine weitere, als Lechi oder Stern Gang bekannte Miliz in die IDF aufgenommen. Schon in den Monaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges machten diese Milizen Pläne, um sich wirksam abzustimmen, wobei die markante Zusammenarbeit zwischen Irgun und Lechi bei einigen den Eindruck hinterließ, dass sie sich schon vor der offiziellen Gründung der IDF zusammengetan hatten. Beide Milizen waren entschlossen, die Briten aus Palästina zu vertreiben und einen jüdischen Staat zu errichten. Von 1946 bis ’47 nahmen die Zwischenfälle unter Beteiligung dieser Paramilitärs rasant zu. Um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten, griffen die Briten auf ihre gesamte Erfahrung als
DIE URSPRÜNGE DER IDF
VERTEIDIGER DES GLAUBENS
DIE ISRAELISCHEN VERTEIDIGUNGSSTREITKRÄFTE (IDF) ENTSTANDEN AUS ETLICHEN VORLÄUFERN, DIE IN DER NEUZEIT ZUM SCHUTZ DER PALÄSTINENSISCHEN JUDEN GEGRÜNDET WURDEN.
Hashomer Die im Frühling 1909 primär von sozialistischen Mitgliedern der damaligen zionistischen Bewegung gegründete Hashomer integrierte die Vorläuferorganisation Bar-Giora und bemühte sich um die Förderung der jüdischen Besiedlung Palästinas sowie einen von chutz fremden Regierungen unabhängigen Schutz der wachsenden Bevölkerung vor Angriffen feindlicher Araber. Obwohl sie ständig bei ihrem Bemühen um Waffen und Finanzhilfen behindert wurde, war die Hashomer die erste Organisation ihrer Art, die sich um dem Schutz aller jüdischen Siedlungen in Palästina bemühte.
Jüdische Legion
Unten: Arabische Palästinenser scharen sich auf der Straße nach Jerusalem um einen zerstörten Versorgungslaster der Haganah.
Oben: Soldaten der achten IDF-Brigade zielen während des Palästinakrieges mit einem Maschinengewehr.
Eine Einheit der British Army aus russisch-jüdischen Immigranten zur Bekämpfung des Osmanischen Reiches und für die Befreiung Palästinas scheiterte 1915. Allerdings wurde zwei Jahre später die Jüdische Legion als 38th Battalion der Royal Fusiliers bewilligt. Vor Ende des Krieges war die Legion auf fünf Bataillone angewachsen, auch Veteranen des vorangegangenen Zion Mule Corps. Eine Einheit in Bataillonsstärke überlebte den Krieg als „Erste Judäer“, Beschützer der jüdischen Bevölkerung Palästinas.
Haganah Die Haganah (hebräisch, „die Verteidigung“) wurde im Juni 1920 zum Schutze der palästinensischen Juden vor wachsenden arabischen Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen gegründet. Zum Höhepunkt der arabischen Revolte Ende der 1930er Jahre war die Haganah zu einer bedeutenden Miliz von 10.000 Aktivisten mit mehr als 40.000 Reservisten angewachsen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Haganah-Veteranen und ihre Führer zur Keimzelle der modernen IDF.
Jüdische Brigade Rechts: Ein jüdischer Brigadesoldat trägt eine Artilleriegranate – die hebräische Beschriftung lautet „Ein Geschenk an Hitler“.
Die Ende 1944 gegründete und offiziell als Jüdische Infanteriekampfgruppe bekannte Jüdische Brigade zählte mehr als 5.000 Freiwillige aus dem damals unter britischem Mandat stehenden Palästina. Die Offiziere der Brigade waren Briten und viele von ihnen Juden. Während des Zweiten Weltkrieges kämpfte sie im italienischen Feldzug und wurde in Westeuropa stationiert. Nach der Proklamation des Staates Israel 1948 dienten viele Brigadeveteranen in den IDF, wobei fast drei Dutzend Generäle wurden.
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DIE URSPRÜNGE DER IDF Während des Palästinakrieges liefern sich zwei HaganahKämpfer mit Truppen der Arabischen Liga intensive Straßenkämpfe, ca. 1948.
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DIE URSPRÜNGE DER IDF
Eine Kolonne der GivatiBrigade mit improvisierten Schützenpanzerwagen rumpelt vorwärts, ca. 1948.
Auf dem Gelände des Konzentrationslagers Bergen-Belsen trainieren Männer und Frauen, um der Haganah beitreten zu können.
Kolonialmacht zurück, aber es gelang ihnen nicht, die feste Entschlossenheit der palästinensischen Juden zur Gründung eines unabhängigen jüdischen Staates zu brechen. Dabei kritisierte man die British Army für ihre rüde Behandlung von Holocaust-Überlebenden, von denen einige bei dem Versuch, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen, getötet wurden. Die aktive britische Militärpräsenz machte es den jüdischen Untergrundkämpfern nicht leicht, professionelle Kompetenz zu demonstrieren. Trotzdem griffen die Haganah, Irgun und Lechi gemeinsam arabische Siedlungen an und gingen in der Stadt Jaffa, in Dörfern in Galiläa und im Norden Palästinas mit beträchtlicher Gewalt vor.
Die Schlacht um Jerusalem Ab Januar 1948 wurde Jerusalem wegen des militärischen Widerstandes der Araber praktisch vom Rest Palästinas abgeschnitten. Der Zugang zu der Stadt war nur noch mit
LKW-Konvois möglich, deren Sicherheit durch arabische Truppen gefährdet war, die die Straße von Tel Aviv nach Jerusalem blockierten. Letztlich wurde das Erreichen Jerusalems nur durch die Intervention der Palmach ermöglicht, deren Mitglieder die LKW bei ihrer gefährlichen Versorgungsmission in die belagerte Stadt eskortierten. Wenn die Konvois die Hügel von Jusea hinauffuhren, waren die Juden feindlichen, mit Gewehren bewaffneten Arabern ausgesetzt, die Straßensperren gegen die mit Nachschub beladenen Fahrzeuge errichtet hatten. Die Hinterhalte und agressiven Handlungen der palästinensischen Araber wurden dabei zunehmend regelmäßiger und ausgeklügelter. Die Haganah erhielt den Befehl, die Operation „Nachshon“ zu starten, um den Weg für die Konvois auf den letzten wenigen Kilometern bis nach Jerusalem frei zu machen. Erbitterte Kämpfe zwischen Juden und Arabern folgten. Nachdem die Briten Palästina verlassen hatten, setzte sich der Kampf um Jerusalem fort. Die Stadt war auch im Februar 1948 noch umkämpft, wobei die arabischen Stützpunkte in den umliegenden Hügeln für die zum Durchbruch bereiten Lastwagen weiterhin eine ernste Bedrohung darstellten. Die Briten begleiteten unterwegs einige der Transporte, aber diese Unterstützung nahm ab, als die Haganah mit Nachdruck die volle Verantwortung für ihre eigene Sicherheit beanspruchte. Bald hatte man einen geheimen Korridor geschaffen, der einen sicheren Durchlass für die Lieferung von genügend Nachschub
gewährleistete. Bis Juli hatten 8.000 LKWs Jerusalem erreicht, was den Befürchtungen, dass seine Bewohner verhungern könnten, ein Ende setzte. Es folgte ein Waffenstillstand und die Haganah beanspruchte den Sieg für sich, obwohl Jerusalem von Arabern und Juden gemeinsam bewohnt wurde. Inzwischen wurden Vorbereitungen zur Auflösung der Lechi und Irgun getroffen (alle nicht in Jerusalem ansässigen Irgun-Mitglieder vereinigten sich mit der Haganah und der Lechi), um ihre Aktivisten in einer nationalen Streitmacht in Form der IDF zu sammeln. Dieses Ziel wurde am 31. Mai 1948 erreicht. Den Führern der Lechi gewährte man Amnestie. Die Irgun-Mitglieder wurden zu Beginn des Palästinakrieges 1948 in die IDF integriert. Bei Israels Geburt spielten die IDF in der israelischen Gesellschaft eine Schlüsselrolle. Die neuen Streitkräfte waren das direkte Ergebnis der Auflösung und Aufnahme der bis dato aktiven jüdischen Untergrundmilizen, und die IDF entstanden in dem maßvollen Bemühen, der späteren Bedrohung durch arabische Armeen standhalten zu können. Die IDF waren bald dazu bestimmt, zionistische Werte zum Ausdruck zu bringen und den Schutz Israels zu garantieren. Die Jahre zwischen 1948 und 1956 standen im Zeichen ihrer Selbstentwicklung zu einer modernen Armee. Die Spannungen zwischen Arabern und Juden dauerten an, und die Spaltungen zwischen beiden Gruppen sind noch immer tief im gegenwärtigen Gefüge des religiösen und politischen Lebens im Nahen Osten verwurzelt.
Bilder: Getty
„UM RECHT UND ORDNUNG AUFRECHTZUERHALTEN, GRIFFEN DIE BRITEN AUF IHRE ERFAHRUNG ALS KOLONIALMACHT ZURÜCK, ABER SIE KONNTEN DIE ENTSCHLOSSENHEIT DER JUDEN NICHT BRECHEN.“
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Illustration: Jean-Michel Girard - The Art Agency
SIMÓN BOLÍVAR
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un general y president Bolívar, wie er auf der Höhe seiner Macht als a Präsident von Gran Colombia ausgesehen haben mag. Während der südamerikanischen südamerikanisch Unabhängigkeitskriege kleideten sich die führenden Revolutionäre als Symbol ihrer eeigenen militärischen Autorität wie europäische Generäle und brachten damit die Legitimität Legitimitä ihrer frischgebackenen Republiken gegenüber den etablierten Mächten zur Geltung. In sei seiner linken Hand hält Bolívar eine Karte seines großen, aber kurzlebigen Staates Großkolu Großkolumbien, dem sichtbarsten Symbol seines Erfolges. Bolívar schätzte außerdem ein Me Medallion von George Washington, das er um den Hals trug. Er erhielt es mit einem Brief des Marquis de Lafayette, Washingtons berühmtem französischen Verbündeten während des am amerikanischen Unabhängigkeitskriegs.
Simón Bolívar
befreier Der „George Washington Südamerikas“ war ein Visionär, Revolutionär und General, der einem Kontinent seine Freiheit brachte. TEXT: TOM GARNER
E
s war die Blütezeit des Imperialismus, als ein idealistischer Revolutionär aus der Neuen Welt verkündete: „Unsere Heimat ist Amerika ... und unsere Fahne ist die Freiheit.“ Dies könnten die Worte eines Patrioten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges sein, aber tatsächlich stammen sie von Simón Bolívar, einem der bedeutendsten Männer der südamerikanischen Geschichte. Während des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts war die Welt von Revolutionsbewegungen erfüllt, deren Ziel es war, die Fesseln der repressiven europäischen Regierungen abzuschütteln, jedoch überdeckte die Gründung der Vereinigten Staaten die Tatsache, dass nur wenige Jahrzehnte später in Südamerika eigene und ebenso wichtige Revolutionen zur Vertreibung des Spanischen Imperiums stattfanden. Seit 1810 gab es überall auf dem Kontinent Aufstände, die von Chile und dem Vizekönigreich von Río de la Plata (das das heutige Argentinien einschloss) bis nach Neugrananda (dem heutigen Kolumbien) und Venezuela reichten. Diese Strömungen waren eigenständig und politisch vielschichtig, doch die bedeutendste Persönlichkeit, die aus dieser schwierigen Ära hervorging, war Bolívar, der eine Unabhängigkeitsbewegung für ein Gebiet von der Größe des heutigen Europa anführte. Er war darüberhinaus Präsident einer kurzlebigen pan-südamerikanischen Republik und träumte von einem föderalen vereinten Lateinamerika.
Aufklärung und Auflehnung Der 1783 in Caracas, Venezuela, geborene Bolívar kam aus einer reichen kreolischen Familie mit Wurzeln im Baskenland. Bis zu seinem neunten Lebensjahr waren seine beiden Eltern verstorben, und der junge Bolívar wurde von seinem Onkel mithilfe eines Tutors aufgezogen, der ihn mit Autoren der Aufklärung wie Voltaire und Rousseau vertraut machte. Deren Ideen beeinflussten Simón Bolívar. Als er mit 16 Jahren zur Komplettierung seiner Ausbildung nach Spanien geschickt wurde, pries er gegenüber dem Vizekönig von Vera Cruz offen die Amerikanische und Unten: Bolívar signiert 1813 den „Erlass des Krieges bis zum bitteren Ende“. Der Erlass war eine Reaktion auf spanische Gräueltaten und verschärfte den Krieg.
Französische Revolution, was die spanischen Machthaber nervös machte. Bolívar besuchte vor 1807 zweimal Europa, wobei der zweite Besuch den meisten Eindruck hinterließ. In Paris traf er dabei den Naturforscher Alexander von Humboldt, der die schicksalhafte Bemerkung machte: „Ich glaube, ihr Land ist bereit für die Unabhängigkeit, aber ich sehe nicht den Mann, der sie vollenden kann.“ Anschließend erlebte Bolívar im Dezember 1804 die Krönung Napoleon Bonapartes zum französischen Kaiser und war hin- und hergerissen. Er sah in Napoleons Handlungen einen Verrat an den Prinzipien der Französischen Revolution, erkannte aber auch, dass die Fähigkeiten eines Mannes die Geschichte verändern konnten. Bolívar sollte diesen scheinbaren Widerspruch später noch sehr wirkungsvoll umsetzen und kehrte, nachdem er in Rom geschworen hatte, Venezuela zu befreien, 1807 nach Hause zurück. Nach der napoleonischen Invasion 1808 war Spanien im Jahre 1811 in seinen Unabhängigkeitskrieg verstrickt, und die instabile Situation verleitete den Stadtrat von Caracas zu dem Versuch, den spanischen Vizekönig abzusetzen. In seiner ersten Rede vor einem Nationalkongress erklärte Bolívar: „Lasst uns furchtlos den Grundstein der amerikanischen Freiheit legen. Zu zögern bedeutet den Untergang.“ Am 5. Juli 1811 wurde die erste Republik Venezuela ausgerufen, womit das Land die erste Kolonie im ganzen spanischen Weltreich war, die versuchte, ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Der Akt war umso bedeutsamer, als Spaniens Wurzeln als älteste Kolonialmacht in Amerika bis zu den Entdeckungen
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SIMÓN BOLÍVAR von Christoph Kolumbus im Jahre 1492 zurückreichten. Folglich waren die Spanier genausowenig wie die Briten und Franzosen vor ihnen bereit, ihre amerikanischen Gebiete kampflos aufzugeben.
Schwankendes Schicksal Trotz seiner fehlenden militärischen Ausbildung wurde Bolívar unter dem Kommando des Rebellenführers Francisco de Miranda zum Oberstleutnant ernannt, und man merkte ihm seine Unerfahrenheit an. Zwar kämpfte er tapfer bei der spanischen Festung Valencia, aber seine Rebellentruppen wurden verjagt, und ein zweiter Angriff brachte schwere Verluste. Miranda und Bolívar begannen sich zu streiten, und ein schweres Erdbeben am 26. März 1812 mit rund 10.000 Toten verschlimmerte die Situation. Die Spanier nutzten das Chaos und eroberten aufgrund einer Verquickung von Mirandas Vorsicht und Bolívars erfolgloser Verteidigung von Puerto Cabello Venezuela zurück. Bolívar entkam in das von den Rebellen gehaltene Neugrananda (Kolumbien). Er befürwortete nun ein von mächtigen Adligen und einem Präsidenten auf Lebenszeit geführtes politisches System und stritt für die Befreiung Venezuelas. Anfang 1813 hatte Bolívar die republikanische Armee neu aufgestellt. Er befehligte anfangs nur 200 Mann und griff verbotenerweise spanische Garnisonen an, wurde dann aber nach einer Reihe kleinerer Erfolge zum Oberbefehlshaber der Armee von Neugrananda ernannt. Im Mai 1813 kehrte er mit 650 Mann nach Venezuela zurück.
Indem sie das schwierige Terrain zu ihrem Vorteil nutzten, bekämpften die Rebellen die 4.000 spanischen Soldaten durch Überraschungsangriffe, rekrutierten Mitstreiter aus der örtlichen Bevölkerung und drohten damit, gefangene Spanier zu töten. Am 15. Juni 1813 gab Bolívar den „Erlass des Krieges bis zum bitteren Ende“ heraus, der Gräueltaten an jedem Spanier erlaubte, der versuchte, die Unabhängigkeit Venezuelas zu verhindern. Nach fünf raschen Erfolgen verfügte Bolívar bald über eine Armee von 2.500 Mann und überraschte 1.200 Spanier nahe Valencia, indem er sie die ganze Nacht lang zu Pferde bedrängte. Am Morgen des 31. Juli 1813 wurden die Spanier in der Schlacht von Taguanes besiegt, was Bolívars ersten umfassenden Sieg bedeutete. Am 7. August betrat er dann erneut Caracas, wo man ihm großen Einfluss einräumte. Trotzdem war die Befreiung noch lange nicht vollendet. Die Hälfte Venezuelas blieb unter Kontrolle der Spanier, deren Truppenstärke die der Republikaner weit übertraf. Bolívars Männer trafen oft auf eine siebenfache Übermacht und standen häufig am Rande einer Niederlage. Die schlechte Ausrüstung spielte in diesen schweren Zeiten eine Schlüsselrolle. Die republikanische Infanterie war mit langsam zu ladenden Musketen ausgerüstet und hatte oft wenig Munition. So blieben ihnen häufig nur Bajonettangriffe, die wiederum durch einen Mangel an Bajonetten erschwert wurden. Außerdem gab es das Problem der örtlichen Unterstützung. Die Venezolaner waren kriegsmüde und oftmals hasste die verarmte Bevölkerung
„BOLÍVARS MÄNNER TRAFEN OFT AUF EINE SIEBENFACHE ÜBERMACHT.“
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reiche Kreolen vom Schlage Bolívars mehr als die spanischen Behörden. Die Spanier machten sich diese Differenzen mit der Rekrutierung einer Armee zäher Banditen aus den Ebenen Venezuelas rücksichtslos zunutze, den „Ilaneros“. Die den Republikanern zahlenmässig weit überlegenen Ilanero-Reiter attackierten Bolívars Truppen erbittert und schreckliche Massaker wurden auf beiden Seiten zur Norm. Als die Ilaneros nach Caracas marschierten, flohen 20.000 Menschen aus der Stadt. Schließlich blieb Bolívar nichts anderes übrig, als sich nach Neugranada zurückzuziehen. Unfähig, einen Bürgerkrieg zu verhindern, musste er sich mit ein paar Offizieren ins karibische Exil begeben. Bolívar blieb trotz dieses schweren Rückschlags optimistisch und verfasste ein berühmtes, als „Brief aus Jamaika“ bekanntes Schriftstück, in dem er seinen anhaltenden Widerstand gegen die spanische Herrschaft bekundete. Nach einem Attentatsversuch floh Bolívar dann nach Haiti, aber es gelang ihm, 500 Mann zu rekrutieren und im Dezember 1816 nach Venezuela zurückzukehren.
Kampf für die Freiheit Um die Spanier erfolgreich bekämpfen zu können, führte Bolívar einige listige Methoden ein, um die Unterstützung für den venezolanischen Unabhängigkeitskampf zu erhöhen. So ließ er BekanntUnten: Nach der Schlacht von Carabobo im Juni 1821 erweist Bolívar der Fahne die Ehre. Der Sieg führte zur Gründung Großkolumbiens.
BEFREIER
Grosskolumbien
Bolívars machtzentrum BOLÍVAR HATTE TIEFGREIFENDEN EINFLUSS AUF DEN NORDEN UND WESTEN SÜDAMERIKAS, UND SECHS LÄNDER WURDEN TEIL SEINES NEUEN GROSSEN STAATES GRAN COLOMBIA. DIE REPUBLIK WAR ZWAR KURZLEBIG, ABER IHR EINFLUSS IST NOCH HEUTE IN DEN FAHNEN DER LÄNDER SICHTBAR, DIE DEM VENEZOLANISCHEN FÜHRER AM ENGSTEN VERBUNDEN WAREN.
PANAMA
Panamas Unabhängigkeit entwickelte sich gesondert von Bolívars Feldzügen, aber das Land trat Großkolumbien freiwillg bei, nachdem es 1821 seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Es verblieb bis 1903 in einer Union mit dem post-bolivarischen Kolumbien.
VENEZUELA
Bolívars Heimat war der Schmelztiegel der südamerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen und das erste Land, das sich um seine Selbstständigkeit bemühte. Es wurde 1819 zum ersten Staat Großkolumbiens und spaltete sich 1829 auch als erster wieder ab.
KOLUMBIEN
Als einziges nach Christoph Kolumbus benanntes amerikanisches Land erklärte das ehemalige Neugranada 1811 seine Unabhängigkeit. Als die Republik Großkolumbien 1831 zerbrach, blieb es als deren letzter Teil übrig.
GRAN COLOMBIA
Als ehemaliges Vizekönigtum Neugranada war Großkolumbien eine kurzlebige repräsentative Republik und eigentlich eine Erfindung Bolívars. Die Abspaltung Venezuelas und Ecuadors besiegelte 1831 ihre Abschaffung.
ECUADOR
Die Ecuadorianer hatten sich schon 1809 gegen die spanische Herrschaft erhoben, aber erst die Invasion durch Bolívar und Sucre 1822 stellte ihre Freiheit sicher. Ecuador erlangte 1830 die volle Unabhängigkeit von Großkolumbien.
PERU
Peru verdankte seine Unabhängigkeit weitgehend dem argentinischen General José de San Martin, aber Bolívar vollendete die Befreiung des Landes mit einem Feldzug, der die entscheidenden Schlachten von Junín und Ayacucho 1824 beinhaltete.
BOLIVIEN
Das vormals als Oberperu bekannte Bolivien wurde 1825 gegründet. Als Namenspatron des Landes wurde Bolívar zu seinem lebenslangen Präsidenten und schrieb auch die Verfassung.
„BOLÍVARS HEIMATLAND WAR DER SCHMELZTIEGEL DER SÜDAMERIKANISCHEN UNABHÄNGIGKEITSBEWEGUNGEN.“
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SIMÓN BOLÍVAR
„stirb oder erobere!“
Unten: José Antonio Páez in der Schlacht von Las Queseras del Medio. Páez war ein erfolgreicher Ilanero-Hauptmann und half Bolívar entscheidend bei der Befreiung Venezuelas.
ES WAREN WILDE REITER UND BRITISCHE FREIWILLIGE, DENEN BOLÍVARS UNABHÄNGIGKEITSKAMPF IN SÜDAMERIKA VIEL VON SEINEM ERFOLG VERDANKTE. Bolívars Unabhängigkeits-Feldzüge waren kein direkter Kampf zwischen revolutionären Südamerikanern und ihren spanischen Lehnsherren. Nur etwa zehn Prozent der „spanischen“ Soldaten stammten wirklich aus Spanien, während die überwiegende Mehrheit aus amerikanischen „Royalisten“ bestand, die gegen ihr eigenes Volk kämpften. Dabei traten aus diesem verwirrenden Konflikt zwei militärische Gruppen hervor, die das Schicksal des Kontinents mitentschieden: die ausländischen „Legionen“ und die „Ilaneros“. Da die Republikaner anfangs unter einem Mangel an Truppen, Ausbildung und örtlicher Unterstützung litten, rekrutierte Bolívar ausländische Söldner. Dabei boten ihm die unlängst entlassenen Soldaten der napoleonischen Kriege ein reiches Reservoir. Diese meist britischen und irischen Rekruten waren als schlachterprobte Veteranen für Bolívar von unschätzbarem Wert. Mehr als 6.500 Freiwillige kamen zwischen 1817-21 von den Britischen Inseln herüber. Die Fähigkeiten der Legionen spielten bei vielen republikanischen Siegen wie etwa Boyacá, Carabobo, Pichincha und Ayacucho eine oft entscheidende Rolle. Die meisten Freiwilligen schlossen sich Bolívar wegen des Geldes an. Ihnen wurde eine bessere Beförderung als in
der britischen Armee versprochen, sie trugen ähnliche Uniformen und erhielten auch gleich viel Sold. Trotzdem steckte hinter der Gesinnung der Freiwilligen nicht nur Eigennutz. Viele der Soldaten glaubten, dass sie mithalfen, Südamerika von einer anderen Form kontinentaler Unterdrückung zu befreien, und die zweite britische Legion hatte das Motto „Morir o vencer“ („Stirb oder erobere“). Im Gegenzug hatte Bolívar Probleme mit seinem eigenen Volk, insbesondere den „Ilaneros“. Das waren harte Cowboys aus den Ebenen Venezuelas, oftmals Banditen oder Flüchtlinge. Sie verachteten aristokratische Kreolen wie Bolívar, und die Spanier rekrutierten sie ohne Skrupel zum Kampf gegen die Republikaner. Eine Kavallerieeinheit war als die „Legion aus der Hölle“ bekannt und bestand aus 10.000 wilden, mit Speeren und Messern bewaffneten Reitern, die den Republikanern schweren Schaden zufügte. Gleichwohl gelang es Bolívar, viele Ilaneros zum Überlaufen zu animieren, indem er auf Feldzügen wie einer von ihnen lebte. Das verschaffte ihm den Respekt der Ilaneros, und so wurden sie schließlich zu loyalen Verbündeten der republikanischen Sache.
Links: Einer der berühmtesten britischen Freiwilligen war General Gregor MacGregor, ein schottischer Hochstapler, der in Venezuela kämpfte und später für einen riesigen Investment-Betrug in Honduras ein ganzes Land erfand.
„VIELE DER SOLDATEN GLAUBTEN, DASS SIE MITHALFEN, SÜDAMERIKA VON EINER KONTINENTALEN FORM DER UNTERDRÜCKUNG ZU BEFREIEN.“ 46
BEFREIER
In einem rätselhaften, aber scheinbar kontroversen Treffen übernahm Bolívar von Perus ursprünglichen Befreier José de San Martìn die Verantwortung für die Sicherstellung der Unabhängigkeit des Landes.
machungen herausgeben, die im ganzen Land Berichte über fiktive, republikanische Siege verbreiteten und das, obwohl er nur auf den Ebenen des Orinoco-Flusses operierte und weit entlegene Hauptquartiere hatte. Viel entscheidender aber war, dass er einen jungen Experten für Guerilla-Reiterei namens José Antonio Páez anheuerte. Páez hatte eine Begabung für Blitzattacken auf die Spanier, und seine Fähigkeiten waren eindrucksvoll genug, um viele Ilaneros zum Überlaufen zu den Republikanern zu bewegen. Bolívar verbesserte auch seine eigene Kampfkraft und begann, kühne Angriffe gegen den Feind zu unternehmen. Bei einer Gelegenheit griff er mit nur 15 Offizieren eine große, in einem Hinterhalt wartende spanische Streitmacht an. Sofort befahl Bolívar seinen Männer, die „Reihen zu formieren“ und den Angriff vorzubereiten, als ob seine eigene Armee unmittelbar hinter ihm stehen würde. Die Spanier fielen auf den Trick herein und zogen sich zurück. Im Januar 1818 verfügte Bolívar über 3.000 Soldaten und marschierte 563 Kilometer durch Sümpfe, um sich mit Páez’ 1.000 Kavalleristen zu verbinden. Obwohl sie kaum über Feuerwaffen verfügten, überraschten die Republikaner dabei derartig viele Garnisonen, dass ihnen der Oberbefehlshaber der spanischen Truppen in Venezuela und Neugranada nur knapp entkam. Wenngleich die Spanier sich schließlich neu formierten und Bolívar schweren Schaden zufügten, erhöhte er doch mit der Anwerbung tausender entlassener, meist britischer Soldaten aus den napoleonischen Kriegen die Professionalität seiner Armee. Diese unregelmäßigen, aber trotz alledem zunehmenden Erfolge markierten eine Wende in Bolívars Schicksal. Páez führte einen wirkungsvollen Guerillakrieg und verlor bei einer Gelegenheit nur sechs Venezolaner, denen 400 getötete Spanier gegenüberstanden, die er erfolgreich in eine Falle gelockt hatte. Kleine Siege wie diese ermutigten Bolívar, einen verwegenen Feldzug über die Anden nach Neugranada zu wagen. Bevor er überhaupt die Berge erreichte, überquerte er dabei mit seiner buntgemischten Schar von rund 2.500 Soldaten zehn Hochwasser führende Flüsse und zog durch überflutete Ebenen, bis Ende Juni 1819 endlich die Anden in Sicht kamen. Die meisten Männer waren das Bergsteigen nicht gewohnt, und es wurde immer kälter. Auf fast
5.500 Metern Höhe waren ihre Pferde und Nutztiere verendet, und auch fast 1.000 Männer überlebten die Überquerung nicht. Die Überlebenden waren gezwungen, sich zur Aufrechterhaltung ihres Kreislaufs gegenseitig zu schlagen. Ungeachtet der Mühsal zeigte sich die örtliche Bevölkerung nach der Überquerung nur zu gern bereit, die Männer neu zu versorgen, worauf diese am 25. Juli 3.000 Spanier in einer gut geschützten Stellung bei Pantano de Vargas zurückschlugen. Ein spanischer Kommandeur berichtete: „Die Vernichtung der Republikaner schien unausweichlich, aber ihre Verzweifelung gab ihnen Mut. Unsere Infanterie konnte ihnen nicht standhalten.“ Weitere wichtige Ereignisse sollten folgen. Nach Pantano de Vargas verfolgte Bolívar die abziehenden Spanier und stellte sie am 7. August 1819 bei Boyacá zu einer fast ebenbürtigen Schlacht. Dabei hinderten die Republikaner die Spanier daran, eine Brücke zu überqueren, was diesen ermöglicht hätte, eine schützende Garnison zu erreichen. Innerhalb von zwei Sunden wurde die Hälfte der Spanier gefangengenommen, während der Rest floh oder getötet wurde. Am 10. August gelang es Bolívar dann, die Garnison von Bogotá zu erobern, wo er zum Befreier von Neugranada ausgerufen wurde. Der Sieg von Boyacá ermutigte die Republikaner, und größere Gruppen der einheimischen Bevölkerung und spanischer Deserteure begannen, Bolívar zu unterstützen. So konnte er ins venezolanische Angostura zurückkehren und wurde am 17. Dezember zum ersten Präsidenten und Militärdiktator eines neuen Staates gewählt, der „Republik von Kolumbien“.
Gran Colombia Das neue Land war eine Vereinigung von Venezuela und Neugranada, aber weite Teile blieben
„UM GEGEN DIE SPANIER KÄMPFEN ZU KÖNNEN, FÜHRTE BOLÍVAR LISTIGE METHODEN EIN, UM UNTERSTÜTZUNG ZU BEKOMMEN.”
Oben: Die Schlacht von Boyacá führte zur Befreiung NeuGranadas und war der erste entscheidende Schritt zur Beendigung der spanischen Herrschaft in Südamerika.
unter spanischer Kontrolle, und trotz einer allgemeinen Waffenruhe kam es immer wieder zu Scharmützeln. Bolívar nutzte diese Pause, um seine Truppen zu verstärken, und als sich der Krieg im April 1821 fortsetzte, standen den 5.000 Spaniern 6.000 seiner eigenen Männer gegenüber. Die Spanier unter General Miguel de la Torre versuchten, die Pässe nach Caracas zu blockieren, positionierten aber ihre Truppen so unglücklich, dass sie am Ende mit weit abgeschlagenen Kavallerieeinheiten, zu wenigen Scharfschützen und einer schwachen rechten Flanke dastanden. Bolívar entsandte Páez’ Kavallerie und Infanterie, um die rechte Flanke der Spanier zu umgehen, aber sie wurden entdeckt und zurückgeschlagen. Die allzu selbstsicheren Spanier verfolgten dann die Republikaner, rannten aber geradewegs in die erfahrene britische Legion, deren disziplinierte Salven ihren Angriff stoppte. Die rechte Flanke der Spanier brach zusammen, und Bolívar befahl den vollen Vormarsch. Der anschließende republikanische Sieg war glanzvoll: Ein Drittel der Spanier wurde gefangengenommen und ebenso viele getötet oder verwundet. Die Schlacht von Carabobo sicherte Venezuelas Unabhängigkeit und überzeugte die Spanier, dass das Gebiet niemals zurückerobert werden konnte. Nach Carabobo zog Bolívar am 29. Juni 1821 triumphal in Caracas ein, worauf am 7. September der Staat Gran Colombia gegründet wurde. Dies vergrößerte die Republik erheblich, deren Gebiet nun einen Großteil des heutigen Kolumbiens, Venezuelas und Ecuadors, sowie Teile von Panama, Guyana und Brasilien umfasste. Bolívar wurde als Präsident bestätigt, und seine Ziele wuchsen weiter. Es genügte ihm nicht, die Souveränität Großkolumbiens zu festigen und zu sichern, er wollte die Spanier vom gesamten Kontinent vertreiben. Um dies zu erreichen, musste er das Zentrum ihres Kolonialreiches angreifen: Peru.
Ende der spanischen Herrschaft Zu Anfang der 1820er Jahre war Bolivars politische Macht so gewachsen, dass er viele Militärangelegenheiten begabten Untergebenen,
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SIMÓN BOLÍVAR
Die Schlacht von Carabo sicherte die Unabhängigkeit Venezuelas und führte außerdem zur Errichtung der Republik Gran Colombia.
„SOLDATEN, IHR STEHT VOR DER VOLLEMNDUNG DES GRÖSSTEN VORHABENDS, DAS DER HIMMEL DEM MENSCHEN ANVERTRAUT HAT – EINE GANZE WELT VOR DER SKLAVEREI ZU ERRETTEN.“
wie Antonio José de Sucre überlassen musste, der 1822 zur Befreiung Ecudadors beitrug. Sucres entscheidender Sieg in der Schlacht von Pichincha am 24. Mai 1822 vertrieb die Spanier endgültig aus Ecuador und ermöglichte es Bolívar, Großkolumbien der Kontrolle seines Vizepräsidenten zu überlassen, um sich mit seinem siegreichen General zu treffen. Bolívar war nicht der einzige große Revolutionär in Südamerika. In der Unabhängigkeitsbewegung des südlichen Teils des Kontinents stand ihm deren Schlüsselfigur, José de San Martín, ebenbürtig gegenüber. San Martín hatte Argentinien von der spanischen Herrschaft befreit, eine bedeutende Rolle in der chilenischen Unabhängigkeit gespielt und die peruanische Hauptstadt Lima mit 4.500 Mann besetzt. Am 12. Juli 1821 hatte er Perus Unabhängigkeit erklärt, aber immer noch standen 19.000 spanische Soldaten im Lande, die San Martín, der außerstande war, ins Inland vorzustoßen, nicht vertreiben konnte. Bolívar, der in dem argentinischen General einen natürlichen Verbündeten erkannte, traf San Martin am 26. Juli 1822 bei Guayaquil in Ecuador, um eine mögliche Zusammenarbeit zu besprechen. Das Treffen verlief jedoch nicht einvernehmlich. Es gab kein offizielles Protokoll der Begegnung, aber die beiden Männer hatten angeblich unterschiedliche Visionen für Südamerika, und San Martín war von Bolívars herrischer Forderung nach der Leitung des Feldzuges entmutigt. So überließ er Bolívar deprimiert die endgültige Eroberung Perus und verließ das Land. Peruaner, die San Martín als ihren wahren Befreier ansahen, nahmen die Entscheidung mit Bestürzung zur Kenntnis, aber Bolívar hatte nun die alleinige Kontrolle. Im Juni 1824 hatte Bolívar eine 9.000 Mann starke Armee versammelt, um gegen zwei große spanische Armeen mit insgesamt 20.000 Mann im peruanischen Hochland um Cuzco zu kämpfen. Um zu verhindern, dass sich die beiden Armeen verbanden, führte Bolívar seine eigene Streitmacht in 3.650 Metern Höhe über die An-
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den. Wie bei seinem vorherigen Andenfeldzug waren dabei die Umstände wegen unzureichender Kleidung, gähnender Abgründe, Sauerstoffmangels und vieler Fälle von Schneeblindheit entsetzlich. Dennoch schritt Bolívar auf der Passhöhe seine Truppen ab und erklärte: „Soldaten, ihr steht vor der Vollendung des größten Vorhabens, das der Himmel dem Menschen anvertraut hat – eine ganze Welt vor der Sklaverei zu erretten.“ Am 6. August 1824 hatte Bolívars Armee die Anhöhen über der Ebene von Junín erreicht, und man entdeckte in der Tiefe eine vorbeiziehende spanische Armee. Daraufhin schickte er 900 seiner Reiter gegen die hintere spanische Kavallerie, worauf ein 45-minütiges Gefecht entbrannte. Mit den hauptsächlich eingesetzten Lanzen und Schwertern wirkte die Schlacht seltsam altmodisch. Angeblich fiel kein einziger Schuss. Einer der Hauptverantwortlichen für Bolívars Sieg war ein britischer Kavallerist namens William Miller, der seinen Männern befahl, einen Rückzug vorzutäuschen, um dann die nachsetzenden Spanier anzugreifen. Am Ende des kurzen Gefechts hatte Bolívar nur 120 Mann verloren, denen 400-500 spanische Verluste gegenüberstanden. Die Schlacht von Junin war die letzte, die Bolívar persönlich leitete, aber sie schuf die besten Voraussetzungen für das letzte Gefecht der südamerikanischen Unabhängigkeitskriege. Der geschlagene spanische Befehlshaber José de Canterac zog sich fluchtartig nach Cuzco zurück, und seine Niederlage verursachte nach der Schlacht den Verlust von bis zu 3.000 weiteren spanischen Soldaten durch Krankheit, Desertation oder Überlaufens zu Bolívars Truppen. Dieser hatte das Kommando über seine Armee an Sucre abgetreten, derweil er sich um politische Angelegenheiten kümmerte. Die gegnerischen Armeen jagten sich nun gegenseitig, bis sie sich schließlich am 9. Dezember 1824 im Ayacucho-Tal trafen. Gegenüber 24 spanischen Geschützen verfügte Sucre nur über eine Vierpfünderkanone, aber er sammelte seine Truppen und rief: „Von Euch hängt das Schicksal Südamerikas ab.“ Da sie wussten, dass die Spanier jeden sich
ergebenden Soldaten exekutierten, kämpften Sucres Männer verbissen und bestürmten den Feind mit Bayonetten. Die entsetzten Spanier verloren 2.100 Mann und 15 Kanonen und herausragende Männer wie de Canterac und sogar José de la Serna, der Vizekönig von Peru, ergaben sich. Der Sieg war so eindeutig, dass Sucre an Bolívar schrieb: „Der Krieg ist vorbei, und die Befreiung von Peru ist vollendet.“
Oben: Ein Auszeichnungs-Aufnäher, der republikanischen Offizieren, die 1823/24 im peruanischen Feldzug gekämpft hatten, verliehen wurde.
Kontinentales Erbe Die Schlacht von Ayacucho beendete faktisch die spanisch-amerikanischen Unabhängigkeitskriege und wird auch das „südamerikanische Waterloo“ genannt. Dennoch, die Vertreibung der Spanier aus Südamerika wäre ohne Bolívar nicht denkbar gewesen, und er wurde entsprechend gewürdigt. Am 6. August 1825 schuf der Kongress von Oberperu einen neuen Staat und nannte diesen ihm zu Ehren „Bolivien“. Es war der Höhepunkt von Bolívars Laufbahn und als er 1826 einen Kongress der lateinamerikanischen Republiken einberief, hoffte er, dass sich die Nationen, die er mitgeschaffen hatte, vereinigen würden. Die regionalen Unstimmigkeiten waren jedoch zu groß, und er trat im Mai 1830 als Präsident von Großkolumbien zurück. Monate später starb er als enttäuschter Mann mit nur 47 Jahren an Tuberkulose. Großkolumbien, wohl Bolívars größter politischer Erfolg, starb quasi mit ihm, aber seine Leistungen bleiben in der Weltgeschichte überragend. Ohne seine unermüdlichen Feldzüge würde ein Großteil des heutigen Südamerikas nicht existieren, und schon zu Lebzeiten nannte man ihn den „zweiten Washington der Neuen Welt“. Von den sechs von ihm maßgeblich mitgeschaffenen Ländern sind zwei zu wortwörtlichen Denkmälern seiner Vision geworden; Bolivien und seine Heimat, deren offizieller Name Bolivarische Republik Venezuela lautet. Bolívar ist vermutlich die bedeutendste Gestalt der lateinamerikanischen Geschichte und mit Sicherheit ihr erfolgreichster General.
Bilder: Getty
Im Jahre 1824 führt Bolivar seine Truppen bei Junin in seine letzte große Schlacht. Sein Sieg legte den Grundstein für den entscheidenden republikanischen Triumph bei Ayacucho.
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Purple der sieg über Japans Enigma Die Codebrecher jenseits des Atlantiks konnten verschlüsselte Nachrichten bald schneller lesen als der Feind, für den sie bestimmt waren. TEXT: NATHAN JORDAN
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DER SIEG ÜBER JAPANS ENIGMA
A
m Samstag, dem 6. September 1941, kündigte die japanische Regierung ihrem Botschafter Kichisaburô Nomura in den USA an, dass bald eine 14-teilige Nachricht eintreffen werde. Diese sollte er dem Außenminister um 1 Uhr am folgenden Tag vorlegen und danach die Kodiermaschine zerstören. Nomuras technische Assistenten hatten am Wochenende frei, weswegen er mit einem Diplomatenkollegen die Entschlüsselung der Botschaft selbst vornehmen musste. Es handelte sich um die japanische Kriegserklärung, die nach dem Angriff auf Pearl Harbor übergeben wurde. Die verspätete Überlieferung der Erklärung hatte zur Folge, dass alle bei dem Überraschungsangriff getöteten Menschen offiziell als Nichtkombattanten zu zählen waren. Die japanischen Gesandten schienen kein Wissen über einen bevorstehenden Angriff besessen zu haben. Die Diplomaten konnten auch nicht ahnen, dass die Nachricht, die sie dem amerikanischen Innenminister überbrachten, bereits von der Navy Station auf Bainbridge Island abgefangen worden war. Obwohl sie über Japans modernste Verschlüsselungsmaschine chiffriert worden war, hatte sie der USRegierung bereits auf Englisch vorgelegen. Aufgrund tragischer Verzögerungen bei der Weitergabe war es nicht möglich gewesen, den Angriff abzuwehren. Auch war Pearl Harbor nicht im Wortlaut genannt worden.
Roter Schleier Um die Nachricht an Botschafter Nomura zu verschlüsseln, wurde die 97-shiki Ôbun injiki (Lateinbuchstaben-Schreibmaschine Typ 97) benutzt. Die Typennummer bezog sich auf das Jahr 2597 des Kaiserlich-Japanischen Kalenders, in welchem das Gerät gebaut worden war (1937 nach westlicher Zählung).
Die „Purple“, wie sie in den USA hieß, war eine Nachfolgerin der „Red“-Chiffriermaschine, welche wiederum auf der berüchtigten deutschen Enigma basierte. Die abgefangenen japanischen Nachrichten wurden insgesamt als „Magic“ bezeichnet und in farbige Aktenordner sortiert, was der Maschine den Spitznamen einbrachte. Im Unterschied zu Red, deren Halbrotoren täglich gereinigt werden mussten, bediente sich die Purple zuverlässigerer Wählschalter, wie sie auch bei Telefonanlagen zum Einsatz kamen. Im Grunde bestand die Purple aus zwei elektronischen Schreibmaschinen mit einer dazwischen geschalteten Schlüsseleinheit. Die zweite Schreibmaschine konnte den resultierenden Text auf Papier drucken, ein großer Vorteil gegenüber der Enigma, welche lediglich Lampen aufleuchten ließ. Das bedeutete, dass eine Person für die Bedienung Person ausreichte. Ein weiterer Pluspunkt der Purple war, dass sie sowohl Englisch als auch Rômaji schreiben konnte, ein System zum Schreiben japanischer Sprache in lateinischen Buchstaben. Die theoretische Sicherheit der Purple war sehr hoch: Es gab etwa 945 Quintillionen (9,45 x 1032) mögliche Wege, die Nachricht zu chiffrieren. Die Japaner hielten die Maschine für nicht dekodierbar. Doch die Kombination aus Schreibmaschinen, Steckbrettern und übriger Mechanik war insgesamt sehr sperrig. Deswegen war sie für den Einsatz im Felde nicht geeignet und wurde lediglich für die diplomatische Kommunikation eingesetzt. Mehr als die Komplexität der Maschine war dies der Grund, warum der SIS (Signal Intelligence Service) zunächst kein großes Interesse an der Maschine zeigte, obwohl Purple-Kommunikation seit Februar 1939 überwacht worden war. Die damaligen Codebrecher waren an die Tatsache gebunden, dass Chiffriermaschinen Buchstabensequenzen nach dem
„AUFGRUND VON VERZÖGERUNGEN BEI DER WEITERGABE WAR ES NICHT MÖGLICH, DEN ANGRIFF AUF PEARL HARBOR ABZUWEHREN.“
Mitglieder des SIS posieren 1935 vor ihrer Arbeitsstätte. In der Mitte hinten ist William Friedman zu sehen, Frank Rowlett steht ganz rechts.
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PURPLE
Japans Alliianz mit Deutschland führte nach dem Entschlüsseln der Purple zu unfreiwilligem Geheimnisverrat.
Senden von Tausenden Nachrichten irgendwann wiederholten. Doch die Diplomaten verschickten nicht viele Botschaften. So konnte der Purple-Code erst 1940 gebrochen und die Botschaften gelesen werden. Die Japaner verließen sich zum Schutz ihrer Kommunikation auch nicht nur auf die Purple. Die Ursprungsnachricht wurde zunächst mit dem „Phillips Code“ gekürzt, um Zeichen einzusparen. Die Abkürzung „POTUS“ („President of the United States“) beispielsweise entstammt diesem Code. Der Bediener der Purple suchte sich dann aus einem Codebuch eine von Tausenden, täglich wechselnden Anfangseinstellungen des Steckbrettes sowie aus einem anderen Buch die Grundposition der Wählschalter aus.
Purples Entschlüsselung Das zum Brechen des Purple-Codes abgestellte Team, die „Purple Section“, unterstand William Friedman und benötigte im SIS-Hauptquartier in der Constitution Avenue in Washington, D.C., 18 Monate für die Arbeit.
„IM GEGENSATZ ZU DEN BRITISCHEN CODEBRECHERN IN BLETCHLEY PARK BESASS DAS SIS KEINE MODELLE, FOTOS UND BLAUPAUSEN DER PURPLE.“ Das Team selbst wurde vom brillanten Mathematiker Frank Rowlett geführt, der zwar keine Erfahrungen im Codebrechen besaß, den Job aber bereitwillig annahm, da sein neues Gehalt dem entsprach, was er und seine Frau als Lehrer zuvor zusammen verdient hatten. Rowlett und seine Mitarbeiter entdeckten, dass die Purple-Maschine wie ihre Vorgängerin sechs Buchstaben separat vom Rest verschlüsselte. Aus dieser Erkenntnis heraus konnte Rowlett eine Entschlüsselungstabelle erstellen, in deren verschiedenen Spalten sich das verwendete Veschlüsselungsalphabet ablesen ließ. Dies war die Schlüsselschwachstelle der Purple, denn waren die sechs Buchstaben erst einmal dekodiert, ließen sich Worte und Wortgruppen im Text erahnen.
Der rigide Stil der japanischen diplomatischen Kommunikation mit regelmäßig auftauchenden Formulierungen wie „Seine Exzellenz der Kaiser“ vereinfachte das Brechen des Codes weiter, und dem SIS gelang es, immer mehr Botschaften zu entschlüsseln. Die Purple-Maschinen waren komplex, sperrig und teuer, weswegen die Japaner oft weiterhin die alte Red benutzten, um Nachrichten an eine Purple zu verschicken. Das überrascht umso mehr, da die Purple entworfen wurde, weil die Verschlüsselung der Red als nicht ausreichend sicher gegolten hatte. Die ursprüngliche Nachricht war damit um Vieles einfacher zu dechiffrieren und diese ließ wiederum Rückschlüsse auf die tagesaktuelle Einstellung der Purple zu.
des kaisers neue chiffren VON ROT UND BLAU ZU VIOLETT – WIE VERBARG DIE WEITERENTWICKLUNG DER ENIGMA DIE JAPANISCHEN BOTSCHAFTEN VOR FEINDLICHEN AUGEN?
Dieses Fragment einer original japanischen Typ 97 „Purple“-Maschine ist heute im Kryptologischen Museum der National Security Agency in Fort Meade in Maryland ausgestellt.
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Die Purple-Maschine verband zwei elektrische Schreibmaschinen für die Eingabe und den Ausdruck von Nachrichten, sodass eine einzelne Person sie bedienen konnte. Wurde eine Taste gedrückt, ging ein elektrisches Signal an die Elektronik. Diese bestand aus einem Steckbrett, vier elektronischen Verschlüsselungsringen sowie verschiedenen Kabeln und Relais. Auf dem Steckbrett der Enigma wurden jeweils zwei Buchstaben miteinander vertauscht. Die Purple war verzwickter, da sie Eingangs- und Ausgangsstecker besaß. Wenn also das O als E verschlüsselt wurde, bedeutete das nicht, dass E zu O entschlüsselt wurde. Statt schwerfälliger Rotoren, die sich nach jedem Tastendruck bewegten, kamen bei der Purple elektromechanische Relais zum Einsatz, die Wahlumschalter. Die Codebrecher ordneten ihnen S, L, M und R zu. Die Verkabelung im Inneren war jeweils festgelegt.
Wie ihre Vorgängerin „Red“ teilte Purple die Buchstaben des Alphabets in zwei Gruppen, die „Sixes“ und die „Twenties“. Die „Sixes“ waren nur mit Wahlumschalter S verschlüsselt, der sich mit jedem Tastendruck um eine Position weiterbewegte. Die „Twenties“ nutzten die anderen drei Wahlumschalter L, M und R. Mindestens einer von ihnen bewegte sich nach einer Tastatureingabe. Welcher sich bewegte, hing von der Bewegung von S sowie der Anfangseinstellungen der Maschine ab. Das mag sehr kompliziert und verwirrend klingen, doch der eigentliche Vorgang war leicht verständlich und der Bediener musste die Maschine lediglich anhand der Angaben im Schlüsselbuch einstellen und dann den zu übertragenden Text eingeben. Die Schreibmaschine am anderen Ende der Maschine druckte den chiffrierten Text auf ein Blatt Papier. Dieser konnte dann vom Funker als Geheimbotschaft übermittelt werden.
DER SIEG ÜBER JAPANS ENIGMA Unten: Die Seitenansicht eines Teils einer PurpleMaschine im NSA National Cryptological Museum.
Amerikas codeknacker ER WAR DER VATER DER MODERNEN AMERIKANISCHEN KRYPTOLOGIE.
Obwohl die Japaner die veralteten R Redd Maschinen benutzten und vorhersagbare Worte und Redewendungen verwendeten, waren die ersten Entschlüsselungsversuche mühsam. Wäre die Purple für militärische Kommunikation zum Einsatz gekommen, hätten Tausende Nachrichten pro Tag zur Verfügung gestanden. Damit wäre die Grundeinstellung deutlich leichter abzuschätzen gewesen. Als Genevieve Grotjan von der Purple Section am 20. September 1940 gerade einige diplomatische Nachrichten durchging, hatte sie einen Geistesblitz. Ihr fiel eine Sequenz auf, die sich bei einigen Botschaften wiederholte. Der innere Aufbau der Purple konnte so auf Papier nachvollzogen werden. Die ganze Abteilung feierte den Abend hindurch und bestellte sich Flaschen mit Coca Cola. Für diese und andere Errungenschaften wurde Grotjan vier Jahre nach ihrem Tod 2006 in die NSA Hall of Honor aufgenommen. Doch für Friedman war der Stress der letzten 18 Monate zu viel gewesen. Er erlitt einen Nervenzusammenbruch und mussten einige Monate pausieren. In Friedmans Abwesenheit entwickelte der am MIT ausgebildete Offizier und Ingenieur Leo Rosen mithilfe der Papierdiagramme von Rowlett, Grotjan und Friedman eine exakte Nachbildung der Purple, welche wie das Original verkabelt war. Es handelte sich dabei um die Verbesserung eines Prototypen, den Rosen zuvor bereits gebaut hatte. Er hatte die Idee zu diesem „Six buster“ beim Blättern in einem Katalog für Elektrozubehör gehabt. Dort hatte er einen „uniselector“ („Wahlumschalter“) aus sechs Relais gesehen. Dank der Arbeit Grotjans und der anderen Mitglieder der Purple Section war das Geheimnis um die Verkabelung der 20 Buchstaben des Alphabets nun gelöst und Rosen konnte seine Maschine bauen, indem er an verschiedene Wahlumschalter über 500 neue Verbindungskabel lötete. Im Gegensatz zu den britischen Codebrechern in Bletchley Park besaß der SIS keine
d Purple. Modelle, Fotos und Blaupausen der M hi Alle Maschinenfunktionen mussten von den abgefangenen und dekodierten Nachrichten abgeleitet werden. Der neue Nachbau der Purple wurde fleißig genutzt, um alle bis dahin empfangenen Botschaften zu dechiffrieren. Das ging viel schneller als mit Papier und Stift. Bald standen sechs weitere Geräte zur Verfügung.
Nachspiel Weil nun mehr Maschinen benutzt werden konnten, beschleunigte das die Entschlüsselung. Den Codebrechern spielte zudem in die Karten, dass die Japaner aus dem großen Vorrat von fast 400.000 Schlüsseln lediglich 240 verwendeten, die sich entsprechend regelmäßig wiederholten. Oft entschlüsselte die Purple Section Nachrichten schneller als der Empfänger selbst. Der Purple-Nachrichtenverkehr informierte nicht nur zu den Japanern. Botschafter Baron Hiroshi Oshima, ein Vertrauter Hitlers, diente den Alliierten unfreiwillig als Kollaborateur, als er die Ostfront und den Atlantikwall besuchte. Als routinierter ehemaliger Soldat schrieb der ehemalige General äußerst präzise Berichte über die Pläne der deutschen Regierung sowie über das japanische Spionagenetzwerk in Spanien, die er nach Tokio funkte. Er ahnte nicht, dass der Feind fast mühelos mitlas. Obwohl die Japaner von der Sicherheit der Purple überzeugt waren, forderte die Regierung kurz vor der Niederlage ihre Auslandsvertretungen auf, ihre Purple-Maschinen zu zerstören und sie in kleine Stücke zu zermahlen. Am Ende des Krieges konnte ein Fragment in der japanischen Botschaft in Berlin sichergestellt werden. Die ehemalige Purple Section zeigte sich überrascht, dass dieselben Bauteile verwendet worden waren, die Leo Rosen in seinem Blindentwurf verbaut hatte. Dieser Zufall beweist nicht nur die Findigkeit der Purple Section, er ist zugleich ein Zeugnis für die Kombination aus harter Arbeit, eisernem Willen und purem mathematischen Geschick, welche die alliierten Codebrecher auszeichnete.
Friedman schrieb bis zu seinem Tod 1969 noch einige Werke über Kryptographie.
Bilder: Getty, Thinkstock
Weitere Fortschritte
Nachdem er 1920 die von den Deutschen im Ersten Weltkrieg benutzten Codes entschlüsselt hatte, schrieb William Friedman eines seiner vielen bahnbrechenden Handbücher, The Index of Coincidence and Its Applications in Cryptography. Darin beschrieb er den von ihm entwickelten „Koinzidenzindex“, der auch beim Entschlüsseln der Purple zum Einsatz kam. Während er 1923 als Chef-Kryptoanalytiker für das Kriegsministerium arbeitete, gab er Elements of Cryptoanalysis heraus, das später auf vier Bände ausgeweitet wurde – die kryptologische Bibel der Army. 1924 arbeitete er im Auftrag der Navy an Nachrichten von einer Chiffriermaschine mit fünf Rotoren, die der Kalifornier Edward Hebern erfunden hatte. Friedman entschlüsselte die Nachrichten, indem er Buchstaben auf Papierstreifen druckte und sie gegeneinander verschob, bis er „Koinzidenzen“ entdeckte. Nach der anstrengende Dechiffrierung der Purple wurde er 1941 im Krankenhaus behandelt und mit allen Ehren aus dem Signal Corps entlassen. Er arbeitete danach als Kommunikationsdirektor beim SIS und wurde nach dem Krieg Chef der technischen Division der Armed Forces Security Agency. Ab 1952 war er einer der ersten Mitarbeiter der aufstrebenden NSA. Erst hier fiel der US-Regierung durch einen Zufall auf, dass Friedman nie die für diese Arbeit notwendige Sicherheitsfreigabe erhalten hatte. 1946 verlieh ihm Präsident Truman die Verdienstmedaille für „außerordentlich vorbildliches Verhalten“. Aus naheliegenden Gründen konnten Einzelheiten seiner Leistungen damals nicht benannt werden.
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DIE WELT E
Aktuelle Zeitschriften im Überblick: Real Crime
Real Crime Heft 04/2017 5,95 € Art.-Nr. REC0417
Real Crime Heft 03/2017 5,95 € Art.-Nr. REC0317
Real Crime Heft 02/2017 5,95 € Art.-Nr. REC0217
Real Crime Heft 01/2017 5,95 € Art.-Nr. REC0117
Real Crime Heft 06/2016 5,95 € Art.-Nr. REC0616
Real Crime Heft 05/2016 5,95 € Art.-Nr. REC0516
Real Crime Heft 03/2016 5,95 € Art.-Nr. REC0316
Real Crime Heft 02/2016 5,95 € Art.-Nr. REC0216
Real Crime Heft 01/2016 5,95 € Art.-Nr. REC0116
Real Crime Heft Sonderheft Serienmörder 03/2017 8,50 € Art.-Nr. RED1703
Real Crime Sonderheft Organisiertes Verbrechen 02/2017 7,95 € Art.-Nr. RED1702
Real Crime Sonderheft Ungelöste Fälle 01/2016 7,95 € Art.-Nr. RED1601
Real Crime Heft 04/2016 5,95 € Art.-Nr. REC0416
History of War
History of War Heft 04/2017 5,95 € Art.-Nr. HOW0417
History of War Heft 03/2017 5,95 € Art.-Nr. HOW0317
History of War Heft 02/2017 5,95 € Art.-Nr. HOW0217
History of War Heft 01/2017 5,95 € Art.-Nr. HOW0117
History of War Heft 06/2016 5,95 € Art.-Nr. HOW0616
History of War Heft 05/2016 5,95 € Art.-Nr. HOW0516
BBC Wissen Special Heft 02/2016 7,95 € Art.-Nr. WisPa0116
bpa Wissen Faszination Dinosaurier Heft 02/2015 7,95 € Art.-Nr. WisWuW0215
History of War Heft 04/2016 5,95 € Art.-Nr. HOW0416
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The Art Of Film – Star Wars 01/2016 7,95 € Art.-Nr. TAOF0116
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Gigantische Konstrukte 06/2014 7,95 € Art.-Nr. WisWuW0614
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All About History Heft 04/2017 5,95 € Art.-Nr. AAH1704
All About History Heft 03/2016 5,95 € Art.-Nr. AAH1603
All About History Heft 03/2017 5,95 € Art.-Nr. AAH1703
All About History Heft 02/2016 5,95 € Art.-Nr. AAH1602
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Große Schlachten
SCHLACHT DER GOLDENEN SPOREN TEXT: MARC DESANTIS
Im Juli 1302 obsiegten bei Kortrijk gewöhnliche flämische Fußtruppen über eine stolze Armee französischer Ritter.
KORTRIJK, BELGIEN 11. JULI 1302
I
m 14. Jahrhundert brach ein erbitterter Konflikt zwischen der Grafschaft Flandern und dem Königreich Frankreich aus. König Edward I. von England – nominell ein Vasall Philipps IV. von Frankreich – war gegen seinen französischen Lehnsherrn in den Krieg gezogen und 1297 mit einer Armee in Flandern gelandet. Sein Aufenthalt war jedoch ergebnislos gewesen und er kehrte im Folgejahr nach Unterzeichnung eines Waffenstillstandes mit Philipp nach England zurück. Flandern hatte bereits seit Jahren nach Unabhängigkeit von Frankreich gestrebt und dafür nun einen Verbündeten gefunden. Frankreichs Antwort war die Entsendung einer Streitmacht im Jahre 1300. Zu dieser Zeit war die reiche Stadt Brügge durch einen Bürgerkrieg zerrissen, in welchem die Frankreich zugeneigte, reiche oligarchische Schicht und das gemeine Volk, welches für die Freiheit Flanderns eintrat, aneinandergerieten. Infolge einer Missachtung der Exklusivrechte Brügges am Wollhandel mit England durch Edward I. wandte sich die Stadt an ihren Lehnsherrn Philipp IV., der eine französische Garnison in die Stadt verlegte. Doch am 18. Mai 1302 erhoben sich Aufständische gegen die Franzosen in Brügge und massakrierten 120 Soldaten. Dieses blutige Ereignis, welches als Brügger Frühmette in die Geschichte eingegangen ist, konnte Philipp nicht ungesühnt lassen. Er entsandte eine Armee nach Flandern, um die Tat zu bestrafen. Während ein Krieg am Horizont aufzog, schlossen sich andere Städte in Flandern dem Kampf um die Unabhängigkeit von Frankreich an. Die Flamen wussten nur zu gut, was ihnen bevorstand. Sie hatten sich gegen den mächtigsten König Europas aufgelehnt, der sich auf den Beistand zahlreicher schwer gepanzerter Ritter auf mächtigen Schlachtrössern verlassen konnte. Doch in Flandern war die Moral hoch, denn man würde Seite an Seite mit seinen Zunftgenossen – Webern, Walkern Links: Diese beschönigende Darstellung des französischen Malers Jean Fouquet ignoriert den eigentlich Ausgang der Schlacht und zeigt, wie die Franzosen die Oberhand erlangen.
und Scherern – kämpfen, die alles dafür geben würden, die Freiheit ihrer Heimatstadt zu verteidigen. Zum Glück für die Stadtbewohner wurde die Rebellion von Guido von Namur unterstützt, den König Philipp 1300 nach einer fehlgeschlagenen Revolte hatte einsperren lassen. Guidos Vater war Guido I., der Graf von Flandern. Wilhelm der Jüngere, ebenfalls flämischer Adliger und starker Anführer, suchte Vergeltung, da Philipp zwei seiner Onkel hatte einkerkern lassen. Sie begannen, Flandern von den Garnisonen des französischen Königs zu befreien, wobei eine Stadt ganz besonders im Fokus stand: Kortrijk. Die Flamen versuchten das dortige Schloss zu erobern, doch die Garnison hielt all ihren Bemühungen stand. Um diesen Umstand zu beenden, belagerte ab Juni die gesamte flämische Streitmacht Kortrijk. Den eingekesselten Franzosen kam jedoch die glorreiche französische Armee zu Hilfe – eine Schlacht war unausweichlich. Die flämischen Truppen bestanden zum Großteil aus Milizionären, ihnen gegenüber würden indes französische Ritter stehen. Den Flamen kam zugute, dass sie keine zufällige Ansammlung von gleichgültigen Soldaten waren, sondern hoch motivierte und ausgebildete Infanteristen. Ihre Waffenausstat-
KONFLIKTPARTEIEN vs
FLANDERN
BEFEHLSHABER Guido von Namur, Wilhelm von Jülich, Jan van Renesse INFANTERIE 8.000 KAVALLERIE 10 AMBRUSTSCHÜTZEN <1.000 RESERVE 500
FRANKREICH
BEFEHLSHABER Robert von Artois INFANTERIE 3.000 KAVALLERIE 2.500 AMBRUSTSCHÜTZEN 1.000
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GROSSE SCHLACHTEN
„NACH ÜBERSCHREITEN DER GRENZE AM 2. JULI PLÜNDERTEN UND TÖTETEN DIE FRANZOSEN WEHRLOSE FLÄMISCHE BAUERN.“ tung war gut, unter anderem führten sie lange Spieße, die weiter reichten als die Lanzen der Ritter, sowie Rossschinder, um die Reiter vom Pferd herunterzuholen. Am wichtigsten war jedoch der Goedendag – ein 1,5 Meter langer Streitkolben, an dessen Ende sich ein metallener Dorn befand. Somit war der Goedendag im Prinzip eine Kreuzung aus Keule und Speer. Einige Soldaten führten Schwerter oder Falchions. Letztere waren schwere Hiebwaffen, die dafür gedacht waren, Gliedmaßen abzutrennen und Schädel zu spalten. Viele trugen zudem Stahlhelme, Panzerhandschuhe, dicke Kettenrüstungen oder Plattenröcke sowie Schilde. Das machte sie zum Äquivalent der schweren Infanterie und war ein seltener Anblick auf dem europäischen Schlachtfeld des Mittelalters. Um zu siegen, würden die Flamen auch den letzten Rest an Mut und Geschick von ihren Fußtruppen benötigen. Vor der Schlacht bei Kortrijk bestand die flämische Streitmacht aus circa 8.000 Mann, die meisten von ihnen Infanteriemilizen. Circa 3.000 kamen aus Brügge unter dem Kommando von Wilhelm dem Jüngeren, um die 2.400 aus der Kastellanei Brugse Vrije unter dem Kommando von Guido von Namur und ungefähr 500 Mann aus Zeeland, die Jan van Renesse unterstellt waren.
Ritter gab es unter den Flamen kaum – laut der anonym verfassten Annalen von Gent, die die Geschichte Flanderns von 1297 bis 1310 umfassen, haben nur zehn an der Sporenschlacht teilgenommen. Obwohl eine kleine, 320 Mann starke Kavallerieeinheit, die aus reichen Brügger Bürgern bestand, auch bereit war, in den Kampf zu ziehen, würden diese Männer, genau wie die Ritter und die Milizionäre, die bevorstehende Schlacht zu Fuß ausfechten. Dazu kamen noch zwei Einheiten aus Ypern und Gent, die an der Seite ihrer flämischen Brüder in den Kampf ziehen wollten. Beide Städte standen unter französischer Kontrolle, doch diese Männer weigerten, sich nur zuzusehen, während man in Brügge ums nackte Überleben kämpfte. Aus Ypern kamen 500 Infanteristen und einige Armbrustschützen, aus Gent cira 700 Milizionäre unter Jan Borluut.
Die Franzosen treffen ein Ohne Rücksicht auf ritterliche Tugenden wie das Verschonen von Nichtkombattanten plünderten und töteten die Franzosen nach Überschreiten der Grenze am 2. Juli wehrlose flämische Bauern. Dies geschah auch in der Hoffnung, dass die Flamen ein-
geschüchtert werden würden. Schließlich trafen die französischen Truppen am 9. und 10. Juli nach und nach bei Kortrijk ein, jedoch nur um festzustellen, dass sie die belagerte Stadt nicht würden befreien können und eine offene Feldschlacht unvermeidbar war. Sie schlugen etwa 9,5 Kilometer weiter südlich ihr Lager auf und machten sich dann auf die Suche nach Terrain, in welchem sie mit ihren Pferden gut würden kämpfen können. Bei der Auswahl unterstützten sie die Franzosen, die im Schloss Kortrijk in der Falle saßen. Sie übermittelten ihren Landsmännern hinter der flämischen Linie die Botschaft, dass Oberbefehlshaber Robert II. von Artois sich das Groeningekouter, eine nicht weit entfernte Ebene, einmal näher anschauen sollte. Die Flamen hatten ihr Lager nördlich von Kortrijk aufgeschlagen. Am Morgen des 11. Juli 1302 sprachen die Männer beider Seiten ihre Gebete. Die Flamen erhielten Absolution von ihren Priestern und warteten grimmig auf die Franzosen, damit diese den ersten Zug machten. Die Flamen hatten entlang des sumpfigen Ufers des Groninger Bachs, der in die Leie mündete und ihre rechte Flanke bildete, Position bezogen. Hinter dieser Hürde hatten die Mannen aus Ostflandern ihre Position eingenommen. Dahinter wiederum befanden sich die Gräben Unten: Fragmente eines in der Schlacht eingesetzten Goedendags, ausgestellt im Museum Kortrijk 1302 in Belgien.
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SPORENSCHLACHT
und Mauern von Kortrijk, die Leie sowie das Kloster Groningen. Vor ihnen verlief der circa drei Meter breite Große Bach, der die Stadtgräben mit dem Groninger Bach verband. Diese Position wurde von der Milizarmee aus Westflandern verteidigt. Den rechten Flügel der Flamen bildeten die Milizen aus Brügge, die mutigsten und am besten ausgerüsteten flämischen Soldaten wurden dabei in den ersten zwei Reihen positioniert. Das Ypern-Kontingent wurde damit beauftragt, einen Ausbruch der französischen Garnison aus dem Schloss Kortrijk im Rücken der flämischen Truppen zu verhindern, die Mannen aus Zeeland bildeten die Reserve hinter dem Zentrum der Flamenarmee. Genau wie die Armbrustschützen des Feindes bezogen auch die flämischen Schützen vor ihrer jeweils eigenen Frontlinie Stellung. Guido von Namur sprach zu seinen Männern, ebenso wie William. Beide stiegen nach ihren Ansprachen von ihren Pferden und reihten sich als Infanterie bei ihren Männern ein, um zu zeigen, dass sie ebenfalls erdulden würden, was auch immer die Schlacht für den gemeinen flämischen Bürger bereit hielt. Jan van Renesse, der Kommandant der flämischen Reserve, sprach wie folgt zu den Männern in den ersten Reihen: „Lasst den Feind nicht durch unsere Reihen brechen. Habt keine Angst. Tötet Pferd und Reiter. ‚Flandern und der Löwe‘ ist unser Schlachtruf. Greift der Feind Guidos Truppen an, werden wir ihnen von hinten den Rücken stärken und dazustoßen. Jeder Mann, der unsere Reihen durchbricht, soll für immer dort verbleiben. Tot.“ Laut den Annalen von Gent waren die Flamen vor
Oben: Die lange Reichweite der flämischen Waffen ermöglichte es den Flamen, die französischen Ritter im sumpfigen Gelände des Schlachtfeldes nahezu ungestraft anzugreifen.
der Schlacht extrem aufgebracht, da die Franzosen sich ihren Weg nach Norden gemetzelt hatten. Für Gnade war es nun zu spät. Die französischen Truppen hatten während der Invasion „[…] sogar die Bildnisse von Heiligen in Kirchen geköpft, als wären sie am Leben gewesen, oder aber deren Gliedmaßen abgetrennt.“ Diese Schandtaten zur Verängstigung der Flamen waren erfolglos, stattdessen „führte dies zu noch mehr Wut“. Vor der Schlacht wurden den flämischen Truppen außergewöhnliche Befehle erteilt: Keinem der Soldaten war es erlaubt, während der Schlacht Beute zu machen. Ebenfalls war es untersagt, französische Adlige als Gefangene zu nehmen. Sollte ein Mann diesen Verboten nicht folge leisten, hieß es in dem Befehl weiter, würde er sofort von seinen Kampfgenossen getötet werden. Die Franzosen auf der anderen Seite des Schlachtfeldes waren eine schillernde Armee. Ihre besten Ritter hatten auf ihren mit verzierten Schabracken geschmückten Pferden Stellung bezogen, wobei sie ihre Banner stolz zur Schau stellten. Der französische Schlachtplan war simpel. Zwei Wellen würden angreifen, wobei jede aus vier Gruppen bestand. Ein drittes, aus zwei Gruppen bestehendes Kontingent bildete die
Robert II. wurde in der Kathedrale von Saint-Denis nahe Paris bestattet.
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GROSSE SCHLACHTEN
KORTRIJK 1302
Reserve. Man geht davon aus, dass es nicht weniger als 2.500 Ritter und Knappen waren – allesamt auf Schlachtrössern –, die von einer aus ganz Europa zusammengezogenen Infanterie ergänzt wurden: 2.000 leichte Infanteristen, 1.000 Pikeniere und 1.000 Armbrustschützen. Einige der Söldner kamen sogar aus Genua und Spanien. Die Franzosen waren zweifelsohne in der Unterzahl, doch im Kalkül der mittelalterlichen Kriegsführung spielte das nur eine untergeordnete Rolle. Damals war ein Ritter auf einem Schlachtross genauso viel Wert wie zehn unberittene Milizen. Solch eine Gleichung erscheint unverzeihlich arrogant. Zwar war ein derartiges Auftreten bei Rittern weit verbreitet, jedoch gab es auch eine Grund für ihre Selbstsicherheit. Infanterie war die dominierende Kraft auf dem Schlachtfeld während der Römerzeit gewesen, befand sich seitdem aber im Niedergang. Jetzt war der Ritter das Maß der Dinge. Aber auch diese Gleichung hatte sich während des 13. Jahrhunderts – wenn nicht gar schon vorher – begonnen zu verändern. Mit Wiederaufleben des Handels begannen die Städte zu wachsen, insbesondere in Italien und Flandern. Die Populationen stiegen an, was es ermöglichte, größere Kontingente an Fußsoldaten zu rekrutieren und diese zumindest bis zu einem gewissen Grad auszubilden. Der Ritter war keineswegs überflüssig, doch die Tage, an denen er eine Schar Bauern alleine niedermachen konnte, neigten sich dem Ende zu.
LEIE SUMPFLAND
SCHLOSS
KORTRIJK
Taktische Änderungen Einige der französischen Soldaten hatten ihre Zweifel daran, ob es denn richtig war, einfach direkt auf die flämische Milizarmee loszureiten. Der Anblick der recht gut ausgerüsteten und augenscheinlich disziplinierten Flamen, die hinter dem Bach Stellung bezogen hatten, weckte Befürchtungen, ob denn ein Frontalangriff tatsächlich eine weise Entscheidung sei. Die meisten der französischen Befehlshaber vor Ort dürsteten jedoch nach Rache für das Massaker bei der Brügger Frühmette. Sie waren der Ansicht, dass sich die Flamen, nun, da sie allesamt versammelt waren, selbst angreifbar gemacht hätten. Sie drängten auf einen sofortigen Angriff, bevor die Flamen sich ihrer Situation bewusst würden und abzögen. Robert schickte einen Herold zur flämischen Armee, um unter diesem Deckmantel herauszufinden, ob sich unter dem Feind Adlige befanden, bei denen es lohnen würde, sie als Gefangene zu nehmen. Dieser entdeckte jedoch nur wenige, die beachtenswert waren, da die Armee zum Großteil aus mittellosen Bürgern bestand. Er erspähte neben dem Banner von Guido von Namur und Wilhelm von Jülich noch ein weiteres, welches sein Interesse geweckt hatte – gehalten in Rot und Gold prangte darauf ein Löwe. Es war das Banner von Jan van Renesse, dem Befehlshaber der Männer aus Zeeland. Als die französischen Oberbefehlshaber davon erfuhren, warnte Gottfried, der Onkel des Grafen von Brabant und Kommandant von 500 Rittern: „Ich bin der Auffassung, dass wir uns vor dem Ritter mit dem Löwen auf
Links: Das Banner der Familie Renesse. Jan van Renesse war bei den Franzosen ob seines militärischen Geschicks gefürchtet.
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LILLE
04 RICHTUNG DES FRANZÖSISCHEN LAGERS
DIE LETZTEN GEBETE Bei den Flamen wird vor der Schlacht die Messe gelesen, man spricht letzte Gebete und die Beichte wird abgenommen. Den Milizionäre wird befohlen, weder Gefangene zu nehmen noch Beute zu machen. Nachdem sie sich bei einer Mahlzeit noch einmal gestärkt haben, nehmen die Soldaten ihren Platz in den Reihen ein.
„DIE FLAMEN SCHLAGEN ZURÜCK, HOLEN DIE RITTER AUS DEN SÄTTELN UND TÖTEN SIE AM BODEN. ARTOIS STIRBT IM DURCHEINANDER DES KAMPFES.“
TOURNAI
SPORENSCHLACHT
GENT
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IN FORMATION Die Flamen beziehen in dem Dreieck aus Groninger Bach zu ihrer Linken und Großem Bach zu ihrer Rechen hinter Barrikaden Stellung. Hinter ihnen liegt das Schloss Kortrijk. Die französische Kavallerie bildet eine Linie um sie herum. Scharmützel zwischen den Armbrustschützen beider Seiten brechen aus.
KLOSTER
GRONINGER BACH
GROSSER BACH
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AUSWAHL DES SCHLACHTFELDES Den Franzosen wird klar, dass sie eine offene Schlacht werden schlagen müssen. Ihre im Schlosss ausharrenden Landsmänner übermitteln der Entsatzarmee, dass das Groeningekouter ein fürr schwere Kavallerie gut geeignetess Terrain bietet.
OUDENAARDE
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ATTACKE DER FLAMEN Nun, da die französische Formation gebrochen ist, starten die Flamen einen Angriff auf ganzer Linie. Die Franzosen ziehen sich inklusive ihrer Reserve zurück. In nur drei Stunden hat die flämische Miliz die hochmütigen Ritter Frankreichs geschlagen.
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DER DONNER DER HUFE Die französischen Ritter des linken Flügels greifen an, werden jedoch durch das matschige Gelände ausgebremst. Der Impuls ihrer Attacke verpufft und es gelingt ihnen nicht, die flämische Linie zu durchbrechen. Mit Goedendags bewaffnete Milizionäre schlagen gnadenlos auf Pferd und Reiter ein.
DIE FRANZOSEN TREFFEN EIN Zwischen dem 9. und 10. Juli trifft die französische Armee unter Robert von Artois ein, um das belagerte Kortrijk zu entsetzen. Nachdem sie zuvor die flämischen Ländereien ausgiebig geplündert haben, gelingt es ihnen nun nicht, die Belagerung zu beenden. 9,5 Kilometer südlich von Kortrijk schlagen sie ihr Lager auf, die Flamen tun selbiges im Norden.
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DER FATALE ANGRIFF ROBERT VON ARTOIS’ Eine zweite, von Robert von Artois angeführte Welle prescht auf die Flamen zu, die ebenfalls im nassen Boden stecken bleibt. Die Flamen schlagen zurück, holen die Ritter aus den Sätteln und töten sie am Boden. Artois stirbt im Durcheinander des Kampfes.
FLAMEN FRANZOSEN
Karte: Nicholas Forder
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AUSHARREN Am Morgen des 11. Juli bereiten sich die Flamen auf die bevorstehende Schlacht vor. Die französische Kavallerie benötigt viel Zeit zur Einnahme ihrer Schlachtformation. Dies kommt ihnen jedoch entgegen, da sie davon ausgehen, dass die Flamen nach stundenlangem Stehen in Formation langsam müde werden.
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GROSSE SCHLACHTEN
Dieses Gemälde im Brügger Rathaus zeigt die vom Schlachtfeld zurückkehrenden, siegreichen Flamen.
dem Banner in Acht nehmen sollten … Jan van Renesse. Weltweit gibt es nicht mehr als fünf Männer, deren militärische Fähigkeiten an die seinen herankommen.“ Dementsprechend drängte Gottfried darauf, den Angriff auf den nächsten Morgen zu verschieben, wenn die Flamen vom langen Warten in Stellung ermüdet sein würden. Dieser sinnvolle Rat wurde jedoch von Robert wütend in den Wind geschlagen. „Was können solch einfache Leute schon gegen uns ausrichten? Selbst in Anbetracht ihrer Anzahl: 100 Ritter sind so viel wert wie 1.000 Infanteristen“, tobte er. Er stellte Gottfrieds Mut in Frage und fragte ihn unverblümt, ob er denn auch versucht sei, die Flucht zu ergreifen. „Wir sind beritten und sie zu Fuß“, erinnerte Robert ihn schroff. Der Angriff fand noch am selben Morgen statt.
Die Schlacht der Goldenen Sporen Kurz vor Mittag begann das Kampfgeschehen mit einem Scharmützel zwischen den vor den Armeen positionierten Armbrustschützen. Die Flamen mussten sich jedoch bedingt durch Mangel an Bolzen schon bald zurückziehen. Sie eilten über den Sumpfboden zurück zu ihren Linien und überquerten den Bach. Die Franzosen hielten den Hagel an Bolzen aufrecht, der nun auf die wartende flämische Infanterie niederging. Diese jedoch war recht gut gepanzert, sodass die aus der Entfernung abgefeuerten Geschosse nur wenig bewirkten. Die französischen Armbrustschützen und die leichte Infanterie waren begierig darauf, den Bach zu überqueren, aber Robert rief sie zurück, damit sie der bereitstehenden Kavallerie nicht im Wege sein wür-
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den. „Fußsoldaten, zurückziehen!“, befahl er. Anschließend wurden die Banner zur Front der Ritterformation getragen und Robert rief: „Vorwärts!“ Mehrere Hundert Ritter des französischen linken Flügels donnerten voraus, die Hufe ihrer Rösser Schlamm nach oben schleudernd, während sie über den wassergetränkten Boden preschten. Ein Teil der Infanterie hatte Roberts Befehl zum Rückzug entweder nicht gehört oder versäumt, diesem Folge zu leisten, weshalb sie nun vor den herannahenden Pferden auseinanderströmten. Die Ritter bahnten sich weiter ihren Weg und standen nun von dem Großen Bach. Wenngleich dieser nur drei Meter breit war, stellte sich das Überqueren für Ritter auf gepanzerten Schlachtrössern als Problem heraus. Ein paar Tiere weigerten sich, vorwärts zu gehen, andere stürzten und schleuderten die Reiter aus ihren Sätteln. Letztlich gelang es den Franzosen, den Bach zu überqueren und Formation einzunehmen, doch von der Wucht ihres Ansturms war so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Vor ihnen standen dicht an dicht die Männer aus Brügge und aus Brugse Vrije, ihre Piken und Goedendags einsatzbereit. Der bloße Anblick der herannahenden Ritter versetzte die Flamen in Angst. Kein Wunder, Hunderte geharnischte Reiter mit angelegten Lanzen galoppierten begleitet von Kampfgeschrei auf sie zu. Die flämischen Soldaten verfielen jedoch trotz ihrer Angst nicht in Panik, sondern rammten ihre Piken in den Boden und warteten auf die Franzosen, während die Weber und Walker ihre Goedendags fest umgriffen. Schließlich erreichten die französischen Ritter
die flämischen Linien. Da Pferde nicht freiwillig auf Hindernisse zureiten, stoppten sie kurz vor den Flamen. Einigen der erfahrensten Ritter gelang es trotzdem, ihre Rösser in die Reihen der Infanterie zu zwingen, die meisten jedoch schreckten davor zurück, da sie fürchteten, dass ihre Pferde durch die Goedendags den Tod finden würden – bereits jetzt mussten sie mit ansehen, wie Pferdeschädel von diesen zerschmettert und die Tiere mit den am Ende befindlichen metallenen Dornen erstochen wurden. Das rechte Schwadron des linken französischen Flügels, welches sich auf Terrain befand, auf dem man besser manövrieren konnte, hatte indes mehr Erfolg. Die Ritter bahnten sich ihren Weg in die Reihen der Männer aus Brugse Vrije, woraufhin heftige Nahkämpfe im Zentrum der flämischen Verteidigung ausbrach. An dieser Stelle wankte die Linie der Flamen und drohte, jeden Moment einzubrechen. Doch zu ihrer Rechten hielten die Milizionäre aus Brügge stand und konnten alle Versuche der Ritter, sie niederzumachen, abwehren. Gottfried von Brabant, der zuvor zu Achtsamkeit geraten hatte, wurde getötet, als sein Pferd sich vor den Piken des Feindes aufbäumte und ihn abwarf. Wilhelm von Jülich selbst kämpfte Mann gegen Mann gegen die französischen Reiter, wurde jedoch von einem Pfeil getroffen, der seine Rüstung durchschlug. Er kämpfte weiter, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach und vom Schlachtfeld getragen wurde. Ein beistehender Flame schaltete schnell, legte das Wappen des Adligen an und rief: „Jülich ist noch hier“, um zu verhindern, dass Panik ausbrach.
SPORENSCHLACHT
Diese romantisierte Malerei des 19. Jahrhunderts zeigt die brutale und gnadenlose Art, mit der die flämische Truppen die von den Franzosen begangenen Gräueltaten gerächt haben.
seidenen Faden. Der Nahkampf zwischen den Fußsoldaten der Flamen und den französischen Reitern wurde weiterhin erbittert geführt. Würden die Flamen die Linie nicht aufrechterhalten können, würde dies zur Niederlage führen. Jan van Renesse wusste, dass dies der Augenblick der Wahrheit für ihn war. Er schickte seine aus Männern aus Zeeland bestehende Reserve, um den Soldaten aus Brugse Vrije den Rücken zu stärken. Und tatsächlich: Dank seiner ausgeruhten und kampfbegierigen Mannen konnte die Verteidigungslinie wiederhergestellt werden. Das flämische Zentrum begann daraufhin einen Vorstoß und setzte den sich in Unterzahl befindlichen und zurückweichenden Rittern gehörig zu. Die Flamen setzten ihnen derart aggressiv nach, dass die Franzosen keine Chance auf einen Rückzug hatten. Robert II. von Artois sah, dass die Schlacht fast verloren war, und führte aus Verzweiflung eine finale Angriffswelle aus Rittern unter seinem direkten Kommando in den Kampf. Die Reiter preschten über das Feld und direkt in die Männer von Guido von Namur. Der Ansturm war so gewaltig, dass die Ritter bis tief in Reihen von Guido vordringen konnten, dann jedoch zum Erliegen kamen. Die Flamen umringten die Ritter und schlugen sie mit ihren Goedendags nieder. Dem französischen Grafen ge-
„DIE FRANZOSEN HATTEN GEGEN ENTSCHLOSSENE SOLDATEN IN GUTER VERTEIDIGUNGSPOSITION GEKÄMPFT. DAS RESULTAT WAR EIN MASSAKER.“
lang es, bis zu Guidos Banner vorzudringen und es mit seinen eigenen Händen zu zerreißen, bevor er von den Flamen überwältigt und getötet wurde. Um circa 15 Uhr war die Schlacht vorüber und die überlebenden Franzosen versuchten, zu fliehen.
Die Folgen Nachdem die Schlacht verloren war, blieb den französischen Soldaten in der belagerten Garnison nichts anderes übrig, als zu kapitulieren. Auf Seite der Franzosen mussten viele Ritter ihr Leben lassen. „Tötet alles, was Sporen trägt“, hatte Guido zuvor angeordnet und die folgsamen Milizionäre hatten keine Gnade gezeigt. Auch die Rösser wurden nicht verschont und viele von ihnen niedergestreckt. „Tötet vor allem die Pferde“, war den Flamen vor Beginn der Schlacht zusätzlich befohlen worden. In den Annalen wird berichtet, dass circa 3.000 „prächtige Schlachtrösser und wertvolle Pferde“ Opfer der flämischen Piken und Goedendags wurden. Die Franzosen hatten gegen entschlossene Soldaten in guter Verteidigungsposition gekämpft. Das Resultat war ein Massaker, bei dem mindestens 1.000 französische Soldaten ihr Leben gelassen hatten, viele von ihnen hochrangige Adlige. Die Flamen, die selbst einige Hundert Mann verloren hatten, erbeuteten circa 500 goldene Sporen der toten französischen Ritter und stellten sie in der Liebfrauenkirche in Kortrijk zur Schau. Diese Trophäen sind es, die der Schlacht ihren Namen verliehen haben. Der glorreiche Sieg gewöhnlicher Infanterie gegen gepanzerte Ritter sollte zum Eckpfeiler des flämischen Nationalbewusstseins werden.
Bilder: Alamy, Getty, Thinkstock
Robert von Artois schickt als nächstes seinen rechten Flügel los, den er bisher zurückgehalten hatte. Dieser scheiterte jedoch genauso wie die erste Welle. Der Goedendag hatte sich wieder bewährt. Diese einfache, aber tödliche Waffe wurden von Hunderten von Händen kraftvoll geschwungen, brach Knochen und spießte Mann wie Pferd auf. Sogar dort, wo den Franzosen kleine Durchbrüche gelangen, stürzten die Flamen sich auf sie und dämmten den Vorstoß ein, bevor die feindlichen Reiter komplett durchbrechen konnten. Die Flamen übten Rache für die Verwüstungen in ihrem Land und viele französische Ritter fanden an diesem Tag ihren Tod. „Die Blüte der Ritterschaft“, heißt es in den Annalen, „… ging vor den Webern, Walkern und gemeinen Bürgern Flanderns zu Boden. Die Schönheit und Kraft dieser [französischen] Armee wurde in eine Mistgrube verwandelt und die Herrlichkeit der Franzosen machte Mist und Würmer.“ Während die Angriffe beider Flügel im vollen Gange waren, unternahm die französische Garnison innerhalb des Schlosses Kortrijk den Versuch, auszubrechen. Die Männer aus Ypern wurden zwar vom Schloss aus beschossen, konnten aber dennoch den Angriff der französischen Ritter der Garnison abwehren. Währenddessen hing die Verteidigung der flämischen Linie im Zentrum immer noch am
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Illustration: Joe Cummings
„WENN DIE USA MIT AM TISCH SITZEN UND WIRKLICHEN EINFLUSS AUF DIE GESTALTUNG DER NACHKRIEGSWELT NEHMEN WOLLTEN, MUSSTEN SIE BLUT UND GE ELD AUFF GELD FERNEN SCHLACHTFELDERN INVESTIEREN.“
DER WEG IN DEN KRIEG
DEUTSCHE GRÄUELTATEN, SPIONAGE UND DER UNBEGRENZTE U-BOOTKRIEG TRIEBEN DIE USA DAZU, SICH DEM KAMPF ANZUSCHLIESSEN.
Dieses Gemälde zeigt Gräueltaten, wie sie während der Offensive 1914 in Belgien begangen wurden.
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Als deutsche Truppen 1914 Frankreich angriffen, schockierte ihre Missachtung der belgischen Neutralität die Welt, insbesondere als Berichte über Gräueltaten veröffentlicht wurden. In den USA nahm die positive öffentliche Meinung von Deutschland deutlich ab. 1915 brachte ein verblüffendes Ereignis den Amerikanern das Gespenst von Spionage und verdeckten Operationen direkt vor die Haustür. Ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft vergaß in einem New Yorker Zug seinen Aktenkoffer, dessen veröffentlichter Inhalt den
systematischen Versuch erkennen ließ, Sabotage in Kanada durchzuführen und Unruhen in den USA zu schüren. Am 7. Mai 1915 wurde das Passagierschiff Lusitania von dem deutschen U-Boot U 20 vor Irland versenkt, unter den Toten befanden sich 128 Amerikaner. Die Versenkung der Lusitania war einer von zahlreichen Zwischenfällen, die auf die deutsche Politik des uneingeschränkten U-Bootkrieges zurückgingen. Die öffentliche Meinung in den USA wandte sich nun gegen Deutschland.
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1917
AMERIKA ZIEHT KRIEG IN DEN
Die US-Flagge wurde im Ersten Weltkrieg zuerst in der Schlacht von Vimy gesichtet, bei der US-Soldaten auf die deutschen Linien mit der „Old Glory“ an ihren Bajonetten zustürmten.
Nach Jahren der Neutralität wurde der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg von diplomatischen Erklärungen und Patriotismus begleitet. Erklärun TEXT: MIKE HASKEW
A
nstatt ein kühner Marsch zum Klang der Kanonen in Europa war der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg langsam, vorsichtig und manchmal widerwillig – zumindest bis Anfang 1917. Präsident Woodrow Wilson hatte sich während seiner gesamten Amtszeit um die Beibehaltung der amerikanischen Neutralität bemüht und sogar erfolgreich mit dem Slogan „Er hielt uns aus dem Krieg heraus!“ und dem noch plakativeren „Amerika zuerst!“ für seine zweite Amtszeit geworben. So sagte Wilson nur Wochen nach Ausbruch des Krieges in Europa 1914 bei einer Kongress ansprache: „Die USA müssen in diesen Tagen, die unser Innerstes auf die Probe stellen, sowohl faktisch als auch auf dem Papier neutral sein. Wir müssen in Gedanken und Taten unparteiisch bleiben.“ Als neutrale Nation bestand die dürftige amerikanische Prämisse schlichtweg darin, jedem der kriegführenden Staaten Geld leihen zu können. Amerikanische Unternehmen konnten ihnen außerdem Rohstoffe, Lebensmittel, Fertigwaren und Munition verkaufen. Die US-Handelsschiffe sollten den unruhigen Atlantik überqueren können, ohne befürchten zu müssen, von deutschen U-Booten abgefangen oder torpediert zu werden.
friedlicher Großmacht im Wege stehen, eine Rolle als Vermittler und Friedensratgeber zu spielen.“ Eine starke isolationistische Stimmung, verstärkt von einem pazifistischen Element in der Regierung, erzeugte einen vehementen Widerstand gegen jedwede US-Kriegsbeteiligung. Sogar Wilsons eigene Demokratische Partei war gespalten. Im Juni 1915 legte Außenminister William Jennings Bryan, ein überzeugter Pazifist, sein Amt enttäuscht nieder. Bryan glaubte, dass der Präsident, obwohl dieser zögerte, sein Land in den Krieg zu schicken, den pazifistischen Bitten gegenüber taub geworden sei. Auch sozialistische Politiker leisteten leidenschaftlichen Widerstand gegen eine Kriegsbeteiligung der USA und Mütter klagten, dass sie ihre Söhne nicht aufgezogen hätten, um Soldaten zu werden. Unterdessen machten die US-Finanzund Industrietitanen mit Hochzinsdarlehen und Lieferungen von Stahl, Maschinen, Schrauben, Bolzen und Munition an die kriegführenden Länder sogar satte Profite. Das Preparedness Movement plädierte für eine Aufrüstung der US-Streitkräfte in Erwartung eines kriegführenden Amerikas und die Interventionisten meinten, dass ein siegbringender Kriegseintritt an der Seite Großbritanniens und Frankreichs den Handel aufrechterhalten und zu einer späteren weltweiten Stabilität beitragen würde.
Innere Zerrissenheit
Ein ferner Traum?
Neben praktischen nationalen Überlegungen musste Wilson auch andere wichtige Gesichtspunkte beachten. Die USA waren ein Einwanderungsland. Bürger britischer, deutscher, irischer, osteuropäischer und sonstiger Herkunft pflegten emotionale und familiäre Bande zu ihrer „alten Heimat“ und eventuell sogar geteilte Loyalitäten. „Die Menschen der USA entstammen vielen Ländern und in erster Linie denen, die sich jetzt im Krieg befinden“, sagte der Präsident dem Kongress im August 1914. „Es ist natürlich und unvermeidlich, dass einige im gegenwärtigen Kampf den Erfolg des einen Landes und andere den eines anderen erhoffen. Solche Spaltungen wären fatal für unseren inneren Frieden und könnten ernsthaft unserer Pflicht als einziger
Wilson musste zusehends erkennen, dass die Vermittlung eines dauerhaften Friedens wenig mehr als eine Illusion war. Wollten die USA andererseits mit am Tisch sitzen und wirklichen Einfluss auf die Gestaltung der Nachkriegswelt nehmen, mussten sie aus pragmatischer Sicht Blut und Geld auf fernen Schlachtfeldern investieren. Noch offenkundiger war die Tatsache, dass der amerikanische Begriff von Neutralität mehr einer Übung in diplomatischem Wunschdenken glich. Großbritannien und Deutschland benötigten beide für die Versorgung ihrer Kriegsmaschinen und die Ernährung ihrer Völker Importe von Rohstoffen und anderen Gütern. Logischerweise versuchte jedes der beiden Länder, seine logis-
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1917 tische tansatlantische Lebensader gegenüber dem anderen zu verleugnen. Damals besaß die britische Royal Navy die größte und stärkste Flotte der Welt. Fast von Anfang an störte ihre strikte Blockade die deutsche Kriegswirtschaft. Auf die Gefahr hin, die Beziehungen mit den USA zu beschädigen, wurden US-Handelsschiffe, die deutsche Häfen ansteuerten, von britischen Kriegschiffen gestoppt, durchsucht und zurückgeschickt. Die Wilson-Regierung protestierte. Der deutschen Marine fehlten die Kriegschiffe, um eine lähmende Blockade gegen die britischen Inseln zu verhängen. Es gab allerdings eine Alternative: U-Boote. Eine Absperrkette aus ihnen konnte sehr wohl genügend Schiffe versenken, ob neutral oder nicht, um Großbritannien seine Grundversorgung für Krieg und Arbeit zu entziehen.
Das Sussex-Versprechen Im Herbst 1914 erklärten die Briten die gesamte Nordsee zur Kriegszone. Zur Vergeltung gab die deutsche Marine am 4. Februar die Warnung heraus, dass in den Gewässern um die Britischen Inseln angetroffene feindliche Handelsschiffe ohne Warnung versenkt werden würden und sie nicht für die Sicherheit neutraler Schiffe garantieren könne. Bis dahin hatte die Prisenordnung festgelegt, dass U-Boote aufzutauchen
hatten und auf offener See gestoppte Handelsschiffe vor einer Versenkung einer Durchsuchung zustimmen mussten. Ihre Besatzungen sollten in Sicherheit gebracht werden. Nur im Falle bewaffneten Widerstandes oder einer anhaltenden Missachtung des Stopp-Befehles durften die U-Boote davon abweichen. Am 28. März 1915 torpedierte das deutsche U-Boot U 28 den britischen Dampfer Falaba, wobei mehr als 100 Menschen getötet wurden. Man reichte sowohl bei der britischen als auch bei der deutschen Regierung Protest ein. Am 7. Mai wurde das Passagierschiff Lusitania von dem deutschen U-Boot U 20 vor der irischen Küste versenkt, wobei 128 US-Bürger den Tod fanden. Am 19. August versenkte U 24 das Passagierschiff Arabic, wobei drei Amerikaner umkamen. Obwohl die Umstände jedes Zwischenfalls, inklusive der deutschen Einhaltung oder Missachtung der Einsatzregeln, bis heute erörtert werden, erteilten die USA Deutschland mindestens drei ernste Warnungen. Dann, am 24. März 1916, wurde die unbewaffnete englische Kanalfähre Sussex torpediert und schwer beschädigt. Obgleich keine Amerikaner umkamen, drohte Präsident Wilson Deutschland bei Fortführung der Angriffe mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Das Ergebnis war das am 4. Mai 1916 von den Deutschen herausgegebene Sussex-Ver-
sprechen, das erklärte, dass U-Boote darauf verzichten würden, Passagierschiffe ins Visier zu nehmen, Handelsschiffe nicht versenkt werden würden, außer ihnen wäre der Transport von Bannware, besonders Munition, nachzuweisen, und dass sich U-Bootkapitäne vor der Versenkung eines Handelsschiffes um die Sicherheit aller Insassen kümmern würden. Das Sussex-Versprechen bot nur eine zeitweilige Lösung des Konfliktes zwischen kriegsbedingten Zwangslagen und der US-Forderung nach freier Schifffahrt und anderen Garantien. Die Versenkungen der Lusitania und Arabic hatten die öffentliche Meinung in den USA gegen Deutschland aufgebracht und weitere Provokationen würden gewiss eine Kriegserklärung der USA nach sich ziehen. Allerdings kam die deutsche Regierung zu dem Schluss, dass die USA ihre Neutralität
„AM 4. FEBRUAR 1915 WARNTE DIE DEUTSCHE MARINE, DASS FEINDLICHE HANDELSSCHIFFE VOR DEN BRITISCHEN INSELN OHNE WARNUNG VERSENKT WERDEN WÜRDEN UND MAN NICHT FÜR DIE SICHERHEIT NEUTRALER SCHIFFE GARANTIEREN KÖNNE.“ Die USS San Diego wurde 1918 auf dem Weg nach Großbritannien durch eine von U-156 gelegte Mine versenkt.
DIE ERSTEN , DIE KÄMPFTEN
AMERIKANER KÄMPFTEN VOR UND NACH DEM KRIEGSEINTRITT IHRES LANDES FÜR DIE IDEALE DER FREIHEIT. EDWARD MANDELL STONE
VERPFLICHTET: 2. AUGUST 1914 Der Harvard-Absolvent trat der französischen Fremdenlegion bei. Schon im Oktober war er mit einer MG-Einheit in Nordfrankreich. Am 17. Februar 1915 wurde er durch Granatsplitter verwundet und starb zwölf Tage später. Er gilt als erster im Ersten Weltkrieg durch Kampfeinwirkung gefallener Amerikaner.
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CHARLES SWEENY VERPFLICHTET: 1914 Bei Kriegsausbruch ein Major in der US-Army, trat der Absolvent der US-Militärakademie der französischen Fremdenlegion bei. Er erhielt für seinen Heldenmut im Kampf das Croix de Guerre, wurde Mitglied der Ehrenlegion und kehrte im Mai 1917 in die US Army zurück.
FRANKLIN JUDE GARY
VERPFLCHTET: 1915 Major Frank Jude Gary aus Iowa schrieb sich im kanadischen Victoria ein und diente im 67th Pioneer Battalion und 102nd Battalion der Canadian Expeditionary Force. Er erhielt von König George V. das Military Cross mit Spange und wurde später bei Ligny-SaintFlochel verwundet.
EDMOND GENET
VERPFLICHTET: 1915 Der Nachfahre eines französischen Diplomaten der Kolonialzeit verpflichtete sich in der französischen Fremdenlegion, während er noch in der US Navy Dienst tat. Später flog er in der LaFayette Escadrille und wurde am 17. April 1917 der erste im Kampf gefallene US-Pilot.
RAOUL LUFBERY
VERPFLICHTET: 1914 Lufbery trat der Fremdenlegion bei, wechselte zur französischen Luftwaffe und war dort ab 1916 Teil der LaFayette Escadrille (einem Schwadron von US-Piloten in französischen Diensten). Er errang 17 Luftsiege und kam am 19. Mai 1918 beim Sturz aus seinem Flugzeug ums Leben.
AMERIKA ZIEHT IN DEN KRIEG
Links: Eine Zeitungsanzeige für das todgeweihte Passagierschiff Lusitania enthält die Reisewarnung der deutschen Regierung.
bereits durch den fortgesetzten Handel mit den Briten kompromittiert hatten. Ein entscheidender Faktor wog schwer in dem zunehmend pro britischen Stimmungsumschwung: die Deutschen töteten Amerikaner, die Briten nicht.
Tage der Abrechnung Am 9. Januar 1917 hielt Kaiser Wilhelm II. im schlesischen Schloss Pleß einen Kriegsrat ab. Unter den Diskussionthemen stach ein Vorschlag der deutschen Marinespitze hervor. Im Dezember 1916 hatte Admiral Henning von Hotzendorff ein Memorandum zugunsten einer Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges vorgelegt. Holtzendorff trug seine Sache energisch vor, wobei er die US-Neutralität als fingiert bezeichnete. Unbehindert könnten die insgesamt 79 hochseetüchtigen und küstentauglichen deutschen U-Boote genügend Schiffe versenken, um Großbritannien binnen fünf Monaten in die Knie zu zwingen. Der Admiral schlussfolgerte: „Nach der Erklärung des uneingeschränkten U-Bootkrieges wird die US-Regierung erneut gezwungen sein zu entscheiden, ob sie im Angesicht des unbegrenzten U-Bootkrieges die Konsequenzen aus ihrer früheren Position ziehen will oder nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Krieg mit den USA unbedingt vermieden werden muss. Die Furcht vor einem diplomatischen Bruch sollte uns allerdings nicht davon abhalten, eine Waffe einzusetzen, die uns den Sieg verspricht.“ An Land erlebte die deutsche Armee einige Nachschubengpässe. Der Generalstabschef General Paul von Hindenburg sagte der erneu-
ten Initiative seine Unterstützung zu. Außerdem wurde die deutsche Bevölkerung unter den schweren Entbehrungen des Krieges zunehmend unruhig. Holtzendorff argumentierte, dass der Krieg „...eine Entscheidung vor dem Herbst 1917 erfordert.“ Die Zeit drängte. Der wichtigste Andersdenkende in der Runde war Kanzler Theobald von Bethmann-Hollweg. Ungeachtet der Zuversicht des deutschen Militärs argumentierte Bethmann-Hollweg, dass die USA bei Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges mit Sicherheit in den Krieg eintreten würden, was gewiss zur Niederlage Deutschlands führen würde. Er schrieb später in seinen Memoiren: „Kein Land wird zulassen, einen Krieg nicht zu gewinnen, wenn es überzeugt ist, gewinnen zu können.“ Trotzdem verkündete der Kanzler die Nachricht pflichtbewusst vor dem Reichstag, worauf der deutsche Botschafter am 31. Januar 1917 Wilson in Washigton, D.C. mitteilte, dass der uneingeschränkte U-Bootkrieg am nächsten Tag wiederaufgenommen werden würde. Der Präsident war bestürzt. Eine US-Zeitung schrieb: „Momentan besteht der einzige Unterschied zwischen Krieg und Frieden darin, dass wir uns nicht wehren, wenn uns die Deutschen angreifen.“ Am 3. Februar versenkte ein U-Boot das US-Handelsschiff Housatonic. Wilson brach unverzüglich die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab. Am 25. Februar wurde das Cunard-Schiff Laconia von U-50 vor der Südwestspitze Irlands versenkt – eine Amerikanerin und ihre kleine Tochter starben. Am nächsten Tag trat Wilson vor den Kongress, um die Genehmigung zur defensiven Bewaffnung amerikanischer Han-
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Die Versenkung der Lusitania durch das deutsche U-Boot U 20 am 7. Mai 1915 brachte die USA dem Krieg näher.
Oben: General John „Blackjack“ Pershing, Kommandeur des amerikanischen Expeditionskorps, trifft im Frühling 1917 in Frankreich ein. Unten: General John J. Pershing erweist dem Grab des Marquis de Lafayette salutierend seine Ehre.
„UNBEHINDERT KÖNNTEN DIE INSGESAMT 79 DEUTSCHEN U-BOOTE GENÜGEND SCHIFFE VERSENKEN, UM GROSSBRITANNIEN BINNEN FÜNF MONATEN IN DIE KNIE ZU ZWINGEN.“ 67
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1917 delsschiffe zu beantragen, was nach internationalem Recht selbst eine Kriegshandlung darstellte. Obwohl sich Historiker einig sind, dass die Maßnahme bei einer Abstimmung wahrscheinlich genehmigt worden wäre, gelang es einigen Antikriegs-Senatoren, sie zu verhindern. Daraufhin befahl Präsident Wilson mit einer Präsidentenverfügung die Bewaffnung der Handelsflotte. Die deutschen Angriffe hielten an und Ende März 1917 waren fünf weitere US-Handelsschiffe deutschen U-Bootangriffen zum Opfer gefallen. Wilson näherte sich rapide einem politischen Scheideweg.
Das Zimmermann-Telegramm Wilsons Leiden wurden durch die schockierende Enthüllung einer diplomatischen Mitteilung verschlimmert – dem Zimmermann-Telegramm. Am 16. Januar 1917 entschlüsselten britische Kryptoanalytiker der Royal Navy im strenggeheimen Raum 40 eine Mitteilung des Reichsaußenministers Arthur Zimmermann an den deutschen Botschafter in Mexiko, Heinrich von Eckardt. Ihr Inhalt war nicht nur aufrührerisch, sondern für die USA auch ein potenzieller Kriegsgrund. In dieser Mitteilung bekam von Eckardt zeitgleich mit der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges gezielte Anweisungen für den Fall eines US-Kriegseintrittes an der Seite Großbritanniens und Frankreichs. „Wir schlagen Mexiko eine Allianz auf folgender Basis vor: zusammen Krieg führen, zusammen Frieden schließen, großzügige Finanzhilfen und ein Einvernehmen unsererseits, dass Mexiko die verlorenen Gebiete in Texas, Neu-Mexiko und Arizona zurückerobern wird.“ Das alarmierende Telegramm drängte von Eckardt zudem, mit dem mexikanischen StaatsStaats
„PRÄSIDENT WILSON ZÖGERTE, DEN KONGRESS UM EINE KRIEGSERKLÄRUNG ZU BITTEN.“ chef Carranza auszuloten, ob auch Japan zum Seitenwechsel zu überreden sei. Carranza prüfte das Angebot und bat leitende Armeeoffiziere, die Aussichten für einen erfolgreichen Rückeroberungsfeldzug der im Krieg von 1846–48 an die USA verlorenen Gebiete zu taxieren. Da eine deutsche Hilfe aufgrund der britischen Blockade unsicher war, erkannte die mexikanische Regierung, dass eine Niederlage verheerend sein würde, und lehnte das Bündnis ab. Anfangs verzichtete die britische Regierung darauf, den Amerikanern das Zimmermann-Telegramm zu präsentieren, da man fürchtete, dies würde den Deutschen verraten, dass ihr diplomatischer Code geknackt worden war. Dann jedoch übergab Admiral Hall den Text des Telegramms an Edward Bell, den Sekretär der US-Botschaft in London. Zuerst bezweifelte Bell seine Echtheit, aber einmal überzeugt, übergab er ihn an US-Botschafter Walter Hines Page. Nachdem der britische Außenminister Arthur Balfour Page das abgefangene Dokument an sich zusammen mit einer deutschen und englischen Übersetzung übergeben hatte, wurde am 24. Februar Wilson verständigt. Zwei Tage danach, am selben Tag, als er im Kongress die Erlaubnis zur Bewaffnung der US-Handelsflotte erbat, veröffentlichte Wilson den Inhalt des Zimmermann-Telegramms. Am 1. März verkündete die Schlagzeile der New York Times: „Deutschland will ein Bündnis gegen uns. kei uns.“ Obwohl es keinerlei übergreifende
Unterstützung für einen Krieg gegen Deutschland gab, erreichte die Volksmeinung gegen Deutschland und Mexiko einen alarmierenden Höhepunkt.
Der Marsch zur Mobilisierung Trotz der Enthüllung des Zimmermann-Telegrammes und der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges zögerte Präsident Wilson, den Kongress um eine Kriegserklärung zu bitten. Erst am 20. März berief er eine Kabinettssitzung ein, um die Aussichten zu besprechen. Obgleich er sich seit den tragischen Ereignissen von 1915 um die Beibehaltung der Neutralität der USA bemüht hatte, blieb ihm nun, zwei Jahre später, keine große Wahl. Am 2. April 1917 forderte der Präsident vor dem Kongress eine Kriegserklärung an Deutschland: „Besitz läßt sich bezahlen, das Leben friedlicher und unschuldiger Menschen nicht. Der gegenwärtige deutsche U-Bootkrieg gegen den Handelsverkehr ist ein Krieg gegen die Menschheit.“ Er fuhr fort: „Ich rate dem Kongress, zu erklären, dass das jüngste Vorgehen der kaiserlichen deutschen Regierung faktisch nichts weniger als ein Krieg gegen die Regierung und das Volk der Vereinigten Staaten ist. Wenn es um den Weltfrieden geht, ist Neutralität nicht länger möglich oder wünschenswert.“ Dann hob Wilson an, seine heute berühmte Erklärung abzugegen: „Die Welt muss für die Demokratie abgesichert werden. Wir dienen keinen selbstsüchtigen Zielen. Wir wollen nicht erobern oder herrschen. Wir suchen keinen materiellen Ausgleich für unsere freiwilligen Opfer. Wir sind nur einer der Verteidiger der Menschenrechte. Es ist eine furchtbare Sache, dieses große friedliche Volk in den Krieg zu füh-
IN FREMDEN DIENSTEN
DAS AM 30. JUNI 1917 VERÖFFENTLICHTE COVER VON WAR ILLUSTRATED ZEIGTE AMERIKANISCHE SOLDATEN BEIM ANGRIFF AUF DIE VIMY-HÖHEN.
Präsident Wilson kandidierte im Rahmen seiner isolationistischen Politik mit dem Slogan „America First“ („Amerika zuerst“).
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Obwohl viele von ihnen eigentlich gegen das Gesetz verstießen, traten bis zu 50.000 Amerikaner vor Kriegseintritt ihres eigenen Landes der kanadischen Armee bei. Andere trugen in den Schützengräben britische oder französische Uniformen oder flogen Kampfflugzeuge. Unter den am besten bekannten ausgebürgerten Amerikanern waren jene der Canadian Expeditionary Force, die aus fünf Bataillonen des kanadischen Expeditionskorps bestand. Diese in den Jahren 1915–1916 überall in Kanada rekrutierten Bataillone nahmen an schweren Gefechten an der Westfront teil. Ein solcher Kampf fand vom 9. bis 12. April 1917 kurz nach der US-Kriegserklärung an Deutschland bei Vimy statt. Ein Augenzeuge erinnerte sich an Dutzende Amerikaner in kanadischen Uniformen, die kleine US-Flaggen hervorholten, sie an ihre Bajonette banden, einen spontanen Angriff auf einen deutschen Graben ausführten und Beifall ernteten, nachdem sie zahlreiche gegnerische Soldaten getötet oder gefangengenommen hatten. Das zeitgenössische Magazin The War Illustrated zeigte auf ihrem Umschlag eine idealisierte Darstellung des Ereignisses und erzählte die Geschichte eines jungen Soldaten auss Texas, der „seine Fahne bis an die äußerste Front trug, aber beim Angriff mit einer Kugel im Körper fiel. Er wurde ins Lazarett gebracht, aberr sein Schicksal ist ungewiss.“ Rechts: Das am 30. Juni 1917 veröffentlichte Cover von War Illustrated zeigte amerikanische Soldaten bei Angriff auf die Vimy-Höhen.
AMERIKA ZIEHT IN DEN KRIEG
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Pershing und sein Stab treffen mit dem Transportschiff Invicta in Frankreich ein. Dort begrüßt eine große Menge die erste Welle des AEK.
Die erste Welle des US-Expeditionskorps (AEK) mobilisierte in Boulogne und Paris viele Männer.
General Pershing und sein Stab salutieren, als nahe Boulogne die Nationalhymne gespielt wird.
PERSHING UND DAS AEF IN FRANKREICH
ORGANISATION, TRAINING UND SCHLIESSLICH EINE FEUERTAUFE PRÄGTEN DEN LANGSAMEN, ABER UNAUFHALTSAMEN AUFMARSCH DES AMERIKANISCHEN EXPEDITIONSKORPS. Obwohl es fünf hochrangigere Generäle in der USArmy gab, berief Kriegsminister Newton Baker mit Zustimmung von Präsident Wilson General John „Blackjack“ Pershing, um das amerikanischen Expeditionskorps in den Krieg in Europa zu führen. Pershings Aufgabe war gewaltig. Die Armee war klein, schlecht ausgerüstet und nur mäßig ausgebildet. Pershing widersetzte sich daher einer frühen Stationierung großer US-Verbände in Europa. In einer symbolischen Geste trafen bis Juni 1917 14.000 US-Soldaten in Frankreich ein. Bald sollten Einberufungen die Reihen der US Army auffüllen und im Frühling 1918 verfügte Pershing bereits über eine Million Mann. Als er nach Europa aufbrach,
„ICH WERDE IHNEN NUR ZWEI BEFEHLE GEBEN – GEHEN SIE NACH FRANKREICH. UND KOMMEN SIE HEIM. IN DER ZWISCHENZEIT HABEN SIE DORT OBERSTE BEFEHLSGEWALT.“
sagte ihm Minister Baker: „Ich werde ihnen nur zwei Befehle geben – erstens, gehen sie nach Frankreich. Und zweitens, kommen sie heim. In der Zwischenzeit haben sie in Frankreich oberste Befehlsgewalt.“ Pershing nutzte diesen Spielraum, um die Unabhängigkeit der US-Befehlsgewalt zu sichern, indem er die Aufteilung seiner Truppen unter britischen und französischen Einheiten als Ersatz für Verluste ablehnte. Um Kampferfahrung zu sammeln, erlaubte er den US-Verbänden anfangs jedoch, unter alliiertem Oberbefehl zu operieren, besonders in den frühen Gefechten bei Cantigny, Belleau und Hamel. Die Organisation und Ausbildung setze sich in 32 in den USA errichteten Lagern fort und wurde auch in Frankreich weiterverfolgt. Der Plan für das AEK in Europa schrieb eine Feldarmee von einer Million Mann in fünf Korps von insgesamt 30 Divisionen vor. Später korrigierte Pershing seinen Bedarf auf drei Millionen Mann und 80 Divisionen. Dennoch hatte das unmittelbare Anliegen – die US Army am Kampf zu beteiligen - anfänglich Vorrang. Es war ein mühsamer Prozess, die US-Industrie auf den Krieg umzustellen, zumal Präsident Wilson aus Furcht, die Deutschen zu provozieren, gezögert hatte, diesen vor 1917 in Angriff zu nehmen. Als das AEK eintraf, stand ihm außer der
Oben: General Pershing spricht kurz nach seiner Ankunft in Frankreich mit einem britischen General, bevor er nach Paris aufbricht.
Grundausstattung der Infanteristen herzlich wenig Ausrüstung aus amerikanischen Fabriken zur Verfügung. Stattdessen wurden die Amerikaner mit britischen und französischen Waffen ausgestattet. Zum Höhepunkt des US-Engagements im Ersten Weltkrieg waren beim AEK 3.500 Geschütze im Einsatz, von denen ganze 667 in den USA produziert worden waren. Von den 2.698 Flugzeugen waren nur 477 in den USA gefertigt, von denen wiederum lediglich 130 Maschinen im Kampf eingesetzt wurden. Den US-Truppen wurde das in England gebaute (aber in Amerika entwickelte) exzellente Lewis-Machinengewehr zugeteilt, zusammen mit dem weniger beeindruckenden französischen Chauchat. Die gepanzerten US-Verbände waren mit britischen und französischen Fahrzeugen ausgestattet, insbesondere mit dem französischen Renault-FT-Panzer. Im Verlaufe des gesamten US-Einsatzes an der Westfront diente der französische Marschall Ferdinand Foch als Oberbefehlshaber der Alliierten. Pershing kooperierte, behielt aber soweit wie möglich eigene praktikable USKommandostrukturen bei. Er argumentierte, dass die US-Army eines Tages vielleicht die Hauptlast der benötigten Truppen stellen müsste, um den Kampf gegen Deutschland fortzusetzen.
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1917 ren.“ Am 4. April stimmte der Senat mit 82:6 Stimmen für Wilsons Ersuchen. Das Repräsentantenhaus folgte am 6. April entsprechend und stimmte mit 373 zu 50 Stimmen für den Kriegseintritt. Obgleich sich die USA damit im Frühling 1917 im Krieg mit Deutschland befanden, war das Land ironischerweise kaum in der Lage, Truppen an die europäische Westfront zu entsenden. Wahrscheinlich hatte sogar die deutsche Kenntnis vom erbärmlichen Zustand des US-Militärs die Wiederaufnahme des unbegrenzten U-Bootkrieges befördert. Die US Navy steuerte eine Kampfeinheit zur Stationierung am Ankerplatz der Royal Navy in Scapa Flow auf den Orkney-Inseln bei sowie Zerstörer für Anti-U-Boot-Patrouillen und Geleitschutz im Atlantik. Als die USA dem Ersten Weltkrieg beitraten, zählte ihr stehendes Heer nur etwa 200.000 Mann, darunter die schlecht ausgebildete, erbärmlich ausgerüstete und hochpolitisierte Nationalgarde, die fast die Hälfte der Gesamttruppe stellte. Diese im Vergleich zur britischen, deutschen und französischen Armee winzige Streitmacht war obendrein noch unerfahren. Nur Zeit, Training und Kampfeinsätze konnten diese Zustände ändern. Im Mai 1917 verabschiedete der Kongress das Wehrpflichtgesetz. Alle Männer zwischen 21 und 30 Jahren wurden aufgefordert, sich zu melden, und innerhalb eines Jahres waren mehr als eine Million US-Soldaten in Frankreich.
„Lafayette, wir sind hier!“ Das amerikanische Expeditionskorps unter dem Kommmando von General John „Blackjack“ Pershing war seit Juni 1917 in Frankreich im Einsatz und einer seiner Berater, Colonel Stanton, bemerkte am Grab eines französischen Adligen, des Marquis de Lafayette, der die ehemaligen Kolonien fast 150 Jahre zuvor während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges unterstützt hatte: „Lafayette, wir sind hier“. Britische und französische Kommandeure schlugen vor, US-Truppen als Ersatz für ihre eigenen Verluste einzusetzen und im Grunde genommen den Zusammenhalt der Einheiten aufzulösen, um jene an der Seite von Veteranen in die Gräben der Westfront zu schicken. Pershing lehnte ab und behielt für die Dauer des Krieges das Kommando über die US-Truppen in Europa. Allerdings war Pershing genötigt, das Angebot seiner Verbündeten in einem bedeutenden Teilaspekt des US-Einsatzes anzunehmen. Obwohl die GIs über viele Springfield-M1903-Gewehre verfügten, waren andere Waffen und Kriegsmaterialien in den USA rar. Die Umstellung der US-Industrie auf den Krieg nahm Zeit in Anspruch und der Gütertransport über den Atlantik dauerte sogar noch länger. Deshalb benutzten die US-Truppen gewöhnlich britische und französischen Waffen, inklusive Panzern und Flugzeugen. Die Massenmobilisation war jedoch nicht nur auf das Militär beschränkt, denn auch an der Heimatfront vertiefte sich die gesamte amerikanische Nation in die Kriegsanstrengungen. Regierungsagenturen wurden gegründet, um die Umstellung der US-Wirtschaft auf den Krieg zu fördern, während Fabriken begannen, Uniformen, Waffen und andere Ausrüstung zu produzieren, um die Streitkräfte auszustatten. Farmer wurden gebeten, ihre Produktivität zu verdoppeln, und die US-Lebens-
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Zwei amerikanische Soldaten greifen 1918 mit aufgepflanzten Bajonetten einen deutschen Bunker an.
mittelbehörde ermunterte Durchschnittsbürger, hinter ihren Häusern „victory gardens“ anzulegen.
Kontakt in Cantigny Entlang der Westfront erstreckte sich vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Front ein aufwendiges Grabennetz. Dabei steckten die Gegner seit 1914 in einer Pattsituation, in der es keiner Seite gelungen war, die Oberhand zu gewinnen und eine entscheidende Offensive durchzuhalten. Die ersten US-Einheiten wurden an der alliierten Südflanke eingesetzt. Im Oktober 1917 unternahm die US 1st Division ihren ersten zaghaften Vorstoß in die Schützengräben, wobei ein Bataillon nach dem anderen zehn Tage neben einer erfahrenen französischen Division an der Front verbrachte. Während der Kämpfe am 2. und 3. November 1917 überfielen die Deutschen einen Graben, der von Amerikanern besetzt war, die nur Tage zuvor stolz durch die Straßen von Paris paradiert waren. Es gab die ersten Verluste unter US-Flagge: drei Tote und elf Gefangene.
Im Frühling 1918 erkannte das deutsche Oberkommando, dass die große Anzahl von US-Soldaten letzten Endes unweigerlich den Ausschlag zugunsten eines alliierten Sieges geben würde. In einem verzweifelten Versuch, die Niederlage abzuwenden, eröffnete man daraufhin die letzte deutsche Großoffensive des Krieges. Die Deutschen hatten seit 1914 südöstlich ihres tiefsten Einbruchs in die alliierten Linien um die Stadt Saint Mihiel eine schmale Landzunge gehalten. In diesem Gebiet waren auch US-Truppen der 26th Division verschanzt. Am 20. April griff ein deutsches Infanterieregiment nach schwerem Artilleriebeschuss die amerikanischen Gräben in der Nähe des Dorfes Seicheprey an, wobei sie zwei Kompanien der 26th Division überrannten und die Gräben eroberten. Die amerikanischen Versuche eines Gegenangriffs waren chaotisch und als man schließlich vorstieß, hatten sich die Deutschen bereits zurückgezogen. Pershing schäumte, denn die schwache Leistung hatte die Amerika-
„ALLE MÄNNER ZWISCHEN 21 UND 30 JAHREN SOLLTEN SICH MELDEN. BINNEN EINES JAHRES GAB ES MEHR ALS EINE MILLION US-SOLDATEN.“ Rechts: Ein britischer Sergeant Major trainiert einen US-Rekruten in Camp Dick, Texas, im Gebrauch des Bajonetts, ca. 1917/18.
AMERIKA ZIEHT IN DEN KRIEG
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US-Soldaten des 23rd Regiment, 2nd Infantry Division, feuern in Frankreich mit ihrem leichten Infanteriegeschütz auf deutsche Stellungen.
Am 2. April 1917 bittet Präsident Woodrow Wilson den Kongess um eine Kriegserklärung an Deutschland.
„DIE FRANZOSEN HATTEN DEN ORT ZWEIMAL EROBERT, UND WAREN ZURÜCKGEWORFEN WORDEN.“ ner mehr als 750 Gefallene, Verwundete und Gefangene gekostet. Die Deutschen verzeichneten 160 Tote. Ein paar Wochen später erlangte man eine gewisse Wiedergutmachung, als die vom streitbaren Major General Robert Bullard befehligte 1st Division zur Unterstützung französischer Stellungen, die von Deutschen angegriffen wurden, nordwärts vorstieß. Sobald seine Division den ihr zugewiesenen Sektor nahe Montdidier erreicht hatte, forderte Bullard lautstark, die Initiative übernehmen zu dürfen. Das von Einheiten der deutschen 18. Armee gehaltene Dorf Cantigny lag auf einer beherrschenden Höhe, nahe der Spitze der Saint-Mihiel-Landzunge. Französische Truppen hatten den Ort zweimal erobert, nur um zurückgeworfen zu werden. Nun waren die Amerikaner an der Reihe.
Am Morgen des 28. Mai stieß das von Colonel Hanson Ely kommandierte 28th Regiment der 1st Division an der Seite von drei MG-Kompanien und einer Ingenieurskompanie nach Artilleriesperrfeuer vor. Unterstützt von französischen Panzern und Flugzeugen, verjagte der gut abgestimmte Angriff die Deutschen in kaum mehr als 90 Minuten aus dem Dorf. Der wahre Härtetest für die Amerikaner sollte jedoch in der Verteidigung Cantignys gegen wiederholte deutsche Gegenangriffe bestehen. Der erste Gegenschlag des Feindes erfolgte nur Minuten nachdem der Ort in amerikanische Hände gefallen war und wurde aufgehalten. Das 26th Infantry Regiment des 1st Battalions unter Major Theodore Roosevelt Jr., dem Sohn des späteren Präsidenten, traf ein, um die US-Stellungen zu verstärken. Im Verlauf der nächsten 48 Stunden
schlug man fünf weitere feindliche Gegenangriffe zurück. Als die Verteidigung Cantignys andauerte, wurde die französische Artillerie aufgrund einer anderen Bedrohung abgezogen. So blieben nur die US-Feldgeschütze, um die deutschen Angriffe abzuwehren, aber ihr rasches und präzises Feuer half, die feindlichen Reihen zu zerreißen. Als sich die Situation stabilisierte, löste das 18th Regiment Elys Kommando ab. Die Amerikaner hatten mehr als 200 Gefallene und 800 Verwundete oder Gefangene zu beklagen, während die deutschen Verluste, neben einer unbekannten Zahl an Toten und Verwundeten, 250 in Gefangenschaft Geratene umfassten. Amerikaner kehrten 20 Jahre nach dem Gefecht von Cantigny zur Errichtung eines Denkmals zurück, das an den ersten Angriff einer US-Division im Ersten Weltkrieg erinnerte. Diese ersten Gefechte amerikanischer Soldaten im Ersten Weltkrieg waren auf einen engen Rahmen begrenzt; allerdings sollte das US-Expeditionskorps später in weit größerem Maße in die Kämpfe eingreifen.
Bei einem Gefecht an der Westfront werfen US-Soldaten 1918 Handgranaten in einen gegnerischen Schützengraben.
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1917 Von James Montgomery Flagg (1877-1960). Experte Adam Inglut zu diesem Plakat: „Mir gefällt die Abbildung der Kultfigur Uncle Sam mit seiner einfachen, aber sehr eindeutigen Botschaft.“
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PROPAGANDA AN DER HEIMATFRONT
ORIGINALPLAKATE AUS DER ZEIT DES ERSTEN WELTKRIEGS SIND HEUTZUTAGE ÜBERAUS WERTVOLL. Zur Inszenierung einer patriotisch gefärbten Unterhaltung betrieb das Committee for Public Information mit Kundgebungen, Paraden und aufmunternden Animateuren eine intensive Propagandaarbeit. Landesweit erschien auf Rekrutierungsplakaten das Bild eines strengen Uncle Sam, während Werbeeinsätze für „Liberty Bonds“ (Kriegsanleihen) die Mittel generierten, um „die Hunnen“ zu besiegen. Der Espionage and Sedition Act von 1917 machte dabei einen Großteil der heimischen Antikriegsbewegung mundtot. Ein bahnbrechender Musterprozess, Schenck gegen die USA, wurde sogar erst nach dem Krieg entschieden. Am 3. März 1919 urteilte der US Supreme Court, dass Aktivitäten, die eine „eindeutige und unmittelbare Gefahr“ darstellten oder zu einem Verbrechen wie der Flucht vor der Einberufung führen könnten, vor dem Gesetz strafbar waren.
Joseph Christian Leyendecker (1874–1951), datiert auf 1917.
Die Amerikaner hörten den Hitsong „Over There“, Sauerkraut wurde zu „Liberty Cabbage“ und Frankfurter zu Hotdogs umgetauft. Die Mehrheit der Amerikaner begrüßte den Kriegseinsatz, doch schon bald wurde die Welle des Patriotismus durch die ersten Verlustlisten gedämpft. Am 8. März 2017 fand im britischen Newbury eine Verkaufsaktion von 77 originalen US-Postern des Ersten Weltkrieges statt. Ihr Sammler, David Schwartz, hatte den größten Teil der Plakate in New York erworben, wo er damals lebte. Diese außerordentlich beeindruckende Sammlung sollte insgesamt mehrere Zehntausend Euro einbringen. „All diese Plakate sind fantastisch illustriert, mit kräftigen und leuchtenden Farben, weshalb sie David so gut gefielen und mir geht’s genauso“, sagt der Experte Adam Inglut.
Eine Amerika symbolisierende Frau mit Schwert, Schild und US-Flagge vor einem Adler und marschierenden Soldaten. Von John Scott Williams (1877–1976).
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Charles Buckles Falls (1874–1960)
Leo Mielzner (1869–1935), ca. 1917
William Haskell Coffin (1878–1941)
Deutschlands U-Booteinsatz schürte Propagandareaktionen aus den USA, ca. 1917.
Howard Chandler Christy (1873–1952), ca. 1919
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Bilder: Alamy, Getty, posters courtesy of Special Auction Services
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Dieses ca. 1918 von einem unbekannten Künstler geschaffene Stück hatte den höchsten Auktionswert.
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LAGEBESPRECHUNG
Leuchtender Pfad Für mehr als ein Jahrzehnt überzog die maoistische Terrorgruppe Sendero Luminoso Peru mit Angst und Schrecken. Dies ist die makabere Geschichte von ihrem Krieg. TEXT: MIGUEL MIRANDA
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elbst mehr als 150 Jahre nach der Unabhängigkeit von Spanien hatte sich der Andenstaat Peru noch immer nicht für sein offenkundiges Schicksal entschieden. Durch Kriege und Krisen schwankte er jahrzehntelang zwischen Demokratie und brutalen Caudillo-Diktaturen hin und her. Das Land überlebte dabei nur durch den Export von Mineralien und Metallen in die industrielle Welt. In den 1970er Jahren litt es jedoch inmitten ökonomischer Turbulenzen unter einer weiteren Diktatur. Als das Regime von General Francisco Morales Bermúdez bei demokratischen Wahlen kurz vor der Abwahl stand, ereigneten sich andernorts ruchlose Taten. Im Mai 1980 wurden in der Stadt Chuschi Wahlurnen angezündet. Diese schamlose Brandstiftung war der erste symbolische Akt des Sendero Luminoso oder Leuchtenden Pfades, einer maoistischen Randgruppe, die in der verarmten Ayacucho-Region entstanden war. Die völlige Missachtung grundlegender Institutionen und rechtsstaatlicher Prinzipien wurde bald zum Kennzeichen der Senderistas, junger Männer und Frauen, die von dem mysteriösen Präsident Gonzalo rekrutiert worden waren. Es kam fast eine Farce gleich, dass der Initiator dieser vermeintlichen Revolution von Perus Unterschicht ein von Mao Zedong besessener, spießiger Universitätsprofessor war. Enttäuscht über die Ziellosigkeit von Perus halbherzigen Kommunisten, war Abimael Guzmán Reynoso der festen Überzeugung, dass ein an den chinesischen Bürgerkrieg angelehnter Kampf sein Land erlösen würde.
DIE REPUBLIK IM CHAOS 76
1821
General José de San Martín erobert im Juli mit seiner Armee Lima, noch vor Monatsende wird die Unabhängigkeit erklärt. Der Feldzug dauert bis 1824, wobei Simón Bolívar kurzzeitig die Präsidentschaft übernimmt.
Ausgehend von einer Pension in der Stadt Ayacucho, wo er an der örtlichen Universität arbeitete, suchte sich Guzmán Gesinnungsgenossen und verbrachte ein Jahrzehnt mit Predigten vor seiner kleinen Gemeinde. Bis 1980 hatte sich um ihn, der sich als Kamerad oder Präsident Gonzalo ansprechen ließ, ein Personenkult entwickelt und eine rudimentäre Zentrale der Bewegung war einsatzbereit: Die Erste Militärschule der kommunistischen Partei Perus – Leuchtender Pfad. Guzmán war ein Redner, der berühmte Romane und griechische Philosophie las und der Letzte, den irgendjemand für einen terroristischen Drahtzieher gehalten hätte. Er ignorierte, dass sich Chinas damaliger Führer Deng Xiaoping schon 1978 mit dem Kapitalismus und ausländischen Investitionen angefreundet hatte, und plante mit seinen Anhängern die ländlichen Gegenden Perus zu erobern, um einen Bauernaufstand anzuführen. Dieser Prozess umfasste freilich die Tötung vieler Menschen. Die erste Zielgruppe des Leuchtenden Pfades waren Polizisten, jene örtlichen Autoritätspersonen, die den verhassten Staat und seine Korruption verkörperten. Peru pflegte immer noch die Insignien einer Feudalgesellschaft, in der weißhäutige Mestizos aus der Küstensierra über die eingeborenen Bauern des Inlandes herrschten. Für Guzmán und seine Mitverschwörer war es unerlässlich, beide zu spalten, bevor der Leuchtende Pfad den Angriff auf die Machtelite des Landes in der Hauptstadt Lima ins Auge fassen konnte.
1826
Eine politische Krise in Kolumbien zwingt Präsident Bolívar, das Land zu verlassen. Daraufhin bricht zwischen zerstrittenden Caudillos ein Bürgerkrieg aus und Peru wird durch etliche Konflikte für einige Jahrzehnte zerrüttet.
1879
Peru, Bolivien und Chile verwickeln sich in einen Krieg um Land und Resourcen. Dieser dauert einige Jahre und endet 1883 mit einem eindeutigen chilenischen Sieg.
LEUCHTENDER PFAD Peruanische Antidrogen-Polizisten patroullieren nahe der Stadt Aucayacu, einer früheren Hochburg des Leuchtenden Pfades.
„GUZMÁN PLANTE MIT SEINEN ANHÄNGERN, DIE LÄNDLICHEN GEGENDEN PERUS ZU EROBERN UND EINEN BAUERNAUFSTAND ANZUFÜHREN.“
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LAGEBESPRECHUNG Da er weder einen Volksaufstand noch eine gerissene Guerillatruppe verkörperte, rekrutierte der Leuchtende Pfad leicht zu beeindruckende junge Männer und Frauen der verarmten ländlichen Umgebung Ayacuchos und ließ sie die Drecksarbeit der Gruppe erledigen. Innerhalb eines Jahres hatte der Leuchtende Pfad die Regierungskontrolle über Dutzende von kleinen Dörfern und Städten beseitigt. Ihm kam dabei entgegen, dass die bürgerliche Regierung von Präsident Fernando Belaúndes unter einer kränkelnden Wirtschaft litt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt begann zu bröckeln. Ein weiterer Vorteil der Gruppe war ihre ausgezeichnete Organisation, die ihrerseits ein Symptom von Guzmáns Fähigkeit, mit Menschen umgehen zu können, war. Die Slums um Lima waren ein fruchtbares Rekrutierungsfeld für Informanten, und es gab keinen Mangel an abgelegenen Farmen, wo verarmte Familien die Sendero-Überzeugung willig annahmen. Auch existierte eine Kommandostruktur, die Guzmáns Ehefrau Augusta La Torre sowie einen handverlesenen Stab von Stellvertretern und über verschiedene Gebiete verteilte kleinere Komitees einschloss.
Pizarros tödliche Umarmung Die verschlungenen Wurzeln der Ursprünge des Leuchtenden Pfads liegen tief in Südamerikas Geschichte. Um die Umstände, die zu seiner Existenz führten, zu verstehen, muss man mindestens 500 Jahre in der Vergangenheit zurückreisen. Nach dem Fall der Azteken zogen die siegreichen spanischen Konquistadoren auf der Suche nach neuen Eroberungen nach Süden. 1532 zerstörte eine kleine Armee unter Führung Francisco Pizarros das Inka-Reich, das sich vom heutigen Ecuador bis in die Wüsten Chiles erstreckte. Die bevorzugten Methoden der spanischen Abenteurer waren absoluter Terror und größte Radikalität. So bemächtigten sie sich des Inkaführers Atahualpa und massakrierten sein Gefolge. Da der Herrscher nun ihre Geisel war, forderten die Spanier ein unerschwingliches Lösegeld in Gold, aber exekutierten ihren Gefangenen am 16. November 1532 trotzdem. Es folgten Jahre des Krieges. Aus diesem Chaos entstand Peru, dessen Silberminen die Schatzkammern des spanischen Imperiums füllten. Das Vermächtnis der Konquistadoren war grausam. Ganze Gemeinden wurden auf riesigen, von spanischen Soldaten geführten Ländereien zur Knechtschaft gezwungen. Dies schuf das heutige Politikmuster des Landes, bei dem kriegerische Oberherren den bettelarmen Massen ihren Willen aufzwingen. Im späten 18. Jahrhundert brach dieses
1941
Ein schwelender Grenzstreit mit Ecuador eskaliert zum Krieg. Die Kämpfe dauern mehrere Monate von Juli 1941 bis Januar 1942. Beide Länder liefern sich 1981 und 1985 weitere Kämpfe.
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1948
Nach einem Staatsstreich kommt General Manuel Odría an die Macht. Der Verteidiger des Status Quo bleibt bis 1956 im Amt. Der erste zivile Präsident (Fernando Belaúnde Terry) lässt noch bis 1963 auf sich warten.
Oben: Soldaten und Polizisten trugen oft Skimasken, um nicht von Mitgliedern des Leuchtenden Pfades erkannt zu werden.
ungerechte System jedoch fast auseinander. 1780 führte ein Steuereintreiber namens José Gabriel Condorcanqui einen Aufstand gegen die Kolonialverwaltung. Sein ursprüngliches Ziel wurde von den Indianern übernommen, die sich unter seinem Banner sammelten und beinahe nach Lima marschierten. Die von Condorcanqui, der sich selber Túpac Amaru nannte, angeführte Rebellion breitete sich dabei bis fast ins heutige Bolivien, Chile und Argentinien aus. Aber Túpac Amarus Aufstand scheiterte. Nach seiner Gefangennahme wurden er und seine Frau nach Lima gebracht. Sie wurde erwürgt und er gevierteilt, wobei ihm zuerst die Arme und Beine ausgerissen wurden, bevor man ihn köpfte. Im 19. Jahrhundert wurde Peru dann in Lateinamerikas Unabhängigkeitskriege verwickelt, in denen die Armeen von Simón Bolívar und José de San Martín versuchten, den Kontinent neu zu formieren. Niemand Geringerer als Bolívar selbst diente als sein erster Präsident, und unter seiner Führung bildeten sich die Anfänge einer großen Nation. Bald aber litt Peru unter seinen eigenen Widersprüchen und stritt sich mit seinen Nachbarn. Von 1826 an plagten kleinliche Bürgerkriege das junge Land. Dann zerbrach der Pazifische Krieg von 1879 bis 1883 Perus Union mit Bolivien und ruinierte seine Wirtschaft. Eine weitere Demütigung kam von den Chilenen, die Reparationen verhängten und als Teil ihrer Siegesbeute Land annektierten. In der Folge brachen in Peru Bürgerkriege aus, da seine meist aus dem Militär stammenden politischen Führer niemals vor gewalttätigen Machtkämpfen zurückschreckten. Erst im 20. Jahrhundert kam dauerhafter Frieden auf. Die herrschende Schicht war mithilfe des weltweiten Handels mit Edelmetallen und Guano zu Reichtum gelangt, während die arme Mehrheit enteigneter Indianer in Armut gefangen blieb.
1968
Ein Staatsstreich in Peru soll zur Durchführung einer Wirtschaftsreform führen. General Alvarado nationalisiert das Staatsvermögen. Eine Landreform zugunsten armer Bauern wird durchgeführt.
1970
Peru befindet sich im Griff einer Militärdiktatur. Abimael Guzmán organisiert die erste Sendero-Luminoso-Zelle an der Huamanga-Universität. Die Aktivitäten der kleinen Gruppe bleiben verborgen und sind gewaltlos.
LEUCHTENDER PFAD
2010 wird Edgar Mejía, auch bekannt als „Izula“, einer der führenden Köpfe des Leuchtenden Pfades, verhaftet.
„DIE FRÜHEREN BRANDSTIFTER UND ATTENTÄTER AUS DEM ÖDLAND LERNTEN AUS IHREN FEHLERN UND WAREN ZU EINER GUT GEÖLTEN KILLERMASCHINE GEWORDEN.“ 1975
Der alternde Diktator Juan Velasco Alvarado ist krank und wird durch seinen Nachfolger General Morales Bermúdez ersetzt. Dessen Ziel ist es, das Land auf demokratische Wahlen vorzubereiten.
1980
Am Tage vor den Wahlen zur Absetzung der herrschenden Militärjunta beginnt der Leuchtende Pfad seinen bewaffneten Kampf. In Chuschi werden Wahlurnen verbrannt.
1982
Peru modernisiert in einer Abkehr von der US-Militärhilfe seine Streitkräfte mithilfe eines Waffendeals mit der Sowjetunion. Weitere Waffen werden aus Frankreich, Deutschland und Israel importiert.
Der Sturz des Präsidenten Ein weiterer einzigartiger Wesenszug des Leuchtenden Pfades war die Unabhängigkeit seines Handelns. Die fehlende Unterstützung ausländischer Geldgeber führte zu einem fortwährenden, simplen und auf Brandstiftung und Mord fokussierten Aufstand. Dieser wurde jedoch in einem solchen Umfang betrieben, dass er eine andere peruanische Terroristengruppe, die Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru, deren spanisches Kürzel MRTA lautete, in den Schatten stellte. Da Guzmán an seinem eigenen marxistischen Maoismus festhielt, ergab sich bald eine Rivalität zur MRTA. Genau wie Armeen brauchen Rebellengruppen ihre eigene Logistik und der Leuchtende Pfad vertraute auf ein Netzwerk von Informanten und Sympathisanten. Was die Geldquellen der Gruppe anbelangte, infiltrierte und besetzte man Perus Huallaga-Tal mit seinen Coca-Farmen und Schmuggelrouten. Ohne größere Behinderungen durch Regierung oder Armee erhob der Leuchtende Pfad dabei Steuern und Gebühren auf den Transport der Ernte. Nachdem die peruanische Armee ab 1982 den Kampf gegen den Leuchtenden Pfad aufgenommen hatte, nahm der Konflikt an Gewalttätigkeit zu. Perus Diktatoren und Generäle waren meist Ideologen, die davon besessen waren, ihr Land seiner Probleme zu entledigen. Trotz der Existenz eines starken internen Sicherheitsapparates hatte dieser weder die Erfahrung noch die Fantasie, einer Extremistengruppe wie dem Leuchtende Pfad entgegenzutreten. Dies führte zu einem „schmutzigen Krieg“. Das Ziel war es, ganze Gemeinden für ihre Konspiration mit dem „Feind“ zu bestrafen. Das Problem war, dass beide Seiten dieselben Mittel einsetzten. Wenn der Leuchtende Pfad örtliche Gemeindeführer, Lehrer und Richter ermordete, rückte die Armee anschließend ein, um Schuldige unter den Einwohnern zu finden. Eine verspätete Lösung bestand in der Mobilisierung von Dorfbewohnern, die als überregionale Milizen an der Seite regulärer Armeeeinheiten agierten. Nach einem Jahrzehnt von Exzessen des Leuchtenden Pfades befand sich Peru am Abgrund. Die Wirtschaft war ins Wanken geraten und Präsident Alan Garciá Perez’ harte Haltung gegenüber der Gruppe fehlgeschlagen. Der Leuchtende Pfad hatte sich entwickelt. Die früheren Brandstifter und Attentäter aus dem Ödland lernten aus ihren Fehlern und waren zu einer gut geölten Killermaschine geworden. Es gab dabei fast keine Methode aus dem terroristischen Handbuch – von Massakern bis zu Selbstmordattentaten –, die sie nicht anwendeten. Bevor das Land 1987 von einem fast totalen Wirtschaftszusammenbruch erschüttert wurde, machte sich der Leuchtende Pfad mit einer Serie von Angriffen in der Hauptstadt Lima bemerkbar. Die Methode war denkbar einfach: Unterbrich die Stromversorgung der Stadt und sprenge Büros und Polizeiwachen.
1983-84
Da sich Zellen des Leuchtenden Pfades über ganz Peru ausbreiten, wird das Militär ins Landesinnere entsandt, was den Tod von 25.000 bis 70.000 Zivilisten und wirtschaftliche Verluste von 10 Milliarden Dollar nach sich zieht.
1987
Jahrelange Staatsschulden machen Peru zu einem wirtschaftlich hoffnungslosen Fall. Die schwindenden Einnahmen und eine Hyperinflation nach sich ziehenden Preise lösen eine Wirtschaftskrise aus.
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LAGEBESPRECHUNG Ein Nebeneffekt seiner ständigen Umsturzversuche gegen die Regierung war die Ausmerzung von Perus etablierter Linken sowie die Diskreditierung der konservativen Rechten. Interessanterweise ebnete dies den Weg für den späteren Triumph der Regierung über den Leuchtenden Pfad. Mit dem Verschwinden der traditionellen Akteure waren die Extremisten des Status Quo bereit, Präsident Gonzalos Legion mit allen Mitteln zu bekämpfen. Dieser Prozess wurde vom Aufstieg des Präsidenten Alberto Fujimori, einem halb-japanischen Politikneuling, dem die Wähler zum Sieg verholfen hatten, unterstützt. Um die Niederlage abzuwenden, begab sich Fujimori in die Rolle eines zivilen Autokraten. Er erließ ein geheimes Programm zur Liquidierung von Zellen des Leuchtenden Pfades mithilfe der Streitkräfte und Polizei. Allerdings beschleunigte die Bombardierung von Limas Miraflores-Distrikt im Juli, bei der 25 Menschen den Tod fanden, die Suche nach dem Führer des Leuchtenden Pfades Guzmán. Die Geschichte der Lösung des Falles ist schlichtweg unglaublich. Zwei Kriminalbeamte, Benedicto Jiménez und Marco Miyashiro, hatten in den vorangegangenen 11 Jahren Hinweise zur Bestimmung von Guzmáns Aufenthaltsorten gesammelt. Eine Kombination sorgfältiger Überwachungen und forensischer Untersuchungen von Müll führte sie in die Mittelklasse-Nachbarschaft Surquillo, ausgerechnet in Lima, in der man den geheimnisvollen Führer des Leuchtenden Pfades dann bei einer Polizeirazzia in einem Schlafzimmer im Obergeschoss festnahm. Dies führte zu Folgeeinsätzen gegen weitere konspirative Wohnungen der Gruppe durch Polizei und Geheimdienst. Der 58-jährige Guzmán wurde wie ein Comic-Bösewicht in gestreifter Gefängniskleidung in einem Käfig eingeschlossen. TV-Teams wurden aufgeboten, um Perus gefährlichsten Mann zu filmen. Innerhalb eines Jahres übertrug man eine Live-Sendung, in der Guzmán das Ende aller Feindseligkeiten erklärte. Es schien, als habe der Leuchtende Pfad über Nacht sein Momentum verloren, und tausende Mitglieder verließen die Gruppe. Dies sollte jedoch Fanatiker der Gruppe nicht von dem Versuch abhalten, Rache zu üben. 1993 massakrierte eine Gruppe von Guerillas in der Stadt Satipo zur Vergeltung 65 Männer, Frauen und Kinder. Es war ein letztes gnadenloses Blutbad. Von da an gingen die Angriffe des Leuchtenden Pfades fast bis auf Null zurück. Die übrig gebliebene winzige Fraktion wurde von einem loyalen Untergebenen namens Florindo Eleuterio Flores Hala befehligt, der bis zu seiner Gefangennahme 2012 eine Rumpfgruppe führte. Der Leuchtende Pfad scheiterte als Bewegung, wurde aber nie ausgelöscht. Zumindest ein paar Dutzend Kämpfer sind noch bis heute bewaffnet.
1992
Am 16. Juli zündet der Leuchtende Pfad in Limas gehobenem Miraflores-Distrikt zwei Autobomben. Die Explosion hinterlässt 25 Tote, beschädigte Gebäude und fast 200 Verletzte.
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1992
Nach zwei Jahren seiner umkämpften Präsidentschaft übergeht Fujimori die Verfassung, um als Autokrat mit umfassenden Regierungsbefugnissen zu herrschen. Im September wird Abimael Guzmán gefangen und inhaftiert.
1982 wurde Peru zum ersten südamerikanischen Land, das sowjetische Waffen wie diesen T-55 MBT importierte.
Wegen der verstärkten Aktivitäten des Leuchtenden Pfades nahmen die Dörfler in der Satipo-Region ihre Sicherheit in die eigenen Hände.
1994
Als Guzmán in einer Fernsehansprache das Ende aller Feindseligkeiten verkündet, zerfällt der Leuchtende Pfad. Bis zum Jahresende ergeben sich an die 6.000 Mitglieder und seine Aktivitäten enden.
1996
Im Dezember besetzen Túpac-Amaru-Terroristen die Residenz des japanischen Botschafters. Hunderte Geiseln werden genommen und es vergehen vier Monate, bevor Spezialeinheiten die Täter töten.
LEUCHTENDER PFAD
Perus Martyrium mit dem Leuchtenden Pfad kann man kaum als Militärkonflikt bezeichnen, da der Großteil der Opfer Zivilisten waren.
Wahrheit und Aussöhnung Auf einem Kontinent der Extreme war Alberto Fujimoris Präsidentschaft von unerwarteten Durchbrüchen geprägt. Der krönende Erfolg war dabei Guzmáns Sturz und Inhaftierung. Dieser tödliche Schlag für den Leuchtenden Pfad festigte unter den Peruanern Fujimoris Ruf und ließ die Kritik an den verfassungswidrigen Methoden seines Regimes verstummen. Aber die Sache hatte ihren Preis. 1990 litt das Land mit geschätzten 3.000 gezielten Attentatsopfern unter einer rekordverdächtigen Gewalt. 1992 ignorierte Fujimori die Verfassung, ja setzte sie de facto außer Kraft und stärkte zur Intensivierung des Kampfes gegen den Leuchtenden Pfad die Exekutive und Gerichtsbarkeit. Diese Maßnahme erlaubte es ihm, das Land ein Jahrzehnt lang zu regieren. Nach Guzmáns Inhaftierung war es unerlässlich, Perus angeschlagene Wirtschaft zu reparieren, die von Inflation und den in den vorangegangenen 20 Jahren aufgehäuften ruinösen Schulden geplagt wurde. Angesichts der chronischen Unterentwicklung seiner Regionen und der wachsenden Landbevölkerung lag der Schlüssel in der Wiederherstellung von Perus Status als Exporteur in einer wirtschaftsliberalen Politik und der Akquirierung neuer Kunden mittels Handelsabkommen mit seinen Nachbarn. Als im Jahre 1996 14 Túpac-Amaru-Terroristen die Residenz des japanischen Botschafters erstürmten, war dies jedoch ein weiterer Schock für Fujimoris Legitimierung. Die sich daraus ergebende Krise war doppelt peinlich. Als die Terroristen das Haus des Botschafters besetzten, strebte Fujimori, dessen Eltern Japaner waren, gerade anhaltende bilaterale Beziehungen mit dem Land seiner Vorfahren an. Schlimmer
noch war, dass die winzige MRTA den besiegten Leuchtenden Pfad überflügelt hatte. Mit den Forderungen nach Freilassung von zwei ihrer Kameraden aus Staatsgefängnissen und dem Widerruf aller japanischer Investitionen hielt die aus jungen Männern und Frauen bestehende Túpac-Amaru-Einheit 400 hochkarätige Geiseln in einem feudalen Herrenhaus gefangen. Obwohl sie während der langen viermonatigen Besetzung wiederholt Konzessionen an die Behörden machten, hatten die Terroristen im April 1997 immer noch 72 Männer in ihrer Gewalt und forderten die freie Ausreise nach Kuba. Das Ganze endete, als Spezialeinheiten die Residenz mithilfe von unterirdischen Tunneln erstürmten. Der Sturz Fujimoris inmitten eines Korruptionsskandals im Jahre 2000 schadete Perus Zukunftsaussichten nicht, aber zwang das Land, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Eine zur Klärung von Missbrauch und Korruption früherer Regierungen gebildete Kommission enthüllte den Preis des Krieges gegen den Leuchtenden Pfad. Bis zu 70.000 meist zivile Tote waren zu beklagen und der wirtschaftliche Schaden erreichte 10 Milliarden US-Dollar. Während der 2000er Jahre erfreute sich das Land dann eines weltweiten Rohstoffbooms, der mit einem soliden Wachstum des BIP einherging. Sein neuer Präsident Pedro Kuczynski versteht als früherer Bankier die Rolle des Landes im Welthandel. Mit einem nun 80-jährigen Guzmán, der seine letzten Jahre in der Callao-Marinebasis absitzt, ist der Leuchtende Pfad mittlerweile bedeutungslos geworden. Doch für Studien ziviler Konflikte und der Bekämpfung von Aufständen bietet die Zeit des Leuchtenden Pfades viele Lektionen zur organisierten Gewalt.
VOM PROFESSOR ZUM TERRORISTEN
Der von seinen Kadern „Präsident Gonzalo“ genannte Mann (eigentlich Abimael Guzmán Reynoso) war für einen Aufstand verantwortlich, der Zehntausende das Leben kostete. Alles begann in der San-Cristóbal-de
Huamanga-Universität, wo der linke Philosophielehrer in den 1960ern und 1970ern von der Errichtung einer maoistischen Gesellschaft in Peru träumte. Wie sich herausstellte, wurde dieser Traum zum realen Horrorszenario.
2000
Präsident Fujimori wird in einen Korruptionsskandal des Spionagechefs Vladimiro Montesinos verwickelt. Er tritt zurück und flieht nach Japan. Fujimori wird 2009 zu 25 Jahren Haft verurteilt.
2002
Am Vortag des Besuches von Präsident Bush wird vor der US-Botschaft in Lima eine Autobombe gezündet, neun Menschen sterben. Als Hauptverdächtiger der Tat gilt der Leuchtende Pfad.
Bilder: Alamy, Getty, Shutterstock
Unter starker bewaffneter Bewachung wird Abimael Guzmán zur Kerkerhaft auf die Isla San Lorenzo gebracht.
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DER KRIEG DER
PANZERSCHIFFE Mit dem Aufkommen gepanzerter Schiffe und der Schlacht von Hampton Roads endete unter den Kriegsmarinen weltweit die Ära der Segelschiffe. TEXT: MIKE HASKEW
Während der Schlacht von Hampton Roads am 9. März 1862 feuern die Kanonen der Virginia und der Monitor auf kurze Entfernung.
„DIE EXPLOSIVGESCHOSSE SCHWERER KANONEN ÜBERZOGEN DIE DECKS MIT TÖDLICHEN GRANATSPLITTERN UND ZERSCHMETTERTEN HOLZ, SODASS DIE SCHIFFE IN BRAND GERIETEN.“ 82
DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE
D
er frühe Morgen des 8. März 1862 verstrich friedlich. Die Wäsche der Matrosen hing an Masten und Takelage der Unions-Kriegsschiffe, die an jenem Samstag mit der Einhaltung der Blockade in Hampton Roads betraut waren. Der Amerikanische Bürgerkrieg befand sich in seinem zweiten Jahr und eine wesentliche Komponente der Unions-Strategie bestand in der Blockade der Konföderierten-Häfen, um die Versorgung der Rebellen mit Kriegsgütern und anderen Waren wirksam zu unterbinden. Es waren fünf Unions-Kriegsschiffe, die in Hampton Roads, wo der James, Elizabeth und Nansemond River in die Chesapeake Bay und schließlich in den Atlantik münden, vor Anker lagen. Kurz nach Mittag entdeckte ein Ausguck an Bord der Fregatte USS Congress etwas Merkwürdiges am Horizont. Ein großes, bedrohliches Kriegsschiff dampfte mit rauchendem Schornstein langsam auf die Unions-Flottille zu. Seit geraumer Zeit hatten Hinweise die Runde gemacht, dass die Konföderierten in der nahen Marinewerft Gosport an einem Panzerschiff bauten. Der Matrose informierte seinen Vorgesetzten.
Eisen verdrängt Segel Für Jahrhunderte hatten die Segel der Linienschiffe weltumspannend die Macht auf See repräsentiert. Im 19. Jahrhundert begannen diese hölzernen Riesen jedoch mit der fortschreitenden Technologie zu veralten. Die Explosivgeschosse schwerer Kanonen überzogen die Decks mit tödlichen Granatsplittern und zerschmettertem Holz, die Schiffe gerieten in Brand.
Die Lösung, so schien es, lag in der Verwendung von Panzerungen, die Schutz vor den großkalibrigen Geschossen bieten würden. So wurden mit dem Aufkommen der Dampfmaschine und Schiffsschraube Schiffe entworfen und gebaut, die das zusätzliche Gewicht von Eisen- und Stahlpanzerungen tragen konnten und so nicht mehr vom vorherrschenden Wind abhängig waren. Obgleich frühe Panzerschiffe für alle Fälle noch Mast und Takelage behielten, wurde ein Panzerschiff als ein dampfbetriebenes Kriegsschiff mit einer Schutzpanzerung aus Eisen oder Stahl definiert, das über Kanonen verfügte, die neben herkömmlichen Kugeln auch Explosivgeschosse verschießen konnten. In den 1830er Jahren wurden zunehmend schwerere Kaliber wie die britischen 68-Pfünder geläufiger. Hölzerne Schiffe konnten meist nur höchstens 32-Pfünder-Kanonen tragen. Die früheste zur Entwicklung der Panzerschiffe führende Innovation war die Dampfmaschine, die den maritimen Antrieb revolutionierte und zunächst für Schaufelräder genutzt wurde, bevor sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend der Schraubenantrieb durchsetzte. Der Dampfmotor ermöglichte es Kriegsschiffen, in einem Seegefecht sowohl strategisch als auch taktisch zu manöverieren, ganz gleich, woher der Wind wehte. Man erkannte schnell die Vorteile gegenüber dem Segel, weshalb Großbritannien und Frankreich konkurrierende Bauprogramme ins Leben riefen, die schon in den 1840er Jahren dampfgetriebene Kriegsschiffe umfassten. Die Einführung von Eisenpanzerungen, die ein internes hölzernes Gerüst überzogen, fand dabei zeitgleich mit dem Gebrauch des Dampfmotors statt, und die britische und französische Marine
hatten bis zum Krimkrieg (1853–1856) bei Konstruktion und Einsatz von gepanzerten schwimmenden Geschützbatterien zusammengearbeitet. Diese langsamen und schwerfälligen Fahrzeuge konnten selbstständig nur kurze Distanzen zurückzulegen. Dennoch nährte ihr Erfolg beim Beschuss russischer Festungsanlagen die Überzeugung der großen Seemächte, dass sich die Weiterentwicklung gepanzerter Kriegsschiffe lohnte.
Die Evolution der Marinewaffen In den 1850er Jahren verschaffte das Leistungsvermögen der britischen Schiffbauer der Royal Navy bei dampfgetriebenen Kriegsschiffen einen Vorsprung gegenüber den rivalisierenden Franzosen. Diese suchten indes ein Verfahren, um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen. Der Schiffsbauingenieur Henri Dupuy de Lôme schlug deshalb die Entwicklung des ersten ozeantauglichen Panzerschiffs der Welt vor. 1859 lief im Hafen von Toulon das mit 36 Kanonen bestückte Panzerschiff Gloire vom Stapel. Die Gloire verfügte über einen 17 Zentimeter starken hölzernen Rumpf, der mit zwölf Zentimeter dicken, überlappenden Eisenplatten überzogen war. Vor der Einführung der Gloire waren Panzerschiffe nur in Küstengewässern oder für kurze Fahrten eingesetzt worden. Dieses dampfgetriebene Panzerschiff konnte eine Höchstgeschwindigkeit von 13 Knoten erreichen und hatte bei acht Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit eine Reichweite von 4.000 Kilometern. Den mit der Aussicht auf eine weltweit mit Panzerschiffen operierende französische Marine konfrontierten großen Seemächten blieb nichts anderes übrig, als zu antworten, denn plötzlich konnte sich die britische Admiralität auf ihrer
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DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE Überlegenheit bei Dampfkriegsschiffen mit hölzernem Rumpf nicht mehr ausruhen. Nach 13 Monaten wurde die britische Antwort auf die Gloire enthüllt. Im Dezember 1860 lief die mit 40 Kanonen bestückte Fregatte HMS Warrior in Blackwall, London, vom Stapel. Der Rumpf der Warrior war eine 11,4 Zentimeter dick gepanzerte Eisenkonstruktion, an deren Entwurf während der gesamten Bauzeit aufwendige Änderungen vorgenommen werden mussten, was die Erbauer fast in den Ruin trieb. Ihre Reichweite betrug bei einer Dauergeschwindigkeit von elf Knoten 3.900 Kilometer, wobei der Dampfmotor eine Höchstgeschwindigkeit von 14 Knoten erreichte. Auch sie verfügte noch über Masten und Segel. Entworfen vom Chefkonstrukteur der Royal Navy, Isaac Watts, und Ingenieur Thomas Lloyd, verfügte die Warrior über die bewährte Rumpfbauweise der früheren Royal-Navy-Fregatten. Ihr Entwurf umfasste mittschiffs eine kastenförmige Zitadelle, die den größten Teil der Bewaffnung und Kommandopositionen schützte. Ihre Rolle unterschied sich von der als Linienschiff konzipierten Gloire. Anstatt den Kampf mit mächtigen Breitseiten auszufechten, waren die Warrior und andere Schiffe ihrer Klasse als Fregatten mit schnittigen Klipper-Bugen gebaut, um mit ihrer Schnelligkeit den Verlauf eines Seegefechtes zu ihren Gunsten wenden zu können. Die Modernisierung der britischen und französischen Flotte wurde von anderen europäischen Ländern mit großem Interesse verfolgt. Zu Anfang der 1860er Jahre hatten sich mindestens fünf dieser Staaten für die Entwicklung von Panzerschiffen entschieden. Bald nach der Fertigstellung der Gloire ließen die Franzosen ein zweites Panzerschiff, die La Couronne, zu Wasser. Die
Oben: 1860 enthüllte die Royal Navy die HMS Warrior, eine gepanzerte Fregatte, die den Briten einen qualitativen Vorsprung in der Marinetechnologie verschaffte.
Rechts: Die französische Gloire lief 1859 vom Stapel und gehörte weltweit zu den ersten Panzerschiffen.
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„DIE MODERNISIERUNG DER BRITISCHEN UND FRANZÖSISCHEN FLOTTEN WURDE VON ANDEREN LÄNDERN BEOBACHTET.“ Royal Navy stellte ihrerseits im Mai 1862 ihr zweites ozeantaugliches Panzerschiff, die HMS Black Prince, in Dienst. Bis zum Jahresende hatten beide Marinen jeweils 16 der gepanzerten Kriegsschiffe bestellt.
Amerikanische Panzerschiffe Obgleich die US Navy ihr erstes Schiff mit eisernem Rumpf, den Great-Lakes-Dampfer USS Michigan, schon 1843 in Dienst gestellt hatte, rückte erst der Ausbruch des Bürgerkrieges den Bau einer Panzerschiff-Flotte in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen – und dieser war damals unerlässlich. Während die Mehrheit der amerikanischen Schiffsflotte bei der Union verblieben war, würde die Konföderation zweifellos mit dem Bau von Panzerschiffen oder zumindest mit deren Kauf von anderen Ländern beginnen. Dabei sollte der Bürgerkrieg zum Testgelände werden. Die ersten speziell gefertigten gepanzerten Kriegsschiffe der US Navy wurden erst nach Beginn des Krieges fertiggestellt und waren für den Kampf um die Beherrschung des Mississippi vorgesehen. Der Industrielle und Erfinder Captain James B. Eads schlug den Bau von flachkieligen gepanzerten Kanonenbooten vor, die konföderierte Befestigungen beschießen, die hölzernen Rebellenschiffe vernichten und Landeinsätze unterstützen konnten. Ende 1861 hatte man Eads beauftragt, in seiner am Ufer des Mississippi gelegenen Werft in Carondelet, Missouri, sieben gepanzerte Kano-
nenboote der City-Klasse zu bauen. Der Bau ging schnell voran, da Eads 4.000 Arbeiter an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr einsetzte. Bei der Unterstützung der Offensiven gegen die Forts Henry und Donelson, die Insel Nr. 10 und die Schlüsselstadt Vicksburg spielten die Kanonenboote dann eine herausragende Rolle, wobei sie im Schiffsgefecht von Memphis im Juni 1862 maßgeblich zum entscheidenden Sieg über die Konföderiertentruppen beitrugen, der zur Kapitulation der Stadt führte. Das Leitschiff von Eads’ City-Klasse war die USS Cairo, die im Januar 1862 in Dienst gestellt wurde. Mit einem Tiefgang von nur 1,8 Metern, wog das Schiff bei einer Breite von fast 16 Metern und einer Länge von 53 Metern 512 Tonnen und war nur vier Knoten schnell. Seine Schutzpanzerung schwankte zwischen einer Stärke von 1,8 und neun Zentimetern. Die schwerbewaffnete Cairo verfügte neben drei 203-mm-Glattrohrkanonen über bis zu elf gezogene Kanonen mit Kalibern zwischen 76 mm und 185 mm. Trotz dieser beeindruckenden Feuerkraft wurde das Schiff im Oktober 1862 durch eine Treibmine versenkt. aute Das erste für die konföderierte Marine gebaute Panzerschiff war die CSS Manassas, die in en Algiers nahe New Orleans aus dem erbeuteten mgedampfgetriebenen Eisbrecher Enoch Train umgeem baut wurde. Im Oktober 1861 griff sie bei einem Kommandounternehmen auf dem Mississippii erfolgreich feindliche Schiffe an.
Oben: Flachkielige Panzerschiffe der US-Navy liegen im Bürgerkrieg vor dem Mississippi-Hafen Cairo, Illinois.
DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE
DIE „SCHWIMMENDE KÄSEBÜCHSE“ JOHN ERICSSONS PANZERSCHIFF MONITOR VEREINIGTE ZAHLREICHE NEUERUNGEN IM KRIEGSSCHIFF-DESIGN, DARUNTER MEHR ALS 40 PATENTBERECHTIGTE ERFINDUNGEN. John Ericsson war ein Genie, dessen technisches Talent zur Erfindung der Schiffsschraube und der Anpassung des Dampfmotors an den Gebrauch in Schiffen beigetragen hatte. Trotzdem waren die Erfolgsaussichten seines Panzerschiff-Entwurfs Monitor anfangs trübe. Das sollte sich ändern, als Cornelius Bushnell seine Pläne und ein maßstabgetreues Modell direkt zu Präsident Abraham Lincoln brachte, wobei er zunächst den ablehnenden Panzerschiff-Ausschuss umging. Mit Lincolns Unterstützung sollte das Projekt, das einige „Ericssons Torheit“ getauft hatten, schließlich doch noch Gestalt annehmen. Die Monitor war ein Wunder an Erfindungsreichtum. Während der untere Rumpf eine ziemlich traditionelle Form aufwies, betrug die Freibordhöhe vom floßförmigen oberen Rumpf bis zur Wasserlinie nur etwa 60 Zentimeter, was zu ihrem geringen Tiefgang von nur 3,2 Metern beitrug, den Ericsson als ideal für Einsätze an der Konföderierten-Küste ansah. Er entwarf auch
- GESCHÜTZTURM
Im Kampf erlaubte der drehbare Turm den Kanonieren, einem beweglichen Ziel zu folgen, ohne das das ganze Schiff neu ausgerichtet werden musste, was die Treffgenauigkeit und Feuergeschwindigkeit erhöhte.
den Einzylinder-Dampfmotor der Monitor, der eine für Küsteneinsätze ausreichende Höchstgeschwindigkeit von sechs Knoten lieferte. Der drehbare Turm war mit seiner 20 Zentimeter dicken Panzerung der Vorläufer der modernen Geschütztürme und beeinflusste den Kriegsschiffbau für das nächste Jahrhundert. Mit ungefähr sieben Metern Durchmesser und einer Höhe von drei Metern wurde er von zwei kleinen, eine Zahnradanlage steuernden Motoren angetrieben und absolvierte eine volle Drehung in knapp 23 Sekunden. Die Monitor war weniger als 55 Meter lang, was etwa zwei Dritteln der Länge der gegnerischen CSS Virginia entsprach. Mit einer Breite von rund 12,5 Metern war sie relativ kompakt und ihre niedrige Silhouette bot feindlichen Schiffen oder Küstenbatterien ein minimales Ziel. Die Panzerung an der Wasserlinie war zwischen 7,6 und 12,7 Zentimetern dick, die des Turms 20 Zentimeter. Die Deckpanzerung maß 2,5 Zentimeter, die des Steuerhauses 23.
„DER DREHBARE TURM DER MONITOR WAR DER VORLÄUFER DER MODERNEN GESCHÜTZTÜRME UND BEEINFLUSSTE DEN KRIEGSSCHIFFBAU FÜR DAS NÄCHSTE JAHRHUNDERT.“
STEUERHAUS
- BULLAUGEN
In das Deck der Monitorr war eine Reihe von gläsernen Bullaugen eingelassen, die im Mannschaftsraum für Tageslicht sorgten. Beim Kampf wurden sie mit Eisenplatten abgedeckt.
ENTFERNBARER SCHORNSTEIN
ENTFERNBARE BELÜFTUNGSROHRE
MASCHINENRAUM
RETTUNGSBOOTE
- GROSSKALIBRIGE KANONEN RUDER UND VIERBLATTSCHRAUBE
John Ericsson plante ursprünglich, die Monitor mit zwei 38-cm-Dahlgren-Glattrohrkanonen auszustatten. Da diese jedoch knapp waren, verwendete man stattdessen zwei 28-cm-Dahlgrens. Üblicherweise bedienten 24 Mann eine Kanone.
Abgesehen von Turm und Steuerhaus, waren sämtliche Mannschaftsräume, der Dampfmotor sowie andere Gerätschaften und Maschinerien der Monitorr unter nter der Wasserlinie platziert, lat iert was einen zusätzlichen Schutz gegen feindliches Feuer bot.
Illustration: Alex Pang
- MANNSCHAFTSBEREICH
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DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE
Kanone und Mannschaft an Deck des US-Navy-Monitors USS Lehigh auf dem JamesRiver, Virginia, 1864-65.
Beim Aufenthalt der USS Monitor auf dem James-River, Virginia posieren Offiziere am 9. Juli 1862 vor ihrem gepanzerten Geschützturm.
Die Geburt der CSS Virginia
Die Entstehung der Monitor
Als die Unionstruppen im Frühling 1861 die Marinewerft in Gosport aufgeben mussten, wurden etliche Schiffe, die nicht fortgeschafft werden konnten, in Brand gesteckt. Um der Übermacht der Unionsflotte entgegenzutreten, Schlüsselhäfen zu verteidigen und vielleicht sogar die Blockade der Union zu durchbrechen, befürwortete der konföderierte Marineminister Stephen Mallory den Bau und Erwerb von gepanzerten Kriegsschiffen. So gab er den Umbau der Merrimack zu einem Panzerschiff in Auftrag. Dieser war nach neun Monaten am 7. März 1862 vollendet, nur einen Tag vor Beginn der Schlacht von Hampton Roads. Neben zwei Kollegen überwachte der Chefingenieur der konföderierten Marine, William P. Williamson, den Neuentwurf und Bau des Panzerschiffes, das in CSS Virginia umgetauft wurde. Als kasemattiertes, gepanzertes Kanonenboot war die Virginia fast 84 Meter lang, hatte einen 15,6 Meter langen Deckbalken, einen Tiefgang von 6,4 Metern und wog etwa 4.000 Tonnen. Die eiserne Panzerung war zwischen 2,5 und zehn Zentimetern dick. Ihre Bewaffnung umfasste zwei 12-Pfünder-Haubitzen, sechs 229-mm-Glattrohrkanonen und jeweils zwei gezogene Kanonen mit den Kalibern 178 mm und 160 mm. An ihrem Bug war eine bedrohliche eiserne Ramme montiert. Sie erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von nur sechs Knoten.
Während einer Sitzung des US-Kongresses am 4. Juli 1861 wurde ein Bericht verlesen, der detailliert den Bau eines konföderierten Panzerschiffes beschrieb, das die Übermacht der Unionsmarine und sogar die Sicherheit der nördlichen Städte am Potomac, darunter Washington, D.C., bedrohen könnte. Da man entschlossen war, die Blockade der Konföderations-Häfen aufrechtzuerhalten, baute die US Navy bereits fieberhaft an 47 hölzernen Kriegsschiffen. Dennoch war die Nachricht über ein Rebellen-Panzerschiff alarmierend. Nur Wochen später hatte der US-Marineminister Gideon Welles bereits Entwürfe für ein gepanzertes Kriegsschiff angefordert, und man hatte einen „Panzerschiff-Ausschuss“ von Marineoffizieren zur Beurteilung der Vorschläge eingerichtet. Im August schrieb der Erfinder und Ingenieur John Ericsson einen Brief direkt an Präsident Abraham Lincoln und bot darin seine Dienste beim Entwurf und Bau eines gepanzerten „... Schiffes zur Zerstörung der Rebellenflotte in Norfolk und der Säuberung der südlichen Flüsse und Buchten von allen von Rebellenbatterien geschützten Fahrzeugen“ an. Der Brief wurde abgefangen, bevor er Lincoln erreichte, und Marineoffiziere lehnten Ericssons Angebot kurzerhand ab. Im folgenden Monat wurden zwei Verträge für Breitseiten-Panzerschiffe mit gepanzerten hölzernen Rümpfen bewilligt. Man taufte sie USS
„DIE MANASSAS GRIFF IM OKTOBER 1861 BEI EINEM KOMMANDOUNTERNEHMEN AUF DEM MISSISSIPPI ERFOLGREICH FEINDLICHE SCHIFFE AN.“
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Galena und USS New Ironsides. Cornelius Bushnell, einer der Konstrukteure der Galena, sorgte sich jedoch um die Stabilität seines Schiffes und konsultierte Ericsson. Bei diesem Treffen bat Ericsson Bushnell, einen Blick auf sein eigenes Panzerschiffdesign zu werfen, das eine radikale Abkehr von herkömmlicheren Entwürfen darstellte. Ericssons Entwurf war denkbar einfach und bestand aus einem Schwimmfloß mit einem einzelnen runden Geschützturm in der Mitte und einem kleinen Ruderhaus nahe der Spitze. Bushnell war fasziniert und brachte die Pläne zu Minister Welles. Nach Prüfung der Pläne sagte Präsident Lincoln zusätzliche Mittel zu, und im Oktober 1861 erteilte der Panzerschiff-Ausschuss einen dritten Auftrag für „eine gepanzerte schusssichere Dampf-Geschützbatterie“. Es gab zwar Skeptiker, doch die Zeit drängte, und Ericsson hatte eine schnelle Lieferung versprochen. Der Bau wurde zügig in Brooklyn, New York, vollendet. Einigen Berichten zufolge dauerte es bis zur Beendigung des Grundprojekts nur 98 Tage, und die USS Monitor wurde am 25. Februar 1862 in Dienst gestellt. Ihr bahnbrechender drehbarer Geschützturm war mit zwei 280-mm-Dahlgren-Kanonen
DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE
„ERICSSON SCHRIEB EINEN BRIEF DIREKT AN PRÄSIDENT ABRAHAM LINCOLN UND BOT DARIN SEINE DIENSTE AN.“
Die Versenkung der USS Virginia durch die Merrimack.
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DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE
Die USS Osage (1863-65) auf dem Red River, Louisiana, ca. März–Mai 1864.
ausgerüstet, und ihr einzigartiges Profil brachte ihr bald den liebevollen Spitznamen „Käsebüchse auf einem Floß“ ein.
Showdown bei Hampton Roads Es gab Gerüchte, dass sich das konföderierte Panzerschiff aus Gosport bald auf den Weg nach Hampton Roads machen würde, um die Blockadeschiffe der US-Navy anzugreifen. Mechanische Probleme verzögerten den Einsatz der Monitor, wurden aber schnell behoben, sodass das Panzerschiff Brooklyn am 6. März 1862 in Richtung Chesapeake-Bay verlassen konnte. Das Kommando hatte Captain John Worden, der hoffte, die konföderierte Virginia noch vertäut am Kai liegend zerstören zu können. Durch schwere See ramponiert, erreichte die Monitor Hampton Roads in der Nacht des 8. März, was der Moral
der Mannschaften an Bord der Blockadeschiffe beim Anblick des seltsamen Fahrzeuges sogleich Auftrieb verlieh. Diese Männer waren erschöpft – denn die Virginia war bereits da gewesen. Das von fünf Dampfern der Rebellenmarine eskortierte Panzerschiff war nur Stunden zuvor auf dem Elizabeth River zum Angriff übergegangen. Sein Kommandant, Flag Officer Franklin Buchanan, war entschlossen gewesen, unter den hölzernen Kriegsschiffen des Feindes Chaos und Verwüstung anzurichten. Er befahl, die Virginia in Richtung der USS Cumberland zu steuern, die im Kanal nahe der Stadt Newport News ankerte. Schon bald feuerten die Kanonen des konföderierten Panzerschiffes aus vollen Rohren auf den hölzernen Feind, der zurückschoss. Dann nahm die Virginia Fahrt auf und rammte die Cumberland steuerbords.
Während Wasser in das gähnende Loch strömte, versuchte Buchanan, sich rückwärts von der getroffenen Cumberland zu lösen, aber die Ramme der Virginia steckte fest. Für ein paar Momente erschien es, als ob beide Schiffe sinken könnten. Plötzlich jedoch brach die Ramme vom Bug des Panzerschiffes ab und Buchanan kam frei. Die Cumberland sank schnell und zog 121 Besatzungsmitglieder mit in ein feuchtes Grab, wobei mindestens 20 weitere verwundet wurden. Ihre Kanoniere schossen tapfer auf das Panzerschiff und trafen auch, aber die Geschosse prallten wirkungslos von der gepanzerter Oberfläche der Virginia ab. Buchanan bewunderte die Courage der Unions-Kanoniere und schrieb später, dass sie „furchtlos ihre Geschütze bedienten, solange diese noch über Wasser waren“.
EISERNE MORGENRÖTE MITTE DES 19. JAHRHUNDERTS BEGANNEN WELTWEIT GEPANZERTE KRIEGSSCHIFFE IN ZAHLREICHEN AUSFÜHRUNGEN UND VIELSEITIGEN FUNKTIONEN DIE GROSSEN FLOTTEN ZU BEHERRSCHEN.
GLOIRE
Die Gloire war das erste ozeantaugliche Panzerschiff der Welt. Mit ihrer Indienststellung machte sie 1859 die hölzernen Linienschiffe obsolet, nur um innerhalb eines Jahres selbst in den Schatten gestellt zu werden.
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HMS WARRIOR
1860 zu Wasser gelassen, verfügte die HMS Warrior als erste ozeantaugliche Fregatte der Royal Navy über einen eisernen Rumpf. Neuere Entwürfe drängten das Schiff jedoch innerhalb nur eines Jahrzehnts in die zweite Reihe.
CSS TENNESSEE
Das gepanzerte Rammschiff Tennessee wurde im Februar 1864 von den unter Druck geratenen Südstaaten in Betrieb genommen. Sie wurde in der Schlacht von Mobile Bay allerdings von der Union erbeutet.
USS GALENA
Das mit einem mit Panzerplatten überzogenen genen SS hölzernen Rumpf gebaute Panzerschiff USS Galena wurde 1862 in Dienst gestellt undd erlitt während der Schlacht von Drewry‘s Bluff schwere Schäden.
DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE Im amerikanischen Bürgerkrieg fanden die ersten Gefechte zwischen gepanzerten Schiffen statt.
Links: Der schwedischstämmige Ingenieur John Ericsson revolutionierte mit seinem Panzerschiff USS Monitor die Konstruktion und den Bau von Kriegsschiffen.
Die Matrosen der nahen USS Congress waren fassungslos. In der Verwirrung ihrer Ausweichmanöver waren ihr Schiff und die 40 KanonenDampf fregatte USS Minnesota auf Grund gelaufen. Buchanan drehte die Virginia in Richtung des James Rivers, und für einen Moment schien es, als würde sich der verwundete Koloss zurückziehen. Dann zerschlug eine wohl durchdachte Wende zur Congress jede Hoffnung auf ein Ende des Kampfes. Bald beharkten die Kanonen der Virginia die Congress für volle zwei Stunden, und viele Männer starben oder wurden verwundet, bis die Überlebenden schließlich kapitulierten. Obwohl klar war, dass sich das Schiff ergeben hatte, eröffneten nun Unionsgeschütze am Ufer das Feuer auf die Virginia. Daraufhin wurde Buchanan wütend, begann vom Oberdeck der Virginia aus mit einem Gewehr auf die Feinde zu schießen und befahl, die Congress anzuzünden. Kurz darauf wurde er von einem Unions-Scharfschützen ins Bein getroffen und das Kommando fiel an Lieutnant Roger Jones. Die hilflos festsitzende USS Minnesota war für die Virginia eine leichte Beute. Am späten Nachmittag machte sich Jones jedoch Sorgen, dass sein Panzerschiff beschädigt worden war und er mit der einsetzenden Ebbe stranden könnte. Er war sich sicher, ob sein Schiff die Minnesota am folgenden Tag besiegen könne. Als die USS Monitor die Chesapeake Bay erreichte, hörte die Crew entferntes Geschützfeuer, aber als das Unions-Panzerschiff schließlich am Schauplatz ankam, war der Kampf bereits vorbei.
Die Congress brannte bis nach Mitternacht, als die Flammen ihr Pulvermagazin erreichten und sie wie ein Vulkan explodierte. Alle Versuche, die Minnesota freizubekommen, scheiterten und die Monitor brachte sich in Stellung, um die hölzerne Fregatte zu verteidigen, sollte sich die Schlacht am nächsten Tag fortsetzten. Am Morgen des 9. März 1862 verhüllte Nebel Hampton Roads, aber kurz nach 8 Uhr war die Virginia in Reichweite gekommen und schoss eine Salve auf die Minnesota. Die konföderierten Soldaten bemerkten dabei ein herannahendes seltsam aussehendes Fahrzeug. Daraufhin entwickelte sich in wenigen Minuten das weltweit erste Seegefecht zwischen zwei gepanzerten Kriegschiffen. Nachdem er sich der Virginia bis auf wenige Meter genähert hatte, befahl Worden den Kanonieren der Monitor, das Feuer zu eröffnen. Auch die Virginia feuerte eine volle Breitseite auf die neue Bedrohung, deren Wucht jede Niete im Turm der Monitor erzittern ließ. Doch sie hielt stand. Die beiden Panzerschiffe beschossen sich vier Stunden lang. Dabei waren die Kanoniere der Monitor öfter irritiert, wenn sie sich aufgrund von Wordens Befehlen inmitten des dicken Qualms nicht in Richtung des Ziels orientieren konnten. Kurz nach 12 Uhr gelang einem der Heckgeschütze der Virginia aus nur neun Metern Distanz ein direkter Treffer in das Steuerhaus der Monitor. Worden, der durch den Sehschlitz geschaut hatte, erblindete vorübergehend. Nachdem er den Befehl gegeben hatte, die Monitor zur Schadensbewertung aus der unmittelbaren Kampf-
„DIE KONFÖDERIERTEN SOLDATEN BEMERKTEN DABEI EIN HERANNAHENDES, SELTSAM AUSSEHENDES FAHRZEUG. ES WAR DAS ERSTE SEEGEFECHT ZWEIER GEPANZERTER KRIEGSSCHIFFE.“ 89
DER KRIEG DER PANZERSCHIFFE
Eine Darstellung der Schlacht von Hampton Roads, bei der die Merrimack die Cumberland rammt.
DAS ENDE AMERIKANISCHEN PANZERSCHIFFE DER
Am Ende des Bürgerkrieges war die US-Navy mit 50.000 Seeleuten und 700 Kriegsschiffen, von denen Dutzende dem Muster der legendären USS Monitor entsprachen, nur der britische Royal Navy an Stärke unterlegen. Mindestens 36 der während des Krieges bewilligten 60 Panzerschiffe waren nach dem Grundmuster der Monitor gebaut worden. Danach begann für die Navy jedoch eine Zeit des Niedergangs. Schon in den 1870er Jahren waren die meisten gepanzerten Kolosse der Bürgerkriegs-Ära ausgemustert. Ein Jahrzehnt später führte ein Modernisierungsprogramm zum Bau etlicher geschützter Kreuzer, so genannt, weil die inneren Räume durch eine Deckpanzerung vor explodierenden Granaten geschützt wurden. Das Flottengesetz von 1890 bewilligte dann den Bau der ersten ausgewiesenen Schlachtschiffe der US-Navy. Obgleich es im Bürgerkrieg nicht zum Einsatz kam, kauften die USA das für die konföderierte Marine in Frankreich gebaute, gepanzerte Rammschiff CSS Stonewall 1865 Spanien ab. Vier Jahre später verkaufte man die Stonewall dann weiter an Japan. In Kotetsu umgetauft, nahm sie am 25. März 1869 während des Boshin-Krieges an der Schlacht von Miyako-Bay teil. Die Kotetsu wurde fast 20 Jahre später verschrottet, da Japan seine Flotte modernisierte, die sich einst mit den USA um die Vorherrschaft im Pazifik kämpfen sollte.
zone zu steuern, übergab er das Kommando seinem leitenden Offizier Samuel Dana Greene. Lieutnant Jones deutete das Ausweichmanöver als Rückzug. Die Virginia hatte ebenfalls einiges abbekommen. Ihre Mannschaft war erschöpft, etliche Matrosen waren verwundet und die Flut begann abzuebben. Jones nahm Kurs auf Gosport. Greene beobachtete aus seinem beschädigten Steuerhaus das Abdrehen seines Feindes und glaubte, die Konföderierten hätten den Kampf abgebrochen. Obgleich beide Seiten den Sieg für sich beanspruchten, endete das erste Panzerschiff-Duell unentschieden. Dennoch fand es unter Marineoffizieren und Schiffsbauern weltweit Beachtung. Von nun an würden die Meere von Flotten aus Eisen und Stahl beherrscht werden. Die großen Segelschiffe waren an einem Nachmittag in die Vergangenheit verbannt geworden.
Lehrstunde bei Lissa
Der 1895 in Dienst gestellte geschützte Kreuzer USS Olympia gelangte im Spanisch-Amerikanischen Krieg in der Schlacht von Manila Bay zu Ruhm.
Das erste Flottengefecht unter gepanzerten Kriegsschiffen fand im dritten italienischen Unabhängigkeitskrieg am 20. Juli 1866 bei Lissa in der Adria statt. Eine sieben gepanzerte Fregatten umfassende österreichischen Flottille schlug dabei einen aus zwölf Panzerschiffen bestehenden italienischen Verband entscheidend. Als sich die Schlacht hinzog, wurde deutlich, dass weder die Österreicher noch die Italiener genügend Feuerkraft besaßen, um den gepanzerten Schiffen des Gegners ernsthafte Schäden zuzufügen. So verlegten sich beide Seiten auf das Rammen, wobei die Italiener letztendlich zwei Panzerschiffe verloren. Obgleich Lissa eine der letzten Seeschlachten der Geschichte war, in der das Rammen als primäre Offensivtaktik eingesetzt wurde, führte sie einer Wiederbelebung der anachronistischen Ramme, die in den 1880er Jahren auf den Panzerschiffen zahlreicher Flotten installiert wurde.
Die Nachwirkungen Das 1869 an Japan verkaufte Panzerschiff CSS Stonewall wurde in Kotetsu umgetauft und diente für zwei Jahrzehnte in der kaiserlichen Flotte.
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Die USS Monitor diente als Prototyp für zwei nachfolgende Klassen von US-Panzerschiffen. Die Passaic- und Canonicus-Klassen umfassten Küsten- und Fluss-Monitore mit verbesserten
Bauelementen wie einer stärkeren Panzerung und an den Turm versetzten, aus der Schusslinie genommenen Steuerhäusern. Die zur CanonicusKlasse gehörige Tecumseh führte 1864 den Unions-Seeangriff bei Mobile Bay und sank durch eine Treibmine, was Admiral David Farragut zu dem berühmten Satz veranlasste, „Damn the torpedoes! Full speed ahead!“ („Verdammte Torpedos! Volldampf voraus!“) Ein paar für die US-Navy im Bürgerkrieg gebaute Monitore blieben auch während des spanisch-amerikanischen Krieges und der Wende zum 20. Jahrhundert im Dienst. Wie auch bei den gepanzerten Kriegschiffen traditioneller Bauart verschwanden Masten und Takelage unweigerlich. In den 1870er Jahren ersetzte Stahl das Eisen als primäres Baumaterial für Kriegsschiffe. Kasemattierte Bewaffung entwickelte sich zu Geschützbänken und drehbaren Türmen, die mit einer neuen Generation von Kriegsschiffen geläufig wurden, darunter gepanzerte oder geschützte Kreuzer und später moderne Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer. Hinterlader-Kanonen ersetzten die Vorderlader, die Läufe wurden für eine größere Mündunggeschwindigkeit verlängert und im frühen 20. Jahrhundert entwickelte man panzerbrechende Granaten. Der Held der Royal Navy in der legendären Schlacht von Trafalgar 1805, Admiral Horatio Nelson, sagte einmal: „Ein Kapitän kann nicht viel falsch machen, wenn er sein Schiff längsseits des Feindes platziert.“ Die Entwicklung des Panzerschiffes zeigte, dass diese Aussage aus einer vergangenen Epoche stammt. Während sich die Monitor und Virginia aus kurzer Entfernung beschossen hatten, führten stärkere Geschütze letzten Endes zu Seegefechten, bei denen die Gegner viele Kilometer voneinander entfernt waren. Die rapide technologische Entwicklung der Panzerschiff-Ära hatte zu einigen Kriegsschiffen geführt, die funktional schon veraltet waren, als sie vom Stapel liefen. Nach der Begegnung bei Hampton Roads vergingen nur 50 Jahre bis im ersten Weltkrieg stahlgefasste schwere Kanonen auf kapitalen Schiffen in Mehrfachtürmen donnerten.
Bilder: Alamy
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Handbuch Britische Ingenieurskunst erschuf eine Panzerkanone, die es mit dem deutschen Panther und Tiger im Zweiten Weltkrieg aufnehmen konnte. TEXT: MIKE HASKEW
SHERMAN
FIREFLY D
er Sherman-Panzer war auf dem Schlachtfeld zuverlässig und agil. Er war ab Ende 1942 der am zahlreichsten zur Verfügung stehende Panzer der Alliierten. Zwischen 1941 und 1945 wurden etwa 50.000 gebaut und er war das wichtigste gepanzerte Fahrzeug bei alliierten Operationen auf der ganzen Welt. Als der Sherman im Oktober 1942 bei El Alamein in Nordafrika unter der britischen Eighth Army sein Debüt gab, konnte seine 75-mm-Kanone es mit den Panzern III und IV der Panzerarmee Afrika aufnehmen. Doch in den deutschen Fabriken liefen bald stärkere Kriegsmaschinen vom Band, der Panzer V „Panther“ und der Panzer VI „Tiger“, die mit ihren 75- und 88-mm-Geschützen dem Sherman weit überlegen waren. Die Hauptbewaffnung des amerikanischen Originals, die Kanone M2 mit kurzem Lauf und die Kanone M3 mit etwas längerem Rohr (beide Kaliber 75 mm) waren bald zu schwach. Die geringe Mündungsgeschwindigkeit in Verbindung mit der immer fortschrittlicheren deutschen Panzerung machte die Kanonen auf mittlere und große Entfernung ineffektiv. Die deutschen Panzer hatten keine Schwierigkeiten auf große Entfernungen und schalteten Shermans oft aus, bevor diese eine günstige Feuerposition erreicht hatten. Obwohl der Sherman als Waffe für den Durchbruch konzipiert worden war, waren Kämpfe gegen Panzer zwischen den nordfranzösischen Hecken und weiter im Inland unvermeidbar. Die Amerikaner sahen die Lösung in der 76-mm-Kanone M1 mit ihrer hohen Mündungsgeschwindigkeit. Britische Panzerveteranen und Ingenieure entwarfen ihre eigene Hochgeschwindigkeitskanone, eine Abwandlung der Ordnance QF 17-pounder Anti-Tank Gun. Weil beim Abschuss der neuen Kanone ein erheblicher Mündungsblitz entstand, bekam der umgebaute Panzer den Spitznamen „Firefly“ („Glühwürmchen“). Der Firefly machte sich bis zum Ende des Krieges verdient.
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„WEIL BEIM ABSCHUSS DER NEUEN KANONE EIN ERHEBLICHER MÜNDUNGSBLITZ ENTSTAND, BEKAM DER UMGEBAUTE PANZER DEN SPITZNAMEN ‚FIREFLY‘.“
SPEZIFIKATIONEN INDIENSTNAHME: 1943 BESATZUNG: 4 LAND: GB LÄNGE: 7,77 METER GESAMT REICHWEITE: 193 KILOMETER MOTOR: CONTINENTAL R975 C-1 9-ZYLINDER RADIALVERBRENNUNGSMOTOR (BENZIN) HAUPTBEWAFFNUNG: 1 X QF 17-POUNDER-KANONE SEKUNDÄRBEWAFFNUNG: 1 X KOAXIALES BROWNING M1919 MASCHINENGEWEHR 7,62 MM; 1 X AUFGESETZTES BROWNING M2 MASCHINENGEWEHR 12,7 MM
SHERMAN FIREFLY Ein Sherman Firefly patroulliert während der Ardennenoffensive bei Namur.
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HANDBUCH Continental baute während des Zweiten Weltkriegs mehr als 53.000 R975-Flugzeugmotoren, die auch in Panzerfahrzeugen zum Einsatz kamen.
„DER CONTINENTAL R975 WAR EIN FLUGZEUGMOTOR, DER MODIFIZIERT IN PANZERN ZUM EINSATZ KAM.“ MOTOR
Der Chrysler A57-Motor wurde 1941 entwickelt, weil ein Heckmotor notwendig war.
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Drei Sherman-Modelle wurden in britischen Fabriken zu Fireflys umgerüstet. Der M4 und der M4 Composite (jeweils gegossene bzw. geschweißte Hüllenkomponenten) wurden von einem Continental R975-Benziner angetrieben, der mit seinen neun Zylindern 400 PS leistete. In der M4A4-Variante kam ein 470 PS starker Chrysler A57-Benzinmotor zum Einsatz. Der Continental war zunächst als Flugzeugmotor konzipiert worden, doch er fand auch in Panzerfahrzeugen Verwendung. Um den Chrysler R975-Heckmotor mit seinen 30 Zylindern aufzunehmen, wurde die Wanne des Sherman hinten leicht verlängert. Der Sherman Firefly erreichte so eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h.
SHERMAN FIREFLY Links: Die Crew eines Firefly von der 1st Northamptonshire Yeomanry beladen den Panzer im Rahmen der Operation „Totalize“ mit Munition.
„DIE NEUE 17-POUNDERKANONE BEWIES SICH ALS LEISTUNGSFÄHIG GENUG, UM AUCH NEUESTE DEUTSCHE PANZERUNGEN ZU DURCHDRINGEN.“
Deutsche Panzer waren anfällig für technische Probleme, doch das galt nicht für den leicht zu reparierenden Sherman.
BEWAFFNUNG
Die Ordnance QF 17-Pounder-Kanone war ein Hochgeschwindigkeitsgeschütz vom Kaliber 76,2 mm, welches die alte 6-Pounder-Kanone ersetzte, die den Ansprüchen im fortschreitenden Zweiten Weltkrieg nicht genügte. Die Entwicklung begann 1940 und die Fertigung im folgenden April. Nach der Sichtung deutscher Panzer VI „Tiger“ 1943 in Afrika wurde die neue Waffe eilig in Betrieb genommen. Sie bewies sich als leistungsfähig genug, um auch neueste deutsche Panzerungen zu durchdringen. Die Idee, den ShermanPanzer mit der durchschlagskräftigen 17-Pounder-Kanone zum Firefly aufzurüsten, geht auf Lieutenant Colonel George Witheridge und Major George Brighty zurück.
Die 17-PounderKanone des Sherman Firefly war beträchtlich länger als die ursprünglich angebrachte 75-mm-Kanone.
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HANDBUCH
Der Fahrer saß im Sherman vorn links in der Wanne. Auf diesem Bild sind deutlich die Hebel zur Bedienung des Fahrzeugs zu sehen.
„DER BEIFAHRER UND MASCHINENGEWEHRSCHÜTZE MUSSTE WEICHEN, UM PLATZ FÜR DIE NUN GRÖSSERE MUNITION ZU SCHAFFEN.“
Die Besatzung eines Sherman Firefly fährt mit geöffneten Luken durch eine belebte Straße.
Unten: Im Inneren des ohnehin engen Sherman wurde der Raum durch den Einbau der 17-PounderKanone noch knapper.
INNENAUSSTATTUNG
Die Besatzung des Sherman schrumpfte nach dem Umbau zum Firefly von fünf auf vier. Der Beifahrer und Maschinengewehrschütze musste weichen, um Platz für die nun größere Munition zu schaffen. Auch der Turm musste für die neue Waffe modifiziert werden. Der Kommandant war nun hinten im Turm untergebracht, der Ladeschütze saß links vor ihm beim Verschluss der Kanone. Der Platz des Richtschützen war vorn rechts. In der Wanne vorn links saß der Fahrer, der den Panzer über ein System aus Hebeln steuerte.
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SHERMAN FIREFLY
Der Sherman Firefly sorgte dank seiner hohen Geschwindigkeit und Durchschlagskraft für mehr Dynamik an der Westfront.
DESIGN
Der Sherman musste modifiziert werden, um ihn in den mächtigeren Firefly zu transformieren. Für die größere Kanone wurde ein neues Rückholsystem entwickelt und der Verschluss wurde um 90° gedreht, um von der Seite aus laden zu können. Die
Funkanlage benötigte einen neuen Platz und kam in einer Stahlkiste („bustle“) unter, die an die Rückseite des Turms geschweißt wurde. Weil die Waffe sehr viel Platz beanspruchte, wurde oben im Turm eine weitere Luke angebracht, die es der Besatzung erlaubte, im Falle eines Feuers den Panzer auf diesem Weg zu verlassen.
DIENSTGESCHICHTE
DER SHERMAN FIREFLY MIT SEINER 17-POUNDER-KANONE ERLEICHTERTE DEN BRITEN DAS ABSCHIESSEN DEUTSCHER PANZER. Panzerveteranen aus Großbritannien und dem Commonwealth merkten schnell, dass die 75-mm-Kanone des Sherman den überragenden Hochgeschwindigkeitsgeschützen der deutschen Panther und Tiger weit unterlegen war. Zwei findige Offiziere nahmen sich 1943 vor, diesen Vorteil auszumerzen. Major George Brighty und Lieutenant Colonel George Witheridge vom Royal Tank Regiment kamen auf die Lösung: eine Kombination aus dem Sherman und einer stärkeren Ordnance QF 17-Pounder-Kanone. Doch die Fortschritte der beiden kamen frustrierend langsam und ihnen wurde befohlen, ihre Bemühungen einzustellen. Doch dann meldete sich der Meisteringenieur W. G. K. Kilbourn von Vickers, dem es schließlich gelang, den Turm des Sherman mit der neuen Kanone kompatibel zu machen. Die Porduktion des Firefly begann im Januar 1944 und bis zum D-Day am 6. Juni 1944 waren bereits 342 modifizierte Panzer ausgeliefert worden. Der Firefly bewies sich in der
Normandie. Der auffällige neue Tank war wegen seines längeren Rohres leicht vom alten Sherman zu unterscheiden und erwies sich als beeindruckender Gegner für die deutschen Panzer. Bei zukünftigen Begegnungen galt es, die Fireflys stets zuerst auszuschalten, doch die Briten überlegten sich Möglichkeiten, das längere Rohr zu tarnen. Die Panzerung war zwar noch immer schlecht, aber bei guter Positionierung konnte der Firefly glänzen. Am 14. Juni 1944 zerstörte ein Firefly der 4th/7th Dragoon Guards zwei deutsche Panther aus 800 Metern Entfernung, verschob seine Postition und schoss drei weitere in kurzer Folge ab – fünf Schüsse und fünf fatale Treffer. Im August zerstörte ein Firefly der 1st Northampshire Yeomanry drei gegnerische Tiger, darunter den des deutschen Panzerasses Michael Wittmann. Während der letzten beiden Kriegsjahre wurden insgesamt etwa 2.200 Sherman-Panzer zu Fireflys umgebaut.
Bilder: Alamy
Ein getarnter Sherman Firefly inmitten der Trümmer einer zerstörten Stadt.
ARTEFAKT des
KRIEGES
WEHRMACHTS-
KLOPAPIER
Die Herstellungskosten mögen in den 1940ern minimal gewesen sein, doch einem Liebhaber war dieses Stück Geschichte viel Geld wert.
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tes.com und jus Abbildung: Why
Neben seiner offensichtlichen Aufgabe kam Toilettenpapier sehr vielseitig im Krieg zum Einsatz: So tarnte die US Army während des Golfkriegs ihre Panzer damit.
Unten: Ein Zeichen an einem Bunker der Wehrmacht in Ludwigshafen. „EdelweißKlosettpapier“ wurde an Wehrmachtsangehörige in ganz Europa ausgegeben.
© Alamy
„DEUTSCHES TOILETTENPAPIER GALT IN DEN 1940ERN ALS DERMASSEN KRATZIG, DASS EINIGE SOLDATEN LIEBER SEITEN DES VÖLKISCHEN BEOBACHTERS BENUTZTEN.“
tcollecting.com.
N
apoleon Bonaparte sagte einmal: „Eine Armee marschiert auf ihrem Magen.“ Es stimmt, dass die Herausforderungen des Alltags das militärische Leben eher bestimmen als Schlachten und Feldzüge. Die Wehrmacht war dabei keine Ausnahme, und 2016 wurde ein einzigartiges Relikt aus ihrer Feldausstattung zur Versteigerung ausgelobt: eine ungebrauchte Rolle „Edelweiß“-Toilettenpapier. Die ungeöffnete Rolle hätte zu Kriegszeiten wahren Luxus bedeutet, besonders unter den harschen Bedingungen an der Ostfront, wo die Soldaten sich anderweitig helfen mussten. Allerdings galt deutsches Toilettenpapier in den 1940ern als dermaßen kratzig, dass einige Soldaten lieber Seiten des Völkischen Beobachters benutzten. Auf der Banderole findet sich nicht nur der Reichsadler, sondern auch die berühmte namensgebende Alpenblume, das Edelweiß. Im deutschsprachigen Raum wurde sie immer wieder innerhalb der Nazipropaganda eingesetzt, denn die Bedeutung ihres Namens – edel und weiß – verkörperte ein nationalsozialistisches Idealbild des Menschen. Das Edelweiß soll Hitlers Lieblingsblume gewesen sein und inspirierte den bedeutenden Marschliedkomponisten Herms Niel zu seinem Stück „Es war ein Edelweiß“ (auch „Edelweiß-Marsch“). Die abgebildete Toilettenpapierrolle wurde schließlich von einem irischen Sammler von Nazimilitaria bei Whyte’s Auctioneers in Dublin ersteigert und ging im September 2016 trotz ihrer bescheidenen Anfänge für beachtliche 290 Euro an den Meistbietenden.
VORSCHAU:
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media ANSCHRIFT bpa media gmbh Georgstr. 48, D-30159 Hannover Tel.: 0511 / 1233 28-0 Fax: 0511 / 1233 28-44 E-Mail:
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GESCHÄFTSFÜHRER: Oliver Buss
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REDAKTIONSLEITUNG Tobias Bünemann
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REDAKTION Edoardo Albert, Florian Becker, Yannik Behme, Tobias Bünemann, Marc Desantis, Marcel Devantier, Thomas Dorozynski, Thomas Garner, Mike Haskew, James Hoare, Nathan Jordan, Jonathan Krause, Miguel Miranda, Matthew Moss, Peter Price, Elly Rewcastle, Ulrich W. Ritgen, Severin Senge, Nigel Mark Simmer, David Smith, Nick Soldinger, Marvin Sonnemann, James Stejskal, Tim Williamson, Richard Willis
BILDER
Ab dem
25.08. 2017 im
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KAMPF ÜBER DEN WOLKEN WIE IM ERSTEN WELTKRIEG EIN NEUES SCHLACHTFELD ERSCHLOSSEN WURDE: DER HIMMEL.
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History of War erscheint unter Lizenz von Future Publishing Ltd Richmond House, 33 Richmond Hill Bournemouth, Dorset, BH2 6EZ Für unverlangt eingesandte Manuskripte, redaktionelle Beiträge, Anleitungen und Abbildungen, Satz- und Druckfehler, Fotos, Dias, Bücher usw. übernimmt der Verlag keine Haftung. Das gesamte Magazin inklusive aller Bestandteile ist urheberrechtlich geschützt, soweit sich aus dem Urheberrechtsgesetz und sonstigen Vorschriften nichts anderes ergibt. Jede Verwertung ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright Deutschland für Inhalt und Gestaltung – falls nicht ausdrücklich anders vermerkt – by bpa media gmbh.
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IN DIESER AUSGABE SPECIAL
Sie wurden für den Grabenkrieg des Ersten Weltkrieges entwickelt, sind aber bis heute in Gebrauch: Maschinenpistolen. Wir stellen diese Waffen und ihre Geschichte im Detail vor.
ALS DIE BOMBEN FIELEN
Im Spanischen Bürgerkrieg mischten auch ausländische Mächte wie Deutschland mit. Für Hitlers Truppen die ideale Gelegenheit für eine „Generalprobe“.
GESCHICHTE EINER ARMEE G
I Israel verfügt über eine moderne Streitmacht, die aus verschiedenen Milizen geformt wurde. Doch der Weg dahin war lang und oft brutal.
S AUF DEM HOHEN ROSS
Im 14. Jahrhundert kämpfte Flandern um seine Unabhängigkeit – und konnte beweisen, dass auch ein Heer stolzer Ritter schlagbar ist.
G GEPANZERTE SEEUNGEHEUER S
Im 19. Jahrhundert kam es in den Seestreitkräften zu einem Umbruch: Segelschiffe hatten ausgedient, an ihre Stelle waren Panzerschiffe getreten. Und diese sollten ihre Effektivität rasch unter Beweis stellen ...